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Kurze Lovestory

Es war die gleiche Sonne! Und doch hatte sie sich vor drei Monaten anders angefühlt, da war sich Anna ganz sicher. Nun, es war ja auch ein anderer Himmel, dachte sie. Und eine andere Anna! Die alte Anna hatte einen auszahlungsbereiten Bausparvertrag besessen, außerdem eine Reservierung auf ein großes Baugrundstück und Markus, einen vorzeigbaren Mann mit ausgeprägtem Nestbautrieb. All das hatte zu Annas großem Plan gehört. Auch, dass sie Markus hatte heiraten wollen. Aber als er neulich mit einer Schatulle in der Hand vor ihr gekniet und einen Ring aus dem Kästchen gezaubert hatte, hatte sich ein unsichtbares Seil eng um ihren Brustkorb gelegt. Hätte sie nicht „ja“ rufen und jubeln müssen oder soetwas?

„Herrje, ich muss noch die Spülmaschine ausräumen!“, hatte Anna gestottert und sich in der Küche eingesperrt. Abends hatte sie alleine dagesessen und mit einer Flasche Rotwein geredet: „Ich will Markus nicht heiraten! Ich will das Haus nicht bauen! Ich will nicht mehr in dieser öden Bank arbeiten! Aber was ich will, das weiß ich auch nicht!“

Annas ultimative Erkenntnis hatte im letzten Tropfen Rotwein gelauert und donnerte nun in ihrem Kopf: keine Pläne mehr! Weg damit! Wer alles plant, der kriegt irgendwann keine Luft mehr! Das ständige Planen und auf Geplantes hinarbeiten, das war es doch, was einen das Leben verpassen ließ! Oder nicht? „Leben ist das, was passiert, während man mit anderen Dingen beschäftigt ist“ - den Spruch hatte Anna mal irgendwo gelesen. Und das stimmte, fand sie. Die einzige Möglichkeit, aus diesem Hamsterrad zu entkommen war, etwas völlig Verrücktes zu tun! Etwas, das nicht logisch oder naheliegend war! Ohne weiter nachzudenken tippte sie die Frage „Was soll ich tun?“ in eine Internetsuchmaschine ein. Blind klickte Anna eines der vielen Ergebnisse an. Überrascht schaute sie auf den Bildschirm. Sie war auf einer Seite mit einem Zufallsgenerator gelandet! Okay, wenn schon, denn schon! Was auch immer dieser Zufallsgenerator ausspuckte, sie würde es als nächstes tun! „Ich bin gespannt, wohin du mich führst“, flüsterte Anna beschwipst, bevor sie mit dem Mauszeiger auf den Suchbutton drückte ...

Jetzt stand Anna in einem dünnen Sari vor einem Holzbrett und schnippelte Frühstück für Löwen, afrikanische Wildhunde und Affen. Sie musste immer wieder lachen, wenn sie an den Abend mit Rotwein und Zufallsgenerator als „Schicksalsfee“ dachte. „Sechs Monate Freiwilligenarbeit in Südafrika“ hatte das digitale Orakel ausgespuckt. Ihr Herz war fast stehen geblieben, als sie das gelesen hatte! Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, für eine Wildtierschutzorganisation in Kenia zu arbeiten! Aber genau das tat sie jetzt. Und sie genoss es, jeden Tag.

„Kommst du gleich mit, das Wasserloch bei den Elefanten auffüllen?“, fragte Simone, mit der sich Anna auf Anhieb super verstanden hatte.

„Na klar,“ sagte Anna und beeilte sich, mit dem Geschnippel fertig zu werden.  Sie freute sich schon darauf, von der Elefantenkuh Mazuri begrüßt zu werden. Die Riesenlady hatte eine witzige Angewohnheit: Wenn sie jemanden mochte, wuschelte sie ihm mit den Rüssel die Haare durcheinander. Auf dem Weg zu den Elefanten begegneten Anna und Simone Michael, ihrem Gruppenleiter. Er war so in Gedanken, dass er die beiden Frauen gar nicht wahrnahm. Beinahe wäre er mit seinem großen Wasserkanister gegen Simone geknallt. „Oh, tut mir leid,“ nuschelte Michael und huschte mit gesenktem Kopf weiter. Was war denn mit dem los? Anna machte sich zuerst keine weiteren Gedanken. Aber als ihr im Laufe des Tages noch mehr Leute vom Langzeitpersonal der Wildtierstation begegneten, die allesamt wirkten, als hätten sie nähere Infos zu einem bevorstehenden Weltuntergang, wurde sie misstrauisch. Irgendetwas lag in der Luft, und es war nichts gutes. Das spürte Anna.

Wie jeden Abend nach dem Abendessen traf sich die ganze Mannschaft der Wildtierstation am Lagerfeuer. Sie erzählten sich Geschichten, während sie Stockbrot in die Glut hielten. Meistens spielte Michael noch ein paar Songs auf seiner Gitarre. Und manchmal brachte Suna ihnen ein paar traditionell afrikanische Tanzschritte bei. Auch wenn alle schwiegen, still wurde es nie. Das Feuer knisterte und knackte und die nächtlichen Rufe der Wildtiere erfüllten die Nacht. All diese Geräusche vermischten sich zu einem Klang, der ein Gefühl von vollkommenem Frieden in Annas Seele pflanzte. Nur heute lag etwas Unbehagliches in der Luft.

Michael räusperte sich. „Okay Leute, bevor ihr es auf anderem Weg erfahrt: Wir wissen nicht, wie es mit dem Projekt hier weitergeht. Der Hauptsponsor - Caven Magoro - dreht uns wahrscheinlich bald den Geldhahn zu. Und dann müssen wir die Bude hier dicht machen.“ Wow, kein Wunder, dass er heute so neben der Spur war, dachte Anna Das waren ja furchtbare Nachrichten!

„Und da kann man nichts machen?“, fragte Silke, eine sonst eher schüchterne kleine Rothaarige.

„Naja, es ist noch nichts entschieden,“ erklärte Michael, aber seine Stimme verriet wenig Optimismus. Er kratzte sich nervös am Kopf. „Wahrscheinlich kommt Mister Magoro nächste Woche vorbei, um sich ein Bild von unserer Arbeit zu machen. Vielleicht können wir ihn irgendwie davon überzeugen, dass es verdammt wichtig ist, was wir hier tun!“

„Das schaffen wir doch locker“, rief Simone kampfeslustig. „Wir machen unsere Arbeit und zeigen diesem Geldsack, wie wunderbar es hier ist und wievielen Tieren wir das Leben retten!“ Bei dem Wort „Geldsack“ zuckte Michael zusammen, er sagte aber nichts.

„Und natürlich müssen wir alle ganz besonders nett zu dem Typ sein“, ergänzte Natascha und sah vor allem die Frauen in der Runde auffordernd an. Natascha erntete giftige Kommentare, aber einige Mädels nickten ihr zu. Alle redeten durcheinander und gaben Ideen zum besten, wie man Caven Magoro davon überzeugen konnte, das Projekt doch weiter zu unterstützen. Irgendjemand wollte ein paar von den ganz zahmen Tieren Kunststücke vorführen lassen. Eine laute Stimme forderte, ein Fest für den hohen Besuch zu arrangieren. Anna verdrehte die Augen. Sie hasste es, wenn um irgendwelche Bonzen herumscharwenzelt wurde – das war ihr in ihrem Job schon immer zuwider gewesen. Und privat war es für sie ein absolutes No-go! Nun, sie würde sich zurückhalten und ansonsten freundlich sein wie immer. Sie fand, dass die Leute hier großartige Arbeit leisteten und das sollte ja wohl reichen!

*

Als Caven Magoro den Raum betrat, flüsterte Simone Anna zu: „Der geht nicht, der schwebt! Ist ja noch schlimmer als erwartet!“ Anna verstand sofort, was ihre Freundin meinte. Mister Magoro war in einem weißen Leinenanzug erschienen. Die perfekten Bügelfalten seiner Hose hätte Annas Großmutter, die Wert auf soetwas legte, vor Neid erblassen lassen. Er erinnerte Anna an diesen tollen schwarzen Schauspieler Will Smith, nur, dass der sympathisch war und dieser Magoro total arrogant unter seiner Hutkrempe hervorschaute. Er zündete sich eine Havanna an und redete mit einem schlaksigen Jungen, der sich verbeugte und sofort loseilte.

„Mir fehlt nicht viel aus meiner Heimat, aber das Rauchverbot in Räumen, in denen gegessen wird, gehört dazu!“, zischte Anna. Sie hatte geholfen, das großzügige Buffet vorzubereiten, das dieser Schnösel jetzt vollqualmte. Nach einer Dankesrede von Michael sprach Mister Magoro noch ein paar Worte, dann bewegte sich alles zum Buffet und die Stimmung lockerte langsam auf.

Während Natascha und ihre Freundinnen alles taten, um sich an Caven Magoro ranzuschmeißen, plünderten Anna und Simone das Buffet und verzogen sich in eine Ecke, in der sie keine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Trotzdem entgingen sie dem wachen Blick des Ehrengastes nicht, der zu ihnen geschlendert kam.

„Guten Abend, die Damen.“ Caven Magoros sonore Stimme unterstrich seinen Charme. „Darf ich Ihnen einen Drink bestellen?“ Bevor Anna etwas sagen konnte, trat ihr Simone auf den Fuß. „Ja gerne, Mister Magoro“, lächelte sie, und trat nocheinmal auf Annas Fuß, deren gequälten Gesichtsausdruck man als nervöses Lächeln interpretieren konnte. Caven Magoro wollte wissen, wo die beiden Frauen herkamen und was sie in dieses Wildtier-Camp gebracht hatte. Simone gab bereitwillig Auskunft, Anna musste man jedes Wort aus der Nase ziehen. Typisch!

„Mensch Anna, man muss sich ja nicht gleich an den Magoro ranschmeißen, aber so unfreundlich wie du – das muss echt nicht sein!“, schimpfte Simone, als der Abend vorbei war und sie in ihrer Holzhütte angekommen waren.

„Ich war nicht unfreundlich. Ich war... neutral“, korrigierte Anna genervt. Der Abend war anstrengend genug, jetzt wollte sie keine Moralpredigt hören. Simone verschwand mit einem Seufzen in ihrem Zimmer. Sie kannten sich keine vier Monate und doch schon so gut, dass jede wusste, wann ein weiteres Gespräch keinen Sinn mehr hatte. Neben den vielen atemberaubenden Erfahrungen hier in Namibia würde Anna die Freundschaft mit Simone als einer ihrer wertvollsten Reiseschätze mit nach Hause nehmen. Nach Hause... ach ja... Schnell schob Anna die Gedanken an daheim beiseite. Sie wollte sich jetzt noch keine Gedanken darüber machen, wie es nach ihrer Zeit in Afrika weitergehen sollte …

Mit dem nächsten Tag kam der gewohnte Tagesablauf auf der Wildlife-Station und Anna hatte den Havanna-Guru schon vergessen. Heute war sie mit dem Frühstück für die Affen dran. Das knackige Gemüse kam frisch von einer Gemüse-Farm. Es gab sogar ein paar Orangen. Luxus hier in Namibia! Da das Land so trocken war, musste fast alles außer Fleisch importiert werden. Anna liebte diese Orangen, die nichts mit dem gleichnamigen Obst aus den heimischen Geschäften gemeinsam hatten. Schon beim Anschneiden wehte ihr ein süß-fruchtiger Duft in die Nase. Herrlich! Wieso hatte sie zu Hause nicht mehr darauf geachtet, wie Dinge rochen, schmeckten, sich anhörten? Im Moment leben, genießen – dafür musste man doch nicht auf die andere Seite der Welt fliegen!

Michaels Stimme riss Anna aus ihren Gedanken. „Mister Magoro will dich heute Abend sehen!“ Wie bitte? Anna glaubte, sich verhört zu haben. „Er lädt dich zum Abendessen ein, das soll ich dir ausrichten“, fügte Michael hinzu.

„Ähm – nein!“, krächzte Anna. Michael schaute sie entsetzt an.

„Anna, es ist eine Einladung, von Caven Magoro persönlich. Du kannst sie nicht ablehnen!“ Die Sorgenfalten auf Michaels Stirn sahen langsam aus wie Schluchten.

„Wetten, dass ich das kann?“, schnauzte Anna und stapfte Richtung Affengehege. Zorn schien ihre Haare statisch aufzuladen. Wild standen sie in alle Richtungen ab.

Beim Mittagessen hatte Anna schlechte Laune. Sie ignorierte Michaels Blicke. Sie laß ein Flehen mit zehn Ausrufezeichen darin. Simone kam mit einem Teller voller Potje.

„Bäh, geh mit diesem Eintopfmatsch weg,“ meckerte Anna, die schon den Geruch widerlich fand.

„Du kannst ja heute Abend schick essen gehen, ich gebe mich mit dem Essen fürs einfache Volk zufrieden“, konterte Simone die an Annas Gesichtsausdruck erkannte, dass sie zu weit gegangen war. „War nicht so gemeint,“ schob sie nach.

„Woher weißt du von der Einladung?“ fragte Anna, immer noch sauer. Simone erzählte ihr, dass Michael sie gebeten hatte, mit ihr zu reden.

„Er sagt, es ist wirklich wichtig, dass Mister Magoro das Wildlife-Projekt weiter sponsert. Wenn du das Essen platzen lässt, ist er bestimmt sauer und... naja, vielleicht reist er dann ab und dreht den Geldhahn sofort zu.“ Simone schaute Anna ernst an. „Kannst du dir denn keinen Ruck geben? Es ist doch nur ein Abendessen!“

„Achja,“ … „Nur ein Abendessen? Und dann? Soll ich danach vielleicht noch für ein Schäferstündchen herhalten?“ Anna schäumte vor Zorn. Spinnten denn alle? Sollte sie sich jetzt prostituieren? Alles hatte seine Grenzen!

„Nur ein Abendessen! Du kannst ja anhauen, wenn dir der Typ auf die Pelle rückt“, versuchte es Simone nochmal. „Und du kannst durchblicken lassen, dass du auf Frauen stehst. Dann bist du fein aus der Nummer raus“, schlug sie vor.

„Du weißt, was diese Information in der Fantasie der meisten Männer anrichtet?“, fragte Anna spitz. Simone grinste.

„Also gut,“ verkündete Anna. „Bevor du noch weitere tolle Ideen ausgräbst... Ich gehe zu diesem Essen. Aber wenn dieser Magoro mir auf die Pelle rückt, ziehe ich ihm den Teller über die Rübe!“ Darauf stießen die beiden Frauen an – wenn auch nur mit Apfelsaftschorle.

Anna saß mit Caven Magoro am Tisch eines Restaurants, dessen Preise sich wohl kaum ein Einheimischer leisten konnte, und studierte angestrengt die Speisekarte. Sie hatten schon ein wenig geplaudert. Anna war schnell aufgetaut. Entweder ist er ein guter Schauspieler oder er hat auch eine ziemlich nette Seite, dachte sie. Als sie bestellt hatten, lehnte sich Caven Magoro in Annas Richtung und sprach leise:

„Also, Miss Anna, warum ich Sie unbedingt treffen wollte...“ Er stockte. Ein mulmiges Gefühl kroch in Annas Bauchgegend. Hoffentlich machte er ihr jetzt kein unmoralisches Angebot! Es schien Caven Magoro Überwindung zu kosten, weiter zu sprechen. „Also, es geht um meine Großmutter.“ Okay, damit hatte Anna wirklich nicht gerechnet. Síe war gespannt, was sie mit der Großmutter des Wildlife-Mäzens zu tun hatte. „Wissen Sie, es ist in meiner Heimat verpönt, über die Zeiten des Protektorats und der Kolonialisierung zu sprechen. Ich will Sie auch nicht mit Politik langweilen. Nur soviel: Meine Großmutter lernte als junge Frau einen Deutschen kennen, den sie sehr mochte. Sie durfte ihn nicht heiraten. Aber sie hat ihn nie vergessen! Hans hieß er. Hans hat einmal für sie gekocht: echte deutsche Kartoffelknödel.“ Caven Magoro sprach noch leiser weiter. „Ich habe zufällig Ihren Lebenslauf bei uns im System gefunden. Sie kochen gerne rustikale Küche. Könnten Sie für meine Bibi richtige deutsche Kartoffelknödel zubereiten?“ Anna prustete los. Sie konnte gar nicht aufhören zu lachen, die Situation war einfach zu schräg. Mister Magoro blieb ernst. „Es ist ihr letzter Wunsch“, sagte er traurig. Das Lachen blieb Anna im Hals stecken.

„Tut mir leid,“ entschuldigte sich Anna, „ist Ihre Großmutter krank?“ Caven Magoro nickte. Der baldige Abschied von ihr schien ihn sehr mitzunehmen.

„Ich würde Ihnen gerne helfen, den letzten Wunsch ihrer Großmutter zu erfüllen. Aber ich fürchte, das wird nicht funktionieren.“ Anna senkte den Kopf. Enttäuschung schob die Traurigkeit aus Mister Magoros Mine.

„Und warum geht das nicht?“, fragte er lauernd.

„Na, weil es hier nicht die richtigen Zutaten gibt! Wo soll ich denn hier altbackene Semmeln und Petersilie herbekommen?“ Es war eigentlich keine Frage. Aber zu ihrer Überraschung lachte Caven Magoro und sagte: „Das ist aber doch wirklich kein Problem, Miss Anna!“ Wie dumm von ihr! Natürlich war es für einen stinkreichen Mann kein Problem, ein trockenes Weizenmehl-Brötchen und einen Bund Petersilie aufzutreiben, auch nicht in der Wüste!

*

Am übernächsten Abend stand Anna in der Camp-Küche und formte aus einer eher unansehnlichen Teigmasse sehr ansehnliche Knödel. Geschickt rollte sie die Knödel nocheinmal durch etwas Kartoffelmehl und ließ sie behutsam in einen großen Topf mit Salzwasser gleiten. Das kochende Wasser schäumte auf. Ein seltsames Gefühl ergriff sie. War das Heimweh? Vielleicht ein bisschen, dachte Anna. Sie nahm den Kochtopf von der Platte. Die Knödel durften nur sieden, sonst gab es Matschsuppe. Zu den Knödeln würde es Buttersoße mit Speckwürfeln geben. Rashida – Mister Magoros Großmutter – hatte es sich so gewünscht. Anna durfte ihr das Abendessen persönlich servieren, das galt als Ehre. Sie zitterte vor Aufregung, als sie das silberne Tablett mit den aufgetürmten Knödeln in den Speisesaal brachte. Der Raum war eigens für Rashida hergerichtet worden, die heute mit ihrem Enkel im Camp dinieren würde. Selbstverständlich aßen die beiden alleine! Alle anderen aßen heute draußen am Lagerfeuer. Anna schaffte es, das Tablett auf dem Tisch zu platzieren, ohne irgendetwas zu verschütten. Sie deutete eine Verneigung an, und entfernte sich. So hatte es ihr Michael vorher eingeschärft. Rashida hatte sie freundlich angelächelt und dann wie hypnotisiert auf die Knödel gestarrt. Hoffentlich schmeckten sie ihr!

Anna wusste, dass sie es lieber lassen sollte, aber sie war einfach zu neugierig! Sie beschloss, sich in den Lagerraum nebenan zu schleichen und zu lauschen. Natürlich verstand sie kein Wort Suaheli, aber oft konnte man ja am Klang von Sätzen einiges über ihre Bedeutung heraushören. Ob jemand wütend war oder erfreut, ob jemand etwas Nettes sagte oder stritt. Zu Annas Überraschung war sie im Lagerraum nicht alleine! Simone, Silke und Suna kauerten zwischen ein paar Jutesäcken und grinsten Anna an. Anna grinste zurück und setzte sich wortlos dazu. Ihr schlechtes Gewissen freute sich, jetzt war es wenigstens nicht mehr allein! Und Suna konnte das Gespräch zwischen Caven Magoro und Rashida übersetzen.

„Es schmeckt ihr hervorragend“, wisperte Suna. „Sie sagt, die Knödel seien sogar besser als die von Hans, obwohl die in ihrer Erinnerung über die Jahre vermutlich immer besser geworden seien.“ Die Frauen kicherten leise. Suna horschte und übersetzte weiter. „Rashida sagt, dass ihr nicht entgangen sei, dass die Köchin sehr hübsch ist. Aber Caven solle bloß nicht auf dumme Gedanken kommen!“ Annas Wangen färbten sich dunkelrot. Simone knuffte sie in den Arm. „Rashida sagt, dass Caven nur eine Einheimische zur Frau nehmen dürfe. Das verlange die Tradition. Mister Magoro sagt, dass sie ihn nicht daran zu erinnern brauche.“ Aus irgendeinem Grund hatte Anna gehofft, dass er etwas anderes geantwortet hätte. Allein schon aus Prinzip! Oder weil es eine Tür verschloss, die sie gerne durchschritten hätte? Anna hätte es niemals zugegeben, aber dass sie jetzt von einer großen Traurigkeit erfasst wurde, zwang sie zu einer Erkenntnis: Sie hatte Caven Magoro gern. Sehr gern. Und sie hatte sich in den letzten drei Tagen Hoffnungen gemacht. Aber ihn konnte sie sich gleich aus dem Kopf schlagen. Das hatte sie ja jetzt gehört. Betrübt stand sie auf und ging an die frische Luft. Sie würde zu Lili und Lula gehen. Die Affenbabys zu kuscheln lenkten Anna von diesem Knoten in der Herzgegend ab …

*

In den kommenden Tagen ging Anna Caven Magoro aus dem Weg. Aber am fünften Tag verließ sie diesbezüglich das Glück. Gerade war sie dabei, den Elefantenstall auszumisten. Das nenne ich mal eine scheiß Situation“, murmelte Anna, als Mister Magoro zielstrebig auf sie zugesteuert kam. Er hatte ein makelloses Safari-Outfit an und war mit Sicherheit frisch geduscht. Anna stand in knöchelhohem Tiermist, hatte ein verschwitztes T-Shirt an und war von oben bis unten voller Dreck.

„Miss Anna, endlich habe ich Sie gefunden. Ich will mich für die wunderbaren Kartoffelknödel bedanken! Meine Großmutter war selig vor Freude!“ Mister Magoro strahlte sie an. Seine Augen hatten die Farbe von gerösteten Kaffeebohnen.

„War kein Problem“, sagte Anna knapp und fuhr mit dem Ausmisten fort. Ihr Herz zog sich zusammen und sie musste sich davon ablenken. Elefantenscheiße half ganz gut gegen hoffnungslose Romantik, das jedenfalls hoffte sie.

„Alles gut?“, fragte er. „Habe ich Sie mit irgendwas verärgert?“

„Nein, alles gut,“ antwortete Anna knapp. Sie konnte ihn nicht anschauen.

„Ich würde Sie gerne noch einmal zum Essen einladen.“ Die Kaffeebohnen-Augen glühten hoffnungsvoll.

„Wozu?“, entfuhr es Anna.

„Ich verbringe gerne Zeit mit Ihnen, Miss Anna“, sagte Caven Magoro mit fester Stimme.

Anna richtete sich auf und ermahnte ihr Herz, sich zusammenzureißen. Sie blickte ihn eisig an. „Das wird Ihrer Großmutter aber gar nicht gefallen. Ich bin ja keine Einheimische. Oder ist ein bisschen Spaß mit Ausländerinnen erlaubt?“ Anna war es egal, dass sie sich gerade als Spitzel verraten hatte.

„Mh, Sie haben also Rashida und mich belauscht“, stellte er fest. Sein Blick war streng, aber dann stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. „Offensichtlich haben Sie aber nicht gut zugehört“, fuhr Mister Magoro fort. „Es stimmt, meine Großmutter wollte mich darauf festnageln, dass ich der Tradition folge und eine Frau aus unserem Volksstamm wähle. Nur ... Wir hatten dann ein wenig Streit. Rashida ist Widerworte nicht gewöhnt.“ Caven Magoro war zu Anna in den Elefantenstall getreten. Er nahm ihre Hand und zog sie an sich. Doch bevor er seinen Mund auf ihre Lippen pressen konnte, tauchte hinter ihm ein Rüssel auf. Mazura wuschelte dem Neuankömmling durchs Haar. Der war so überrascht, dass er rückwärts umfiel und in einem beeindruckend großen Elefanten-Fladen landete. Anna hielt sich an Mazura fest, sonst wäre sie vor Lachen ebenfalls umgefallen. Die Elefantendame mochte den Sponsor ihres Domizils offensichtlich auch.

„Dann lassen Sie uns Ihre Großmutter ärgern und Essen gehen,“ schlug Anna vor, als sie endlich aufgehört hatte zu lachen.

*

Anna lag mit dem Kopf auf Cavens Brust und schaute in den Sternenhimmel. Es stimmte, was man über den Himmel über Afrika sagte. Man schaut hinein und hat das Gefühl, direkt ins Universum zu blicken. Anna seufzte. Sechs Monate Kenia und sie war in einem anderen Leben gelandet. Caven würde die Wildlife-Station weiter finanzieren. Anna würde ihren Aufenthalt dort verlängern. Sie kuschelte sich eng an den schlafenden Mann. Die Zeit würde zeigen, ob die Sterne für sie beide günstig standen. Aber bei so vielen Sternen waren ganz sicher ein paar für Anna und Caven dabei, daran glaubte Anna felsenfest.

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Tag der Veröffentlichung: 11.07.2019

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