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Die Hunderunde

Es ist um die Mittagszeit und das bedeutet, dass ich mit meinen beiden Hunden, eine Gassirunde einlegen muss.
Sehr zu meiner Freude und der meiner Nachbarn. Denn eines sind meine Hunde auf gar keinen Fall, nämlich zwei liebe ruhige Vertreter ihrer Art. Das heißt zu Hause schon, aber draußen entwickeln sie sich zu kläffenden Kötern. Wir sind kaum aus der Tür, da
geht es los. Nooshin, die jüngere, stürmt ohne Rücksicht auf Verluste aus der Tür, um nach links und rechts zu schauen und dann lautstark zu bellen. Es muss doch schließlich jeder mitbekommen, dass sie wieder unterwegs ist. Aus Sympathie fällt Bessy, ihre
Mutter, gleich mit ein. Aus! Nein! Ruhig!, versuche ich die beiden zur Ruhe zu bringen.
Natürlich vergebens. Das letzte Wort behalten immer die beiden. Also Augen zu und weiter gehen, oder besser Ohren zu.
Fast an der ersten Ecke angekommen, kommt uns eine Frau entgegen die dort wohnt.“ Guten Tag“, grüßt sie mich freundlich und meine beiden Hundedamen grüßen sie lärmend zurück.
Aus! Nein! Ruhig!, versuche ich wieder Ruhe herzustellen. Ja mein Wortschatz ist auf diesen Spaziergängen äußerst begrenzt. Ich werfe einen vorsichtigen Blick um die Ecke und sehe, dass die Straße leer ist. Erleichtert atme ich auf. Wenigstens eine kleine Verschnaufpause. Wir gehen also weiter. Besser gesagt Nooshin zerrt mich weiter, während ich Bessy immerzu ermahnen muss doch endlich weiter zu laufen.
„Bessy komm“. „Nooshin warte“, mit diesen Worten erweitere ich mein Vokabular. Stück für Stück kommen
wir vorwärts. Dabei muss ich ständig ein Auge auf die beiden werfen, damit sie sich nicht einen Unappetitlichen Happen von der Straße gönnen. Hundebesitzer wissen was ich meine. Mittlerweile haben wir fast die Hälfte unserer Tour geschafft und ein Müllauto kommt uns entgegen. Also muss ich schnell handeln und Bessy an die Leine nehmen, damit
sie nicht einfach einen langen Schuh macht und abhaut.
Geschafft! Bessy steht wie zum Tode verurteilt da und Nooshin rennt am Straßenrand laut kläffend und knurrend hin und her, um ihren Unmut über das Müllauto zu bekunden. In diesen Momenten erinnert sie mich wieder einmal an einen Straßenköter aus einem kleinen Mexikanischen Dorf und ich denke mir: “Nie wieder Hunde!” “Aus! Nein! Ruhe!”, kommt es über meine Lippen. Wieder die berühmten Worte, die doch keine Wirkung zeigen. Aber auch diese Situation geht vorbei und wir setzen unseren Ausflug fort.
Mittlerweile haben wir ein dreiviertel des Weges geschafft und ich bin schon genauso hektisch wie meine Hunde. Ständig schaue ich umher, ob die Luft rein ist.
„Bessy komm“! „Nooshin warte“! Da sehe ich wie die Frau, die uns vorhin so nett gegrüßt hat aus ihrem
Auto steigt und zu uns über die Straße kommt. Ich greife in die Leine, um meine bellenden Ungeheuer in den Griff zu bekommen und bleibe stehen um die Frau vorbei zu lassen.
„ Ach wissen Sie, man hat mir schon drei mal das Auto aufgeknackt und mir den Airbag kaputt gemacht“, spricht mich die Frau an. Ja schön denke ich. Ich will doch nur nach Hause und das so schnell wie möglich. Vor allem so ruhig wie möglich. Also bitte
bitte geh weiter. Aber da habe ich keine Chance. Meine beiden Ungeheuer fangen sofort mit ihrem Duett an und ich muss mich anstrengen, um die Frau zu verstehen.
„Ich habe da so eine Ahnung wer das sein könnte und nun muss ich mein Auto immer hier hinten abstellen, obwohl ich da vorne wohne. Ich wollte ihnen das einmal erklären, denn sie werden sich doch bestimmt wundern warum ich das tue!?”
„Sie können doch tun was sie möchten. Ich dachte mir schon, dass sie einen Grund dafür haben würden“, erwidere ich.
“Aus! Nein! Ruhe!” Und, oh Wunder, meine beiden Damen sind ruhig. Nun gut ich ergebe mich meinem Schicksal und höre der Frau zu, was sie mir zu erzählen hat. Obwohl ich doch recht überrascht bin, dass ich trotz meiner wilden Meute angesprochen werde.
„Ich kann keine Nacht mehr schlafen, weil die Nachbarn über mir, sich die ganze Nacht lang
streiten und laute Musik hören. Keiner will mir helfen. Die Polizei kann nichts machen, weil immer alles ruhig ist wenn sie endlich da sind. Der Hauseigentümer meint, ich soll mit den Lärm leben oder ausziehen.”
„Das ist ja eine Frechheit“, bemerke ich.
„Zuerst musste ich das sieben Jahre dort drüben in dem Haus durchmachen und nun seit drei Jahren da vorne. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Umziehen kann ich auch nicht noch einmal, weil mir das Geld dafür fehlt. Ich bin jedenfalls psychisch am Ende“.
“Vielleicht liegt es auch an dir”, flüstert der kleine Teufel in meinem Kopf.
Doch ich antworte:“Das kann ich gut verstehen.”
„Nun habe ich sie lange genug aufgehalten. Ich
wollte ihnen das wie gesagt nur einmal erklären, damit sie nicht denken, die Alte spinnt ja. Auf Wiedersehen und einen schönen Tag noch.”
Sie drehte sich um und machte sich auf den Weg nach Hause.
„Ja ihnen auch noch einen schönen Tag und vor allem eine ruhige Nacht“, rufe ich ihr hinterher.
Ich staune nicht schlecht, meine Hunde sind merkwürdiger Weise noch immer ruhig. Also beschließe ich ihnen eine Belohnung zu kommen zu lassen. Ich fingere gerade in meiner Jackentasche, in der ich die Leckerlis aufbewahre herum, als ich mich umdrehe und sehe dass Bonzo und Bodo, zwei Mischlingsrüden mit ihrem Frauchen kommen. Diese Gassirunde heute würde also noch etwas länger dauern. Denn Nooshin stemmt sich mit ihren vier Pfoten auf der Straße ab und ist keinen Zentimeter weiter zu bewegen. Jedenfalls nicht
solange ehe sie die beiden begrüßt hat. Also warte ich notgedrungen auf das Trio.
„Hallo“, ruft Kerstin, das Frauchen von Bonzo und Bodo. „Ist das nicht Frau Schamotzki? Die kenne ich auch, die hat früher bei uns gewohnt.”
„Ich weiß nicht wie sie heißt, aber sie hat mir gerade ihr Leid mit den Nachbarn geklagt.”
Nachbarn, das ist das Stichwort für Kerstin und sie legt los.
„Ja, ich habe auch einen Nachbar über mir, mit dem liege ich schon seit elf Jahren im Rechtsstreit. Vor sechs Wochen hatte ich gerade wieder einen Gerichtstermin, der aber vertagt wurde, weil der Richter sich die Akten der vergangenen Verhandlungen ansehen will. Außerdem soll geprüft werden , ob mein
Nachbar psychisch gestört ist“.
Mann, was haben die für Nachbarn, schießt es mir durch den Kopf. Da lebe ich ja in meinem Haus wirklich ruhig. Wir sind halt ein Ehrenwertes Haus. „Das ist wirklich schlimm was man für Nachbarn haben kann“, sage ich zu Kerstin.
Während wir langsam weiter gehen, setzt sie ihre Geschichte fort.
„Was ich da schon erlebt habe kannst du dir nicht vorstellen. Der stellt seine Mülltüten ins Treppenhaus und keiner darf sie berühren, sonst greift er ihn an und wird richtig aggressiv und
schlägt. Alle im Haus haben Angst vor ihm. Dann stellt er sich nackt auf den Balkon und pöbelt die Passanten an. Mir hat er Farbe auf meinen Balkon gekippt und Wasser in mein offenes Küchenfenster, so dass alles in meinen Toaster gelaufen ist.”
Langsam artet diese Hunderunde für mich in Stress aus. Ständig muss ich meine beiden Wildfänge
ermahnen, Kerstin zuhören und gelegentlich verständnisvoll nicken, um meine Anteilnahme
zu bekunden. Da taucht wieder dieser Gedanke auf, wenn ich eine Katze hätte, wäre mir dies erspart geblieben.
“Hast du aber nicht” sprachdas kleine Teufelchen in meinem Kopf.
Da ein Lichtblick, nur noch dreißig Meter und ich bin wieder zu Hause.
„Die ganze Nacht über putzt dieser Mann. Der hat einen Reinlichkeitsfimmel und schwerhörig ist er
auch noch, deshalb hat er immer laute Musik oder den Fernseher an. Er meint, weil er nicht hört wie laut es ist hören wir es auch nicht. Furchtbar ich bin manchmal fix und fertig.”
„Na Gott sei Dank, diese Probleme habe ich nicht, unser Haus ist sehr ruhig, wir haben alles vernünftige Mieter“, werfe ich ein.
Geschafft, wir stehen vor meiner Haustür und die Erlösung naht. Der Briefträger geht gerade ins Nachbarhaus. Ich muss mich also beeilen mit meinen ungezogenen bellenden Mädchen in die Wohnung zu kommen.
“Aus! Nein! Ruhe! Du Kerstin ich muss jetzt schnell
rein, damit die beiden nicht so viel Lärm machen. Also einen schönen Tag noch und viel Glück, dass dein Nachbar vielleicht auszieht“.
„Danke, dir auch noch einen schönen Tag“.
Hoffentlich kommt jetzt nicht auch noch ein Nachbar aus der Wohnungstür, denke ich, und renne zur Haustür. Zum Glück schließt sie nicht richtig und so kann ich schnell in den Hausflur, denn der Briefträger ist uns auf den Fersen. Ich flitze mit
meinen Höllenhunden die paar Stufen hinauf, schließe rasch die Tür auf, bugsiere meine Damen in die Wohnung und schließe rasant die Tür. Dann lehne ich mich gegen die Flurwand und atme erst einmal tief durch. Während ich meinen Mantel ausziehe und die
Hunde von der Leine mache, lasse ich das eben erlebte Revue passieren.
Es ist schon sagenhaft was man auf einer Hunderunde so alles erlebt und zu hören bekommt. Das muss ich erst einmal verdauen und mich erholen.
Denn eines ist gewiss. Die nächste Runde kommt bestimmt!
(@ Martina Köhler, 2011)

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Tag der Veröffentlichung: 27.03.2011

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