Die Sonne hatte mittlerweile den höchsten Punkt am Himmel erreicht und ließ Veru erleichtert aufatmen, als der schwarze Hengst die Schatten des Kamec Waldes erreichte. Der trockene staubige Boden unten den Hufen des Rappen wurde mit jedem seiner Schritte dunkler und feuchter, bis das dumpfe Dröhnen keinen Staub mehr aufwirbelte.
Der Kamec Wald gehörte in ganz Endurie zu den größten und geheimnisvollsten. Weite Teile des Dschungels waren unpassierbar und unerforscht, obwohl viele Abenteurer, angetrieben durch ihren Goldrausch, tief in das Dickicht eingedrungen waren – jedoch war es nur einer Handvoll dieser Abenteurer gelungen, dem Kamec Wald wieder zu entkommen.
Seufzend streckte Veru sich und schob sich schnaufend die Kapuze vom Kopf. Seine blonden Haare waren, ganz nach der Tradition der Nerui, etwas länger, sehr strubbelig und an einer Strähne mit einer Adlerfeder geschmückt. Viel zu hellblaue Augen hielten das Dickicht im Blick, während schlanke Finger die Zügel etwas fester umklammerten. Veru war kein geborener Nerui, war jedoch nach seiner bestandenen Prüfung zum Magier dem Stamm beigetreten. Mit einem Lächeln erinnerte er sich daran, wie sein Vater einen Tobsuchtsanfall bekommen hatte und dem jungen Mann mit allem Möglichen gedroht hatte. Dieser hatte sich jedoch nicht beirren lassen. Veru war sowieso nie sehr beliebt gewesen unter seines gleichen. Magier waren etwas Besseres, gesegnet und standen nur zu Diensten der Adeligen – das war die Meinung seines Vaters und die der meisten anderen Magier. Der blonde Mann war jedoch schon in sehr jungen Jahren durch sein Mitgefühl anderen Lebewesen gegenüber aufgefallen – leider im negativen Sinne. Er wollte seine Begabung nicht verkaufen und gutbetuchten Damen Elixiere für straffe Haut und weiche Haare zusammen brauen. Veru wollte da helfen, wo wirklich Hilfe nötig war. Diese Einstellung hatte ihn jedoch ein ums andere Mal großen Ärger eingebracht und beinahe seine Magierausbildung gekostet.
Vor nicht einmal drei Monaten hatte er es doch noch geschafft seine Prüfung abzulegen und war nun ein voll und ganz befähigter Magier und zu dem Verdruss seines Vaters, hatte Veru sich sofort einen Ort gesucht, fernab seinesgleichen und noch weiter entfernt von jeglichem Reichtum.
Die Nerui waren ein Steppenvolk, lebten in Zelten und bewirteten Ackerland, züchteten Vieh und Pferde. Veru hatte sich dort sofort Zuhause gefühlt. Die Häuptlingsfrau Iryna hatte Veru durch Zufall auf dem Markt in seiner Heimatstadt, Andru Ag, kennen gelernt. Als er hörte, dass in ihrem Dorf eine seltsame Krankheit eingefallen war, hatte er sofort seine Sachen gepackt und war mit ihr gereist. Dies war nun schon zwei Monate her. Am Anfang waren die Nerui ihm gegenüber zurückhaltend und skeptisch. Sie wussten nicht, was sie von einem Magier in ihrem Dorf halten sollten, galten Magier doch als arrogant, unhöflich und vor allem als sehr teuer. Veru hatte es nicht leicht die Menschen von sich zu überzeugen, aber nach langen Wochen, in welchen er die Krankheit durch Tinkturen und Salben in den Griff bekam, fassten die Bewohner langsam Vertrauen. Und als er seine Magie einsetzte um ein kleines Mädchen vor dem Ertrinken zu retten, hatte er sämtliche Zweifel an seiner Person eliminiert. Nun war er einer von ihnen.
Aus einem Dornenbusch vor ihnen sprang ein großer Hase und blickte sie an, Zagreb, der Rappe, hielt in seiner Bewegung inne und spitze die Ohren. Als er einen weiteren Schritt auf den Hasen zumachte, fletschte dieser die Zähne, fauchte und stürzte zurück ins Dickicht. Kopfschüttelnd blickte Veru dem Wesen hinterher und strich dem Hengst beruhigend durch die Mähne. Er brauchte keine Angst haben, schließlich war er ein Magier! Und die konnten sehr gefährlich sein, versuchte er sich Mut zu machen.
„Hoffentlich wissen das auch alle anderen hier.“, flüsterte Veru und trieb den Hengst zur Eile an. Der Wald wirkte um ihn herum plötzlich nicht mehr ganz so einladend und er sehnte sich beinahe nach der trockenen Hitze außerhalb der dunklen Schatten - das ihm mehrere Augenpaare folgten, bemerkte der junge Mann nicht.
Es dauerte noch den kompletten Nachmittag, bis sie endlich den Gasthof Zum tanzenden Pony erreichten. Obwohl der Name einen freundlichen Eindruck hinterlassen sollte, konnte das dunkle Haus, in welchem noch dunklere Gestalten herum lungerten kein gutes Gefühl in Veru aufkommen lassen.
Nachdem er Zagreb bei einem zahnlosen Stallburschen abgegeben hatte, mitsamt dreier Kupfermünzen, suchte er sich einen Tisch in der Nähe eines der dreckigen Fenster, fernab der anderen Besucher. Es dauerte keine zwei Herzschläge, da schob sich eine dreckige Schürze in sein Blickfeld.
„Was kann ich dir bringen, Süßer?“, schnorrte eine schmierige Stimme und lange dreckige Fingernägel fuhren langsam über die Holzplatte vor ihm.
„Ein Becher Brombeertee.“, erwiderte Veru, erntete davor jedoch nur eine amüsant hoch gezogene Augenbraue.
Die Frau war hässlich. Ihre fettigen Haare hatte sie in einen Zopf gebunden und ihren schwammigen Körper in ein viel zu kleines Kleid gepresst, ihre kleinen Schweinchen Augen waren auf ihn gerichtet.
„Wir haben keinen Tee, aber ich kann dir einen Becher Beeren Met bringen.“, damit drehte sie sich um und watschelte davon, dass Veru keinen Beeren Met wollte, war ihr egal.
Seufzend fuhr er sich durchs Haar. Wieso musste er diese Frau auch unbedingt hier treffen? Hätte Iryna nicht einen freundlicheren Ort aussuchen können? Zum Beispiel sein Zelt, in dem es auch Brombeertee gab!
Ein Krug knallte vor ihm auf den Tisch und die Schweinchen frau schenkte ihm ein dreckiges Lächeln.
„Kann ich dir noch etwas Gutes tun?“ Auffällig schob sie ihren Busen in Blickweite und leckte sich anzüglich über die Lippen.
„Nein danke.“, erwiderte Veru ruhig und wand seinen Blick von ihr ab, betrachtete die rötliche Flüssigkeit in dem Krug. Der blonde Mann spürte wie die Bedienung ihm einen letzten enttäuschten Blick zu warf und sich dann zurückzog. Erleichtert ließ er die Schultern hängen und probierte einen Schluck von dem Getränk, schob es dann jedoch schnell von sich.
„Ein Mann der keinen Beeren Met mag. Wie ungewöhnlich.“, gluckste eine Frauenstimme neben ihm. Veru blickte die schmale Frau genervt an, er hatte keine Lust auf Gesellschaft, eigentlich hatte er nicht einmal hier sein wollen, hätte Iryna nicht so sehr darauf bestanden. Eine gute Freundin von ihr bräuchte seine Hilfe und das am besten noch Gestern.
„Ich brauche nichts, danke.“, meinte der Magier nur trocken und drehte sich wieder weg. Dass die Frauen hier so aufdringlich waren zerrte jetzt schon an seinen Nerven.
Der Stuhl gegenüber von ihm wurde zurück geschoben und mit einem freundlichen Lächeln ließ die Frau sich darauf nieder. Eine zierliche Hand wurde ihm entgegen gestreckt und weiße Zähne erschienen in ihrem Gesicht.
„Ich bin Esmera, Iryna hat dich geschickt, oder?“ Überrascht starrte Veru Esmera an. Dass sollte die gute Freundin sein?
Die Frau vor ihm hatte sanfte Gesichtszüge, dunkel grüne Augen, welche umrahmt waren von langen dunklen Wimpern. Ihre schwarzen langen Haare fielen ihr in einem geflochtenen Zopf über die Schulter. Sie trug ein enges Oberteil, weite Hosen und Stiefel, die ihr fast bis zum Knie reichten – alles war in dunklen Farben gehalten. Die Frau schien nicht viel älter als er zu sein, geschweige denn annährend so alt wie Iryna.
„Veru.“, stellte er sich vor und ergriff ihre Hand. Neugierig starrte die dunkelhaarige Frau ihn an, musterte Veru von oben bis unten.
„Irgendwie hatte ich etwas anderes erwartet.“, stellte sie dann fest, sah die hochgezogenen Augenbrauen des blonden Mannes und fügte hastig hinzu: „Nicht so einen hübschen Mann.“ Der Magier ging jedoch nicht darauf ein, sondern lehnte sich in seinem Stuhl zurück, ließ seinen Blick kurz schweifen, überprüfte, dass sie nicht belauscht wurden. Magier hatten in solchen Kreisen einen schlechten Ruf, er hatte es das ein oder andere Mal am eigenen Körper erfahren müssen.
„Iryna meinte, dass du meine Hilfe brauchst. Dringend.“, fügte er hinzu und starrte sie dann wieder an.
Die ungewöhnlich hellen Augen starrten sie an und obwohl sie sich unwohl unter diesem Blick fühlte, lächelte Esmera. Sie brauchten die Hilfe dieses Magiers, auch wenn die Anderen das nicht so sahen. Außerdem hatten die Nerui ihn aufgenommen, also konnte er nicht ganz so übel sein, wie alle anderen Magier – Iryna hätte ihn sonst nie zu ihr geschickt!
„Eines unserer Kinder ist in eine Falle geraten. Sie hat hohes Fieber und fantasiert.“ Das Gesicht des jungen Mannes verzog sich und eine steile Falte zeichnete sich zwischen seinen Augenbrauen ab.
„Wie lange ist das her?“, fragte Veru.
„Vor neun Tagen. Die Wunde haben wir verbunden und unsere Schamanin hat ihr heilende Kräuter gegeben, am Anfang wurde es auch besser, aber seit drei Tagen wurde sie immer schwächer. Vorgestern fing sie dann an zu fantasieren, das Fieber kriegen wir kaum noch runter.“ Esmera rieb sich über ihre Arme, sie fürchtete, dass Felira den nächsten Tag nicht mehr überleben würde.
„Wir müssen sofort los.“, riss der Magier sie aus ihren düsteren Gedanken und starrte sie eindringlich an.
„Vielleicht kann ich ihr noch helfen, wir müssen uns aber beeilen.“ Ein kleiner Hoffnungsfunke entflammte in Esmera und sie sprang auf die Füße.
Ihre beiden Begleiter starrten Esmera vorwurfsvoll an, dann wanderte ihr Blick zu dem Magier. Der blonde Mann ignorierte den anderen Mann und die Frau, welche ihn mit finsteren Blicken durchbohrten.
„Wie lange brauchen wir zu ihr?“, fragte er stattdessen an Esmera gewandt.
„Wir sollten vor Sonnenaufgang ankommen.“
Die Schatten unter den Bäumen waren dunkler geworden, bald würde die Nacht herein brechen. Esmera beobachtete, wie Veru dem schwarzen Hengst beruhigend über den Hals strich und sich dann hoch in den Sattel zog.
„Wir werden die Nacht durchreiten müssen.“, grollte Krean, ein großer breitschultriger Mann mit hellbraunen langen Haaren und schwang sich ebenfalls in den Sattel seiner braunen Stute.
„Das habe ich mir leider schon gedacht.“, seufzte der Magier mehr zu sich selbst, als zu ihnen. Esmera war leicht überrascht, dass der junge Mann einfach so mit ihnen mitging und dass auch noch bei Nacht durch den Kamec Wald. Iryna hatte ihr wohl genau den richtigen Magier geschickt, einer der mutig genug war mit Fremden mit zu gehen, um einem kleinen Mädchen das Leben zu retten. Sie hoffte nur, dass es wirklich Mut war und nicht Dummheit, oder gar noch schlimmer: Wahnsinn!
Leora, eine mutige Kämpferin des Stammes und eine gute Freundin von Esmera, lenkte ihr Pferd hinter Veru. Ihre schwarzen Haare reichten ihr knapp über die Ohren und waren streng nach hinten gekämmt, die Nase in ihrem Gesicht saß leicht schief, gezeichnet von vielen Kämpfen und ihr markantes Gesicht war zu einer starren Maske gefroren. Sie würde ihm sofort den Kopf abtrennen, sollte er auch nur versuchen einem von ihnen etwas an zu tun.
Krean schob sich an die Spitze ihrer Gruppe, entzündete eine Fackel und lenkte die Stute auf den Weg.
Der Wald war düster und in vollkommene Dunkelheit getaucht. Einzig die Fackel in Kreans Hand wies ihnen einen Weg, ließ sie aber auch wie ein Großbrand auf einer Steppe auffallen. Am liebsten wäre Esmera in die Dunkelheit abgetaucht, konnte sie in ihr fast genauso gut sehen wie an helligtem Tag. Die Geschöpfe der Nacht beobachteten die Gruppe aus sicherer Entfernung, warteten nur auf eine Möglichkeit sich ihre Beute für diese Nacht zu sichern.
Die dunkelhaarige Frau fürchtete sich jedoch weder um ihr, noch um Kreans oder Leoras Leben, der Magier wäre jedoch eine einfache Beute. Gut möglich, dass er Magie wirken konnte, dennoch würde er die Gefahr nicht einmal kommen hören und Magie war auch nur begrenzt nutzbar.
„Fürchtest du dich nicht?“, flüsterte Esmera und beobachtete, wie Veru mit den Augen ihrer Stimme folgte.
„Ich würde lieber bei Tag reiten, aber auch bei Tag würde ich nicht so tief in den Wald eindringen wollen.“ Mit einem Lächeln bemerkte sie, dass er ihre Frage keineswegs beantwortet hatte.
„Könnt ihr nicht Licht schaffen, Magier?“, spukte ihm Krean entgegen. Der blonde Mann zuckte bei den grollenden Worten zusammen, spannte sich jedoch sofort wieder an.
„Ich könnte es, möchte aber lieber für nachher möglichst viel Magie zur Verfügung haben.“ Esmera drehte sich auf ihrem Sattel zu Leora um, welche ihr einen finsteren Blick zu warf. Wenigstens denkt er an Felira, bedeutete sie der Kriegerin.
Veru zog seinen Umhang enger um seinen Körper und die Kapuze tiefer ins Gesicht. Er fror. Die Luft hatte sich abgekühlt und langsam zog Nebel zwischen den Hufen der Pferde auf, dennoch spürte weder sie, noch die anderen beiden Clanmitglieder die Kälte, die in die Glieder des Magiers zog. Zu ihrem Glück war der Hengst des Magiers ein ruhiger Zeitgenosse, selbstsicher und mutig. Die wenigsten Pferde drangen so tief in die Dunkelheit des Waldes ein, aus gutem Grund! Wären sie nicht mit dem Magier unterwegs, so hätten sie schon in ein paar Stunden das Dorf erreicht. So jedoch mussten sie ihr übliches Tempo zügeln und wie Lämmchen durch ein Gebiet voller Jäger schleichen. Trotzdem war der blonde Mann ihre einzige Hoffnung das kleine Mädchen zu retten, auch wenn die Anderen ihr wahrscheinlich den Kopf abreißen würden. Ein leises Knacken in dem Geäst über ihnen lenkte ihre Aufmerksamkeit nach oben. Gelbe Augen starrten die Gruppe durch die Dunkelheit an, dann drang ein hohes Fiepen an ihre Ohren.
„RUNTER!“, rief dann auch schon Leora und die Augen stürzten in einem lauten Rauschen aus Federn auf die Gruppe zu, erschreckten die Pferde.
„EIN SKERAG!“, rief Esmera, als das Monster auch schon im nächsten Geäst verschwand um sich erneut auf ihre Gruppe zu stürzen. Krean schob sich zwischen sie und Veru und hielt die Fackel höher. Die Flammen tanzten über das Gesicht des Magiers, welches zu einer starren Maske gefroren war und tanzten an den dunklen Baumstämmen empor.
„Was war das?“, flüsterte Veru und seine hellen Augen richteten sich auf Esmera.
„Ein Skerag, Nachtgeier. Hinterhältige und böse Viecher. Sie jagen ihre Beute bei Nacht, Licht schmerzt sie. Außerdem kommen sie nie allein.“, erklärte Esmera und blickte sich suchend um.
„Was jetzt?“, fragte der blonde Mann und beobachtete ebenfalls die Äste über ihnen. Leora lenkte ihr Pferd näher an die Gruppe heran, ein Schwerte in der Hand.
„Dicht zusammen bleiben, diese Viecher fürchten sich vor Licht. Wenn es wenigstens nicht wolkig wäre, dann würde der Mondschein sie in Schach halten.“, knurrte die Kriegerin.
Über ihnen erscholl ein weiteres Fiepen, gefolgt von mehreren hohen Tönen, dann tauchten über ihnen viele gelbe Augenpaare auf.
„Scheiße.“, knurrte Krean und Esmera musste ihm zustimmen. Für sie drei wäre es kein großes Problem diesen Biestern zu entkommen, der Magier wäre jedoch leichte Beute und genau diesen brauchten sie dringend. Ihre Pferde kannten die Unebenheiten des Waldes, die Tücken der Wurzeln und wussten genau wie sie ihre Hufe aufsetzen mussten, außerdem waren Krean, Leora und sie wendig und schnell, würden somit bei einem Sturz glimpflich davonkommen. Der schwarze Hengst des Magiers kannte die Gegebenheiten des Waldes jedoch nicht, war nur den ebenen Boden der Steppe gewohnt und würde sich und seinen Reiter womöglich bei einer schnellen Flucht umbringen. Die Lage war äußerst verzwickt.
Das Fiepen nahm an Lautstärke zu, wurde nun vom Rascheln der Federn begleitet und lenkte Esmeras Aufmerksamkeit zurück auf die Skerag. Sie würden kämpfen müssen. Leora würde sich den Magier schnappen und ihn in Sicherheit bringen, während sie und Krean die Bestien in Schach hielten. Hastig stellte sie Blickkontakt zu den anderen Beiden her, welche kurz nickten – sie hatten verstanden. Dann knackten auch schon Äste, brachen unter dem Gewicht der massigen Leiber, welche sich in die Tiefe auf ihre Beute stürzten.
Auf einmal wurde ihre Umgebung in helles Licht getaucht, schälte die verkrüppelten Vogelleiber aus der Dunkelheit, welche panisch und schmerzerfüllt aufschrien, wild mit den Klauenbesetzen Flügeln schlug um sich zurück in die Dunkelheit zu flüchten. Überrascht suchte Esmera nach der Lichtquelle und fand sie über Kreans Kopf. Ein leuchtender Schmetterling schlug gemächlich mit seinen strahlenden Flügeln und erhellte die Umgebung so stark, dass Esmera bis hinauf in die Baumwipfel sehen konnte. Es dauerte einen kurzen Moment, dann wurde das Licht etwas schwächer, beschränkte sich darauf, ihre kleine Gruppe in einem schwachen Schein aus Licht zu tauchen. Leora starrte den Schmetterling ebenfalls an, dann blickte sie zu dem blonden Mann hinüber.
„Bist du das?“, fragte sie skeptisch, hielt das Schwert zum Angriff bereit, sollte sich der Schmetterling als gefährliches Monster heraus stellen. Als der Magier jedoch leicht nickte entspannte sie sich und ließ das Schwert sinken. Beeindruckt beobachtete die dunkelhaarige Frau das Geschöpf und sah dann von ihm zu dem Magier hinüber. Seine hell blauen Augen waren noch einen Ticken heller geworden, schienen sogar leicht zu strahlen.
„Magie?“, fragte Esmera neugierig.
„Ja, aber wir sollten trotzdem aufbrechen. Ich möchte nicht, dass wir auf einmal irgendwelche Viecher anziehen, die gerne im Licht jagen.“, feixte Veru und lenkte seinen Hengst zurück auf den Weg.
Keiner von ihnen hatte je Magie in einer sichtbaren Form gesehen, daher waren sie alle drei mehr als fasziniert von dem kleinen Schmetterling gewesen, welcher ihnen den ganzen Weg geleuchtet hatte. Leora und Krean hatten ihre Neugierde gut versteckt, aber Esmera hatte das Wesen mit offenem Interesse angestarrt. Irgendwann hatte der Schmetterling sich dann auf ihrer Schulter niedergelassen und zu ihrer Überraschung, war ein merkwürdiges Kribbeln von dieser Stelle ausgegangen. Veru hatte ihr erklärt, dass Magie oft ein Kribbeln hinterließ, sollte man mit ihrer reinen Form in Kontakt kommen. Krean hatte sie knurrend unterbrochen und daran erinnert, dass man, wenn man schon wie ein Leuchtfeuer aussah, nicht auch noch wie eine Armee klingen musste. Daraufhin hatten Esmera und der Magier geschwiegen.
Mittlerweile begrüßten die Vögel fröhlich den anbrechenden Morgen und durch die Baumwipfel drang sogar schon etwas Licht. Der Schmetterling hatte sie schon vor ein paar Stunden verlassen, hatte sich einfach in Luft aufgelöst. Seit knapp fünf Meilen wurden sie außerdem von den Spähern begleitet, was der Magier jedoch nicht bemerkte, dafür waren seine Sinne nicht fein genug. Seufzend strich Esmera sich eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr und wappnete sich mental gegen den Angriff der Ältesten der ihr bald bevorstehen würde.
Für Verus Geschmack dauerte es noch viel zu lange, bis sich endlich der Wald lichtete und sie auf eine große Lichtung ritten. Ein großes Lagerfeuer in der Mitte deutete auf den Mittelpunkt eines Dorfes hin und nach dem Veru sich aufmerksam umgesehen hatte, entdeckte er am Rand der Lichtung gut verborgene Hütten.
Sie wurden von einer kleinen Gruppe Männer erwartet, welche feindselig zu ihnen herüber starrten. Wenn das nicht eine freundliche Begrüßung ist – stellte der junge Magier fest und strich Zagreb fahrig über das Fell. Neben den Häuser hatte er noch weitere Gestalten ausmachen können, was bedeutete, dass sie umzingelt waren. Was wirklich kein angenehmes Gefühl war.
Ein großer rothaariger Mann trat vor, gekleidet in eine dunkle Lederhose und ein dunkles Stoffhemd, er war barfuß.
„Was soll das?“, donnerte er auch gleich los und deutete mit einem Speer auf Veru, welcher Esmera einen fragenden Blick zu warf.
„Das ist Veru, ein Magier.“, begann die Frau zu erklären, wurde aber sofort von einem kleinen dicken Mann mit aschgrauen Haaren unterbrochen.
„Ein Magier?! Was denkt ihr euch dabei so einen in unser Dorf zu holen?“, brüllte er beinahe und auf seinen Wangen bildeten sich dunkel rote Flecken.
„Er kann Felira vielleicht helfen.“, brüllte Esmera zurück und sprang wutentbrannt von ihrem Pferd, stapfte mit großen Schritten auf die Männer zu.
„Er ist ein Magier! Geldgierig und hinterlistig. Sie haben nichts Gutes im Sinn! Außerdem hast du einen Fremden in unser Dorf gebracht!“, empörte sich der Alte.
„Wir sind bei Dunkelheit geritten, also würde er niemals den Weg zurück finden, selbst wenn er es wollte! Sie stirbt! Er ist unsere letzte Hoffnung! Nalini! Sie ist deine Tochter!“, flehte sie nun einen kleinen breitschultrigen Mann an, welchem ein Ohr zu fehlen schien. Dieser kratzte sich an seinem dunklen Bart und blickte über seine Schulter, dann blickte er zu einem großen Mann mit schwarzem schütterem Haar.
„Es geht ihr sehr schlecht. Außerdem ist er doch nun schon mal hier.“, erinnerte Esmera die Männer.
„Das tut hier nichts zur Sache! So etwas wie ihn wollen wir nicht hier haben!“
„Und wenn er eine Ausgeburt der Hölle ist, solange er meiner Tochter das Leben rettet ist es mir egal was und wer er ist!“, zischte auf einmal eine kalte Stimme und eine große schlanke Frau mit hell braunen Haaren schob sich an den Männern vorbei, warf ihnen einen vernichtenden Blick zu und erstickte damit jeglichen Widerspruch im Keim.
Veru stieg nun ebenfalls von seinem Pferd und wartete bis die Frau ihn erreicht hatte.
„Kannst du ihr helfen?“, verlangte sie gleich zu wissen und baute sich mit in die Hüften gestemmten Fäusten vor ihm auf.
„Ich werde mein Möglichstes tun.“, erwiderte er und hielt dem bohrenden Blick aus ihren braunen Augen stand. Sie nickte nur und bedeutete ihm ihr zu folgen. Die wütenden Blicken der Männer, die Finger die sich fester um die Waffen spannten und die kalte Abneigung ihm gegenüber blieb dem blonden Mann nicht verborgen, dennoch ignorierte er es.
Das Mädchen, Felira, war schon mehr tot als lebendig. Ihre Haut war bleich, die Lippen bläulich verfärbt und ihre Stirn schien zum Kochen geeignet.
Misstrauisch betrachtete Veru das Mädchen.
„Sie ist in eine Falle getreten?“, fragte der Magier, erinnerte sich an Esmeras Beschreibung.
„Ja. Ein Speer hat sich in ihren Arm gebohrt. Ich habe ihn mit speziellen Salben behandelt und am Anfang wurde es auch besser, doch dann wurde ihr Zustand immer schlechter.“, erklärte Ondra, sie war die Schamanin des Stammes und zu Verus Überraschung, war sie ihm gegenüber fast freundlich.
Der blonde Mann betrachtete den verbundenen Arm des Kindes, löste dann den Verband und hielt im selben Moment den Atem an. Das sah gar nicht gut aus! Die Wunde, ein tiefer Schnitt an ihrem Unterarm, hatte sich entzündet, doch anstatt gelber Eiter, quoll eine schwarze stinkende Flüssigkeit aus ihr. Zischend legte Veru dem Mädchen eine Hand an die Wange und drang kurz in ihren Körper ein.
Ein Schlachtfeld.
In ihrem Körper tobte ein Krieg zwischen - der jedem Wesen innewohnenden - Magie und einer dunklen Kraft, die wahrscheinlich mit Hilfe des Speers eingedrungen war.
„Ich brauche den stärksten Runenstein den du hast. Und bring kühlende Verbände mit.“, ordnete der Magier an und ohne irgendwelche Fragen zu stellen schoss die Schamanin davon.
„Wie sieht es aus?“, flüsterte die Mutter des Kindes, die Frau die vorhin den Männern gedroht hatte. Veru blickte sie aus seinen hellen Augen an, er würde sie nicht anlügen.
„Schlecht. Fast ihr ganzer Körper ist von schwarzer Magie befallen. So etwas habe ich noch nie gesehen.“, gestand Veru zerknirscht.
Die Frau heulte schluchzend auf und der kleine Mann, Nalini hatte Esmera ihn genannt, schloss sie in seine kräftigen Arme.
„Ist’n starkes Mädl, unsre kleine Felira.“, versuchte er seine Frau zu beruhigen, warf Veru jedoch einen bittenden Blick zu.
Der stärkste Runenstein der Schamanen erwies sich als gerade einmal mittelmäßig, war jedoch besser als gar nichts, befand der Magier. Er wusste, wie teuer diese Steine waren, konnte man in ihnen doch Magie abladen und Zauber speichern.
Der Runenstein von Ondra war mit einem einfachen Heilzauber gefüllt und als Veru den Zauber löschte erklang ein leises Schnaufen von der Schamanin.
„Ich möchte, dass ihr alle raus geht. Ich weiß nicht genau wie lange es dauern wird, aber in der Zeit darf mich keiner stören!“ Veru sah die Eltern und Esmera eindringlich an. „Ondra kann zwischendurch nach uns sehen, du darfst jedoch keinen von uns berühren und halt sehr viel Abstand zu uns!“, erklärte er ihr. „Felira wird wahrscheinlich schreien, dafür sitzt die schwarze Magie einfach schon zu tief. Haltet euch die Ohren zu, verlasst das Dorf, oder tut sonst etwas, aber kommt nicht in dieses Zelt!“, befahl Veru mit ernster Stimme. Ein schwaches Nicken ging durch die Runde, dann verließen alle das Zelt. Esmera warf dem blonden Mann ein aufmunterndes Lächeln zu, welches er gekniffen erwiderte. Wie sehr die Eltern doch ihr Kind lieben mussten, um ihn, einen Magier, mit ihr alleine zu lassen -Trotz des Misstrauens das sie ihm gegenüber hegten. Dennoch war er ihre letzte Chance, das hatte Esmera von Anfang an sehr gut erkannt.
An die Arbeit.
Veru hatte sich neben das Bett gekniet, eine Hand auf die Wunde des Mädchens gelegt, die Andere auf den am Boden liegenden Runenstein. Er atmete ein paar Mal tief ein und aus, dann ließ er seine Magie frei. Eine angenehme Wärme zog sich durch seinen Körper, beginnend bei seinem Herzen, von dort strömte sie bis in seine Fußspitzen, seine Fingerkuppen und seine Ohren, dann breitete sich die Magie wie ein Schleier über seinen Augen aus. Das Mädchen vor ihm verschwand und übrig blieb ein Wirrwarr aus sich windenden roten und schwarzen Fäden. Die Roten waren das Blut, das Leben des Mädchens, die Schwarzen die bösartige Magie.
Mit einem Gedankenstoß schickte er seine eigene Magie, ein hell blau schimmernder Faden, in den Körper des Mädchens. Wie ein Schlangenleib schob sich das leuchtende Etwas auf die schwarzen Fäden zu, bewegte sich langsam und träge, schien der schwarzen Masse nicht näher kommen zu wollen. Veru entschied, dass er als Erstes den Arm des Mädchens von der bösartigen Magie befreien musste, damit ihre Verletzung heilen konnte. Kaum hatte er diesen Gedanken beendet, da schoss seine Magie auch schon gezielt auf das schwarze Knäul zu, drang in das Chaos ein und riss mit einem kräftigen Aufbäumen ein großes schwarzes Stück heraus. Der abgetrennte dunkle Magieteil wurde in den blauen Strom hineingezogen und verschwand.
Veru konnte spürten, wie die schwarze Magie, einem kalten Messer gleichend, durch seinen Körper fuhr und dann in dem pulsierenden Stein verschwand.
Es würde ein sehr, sehr anstrengender Tag werden.
„Wenigstens haben wir genug für die nächsten Wochen gefangen.“, flötete Tyran und zwinkerte Roan aufmunternd zu.
Tyran war einer der besten Jäger des Clans und Roans bester Freund. In seinen kurzen roten Haaren hatten sich Wassertropfen gesammelt und ließen sie nun wie die aufgehende Sonne funkeln. Sein Oberkörper war, wie der aller Jäger, nackt und ebenfalls feucht von ihrem kurzen Bad, da die Hatz sie durch Sümpfe, Dornenbüsche und enges Dickicht getrieben hatte und ihre Körper schweißnass und von Dreck besudelt gewesen waren. Tyran hatte einen sehnigen schmalen Körper, er war gut einen halben Kopf kleiner als Roan, was ihn dennoch zu einem der größten Männer im Clan machte. Tyran war knapp ein Jahr jünger und wie ein Bruder für ihn.
Roan selbst war nur etwas kleiner als sein Vater, der Clanführer, und besaß dessen schwarzen Haare, welche er jedoch gerne Raspel kurz trug. So behinderten sie ihn beim Jagen nicht und er brauchte sich auch nicht groß um sie zu kümmern. Der Schwarzhaarige war breiter und bemuskelter als sein Freund, dafür jedoch nicht so wendig.
„Vielleicht belohnt Esmera mich ja für meinen guten Fang.“, sinnierte der Rothaarige und ein spitzbübisches Grinsen schlich sich auf seine Lippen.
Ein tiefes Grollen drang aus Roans Kehler, als er an seine kleine Schwester erinnert wurde, welche Gestern einfach verschwunden war. Nur Krean und Leora hatte sie mitgenommen und niemandem gesagt, wo sie hin gegangen waren. Gerade jetzt, wo eine von ihnen so krank geworden war durfte sie nicht einfach den Stamm verlassen.
„Halts Maul, Tyran.“, brummte Pandro, ein älterer Krieger, welchem sie als Kinder gerne Streiche gespielt hatten. „Vielleicht ist Felira schon tot und da machst hier Späßchen.“, erinnerte er alle an die gegenwärtige Situation. Die Gruppe schwieg wieder und beeilte sich nach Hause zu kommen.
Roan bedeutete den Anderen zu halten, dann lauschte er. Sie waren nicht mehr weit entfernt von ihrem Dorf und waren auch schon einem ihrer Späher begegnet, welcher sie kurz über die Geschehnisse während ihrer Abwesenheit informiert hatte. Roan knirschte wütend mit den Zähnen, als der kleine Mann ihm berichtete, dass Esmera an diesem Morgen mit einem Fremden in das Dorf gekommen war. Finrik, der Späher, wusste jedoch nicht wer dieser Fremde war, da er seit Mitternacht Wache hielt.
Was dachte sich diese Frau nur dabei? Ein Fremder in ihrem Dorf. Hätte sie doch gleich eine Karte schreiben sollen und sie in dieser blöden Gaststätte aufhängen können.
„Beeilt euch.“, knurrte Roan, schulterte seine Taschen und lief mit großen Schritten los. Diese ganze Sache war ihm nicht geheuer, wer wusste schon, wen seine Schwester da aufgegabelt hatte?! Sie war einfach zu gutmütig. Und das als Tochter des Alphas! Die Anderen folgten ihm schweigend, waren ganz seiner Meinung.
Ein Schrei drang durch das Dickicht und scheuchte eine Schar Vögel auf, welche laut flatternd und zwitschernd ihr Versteck verließen. Das Dorf, dachte Roan und im nächsten Moment übernahm sein Instinkt die Führung.
Mit großen Sprüngen bahnte er sich einen Weg durch das Gestrüpp, hörte das Knacken der Äste und aufschlagen von Pfoten hinter sich. Die Männer folgten ihm.
Einen Herzschlag später gelangten sie auf die Lichtung, welche erfüllt war von dem gequälten Schrei. Kampfbereit suchte er nach den Feinden, nach dem Grund für den Schrei, fand ihn jedoch nicht.
„Ihr seid wieder da.“, donnerte eine Stimme und sein Vater trat vom Lagerfeuer auf sie zu.
Um das Feuer herum saßen alle zurück gebliebenen Krieger, außer denjenigen, die zur Zeit wache hielten. Roans Vater war ein Bär von einem Mann. Groß, breit, ein Muskelpaket. Seine schwarzen Haare fielen ihm bis auf seine Schultern, sein Gesicht war hinter einem dichten Bart versteckt und eine lange Nabe, von einem Bären zugefügt, ließ seine Miene noch finsterer wirken.
Roans Augen huschten abermals über das Lager, dann erklang abermals ein Schrei. Das Haus, schoss es ihm durch den Kopf und er wand sich diesem zu.
„ROAN! Regt euch ab!“, donnerte sein Vater, Gron und deutet auf das Lagerfeuer, von wo ihnen die Anderen entgegen blickten.
„Was geht hier vor?“, wollte der junge Mann wissen, behielt das kleine Haus jedoch weiterhin im Blick.
„Ein Magier versucht gerade Felira das Leben zu retten.“, erklärte eine ruhige Stimme und die alte Schamanin trat hinter seinem Vater her.
„Magier?“, zischte Tyran.
„Esmera!“, entfuhr es Roan, als im klar wurde, wen seine Schwester mitgebracht hatte.
„Sie schreit!“, knurrte sein Freund und ballte die Fäuste um sich davon ab zuhalten etwas Dummes zu tun.
„Setzt euch zu uns, dann erkläre ich es euch. Und holt endlich die Vorräte aus dem Wald! Ich glaube es nicht, da lasst ihr alles so einfach im Wald liegen! Und ihr wollt Jäger sein?!“, knurrte Ondra, wand sich um und ging murrend zurück zum Feuer.
„Er hatte uns vorgewarnt, dass sie schreien würde, deshalb haben wir die Frauen und Kinder und auch Nalini weggeschickt. Es ist besser, wenn sie das nicht mit anhören müssen. Der junge Mann tut wirklich alles was in seiner Macht steht.“, erklärte die Schamanin und starrte Roan an.
„Ich war bei den Beiden gucken, die schwarze Magie schien nur so um sie herum zu wabern, wäre ich auch nur etwas näher heran gegangen, dann hätte sie wohl mich angefallen. Ich muss wohl eingestehen, dass Esmera recht hatte: Er ist ihre letzte Hoffnung. Uns bleibt jetzt nichts anderes übrig, als zu warten.“ Ondra blickte einen nach dem Anderen an, dann sah sie kurz zu dem Haus, aus welchem seit geraumer Zeit kein Laut mehr drang.
Ich werde den Magier umbringen, sollte er ihr irgendetwas angetan haben!
„Eine gute Jagd.“, brach Gron die Stille und klopfte Roan auf die Schulter, versuchte die Atmosphäre etwas aufzulockern, erntete jedoch nur einen grimmigen Blick aus dunklen Augen.
Sie schwiegen.
Die Sonne war hinter den Baumwipfeln verschwunden und Dunkelheit sickerte langsam aus dem Wald hervor. Die einzige Lichtquelle war das Lagerfeuer, welches die komplette Lichtung beleuchtete und die Kälte vertrieb.
Als ein leises Rascheln erklang, wanden sich alle dem kleinen Haus zu. Im Türrahmen war eine schmale Gestalt erschienen, hielt sich mit einer Hand an dem Rahmen fest. Ondra sprang hastig auf die Füße und eilte dem Magier entgegen. Die Krieger folgten in etwas gemächlicherem Tempo, breit ihm den Kopf abzureißen.
„Hat es geklappt?“, wollte die Frau auch gleich wissen, hielt jedoch noch etwas Abstand zu dem Mann. Als Roan und die Anderen näher traten, wusste er auch wieso. Der Typ strahlte eine unheimliche Kälte aus, welche Roan einen Schauder über den Rücken laufen ließ.
„Der größte Teil ist aus ihr heraus.“, antwortete der Magier und hob seinen Kopf, schob sich beiläufig ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Roan stockte der Atem.
„Ein Dämon!“, grollte da auch schon Pandor und machte einen Schritt auf den Mann zu, als die Schamanin ihn aus zusammen gekniffenen Augen böse anfauchte.
„Magier nicht Dämon! Seid froh, er hat der Kleinen das Leben gerettet. Und das ist euer Dank?“ Ihre Augen hefteten sich auf Gron, welcher sich müde übers Gesicht fuhr.
„Ihr habt die Schamanin gehört. Holt was zu Essen und Trinken und holt endlich die Frauen und Kinder wieder!“, kommandierte er und bedeutete dem Magier sich ans Lagerfeuer zu setzten.
Der junge Mann schob sich langsam, wankend an Roan vorbei und ließ sich an einem Baumstumpf gelehnt nieder.
„Der Typ sieht gruselig aus!“, flüsterte Tyran und Roan nickte.
Die Haut des Magiers war bleich, eine ungesunde Farbe, ein hübsches junges Gesicht hatte er, die blonden wuscheligen Haare luden förmlich dazu ein, die Hände darin zu vergraben, die Augen des Mannes ließen das Tier in Roan jedoch böse knurren.
Schwarz.
Sie waren komplett schwarz, ausgefüllt bis an den Rand und es sah beinahe so aus, als würde die Schwärze jeden Moment aus ihnen heraus tropfen.
Zögerlich ließ sich der junge Mann am Feuer nieder und wickelte seinen Umhang enger um sicher herum. Die anderen Männer nahmen ebenfalls Platz, ließen jedoch genügend Abstand zu ihm.
„Felira schläft ganz ruhig.“, sagte die Schamanin und gesellte sich zu der Runde, beobachtete, wie einer der jungen Männer dem Magier etwas zu Essen und Trinken reichte und dann schnell die Flucht ergriff.
„Danke.“, nuschelte der blonde Mann und nahm trank einen Schluck, blickte Ondra dann überrascht an.
„Esmera meinte, du würdest Brombeertee bevorzugen.“ Ein schwaches Lächeln bildete sich auf seinen Lippen und eine knappe Kopfbewegung deutete ein Nicken an.
Während der Magier aß, behielten ihn alle schweigend im Auge und auch als die restlichen Clanmitglieder aus dem Wald drangen, in ihre Häuser gingen, oder sich zu ihnen ans Lagerfeuer setzten, schwiegen sie immer noch.
Als Roan seine Schwester entdeckte, welche zielstrebig auf den blonden Mann zu hielt, entwich ihm ein Knurren. Esmeras Augen huschten kurz zu ihm, dann verzog sich ihr Gesicht zu einer Grimasse.
„Ja ich weiß: Das war eine blöde Aktion und du hast uns alle in Gefahr gebracht! Wie konntest du nur so Hirnlos sein! Und dann auch noch Leora und Krean in Gefahr bringen. DU bist die Tochter von Gron, lern endlich mit der Verantwortung umzugehen!“, donnerte die Schwarzhaarige quer über das Feuer zu ihm herüber.
Alle Augen richteten sich erst auf sie, dann auf Roan, einen Moment herrschte noch Stille, dann brachen alle in Gelächter aus.
„Ihre Roan-Imitation wird immer besser!“, lachte Tyran neben ihm und klopfte seinem Freund belustigt auf die Schulter.
Wütend funkelte Roan seine Schwestern an, das würden sie später klären – alleine!
Schwarze Augen starrten ihn an und ein kalter Schauer lief dem Krieger über den Rücken. Jedem hier waren diese Augen unheimlich, seine Schwester ließ sich jedoch bedenkenlos neben dem Magier auf den Boden plumpsen und grinste ihn breit an.
„Du siehst aus wie ein Dämon!“, flötete Esmera, dann rieb sie sich ihre nackten Unterarme. „Und kalt wie ein Schneeberg.“
Die Mundwinkel des Magiers zogen sich leicht nach oben, dann nahm er noch einen Schluck von seinem Tee.
„Das macht die schwarze Magie.“, erwiderte er schulterzuckend.
Nun hatte er wirklich sämtliche Aufmerksamkeit gefangen.
„Schwarze Magie?“, flüsterte Roans Schwester atemlos. Ihrem Blick nach zu urteilen wollte sie jetzt alles bis aufs kleinste Detail wissen. Und sie konnte sehr stur sein!
Seufzend zupfte der schmale Bursche an seiner Kleidung, lehnte sich dann etwas näher zum Feuer und starrte Esmera an.
„Ich vermute mal, dass ihr alle wisst was schwarze Magie ist?“
„Ja. Böse Magie.“ Roan verzog das Gesicht, das war wirklich eine sehr einfallsreiche Antwort gewesen.
„Ja. Eigentlich wohnte jedem Wesen Magie inne, manchen mehr, anderen weniger. In der Natur findet man am meisten Ansammlungen von Magie. Wir Magier können diese Magie lenken und formen, benutzen sie zum heilen oder aber um der Natur ab und an einen kleinen Anstoß zu geben. Manchmal auch nur um einer adeligen Dame durch kleine Zaubertricks den Abend zu versüßen.“ Die Bitternis in seiner Stimme ließ Roan die Augenbrauen überrascht nach oben schnellen. Das klang gar nicht freundlich Magiern gegenüber.
„Jedenfalls gibt es dann aber auch noch die schwarze Magie, falsche Magie. Oft ist es Magie, die durch irgendwelche Zwischenfälle verschmutzt wurde, zum Beispiel, wenn man ein junges Magiebegabtes Kind brutal ermordet. Bei dieser Hinrichtung nimmt die Magie die Emotionen des Opfers auf, seine Angst und den Hass. Wenn einmal schwarze Magie frei gesetzt wurde, dann kann man sie nicht wieder rückgängig machen.“ Den Kriegern standen die Nackenhaare auf bei der Erzählung des blonden Mannes, welcher traurig in die Flammen starrte.
„Wie grausam.“, nuschelte die Schwarzhaarige, wollte dem Magier trösten die Hand auf die Schulter legen, doch dieser zuckte weg von ihr.
„Nicht anfassen!“, donnerte er auch gleich los und versetzte Roan in Alarmbereitschaft. Sollte das Monster seiner Schwester auch nur ein Haar krümmen, dann Magie hin oder her, er würde ihm die Glieder einzeln raus reißen.
„Entschuldigt.“, seufzte der Mann dann und blickte in die Runde. Seine schwarzen Augen blieben an Roans geballten Fäusten hängen.
„Schwarze Magie kann nur durch einen Magier abgebaut werden. Oder aber die eigene Magie ist selber stark genug.“, erklärte er weiter und blickte zurück zu Esmera.
„Heißt, dass du sie absorbiert hast?“, schlussfolgerte diese.
„Ja. Feliras Körper war schon zu schwach, ihre Magie nicht stark genug. Der Runenstein konnte leider auch nicht genügend aufnehmen, daher musste ich sie in meinem Körper verschließen. Lass es mich so erklären. Wenn man einen kleinen Brocken Erde in einen Fluss wirft, dann wird er weg gespült, bei sehr viel Erde dauert dies jedoch eine Weile. So beläuft sich das mit der Magie.“
„Also baut deine Magie gerade die böse in deinem Körper ab? Deshalb bist du so kalt? Und deine Augen?“
„Das sind alles Nebenwirkungen der schwarzen Magie, ja. Ich weiß nicht genau, ob sie dich nicht verletzten würde, wenn du mich berühren würdest.“
„Du musst sehr viel in deinem Körper abgeladen haben, wenn sie selbst bis in deine Augen vordringt- so nah bei deinem Gehirn.“, krächzte die Stimme der alten Schamanin über das Feuer hinweg. Schweigend starrten die schwarzen Augen zurück, dann fuhr er sich müde über sein Gesicht.
„So viel wie möglich.“, antwortete der Magier schließlich und Roan fragte sich einen Moment, wie viel so viel wie möglich wohl sein konnte.
„Was passiert, wenn es zu viel Erde ist und sie den Fluss verstopft?“, brach Esmera das Schweigen. Ja was genau passierte dann? Einen Moment schwieg der blonde Mann, dann seufzte er und sah Esmera direkt an.
„Der Fluss stirbt.“
Tag der Veröffentlichung: 15.07.2013
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