Vom Stein, der gerne reisen wollte
Es war vor langer, langer Zeit. An einem großen Strand. Doch es war kein Sandstrand, sondern ein Strand aus unendlich vielen Steinen. Aus Großen, kleinen, runden, ovalen, scharfkantigen, schwarzen, gelben, bunten, kurzum von Steinen in jeder erdenklichen Größe, Farbe und Form. Mitten in diesem Steinstrand, gab es einen kleinen glitzernden Stein. Dieser Lag inmitten, all seinen Freunden und wünschte sich nichts sehnlicher, als eines Tages auf große Reise zu gehen. Er sprach von nichts anderem mehr, als davon, dass er eines Tages aufbrechen werde, um die große weite Welt kennenzulernen.
Seine Freunde fingen schon an, sich lustig über ihn zu machen. Sie zogen ihn auf, und nannten ihn einen Spinner und Träumer. Sie fragten ihn, wie er denn von hier weg kommen wollte. Er, ein bewegungsloser Stein. Doch der kleine Stein ließ sich dadurch nicht entmutigen. Er wusste, dass eines Tages sein Traum in Erfüllung gehen würde. Immer wieder entgegnete er ihnen, wenn die Zeit dafür reif wäre, würden sie es schon sehen, wie er von hier weg käme.
Daraufhin lachten ihn seine Freunde nur aus. Aber der kleine Stein tröstete sich, indem er nur noch fester an seinen Traum glaubte. Er malte sich in Gedanken die schönsten Reisen aus, erlebte die wildesten Abenteuer, und wenn er lange genug unterwegs gewesen wäre, würde er hierher zurückkehren und seinen Freunden von seinen Abenteuern erzählen. Keiner seiner Freunde würde ihn dann noch auslachen.
So vergingen Wochen, Monate und Jahre, in denen nichts passierte. Doch eines Tages kam ein kleiner Junge zu dem Steinstrand. Er schlenderte über den Strand und hob dabei mal den einen, mal den anderen Stein auf. Er schaute sie sich genau an, und warf sie dann wieder auf den Boden. Auch den kleinen glitzernden Stein hob er auf, und schaute ihn sich ganz genau an. Doch ihn warf er nicht zurück, sondern steckte ihn sich in die Hosentasche. Da wusste der kleine Stein, dass es endlich soweit war und er auf große Reise gehen würde.
Ganz aufgeregt rief er seinen Freunden zu: „Seht ihr nun, geht es los. Jetzt beginnt meine große Reise, und wenn ich eines Tages zurück bin, dann erzähle ich euch alles ganz genau. Alle meine Abenteuer.“
Ein ungläubiges Raunen ging durch die Steine. Sollte der kleine Stein doch recht behalten? Nein, das konnten sie sich einfach nicht vorstellen. Der Junge lief nun mit dem kleinen Stein weiter bis zum Wasser. Dort blieb er stehen und holte ihn aus seiner Hosentasche. Der kleine Stein war furchtbar aufgeregt. Was würde nun geschehen? Der Junge sah sich den Stein noch einmal an und dann holte er ganz weit aus und warf ihn im hohen Bogen ins Meer. Hui, was war das toll so durch die Luft zu fliegen, und dann platsch, landete er im Wasser und sank zu Boden. Dabei wirbelte etwas Sand auf. Nachdem sich der Sand wieder gelegt hatte, sah er sich erstaunt in der fremden Welt um.
Hier sah es so ganz anders aus als in seiner alten Umgebung. Das Licht hatte einen Türkisen Schimmer und um ihn herum gab es viele bunte Korallen, zwischen denen Tausende kleiner bunter Fische schwammen. Es gab Seeigel, die über den Boden schwammen, Seepferdchen, die durch das Wasser schwebten und Würmer, die im Boden lebten und ab und zu ihre Köpfe herausstreckten. Oh, wie schön es doch hier war, staunte der kleine Stein. Alles war so bunt und fremdartig.
Wieder vergingen Wochen und Monate, ohne dass etwas passierte. Mittlerweile kannte er alle seine neuen Nachbarn und unterhielt sich mit ihnen. Er erzählte ihnen, dass er nur auf der Durchreise sei und dass er noch eine weite Reise vor sich habe. Doch auch hier glaubte ihm keiner. Alle hörten ihm höflich zu und dachten sich ihren Teil.
Eines Morgens kam ein größerer Fisch an geschwommen. Keiner seiner Freunde kannte diesen Fisch, der mit seinem Maul dicht über den Meeresboden schwamm und nach etwas zu fressen suchte. Ja, sie hatten sogar Angst vor diesem fremden Fisch und versteckten sich vor ihm. Nur der kleine Stein, blieb, wo er war und wartete was geschehen würde.
Der große Fisch kam immer näher zu ihm und wühlte in dem Boden. Auf einmal entdeckte der Fisch den kleinen Stein und schwamm zu ihm hin, riss sein Maul auf und verschluckte den kleinen Stein.
Der jauchzte vor Freude und rief seinen Freunden zu: „Seht es geht weiter, seht ihr meine große Reise geht weiter. Macht es gut meine lieben Freunde.“
Im Bauch des Fisches sah der kleine Stein einige seiner Freunde. Er wollte mit ihnen reden, aber sie gaben ihm keine Antwort. Da merkte der kleine Stein, dass sie alle tot waren, und wurde traurig.
Wieder vergingen Tage und Wochen. Der kleine Stein war im Bauch des Fisches und hatte niemanden mit dem Er sich unterhalten konnte. Es kamen zwar ab und zu andere Meeresbewohner in den Bauch, doch die waren alle schon tot. Eines Tages wurde es sehr ungemütlich im Bauch des Fisches. Der kleine Stein wurde hin und her geschüttelt. Der Fisch zuckte und zappelte wie wild. Was ist denn bloß los fragte sich der kleine Stein? Da wurde es auf einmal ganz ruhig und still. Nichts bewegte sich mehr. Er merkte, wie der warme weiche Bauch des Fisches immer kühler und fester wurde. Dann war auf einmal alles um ihn herum zu Eis erstarrt.
Nach einigen Tagen in der Kälte bemerkte er, dass es wieder etwas wärmer wurde. Kleine Wasserbäche liefen an den Seiten des Fischbauches hinunter. Was passiert denn jetzt?, fragte sich der kleine Stein. Geht meine Reise weiter? Da stach plötzlich etwas Metallenes durch den Bauch des Fisches und schlitzte ihn der Länge nach auf. Es wurde gleißend hell. Eine Hand fuhr in den Bauch des Fisches und holte den kleinen Stein heraus.
„Mammi, Mammi, zeig doch mal,“ hörte der kleine Stein eine aufgeregte Kinderstimme.
“Was ist das?“
„Ich glaube es ist ein kleiner Stein. Einen Moment, ich mache ihn nur schnell sauber.“
Schon merkte der kleine Stein, wie er unter Wasser gehalten wurde, und dann riss ihn eine ungeduldige kleine Hand an sich.
„OH ist der aber schön. Schau nur, wie er glitzert. Kann ich ihn behalten? Bitte, bitte Mammi.“
„Ja,“ erwiderte die Frau lachend.
Der kleine Junge rannte fröhlich lachend mit seinem neuen „Schatz“ nach draußen in den Garten. Dort legte er ihn an den Rand des Gartenteiches in die Sonne.
„So hier kannst du dich erst einmal aufwärmen,“ sprach er zu dem kleinen Stein.
Die nächsten Wochen kümmerte sich der kleine Junge liebevoll um den kleinen Stein. Er erzählte ihm viele Geschichten und vertraute ihm seine Sorgen und Ängste an. Auch der kleine Stein erzählte dem Jungen von seiner großen Reise, und das er eines Tages weiter reisen würde. Dann schaute ihn der kleine Junge immer ganz traurig an, und der kleine Stein musste ihn trösten.
An einem besonders schönen warmen Sommertag legte der Junge den kleinen Stein wieder einmal an dessen Lieblingsplatz am Rande des Gartenteiches, als ihn seine Mutter rief. Der Junge rannte schnell zu ihr und ließ den Stein liegen. Kaum war der Junge im Haus verschwunden, da kam eine große Elster angeflogen. Sie setzte sich neben den kleinen Stein und pickte mit ihrem Schnabel auf ihn herum und krächzte. Dann nahm sie den kleinen Stein in ihren Schnabel und flog in dem Moment mit ihm los, als der kleine Junge zurückkam.
„Hurra, hurra und weiter geht es,“ rief der kleine Stein seinem Freund zu.
„Sei nicht traurig Tobias, wir sehen uns bestimmt eines Tages wieder.“
Doch der kleine Junge sah traurig zu, wie die Elster mit dem kleinen Stein davon flog. Immer höher und weiter, bis nur noch ein kleiner Fleck von den beiden am Himmel zu sehen war. Aber der kleine Stein war überglücklich, dass seine Reise nun weiter ging.
Es war wunderschön so hoch über der Erde zu fliegen. Er sah, wie die Menschen, Tiere, Häuser und Autos klitzeklein unter ihm vorbei flogen. Wie sich die Landschaft veränderte und wie schnell sie vorwärtskamen. Es war einfach herrlich. Nach einiger Zeit öffnete aber die Elster ihren Schnabel, um ein krächzen von sich zu geben. Dabei rollte der kleine Stein aus ihrem Schnabel. Er fiel, und fiel immer tiefer, bis er unten auf der Erde aufschlug. Dort landete er inmitten von vielen anderen Steinen. Als er sich umsah, erkannte er, dass er wieder zu Hause an seinen Steinstrand, bei seinen alten Freunden war. Diese begrüßten ihn freudig und er musste ihnen von seinen Abenteuern erzählen. Das tat er natürlich sehr gerne, und so begann er, ihnen von seinen Erlebnissen zu erzählen. Nachdem er ihnen alles berichtet hatte, endete er mit folgenden Worten:
Vergesst nie, wenn man nur ganz fest an seine Wünsche und Träume glaubt, dann gehen sie auch in Erfüllung.
Texte: Text und Cover alle Rechte beim Autor
Bildmaterialien: Martina Köhler
Tag der Veröffentlichung: 14.06.2011
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