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Recurrent

Justice

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

* * *

 

 

STREAM 5/1

 

»Adrenalin und Puls sind im Rahmen.«

»Wie sieht es mit dem Kohlendioxid aus?«

»Leicht erhöht, aber noch ok.«

»Die Amygdala zeigt eine leichte Überaktivität.«

»Wenn sonst nichts ist, dann lass laufen, nimm aber nicht zuviel weg!«

»OK, Kontrolle über den Neokortex besteht weiter. Das Prozedurale ist vermindert, das Semantische überlappt und der Motorcortex 90% zurück.«

»Gut, er bleibt stabil.«

Episodisch 1 wird betäubt und Stream episodisch 2 läuft weiter.«

 

 

* * *

 

 

 

 

 

 

Es kitzelte an meinem Ohr, zupfte an den Nackenhaaren, zog mir immer wieder die Decke weg und lachte dabei leise. Das linke Auge nur leicht geöffnet, schielte ich vorsichtig zur Seite und griff hastig nach hinten. Das Lachen wurde lauter. Vorsichtig zog ich den zappelnden Angreifer, an seinem blauen Pyjama über mich. Mein Sonnenschein zwinkerte mir zu, zog an meiner Nase und umarmte mich.

»Guten Morgen Dad«, spuckte mir der Kleine ins Ohr.

»Guten Morgen Mason«, gab ich zurück und drückte den hellblonden Jungen an mich.

»Du sollst frühstücken kommen.« Mason riss sich los, rutschte vom Bett und spurtete im nächsten Moment aus dem Schlafzimmer. Ohne mich herumzudrehen, ertastete ich auf dem Nachttisch meine Brille und klemmte mir ihre elastischen Bügel hinter die Ohren. Wie jeden Morgen ließ ich die Blicke zuerst über die Kommode gegenüber wandern. Dort stand eingerahmt, mein wahrer Reichtum und lächelte mir entgegen. Liz, Harper und der kleine Mason waren Grund genug sich jeden Tag aufs Neue aufzuraffen. Sie waren mein Antrieb. Sie waren Triebfeder und gleichsam Ruhepol. In meinem Job musste ich mich mit dem Elend der modernen Zeit beschäftigen.
Nicht immer fiel es mir dabei leicht, die Probleme der Kinder und Jugendlichen, die mir begegneten, im Büro zurückzulassen. Wir hatten als Amerikaner das Recht uns gegen alles und jeden zu verteidigen. Wir hatten das Recht uns zu versichern oder es zu lassen. Wir hatten das Recht Kinder zu zeugen. Wer sollte uns das Recht absprechen, diese Kinder zu vernachlässigen? Das ~Family and Child Resource Center~ war mein Arbeitgeber und der Ort, an dem ich regelmäßig gegen Windmühlen kämpfte. Wir mussten den Eltern grobe Vergehen nachweisen, um einen Richter zu finden, der uns ein Eingreifen ermöglichte. Oft sah ich, wenn wir dann tatsächlich einmal einschreiten durften, in die Abgründe des menschlichen Geistes. Drogen, Alkohol, Gewalt und Missbrauch hießen meine Feinde. Diese Feinde waren grausam und unbesiegbar. Diese Gegner füllten unseren Kühlschrank, hatten auch den großen Flatscreen, der über den Fotos meiner Liebsten hing und mir beim Einschlafen half, bezahlt.
Doch, wirtschaftlich konnten wir zufrieden sein. Das was ich durch meinen Job erlebte, ließ mich im Privatleben, im Umgang mit meiner eignen Familie gelassener reagieren. Mein Alter machte mir in letzter Zeit etwas Sorgen oder besser das, was dieses Alter offenbar mitbrachte. Ich hatte erst vor kurzem, meinen fünfundvierzigsten Geburtstag gefeiert, fühlte mich aber deutlich älter und irgendwie krank.
Zuerst sorgte ich mich nur um meine Augen. Unbegründet, wie der Arzt zwar meinte, mir aber dennoch eine Sehhilfe verschrieb. Das erste Gestell hielt keine Woche. Mason, der vom Beckenrand unseres Pools in meine Arme sprang, sorgte dafür, dass die Brille zerbrach, ich zwei Wochen ohne Ersatz auskommen musste und der Optiker, um einige Dollar reicher wurde. Bei der Auswahl des neuen Gestells hatte ich keinen Wert auf das Aussehen gelegt, mich Letztenendes für eine biegsame Sportvariante entschieden, die ich aus Vorsicht, in doppelter Ausführung orderte.
In letzter Zeit hatten sich Kreislaufprobleme eingestellt. Oft fühlte ich mich matt, sah plötzlich verschwommen oder hatte sogar das Gefühl wirkliche Aussetzer meines Herzens spüren zu können.
Ein Besuch der Poliklinik in Manhattan brachte Klarheit; ich war kerngesund. Meinem Körper schien diese Erkenntnis egal zu sein, denn die Symptome zeigten sich weiterhin. Meine Frau Liz, die bis einige Monate vor der Geburt unserer Tochter als Assistenzärztin gearbeitet hatte, fühlte dann meinen Puls und versuchte mich zu beruhigen.

»Schatz, Doktor Cunningham hat dich untersucht. Er ist wirklich der beste Kardiologe, den ich kenne. Mach Dir keine Sorgen«, hörte ich so oder so ähnlich mehrfach wöchentlich. Sie meinte es gut, aber was änderte das an meinem Befinden?
Ich war deutlich sichtbar älter geworden. Mein Sixpack war einem gewölbten Onepack gewichen. Zog ich an den Falten unter meinen Augen, dann erinnerte ich mich an die Tränensäcke meines Großvaters. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die ersten grauen Haare, die sich an meinen Schläfen zeigten, Nachahmer auch auf dem Rest meines Kopfes finden würden. Ich wurde alt.
Wollte ich keine neuerliche Diskussion um die Anzeichen der -midlife crisis- beim nordamerikanischen Mann führen, dann musste ich aufstehen.

»Dad!«, Mason rannte mir beim Verlassen des Schlafzimmers in die Beine und klammerte sich fest. Ich beugte mich nach vorne, packte sein Beinchen, zog ihn nach oben, drehte ihn und nahm ihn wie einen übergroßen Säugling in den Arm. Mason grinste mich an, blinzelte und steckte sich den Daumen in den Mund. Mason und Dad, das war schon etwas ganz Besonderes. Ich trug meinen Junior durch den Flur, am Badezimmer vorbei, durch die Küche auf die Terrasse und ließ ihn erst dort wieder herunter. Wie ein Gummiball sprang er davon, setzte sich neben seine Mutter und gegenüber seiner Schwester auf den schweren Rattansessel und warf mir einen abwartenden Blick zu. Mein Sohn war für seine fünf Jahre, etwas klein, etwas zu schmal geraten. Seine Schwester wirkte dagegen mit ihren elf Jahren wie eine dreizehnjährige. Unserem Schöpfer hatte es gefallen, dass Mason mit seinen strohblonden Haaren, seiner zierlichen Gestalt, meiner Frau ähnelte und Harper an Figur, Gesicht und Haarfarbe eher nach mir schlug.
Ich öffnete also den grünen Holzschrank, griff mir daraus zwei große Sitzkissen und sorgte dafür, dass mein Junior eine für ihn angenehme Sitzhöhe einnehmen konnte.

»Guten Morgen Mäuschen«, begrüßte ich danach Harper und küsste sie auf die Stirn.

»Morgen Dad«, sagte sie und lächelte mich an.

»Geht es

Impressum

Texte: Titkos Gordan
Cover: Titkos Gordan
Tag der Veröffentlichung: 05.11.2017

Alle Rechte vorbehalten

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