Es war im Herbst an einem späten Nachmittag. Ich stand vorm Waldrand und war noch unschlüssig ob es klug war zu solch realtiv später Stunde und alleine zwischen die Bäume zu treten und noch Beeren sammeln zu gehen. Wölfe lauerten irgendwo dort und hatten auch schon einige Wanderer auf dem Gewissen. Allerdings hatte Mutter mit Schlägen gedroht, wenn ich ohne die Beeren wiederkam. Ich betrat wiederwillig den Wald und fühlte die Freiheit der Natur. Eigentlich liebte ich diesen Wald. Vater war oft mit mir dort gewesen und hatte mir einen kleinen Teich sowie die Stelle an der die Beeren wachsen gezeigt. Wir hatten manch schönen Tag gemeinsam mit den Bäumen verbracht. Das war lange vorbei. Kurze Zeit folgte ich noch den Wegen, doch bald ging ich einfach durch das Dikicht um die Sträucher zu erreichen. Die vom Hebst gezeichneten Blätter der Bäume lagen überall auf dem Boden und fielen vereinzelt hinunter. Wie kleine Boote segelten sie langsam durch die Luft und landeten schließlich auf dem Gras. Es war wirklich wunderschön. Die Sonne brach gelegentlich durch das Blätterdach und blendete mich. Endlich hatte ich die Sträucher erreicht, doch besonders viele Beeren hingen nicht daran. Wenigstens etwas. Ich sammelte so viel ich konnte und warf alles in meinen kleinen Korb. Plötzlich hörte ich ein Rascheln hinter mir und es wurde kalt um mich herum. Panik stieg in mir auf. Wenn das die Wölfe waren, war dies mein Todesurteil. Langsam drehte ich den Kopf und sah hinter mich. Es waren keine Wölfe. Eine Frau stand vor mir. Sie war wunderschön in ihrem weißen Kleid und der bleichen Haut. Die dunklen Haare hatte sie hochgesteckt und mit Schneeflocken befestigt, zumindest sah es so aus. Erst da fiel mir auf das sich eigentlich überall Schneeflocken tummelten. Auf ihrem Kleid in den Haaren und auf ihrer Krone. Vor mir stand also eine Adelige. Ich drehte mich nun gänzlich um und erhob mich. Die Frau musterte mich und sah mir schließlich lächelnd in die Augen.
"Hallo."
"Ehm... Hallo?"
"Wie heisst du mein Kind?"
"Jacky."
"Das ist ein sehr schöner Name. Er passt auch ausgesprochen gut, wusstest du das?"
"Wer sind sie und was wollen sie?"
"Oh. Verzeihung. Ich bin Kathleen und ich möchte dir gerne helfen. Wir haben lange nach dir gesucht und dich beobachtet. Jetzt sind wir uns nun endlich sicher und wollen dich zu uns holen."
Ok... Sie musste verrückt sein! Wie sollte man sich diesen Schwachsinn sonst erklären?!
"Ehm... Nein."
"Nein?", fragte mich Kathleen verdutzt.
"Nein! Ich werde nicht mit einer Fremden irgendwo hingehen zu Leuten die ich nicht kenne. Vielleicht lebe ich ab und an etwas leichtsinnig, doch ich bin nicht lebensmüde."
Sie sah mich erstaunt an und griff in ihre Tasche. Schnell zog ich mein Jagdmesser aus der abgewetzten Lederjacke und hielt es beinahe kramphaft fest.
"Keine Sorge. Ich will dir nichts tun."
Ich glaubte ihr nicht. Irgendwas lies mich misstrauisch bleiben. Mein Gefühl bei der Sache war nicht besonders gut. Vorsichtig und langsam holte sie ihre zur Faust geballten Hand aus der Tasche. Kleine blaue Flammen züngelten zwischen ihren Fingern hindurch und ich starrte geschockt auf ihre Hand.
"Was ist das?"
"Dein Schicksal."
Bevor ich antworten konnte öffnete sie ihre Hand und ein eisblaues Feuer kam zum Vorschein. Mein Verstand verabschiedete sich winkend und ich blendete die Welt um mich herum aus. Nicht mal den Temperaturumschwung hatte ich mitbekommen. Es war kalt. Höllisch kalt. Meine Füße bewegten sich wie von alleine vorwärts und ich konnte mich nicht dagegen wehren. Etwas so wunderschönes hatte ich noch nie gesehen. Wie ein echtes Feuer bewegte es sich mit der Luftströmung, nur die Farbe war anders. Und irgendwas mit der Wärme stimmte nicht. Es wurde immer kälter je näher man kam. Mein Arm hob sich und ich streckte die Finger danach aus. Der Schmerz war stechend und zog augenblicklich durch meinen gesamten Arm. Die Flamme züngelte nun an mir hoch und hinterlies eine schwarze Spur meiner Adern, in denen das Blut gefrohr. Ich begann nur noch stoßweise und schwer zu atmen. Die Schmerzen folgten dem Feuer und bewegten sich auf mein Herz zu. Tränen des Schmerzes drangen in meine Augen, doch ich musste lächeln. Ich würde hier sterben hallte es durch meinen Kopf und ich würde meinen Vater wiedersehen. Hoffte ich zumindest. Es war meine einzige Hoffnung. Vor meinen Augen verschwamm die Welt und ich blickte mich ein letztes mal um, prägte mir meine wunderschöne Umgebung ein. Als mein Blick Kathleen streifte legte ich all den Hass und die Wut in meine Augen. Die Welt wurde schwarz und ich fiel in einen traumlosen Schlaf.
Mit furchtbaren Kopfschmerzen wachte ich auf und setzte mich mit einem Schlag kerzengerade hin. Nicht meine beste Idee, denn nun war mir schwindlig und ich hielt mir den noch immer schmerzenden Schädel. Was war nur passiert? Meine Erinerrung kehrte langsam zurück und ich starrte schockiert auf meine Hände. Keine schwarzen Adern oder Verletzungen, nur etwas Erde und ein paar Steine hatten sich in meine Handfläche verkeilt. Verwirrung setzte ein und ich blinzelte ein paar mal gegen die Sonne. Sonne? Es war also morgens und ich hatte die ganze Nacht auf dem feuchten Gras gelegen und geschlafen. Langsam versuchte ich aufzustehen. Meine Beine schmertzten etwas, doch meinem Rücken hatte das Nickerchen überhaupt nicht gefallen. Die Schmerzen waren noch stärker als sonst. Ich würde es überleben. Zumindest würde ich es noch nach Hause schaffen, was genau dann geschah wollte ich nicht wissen. Wie sollte ich das meiner Mutter erklären? Und was würde passieren, wenn sie mir nicht glauben würde? Eigentlich wollte ich es nicht herausfinden, doch irgendwo musste ich ja hin. Der Korb mit den Beeren lag zu meinen Füßen und die meisten der roten Früchte hatte sich auf dem Waldboden verteilt. Vorsichtig schob ich die, die ich noch retten konnte, zurück. Besonders viele waren es nicht, doch besser als nichts. Jetzt brauchte ich noch eine gute Ausrede. Ich war auf einen Baum geklettert, um ein paar Äpfel zu pflücken und dabei rutschte ich aus, fiel herunter und wurde Ohnmächtig. Das klang ganz gut. Könnte funktionieren. Mit pochenden Kopfschmerzen machte ich mich auf den Weg zurück nach Hause. Hatte ich mir alles nur eingebildet? Aber woher hatte ich die Kopfschmerzen? Vielleicht hatte ich mir wirklich den Kopf angeschlagen. Ich konnte mir ja wirklich verrückte Sachen ausdenken. Wo hatte ich so etwas bloß hervorgeholt? Der Waldrand kam immer näher und ich beschloss diesen Alptraum einfach zwischen den Zweigen und dem Gras zu lassen. Mein Tempo beschleunigte sich als ich daran dachte, was mich erwarten würde wenn ich seelenruhig hinein spazieren würde, während meine Mutter kochte. Schnell kam ich aus der Puste und mir wurde schwindlig, doch ich hatte es geschafft. Ich war zu Hause. Jetzt wurde es erst wirklich anstrengend. Vorsichtig öffnete ich die Tür und trat ein. Alles war ruhig, also wagte ich mich langsam in Richtung Küche und wie erwartet stand Mutter dort und kochte wie gewohnt eine dünne Suppe. Leise versuchte ich an der Tür vorbei zu schleichen. Natürlich hatte sie mich gehört und ich spürte ihre kräftige Hand im Nacken.
"Wo warst du?", fragte sie mich mit einer Ruhe, die eindeutig Ärger bedeutete.
"Ich bin im Wald von einem Baum gefallen als ich ein paar Äpfel pflücken wollte, dabei bin ich Ohnmächtig geworden."
"Und das soll ich dir glauben? Aber gut wenn du unbedingt lügen willst, dann kann man nichts machen. Auf dein Zimmer."
"Aber..."
"NICHTS ABER. AUF DEIN ZIMMER."
Geschlagen stieg ich die Treppe hoch und schloss die Tür hinter mir. Ich streifte meine abgenutzten Lederstiefel ab und hängte die Jacke meines Vaters sorgfältig über das Ende meines Bettes. Müdigkeit kroch sich in meine Knochen und ich zog schnell meinen Pulli über. Nachdem ich das Licht ausgemacht hatte legte ich mich ins Bett und deckte mich mit der alten Filzdecke zu. Eigentlich frohr ich nicht, doch in der Nacht kam die Kälte. Sie schlich sich leise durch jede noch so kleine Ritze und lies mich des öfteren hochschrecken oder im Traum frösteln. Mein Vater hatte mir immer erzählt Jack Frost, ein frecher Jugendlicher, kroch gerne nachts zu hübschen Mädchen und deshalb war mir so oft kalt. Er würde mich so gern mögen, dass er neben mir schlief und ich aufpassen müsse, damit er mich nicht küsste. So einen Kuss überlebte man nicht. Mich machte das neugierig also versuchte ich ihn zu fangen, doch Jack Frost lies sich nicht fangen. Er war einfach zu gerissen. Ich hatte nicht gemerkt wie die Tränen über meine Wangen gelaufen waren und erschrak. Seit dem Tod meines Vaters hatte ich nicht geweint. Eine Nacht und danach nie wieder. Schnell wischte ich die Nässe weg als hätte ich mich daran verbrannt, wie an Säure. Meine Augen schlossen sich und ich lag bewegungslos unter meiner Decke. Langsam fiel ich in einen tiefen traumlosen Schlaf.
Die Sonne weckte mich unbarmherzig auf und ich öffnete meine Augen. Verschlafen und müde starrte ich für ein paar Sekunden an die Decke, bevor ich mich aufsetzte und meine Beine aus dem Bett schwang. Ich stand endgültig auf und mein Magen knurrte bereits, doch daran hatte ich mich längst gewöhnt. Frühstück würde es erst in zwei Stunden geben also zog ich meinen Pulli aus und schlüpfte zurück in Stiefel und Jacke. Meine schwarzen Haare band ich zu einem Zopf zusammen und ich steckte mein Jagdmesser ein. Die Arbeit wartete bereits, deshalb machte ich mich auf den Weg die Treppe hinunter. In der Küche trank ich ein Glas Wasser und verließ das Haus um auf den Markt zu gehen. Meine Mutter war bereits am Stand und stritt mit einem Kunden über den Preis für eine Mütze. Als ich dazu kam verzog sich der ältere Mann, ohne die Mütze und Mutter fluchte, weil sie mal wieder nichts verkauft hatte.
"Da bist du ja endlich. Und? Gut geschlafen, während ich mich hier abgerackert habe?"
Entschuldigend neigte ich den Kopf und machte mich daran etwas charmanter an die Verkaufsgespräche heranzugehen. Es war wirklich faszinierend, wie unterschiedlich Menschen sein konnten und sie sich doch alle so ähnelten. Der Morgen war besonders kühl und das Geschäft lief besser als sonst. Alle wollten sich mit Winterkleidung eindecken und die meisten trugen sie bereits. Ich würde wohl nie verstehen, wie man bereits so eingepackt rumlaufen konnte. Die Kundschaft verflüchtigte sich langsam und die Menschen verließen den Markt. Nachdem ich die restliche Ware in den Körben verstaut hatte, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Während ich die Straße entlang lief, kam ein leichter Wind auf und er fuhr mir durch die Haare und lies meinen Zopf hin und her schwingen. Da sah ich ein kleines Mädchen am Straßenrand sitzen. Sie trug ein viel zu großes, dünnes Hemd und eine vollkommen durchlöcherte Hose. Der kalte Wind lies sie frieren, doch sie versuchte ihre Beine näher heran zu ziehen, um ihre Körperwärme aufrecht zu erhalten. Ich wühlte kurz in einem Korb und fand wonach ich gesucht hatte. Mit langen schnellen Schritten näherte ich mich der Kleinen und warf ihr einen Pullover, Handschuhe, einen Schal und eine Mütze vor die Füße. Sie starrte verständnislos auf den Haufen und strahlte mich dann an, bevor sie sich alles anzog. Es passte zwar nichts zusammen aber es sollte sie nur warm halten also war der Rest egal. Ich sah die vielen Löcher, durch die der Wind immer wieder hindurch fegte. Die Haut hatte sich blau verfärbt und ohne weiter zu zögern streckte ich ihr meine Hand entgegen. Verwirrt sah sie zu mir hoch.
"Was wird das?"
"Ich nehme dich mit. Wonach sieht´s denn aus?"
"Warum? Mir geht´s gut."
"Jaja. Du bist mindestens so sturköpfig wie ich. Komm schon, ich will nur deine Löcher in der Hose stopfen und ein bisschen Brot wäre auch noch drin."
"Ok.", gab sie schulterzuckend nach.
Sie stand auf ohne meine Hand zu nehmen und wir setzten uns nebeneinander in Bewegung. Von der Seite musterte ich sie nun genauer und stellte fest das sie genauso alt sein musste wie ich. Süße 16 und hübsch war sie auch. Ihre Haare waren haselnussbraun und umrundeten ein schmales Gesicht. Sie sah etwas dünn aus und ihre Haut war gut gebräunt. Vermutlich noch vom Sommer. Die Augen hatten dieselbe Farbe,wie ihre Haare. Eigentlich sah sie relativ nett aus, doch ich würde ihr nur kurz helfen und dann würden sich unsere Wege wieder trennen. So war das Leben. Sie würde es schon schaffen und wenn nicht wäre es nicht mehr mein Problem. Am Haus angekommen, öffnete ich vorsichtig die Tür und horchte nach meiner Mutter. Es kamen keine Geräusche aus der Küche und auch sonst schien das Gebäude verlassen zu sein. Wir traten ein und ich führte das Mädchen die Treppe hoch.
"Wie heißt du eigentlich?", fragte ich sie.
"Sahra.", antwortete sie gleichgültig.
Irgendwie wirkte sie sehr abweisend und ich freute mich darauf sie wieder loszuwerden. Warum musste ich nur so furchtbar nett sein?! Naja bald war ich sie ja wieder los. In meinem Zimmer zog ich eine Schachtel unter meinem Bett hervor und holte ein kleines Kästchen heraus. Mit Nadel und Faden bewaffnet fing ich an kleine Stoffstücke auf die Löcher der viel zu großen Hose zu nähen.
"Was ist das?", fragte Sahra mich und schob den Ärmel meiner Jacke etwas zurück.
Genervt sah ich mir an was sie wohl gesehen hatte und starrte geschockt auf meine Haut. Ich war schon immer blass gewesen, doch von meinem Handgelenk aus zog sich nun eine weiße Linie aus Schneeflocken und feinen sich kräuselnden Mustern nach oben bis sie unter dem Ärmel verschwanden. Schnell schlüpfte ich aus meiner Jacke und betrachtete meine nackte Haut. Die Linien zogen sich mit meinen dunklen Adern meinen Arm hinauf und verschwanden unter meinem schwarzen T-Shirt.
"Hast du das Tattoo schon lange?"
Sahra hatte ich über meinen Schock schon vergessen und sprang erschreckt auf als sie mich ansprach. Irritiert sah ich mich im Raum um und dachte nach was ich machen sollte. Das war kein Tattoo. Ich hatte mich schließlich nicht tätowieren lassen. Meine Mutter würde mich umbringen, wenn ich auch nur auf die Idee kommen würde und jetzt hatte ich aus irgendeinem Grund Schneeflocken auf meinen Armen. Wer weiß wie weit sich das ganze noch gezogen hatte. Mir fiel mein Traum wieder ein und ich realisierte die furchtbare Wahrheit. Es war tatsächlich so passiert. Diese verrückte Frau hatte etwas mit mir gemacht und damit würde ich von zu Hause abhauen müssen. Sonst würde meine Mutter mich wohl erwürgen oder mindestens rausschmeißen. Dann packte ich doch lieber meine Sachen und haute ab.
"Du musst jetzt gehen."
"Was?"
"Du musst verschwinden. Ich hab zu tun. Tut mir Leid wegen der Hose und dem Essen aber unten in der Küche kannst du dir das letzte Stück Brot mitnehmen."
"Ist alles ok?"
"JA und jetzt geh!", meinte ich schroff.
Eigentlich wollte ich nicht gemein sein aber ich hatte meine eigenen Probleme. Ich sah noch wie Sahra aus dem Zimmer ging und eilte dann zu meinem Bett. Auf Knien suchte ich den Boden nach meinem Versteck ab und fand schließlich die losen Bretter. Vater hatte immer gesagt ich solle auf alles gefasst sein also hatte ich einen Rucksack besorgt und für den Notfall gepackt. Ein Seil, eine Decke, Wasservorräte und Trockenfleisch waren immer darin vorhanden. Mir kam eine Idee und ich lief zügig nach unten, wo ich Streichhölzer, Draht und Verbandszeug zusammensuchte. Wieder oben angelangt verstaute ich alles und warf mir die Lederjacke und den Rucksack über. Kurz prüfte ich noch ob ich auch das Jagdmesser in der Jackentasche hatte, dann stürmte ich die Treppe hinunter und zur Tür. Leider rannte ich genau in meine Mutter hinein.
"Kannst du nicht aufpassen? Und wo willst du überhaupt hin?"
"Ehm...", stotterte ich mit offenem Mund.
Meine Verstand arbeitete an einer Erklärung als sie meine Tasche erblickte und ihr Kopf rot wurde.
"WAS HAST DU VOR? WILLST DU ETWA ABHAUEN?, schrie sie wütend.
"Ja", antwortete ich trocken.
Geschockt sah sie mich an. Normalerweise wäre ich bei diesem Tonfall klein geworden und hätte mich in mein Zimmer verzogen, doch diesmal war es anders. Ich würde sowieso gehen also was hatte ich zu verlieren?!
"Viel Glück. ALLEINE.", schrie ich ihr hinterher als ich mich an ihr vorbei gezwängt hatte.
Schnell rannte ich los, während die Frau hinter mir wütend herumschrie. Aus einem Reflex heraus lief ich auf den Wald zu und verschwand im Schatten der Baumkronen.
Ein kalter Wind folgte mir und lies Blätter in verschiedensten Farben auf mich regnen. Ohne nachzudenken trugen mich meine Füße immer tiefer hinein und als ich mir sicher war das ich weit genug weg war hielt ich an. Mein Atem ging nur noch stoßweise und das Seitenstechen hatte ich bisher auch noch nicht bemerkt. Viel weiter würde ich nicht kommen also entschied ich mich einen Schlafplatz zu suchen. Erst da fielen mir erneut die Wölfe ein und kurz bekam ich Panik. Wenn sie mich finden würden, wäre ich tot! Keine schöne Aussicht...
Schnell schüttelte ich diesen Gedanken wieder ab und machte mich daran einen geeigneten Baum zu suchen. Weiter oben zu schlafen wäre wesentlich sicherer aber dafür brauchte man auch ein klein wenig Hilfe der Natur. Langsam und penibel suchte ich meine Umgebung ab und stieß auf einen kleinen See. Ich blieb wie angewurzelt stehen und lies es auf mich wirken. Der See war durchzogen von Schilf und nicht weit stand eine Trauerweide. Mir kam dieses Bild unheimlich vertraut vor, doch sobald ich die Erinnerung greifen wollte verschwand sie wieder im Teich meines Unterbewusstseins.
Die Trauerweide sollte einen guten Schlafplatz abgeben also lief ich darauf zu und tauchte unter den hängenden Ästen hindurch. Es war wunderschön wie die Abendsonne durch die lichten Blättervorhänge schien. Ein tiefes Rot, das beinahe wie Blut wirkte, tauchte alles in ein Farbenspiel von natürlicher Schönheit. Fast hypnotisiert starrte ich in den Himmel, doch als mir der kühle Wind die Haare ins Gesicht wehte, schüttelte ich den Kopf und kehrte zu meinem eigentlichen Vorhaben zurück. Mit den Händen griff ich ein paar Äste und setzte den Fuß an die raue Rinde des Baums. Tief holte ich Luft bevor ich mich mit einem Ruck nach oben zog. Mein rechtes Bein schwang wie von selbst über den nächsten Ast und ich stand knapp einen Meter über dem Boden. Ich wiederholte dieses Vorgehen, bis ich drei Meter hoch war und mich erschöpft auf die einladende Gabelung setzte.
Nachdem ich wieder zu Atem gekommen war, nahm ich den Rucksack und suchte nach meinem Seil. Um nicht im Schlaf von der Gabelung zu fallen, musste ich mir ein Sicherheitsnetz aus dem Seil über die Äste flechten. So hatte es mir mein Vater beigebracht. Wirklich gemütlich war die Konstruktion nicht, doch gefressen werden war keine Option. Die letzten Sonnenstrahlen kündigten die Nacht an und langsam kroch die kühle Luft in meine Jacke. Zumindest hätte es kühl sein müssen. Ich spürte den Luftzug, doch die Kälte blieb fern. Trotzdem schloss ich aus Vorsicht die Jacke und holte die Decke aus dem Rucksack. Besonders groß war sie nicht aber ich konnte mich damit einwickeln und dass sollte mir eine Erkältung ersparen.
Aus dem Rucksack holte ich noch Wasser und ein paar Streifen Trockenfleisch. Es war schwer zu kauen und der Geschmack war mehr als gewöhnungsbedürftig. Das Wasser war zwar erfrischend, doch die Erschöpfung schlich sich in meine Glieder. Im Herbst wurde der Himmel so unglaublich schnell schwarz und die Nacht brach plötzlich aber nicht überraschend auf mich ein. Noch kruz betrachtete ich die Sterne, die ich zwischen den Blättern und herabhängenden Ästen sehen konnte. Dann fielen mir die Augen zu und ich schlief ein. Die Nacht blieb zwar traumlos aber dafür war mein Morgen wesentlich spektakulärer.
Ich wachte auf und musste mich festhalten, um vor Schock nicht vom Baum zu fallen. Der gesamte Baum war mit Frost bedeckt, sowie meine Decke. Auf dem Boden lag eine dünne Schicht Schnee und sobald ich das ganze Betrachtet hatte, fing es an zu tauen. Der Frost verschwand und der Schnee schmolz. Fasziniert sah ich zu, wie die Sonne ihre Strahlen durch das Blätterdach warf. Kurz streckte ich meine Glieder und zuckte vor Schmerz zusammen. Muskelkater. Schlecht gelaunt startete ich den Tag und faltete meine feuchte Decke zusammen.
Ich würde sie wohl später noch in der Sonne trocknen müssen, doch zuerst brauchte ich irgendwas essbares. Meinen Vorrat würde ich erst im Notfall anbrechen. Trockenfleisch hielt sich schließlich länger. Vorsichtig kletterte ich an den Ästen herunter und lies mich auf den Boden fallen. Sofort fingen meine Füße an zu Schmerzen als sie nach langer Zeit wieder den Boden berührten. Ich dehnte meine Muskeln und atmete tief die kühle frische Luft ein. Immer noch etwas steif ging ich zum Seeufer und trank etwas.
Mein Blick wanderte am Ufer entlang auf der Suche nach etwas essbarem. Besonders viel Ahnung hatte ich nicht, doch ich kannte ein paar Wurzeln und Beeren, die mich nicht umbringen würden. Ein paar Meter weiter entdeckte ich am Waldrand ein paar Farne und erinnerte mich an den leicht nussigen Geschmack ihrer Wurzeln. Ich rappelte mich auf, sammelte so viel ich zu fassen bekam und wusch alles im Seewasser. Nachdem ich dann ein gutes dutzend an fingerlangen Wurzeln verstaut hatte, sah ich mich ein letztes mal auf meiner Lichtung um. Mit dem Gedanken im Kopf, dass ich mich bisher nirgends so heimelig gefühlt hatte, ging ich los. Das morgendliche Sonnenlicht brach durch das lichter werdende Blätterdach des Waldes und verlieh ihm etwas mystisches.
Ein Ziel hatte ich nicht, doch ein Hochstand würde mir bereits reichen. Außerdem wäre ein Feuer und eine etwas größere Waffe als ein Jagdmesser. Vor allem beim Gedanken an die Wölfe hätte ich gerne Pfeil und Bogen auf dem Rücken gehabt. Schon jetzt horchte ich angestrengt auf jegliche Anzeichen und bei jedem knackenden Ast zuckte ich vor Schreck zusammen.
Ziellos wanderte ich durch den Wald und grübelte über meinen nächsten Schritten. Die Sonne begleitete mich durch das Blätterdach und trat ihren Weg Richtung Westen an. Regelmäßig lies ein Windzug Blätter auf mich herabregnen. Wahrscheinlich hatte ich bereits alles mögliche an Gestrüpp in den Haaren. Gedankenverloren starrte ich auf meine Handgelenke. Wieso passierte so etwas immer mir? Aber was genau war mir eigentlich passiert?
Ich brauchte eine Pause. Suchend schaute ich mich nach einem geeignetem Platz um. Schließlich entschied ich mich für die hervorstehende Wurzel einer Eiche. Die noch feuchte Decke legte ich auf ein sonniges Fleckchen Gras.
Ich streifte meine Jacke ab, schob mir eine der faserig, holzigen Wurzeln zwischen die Zähne und glitt mit den Fingern über die Tattoowierungen auf meiner Haut.
Es waren keine Tattoo 's.
Die feinsten Narben die ich in meinem Leben je gesehen hatte. Mit den Finger fühlte ich vorsichtig die leicht hervorstehenden Linien. Wie viel von meinem Körper diese Zeichen bedeckten wusste ich nicht. Genauso wenig wo diese herkamen. Die Schneeflocken verflochten sich mit einer dünnen Linie zu einer Art Band das sich die Arme hinauf schlang und von kleinen Symbolen unterbrochen wurde die ich nicht kannte.
Tag der Veröffentlichung: 18.06.2015
Alle Rechte vorbehalten