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Orte, Markennamen und Lieder werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Örtliche Begebenheiten wurden teilweise dem Storyverlauf angepasst.
Alle Markennamen und Warenzeichen, die in dieser Geschichte verwendet werden, sind Eigentum der jeweiligen Inhaber.
„Mama? Ich bin zu Hause.“ Schwungvoll feuerte ich den Schlüssel in die dafür vorgesehene Schale auf der Kommode neben der Haustür und stellte den mitgebrachten Kuchen daneben ab.
Ich hatte extra früher Feierabend gemacht, da Mama mir bei meinem letzten Besuch unermüdlich vorwarf, dass ich ja nie Zeit für sie hätte. Das Problem kannte wohl jedes Kind, aber meine Mutter war ein ganz besonders hartnäckiger Fall. Selbst wenn ich den ganzen Tag mit ihr verbringen würde, könnte ich mir mit Sicherheit trotzdem noch anhören, was für eine unglaublich selbstsüchtige Tochter ich wäre, weil ich mir so etwas wie ein eigenes Leben aufgebaut hatte.
Ich konnte mich noch sehr gut an das Drama erinnern, als ich vor drei Jahren auszog. Fort von zu Hause und hinaus in den Großstadtdschungel. Fast zwei Monate hatte meine Mutter deswegen geschmollt und nicht mehr mit mir geredet. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass die Fahrtzeit von meiner Wohnung bis zu ihr gerade einmal fünfunddreißig Minuten betrug und ich sie mindestens dreimal in der Woche besuchen fuhr. Das reichte für sie jedoch nicht aus.
Durch die Trennung von meinem Vater fühlte sie sich natürlich einsam. Vollkommen verständlich. Aber ich konnte nicht verstehen, wieso sie mir nicht auch ein wenig Freiraum zugestand. Es kam mir so vor, als ob ich die Verpflichtung hätte, mit ihr zu leiden. Im Gegensatz zu ihr würde ich aber nicht den Rest meines Lebens im Bett liegen und einer Liebe hinterhertrauern, die keine Zukunft hatte.
„Mama?“, rief ich wieder die Treppe hinauf. Sie redete ja nie sehr viel mit mir, aber dass so gar keine Antwort kam, war schon sehr ungewöhnlich. Es gab eigentlich nur einen Ort im Haus, an dem sie sein konnte. Das Wohnzimmer, die Küche oder gar den Garten hatte sie seit einer Ewigkeit nicht mehr betreten. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lag sie im Bett und weinte, tobte vor Wut oder trauerte im Wechsel. Ich hatte lange genug Zeit, mich an die Tatsache zu gewöhnen, dass sie eine gebrochene Frau war.
Des Öfteren versuchte ich mich an die Zeit zurückzuerinnern, als wir noch eine glückliche Familie waren. Meine Eltern verliebt und strahlend schön, mit mir auf dem Arm - fast wie aus einem Bilderbuch. Es kam mir so surreal vor, da die Frau, die ich seit Jahren nur mit fettigem Haar und verquollenem Gesicht kannte, so gar nichts mehr mit der Frau auf den Familienfotos gemeinsam hatte. Sie war das perfekte Beispiel dafür, wie die unerwiderte Liebe einen Menschen zerstören kann.
Ich zog meine Jacke aus, hängte sie ordentlich an die Garderobe und ging die Treppe hinauf. Die Stille war geradezu unheimlich und das Gefühl wurde von den knarzenden Stufen noch verstärkt. Als ich fast das Treppenende erreicht hatte, rief ich noch einmal lauter: „Mama? Alles okay? Ich habe heute ganz viel Zeit und deinen Lieblingskuchen mitgebracht.“
Keine Antwort.
Vielleicht schläft sie einfach nur, versuchte ich mein ungutes Gefühl zu beruhigen. An ihrem Schlafzimmer angekommen, klopfte ich und öffnete dann die Tür.
Das Erste, was mir auffiel, waren die leeren Tablettenpackungen, die auf dem Nachttisch und dem Boden verteilt waren. Mein Magen verkrampfte sich, während mein Blick hinüber zum Bett wanderte.
Dort lag meine Mutter. Regungslos und in einer unnatürlichen Haltung erstarrt.
Nein, nein, nein …
Mit zwei schnellen Schritten war ich bei ihr und fühlte ihren Puls. Besser gesagt, ich fühlte nichts. Hatte ich die richtige Stelle erwischt? Hektisch fuhren meine Finger über die Haut an ihrem Handgelenk und wanderten dann zu ihrem Hals. Nichts.
Oh Gott, sie fühlte sich auch schon so kalt an. Oder waren das nur meine Finger? Ich versuchte mir meinen Erste–Hilfe-Kurs wieder ins Gedächtnis zu rufen. Was tat man in so einem Fall? Irgendwie musste ich ihr doch helfen können.
Mit zittrigen Fingern angelte ich mein Handy aus der Hosentasche und wählte den Notruf.
Bitte, Bitte, lass es nicht zu spät sein …
Zwei Jahre später
Nervös schritt ich in meiner kleinen Wohnung auf und ab. Meine Hände waren ganz kalt vor Aufregung und mittlerweile schon beängstigend bläulich angelaufen. Trotzdem konnte mich nichts auf der Welt davon abbringen, mein Handy aus der Hand zu legen, um mich an der Heizung aufzuwärmen.
Die Nervosität war seit gestern Abend mein ständiger Begleiter. Da hatte ich nach drei Monaten bangen Wartens endlich eine Antwort auf meine Bewerbung erhalten. Leider aber nur per E-Mail, in der man mir kurz und knapp mitteilte, dass sich die Personalabteilung am nächsten Vormittag telefonisch bei mir melden würde. Als Umschülerin mit Fernstudium und ohne praktische Erfahrung grenzte es schon an ein Wunder, dass ich überhaupt eine Antwort erhalten hatte. Von dem Verlauf dieses Telefonats hing meine Zukunft ab! Kein Gedanke, der mich sonderlich beruhigte.
Dass ich einmal an so einem Punkt ankommen würde, hätte ich nie gedacht. Ich hatte alles, was man sich wünschen konnte. Bis zu dem Tag, an dem mein Leben anfing den Bach runterzugehen und ich meinen gut bezahlten Job als Mediengestalterin bei einem Modemagazin verlor. Bereits meine Ausbildung hatte ich dort gemacht, mir danach vier Jahre lang den Hintern aufgerissen und wurde sogar zur Teamleiterin befördert. Wir waren zwar nur eine kleine Abteilung, aber ein eingeschworenes Team, auf das man sich immer verlassen konnte. Dachte ich zumindest.
Aber erst, wenn man einmal wirklich in einem Tief steckt, weiß man, wer tatsächlich für einen da ist und den Rücken stärkt. Meine Chefin war es auf jeden Fall nicht.
Sie warf mir vor, meine Arbeit zu vernachlässigen und die ganze Atmosphäre im Team mit meinen Stimmungsschwankungen zu gefährden. Meine Mutter war kurz vorher verstorben und ich fand, dass mir ein paar Monate mieser Laune unter diesen Umständen schon zustanden, was ich ihr auch deutlich zu verstehen gab. Daraufhin zuckte meine Chefin nur mit den Schultern und bot mir an, eine Auszeit zu nehmen.
Zwei Tage später hatte ich meine Kündigung im Briefkasten.
Immerhin konnte ich noch eine ordentliche Abfindung aushandeln, sodass ich mir eine Zeitlang um Geld keine Sorgen machen musste.
Dafür stand ich vor einem neuen Problem, denn so ganz ohne Perspektive drohte ich endgültig in meinem Sumpf aus Selbstmitleid und Trauer zu versinken.
Vor dem Tod meiner Mutter war ich in jeder freien Minute mit meiner Kamera in den Straßen Frankfurts unterwegs, um alles zu knipsen, was mir vor die Linse kam. Wenn ich durch den Sucher blickte, war ich in meiner eigenen Welt. Dort existierten nur mein Motiv und ich. Die Kunst, den Auslöser im richtigen Moment zu drücken, verschaffte mir jedes Mal ein Hochgefühl. Es war fast schon eine Sucht. Im Laufe der Zeit hatte sich so eine beeindruckende Sammlung von Fotografien in meiner Wohnung angehäuft.
Doch als der Tod sich in mein Leben schlich, verlor ich den Sinn für Schönheit. Ich verbannte alle Bilder und meine Ausrüstung in die hinterste Ecke des Kellers und vergrub mich in meiner abgedunkelten Wohnung.
Meinen wenigen Freunden war das Verhalten nicht ganz geheuer. Anfangs überschütteten sie mich noch mit Anrufen und den obligatorischen Fragen, wie es mir so ginge, und Aufmunterungsversuchen, dass ja bald alles wieder gut werden würde. Aber je länger ich mich vergrub, umso spärlicher wurden die Anrufe.
Einzig Rico, mein bester Freund aus Kindheitstagen, blieb weiterhin treu an meiner Seite. Er erledigte meine Einkäufe, kochte, putzte und ertrug meine Laune mit stoischer Gelassenheit. Eines Tages übertrieb ich es jedoch offenbar ein kleines bisschen und brachte ihn damit an seine Grenze.
Als ich kurz nicht im Wohnzimmer war, hatte er die Gelegenheit genutzt, um die Vorhänge aufzuziehen und durchzulüften. Sonst achtete er darauf, sie immer rechtzeitig wieder zu schließen, bevor ich zurückkam. Diesmal hatte er es aber versäumt, da er singend und pfeifend in der Küche mit der Zubereitung unseres Abendessens beschäftigt war. Das war entschieden zu viel gute Laune und Helligkeit in meinem Leben, das doch nur noch von Tristesse geprägt sein sollte.
Ich schrie ihn an und tobte durch die Wohnung wie ein tasmanischer Teufel. Rico dagegen stand nur regungslos in der Küche und starrte mich mit verschränkten Armen an. Das machte mich noch wütender. Ich eilte auf ihn zu, außer mir vor Zorn, und wollte ihm eine Backpfeife verpassen.
Was ich nicht bedacht hatte, war, dass er mit 1,89 Meter knapp eineinhalb Köpfe größer war als ich und meine Hand so locker abfing, als ob ich eine lästige Fliege wäre.
Dabei sprach pure Mordlust aus seinen Augen, als er mich in meine Schranken wies mit den Worten: „Silja, ich werde jetzt gehen. Wenn ich durch diese Tür gehe und du mich nicht hinaus unter Menschen, in den Sonnenschein und ins LEBEN begleiten möchtest, werde ich dich nie wieder belästigen und du kannst hier meinetwegen an deinem Selbsthass ersticken. Kommst du aber mit, werde ich diese kleine Szene als Ausrutscher abhaken und einfach vergessen.“
Damit drehte er sich um, ging in den Flur und zog sich seine Jacke an. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Er hatte vorher nie auch nur die Stimme in meiner Gegenwart erhoben. Sprachlos blinzelte ich ein paarmal, um mich wieder zu fangen. Bestimmt würde er sich gleich wieder umdrehen und mich tröstend in den Arm nehmen, wie er es immer tat.
Doch er machte Ernst und verschwand durch die Tür.
Die Angst, ihn auch noch zu verlieren, überwog meine Abscheu, die Wohnung zu verlassen. Also richtete ich kurz mit den Fingern meine zerzausten Haare, zog Schuhe und Jacke an und eilte hinter ihm her.
Wir drehten nur eine kurze Runde am Main entlang. Mehrmals musste ich gegen den Drang ankämpfen, zurück in meine Wohnung zu fliehen, aber Rico zuliebe biss ich die Zähne zusammen und hielt tapfer durch.
Zunächst gingen wir schweigend nebeneinander her. Um wieder ein bisschen Boden gutzumachen, hakte ich mich bei ihm unter und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Behutsam legte er seine Hand auf meinen Arm und meinte lächelnd: „Siehst du, ist doch gar nicht so schlimm, an der frischen Luft zu sein.“
Und genau in dem Moment entleerte ein Vogel seinen Darminhalt auf Ricos Schulter …
Ich konnte mich kaum noch halten vor Lachen, als er mit angewidertem Gesichtsausdruck in Richtung Wasser rannte, um das Malheur zu beseitigen, und dabei die schlimmsten Kraftausdrücke ausstieß.
„Natur pur, Rico. Natur pur…“ Weil ich nicht aufhören konnte zu lachen, kitzelte er mich so lange durch, bis ich um Gnade flehte.
Die Unbeschwertheit war genau das, was mir monatelang gefehlt hatte. Kurz darauf fing ich auch wieder an zu fotografieren und kämpfte mich so langsam ins Leben zurück.
Rico hatte auch die Idee, dass ich eine Weiterbildung zur Fotodesignerin machen sollte. Zusammen durchforsteten wir das Internet und schrieben mich für ein Fernstudium ein. 18 harte Monate später durfte ich dann stolz mein Zertifikat in den Händen halten.
Jetzt musste nur noch ein Job mit Perspektive her. Entsprechend akribisch stellte ich meine Bewerbungsmappe für ein Praktikum bei SkyLinePics zusammen - die angesagteste Fotoagentur im ganzen Rhein-Main-Gebiet. Sie hatten zudem noch den Ruf, ihre Praktikanten voll in die Arbeit zu integrieren und nicht nur Kaffee holen zu lassen. Dementsprechend heiß umkämpft war dieser Praktikumsplatz.
Zwar war ich überzeugt, nicht allzu schlecht zu sein, aber große Chancen hatte ich mir als 27-jährige Arbeitslose ohne Vorkenntnisse nie ausgerechnet.
Zum hundertsten Mal blickte ich auf das Display. Mittlerweile war es 11 Uhr.
Ich spürte eine leichte Übelkeit aufsteigen. Mein Magen reagierte schon immer sensibel auf Nervosität. Die meiste Zeit vor meiner Abschlussprüfung hatte ich auf der Toilette verbracht. Sobald ich in der Prüfung saß, war alles wieder gut, aber die Warterei davor setzte mir jedes Mal sehr zu.
Auch jetzt spürte ich, wie mein Magen sich hob, und rannte zum wiederholten Male in Richtung Toilette. Wenn das so weiterginge, hätte ich gegen Abend endlich mein Wunschgewicht erreicht…
Mit einem kühlen Waschlappen auf der Stirn saß ich zehn Minuten später erschöpft auf der Couch, als ich gedämpft mein Handy klingeln hörte. Natürlich hatte ich es auf der Toilette liegen lassen …
Mit einem Aufschrei riss ich den Lappen weg, stieß mir den kleinen Zeh am Couchtisch an und hechtete hinüber ins Badezimmer.
„Silja Bredenstein hier“, schrie ich fast schon hysterisch ins Telefon.
„Agentur SLP, guten Tag. Eine Sekunde, ich verbinde“, antwortete eine äußerst beschäftigt klingende Frauenstimme und ließ mir keine Zeit zu fragen, mit wem sie mich überhaupt verbinden würde.
„Frau Bredenstein?“, begrüßte mich nach kurzer Warteschleife eine angenehm raue männliche Stimme, die nach zu viel Whiskey und Partynächten klang.
„Ja, die bin ich. Und mit wem habe ich das Vergnügen? Verzeihen Sie bitte meine Frage, aber man hat mir den Namen meines Gesprächspartners nicht genannt.“
„Mein Name ist Diego. Diego Santale. Ich bin der Geschäftsführer von SkyLinePics und am Ende dieses Telefonats vielleicht Ihr Boss.“
Ich musste einmal kurz schlucken. Direkt der Geschäftsführer? Oh, Oh…
„Ich vermute, dass Sie sich jetzt fragen, warum Sie direkt mit mir telefonieren, aber ich glaube, Sie kennen den Grund.“
Beklommen nickte ich, wurde mir dann aber bewusst, dass er mich ja nicht sehen konnte. Also antwortete ich: „Ja, ich kann es mir denken. Der Grund dürfte mein Nachname sein.“
„Hmmm“, brummelte er. „Ich kenne Ihren Vater. So wie fast jeder in unserer Branche.“
Zorn wallte in mir auf. Mein Vater …
Wenn ich nur an ihn dachte, wurde mir schon wieder schlecht. Es gelang mir nicht ganz, die Emotionen aus meiner Stimme zu halten, als ich antwortete: „Das mag sein. Es sollte aber kein Kriterium sein, das für oder gegen meine Einstellung spricht. Ich weiß, was ich kann, und verzichte gerne darauf, mit ihm in Verbindung gebracht zu werden.“ Eigentlich wollte ich nicht so zickig klingen, aber mein Vater war für mich noch immer ein rotes Tuch.
„War das der Grund für Ihren Rauswurf aus seinem Unternehmen?“
Mir wurde heiß und kalt. Mit dieser Frage hätte ich rechnen müssen. Mein Vater war eine ganz große Nummer im Medienbusiness. Wegen ihm hatte ich mich auch für diesen Berufszweig entschieden und wollte in seine Fußstapfen treten. Damals ... als meine Welt noch in Ordnung und mein Vater für mich noch ein Heiliger war.
Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich den Kontakt zu ihm abgebrochen. All meine Liebe und Bewunderung für ihn waren einer tiefen Enttäuschung gewichen, als ich die Wahrheit herausfand. Ich konnte ihn nicht mehr anschauen, ohne ihn für ihren Tod verantwortlich zu machen. Nach unserer letzten, unschönen Auseinandersetzung war ich auch nicht weiter verwundert, seine Unterschrift auf meiner Kündigung wiederzufinden. Er war schon immer ein wenig nachtragend.
„Wir haben uns nicht gerade im Guten, aber dafür im gegenseitigen Einvernehmen getrennt. Heute bin ich mehr denn je der Meinung, dass man Familie und Beruf strikt voneinander trennen sollte.“
„Gut. Ich kann Vitamin B nämlich nicht leiden und Familiennamen beeindrucken mich überhaupt nicht. Talent ist das Einzige, was für mich von Bedeutung ist. Und Sie scheinen mir welches zu haben. Wenn Sie für mich arbeiten wollen, muss Ihnen allerdings klar sein, dass das kein Zuckerschlecken wird. Mit 27 Jahren sind Sie älter, als es meine Praktikanten für gewöhnlich sind. Das ist ein Nachteil. Aber Sie haben ein Gespür für das richtige Motiv. Sie werden viel unterwegs sein und wenig Schlaf bekommen. Haben Sie Familie?“
„Nein. Ich bin …“ Ich musste mich räuspern, da meine Stimme zu versagen drohte. Wie jedes Mal, wenn ich an meine Mutter dachte. „Nein, keine Familie.“
„Nun gut. Dann erwarte ich Sie morgen früh um 9 Uhr zu einem Probeshooting im Büro. Wir stellen die Räumlichkeiten, Ausrüstung und zwei Models zur Verfügung. Das Thema und die Requisiten überlasse ich Ihnen.“
„D-Danke sehr … Das ist …“, stotterte ich verdutzt vor mich hin.
„Ja, ja, schon gut“, wiegelte er ab. „Seien Sie pünktlich und vor allem: Beeindrucken Sie mich.“
Damit legte er auf.
Erleichtert atmete ich langsam aus und lehnte meinen Kopf an die Wand. Wenn ich mich morgen beweisen könnte, würde ich meinem Traumjob einen Schritt näher sein. Aber dafür musste ich mir erst mal ein geniales Konzept überlegen. Bis morgen früh!
Oh Gott, oh Gott, oh Gott ….
Und mit diesem Gedanken rannte ich wieder einmal in Richtung Bad.
Am nächsten Morgen war ich bereits um 8.15 Uhr am Gebäude von SkyLinePics angekommen. Vor lauter Angst zu spät zu kommen war ich viel zu früh losgefahren. SLP hatte die komplette oberste Etage in der „Welle“ gemietet – einem schicken Gebäudekomplex im noblen Frankfurter Westend. Diese Tatsache trug nicht unbedingt dazu bei, mir die Nervosität zu nehmen.
Die halbe Nacht hatte ich wach gelegen und an meiner Idee für das Shooting gefeilt. Als ich endlich damit zufrieden war, quälte mich die Frage, was ich überhaupt anziehen sollte? Eher schick? Leger? Lässig? Cool? Oder doch lieber die seriöse Geschäftsfrau in Kostüm und High Heels?
Schließlich entschied ich mich für die hippe Variante mit hellblauen Röhren-Jeans, beigem Shirt, Beanie und Ankle Boots.
Zufrieden betrachtete ich mich nun auf dem Weg nach oben in den Scheiben des gläsernen Fahrstuhls. Der Schlafmangel war mir trotzdem anzusehen. Alles Make-up der Welt konnte die Ringe unter meinen Augen nicht kaschieren. Verdammt … Egal, da musst du jetzt durch!
Als die Fahrstuhltüren aufgingen, straffte ich die Schultern und durchquerte mit forschen Schritten die längliche Empfangshalle, um mich am Tresen anzumelden.
„Silja Bredenstein, guten Morgen. Ich habe einen Termin mit Herrn Santale.“
Die Dame hinter dem Tresen nahm die Brille ab und verdrehte ihre großen rehbraunen Augen mit den Worten: „Mist, er hatte schon wieder recht …“
„Äh … Ich verstehe nicht ganz …“
Lächelnd stand sie vom Stuhl auf und kam um den Tresen herum auf mich zu, um mir die Hand zu schütteln. „Bitte entschuldigen Sie meine Manieren, ich verliere nur so ungern eine Wette. Ich bin Alexandra, die Assistentin von Diego. Aber nennen Sie mich ruhig Sandra, das tun alle und die Abkürzung ist mir sowieso viel lieber. Diego ist noch nicht da, er hat mir aber gesagt, dass ich Ihnen schon alles zeigen soll. Möchten Sie etwas trinken, bevor wir starten?“
„Ein Kaffee wäre super“, entgegnete ich dankbar.
„Mit Milch und Zucker?“
„Nur Milch, Danke.“
„Okay, ich bin sofort wieder da. Setzen Sie sich ruhig so lange und machen Sie es sich gemütlich.“
Sie hatte diese Art aufrichtig und herzlich zu lächeln, die mich sofort für sie einnahm. Und offenbar nahm sie kein Blatt vor den Mund, was ich umso mehr schätzte. Irgendwie schaffte sie es dadurch tatsächlich, dass ich etwas ruhiger wurde und mich einfach nur auf den heißen Kaffee freute.
Während ich das Getränk genoss, plauderte ich ganz ungezwungen mit Sandra, als ob wir uns schon Ewigkeiten kennen würden.
Mein Handy hatte ich dabei die ganze Zeit in der Hand. Ich hoffte sehr, dass es ihr nicht auffallen würde. Und tatsächlich schien es heutzutage so normal zu sein, dass sie sich nicht eine Sekunde darüber wunderte. Perfekt!
Eine Viertelstunde später war mein Koffeeinspiegel wieder hergestellt und wir machten uns auf den Weg ins Studio. Sie stellte mir die Models, die Visagistin und den Foto-Assistenten vor, erklärte mir das Equipment und ließ mir dann kurz Zeit, mich damit vertraut zu machen und die Models einzuweisen.
„Diego wird in einer halben Stunde hier sein. Brauchen Sie noch irgendetwas von mir?“
„Nein, vielen Dank. Sie haben mir schon sehr geholfen.“
„Ich drücke Ihnen die Daumen!“ Augenzwinkernd verschwand sie aus der Tür und mit ihr auch meine mühsam aufgebaute Selbstsicherheit.
Zwölf Augenpaare ruhten auf mir und warteten gespannt auf Anweisungen. Ich hatte zwar schon Erfahrung damit, ein Team zu führen, aber das war eine völlig neue Situation. Mein charmantestes Lächeln aufsetzend, rief ich alle zusammen, um meine Ansprache zu halten. Meine größte Sorge war, wie sie auf meinen ungewöhnlichen Vorschlag reagieren würden.
„Was ich von euch möchte, ist nicht das, was ihr gewöhnlich macht“, begann ich und erntete schon dafür von fast jedem entgeisterte Blicke. Dann erläuterte ich meinen Plan. Ich wollte mit ungewöhnlichen Mitteln Großartiges erreichen, das noch dazu nicht gestellt wirkte. Eine Mammutaufgabe, aber durchaus zu bewältigen, wenn jeder mitzog.
„Da sind Sie ja. Bitte entschuldigen Sie die Verspätung. Zur Messezeit ist der Verkehr noch um einiges übler als sonst.“ Ein leicht untersetzter, braun gebrannter Mann Mitte 40 eilte durch den Raum auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen.
Durch sein volles dunkles Haar und seinen Bart zogen sich leichte graue Strähnen. Um die Augen hatte er Lachfältchen, die ihn auf den ersten Blick sympathisch machten. Allein an seiner Stimme hatte ich ihn bereits wiedererkannt.
Diese Stimme hatte mich gerade zusammenzucken lassen, als ich mit überkreuzten Beinen auf dem Boden saß und konzentriert in den Laptop auf meinem Schoß starrte. Ich entknotete meine Beine, stand vorsichtig auf, ging ihm entgegen und schüttelte seine Hand. „Hallo Herr Santale. Freut mich, Sie persönlich kennenzulernen.“
Erst lächelte er noch weiter freundlich, runzelte dann aber irritiert die Stirn, als er sich im Raum umblickte: „Wieso sind Sie alleine? Wo sind meine Angestellten?“
Sobald sich seine Tonlage änderte, wandelte sich seine Ausstrahlung komplett. Nun war es seine bedingungslose Autorität, die mich immer kleiner werden ließ. Gütiger Gott, den Mann würde ich nicht wütend erleben wollen …
„Ich habe sie weggeschickt.“ Ich versuchte so viel selbstsichere Gelassenheit wie möglich in meine Stimme zu legen. In meinem Magen breitete sich wie immer ein ungutes Gefühl aus, als ich sah, wie seine Augenbrauen in die Höhe schossen: „Sie haben was??“
„Ich habe alle Schüsse, die ich brauchte, und habe sie dann nach Hause geschickt, um in Ruhe die Bildstrecke zu bearbeiten.“
Sein Kiefer klappte nach unten. Keine Sekunde ließ er mich aus den Augen, während er mich mit einer herrischen Geste aufforderte, ihm den Laptop zu reichen.
Meine Hände zitterten merklich, als ich ihm den Rechner in die Hand drückte.
Jetzt gilt es. Alles oder nichts …
Je länger er sich durch die Bilder klickte, umso mehr Überraschung zeigte sich auf seinem Gesicht. Und ich meinte sogar ein kleines bisschen Zufriedenheit darin wahrzunehmen. Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen und musste mich dazu zwingen, nicht auf den Fingernägeln herumzukauen.
Dann blickte er endlich auf, musterte mich noch eine Weile und nickte dann ganz sachte mit dem Kopf. „Auf den Bildern ist keines meiner teuer bezahlten Models zu sehen. Warum?“
Im Geiste ging ich noch einmal die Bilder durch. Aus meiner langjährigen Erfahrung bei dem Modemagazin meines Vaters wusste ich, dass diese Branche sehr viel aus Oberflächlichkeit bestand. Oftmals kannten sich Fotograf, Model und Assistenten vorher nicht und hatten auch keine große Lust darauf, sich näher kennenzulernen. Das war aber nicht meine Art zu arbeiten. Ich wollte Ausdruck in meine Bilder bringen. Das nämlich schaffte kein Bildbearbeitungsprogramm der Welt.
Nach meiner Ansprache hatte ich allen die Aufgabe gestellt, sich einfach nur zu unterhalten und mir am Ende einen kurzen Einblick in das Gespräch zu geben. Wie erhofft wurde dabei sehr viel gelacht, aber auch diskutiert und gegrübelt. Ich war unglaublich froh, dass sie mir so eine Bandbreite an Emotionen lieferten. Es hätte ja auch genauso gut nach hinten losgehen können.
Möglichst unauffällig ging ich im Raum umher, immer mit vermeintlichem Blick auf mein Handy, um im richtigen Moment abdrücken zu können. Selbstverständlich war mein Handy keine Profikamera, aber nur so wirkten die Bilder nicht gestellt. Und das war genau das, was ich erreichen wollte.
„Weil die Menschen hinter den Bildern erst die Bilder ausmachen“, antwortete ich Diego. „Was wären die Models ohne Visagisten? Ohne Assistenten, die die richtige Ausleuchtung übernehmen. Ohne so nette Menschen wie Sandra, die überhaupt erst die richtige Arbeitsatmosphäre schaffen, damit andere ihr Bestes geben können. All diese Menschen haben einen unwahrscheinlich großen Anteil am Gesamtergebnis – dem Bild. Da ist es nur richtig, dass sich auch einmal jemand um sie kümmert und sie wertzuschätzen weiß. Die ganze Zeit bin ich ihnen mit meinem Handy gefolgt und habe sie fotografiert, ohne dass sie es mitbekommen haben.“
Jetzt drohte sein Kiefer endgültig auszurenken: „Sie haben DIESE Bilder mit Ihrem Handy gemacht??“
„Ich weiß, dass es eine gewagte Idee war, aber ich musste es einfach versuchen. Und wenn man die richtigen Menschen um sich hat, dann ergibt sich der Rest von selbst.“ Nach außen hin zuckte ich lässig mit den Schultern, aber in meinem Inneren tanzten meine Eingeweide Samba.
Erleichtert registrierte ich, dass sich sein linker Mundwinkel leicht nach oben hob, als er antwortete: „Also, ich muss schon sagen … Ich bin angemessen beeindruckt.“
Dann legte er den Laptop zur Seite, ergriff meine Hand und lächelte endgültig wieder so sympathisch wie zu Beginn: „Herzlich willkommen bei SkyLinePics.“
Ich hätte platzen können vor Glück!
Eine ganze Stunde hatte ich noch mit Diego zusammengesessen, meinen Praktikumsvertrag ausgehandelt und bereits einen Einarbeitungsplan bekommen. Normalerweise wurden seine Praktikanten erst einmal zwei Wochen in die Grundlagen und Abläufe des Unternehmens eingearbeitet, dann waren sie für weitere zwei Wochen die rechte Hand des Foto-Assistenten, bevor sie danach (wenn sie sich gut anstellten) einmal selbst die Kamera in die Hand nehmen durften, um ein Shooting für ihre Mappe zu erstellen.
Mit mir hatte Diego jedoch (ich zitiere) Großes vor. Somit wurden meine Kenntnisse der Abläufe bei SLP auf einen dreitägigen Crashkurs mit Sandra gekürzt und danach würde ich direkt auf die Menschheit losgelassen werden. Natürlich immer in Begleitung eines erfahrenen Kollegen und auch nur mit meiner eigenen Ausrüstung.
Ich war viel zu aufgekratzt, um jetzt nach Hause zu gehen und Schlaf nachzuholen. Daher beschloss ich, noch ein bisschen shoppen zu gehen und mich selbst mit einer Auswahl an neuen Klamotten zu feiern.
Fröhlich winkend verabschiedete ich mich von Sandra und ging in Richtung Aufzug. Während ich auf ihn wartete, fiel mir noch etwas ein: „Ach, Sandra, eine Sache noch: Worum ging es eigentlich bei eurer Wette?“
Sie blickte auf, zog die Brille ab und erwiderte schmunzelnd: „Dass Diego sich sicher war, dass du mindestens eine halbe Stunde zu früh erscheinen würdest und er dich alleine deshalb einstellen würde.“
Mit einem Ping öffneten sich die Aufzugstüren und ich stieg lachend ein. Ich war mir sehr sicher, dass ich mich hier unwahrscheinlich wohlfühlen würde.
Eine halbe Stunde später stand ich auf der Rolltreppe, die mich Stück für Stück hinaus aus der U-Bahn-Station Hauptwache und hinein in das hektische Gewusel auf der Zeil brachte.
Frankfurts bekannte Shoppingmeile war wie immer voller Menschen. Die meisten wollten ihre Mittagspause nutzen, um hektisch noch ein paar Einkäufe zu erledigen. Viele saßen aber auch in den Cafés und genossen die ersten warmen Sonnenstrahlen, die Hoffnung auf einen baldigen Frühling machten.
In aller Seelenruhe und bestens gelaunt klapperte ich ein Geschäft nach dem anderen ab. Ich war mehr als nur erfolgreich und hatte nach kurzer Zeit in jeder Hand vier volle Tüten.
Wenigstens in meinem Lieblingsladen wollte ich noch kurz vorbeischauen, bevor ich keine Kraft mehr hatte, meine ganze Beute nach Hause zu schleppen. Das Personal im Jive kannte mich schon seit Jahren. Jenni, die hübsche, blonde Chefverkäuferin, sah mich schon von Weitem und winkte zur Begrüßung.
Höflich, wie ich war, wollte ich natürlich zurückwinken. Die Tüten in meinen Händen hatten jedoch etwas dagegen … Als ich im Laufen die Hand hob, blieb ich mit ihnen am Türrahmen hängen, verkeilte mich zusätzlich noch mit meinem Absatz in der Fußmatte, verlor das Gleichgewicht und drohte nach vorne zu stürzen. Unaufhaltsam sah ich den Boden auf mich zukommen … und dann zwei starke Arme, die mich festhielten.
Wow, das war knapp…
Mein Herz schlug mir bis zum Hals und das Adrenalin pumpte in meinen Adern. Die Arme hielten mich weiterhin fest und halfen mir, mich wieder aufzurichten.
„Alles okay?“, sprach eine leicht raue, warme Stimme zu mir, die vermutlich zu den beiden Armen gehörte.
„Ja, ja, alles gut“, erklärte ich und blickte an den Händen langsam hoch. „Ich bin manchmal echt absolut ungeschickt. Aber Gott sei Dank war …“ Weiter kam ich nicht, denn mir blieb wieder einmal die Luft weg. Die Arme waren schon beeindruckend muskulös und ließen darauf schließen, dass ihr Besitzer groß und kräftig gebaut war. Ein Blick zur breiten Brust bestätigte das Ganze noch. Doch als ich das zugehörige Gesicht sah, verschlug es mir die Sprache. Mich lächelten zwei leuchtend hellgrüne Augen hinter vollen Wimpern an. Und als wäre das nicht schon Grund genug zur Schnappatmung, wurden diese sensationellen Augen von einem recht schmalen, aber dennoch männlichen und äußerst attraktiven Gesicht mit blonden kurzen Haaren und Dreitagebart eingerahmt. Ich war im Himmel…
„Ganz sicher, dass alles okay ist?“ Jetzt runzelte er besorgt die Stirn … Hmmm … Sexy …
„Silja, oh mein Gott. Das hätte böse enden können. Alles okay bei dir?“, kam nun auch Jenni dazu, nahm mir die Tüten ab und lotste mich in Richtung der Sitzplätze vor den Umkleidekabinen.
Wie in Trance ließ ich mich von ihr führen und warf immer wieder einen verstohlenen Blick über die Schulter zurück zu meinem Retter. In seiner dunkelblauen Jeans und dem schlichten schwarzen T-Shirt stand er noch immer in der Ausgangstür und fixierte mich mit seinen Augen. Ich war jedoch unfähig, einen klaren Gedanken zu finden oder mich auch nur anderweitig zu verhalten, als ihn weiter stumpf anzustarren. Erst als er mir kurz zuwinkte und dann verschwand, erwachte ich aus meiner Starre. „Jenni, kennst du den Typ, der mich aufgefangen hat?“
„Nein, Süße, den habe ich heute hier zum ersten Mal gesehen.“ Sie beugte sich zu mir herüber und raunte mir verschwörerisch zu: „Ein verdammt heißer Typ, oder? Den würde ich auch nicht von der Bettkante stoßen…“ Dann klopfte sie sich auf die Schenkel, stand auf und sagte: „Jetzt trinken wir zwei auf den Schock erst mal einen Sekt. Bleib sitzen, ich hole nur schnell die Gläser. Für den Notfall habe ich immer welche hier.“ Damit eilte sie davon und ließ mich mit meinen Gedanken alleine.
Warum nur hatte ich so merkwürdig reagiert? Ich war es gewohnt zu flirten und auch nicht gerade auf den Mund gefallen. Männer wickelte ich normalerweise mit Leichtigkeit um den kleinen Finger. Noch niemals hatte es einer geschafft, dass ich durch seine bloße Anwesenheit sprachlos war und mein Hirn einfach aussetzte. Das beschäftigte mich und machte mich neugierig.
Und genau das war es, was ich nicht wollte. Meine erste und einzige Grundregel im Umgang mit Männern: Ich hatte lediglich One Night Stands, maximal kurzfristige Affären. Beziehungen waren für mich tabu, da ich für keinen Mann Gefühle entwickeln durfte. Niemals!
Also sollte ich froh sein, dass diese potenzielle Gefahr genauso schnell aus meinem Leben verschwand, wie sie hineingetreten war. Oder?
„Kannst du mir vielleicht mal helfen?“, schrie ich in Richtung Wohnzimmer, um den von Rico voll aufgedrehten Fernseher zu übertönen.
Zur Feier des Tages hatte ich ihn zum Essen einladen wollen, aber da heute Bundesliga lief, weigerte er sich auszugehen. Ich interessierte mich zwar nicht die Bohne für Fußball, hatte aber auch keine Lust, den Abend alleine zu verbringen. Also schlossen wir einen Kompromiss - ich kochte, er schaute Fußball und spülte dann nach dem Essen ab. In der Küche war ich allerdings nicht halb so ein Genie wie in meinem Beruf und hatte gerade arge Probleme damit, die Dose mit den geschälten Tomaten zu öffnen.
„Ich kann gerade nicht. Die Eintracht hat einen neuen Torwart bekommen. Schau dir den mal an. Was für ein Schönling!“ Er schüttete sich aus vor Lachen. Genervt verdrehte ich die Augen und ging bewaffnet mit Dosenöffner und Dose zu ihm hin.
„Das ist mir so was von egal. Wenn du mir nicht hilfst, dieses Ding zu öffnen, werden wir leider verhun…“ Mitten im Satz und in der Bewegung erstarrte ich. Wieder einmal. Aus dem Fernseher blickten mich die nur allzu bekannten leuchtenden Augen an.
„Wer … Wer ist das?“
Ich konnte meine Augen nicht von der Mattscheibe abwenden, als Rico antwortete: „Hörst du mir nicht zu? Ich habe doch gerade erzählt, dass die Eintracht einen neuen Torwart hat. Das ist er - Alexander König. Voll der Lackaffe, wenn du mich fragst.“
„Alexander … Der Name passt.“ Versonnen grinste ich dümmlich den Fernseher an. Alexander, der Große …
„Hey, Erde an Silja.“ Rico schnippte mit den Fingern vor meinem Gesicht herum. „Gibst du mir jetzt die Dose oder nicht?“
„Tüten.“
„Was?“
„Ich habe Tüten getragen. Keine Dosen.“
„Wovon zum Teufel redest du?“
„Na von Alexander … Wovon redest du?“
„Ich kann dir nicht folgen … Noch mal langsam von vorne, bitte. Was für Tüten?“
„Beim Einkaufen heute Mittag. Ich hatte die Hände voller Tüten, bin gestolpert und wäre gestürzt, wenn er mich nicht aufgefangen hätte.“
„Du hast beim Einkaufen Alexander König getroffen??“
„Äh … ich denke schon. Er sah auf jeden Fall genau so aus wie der Typ da gerade im Fernsehen.“
„Und das sagst du mir nicht??“
„Ich hatte doch keine Ahnung, wer er war!“
„Mein Gott, so was weiß man doch. Selbst wer sich nicht für Fußball interessiert, kennt Alexander König. Genialer Torwart und gefragtes Model … In irgendeinem deiner geliebten Klatschblätter musst du ihn doch schon einmal gesehen haben.“
Ich durchforstete angestrengt mein Gedächtnis, konnte mich aber beim besten Willen nicht daran erinnern. Dieses Gesicht wäre mir definitiv aufgefallen. Zumindest kannte ich jetzt seinen Namen. Das war gar nicht gut. Wenn ich etwas herausfinden wollte, war ich wie ein Terrier. Ich konnte nicht loslassen, bis ich alles erfahren hatte. Und über Alexander König wollte ich einfach alles erfahren. Auch wenn das bedeutete, gegen meine eigenen Prinzipien zu verstoßen.
Nach meiner Rückkehr in ein normales Leben fing ich auch langsam wieder an auszugehen. Zunächst nur mit Rico. Doch dann stellte ich fest, dass es mit einem Mann an der Seite schwer war, einen Typen aufzureißen. Also schloss ich Freundschaft (oder sagen wir besser, Bekanntschaft) mit einer Gruppe Frauen, alle Mitte Dreißig, Single und kinderlos.
Das war perfekt, denn alle anderen Frauen in meinem Bekanntenkreis waren verheiratet, hatten Kinder und lebten nur noch dafür. An lange Partynächte war mit ihnen nicht mehr zu denken. Glückliche Paare konnte ich, dank meiner Eltern, sowieso nicht um mich herum ertragen, ohne zynisch zu werden. Abgesehen davon wollten die meisten von ihnen ohnehin keinen Kontakt mehr zu mir haben, da sie mich für psychisch labil hielten. Und so war es kein Wunder, dass ich mich bewusst einer Horde brünstiger Singlefrauen anschloss, um jedes Wochenende die Stadt unsicher zu machen.
Meine „Gang“, wie Rico sie immer liebevoll nannte, hatte sich dieses Mal dazu entschlossen, zur Neueröffnung eines Clubs im Westend zu gehen. Gut, ich gebe zu, dass die Idee von mir stammte … Aus sicherer Quelle wusste ich, dass die Chancen nicht schlecht standen, ein paar Spieler der Eintracht dort anzutreffen. Zufälle waren schön und gut, aber ein bisschen nachhelfen war ja wohl noch erlaubt.
Ich war zwar selbstbewusst genug, um zu wissen, dass ich recht hübsch anzusehen war, aber das reichte mir heute nicht. Um einen heißen Kerl wie Alexander König zu beeindrucken, musste ich die schweren Geschütze auffahren. Meine schulterlangen dunklen Haare drehte ich zu Locken auf, betonte meine blauen Augen durch Smokey Eyes, schlüpfte in ein rotes Minikleid, das mir kaum Luft zum Atmen ließ, und rundete das Ganze durch mörderisch hohe High Heels ab. Hoffentlich würde sich der Aufwand auch lohnen, denn sonderlich wohl fühlte ich mich in diesem Outfit nicht. Normalerweise war ich nur in bequemen Schuhen und eher lässiger Kleidung anzutreffen. Was tat man nicht alles, um einem Mann zu gefallen.
Als wir am Club ankamen, war schon eine relativ lange Schlange an der Eingangstür. Louisa, die blonde Verführung aus meiner Mädels-Truppe, hielt nie viel von Regeln und ging einfach hoch erhobenen Hauptes an der Schlange vorbei und direkt auf den Türsteher zu. Ein kokettes Lächeln und einen Augenaufschlag unter langen, pechschwarzen Wimpern später standen wir bereits an der Bar und genossen unsere ersten Drinks. Ich fühlte mich immer noch nicht sonderlich wohl und musste ständig den Drang unterdrücken, mein Kleid zurechtzuzupfen.
Ein bis zwei Gläser Caipirinha später waren die Bedenken endlich halbwegs verflogen und selbst meine schmerzenden Füße ignorierte ich nun gekonnt. Von Herrn König war trotz vorgerückter Stunde aber leider noch immer nichts zu sehen. Je später es wurde, umso frustrierter wurde ich. Und ich hatte mittlerweile alle Hände voll zu tun, mir aufdringliche Verehrer vom Hals zu halten. Normalerweise wäre ich schon längst mit einem von ihnen knutschend in einer Ecke verschwunden, aber heute wartete ich auf andere Beute. Genervt verließ ich meinen Beobachtungsposten an der Bar und flüchtete auf die Tanzfläche.
Keine zwei Minuten später schlangen sich zwei Arme um meine Taille und zogen mich fest an eine muskulöse Brust. Erschrocken zuckte ich zusammen, schöpfte kurz Hoffnung, dass es Alex wäre, wurde aber ganz schnell enttäuscht, als mir Rico ins Ohr raunte: „Heiß siehst du aus!“
Missmutig befreite ich mich aus seinem Griff und fauchte ihn an: „Was zum Teufel machst du hier?“
„Ich dachte, du könntest Hilfe gebrauchen. Ich habe gesehen, wie die Kerle Schlange standen, um dir einen Drink auszugeben, und du dann auf die Tanzfläche geflüchtet bist. Weißt du, du solltest echt nicht so herumlaufen, wenn du keine Lust auf einen deiner üblichen Aufrisse hast. Oder wartest du etwa auf jemand Bestimmten?“ Unschuldig grinste er mich an, was mich unglaublich sauer machte.
„Du weißt ganz genau, auf wen ich warte!“
„Ach ja, richtig. Der Gute kann sich glücklich schätzen, wenn er denn kommt …“ Als er sich der Doppeldeutigkeit dieser Aussage bewusst wurde, lachte er lauthals. Manchmal konnte er ein richtiges Arschloch sein. Ich funkelte ihn wütend an, drehte mich um und wollte nur noch weg von ihm. Er hielt mich jedoch am Arm fest und zwang mich so, ihn wieder anzusehen. „Tut mir leid. Das war mies. Entschuldige bitte.“ Seinem Dackelblick konnte ich nie lange böse sein. „Darf ich um diesen Tanz bitten?“
„Nur wenn du die Klappe hältst!“
Er nickte und legte sich feierlich die Hand auf das Herz: „Versprochen!“
Nach zwei Liedern hatte sich mein Groll gelegt und ich begann das erste Mal an diesem Abend Spaß zu haben. Rico wirbelte mich so über die Tanzfläche, dass wir alle Blicke auf uns zogen. Zugegeben, er sah echt verdammt gut aus mit seinem dunklen, vollen Haar und dem südländischen Teint. Aber er war eben Rico. Mein Sandkastenfreund. Und die einzige Person, die die ganze Geschichte über meine Eltern, meine Angst vor Gefühlen und dem Selbstmord meiner Mutter kannte. Mein Vertrauter und Fels in der Brandung. Aber eben auch nicht mehr.
Der Abend neigte sich dem Ende zu und noch immer war nirgends eine Spur von dem Objekt meiner Begierde zu sehen. Der Club hatte sich bereits geleert und der DJ fing an, die langsamen Lieder zu spielen - ein sicheres Zeichen dafür, dass der Laden bald schließen würde.
„Soll ich dich nach Hause bringen?“ Rico hielt mich eng umschlungen, während wir uns im Takt der Musik wiegten. Ich genoss seine Nähe und seine Bewunderung für mich. Das verschaffte mir ein klein wenig Genugtuung und war Balsam für mein angeschlagenes Ego. Aber ich musste aufpassen, dass ich ihm keine falsche Hoffnung machte.
„Danke dir, aber ich nehme mir ein Taxi. Louisa würde sich bestimmt freuen, wenn du sie nach Hause bringen würdest. Sie steht auf dich, weißt du?“ Verschwörerisch zwinkerte ich ihm zu und löste mich dann aus seiner Umarmung, um Louisa zu suchen. Kurz darauf entdeckte ich sie, wie sie alleine an der Bar stand und in unsere Richtung blickte. Ich ging auf sie zu und zog dabei einen nicht allzu glücklich aussehenden Rico hinter mir her.
„Hey, Louisa. Rico hat gerade angeboten, dass er dich nach Hause bringen würde, wenn du magst. Ich bin total fertig und nehme mir gleich ein Taxi.“
Louisa sprang von ihrem Stuhl auf und gab Rico einen Kuss auf die Backe. „Sorry, Süßer. Normalerweise würde ich das Angebot sofort annehmen, aber ich habe gerade einen dicken Fisch am Haken. Er ziert sich noch etwas, aber ich glaube, ich habe ihn bald so weit.“ Damit sprang sie wieder zurück auf den Barhocker und zupfte ihren Ausschnitt zurecht.
Okay … Das war ungewöhnlich … Louisa würde sich niemals eine Gelegenheit entgehen lassen, um mit Rico alleine zu sein. Gerade als ich mich fragte, wer sie denn so dermaßen für sich eingenommen hatte, kam Alexander König um die Ecke der Theke gebogen - jeweils ein Glas in jeder Hand - und steuerte auf Louisa zu. „Sorry, sie schenken nur noch Kurze aus. Es war die letzte Runde.“ Er stellte das Schnapsglas vor Louisa und nahm dann einen beherzten Schluck aus seinem mit schlichtem Wasser gefüllten Glas. Dabei ignorierte er vollkommen die Tatsache, dass Louisa ihres erhoben hatte, um mit ihm anzustoßen, was mir eine gewisse Genugtuung verschaffte.
Erst als er sein Getränk wieder absetzte, schien er Rico und mich zu bemerken und blickte uns fragend an. „Sorry, aber ich gebe heute Abend keine Autogramme. Kommt doch am Dienstag zum öffentlichen Training, da stehe ich euch zur Verfügung.“ Damit stellte er das Glas auf der Theke ab, gab Louisa einen Handkuss und sagte: „War schön, dich kennenzulernen. Komm gut nach Hause.“ Dann verschwand er mit einem Kumpel durch die Seitentür. Zurück ließ er drei völlig irritiert aussehende Personen, die ihm fassungslos hinterherstarrten.
Rico fand zuerst seine Sprache wieder: „Was für ein arroganter Mistkerl!“
Danach Louisa: „Ich fasse es nicht, dass der mich einfach hat abblitzen lassen!“
Und dann ich: „Er hat mich nicht einmal angeschaut!“
Die ganze Fahrt nach Hause textete ich den Taxifahrer zu, wie unglaublich ungerecht und gemein diese Welt doch wäre. Er nickte mitfühlend an den richtigen Stellen, zeigte sich sonst aber eher unbeeindruckt und war wahrscheinlich sehr froh, als ich endlich ausstieg.
Zu Hause angekommen tauschte ich als Erstes meine engen Klamotten gegen Jogginghose und T-Shirt und warf mich dann mit meinem Laptop auf die Couch. Ich war noch immer viel zu sauer und zu betrunken, als dass ich jetzt einfach hätte ins Bett gehen können.
Stundenlang hatte ich mich herausgeputzt, in Schale geschmissen, kaum atmen können, meine Füße in diese mörderischen Schuhe gezwängt und wofür? Dieser Idiot hatte mich keines Blickes gewürdigt!
Ganz im Gegenteil: Er dachte, ich wäre ein lästiger Fan, und wollte mich verscheuchen. Jetzt mal ernsthaft: Ich sah doch nicht aus wie ein Fußball-Fan?!?!
Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr steigerte ich mich in meinen Zorn hinein. Wie gern würde ich diesem Alex jetzt gerade die Meinung geigen. Er musste doch mit Sicherheit eine Homepage haben. Mit Gästebuch …
Flink flogen meine Finger über die Tasten des Laptops. Bereits nach kürzester Zeit wurde ich fündig. Er hatte zwar leider keine eigene Homepage, dafür aber eine Facebook-Seite. Und sie war sogar so eingestellt, dass ich ihm direkt eine Nachricht senden konnte. Ein Hoch auf die öffentlichen Plattformen!
Ich goss mir noch ein Glas Wein ein, legte die Füße hoch, hob den Laptop auf meinen Schoß und begann zu tippen.
Ein schlimmer Schmerz schoss durch mein Genick und ließ mich hochschrecken. Ich griff in den Nacken und versuchte, die Stelle zu erwischen, um den Schmerz wegzumassieren. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und blendete mich. Ich blinzelte gegen die Helligkeit an und versuchte mich dann zu orientieren. Gestern musste ich wohl auf der Couch eingeschlafen sein. Aber warum?
Langsam blickte ich mich um. Nur ein leeres Weinglas stand auf dem Tisch. Okay, das hieß, ich war zumindest alleine in der Wohnung. Gott sei Dank! Eine unschöne Verabschiedungsszene hätte ich jetzt nicht ertragen.
Dann fiel mein Blick auf den noch immer auf meinem Schoß liegenden Laptop.
Hatte ich gestern noch mit Rico geskypt?
Verwirrt klappte ich ihn auf, um nachzusehen. Geöffnet war aber nur meine Facebook-Seite. Ich hatte eine neue Nachricht. Dann fiel es mir wieder ein … ACH … DU … SCHEISSE!!!
Bitte, bitte, lass diese Nachricht nicht von ihm sein…
Zitternd fuhr ich mit dem Mauszeiger darüber … Dann zog sich mein Magen krampfhaft zusammen, als ich las: Neue Nachricht von: Alexander König.
FUCK!
Schnell klappte ich den Laptop zu und warf ihn weit weg ans andere Ende der Couch, als ob ich damit alles ungeschehen machen könnte.
Wild fluchend ging ich in meinem Wohnzimmer auf und ab. Wenn ich mich doch nur daran erinnern könnte, was ich ihm geschrieben hatte …
Ich weiß noch, dass ich ziemlich sauer auf ihn war. Und ziemlich betrunken. Oh, oh …
Ich brauchte dringend einen klaren Kopf. Frische Luft und Kaffee waren dafür die besten Mittel. Schnell schlüpfte ich in Jeans, Pulli und Turnschuhe und eilte hinaus in die Sonne und dem Kaffee entgegen.
Eine halbe Stunde später ging es mir schon wesentlich besser. Frisch gestärkt fühlte ich mich nun bereit genug, um mich seiner Nachricht zu stellen. Mit spitzen Fingern öffnete ich den Laptop, gab mein Passwort ein und machte mich auf einen Schwall wüster Beschimpfungen gefasst, als ich seine Nachricht öffnete.
Hallo Silja,
es tut mir leid, dass ich Sie offenbar so enttäuscht habe, auch wenn ich Sie eigentlich gar nicht kenne.
Diesen Umstand würde ich gerne ändern, ebenso wie Ihre Meinung über mich.
Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Sie auf einen Kaffee einladen dürfte, um einiges klarzustellen.
Viele Grüße,
Alexander
Oh…
Okay…
Das war nicht die Antwort, mit der ich gerechnet hatte. Hatte ich am Ende doch nicht meiner Wut freien Lauf gelassen? Schnell überflog ich noch einmal meine Zeilen von gestern Nacht:
Hallo Alexander (oder sollte ich besser sagen, Herr König?),
offenbar halten Sie sich nämlich für einen König, so wie Sie mit mir umgesprungen sind. Auch wenn es für Sie schwer zu glauben sein mag - nicht jeder ist ein Fan von Ihnen und will unbedingt ein Autogramm haben.
Ebenso möchte ich mich aufrichtig dafür entschuldigen, dass ich Ihre kostbare Zeit in Anspruch genommen habe, als Sie mich neulich vor dem sicheren Sturz retten mussten.
Ich hatte gar keine Gelegenheit, mich dafür zu bedanken, auch wenn Sie sich mit Sicherheit nicht einmal mehr daran erinnern können. Aber seien Sie sich sicher, dass ich nur das Beste über Sie berichten werden, sollte mich einmal jemand dazu befragen.
Schließlich können Sie ja nichts dafür, dass die Berühmtheit schon so manchen Charakter verdorben hat und Sie anscheinend ebenfalls dieser Verlockung erlegen sind.
Viele Grüße,
Silja
Beschämt schlug ich die Hände vor mein Gesicht. Wie hatte ich mich nur zu so etwas hinreißen lassen können?
Verdammt! Verdammt! Verdammt! Nie wieder Alkohol!
Was sollte ich jetzt bloß tun? Was sollte ich antworten? Eine kluge Frau, die ihren Prinzipien treu blieb, hätte das Ganze hier beendet. Allerdings hätte so eine Frau erst gar nicht diese emotionsgeladene Email verfasst.
Jahrelang hatte ich jedes noch so zarte Gefühl sorgsam vermieden und erfolgreich bekämpft. Niemals wäre ich mit einem Mann Kaffee trinken gegangen und so Gefahr gelaufen, ihn näher kennenzulernen. Ich hatte meinen Spaß mit ihnen und warf sie danach aus meinem Leben. Alles aus lauter Angst, so zu werden wie meine Mutter.
Leidenschaft war erlaubt - Gefühle jedoch strikt verboten. Eine einfache Regel. Leicht zu befolgen.
Bis ich diesem vermaledeiten Alexander König über den Weg lief (oder besser gesagt, in die Arme fiel), war ich äußerst zufrieden damit.
Er hatte etwas an sich, das mein Interesse an ihm weckte. Nicht einfach nur, dass ich ihn äußerst attraktiv fand, nein, ich wollte wissen, wer der Mann dahinter war. Schon allein die Tatsache, dass er überhaupt auf meine „ganz leicht“ provozierende Email mit einer Einladung zum Kaffee reagierte, machte mich neugierig.
Das war nicht gut. Gar nicht gut.
Den ganzen restlichen Sonntag überlegte ich hin und her, kam aber zu keinem Entschluss. Ich brauchte dringend eine zweite Meinung. Rico konnte ich nicht fragen, da er voreingenommen war und Alex nicht ausstehen konnte. Die Mädels kamen auch nicht infrage, denn sie sollten so wenig wie irgend möglich über mich wissen. Und wenn Louisa davon erfahren würde,
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Texte: © Loki Miller
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Lektorat: bookrix.de
Tag der Veröffentlichung: 10.10.2015
ISBN: 978-3-7396-1756-5
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