Der ganz alltägliche Wahnsinn
Es gibt Tage, die können einen den letzten Nerv rauben. Man steht gutgelaunt auf und freut sich darauf den freien Tag in aller Ruhe zu genießen. Endlich hat man die Zeit um seine Idee, die einen schon seit ein paar Tagen begleitet, zu Papier zu bringen. Nach einem schönen Frühstück, einer Gassi Runde mit den Hunden, geht es also an den Schreibtisch. Der PC wird eingeschaltet und während er noch beim Hochfahren ist, erschallt ein fürchterlicher Krach aus dem Garten.
Ich zucke zusammen und renne ans Fenster um nachzusehen, was diesen Radau verursacht hat. Da sehe ich das Übel. Ein dicker Mann in einem Blaumann gekleidet steht im Garten und hält eine Kreissäge in der Hand. Die Freude steht ihm ins Gesicht geschrieben. Auf den Kopf trägt er Ohrschützer, damit er seinen eigenen Krach nicht hört. Schon macht er sich mit Übereifer an einem kleinen wehrlosen Jungbäumchen zu schaffen. Röööömmmmm, Röööömmmmm, Röööömmmmm schallt es durch den sonst so friedlichen Garten. Dann rums, das Bäumchen ist der rohen Gewalt erlegen. Zufrieden mit sich selber betrachtet er sein Werk. Dann schlurft er von dannen und aus meinem Blickfeld.
Ich nutze die Gelegenheit und schaue mir unseren schönen Garten an. Da ich im Erdgeschoss wohne, habe ich fast den Eindruck in einem Haus mit Terrasse zu wohnen. Vor meinem Balkon befindet sich eine schöne Rasenfläche, in der ein kleines Blumenbeet bepflanzt ist. Einige Meter weiter steht ein großer alter Walnussbaum, der im Hochsommer für Schatten und erträgliche Temperaturen sorgt. Mein Blick schweift weiter nach rechts, dort wo die schöne Blautanne mit ihrem Nachbarn dem Fliederbäumchen steht. Dazwischen auf dem Rasen befindet sich eine Vogeltränke, die bei unseren gefiederten Freunden hoch im Kurs steht und oft besucht wird.
Vor der Backsteinmauer zum Nachbargrundstück sind unzählige Büsche und Sträucher, sodass man die Mauer mehr erahnt als sehen kann. Selbst die Häuserwand ist von Rank Pflanzen bewachsen. Da nicht regelmäßig etwas im Garten getan wird, hat alles seinen natürlichen Wuchs. Was den Eindruck verstärkt man würde im Wald wohnen.
Mit ein klein wenig Fantasie wirkt alles ein bisschen verwunschen, so wie in einem Märchen. Auch einen etwa 10jährigen Birnbaum gibt es. Der uns im Sommer schon die eine oder andere Birne geschenkt hat. Aber das schönste, das Highlight für mich ist der kleine Fliederbaum direkt vor meinem Balkon. Seine Äste sind so nah heran gewachsen, dass ich fast mit der Hand die Blüten anfassen kann. Ganz zu schweigen von dem herrlichen Duft der durch das ganze Wohnzimmer strömt. Ach ich liebe den Anblick unseres kleinen Gartens. Selbst wenn es im Sommer regnet, ist das einfach herrlich. Ich fühle mich dann wie im tropischen Regenwald, als würde ich in einem Baumhaus leben. Wenn ich das Rhythmische Prasseln des Regens auf den Blättern der Bäume höre, wird diese Empfindung dadurch noch verstärkt.
Auch allerlei Tiere kann ich direkt von meinem Balkon beobachten. Wie zum Beispiel Amseln, Eichelhäher, Krähen und die Eichhörnchen, die mich sogar auf meinem Balkon besuchen und die Nüsse vom Wallnussbaum in meinen Blumenkästen vergraben. Nachdem ich mich nun an unserer kleinen Idylle satt gesehen habe, gehe ich zurück zu meinen Pc und rufe das Word Programm auf.
Gerade als ich dazu ansetze die ersten Worte nieder zu schreiben, erklingt eine fröhliche Melodie. Mein Telefon. Also stehe ich auf, gehe zum Telefon und nehme ab. Am anderen Ende der Leitung ist meine Mutter und sie fängt gleich an zu erzählen, dass Ihr gerade so langweilig sei und was ich denn so mache, wie es mir geht und dergleichen mehr. Ich versuche ihr freundlich klar zu machen, dass ich keine lange Weile hätte und doch ganz gerne etwas am Pc arbeiten würde. Aber ich habe keine Chance. Mutter redet und redet. Nach einer halben Stunde kann ich endlich das Gespräch beenden. Also auf zur nächsten Runde.
Ich sitze wieder glücklich vor meinem Pc und habe gerade drei Wörter geschrieben, da klingelt es an der Wohnungstür. „Mist“, entfährt es mir. Trotzdem renne ich zur Tür, damit meine beiden Hunde schnell wieder aufhören zu bellen. Vor der Wohnungstür steht der Paketbote und fragt mich ob ich ein Paket für meinen Nachbarn abnehme. Na klar als gute Nachbarin mache ich das doch gerne.
Jetzt aber schnell zurück zum Pc und dann endlich schreiben. Ach herrlich endlich Ruhe und die Worte fließen nur so. Aber nicht lange. Nach wenigen Minuten höre ich Motorgeräusche aus dem Garten. Ich eile also wieder zum Fenster und was müssen meine armen Augen sehen? Der dicke Blaumann fährt mit einem Rasenmäher über die Wiese und mäht alles nieder. Das kann doch nicht wahr sein, denke ich mir. Kann der denn nicht wie früher eine Sense benutzen. Das ist wesentlich leiser und Umweltschonender. Nein, kann er wohl nicht. Denn mit einer unbeschreiblichen Freude kurvt er durch den Garten.
Ich gehe nun schon ziemlich genervt wieder an meinen Arbeitsplatz zurück und versuche ein paar zusammenhängende Wörter auf den Bildschirm zu produzieren. Doch mit der Lärmkulisse im Hintergrund, ist das ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Aber ich kämpfe mich tapfer durch. So nach einer dreiviertel Stunde, glaube ich meinen Ohren nicht zu trauen. Ich höre? Nichts! Ruhe unendliche schöne Ruhe umgibt mich. Ach, ich atme tief durch und denke, endlich.
Da ertönt die mir bekannte Melodie meines Telefons. Nein!, schreie ich.
Trotzdem gehe ich an den Apparat. Man weiß ja nie wer anruft. Es könnte ja etwas sehr wichtiges sein. Am Apparat ist mein Sohn. Er meint dass er mir etwas ganz wichtiges zu erzählen hätte. Das ihm doch gerade etwas ganz ungeheuerliches passiert sei. Nun gut, ich höre zu, und auch dieses Telefonat zieht sich endlos hin.
Nachdem ich auch dass überstanden habe, stehen meine Hunde vor mir und wollen mir klar machen, dass sie doch mal wieder raus müssten. Ein Blick zur Uhr sagt mir, dass es schon Mittag ist und sie Recht haben. Also auf zum Hundespaziergang. Eine halbe Stunde später sind wir wieder zurück und ich staune.
Es herrscht noch immer absolute Ruhe. Na dann auf zum nächsten Versuch meine Gedanken nieder zu schreiben.
Ja jetzt läuft es ganz gut. Die Gedanken kommen, meine Finger fliegen nur so über die Tasten. Da höre ich ein klatschen und anschließendes Poltern auf meinem Balkon. Erschrocken flitze ich zum Balkon um nachzuschauen was da los ist. Ein Ast meines geliebten Fliederbaumes ist auf meinem Balkon gelandet und hat dabei einen Blumenkasten herunter gerissen. Das kann doch nicht sein. Ich gehe auf den Balkon um mir die Bescherung genauer anzusehen.
In dem Moment höre ich jemanden nach mir rufen.
Der Blaumann! Da steht er vor der Brüstung und erklärt mir in aller Seelenruhe, dass ihm aus Versehen der Ast beim Abschneiden auf meinem Balkon gerutscht ist.
„Wie aus Versehen“, frage ich ihn.
Na er habe eben den Auftrag vom Eigentümer bekommen den Baum ab zu holzen, und da er mit dem Ast angefangen hätte sei er eben auf meinem Balkon gelandet. So etwas käme schon mal vor.
„Warum denn abholzen“, frage ich.
„Weil der Baum an der Rinde beschädigt ist und sowieso bald eingehen würde“.
„Ach so“.
Klar, bestimmt weil du mit deinem Ungetüm von Rasenmäher dagegen gefahren bist, denke ich mir. Ich schmeiße also den Ast über die Brüstung und beseitige den entstandenen Müll auf meinem Balkon. Mittlerweile werde ich aggressiv. Der Blaumann ist wieder in seinem Element und holzt alles ab, was ihm unter die Säge kommt.
Ich höre nur noch Röööömmmmmm, Röööömmmmm, Röööömmmm ... .
Ich starte zwar noch einen weiteren Versuch etwas zu schreiben. Aber mein Kopf ist nun so leer wie eine ausgetrocknete Wüstenoase. Frustriert und wütend, beende ich mein Vorhaben, schnappe mir meine Handtasche und verlasse die Wohnung um Schoppen zu gehen.
Denn ein Erfolgserlebnis brauche ich heute noch!
Nachtrag
Nach 2wöchiger Arbeit des besagten Blaumannes, sieht es in „meinem Garten“ zwar noch immer aus wie im tropischen Regenwald, nur eben wie nach einer illegalen Waldrodung.
Texte: Text und Bild: alle Rechte beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 29.06.2011
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