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Vorwort

»Ich bin nicht der ich war, die Kräffte sind verschwunden. Die Glider sind verdörrt als ein durchbrandter Grauß: Mir schaut der schwartze Tod zu beyden Augen aus.«

 

Andreas Gryphius (1616-1664)

 

 

Bei der verheerenden Pest wussten unsere Vorfahren nicht einmal, was sie tötete, und sahen die Seuche oft als Strafe Gottes an, gegen die es kein Mittel gab.

In seinem schlimmsten Ausbruch raffte der Schwarze Tod von 1347 bis 1353 schätzungsweise 25 Millionen Menschen dahin, rund ein Drittel der damaligen Bevölkerung Europas. Einfallstor für den Erreger waren die großen Handelsstädte Norditaliens.

Und so stammt der Begriff der Quarantäne auch aus dem Italien des 14. Jahrhunderts. 1374 Venedig verfügte, dass ankommende pestverdächtige Schiffe und ihre Besatzungen für 40 Tage (quaranta giorni = 40 Tage) auf einer Insel isoliert wurden.

In der Mitte des 14. Jahrhunderts breitete sich die Seuche von den Handelsstädten Italiens rasend schnell über die Handelswege in Europa aus. Sogar auf Grönland wütete die Pest.

Die bakterielle Infektionskrankheit Pest wurde im Mittelalter hauptsächlich durch Ratten auf Flöhe und von den Insekten auf Menschen übertragen wurde. Und die waren tägliche Begleiter in den Städten dieser Zeit.

Der Seuche hatten die Menschen nicht viel entgegenzusetzen: Aderlass, Kräuter und hauptsächlich Gebete.

Aber auch durch Räucherungen vor den Krankenlagern wurde der Pesthauch bekämpft, denn man ging davon aus, dass die Krankheit durch vergiftete Luft übertragen wurde. Legendär sind bis heute die Schnabelmasken der Pestdoktoren, in deren Schnäbeln Duftstoffe den Pesthauch stoppen sollten.

Diese »Ära des Schwarzen Todes« endete um das Jahr 1353. Danach folgten vereinzelt weitere Pestausbrüche, die dann aber für Gesamteuropa nicht so verheerend waren wie dieser Ausbruch.

Den Erreger der Pest entdeckte der Schweizer Arzt Alexandre Yersin erst 1894 und entwickelte auch gleich den ersten Impfstoff gegen den nach ihm benannten Erreger: Yersinia Pestis.

 

Der vorliegende Band eröffnet einen Blick auf die verheerende Seuche aus der Perspektive verschiedener Autoren, die zum Teil Zeitzeugen der mörderischen Pestausbrüche waren – wie Giovanni Boccaccio. Entstanden ist so eine literarische Collage, die unter anderem von mir ausgewählte Texte der Meisterwerke der Pestliteratur präsentiert. Dazu gehört unbedingt Daniel Defoes »Die Pest zu London« von 1722. Es gibt aber auch Texte neueren Datums.

Immer geht es darum, für uns Heutige nachvollziehbar, das Bild einer Menschheit in einer dunklen Zeit zu zeichnen, über die jederzeit der Schwarze Tod hereinbrechen konnte.

Es war eine Ära, in der der Tod den Menschen so nahe war, dass sie ihn personifizierten und eine Gestalt gaben: als Sensenmann, Gevatter Tod oder Schnitter.

Der besseren Lesbarkeit halber habe ich Absätze eingefügt und die Beiträge in die neue Rechtschreibung transformiert.

Ergänzt werden die Textausschnitte durch kurze Informationen zu ihrem Kontext, wo es sinnvoll war, und zu den Autoren.

Das Dekameron ‒ Giovanni Boccaccio

 

1348 brach die Pest in Florenz aus.

Die Menschen starben in Massen und ein süßlicher Verwesungsgeruch hing über der Stadt, in der Chaos und Gewalt ausbrachen. Mehr als die Hälfte der rund 100.000 Einwohner fiel dem Schwarzen Tod zum Opfer.

Aus diesem Horror ließ der Dichter Giovanni Boccaccio sieben junge Frauen und drei junge Männer auf einen idyllischen Landsitz flüchten. Nachmittags kamen sie zusammen, um sich Geschichten zu erzählen. Das Ergebnis sind die 100 Novellen des »Il Decamerone«.

Dieses Werk der Weltliteratur entstand in der Toskana, wo Boccaccio sich die Novellen ausgedacht und kurz nach dem Pestausbruch mit der Niederschrift begonnen hatte.

 

Giovanni Boccaccio wurde am 16. Juni 1313 in Florenz als Sohn eines Kaufmanns geboren. Als sein Vater beim Pestausbruch in der Stadt starb, erbte er das üppige Familienvermögen und verfasst innerhalb von vier Jahren »Das Dekamaron«, was ihm in Florenz zu großem Ansehen verhalf. So ernannte ihn Papst Innozenz VI. zum Geistlichen, obwohl der Dichter Vater von fünf unehelichen Kindern mit verschiedenen Frauen war. Boccaccio starb am 21. Dezember 1375, vermutlich an Wassersucht.

 

Das Dekameron von Giovanni di Boccaccio, Aus dem Italienischen übersetzt von Karl Witte, F.A. Brockhaus, Leipzig 1843

 

Ich sage, dass seit der Heil bringenden Menschwerdung des Gottessohnes eintausenddreihundertachtundvierzig Jahre vergangen waren, als in die herrliche Stadt Florenz, die vor allen andern in Italien schön ist, das tödliche Pestübel gelangte, welches – entweder durch Einwirkung der Himmelskörper entstanden oder im gerechten Zorn über unseren sündlichen Wandel von Gott als Strafe über den Menschen verhängt – einige Jahre früher in den Morgenlanden begonnen, dort eine unzählbare Menge von Menschen getötet hatte und dann, ohne anzuhalten, von Ort zu Ort sich verbreitend, jammerbringend nach dem Abendlande vorgedrungen war.

 

Gegen dieses Übel half keine Klugheit oder Vorkehrung, obgleich man es daran nicht fehlen und die Stadt durch eigens dazu ernannte Beamte von allem Unrat reinigen ließ, auch jedem Kranken den Eintritt verwehrte und manchen Ratschlag über die Bewahrung der Gesundheit erteilte. Ebenso wenig nützten die demütigen Gebete, die von den Frommen nicht ein, sondern viele Male in feierlichen Bittgängen und auf andere Weise Gott vorgetragen wurden.

 

Etwa zu Frühlingsanfang des genannten Jahres begann die Krankheit schrecklich und erstaunlich ihre verheerenden Wirkungen zu zeigen. Dabei war aber nicht, wie im Orient, das Nasenbluten ein offenbares Zeichen unvermeidlichen Todes, sondern es kamen zu Anfang der Krankheit gleichermaßen bei Mann und Weib an den Leisten oder in den Achselhöhlen gewisse Geschwulste zum Vorschein, die manchmal so groß wie ein gewöhnlicher Apfel, manchmal wie ein Ei wurden, bei den einen sich in größerer, bei den andern in geringerer Anzahl zeigten und schlechtweg Pestbeulen genannt wurden.

Später aber gewann die Krankheit eine neue Gestalt, und viele bekamen auf den Armen, den Lenden und allen übrigen Teilen des Körpers schwarze und bräunliche Flecke, die bei einigen groß und gering an Zahl, bei andern aber klein und dicht waren. Und so wie früher die Pestbeule ein sicheres Zeichen unvermeidlichen Todes gewesen und bei manchen noch war, so waren es nun diese Flecke für alle, bei denen sie sich zeigten.

Dabei schien es, als ob zur Heilung dieses Übels kein ärztlicher Rat und die Kraft keiner Arznei wirksam oder förderlich wäre. Sei es, dass die Art dieser Seuche es nicht zuließ oder dass die Unwissenheit der Ärzte (deren Zahl in dieser Zeit, außer den wissenschaftlich gebildeten, an Männern und Frauen, die nie die geringste ärztliche Unterweisung genossen hatten, übermäßig groß geworden war) den rechten Grund der Krankheit nicht zu erkennen und daher ihr auch kein wirksames Heilmittel entgegenzusetzen vermochte, genug, die wenigsten genasen, und fast alle starben innerhalb dreier Tage nach dem Erscheinen der beschriebenen Zeichen; der eine ein wenig früher, der andere etwas später, die meisten aber ohne alles Fieber oder sonstige Zufälle.

Die Seuche gewann umso größere Kraft, da sie durch den Verkehr von den Kranken auf die Gesunden überging, wie das Feuer trockene oder brennbare Stoffe ergreift, wenn sie ihm nahegebracht werden. Ja, so weit erstreckte sich dies Übel, dass nicht allein der Umgang die Gesunden ansteckte und den Keim des gemeinsamen Todes in sie legte; schon die Berührung der Kleider oder anderer Dinge, die ein Kranker gebraucht oder angefasst hatte, schien die Krankheit dem Berührenden mitzuteilen.

Unglaublich scheint, was ich jetzt zu sagen habe, und wenn es nicht die Augen vieler sowie die meinigen gesehen hätten, so würde ich mich nicht getrauen, es zu glauben, hätte ich es auch von glaubwürdigen Leuten gehört. Ich sage nämlich, dass die ansteckende Kraft dieser Seuche mit solcher Gewalt von einem auf den anderen übersprang, dass sie nicht allein vom Menschen dem Menschen mitgeteilt ward, sondern dass auch, was viel mehr sagen will, häufig und unverkennbar andere Geschöpfe außer dem Menschengeschlecht, wenn sie Dinge berührten, die einem an der Pest Leidenden oder an ihr Gestorbenen gehört hatten, von der Krankheit befallen wurden und an diesem Übel starben.

Davon habe ich unter anderem eines Tages mit eigenen Augen, wie ich vorhin gesagt habe, folgendes Beispiel gesehen: Man hatte die Lumpen eines armen Mannes, der an dieser Seuche gestorben war, auf die offene Straße geworfen, und dort fanden sie zwei Schweine, welche sie nach der Art dieser

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 21.08.2020
ISBN: 978-3-7487-5454-1

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