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Leseprobe

Impressum

Verlag: Bookrix GmbH & Co. KG

Nachtmahr.

© Nadja Neufeldt, 2019

Lektorat: Michaela Stadelmann

www.textflash.de

Covergestaltung: Coverkrämerei – Samantha Krämer

www.coverkraemerei.de

Kontakt: nadja.neufeldt@yahoo.com

 

Nadja Neufeldt wuchs mit den Geschichten von Robert Sheckley, Ray Bradbury und Kir Bulytschow auf. Entsprechend schrieb sie ihre ersten Geschichten über Außerirdische, Roboter und Raumschiffe. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Sie lebt und schreibt im ländlichen Niedersachsen.

 

 

Inhaltsverzeichnis:

 

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

 

 

Kapitel 1

„Oh mein Gooott!“

Die Verzückung in Theas Stimme ließ mich aufblicken. Meine Kollegin drückte sich gerade die Nase an der Fensterscheibe platt. „Mädels, guckt doch mal!“, rief sie halb stöhnend, halb keuchend und deutete auf den Parkplatz.

Sofort ließen Anja und Laura alles stehen und liegen und liefen zu Thea, um ja nichts zu verpassen.

„Ich werd' verrückt“, hauchte Laura. „Solche gibt’s echt? Dachte immer, die gäb’s nur auf Plakaten.“

Unser Büro lag im ersten Stock, der Besucherparkplatz befand sich direkt unter dem Fenster. Thea hatte von ihrem Schreibtisch aus perfekte Sicht auf die Vertreter und Geschäftspartner, die in ihren meist teuren Wagen vorfuhren, bedächtig ausstiegen und zielstrebig zum Eingang marschierten.

Ich sah verstohlen zu Tamara hinüber. Sie starb fast vor Neugier, konnte aber als Abteilungsleiterin nicht zum Fenster rennen wie das gemeine Fußvolk, nur weil es draußen einen attraktiven Kerl zu sehen gab.

„Thea“, mahnte sie deshalb. Thea ignorierte sie völlig, hörte sie vermutlich nicht einmal. Sie und die beiden anderen fuhren fort, den Gast draußen zu bewundern.

„Also wirklich, meine Damen“, tadelte Tamara schließlich.

„Von welcher Firma ist der wohl?“, fragte Anja in die Runde. „Wenn wir das wüssten, könnten wir auf der Firmen-Homepage nach ihm suchen.“

„Kein Vertreter“, meinte Thea im Expertenton. „Er hat keinen Koffer. Was nimmt er dort vom Sitz? Himmel, ist das eine Rose?“

„Und eine Tüte vom Bäcker, wie es aussieht“, kommentierte Laura. „Zu wem will er wohl? Wer kriegt morgens um zehn Rosen und Frühstück?“

Tamara war jetzt nicht mehr zu halten. Sie versuchte, nicht allzu eifrig auszusehen, als sie zu dem Grüppchen am Fenster trat. Ich hörte sie nach Luft schnappen.

Thea bedachte sie mit einem selbstzufriedenen Blick, aber nur kurz, um den Fremden nicht zu lange aus den Augen zu lassen.

„Komm doch mal gucken, Ina“, flötete sie. „Ich wette, den würdest nicht mal du von der Bettkante stoßen.“

Ich winkte ab. „Danke, kein Interesse.“

Anja schnaubte. Ich konnte ihre Gedanken fast hören. „Die kriegt sowieso keinen ab, keine Chance.“

Wenn du wüsstest, dachte ich.

Ich berührte den schmalen Goldreif am Ringfinger mit dem Daumen. Es war schon seltsam: Meinen Kolleginnen entging kaum je ein Fussel auf der Kleidung anderer, aber meinen Ehering hatte noch niemand zur Kenntnis genommen. Gut, ich trug etliche Ringe an den Fingern, manche waren recht eindrucksvoll anzusehen. Ein schlichter Ehering fiel da nicht weiter auf. Außerdem gehörte ich nicht zu den Frauen, die gerne mit anderen die Köpfe zusammensteckten, ich war lieber für mich. Deshalb achteten die drei anderen in der Abteilung nicht sonderlich auf mich.

Als ich vor etwas mehr als zwei Jahren hier eingestellt wurde, hatte insbesondere Thea versucht, meinen ganzen Lebenslauf aus mir herauszukitzeln. Sie gab erst nach mehreren Monaten auf, was, wie ich zugeben musste, viel länger war, als ich es je erwartet hätte. Die anderen in der Abteilung verfolgten unser Duell mit kaum verhohlener Neugier, bereit, jedes Fitzelchen an Information über „die Neue“ sofort in der ganzen Firma zu verteilen. Ich glaube, am dringendsten wollten sie wissen, wie ich mir die Chanel-Handtasche hatte leisten können, mit der ich auf der Weihnachtsfeier aufgetaucht war. Mit Kennerblick hatte Thea sofort festgestellt, dass es keineswegs ein Imitat war, sondern echte Markenware. Unmöglich zu bezahlen von dem mickrigen Gehalt, das hier in der Firma gezahlt wurde. Und dann die ganzen Ringe! Anfangs hatte Thea noch vermutet, die seien allesamt schicker Modeschmuck. Nach der Inspektion der Chanel-Tasche war sie aber von der Echtheit der Ringe überzeugt. Sie war sich sicher, dass ich keine reiche Erbin war, die wohl kaum für einen Hungerlohn hier arbeiten würde. Zu gern hätte sie gewusst, wie ich zu dem ganzen Luxus gekommen war.

Einmal hörte ich sie mit Laura tuscheln.

„Vielleicht hat sie einen reichen Freund?“, vermutete diese.

„Freund? Also bitte!“, flüsterte Thea entrüstet zurück. „Die? Sieh sie dir doch mal an! Wer steht denn bitte auf solche Fettberge?“

Irgendwann nahm mich Tamara beiseite und ermahnte mich: „Ina, ich habe nicht den Eindruck, als wollten Sie sich in das bestehende Team einfügen. Sie sollten sich wirklich mehr Mühe geben.“

Ich fürchte, mit meiner Antwort war sie nicht zufrieden. Ich sagte ihr geradeheraus: „Wenn das bedeutet, meine persönlichen Angelegenheiten vor ein paar Tratschtanten auszubreiten, dann sollte ich mir vielleicht ein anderes Team suchen.“

Ich hatte hervorragende Arbeitszeugnisse und ein paar Qualifikationen, über die keine der anderen verfügte. Die Geschäftsleitung würde mich nicht ohne weiteres gehen lassen. Ich hatte in nur drei Monaten das ganze System für die Kostenstellenrechnung vorbereitet, so dass das Unternehmen im neuen Jahr damit problemlos hatte starten können. In Verbindung mit einem nahezu unverschämt niedrigen Gehalt machte mich das in den Augen der Geschäftsführung zu einer wertvollen Mitarbeiterin.

Die Sticheleien der anderen hatten danach abgenommen, aber nicht ganz aufgehört. Mir war's egal. Ich arbeitete hier, weil mir dieser Job gefiel, und damit ich unter Menschen kam.

„Ich geh' mal aufs Klo“, verkündete Thea gerade und mir war sofort klar, dass das Objekt der Begierde im Firmeneingang verschwunden war. Thea würde versuchen, ihn abzufangen und anzuflirten, und, falls das nicht klappte, Frau Winkler vom Empfang ausquetschen.

Anja und Laura fächelten sich demonstrativ Luft zu, als seien sie in eine Sauna geraten. Tamara sah aus, als sei ihr ihre Lieblingsschokolade aus der Schreibtischschublade geklaut worden. Sie kehrte zurück an ihren Platz, setzte sich und starrte stumm auf den Bildschirm ihres Computers.

Der Besucher muss ja eine Wucht sein, dachte ich. Sei's drum. Ich hatte zu Hause auch ein Prachtexemplar, ich musste keine fremden Männer anschmachten.

Ich wandte mich wieder meiner Arbeit zu und überlegte, an welcher Stelle der Tabelle ich gewesen war, bevor der ganze Zirkus losgegangen war. Es war nicht ganz einfach, das Getuschel der beiden Kolleginnen zu ignorieren, doch ich gab mein Bestes und konzentrierte mich wieder auf die Tabelle.

Ich hätte ein Jahresgehalt für ein eigenes Büro gegeben, doch die Geschäftsleitung hatte abgelehnt mit der Begründung, die beiden Bereiche müssten sowieso so eng zusammenarbeiten, dass man daraus auch gleich eine Abteilung machen könnte.

Zu meinen Aufgaben gehörten die Auswertungen der Kosten und Projekte des Unternehmens. Ich arbeitete mit den Daten, die unter Tamaras Leitung erfasst wurden. Natürlich waren sämtliche Informationen, die ich brauchte, in den entsprechenden Datenbanken. Ich hätte genauso gut in einem separaten Büro sitzen können. Oder sogar zu Hause vor dem Computer, weit weg von dem ganzen Schlangennest.

Aber ich blieb bis auf Weiteres Tamara unterstellt, die von meinem Aufgabengebiet nur rudimentäre Kenntnisse besaß. Was wiederum den Vorteil hatte, dass sie mich nicht so kontrollieren konnte wie die anderen drei. Ich konnte ihr was vom Pferd erzählen, und sie merkte es meistens nicht einmal. Das war allerdings nicht meine Art, folglich ließ ich es sein. Meistens jedenfalls. Manchmal nervte sie mich einfach zu sehr.

Jetzt gerade sah ich ihr an, dass ihre Stimmung sich abrupt verschlechtert hatte. Sie würde also gleich nach jemandem Ausschau halten, den sie für irgendetwas verantwortlich machen konnte. Sie holte schon Luft, um loszulegen, als es klopfte und kurz darauf die Tür aufging.

Ein Mann, nein, ein MANN, ein wahrer Adonis in einer teuren Lederjacke und mit einem Einhundert-Watt-Lächeln auf den Lippen trat ein. In einer Hand hielt er eine Papiertüte mit dem Logo der besten Bäckerei der Stadt, in der anderen eine rote Rose. Mein Herzschlag setzte kurz aus. Was sollte das denn?! Er sah sich im Raum um, sein Blick fand mich und – ich schwöre – sein Lächeln wurde noch strahlender.

„Guten Morgen, meine Damen.“

Seine Stimme war tief und warm wie geschmolzenes Karamell. Wer diese Stimme einmal gehört hatte, würde sie nie wieder vergessen. Die Luft im Büro heizte sich schlagartig auf. Anja und Laura schien es die Sprache verschlagen zu haben, Tamara blinzelte ein paar Mal heftig, als traute sie ihren Augen nicht.

„Bitte entschuldigen Sie die Störung“, sagte er und tat zerknirscht. „Ich möchte nur kurz mit Marina sprechen, dann bin ich auch schon wieder weg.“

Ich sah, wie sich alle Köpfe in meine Richtung drehten. Ihre Gedanken waren nicht schwer zu erraten, ein alarmiertes, blinkendes WAS?!

Thea tauchte im Türrahmen auf, noch atemlos vom Jagdfieber. Sie starrte den Mann gierig an, als sei ein Traum in Erfüllung gegangen.

„Ist etwas passiert?“, fragte ich ihn. Ich hatte Mühe, meine Stimme unter Kontrolle zu halten, aber er hörte vermutlich trotzdem, dass ich von seinem Besuch nicht begeistert war.

Er überwand die paar Meter, die uns trennten, und legte seine Mitbringsel auf meinen Schreibtisch. Seine Bewegungen waren geschmeidig wie die einer Katze. Einer großen, gefährlichen Raubkatze.

„Du hast heute dein Frühstück vergessen, Liebling, da dachte ich, ich bringe dir ein frisches Schokoladencroissant. Und da ich jetzt schon hier bin: Hast du eine Minute?“

Sein Blick sagte mir unmissverständlich, dass ich lieber ja sagen sollte.

„Klar“, erwiderte ich unwillig. „Gehen wir raus.“

Ich erhob mich und wollte mit ihm den Raum verlassen, aber Thea versperrte uns den Weg.

„Willst du uns nicht vorstellen, Ina?“, fragte sie mit einer Mischung aus Erregung und Neid in der Stimme. Ich sah, wie sie ihn scannte und den Ehering entdeckte. Ihre Augen weiteten sich.

Ich schwieg, aber er hatte keine Bedenken, den Haien Futter zuzuwerfen: „Demetrius Mahr.“ Er streckte die Hand aus und knipste sein Lächeln wieder an. „Ich bin Marinas Mann. Sie sind sicher Thea. Es freut mich sehr.“

Ich konnte deutlich sehen, dass Thea an „Marinas Mann“ fast erstickte. Sie nuschelte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Ich hatte noch nie erlebt, dass sie um Worte rang. Aber was wunderte es mich? Auf jemanden wie Dem war sie noch nie getroffen, so viel war mal sicher!

Seine ausgestreckte Hand schien sie nicht wahrzunehmen, was ihn aber nicht weiter kümmerte. Er schlenderte lässig zu den anderen hinüber, reichte jeder von ihnen die Hand und störte sich nicht an dem sprachlosen Unglauben.

Thea fing sich als Erste wieder: „Ina hat Sie noch gar nicht erwähnt.“ Sie warf mir einen misstrauischen Blick zu.

Er richtete seinen verführerischen Blick auf sie. „Dann ist ja gut, dass ich heute vorbeigekommen bin.“

„Dem“, sagte ich, „ich habe noch zu tun.“

Er wandte sich wieder mir zu und sein Blick wurde dunkler, hungriger. Ich spürte, wie meine Knie zu zittern anfingen und Hitze in meinen Unterleib schoss. Hör auf damit, dachte ich verdrossen, doch natürlich tat er mir den Gefallen nicht. Ich konnte sehen, welche Wirkung seine Pheromone auf meine Kolleginnen hatten, ein Anblick, den ich mir lieber erspart hätte. Laura atmete schneller, Anja nestelte an ihrem Blusenkragen herum, Tamara standen Schweißperlen auf der Stirn und Theas Augen wirken glasig.

Ich zog ihn am Ärmel aus dem Raum. „Auf Wiedersehen, meine Damen“, sagte er und folgte mir widerspruchslos.

Ich bugsierte ihn den Flur entlang, schob ihn dann kurzerhand in das leere Besprechungszimmer rechts neben der Treppe und schloss die Tür. Am liebsten wäre ich mit ihm zum Wagen gegangen, aber dann hätten wir Publikum gehabt.

„Was machst du hier?“, zischte ich ihn an.

„Ich wollte dich sehen.“ Die Antwort kam seidenweich über seine Lippen. Er drückte mich gegen die Wand neben der geschlossenen Tür und beugte sich herab, um mich zu küssen.

Ich hielt ihn auf: „Du hast mein Leben gerade viel komplizierter gemacht.“

Dem richtete sich wieder auf und schenkte mir ein betörendes Lächeln. „In unserer Vereinbarung war nicht die Rede davon, dass ich dein Leben unkompliziert halten soll.“

Verdammt, er tat es schon wieder! Es war nicht das erste Mal, dass er die Lücken, die ich unbedacht in der Vereinbarung offengelassen hatte, entdeckte und ausnutzte. Ich konnte es ihm nicht einmal vorwerfen, denn ich war ja selbst schuld.

„Warum bist du gekommen? Konntest du nicht anrufen? Hast du vergessen, wie ein Telefon funktioniert?“

Dem ließ mich los, ohne jedoch zurückzutreten. „Komm heute früher nach Hause“, sagte er nur.

„Ich hab viel zu tun.“

Er beugte sich vor und flüsterte an meinem Ohr: „Ich brauche dich. Du solltest wirklich früher Schluss machen. Sonst könnte es passieren, dass ich nicht mehr da bin, wenn du kommst.“

Ich schob ihn von mir und musterte ihn. Im ersten Dreivierteljahr unseres Zusammenlebens hatte sich eine ähnliche Situation genau einmal ergeben, in den letzten fünf Monaten allerdings bereits dreimal. Diese

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Nadja Neufeldt
Cover: Coverkrämerei Coverdesign - Samantha Krämer, coverkraemerei.de
Lektorat: Michaela Stadelmann, textflash.de
Tag der Veröffentlichung: 01.12.2019
ISBN: 978-3-7487-2241-0

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