Dunkel. Einfach nur dunkel. Nur die roten Ziffern meines Radioweckers waren zu erkennen. 4:39. In zwanzig Minuten würde mein Wecker klingeln. Meine Schwester würde hochschrecken, realisieren, was los war und wieder weinen. Mein Vater wurde genervt rein kommen und ihr sagen, sie solle gefälligst aufhören und mir, ich solle jetzt aufstehen. Wir würden los müssen.
Aber jetzt war das einzige Geräusch mein Atem und das leise, regelmäßige Schnarchen meiner Schwester. Ich würde es vermissen. Ich schloss die Augen und sah noch einmal auf den Wecker. 4:41. Zwei Minuten, die sich wie Ewigkeiten anfühlten. Es war, als könnte mich jeden Moment das Dunkle verschlingen.
Noch bevor der Wecker einen Ton hätte von sich geben können, stellte ich den Alarm einfach aus und stand auf. Ich wanderte ins Bad und betrachtete mich noch einmal im Spiegel. Meine Augen wirkten müde. Nicht, wegen des Schlafmangels. Ich war des Lebens müde. Mehr, als ich es mir hätte vorstellen können. Einfach nur müde und es tat weh, durch den Spiegel auf die leicht geöffnete Tür zu blicken und mir dessen sicher zu sein, die Menschen hinter dieser für einige Monate, wenn nicht sogar Jahre, nicht mehr sehen zu können. Ein Seufzen entglitt meinen Lippen. Ich fuhr mir mit den Händen über das Gesicht und band just im Moment darauf meine Haare zu einem hohen Zopf zusammen. Mit meiner Haarlänge war es mittlerweile fast schon unerträglich, diese offen über die Schultern hängen zu lassen.
Meine Morgenroutine war simpel. Zähne putzen, Gesicht waschen, Haare kämmen. Einfacher hätte sie wohl nicht sein können. Kurz betrachtete ich mein frisch gestochenes Tattoo an meinen Schlüsselbeinen und lächelte ein wenig darüber. Nie hätte ich gedacht, diese Narben verdecken zu können. Abschließen zu können.
Das kühle Wasser auf meinem Gesicht, weckte mich etwas mehr und ließ es zu, den Rest über mich ergehen zu lassen. Meine Tasche war seit Tagen gepackt und musste nur noch ins Auto verfrachtet werden.
Ich öffnete Tür und sah vom kleinen Badezimmer aus zu meiner im Bett sitzenden Schwester. Obwohl es zu dunkel war, um etwas zu erkennen, wusste ich jedoch genau, das sie mit den Tränen kämpfte. Das tat sie immer, wenn sie an die Zeit dachte, die wir uns nicht mehr sehen würden. Leicht lächelnd trat ich zu ihr, nahm sie ein letztes Mal in den Arm, ehe auch schon mein Erzeuger durch die Tür trat und mich anfuhr, warum ich noch nicht fertig war. Ich antwortete nicht. Das hatte ich schon vor Jahren aufgegeben. Es brachte nie etwas. Er bekam ja doch, was er wollte.
Einer letzten Umarmung konnte ich nicht widerstehen, ehe ich meinen Koffer nahm und das Haus für die nächsten Monate verließ. Sobald es ging, würde ich da ausbrechen. Auf jeden Fall!
Die Stille im Auto wirkte bedrückend und auch wenn Musik im Hintergrund lief, legte sich ein Schweigen über uns, das sich nicht brechen ließ. Ich wollte nicht reden und mein Vater wohl auch nicht. Also fuhren wir schweigend.
Mein Dad fuhr auf den Parkplatz. Seventh Graveskull. Das war der Name jenes Gebäudes, in dem ich unterkommen würde. Eine Straftat zu viel und schon musste man seine Zeit hier absitzen. Schön.
Ich stieg aus dem Truck und schlug die Tür lauter, als gewollt zu. Holte meine Tasche von der Ladefläche und sah zu meinem Dad durch das Fenster. „Wir sehen uns. Pass auf Emily auf.“, war das einzige, was ich dazu sagen konnte. Ich schlug mit der Faust einmal gegen die Fahrertür, als Zeichen, hier fertig zu sein und sah an dem Gebäude hinauf.
„Willkommen in der Hölle, Damion.“
Ein Heim für Schwererziehbare. Meinem Dad viel nichts besseres mehr ein. Ich wurde zum wiederholten Male mit Rauschgiften erwischt und dabei hopps genommen, als ich einem Kerl die Zähne raus geschlagen habe, weil der sich nicht hat benehmen können. Wieso war es dann alles wieder meine Schuld? Ach ja, weil ich ja immer Schuld war. Innerlich seufzte ich. Mein Blick fiel auf den Radiowecker. Nach einer Woche gewöhnte man sich an das ständige Geräusch von nichts oder von Schreien, die von draußen in die Zimmer hallten. Das Heim war nicht sonderlich gemütlich von Innen. Die Schlafräume waren für jeweils zwei Leute ausgerichtet. Meine Zimmerseite war bereits belegt – von wem wohl? Über den dämlichen Gedanken musste ich schmunzeln, als ich mich auf der leeren Seite umsah. Ich würde noch einen Zimmergenossen bekommen, aber dies konnte auch warten. Es wäre mir sogar lieber, würde dies nicht so schnell gehen. Der Rest sah eher heruntergekommen aus. Der Putz blätterte von den Wänden runter und hier und da waren in den Waschräumen und Duschen Schimmelflecken.
Ich seufzte auf, als mein Wecker klingelte, haute auf diesen, was das Geräusch nicht angenehmer machte. Es knackte. Der Wecker war aus. Womöglich für immer.
Ich erhob mich in dem Bett und band meine Haare zu einem Dutt hoch. Mir war egal, wie andere diese Frisur beurteilen würden. Für's Duschen und frisch machen würde es schon reichen. Langsamen Schrittes suchte ich mir meine Sachen zusammen und war erstaunt, dass mein Handtuch noch immer nach Zuhause roch. Ich vermisste Emily schmerzlich und jede grausame Minute wurde mir dies umso bewusster.
Um diese Uhrzeit stand niemand freiwillig auf, weswegen die Gänge recht leer waren. Nur vereinzelt sah man den einen oder anderen zurück in sein Zimmer schleichen oder hörte leises Stöhnen aus den Zimmern. Zeitvertreib lässt sich in verschiedenen Methoden nachgehen.
Ich betrat das Bad und lächelte über die noch sauberen Duschen. Eins musste man dem Direktor lassen: Seine Putzfrauen waren immer pünktlich dran.
Die Dusche fiel sehr ausgiebig aus. Ich schlang mir ein Handtuch um die Hüfte, schlüpfte zurück in die Latschen und trottete zu meinem Zimmer. Mir entgegen kam ein recht kleines, zierlich wirkendes Mädchen und ich schmunzelte etwas. Wäre ich nicht hier, wäre sie wohl genau mein Typ gewesen. Und nicht nur das, sie wäre wohl direkt irgendwo mit mir gelandet, wo sie so laut sein konnte, wie sie wollte. Ihr Blick blieb an meinem Oberkörper hängen. Ich wusste, dass ich nicht so schlecht aussah. Mit meinen 1,94 und dem leicht trainierten Körper, konnte ich mich schon sehen lassen. Sie musterte mich weiter und ich konnte den Blick nicht von ihr nehmen, so dass sie prompt in mich rannte und es mir nicht mal aufgefallen wäre, wenn sie nicht einen fluchenden Laut von sich gegeben hätte. Ich beugte mich vor zu ihr und reichte ihr die Hand, an der sie sich hochziehen konnte. Ihr Make Up war abgefuckt. Wohl von gestern. Und ihre Haare wirkten sehr zerzaust. Sie hatte wohl vorhin irgendwo ihren Spaß gehabt.
Ich musste wohl ziemlich gegrinst haben, denn ihr Blick wurde scharf tadelnd. „Glotz nicht so und geh mir aus dem Weg.“, giftete sie direkt los. „Oho, ein kleiner Kampfzwerg, huh?“, erwiderte ich reichlich amüsiert über ihren Versuch, mit ihrer Größe, bedrohlich zu wirken. Wie süß. Sie fluchte noch einige Male und warf mir etliche Beleidigungen an den Kopf, die ich gekonnt zu ignorieren wusste. Doch nach einer Weile ging mir das ziemlich auf die Nerven. Ich stieß sie gegen die Wand und pinnte sie an dieser fest. „So, Liebes, du hast jetzt zwei Möglichkeiten. Du entschuldigst dich von dir aus.“ Sie öffnete den Mund und ich legte meine Hand auf diesen, so dass sie nicht zum Sprechen kam. „Psst, lass mich ausreden, Püppchen.“, sprach ich mit rauer Stimme und ich sah genau, wie ihr auf meine Tonlage hin eine Gänsehaut über den Körper fuhr. Ein wissendes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Oder ich hole mir das, was ich von dir erwarte. Was hältst du davon?“, fragte ich sie provokant und sie schien für den Moment zu überlegen und als sie ansetzte, mich anzuspucken, drehte ich sie an der Hüfte mit einem Ruck um und drückte ihren Oberkörper gegen die Wand. Sie keuchte erschrocken auf. „Lass..“, brachte sie nur raus, ehe ihren Lippen wieder ein wohliger Laut entwich, da sich meine Zähne in ihre Halsbeuge gruben. Ich drückte mein Becken gegen ihren Hintern und kam nicht umhin, zu schmunzeln, als sie die Luft deutlich durch die Zähne zog. „Also, Liebes. Für was hast du dich entschieden?“, raunte ich lasziv in ihr Ohr und sie erschauderte. „Fick dich..“, brachte sie brüchig raus. Ich hob die Brauen verwundert. „Du hast da 'nen Buchstaben verwechselt.“, gab ich ihr zu bedenken. „Es heißt: Fick mich. Und nicht: Fick dich.“, kam es von mir und sie schmunzelte etwas. Doch da hörte ich große, deutliche Schritte. Die Betreuer konnte man hier nicht immer von den Bewohnern unterscheiden, doch dieser...dieser war eindeutig keiner von uns und er verstand dahingehend auch keinerlei Spaß. Ich ließ von dem Mädchen ab. Diese drehte sich mit wackeligen Beinen um und musterte mich, während mein Blick noch immer in der einen Richtung hing. „Lin.“, sagte sie und verschwand dann so schnell, wie sie aufgetaucht war. „Lin..“, murmelte ich. Was ein wundervoller Name.
Und da kam er auch schon um die Ecke. Merick. Er war gefürchtet, von so gut wie allen von uns, denn er zählte hier nicht nur zu den Betreuern, sondern auch zu den Ärzten. Man sollte es sich mit ihm nicht verscherzen, das könnte im Notfall nicht gut für einen selbst ausgehen. Er musterte mich von oben bis unten. „Um diese Uhrzeit sollten Sie sich auf Ihrem Zimmer befinden.“, war das einzige, was er zu mir sagte. Sein Rücken war immer gerade, was ihn ein wenig bedrohlicher wirken ließ, als er es wohl war. Merick war wirklich schwer zu beschreiben. Mal wirkte er unheimlich nett und im nächsten Moment war er doch so kühl, dass man nicht meinen wollte, er sei wirklich von menschlicher Natur. Wären die Umstände anders gewesen, hätte ich ihn wohl doch recht anziehend gefunden.
Ich nickte bloß, bekam den Mund nicht auf. Ungewöhnlich, für mich selbst, doch dem Kerl wollte ich nicht auf die Füße treten. Also verschwand ich schnellen Schrittes in meinem Zimmer, während mir noch immer diese Lin nicht aus dem Kopf gehen wollte.
Schnell war ich fertig gemacht und hatte eigentlich keine andere Wahl, als zum Unterricht zu gehen. Niemand hatte auch nur die Gelegenheit, so wirklich zu schwänzen. Alles wurde geahndet und im schlimmsten Fall, würden sie dich auch wieder an die Polizei übergeben.
Gegen Mittag endete die Tortur, die sie Schule nannten. Ein Niemand von uns schien so wirklich aufzupassen. Alle hingen ihren Gedanken nach. Ich seufzte tief und beschloss, trotz meines frisch gestochenen Tattoos in die Schwimmhalle zu gehen. Auch wenn ich nicht wirklich schwimmen durfte, so hatte ich zumindest die Möglichkeit, dem Ganzen hier aus dem Weg zu gehen. Der Geruch von Chlor und das leise Geräusch des Wassers würde mich schon auf andere Gedanken bringen, als jene, die mich heimzusuchen schienen.
Noch ein Seufzen entglitt meinen Lippen, als ich die Tür zur Halle mit der Hand aufdrückte und diese kurz darauf betrat. Auf einer Liege, recht weit hinten, ließ ich mich lieblos fallen und bedachte der anderen Person eines musternden Blickes. Mir stockte der Atem bei ihrem Anblick. Sie war für eine Frau recht groß, was sie allerdings nicht minder schön machte. Ihre Haut war verziert mit Tätowierungen und ihre Haare waren fast schon Hüftlang. Himmel, an denen ließe es sich sicher gut...Nein, Damion, hör auf, daran zu denken, schallte ich mich selbst und lehnte mich auf der Liege etwas zurück. Ich kramte in meiner Hosentasche nach Kopfhörern und ehe ich die Musik auf meinem Handy hatte auswählen können, sprach sie mich an. „Frisch?“, war das einzige Wort, was sie sprach. Der lange Nagel an ihrem Zeigefinger deutete sich an das eigene Schlüsselbein. Fast schon instinktiv wollte ich meine Finger auf die Stelle legen, besann mich dann eines besseren und nickte als Antwort. „Ja. Zwei Tage, bevor ich hier hin verfrachtet worden bin.“, erwiderte ich mit ruhiger Stimme, wohl wissend, mich innerlich rügen zu müssen, darüber nachzudenken, wie es wäre, mit ihr zu schlafen.
Wir schwiegen eine Weile, bis sie aufstand und langsam zu mir rüber schlenderte. Sie trug einen schlichten, schwarzen Bikini, der ihre Kurven betonte. Leicht musste ich schmunzeln.
„Warum bist du dann hier?“, fragte sie weiter nach, wobei ihr russischer Akzent umso deutlicher wurde. Ein leichtes Lächeln beschlich meine Lippen. Ich ließ sie nicht aus den Augen, was sie zu merken schien. „Was?“, setzte sie nach. Ich schüttelte den Kopf:„Nicht so wichtig. Ich bin hier, weil mir die beschissene Fassade auf den Sack geht.“
Sie verzog das Gesicht etwas über meine Ausdrucksweise. „Wie heißt du, Kleiner, hm?“, fragte sie dann kurz darauf. Ich hob die Brauen. Hatte sie mich jetzt wirklich Kleiner genannt? Scheinbar ließ meine Antwort zu lange auf sich warten, denn ihr Grinsen wurde breiter. „Was? Hat es dir jetzt die Sprache verschlagen, mit 'ner erwachsenen Frau zu sprechen, Kleiner?“ Schon wieder! Ich verengte die Augen ein wenig. „Damion.“, antwortete ich dann auf die vorherige Frage, ehe ich nachsetzte, „Eine erwachsene Frau also, ja? Gehörst du auch zu den Schränken von Betreuern?“ Meine Stimme war nun provokanter geworden. Kleiner. Pff. Was bildete die sich bitte ein. Ihr Schmunzeln wurde immer breiter auf meine Frage hin. Sie beugte sich zu mir rüber. „Syra.“, antwortete die darauf.
Ich erschrak fast, als sie ihre Krallen auf die frisch tätowierte Stelle legte. Sie fuhr die Linien langsam nach. „Und nein. Ich bin hier die Köchin und komme aus dem Knast, Schatz. Leg dich also besser nicht mit mir an.“
Wow. Ich hatte gerade eine Frau kennen gelernt, die wohl mindestens genauso arrogant gewesen war, wie ich auch. „Oh mit dir AN-legen, werde ich mich sicher nicht.“, erwiderte ich keck und lachte leise über ihren Gesichtsausdruck. „Du glaubst doch wohl nicht, dass ich ein Kind ranlasse.“, schnaubte sie verächtlich, doch ließ sie ihr Akzent weniger bedrohlich wirken, als sie es wohl in Wirklichkeit war. Sie entfernte sich von mir. „Oh und wie ich das glaube. Als ob du mir widerstehen könntest, Honey.“, suchte ich mir ebenso einen Spitznamen für sie aus und dieser schien ihr nicht im Geringsten zu gefallen. Sie fluchte auf russisch, stand auf, stapfte zu ihrem Handtuch und verschwand kurz darauf auch aus der Halle.
Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, entwich mir ein deutliches Lachen. Die Zeit verflog, während in meinen Ohren Axl Rose vor sich hin krächzte. Für gut eine Stunde war ich sogar eingedöst. Ich wachte erst auf, als ich, durch einige Wasserspritzer aus dem Schlaf gerissen wurde.
Erschrocken richtete ich mich auf der Liege auf und zog die Kopfhörer abrupt aus meinen Ohren. Im Wasser erkannte ich einen Gleichgesinnten, der wohl seine Zeit hier absitzen musste. Langsam schwamm er seine Bahnen. Während dessen ließ ich ihn keinen einzigen Moment aus dem Augen. Meine Mundwinkel hoben sich etwas deutlicher, als ich erkannte, dass dieser Kerl gar nicht so schlecht aussah. Ich stand auf und schlenderte zu ihm rüber. Mit einer eleganten Bewegung ließ ich mich am Rand nieder und zog die Beine in einen Schneidersitz, ungeachtet dessen, dass wohl meine Hosenbeine sich mit Wasser vollsogen.
Mein Blick ruhte noch immer auf ihm. Er schien mich bemerkt zu haben, ließ sich allerdings nicht beirren. Elegant bewegte er sich im Wasser, so, als würde er in seinem Leben nie woanders gewesen sein. Ich lächelte minimal darüber. Noch eine Weile beobachtete ich ihn, ehe ich aufstand, meine Sachen zusammen suchte und den Raum wieder verließ. Die Enden meiner Hosenbeine tropften, doch ich ließ mich davon nicht aus der Ruhe bringen. Mit langsamen, wenngleich doch bedachten Schritten, machte ich mich auf den Weg durch die Gänge der Schabracke. In einigen Ecken hörte man es stöhnen, in den nächsten Weinen. Faszinierend. Einige vegetierten hier nur. Die anderen ließen sich davon nicht beeindrucken und machten noch immer das, was sie davor auch taten.
Immer wieder spürte ich ein paar Augen auf mir. Ich wendete mein Blick zu der Frau, die ich im Augenwinkel erblickte und schmunzelte süffisant, als ich sie erkannte. Ich hob die Brauen. „Du bekommst jetzt schon nicht genug, huh?“, fragte ich sie belustigt und provokant. Sie schnaubte nur ein wenig. „Kleiner, geh mit jemandem in deinem Alter spielen.“, zwinkerte sie mir zu.
Und ich wusste jetzt schon, dass ich sie haben musste, egal, was es kostete. Selbstsicher grinste ich, salutierte ihr kurz, ehe ich mich auf den Weg in den Aufenthaltsraum machte.
Dort angekommen setzte ich mich auf die Couch und atmete zum ersten Mal seit gefühlten Jahren durch. Das Fenster war auf und die kalte Luft strömte rein. Meine Lungen füllten sich und schmerzten schon fast, so tief atmete ich ein. Aus einer Ecke kam ein Kichern.
Mein Körper zuckte zusammen. „Du bist noch nicht lange hier, was?“, fragte eine Stimme, die mir fast zu süß für das klang, was mich noch erwartete. Ein zierlich gebautes Mädchen kam aus ihrem Versteck. Sie wickelte sich eine der bunten Haarsträhnen um den Finger und grinste mich noch immer aus ihren großen Augen an. „Lin.“, stellte ich fast schon zu nüchtern fest. Ehe ich mich hätte erheben können, war sie bereits auf mich zugekommen und kniete sich breitbeinig über meinen Schoss. Ein laszives Schmunzeln umspielte meine Lippen, während meine linke Braue sich in die Höhe zog. Sie legte den Kopf schief und in ihren Augen schimmerte etwas gefährliches. Etwas, was ich nicht einzuordnen wusste. Fuck. Eine Stimme in meinem Kopf schrie, dass diese Frau mir noch das Leben ruinieren könnte. Doch schnell besann ich mich eines besseren. Ich war hier genauso gefangen, wie sie. Was konnte noch schief gehen?
Sie beugte sich zu meinem Ohr hin und ich konnte ihr Grinsen noch immer deutlich erkennen, obwohl ich nur ihren Mundwinkel zu Gesicht bekam. Fast hätte man meinen können, dass sich ihre Mundwinkel an den jeweiligen Stellen eingebrannt hatten.
Mit einer langsamen Bewegung strichen meine Finger ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr und nun musste auch ich deutlicher Lächeln. Aber mein Lächeln war nicht freundlich. Nicht liebevoll. Nicht sanft. Es war hart, man könnte es sogar fast als kühl bezeichnen.
Meine Hand grub sich in ihre Haare und zog an diesen ihren Kopf nach hinten in den Nacken, so dass sie gezwungen war, mich anzusehen. „Glaubst du wirklich, ich ließe mich einfach so auf jemanden wie dich ein?“, hob ich gespielt teilnahmslos eine Braue in die Höhe. Für den Moment war sie entsetzt, doch das Glänzen in ihren Augen verriet mir, dass ihr gefiel, in welche Richtung dies zu gehen schien. „Und jetzt heb deinen Arsch von mir runter.“, wies ich sie an und sie gehorchte willig. „Dass du sowas drauf hast, Neuer.“, schnurrte sie an mein Ohr und ich lachte tonlos auf. War das ihr Ernst? Ich neigte den Kopf ein wenig zur Seite, als sie ihre Lippen auf meinem Hals platzierte.
Eine halbe Stunde ging das Hin und Her zwischen Lin und mir. Nach einer Weile langweilte sie mich und ich verlor das Interesse an ihrem Sein. Also erhob ich mich wortlos und verließ den Raum, um frische Luft zu schnappen.
Auf dem Flur entdeckte ich Syra. Ich schmunzelte ein wenig deutlicher. Auch wenn Lin heiß war, so fiel sie normaler Weise nicht in mein Beuteschema.
Die tätowierte Frau lehnte mit dem Rücken an der Wand, ihr Handy in der Hand und wirkte alles in allem sehr teilnahmslos. So, als würde sie die ganze Welt ausblenden.
Meine Wenigkeit stellte sich vor sie und plump legte ich die eine Hand an ihre Hüfte. Sie verengte ihre Augen, reagierte sonst allerdings verzögert. Erst, als sie das Handy wegsteckte, schlug sie meine Hand weg. „Was soll das, Solnyschka?“, fragte sie mich und die Art und Weise, wie sie zu reden vermochte, raubte mir den Verstand. Auf den Kosenamen hin hob ich die Augenbrauen, fragte allerdings nicht weiter nach. In ihren Augen glänzte etwas. Es sah aus, wie Verlangen. Ein Blick, den ich schon an so vielen Frauen gesehen hatte, aber an ihr, hatte dieser etwas einnehmendes.
Mein Körper bewegte sich dem ihren entgegen. Zwischen uns passte gerade einmal ein Blatt. Meine Augen suchten die ihren und hielten ihren Blick gefangen, ehe sie auf ihren leicht geöffneten Mund starrten. Mittlerweile lagen meine Hände links und rechts neben ihrem Gesicht an der Wand, so dass sie mir nicht entkommen konnte und ehe ich den letzten Abstand überbrücken konnte, hörte ich es klappern. Schnell drehte sich mein Kopf in die Richtung. Aus dem Schatten trat ein kleines, dürres und zerbrechliches Mädchen. Damals hätte ich wohl nicht ahnen können, was diese Person für eine Rolle in meinem Leben spielen sollte. Sie sah zwischen mir und Syra hin und her und neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „'Tschuldige, wollt euch nicht beim rummachen stören.“, hörte ich das erste Mal ihre Stimme und war erstaunt über ihren britischen Akzent. Die Kleine kam wohl ziemlich rum.
Noch einmal musterte ich sie und zu meinem Missfallen stellte ich fest, dass ihre Hüftknochen deutlich hervorstanden und auch sonst nicht viel mehr als Haut und Knochen an ihrem Körper war. Ich runzelte die Stirn, glättete sie allerdings kurz darauf auch wieder.
„Alkohol?“, fragte Syra in die Runde und ich musste mir ein Lachen verkneifen, ehe ich nickte. „Klingt besser, als hier auf dem Gang zu stehen.“, erklang meine Stimme und die Kleine schaute nur kurz, nickte dann aber. Sie wirkte nicht, als könnte sie viel davon vertragen, doch auch ich musste lernen, dass genau diese Kleine ein unbeschriebenes Buch war.
Schweigend folgten wir Syra in ihre Personalräumlichkeiten. Sie warf mir einen vielsagenden Blick zu, woraufhin ich deutlich schmunzeln musste. Also war ich doch nicht ganz erfolglos gewesen.
Sie ging zu ihrem kleinen Kühlschrank und mixte für jeden von uns einen Drink zusammen. Ich ließ mich an der Wand hinunter sinken und Lex saß mir an der anderen direkt gegenüber. Die letzte im Bunde setzte sich so, dass wir fast ein Dreieck bildeten, nach dem sie uns unsere Gläser in die Hand gedrückt hatte. Ich sah, wie Lex an der Flüssigkeit schnupperte und dann leicht das Gesicht verzog. Auch diesmal konnte ich mir ein leises Grinsen nicht verkneifen. Kurz warf ich einen Blick zu der schönen Frau, die ich jetzt am liebsten hier und jetzt vögeln wollte. Und auch sie sah mich an, mit dem gleichen, begierigen Gesichtsausdruck.
Aus der anderen Ecke hörten wir Lex kichern, die auf einmal die Hälfte ihres Drinks gekippt hatte und uns ansah. „Ihr könnt's auch jetzt tun. Ich schau auch nicht hin.“, versprach sie uns eilig und nickte bekräftigend.
Tag der Veröffentlichung: 15.09.2018
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme diese Geschichte ein jedem, der gewillt ist, sich dieser anzunehmen.