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Leviathan

Morgens krank, abends tot.

Abends krank, morgens tot.

 

Volksweisheit auf Java aus der Zeit der Spanischen Grippe

 

 

Es war der 29. September 1918 als die gigantische »Leviathan« den Hafen von New York verließ. Vor dem Krieg war das Schiff als Luxusdampfer »Vaterland« in Deutschland für 3.900 zahlende Passagiere vom Stapel gelassen worden. Hinzu kam eine Besatzung von rund 1.200 Personen. Dagegen hatte die legendäre »Titanic« nur Platz für 2.400 Passagiere geboten.

Jetzt wurden 9.000 Soldaten in dem zum Truppentransporter umgebauten Ozeanriesen transportiert, eng zusammengepfercht. Hinzu kam eine Besatzung von mehr als 2.000 Navy-Angehörigen und zusätzlichen zwei Sanitätseinheiten der Army mit einigen Ärzten und 191 Krankenschwestern, die die Verwundeten auf der Rückfahrt aus Europa betreuen sollten. Mehr als 11.000 Menschen drängelten sich an Bord des Schiffes.

Die 9.000 Männer in der Khakiuniform des Heeres waren Nachschub für die Schlachtfelder in Europa. Frischfleisch, das den Großen Krieg nährte, der es häckselte, zerfetzte, vergaste, blutige Löcher in es stanzte und es dann gierig verschlang.

Doch noch war die Front mit ihrem maßlosen Grauen fern und eine freundliche Sonne schien an diesem klaren Tag. Und Lieutenant George W. Collins wusste noch nicht, wie dieser Krieg war. Wie viele 23-Jährige sah er nur Glorie und Heldentum. Seine Altersgenossen in Europa hatten ähnliche Illusionen gehabt, bis sie die Todeswalze in den Dreck der Schützengräben presste und das Giftgas sie dazu brachte, ihre Lungen auszukotzen.

Anfangs hatte es noch Kavallerieangriffe auf Maschinengewehrstellungen gegeben, aber dann hatten die Maschinen sehr schnell klargemacht, wer in diesen Kämpfen siegte. Es war der erste moderne Krieg der Menschheitsgeschichte, geführt mit dem Besten, das die Industrie an Todesmaschinen produzieren konnte.

Der 23-jährige Lieutenant würde bald mittendrin sein, aber noch stand er ahnungslos an Deck des Schiffs und sah zu, wie die Skyline New Yorks langsam verblasste.

Er zündete sich eine Zigarette an, blies Ringe in die Luft und schaute ihnen hinterher. Hob den Kopf in den Nacken, bis er die gewaltigen Rauchsäulen erblickte, die aus den Schornsteinen des größten Dampfschiffs der Welt aufstiegen. Eine Schwärze, die ihre Signatur in das Blau des Himmels schrieb. Als hätte die Hölle die Feuer entfacht, um dort ihr Zeichen zu hinterlassen.

Der Lieutenant nahm einen Zug aus seiner Zigarette, warf die Kippe über Bord und sah ihr hinterher, bis die Glut in der Tiefe verschwand. Zur Hölle damit, murmelte er und dachte an seine gläubige Mutter. Die hatte alles versucht, um zu verhindern, dass er ein Schiff betritt, das den Namen des mythologischen Meeresdrachen »Leviathan« trug. Denn in der Bibel war dieser Drache gleichbedeutend mit dem Teufel.

Als George den Marschbefehl in den Händen hielt, hatte sie sich vor ihrem einzigen Sohn aufgebaut, ihn mit den Knopfaugen in ihrem Spitzmausgesicht gemustert und aufgeregt mit dem Zeigefinger nach ihm gestochen.

»Hast du Stich nichts Stich aus unseren Bibelstunden gelernt Stich?«

Dann zitierte sie aus der Bibel. Die kleine Frau stellte sich auf die Zehenspitzen:

»Und es erhob sich ein Streit im Himmel: Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen; und der Drache stritt und seine Engel, und siegten nicht, auch ward ihre Stätte nicht mehr gefunden im Himmel. Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen. Das sagt uns das Heilige Buch in der Offenbarung.«

George hatte die Bibel auch einmal etwas gesagt, aber die Stimme war immer schwächer geworden, nachdem er mit dem Studium der Medizin begonnen und sich einer Gruppe liberaler Studenten angeschlossen hatte. Es war eine bewegte, aber friedliche Zeit, die George erlebte.

Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Präsident Woodrow Wilson forderte am 02. April in einer Rede vor dem Kongress dazu auf, dem Kriegseintritt der

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 18.08.2020
ISBN: 978-3-7487-5408-4

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