Der zweite Frühling
Marlene fühlte sich aufgeregt wie ein Teenager. In zwei Stunden wäre es endlich soweit, dann würde sie sich mit Hannes, ihrer Internetbekanntschaft treffen. Das erste Mal würden sie sich begegnen. Sie stand vor dem großen Spiegel in ihrem Schlafzimmer und betrachtete sich von allen Seiten. Gut, die Haut war nicht mehr die einer Zwanzigjährigen, aber dafür, dass sie in drei Monaten ihren 57. feiert, war alles noch recht ordentlich in Schuss. Nicht gerade ein typisches Twiggymodel, doch das war sie noch nie gewesen. Bei ihr gab es eben etwas mehr erotische Nutzfläche als bei anderen. Und Heinz, ihr Ehemann fand das immer sehr aufregend, ja begehrenswert, wie er sich ausdrückte. Doch das musste sich in den letzten Monaten geändert haben. Denn da lief so gut wie nichts mehr zwischen ihnen. Selbst die Gespräche ließen immer mehr nach. Eigentlich lebten sie nur noch nebeneinander her. Ein routinierter Ablauf ihres langweiligen Lebens. Heinz ging in seiner Arbeit als Versicherungsvertreter auf, und sie kümmerte sich um den Haushalt. In den gemeinsamen Stunden, die sie zu Hause verbrachten, saß jeder vor seinem Computer und war mit seinen eigenen Sachen beschäftigt. Welche das bei Heinz waren, konnte sie eigentlich gar nicht sagen, denn sie respektierten die Privatsphäre des anderen, und das hieß der Computer des anderen war tabu. Ach, wenn Heinz doch nur wüsste, wie sehr ihr das gelegen kam. Für einen Moment huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Gerade jetzt, wo sie seit neun Wochen eine Internetaffäre unterhielt. Es war reiner Zufall gewesen, der sie auf die Seiten der „Secret love“ Agentur führte. Eine Internetseite für Verheiratete, die eine unkomplizierte Affäre suchten, hieß es dort. Und genau das hatte sie gefunden. Eine Affäre namens Hannes. Sie schrieben sich unzählige Mails, in denen sie feststellten, wie gut sie zueinanderpassten. Dass sie über dieselben Sachen lachen konnten, den gleichen Büchergeschmack hatten, dieselbe Musik hörten und vieles mehr. Es wurde ein heftiger Flirt. Doch eines taten sie nicht, und das war sich gegenseitig Fotos zu zuschicken. Denn sie wollten ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Bis heute. Heute wollten sie den Schritt wagen, und sich zu einem Abendessen mit offenem Ausgang treffen. Marlene genoss dieses Gefühl, dieses Kribbeln im Bauch, das aufgeregt sein, die Erregung des Verbotenen und die Aufmerksamkeit ihres gegenüber. Aber am meisten wünschte sie sich begehrt zu werden, und dieses Begehren, würde sie sich heute bei Hannes holen. Also schlüpfte sie in ihre schwarzen Halter-losen Seidenstrümpfe und streifte sich das kleine schwarze über. Danach kontrollierte sie ihre Frisur und das Make-up. Alles sah perfekt aus. Es konnte losgehen. Sie griff zum Telefon und bestellte ein Taxi, warf sich ihren Mantel über, und legte noch einen Hauch von dem teuren Parfüm auf. Dann griff sie sich ihre Handtasche und verließ das Haus, um draußen auf das Taxi zuwarten. Bis jetzt hatte alles hervorragend geklappt. Sogar das Problem mit Heinz hatte sich wie von selbst gelöst. Vor drei Tagen hatte er ihr so nebenbei eröffnet, dass es am Freitag sehr spät werden würde, da er ein wichtiges Geschäftsessen hätte. Na wunderbar, hatte sie gedacht. Ich werde auch erst sehr spät nach Hause kommen, und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das Taxi fuhr vor, und sie stieg ein. Dann nannte sie dem Fahrer die Adresse des Hotel Adlon. Eines musste man Hannes lassen, lumpen ließ er sich nicht. Nach 20 Minuten Fahrt hielt der Taxifahrer vor dem Hotel. Marlene bezahlte, stieg aus und ging in das Foyer des Hotels. Ein Hauch von Luxus schlug ihr entgegen, der ihr das Gefühl gab etwas Besonderes zu sein. Selbstbewusst machte sie sich auf den Weg in das Restaurant. Am Eingang des Restaurants nannte sie ihren Namen und wurde daraufhin von einem Ober an einen etwas abseits gelegenen Tisch geführt. Als sie Platz genommen hatte, brachte ihr der Getränkekellner einen Martini Blanco. „Woher wissen Sie?“, fragte sie verwundert. „Oh der Herr hinter ihnen hat die Bestellung aufgegeben,“ antwortete der Kellner und schaute zu jemandem, der hinter ihr stand. In dem Moment trat der Mann in ihr Blickfeld. „Guten Abend darf ich mich vorstellen, Hannes.“ Marlene schaute auf und brachte ein verwundertes „DU?“, hervor. Dann sah sie in die Schalkhaften braunen Augen ihres Mannes und musste loslachen.
„Dann hast du dich die ganze Zeit als Hannes ausgegeben, und mir diese ganzen E-Mails geschickt?
„Ja meine Sternschnuppe. Ich muss gestehen, dass ich einmal an deinem Computer war und die Anmeldung bei Secret love gesehen habe, und da wurde mir klar, dass ich etwas tun musste, wenn ich nicht diese bezaubernde Frau verlieren möchte. Aber warte einen Moment, ich habe ein kleines candle light dinner vorbereiten lassen.“
Er gab den Kellner, der in diskreten Abstand wartete ein Zeichen. Dann begann er ihr zu erzählen, wie er sich als Hannes auf ihr Profil hin gemeldet hatte, und dass ihm mit jeder Mail mehr zu Bewusstsein kam, wie sehr er sie doch noch immer liebte und begehrenswert fand. Der bloße Gedanke, sie könnte sich einen anderen suchen, hatte ihn verrückt gemacht. Plötzlich war ihm bewusst geworden, wie sehr er sie doch vernachlässigt hatte und das er das dringend ändern müsse. Also hatte er diese Überraschung geplant.
Es wurde ein wunderschöner romantischer Abend. Sie aßen, tranken, redeten und turtelten, wie frisch verliebte. Als es langsam auf Mitternacht zu ging, kam die letzte Überraschung. Heinz hatte ein Zimmer für sie reservieren lassen und dort setzten sie ihren romantischen Abend fort, der in einer wilden, hemmungslos, leidenschaftlichen Nacht gipfelte. Marlene und Heinz befanden sich im Zweiten Frühling ihrer Ehe. Von da an folgten noch viele solcher Nächte, und Marlene hatte nie wieder das Bedürfnis sich eine Internet Bekanntschaft zu suchen.
Texte: Bild und Text:
Copyright by Martina Köhler
Tag der Veröffentlichung: 12.04.2011
Alle Rechte vorbehalten