Museum des Grauens
von
C. J. Walkin
Text Copyright © 2014 C. J. Walkin
Covergestaltung © CMR
Originalfoto © Matthias Riesenberg / pixelio.de
Schriften: Feast of Flesh/ 1001fonts.com
SF comic Script/ 1001fonts.com
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Simon Kavalas war ein Einbrecher, ein Dieb. Meist kam er, wenn die Menschen nicht zu Hause waren, wenn sie ihr Haus und ihre Habseligkeiten in Sicherheit wägten. Dieser Irrglaube wurde noch durch ihre ultramodernen Alarmanlagen bestärkt, für die ein Profi wie Kavalas nur wenige Sekunden brauchte, um sie auszutricksen.
Doch eine moderne Alarmanlage war im Augenblick nicht Kavalas Problem.
Kavalas rannte um sein Leben.
Wie bin ich nur hier rein geraten?, schoss es ihm immer wieder durch den Kopf, wobei dieser Gedanke noch durch einen viel dringenden überlagert wurde: Renn! Renn, so schnell du kannst! Und sieh dich bloß nicht um!
Kavalas wollte sich auch gar nicht umdrehen. Was er dort vor wenigen Momenten erblickte, hatte sich unauslöschlich in sein Hirn gebrannt.
Nie würde er es vergessen.
Nie.
Auch wenn sein Gehirn verzweifelt versuchte, das Gesehene zu erklären. Es würde es nicht schaffen.
Dann hörte er wieder diese Laute hinter sich. Diese furchtbaren, nicht menschlichen Laute, die ihn dazu veranlassten, noch schneller die nur spärlich durch Neonröhren erhellten Gänge des alt wirkenden, jedoch erst letztens eingerichteten Museums herunter zu laufen, unentwegt den Ausgang suchend.
So schlimm sein Tag zu enden schien, so gut hatte er angefangen.
Kavalas hatte sich schon vor Wochen mit seinem Kumpel und Komplizen Peter Hurst in das Team eingeschlichen, das helfen sollte, das Museum für die neue Ausstellung fertig zu machen. “Wahre Monster“ sollte diese heißen, aber weder die Ausstellung noch was dort ausgestellt wurde, weckte Kavalas und Hurst Interesse, jedenfalls nicht die Monster.
Ihr Augenmerk galt vielmehr etwas, welches nur ein nebensächlicher Teil der Ausstellung war: mitunter faustgroße Edelsteine, welche in einer nachgebildeten germanischen Grabkammer als Beigaben lagen. Und dazu gehörten weiter auch altertümliche Kronen und Juwelen irgendwelcher archaischen, längst vergangenen Völker.
Das, was Kavalas daran so interessierte, war der Umstand, dass es sich bei sämtlichen Exponaten um ungeschliffene Edelsteine handelte, die man problemlos auf dem Schwarzmarkt versetzen konnte, da man sie ohne großen Aufwand zerstückeln und zu ihrem wahren Wert umzugestalten konnte. Kaum einer wusste, dass die Steine echt waren, sonst wäre wohl der Sicherheitsaufwand immens gewesen, aber davon war alles weit entfernt. Es gab im Grunde keinen, bis auf neu vergitterte Fenster.
Die ganzen letzten Wochen hatten Kavalas und Hurst sich nicht die geringste Blöße gegeben. Es wäre zwar ein Leichtes gewesen, die Juwelen zu stehlen, aber ebenso schnell wäre ihnen die Polizei auf der Spur gewesen, da dies viel zu auffällig gewesen wäre. Das sah am Vorabend der Eröffnung der neuen Ausstellung anders aus.
Wie zu erwarten – und durch Kavalas und Hurst unwesentlicher Hilfe –, hatten sich die Aufbauten der Ausstellung verzögert. Da man aber den Eröffnungstermin unbedingt halten wollte, musste alles plötzlich sehr schnell gehen. Dies hieß zu improvisieren. Hauptsache, die Eröffnung fände wie geplant statt.
Morgen sollte diese Eröffnung stattfinden und Kavalas und sein Komplize besaßen ungehindert Zugang zum Museum. Während der ganzen vorherigen Wochen hatten sie für einen reibungslosen Ablauf gesorgt. Dazu gehörte auch, dass sie die gewissen Hindernisse aus dem Weg räumten, ohne dass jemand Verdacht schöpfte. Eine Schraube hier, ein Schloss da und schon spazierten sie in der Nacht ins Museum, ohne dass das veraltete Alarmsystem sie meldete.
Von irgendwelchen Nachtwächtern war auch keine Gefahr zu erwarten, denn es gab keine. Erstens, weil der Besitzer der Ausstellung, ein kauziger alter Mann, eigentlich gar keine haben wollte, auch wenn man von anderer Seite darauf bestand, und zweitens waren diese dann doch angeforderten Wachmänner zu einem falschen Termin bestellt worden. Wie es zu dieser nicht nachvollziehbaren Panne kommen konnte, war einzig und alleine Kavalas und Hurst klar. So mussten die beiden im Grunde nur zu den Juwelen gehen und sie mitnehmen. Es war schon zu einfach.
Und dann brach der ganze Traum vom schnellen Geld in sich zusammen und wurde zu einem Albtraum, der nun drohte, Kavalas Leben zu beenden.
Kavalas rannte und rannte.
Sein kahl rasierter Schädel glänzte vor Schweiß, erzeugt durch übermäßige Anstrengung, aber auch grenzenlose Panik.
Obwohl Hurst Todesschreie schon lange verklungen war, hallten sie in Kavals Ohren noch immer nach.
Nie würde es diese Schreie vergessen.
Die Schreie, die voller Schmerzen seinen Namen riefen.
Hurst war nicht nur sein Verbündeter gewesen, sondern sein Freund. Seit frühester Jugend hatten sie sich aufeinander verlassen.
Wie oft hatte Hurst ihn schon aus so mancher brenzligen Situation geholfen?
Und jetzt hatte er ihn einfach sterben lassen.
Er hatte nicht einmal überlegt.
Er war einfach losgerannt.
Hatte sich nicht mehr umgeblickt.
Dann waren Hurst Schreie erklungen.
Und mit ihnen dieses unsägliche Geräusch. Das gleiche Geräusch, das sich ihm nun unaufhaltsam näherte.
Kavalas hatte längst die Orientierung verloren. Verzweifelt versuchte er, irgendetwas zu erkennen, das ihm bekannt vorkam.
War er nicht Tag für Tag durch diese Gänge marschiert?
Hatte er sich nicht alles ganz genau eingeprägt, um heute an ihrem großen Tag, den Plan durchführen zu können?
Um auf alles vorbereitet zu sein?
Doch wie hätten sie auf dies vorbereitet sein können?
Wie auch nur erahnen können?
Nie hätte er…
Da war es wieder.
Dieses grauenhafte Geräusch.
Ganz nah.
Und es kam näher.
Immer näher.
Kavalas lief.
Und plötzlich endete der Gang an einer Mauer.
Entsetzt blickte der Meisterdieb die Wand an, als könnte er sie einzig und alleine durch seinen verzweifelten Blick auflösen.
Ein Loch reinbrennen, durch das er sich hätte durchzwängen können und dem Grauen dieser Nacht entkommen können.
Doch die Mauer blieb massiv wie sie war und wurde zu seinem Grab.
Denn das Entsetzliche, das Hurst Leben gefordert und Kavalas hatte entkommen wollen, zeichnete seinen sich grässlich windenden Schatten an der Wand.
Mit panikverzerrtem Blick drehte sich Kavalas um.
Blickte in dieses monströse Auge.
Und dann schrie Kavalas.
Schrie wie noch nie in seinem Leben.
Bis die sich windenden Schatten seine Schreie und sein Leben beendeten.
“Wow!”, entfuhr es Michael. „Das sieht echt aus wie Wayne Manor.“
Jan konnte ihn gut verstehen. Der Anblick war einfach gigantisch. Endlich waren sie am Ziel ihrer beider Träume.
Als die beiden dreiundzwanzigjährigen Studenten von der Eröffnung der Ausstellung erfuhren, waren sie Feuer und Flamme, sie am Premierentag zu besuchen. Schon die erste Vorankündigung verhieß, dass ihre kühnsten Träume wahr werden sollten, direkt in der Nähe der nächsten Stadt.
Irgendein immens reicher Sammler hatte beschlossen, sich ein ehrwürdiges Regierungsgebäude zu mieten und es in ein Museum zu verwandeln, das die Sammlung seiner Familie beherbergen sollte, für alle Besucher zugänglich. Und bei dieser Sammlung handelte es sich nicht um Gemälde, Skulpturen oder andere auch sonst wo ausgestellte Artefakte. Für so etwas hätten sich die beiden Studenten nie interessiert. Nein, dies versprach das beste aller Museen zu werden. Dieses Museum würde “Wahre Monster“ ausstellen.
Seit Monaten wurde in der Presse über die Umbauten berichtet. Jeden Artikel, jeden Fernsehbeitrag hatten die beiden geradezu verschlungen, was kein Wunder war, da sie beide leidenschaftliche Monsterfans waren. Und das Museum beherbergte Unzählige echte Monster, Ungeheuer, die es wirklich auf dieser Erde gab oder gegeben hatte.
Sie mussten die Ausstellung einfach sehen.
Michael hatte jeden Artikel ausgeschnitten und fein säuberlich in ein Buch geklebt oder an seiner Pinnwand befestigt. Des Weiteren hatte er das gesamte Web nach Informationen durchforstet und dadurch es sogar geschafft, an die Pläne für das Museum zu kommen.
Wie ihm so etwas gelang, wo er doch in der Universität nicht einmal ein einfaches Referat anständig recherchieren konnte, war Jan ein großes Rätsel. Umso mehr bewunderte er seinen Freund, den er schon seit Kindergartentagen kannte und mit dem er so ziemlich jeden Horror- und vor allem Monsterfilm gesehen hatte, den sie nur in die Finger kriegen konnten. Und Michael bekam alles in seine Finger, wenn er erst einmal Witterung aufgenommen hatte.
So war es letztendlich für Jan doch nicht so verwunderlich, als Michael ihm eine detaillierte Kopie des Bauplans vorlegte, auf dem schon alle Ausstellungsstücke eingezeichnet waren. Und ein Name fesselte sie besonders und ließ ihre Augen geradezu leuchten.
Fieberhaft hatten sie den Eröffnungstag herbeigesehnt. Ganz gegen sonstige Traditionen sollte es keine prunkvolle Gala geben, bei der nur Auserwählte teilnehmen durfte. Der Besitzer hatte sich gegen allen Widerstand damit durchgesetzt, dass vom ersten Tage an jeder die Ausstellung besuchen durfte, ganz umsonst.
Früh am Morgen hatten sich Jan und Michael mit vielen anderen Neugierigen angestellt und wie immer durch ihr Outfit die skeptischen Blicke ihrer Mitmenschen auf sich gezogen. Dabei erntete Michael in seinem schwarzen Ledermantel, den er immer offen trug und damit den Blick auf den ebenso schwarzen Rest seiner Kleidung freigab, besonders böse Blicke. Jeder schien von Michael zu erwarten, dass er im nächsten Moment eine Schrotflinte unter seinem Mantel hervorholen und ein Massaker veranstalten würde. Da half es auch nicht, dass er außerdem eine Terminator-2-Gedächtnis-Sonnenbrille trug, obwohl die Wolken alles zu verfinstern schienen. Die Zahlen 4 8 15 16 23 42 auf seinem Shirt wurden sicher von vielen für seine Fallnummer gehalten.
Hätten sich die Menschen nur einen Augenblick Zeit genommen und Michaels Gesicht genauer betrachtet, so hätten sie ein durchaus freundlich und zutiefst sympathisches vollbäriges Antlitz erblickt, das ihn zusammen mit dem etwas fülligen Körper wie eine Hommage an Kevin Smiths Silent Bob aussehen ließ, dem zu Ehren er seine Basecap mit der Aufschrift Blue Harvest auch falsch herum trug. Dies zusammen hätte jeden Eingeweihten klargemacht, dass Michael keiner Fliege etwas zur Leide tat, aber davon waren hier keine zu sehen. Mochte er auf den diversen Konsolen seinen Aggressionen auch freien Lauf lassen und dabei größeres Geschick an den Tag legen als sein Freund, so war er im realen Leben ein Musterbeispiel völliger Aggressionslosigkeit.
So amüsierte Jan sich immer wieder über den Ausdruck der Verständnislosigkeit und Ablehnung in den Gesichtern ihrer Mitmenschen. Er bevorzugte mit seinen verwaschenen Blue Jeans, dem T-Shirt, dass das alte RKO Logo zierte und dem karierten Flanellhemd deutlich nicht ganz die auffällige Schwärze, die sein Freund an den Tag legte. Im Grunde sah er sogar recht gut aus, wie River Phoenix als Computer-Nerd mit obligatorischer runder Brille. Viele Studentinnen hatten es schon bedauert, seine Aufmerksamkeit nicht ähnlich so fesseln zu können wie ein neues Computerspiel oder sein Interesse für Dinge, die weit ab ihres Verständnisses rangierten.
Wenn man die beiden sah, so ging die Außenwelt automatisch davon aus, dass Micheal der gefährlichere von beiden sein musste und zu Hause eine ganze Batterie an Waffen versteckt.
Dass es umgekehrt war, darauf würde niemand kommen.
Nun, Jan bunkerte keine Waffen, aber er war im Polizeischützenverein. Sein Onkel gehörte dem Bundesgrenzschutz an, die auch auf dem Gelände übten. Und so hatte Jan im Laufe seines noch jungen Lebens mehr Waffen abgefeuert als die meisten Erwachsenen niemals zu Gesicht bekamen.
Er war ein sehr guter Schütze, präzise
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 06.10.2014
ISBN: 978-3-7368-4538-1
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