Beim Schreiben meiner erlebten Geschichten stelle ich mir die Frage, was wohl aus den Werten und Ansichten von damals geworden sind. “Sich verbunden fühlen”,”sich Freiräume schaffen“,” sich erinnern, das vieles mal anders war, das man selbst einmal anders war“. Wo ist die Gelassenheit von früher geblieben und warum hat der alltägliche Stress auch bei mir Einzug genommen.
Ich sitze am Esstisch in der Ferienwohnung Nr.6 am Tranpad gelegen, der Blick auf die evangelische Kirche von Spiekeroog .Der Himmel ist herbstlich grau, die Blätter der Bäume mit sanften Farben geziert und in der Ferne höre ich das Meer durch das geöffnete Fenster rauschen und schon tauche ich ein in die Welt vom Band!
Meine Eltern packten den Wagen voll mit Taschen, Koffern, Bettzeug und ein paar persönlichen Dingen von mir, auf die ich nicht verzichten wollte. Und so begann die Reise in eine spannde und zugleich unsichere Zukunft, die einmal mein Leben verändern sollte.
Heute war der Tag gekommen, wo es für mich hieß, Abschied zu nehmen von Hochbrücksiel in Nordfriesland, um fortan in einem Internat auf der Nordseeinsel Spiekeroog zu leben.Früh morgens fuhren meine Eltern mit mir los. Ziel in 6 Stunden, der Fähranleger für Spiekeroog in Neuharlingersiel.Nach einer langen Fahrt mit Pausen waren wir endlich in Neuharlingersiel angekommen.
Mein erster Blick viel auf das Fährschiff mit dem Namen Spiekeroog III, dann auf die vielen Menschen, junge und alte, die an der Fähre standen und darauf warteten, an Bord gehen zu dürfen. Mein Vater holte mir eine Fahrkarte für 7,50 DM einfache Fahrt hin, während ich mit meiner Mutter das Gepäck in einen Gepäckcontainer lud. Als alles verstaut war, gab mir mein Vater die Fahrkarte und ehe ich mich versah, ging es auch schon los und die ersten Leute gingen an Bord. Nun war die Zeit gekommen, um von meinen Eltern Abschied zunehmen.Dann ging auch ich an Bord und um mich herum standen viele Jugendliche, waren es auch Schüler? Das Schiff legte ab, nahm sein Weg nach Spiekeroog auf, während ich noch am Heck stand um meinen Eltern vorerst ein letztes Mal zu zuwinken! Ich sah, wie sie ins Auto stiegen und davon fuhren.
Die Überfahrt nach Spiekeroog dauerte ca. 45 min. Der Fähranleger wurde immer kleiner und die Insel wurde immer größer. Und dann war es soweit, die Fähre legte im Hafen von Spiekeroog an .Menschenmassen gingen von Bord und so auch ich. Ich sah ein komisches Auto mit einem HL Aufkleber und einem Anhänger mit der Aufschrift Hermann Lietz Schule .Als mein gesamtes Gepäck vom Container auf dem Anhänger geladen war, lief ich, wie ein Lemming den anderen Schülern hinterher. Der Weg führte über den Deich , dessen Bewohner links und rechts anteilnahmslos grasten, zum Hellerpad, dem Weg zur Schule.
Was für eine lange Strecke, an Salzwiesen, Dünen und einer Müllkippe vorbei.
Und da war sie, die Lietz!
Am Eingang wurde schon auf die Neuen gewartet. Also auch auf mich .Mittlerweile war es 17:00 Uhr und das Wetter wurde auch nicht besser, eher dunkler. Ein zottelbärtiger Mann begrüßte mich mit den Worten:“ Hallo, ich heiße Eiermann und bin ein Lehrer dieser Schule, ich zeige dir dein Zimmer, dein Zimmerpartner kommt erst in einer Woche“!. Aha, dachte ich, kein Wort verstanden!“ Du hast dein Zimmer im unteren Westen letzte Tür auf der rechten Seite.! “Unterer Westen“, letzte Tür, rechte Seite, und wieder verstand ich, jetzt noch mehr eingeschüchtert, nichts! Es dauerte etwas, bis ich mein Gepäck in meinem neuen Zuhause hatte. Das Zimmer, zwei Holzbetten, zwei Schreibtische, zwei Stühle und zwei Regale, sowie zwei Schränke.
Als erstes packte ich persönliche Dinge aus, na ja es war mein Teddy! Immerhin, ich war erst 12 Jahre alt und fühlte mich ziemlich alleine! Plötzlich klopfte es an der Tür und der bärtige Mann steckte seinen Kopf durch den Türspalt. “Es ist jetzt Essensausgabe im Speisesaal und dann lernst du deinen Familienvater kennen“. Hunger hatte ich keinen und wer wird mein Familienvater sein? Ich ging mit Herrn Bährmann in den Speisesaal, wo plötzlich viele Kinder und Jugendliche waren, Mädchen und Jungen, Lehrer und Hauspersonal.Jeder der Schüler wurde namentlich Aufgerufen und in die Familien verteilt. So wurde auch ich aufgerufen und ging zu meinem neuen Familienvater Herrn Meyer und meinen neuen Familienschwestern und Brüdern an deren Esstisch. Der damalige Heimleiter Herr Haase begrüßte uns alle und wünschte uns einen guten Hunger! Es gab BKA (Brot-Käse-Aufschnitt).
Ich fühlte mich jetzt nicht mehr so alleine und fing an, mich mit den anderen zu unterhalten .Wo kommst du her, wie heißt du und wie alt bist du. Da ich der einzige neue in der Familie von Herrn Meier war, nahm er sich sehr schnell meiner an und zeigte mir nach dem Essen die Schule und erklärte mir die wichtigsten Dinge, die ein Schüler wissen musste und auch beachten musste! Also wann Nachtruhe ist, wann Frühstück ist, wo der Klassenraum ist und wann der Unterricht beginnt! Viel Input für mich ! Der lange Tag neigte sich dem Ende zu und so musste auch ich ins Bett! Kaum lag ich im Bett, klopfte es an der Tür und die Tür ging auf, bevor ich etwas sagen konnte. Hallo, ich bin Herr Spiekermann, der L v D , Schlaf gut! Ehe ich etwas antworten konnte, war die Tür auch schon wieder zu! L v D , was war das denn!?!
Ich wurde müde und schlief ein!
Am nächsten Morgen wurde ich von einem Klopfen geweckt. Im nach hin ein stellte sich heraus, das es der Weckdienst war. Dieser Weckdienst wurde von den älteren Schülern Innen übernommen, die auch auf den selben Gang wohnten, im unteren Westen! Ich stand also auf und ging duschen. Als ich den Duschraum im unteren Westen betrat, stellte ich schnell fest, das hier alles anders war. Mädchen und Jungen duschten zusammen, ob jung oder schon etwas älter und so hatte ich das weibliche Geschlecht das erste mal anders wahrgenommen als ich es sonst kannte! Das duschen dauerte auch länger als sonst! Am Frühstückstisch angekommen stellten wir uns alle vor die Stühle und warteten darauf, das der Heimleiter das Essen eröffnete. Und so tat er es auch .Ich fragte einen Familienbruder, was L v D heißt und er sagte mir“ Lehrer Vom Dienst“ und noch etwas, Lehrer klopfen an der Tür und Schüler kratzen! Das ist ganz wichtig!
Nach dem Frühstück hatte man noch etwas Zeit, bevor man zum Unterricht in den Klassentrakt ging. Um 7:50 Uhr begann der Unterricht und es war meine erste Unterrichtsstunde auf Lietz.
Ich ging in die 7. Klasse und wir waren alle zusammen 8 Schülern/- Innen .Was für ein unterschied zur alten Klasse am Festland, welche eine Klassenstärke von 32 Schülern Innen hatte. Bei 8 Klassenkameraden/Innen war das erste Gebot aufpassen, denn es viel sofort auf, wenn man gedanklich abwesend war.
Um 13:00 Uhr war Mittag. Und so versammelten sich alle, wie schon beim Frühstück , im Speisesaal. Der Heimleiter machte eine kurze Ansage und wünsche allen Bewohnern einen guten Appetit. Nach dem Essen wurden wieder Ansagen gemacht und welche Schüler/ Innen ,bei welchen Gilden, welche Arbeiten zu verrichten hatten. Für mich ein neues Wort: Gilden !? Und so kam auch schon eine Ansage:“ Die neuen Heimbewohner bitte ich nach dem Essen in die Bibliothek, um sich eine Gilde auszusuchen“. Also Gilde gleich AG? Nein falsch, Gilde gleich Aufgabenbereich zur Förderung der Fähigkeiten eines einzelnen mit Kopf ,Herz und Hand! Richtig ! Meine erste Gilde, für die ich mich damals entschied, war die Ornithologie-Gilde! Man kann auch Vogelkunde sagen, klingt aber nicht so wichtig! Gilden wählte man immer für ein halbes Jahr, was mir bei meiner Wahl damals noch nicht so ganz bewusst war. Aber was ist schon ein halbes Jahr Vögel beobachten! Heute würde ich sicherlich anders darüber denken.
Um 17:00 Uhr war Arbeitsstunde, d.h. man musste auf seinem Zimmer sein und Hausaufgaben machen und lernen. Die Arbeitsstunde endete mit dem Beginn des Abendbrot um 18:00 Uhr .Alle Hausaufgaben erledigt und ab in den Speisesaal, Tisch decken, Teller, Besteck, Becher für
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Cord Schulenberg
Bildmaterialien: Cord Schulenberg
Tag der Veröffentlichung: 27.01.2013
ISBN: 978-3-7309-0884-6
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Den ersten Band widme ich meiner Frau Birgit, meinem Sohn Kay, und allen Spiekerooger Lietzern! Ich hatte eine tolle Zeit mit Euch!