Carmen Sevilla
Fremde Frau in meinem Bett
Lolas radikaler Schritt ins neue Leben
Erzählung
L'amour a son instinct,il sait trouver le chemin du coeur
comme le plus faible insecte marche à sa fleur
avec une irrésistible volonté.
Honoré de Balzac
Du siehst eine Frau, findest sie attraktiv, glaubst anderweitig Liebenswertes in ihr zu erkennen und wünscht dir nichts mehr, als dein weiteres Leben mit ihr zu verbringen. Nicht so ich. Dem schönen Schein glaubte ich nicht. Selbst bei den wundervollsten Frauen sah ich das zickig Zänkische nach dreißig Ehejahren, das auch heute schon in ihr angelegt sein musste. Eine Freundin hätte ich auch schon gern gehabt. Ich taxierte ja alle, aber immer dasselbe Resultat. Deshalb konnte ich auch keine Freundin finden. Meine Mutter hatte mir geraten, nach dem Liebenswerten zu suchen, das jeder Mensch in sich trage. Es veränderte manches, aber eine Freundin fand ich trotzdem nicht. Lola gehörte nicht zum Kreis meiner mehr oder weniger guten Freunde und auch nicht zu den Frauen, die ich auf Beziehungsfähigkeit taxiert, und bei denen ich Lust hatte, nach dem Liebenswerten zu fanden. Ich lud sie nicht zur Geburtstagsfeier ein und fragte sie auch nicht nach einem gemeinsamen Konzertbesuch. Auf die Idee kam ich gar nicht. Das hätte nicht gepasst. Ich empfand unser Verhältnis als äußerst vertrauensvoll, aber doch mit einem gewissen Grad an Distanziertheit. Eines Tages kam Lola und wollte bei mir schlafen. Selbstverständlich mit mir in meinem Bett. Ich schaute sie gern an, trotzdem hätte ich am liebsten zwischen Lola und mich eine Wand gebaut. Ich weiß nicht, ob es Angst war, aber Unsicherheit bestimmt. Was sollte denn daraus werden? Unsere Beziehung war so intensiv, dass wir uns noch niemals geküsst hatten. Alles Erotische war ihr immer wesensfremd. Jetzt, wo wir gemeinsam im Bett lagen, konnte ich es ja nicht mehr leugnen, dass sie auch eine begehrenswerte Frau war. Aber das müsste man doch langsam entwickelnd entdecken, so passte es überhaupt nicht zu unserer Beziehung. Es verwirrte mich nur enorm. „Lola, ich kann das nicht. Es geht nicht. Ich werde doch bei mir auf der Couch schlafen.“ erklärte ich. „Wenn ich dir auch zugestehen muss, dass wir uns sehr gut kennen, aber in Bezug auf Liebe und Zuneigung hat es da doch nie etwas gegeben.“ Lola blickte mich ernst, fast ein wenig traurig an. „Ich kann und werde dich nicht zurück halten, Fabian, nur was du sagst, tut weh.“ meinte Lola dazu. „Ich habe dich für einen gefühlsreichen Menschen gehalten, dem nicht entgangen sein könnte, dass ich dich sehr, sehr mag. Man kann es auch anders ausdrücken, und ich war mir sicher, es bei dir ebenso gespürt zu haben.“ Es war nicht nur nett zwischen uns, es sollte eine Liebesbeziehung sein? Einfach so glauben, konnte ich Lola das nicht, zumal sie doch auch einen Freund hatte, den sie liebte. „O. k., Lola, ich bleibe, aber unter einer Bedingung: Du musst mir genau erklären, wie du uns siehst und in welchem Verhältnis es zu deiner jetzigen Beziehung steht.“ beanspruchte ich. Lola schaute kurz ins Leere, setzte sich auf's Kopfkissen und lehnte sich an die Rückwand. „Na gut,“ sagte sie, „aber es ist eine lange und sehr intime Geschichte.“
Fremde Frau in meinem Bett – Inhalt
Fremde Frau in meinem Bett 4
Glauben 4
Mögliche Freundinnen 5
Kuliklauer 5
Physikerliebe 6
Das Liebenswerte 7
Kaffeeklatsch 7
Heute Nacht hier schlafen 8
Lola, ich kann das nicht 9
Lola, ich bleibe 10
Revolutionärer Akt 11
Schwester von Schneewittchen 12
Paradiesische Tage 13
Freunde 14
Märchenland 14
„Morgen wird es nicht regnen, die Sonne wird scheinen, und schön warm wird es sein.“ sagst du. Das soll ich dir glauben? Ich bin ein zutiefst ungläubiger Mensch. Ich könnte dich fragen, warum du zu der Annahme kommst, und es dir dann vielleicht glauben, aber ich glaube nicht gern und lass es lieber bleiben. Ich hüte mich davor, etwas zu glauben, und manchmal glaube ich mir selber nicht. Wenn du es siehst, hörst oder fühlst, meinst du, es zu wissen, aber deine Sinne sind auch keine absolut sicheren Garanten. Sie lassen sich täuschen und geben sich Illusionen hin. Sie sind auch nicht unvoreingenommen, das meiste nehmen sie wahr, wie dein Unbewusstes es ihnen vorgibt, und wie sie es erwarten. Ich bin nicht misstrauisch und folge allem nur mit großer Skepsis und Vorbehalten, nur dass meine Welt daraus bestehen soll, was ich zu glauben habe, ärgert mich schon seit frühester Kindheit. Du denkst als Kind hast du nach allem gefragt, bis es deine Eltern nervte, so hättest du die Welt kennengelernt. Durch Fragen zu Wissen zu gelangen, sei eine Grundstruktur, die sich bei deiner Gehirnentwicklung fest eingeprägt habe. Doch vorher hattest du auch schon Wissen, nachdem du nie gefragt hattest. Dass deine Mutter dein Schutz und Ankerplatz in dieser Welt war, wusstest du schon, bevor du sprechen und verstehen konntest. Und dann gab es auch immer manches, was keiner Frage bedurfte. Es war schon selbstverständlich, weil es zu deinem Leben gehörte, bevor du zum Fragen kamst. Du hast nie gefragt, warum du dich morgens anziehst und nie gefragt, warum du bei Tisch und vorm Zubettgehen beten sollst. Dass es Selbstverständlichkeiten gibt, die du nicht hinterfragst, hat sich auch bei deiner Gehirnentwicklung eingebrannt, und du verfährst auch heute oft so.
Die Vorstellung, dass vierzehn Englein um mich stehen und mich die Nacht über behüten fand ich zauberhaft, genauso wie die gute Fee dem Fischer mehrmals einen freien Wunsch erfüllt hatte. Die Existenz der Fee war nicht real, daran glaubte ich selbstverständlich nicht, aber an die Englein sollte ich glauben. Ich habe nicht dagegen protestiert und konnte auch nicht vermuten, dass meine Mutter mich belügen würde, aber skeptisch hat es mich gemacht. Nicht nur, dass die Englein real existieren sollten, sondern auch allem weiteren, was aus dieser Richtung kam, stand ich mit größten Bedenken gegenüber. Es hätte ja so schön sein können, wenn nicht der Zwang bestanden hätte, es glauben zu müssen. Vor allem dieser Missbrauch des schönen Wortes 'glauben' hat sich mir eingeprägt. Glauben beinhaltet Vertrauen, aber nicht das Aufoktroyieren von märchenhaften Geschichten, die als Wissen unter Strafandrohung für's spätere Leben den Kindern vermittelt werden. Es gibt nicht weniges, was ich gerne glauben möchte, so auch, dass das Wetter morgen schön wird, aber vieles lasse ich gar nicht dahin kommen, dass ich es zu glauben wünsche.
Ich hatte mich später zwar intensiver mit Glauben, Wissen und Religionen auseinandergesetzt, aber es hatte mich weiter geführt zu Grundfragen menschlicher Kommunikation. Deshalb studierte ich auch Kommunikationswissenschaften. Ein gemischtes Volk waren die Studentinnen und Studenten mit den unterschiedlichsten Motivationen. Lola hatte klare Vorstellungen. Sie wollte später als Redakteurin beim Fernsehen oder Rundfunk arbeiten. Sie wirkte eher nicht wie eine Studentin. Sie war groß, erweckte einen gereifteren Eindruck. Man hätte sie für eine Dozentin gehalten, während den meisten Kommilitoninnen noch mehr Jugendliches anhaftete. Ich stand zur Zeit auf Kriegsfuß mit allen Frauen dieser Welt außer meiner Mutter. Im Prinzip hätte ich schon gern eine Freundin gehabt. Homoerotische Anwandlungen kamen bei mir nicht vor, aber bei konkreten Vorstellungen sah ich wie in einer zerrütteten Ehe bei allen potentiellen Freundinnen nur die Fehler oder vermutete sie. Wenn ich sie nur sah, zum Beispiel bei Frauen an der Bushaltestelle, erkannte ich trotz bezaubernden Aussehens ihre charakterlichen Fehler. Keineswegs war ich misogyn oder allgemein frauenfeindlich, im Gegenteil, ich unterstützte feministische Ansichten, es war nur immer die einzelne, die ich mir als potentielle Partnerin vorstellen sollte. Ich hatte Bekannte und Freundinnen, aber für eine engere Beziehung konnte ich keine Frau als wünschenswert erkennen. Natürlich liebte ich meine Mutter, aber ein irreales madonnenhaftes Idealbild konnte ich als Wunschvorstellung nicht ausmachen. Entwicklungsprobleme waren bei mir auch nicht ersichtlich. Ich war mit meiner zwei Jahre älteren Schwester aufgewachsen. Wir liebten, und wir hassten uns. Wenn meine Einstellung so bestehen bliebe, würde ich mich doch wohl mal von einem Therapeuten beraten lassen müssen, aber zur Zeit litt ich keineswegs darunter.
Es war launisches Aprilwetter, mal schien die Sonne warm, dann regnete es wieder. Launig war auch meine Stimmung, als ob ich wie ein Schüler Lust auf einen Streich gehabt hätte. Ich saß neben Lola in einer Übung. Wir kannten uns nicht, warteten auf den Beginn und redeten ein paar Worte. Als Lola gerade in eine andere Richtung schaute, stibitzte ich ihren auf dem Tisch liegenden Kuli. Mit einem mokanten Grinsen wurde ich bedacht, aber es war nicht nur überheblich böse. Ich musste über ihr Gesicht lachen, und sie verzog ihre Mimik auch zu einem wohlwollenden Lächeln. „Du böser Junge, was machst du für Streiche?“ sagte sie zu mir und ich lachte wieder. „Ich weiß auch nicht. Anscheinend habe ich heute Lust auf kindische Albernheiten.“ antwortete ich. Anscheinend gefiel uns dieser Unsinn, obwohl er zu keinem von uns beiden passte. Bei der nächsten Sitzung setzten wir uns wieder wie selbstverständlich nebeneinander. Obwohl ich Lola diesmal nicht den Kuli klaute, schienen wir Gefallen an kleinen schelmischen Neckereien zu haben. Und immer setzte Lola diesen mokanten Blick auf, von dem ihr klar war, dass er mich keineswegs beschämte. Bei den kurzen Smalltalks erzählten wir ein wenig voneinander, und sie erfuhr auch, dass ich Fabian hieß.
In gewisser weise hatte sich dieser alberne Nonsens zwischen uns etabliert. Obwohl ich so etwas sonst von mir überhaupt nicht kannte, aber wenn ich Lola an der Uni traf, musste ich einen blöden Spruch ablassen. „Na, wieder langweilig zu Hause?“ oder ähnliches. Einmal schlug Lola vor, gemeinsam einen Kaffee zu trinken. Es machte uns Freude, gegenseitig voneinander zu erzählen, weil wir aus völlig unterschiedlichen Richtungen kamen. Mein Schwerpunkt war das Philosophisch-Soziologische, während Lola mehr in konkreten beruflichen Perspektiven dachte. Sie schwärmte von der wundervollen Arbeit mancher Journalistinnen und wollte so gut werden, dass sie später auch als Freie eine Chance habe. Ob wir nicht mal wieder etwas zusammen belegen könnten, fragte sie zum Schluss. Sie wisse nicht genau warum, aber sie habe es in sehr angenehmer Erinnerung. Natürlich, es machte ein belebendes Gefühl, wenn zwei, die von sich wussten, dass sie darüber standen, Lust auf Albernheiten verspürten.
Wir besuchten ein Seminar und hatten gemeinsam ein Referat übernommen. Mehrmals trafen wir uns bei mir. Lola meinte, große Lücken bei sich festgestellt zu haben. Inhaltlich fehle ihr doch noch vieles. „Dafür kannst du sehr lustig sein. Das wissen viele nicht zu schätzen. Aber deinem Freund wird das sicher gefallen.“ meinte ich. Jetzt grinste Lola nicht, sondern schaute mich ernst an. „Das kannst du gar nicht verstehen, Fabian.“ sagte sie, „Das ist eine andere Welt.“ Ihr Freund studierte Physik und war zwei Jahre älter als sie. „Willst du's mir trotzdem zu erklären versuchen?“ bat ich sie, aber Lola wollte nicht. Ich merkte, wie es mich beschäftigte, versuchte mir einiges von dem, was ich nicht verstehen konnte, vorzustellen, aber es war ja so irreal und entbehrte jeder Grundlage, dass ich mich nicht genötigt sah, etwas zu vermuten oder gar zu glauben. Spezialitäten bei der Beziehung mit Physikern kannte ich jedenfalls nicht. Warum interessierte es mich eigentlich, warum wollte ich etwas über das Privatleben dieser fremden Frau wissen? Natürlich hatte ich sie immer als Frau gesehen, aber es fiel mir auf, dass sie meinem Fehlerbewertungssystem als potentielle Freundin entgangen war. Sie bildete eine Ausnahme von dem Kreis derer, bei denen ich die Ehe schon als zerrüttet ansah, bevor der Hauch einer Beziehung bestand. Jetzt war es zu spät, dafür kannte ich zu viel von Lola. Abgesehen davon legte ich sowieso keinen Wert darauf. Meine Taxierungen störten mich, waren mir unangenehm, nur ganz vermeiden ließ es sich nicht. Im Prinzip machen es ja alle automatisch, bewerten den oder die andere beim ersten Blick als potentiellen Sexualpartner, nehmen es nur nicht wahr. Bei Lola schien ich das nicht getan zu haben oder es war mir auch nicht bewusst geworden. Mein Verhältnis zu ihr bewertete ich eher als kumpelhaft, freundschaftlich, nicht unähnlich dem zu meiner Schwester. Mit meiner Schwester konnte ich mich allerdings heftig streiten, dazu verspürte ich bei Lola keinen Bedarf. Dass es so ablaufen würde wie mit meiner Schwester, hielt ich auch für sehr unwahrscheinlich. Wir konnten uns wüst beschimpfen, aber gleich darauf wieder Gemeinsames ausmachen. Ernsthaft böse aufeinander zu sein, schien für uns beide unmöglich. Wahrscheinlich hatten wir uns in unserer Entwicklung gegenseitig als Sparringpartner zum Trainieren von Konflikten mit anderen angesehen.
Ich sprach mit meiner Mutter über mein Problem, eine Freundin zu finden. Vielleicht war ihr ja etwas aufgefallen, das zu Klärung beitragen könnte. Sie meinte, dass es schon etwas mit unserer Beziehung zueinander zu tun habe. In der Pubertät hätte ich sie ja als meine erste wünschenswerte Freundin angesehen. Die Phase sei wohl überwunden, aber etwas Grundlegendes zum Bild einer vorstellbaren Frau könne sich schon dauerhaft etabliert haben. „Aber ich habe doch gar kein Bild von einer wünschenswerten oder möglichen Freundin.“ entgegnete ich. „Das hast du schon, du kennst es nur nicht. Das brauchst du mir nicht zu glauben, das ist so. Eine Freundin nach einem vorgefassten Bild zu finden, würde dich nicht sonderlich bewegen, weil es sich an der Oberfläche bewegt. Dass sie etwas in dir anspricht, von dem du nichts weißt, bewirkt den Reiz für dich. Sich Frauen anzuschauen, und zu hoffen, dass du irgendwann mal eine siehst, an der dir nichts Nachteiliges auffällt, ist ein müßiges Unterfangen und kann nicht der Weg zum Erfolg sein. An deine imaginierten Fehler scheinst du felsenfest zu glauben. Du studierst doch Kommunikationswissenschaften, da solltest du doch auch wissen, dass du jeden Menschen so tief kennenlernen kannst, dass seine sogenannten Fehler für dich zu nebensächlichen Äußerlichkeiten degradiert werden.“ meine Mutter dazu. Alle Frauen meine potentiellen Freundinnen? Die Vorstellung musste ich nicht nur glauben, sondern erst mal verarbeiten. Natürlich war ja jeder im Prinzip ein guter Mensch, und wurde auch von seiner Mutter trotz aller möglicher Fehler geliebt, aber mir wollte es doch sehr schwer fallen. Wenn ich mir vorstellen sollte, wo bei dieser neurotisch, zickig wirkenden Frau der Kern liegen sollte, den ich lieben könnte, fiel es mir nicht leicht und ich empfand den Versuch eher als lustig. Tatsächlich, es machte viel mehr Spaß, Frauen daraufhin zu betrachten, warum ich sie trotzdem lieben könnte. Das veränderte mich. Ich konnte jetzt Lisa betrachten, und versuchte in ihr das Liebenswerte zu finden. Meine Versuche waren meist von Schmunzeln begleitet. Ich hörte ja ständig ihre höchst unangenehme Reibeisenstimme, wie sollte das denn zu einer nebensächlichen Äußerlichkeit werden, ohne dass sich bei mir selbst etwas veränderte, und ich lernte krächzende Stimmen zu lieben. Ein anderer Effekt war, dass sich meine Kommunikation wohl änderte und ich mit einer Frau immer als potentiell Liebenswerte sprach, dazu meistens lustig war, weil es mich amüsierte. Bei Frauen schien ich beliebter zu werden und erlebte nicht wenige Annäherungsversuche. Ich wollte aber trotzdem nicht, obwohl ich doch sicher war, das Liebenswerte entdecken zu können.
Lola gehörte nicht zum Kreis meiner mehr oder weniger guten Freunde und auch nicht zu den Frauen, bei denen ich Lust hatte, nach dem Liebenswerten zu fanden. Ich lud sie nicht zur Geburtstagsfeier ein und fragte sie auch nicht nach einem gemeinsamen Konzertbesuch. Auf die Idee kam ich gar nicht. Das hätte nicht gepasst. Ich empfand unser Verhältnis als äußerst vertrauensvoll, aber doch mit einem gewissen Grad an Distanziertheit. Wenn wir nichts gemeinsam belegt hatten, gingen wir nicht selten auf einen Espresso in die Cafeteria, wenn wir uns in der Uni begegneten. „Warum kommst du nicht mal wieder auf einen Kaffee zu mir? Dann haben wir ein wenig mehr Zeit, und ich empfinde es als angenehmer.“ schlug ich vor. Lola war nicht abgeneigt, und wir vereinbarten einen Termin. Lola kam öfter, und es spielte sich so ein, das wir regelmäßig mittwochs bei mir Kaffeeklatschtermin hatten. Mal brachte sie ein Stückchen Kuchen mit, mal hatte ich etwas besorgt. Permanent war immer noch die Frage nach dem Verhältnis zu ihrem Freund bei mir gegenwärtig. Ich versuchte manchmal indirekt das Gespräch darauf zu bringen, aber Lola blockte ab. Sie schien keinesfalls darüber etwas äußern zu wollten, was meine Fantasie zu den obskursten Vermutungen animierte. Vielleicht war sie ihm ja hörig, von ihm abhängig oder noch Schlimmeres, aber das brauchte ich ja gottlob nicht zu glauben, es waren ja Märchen.
Wir kannten uns jetzt schon fast zwei Jahre. Dass wir nicht mehr gemeinsam Kaffee trinken und miteinander würden reden können, wenn wir unser Studium abgeschlossen hätten, erschien uns als erhebliche Einbuße an Lebensqualität. Was aber an einem Spätnachmittag geschah, zu dem wir keinen Termin für's Kaffeetrinken ausgemacht hatten, hätte ich auch fast dem Bereich der Märchen zugeordnet, doch die Frage glauben oder nicht, stellte sich nicht, weil ich nicht leugnen konnte, es real zu erleben. Es war schon später, und Lola stand vor der Tür. Jetzt noch Kaffee trinken? Lolas Umhängetasche, in der sich immer einige Unterlagen und ihr Laptop befand, war dick ausgebeult. Kuchen würde sie nicht in die Tasche stecken. „Lola, was gibt’s?“ fragte ich nur leicht verwundert. Sie setzte sich an den Tisch und legte ihre Tasche darauf. „Ich wollte heute Nacht bei dir schlafen.“ verkündete sie knapp. Sie hatte doch eine eigene Wohnung, trotzdem fragte ich: „Hast du Ärger?“ Hatte sie nicht. „Und warum dann?“ fragte ich weiter. „Weil ich es gerne möchte.“ Lola darauf. „Bitte, kannst du nicht ein bisschen gescheiter reden?“ bat ich sie. „Wir erleben uns immer nur in spezifischen Situationen, meistens beim Kaffeetrinken und manchmal an der Uni. Ich möchte mehr von dir kennenlernen.“ lautete Lolas Begründung. Ich hielt es für unfassbar und für eine absolut verrückte Idee. „Und wenn du hier übernachtest, lernst du mehr von mir kennen?“ vergewisserte ich mich noch. „Na gut, dann zeig ich dir mal, wo du schlafen kannst.“ erklärte ich und ging mit ihr ins Schlafzimmer. „Ist das o. k. so, oder soll ich es neu beziehen.“ fragte ich und erklärte, dass ich dann bei mir auf der Couch schlafen würde. „Nein, wieso das denn?“ rief sie entrüstet, „Ich wollte doch mit dir zusammen in deinem Bett schlafen.“ Ich wusste nicht, was ich hörte. Es schien mir so kurios, dass ich es wohl nicht glauben konnte und mich stattdessen krümmte vor Lachen. „Lola, was hast du vor?“ fragte ich immer noch lachend. „Na und?“ meinte sie, „Wenn du etwas beabsichtigst, was ich nicht möchte, werde ich dir schon auf die Finger klopfen. Aber das wird nicht nötig sein, nicht wahr. Wenn es aber für uns beide nett sein sollte, wer weiß, was sich daraus entwickeln kann.“ „Nein, Lola, das kann nicht sein, das geht nicht. Wir kennen uns doch gar nicht.“ erklärte ich darauf und erregte damit Lolas Zorn. „Wir kennen uns gar nicht? Was kannst du denn für böse Worte sprechen? Wen willst du denn wohl besser kennen als mich? Gibt es für mich etwa jemanden, den ich besser kenne als dich? Aber wir kennen uns ja nicht. Wenn das der Stil unserer Unterhaltung sein soll, fahr ich doch am besten wieder nach Hause.“ schimpfte Lola wütend. Am liebsten hätte ich gesagt: „Ja, bitte, mach das.“, dazu traute ich mich jedoch nicht, obwohl ich die gesamte Situation nicht nur als sehr überraschend, sondern auch stark beklemmend erlebte. Nur dass dem armen Fischer plötzlich eine gute Fee einen Wunsch frei gab, hatte er auch sicher als überraschend und sehr außergewöhnlich empfunden, war jedoch nicht auf den Gedanken gekommen, es zurückzuweisen. Anscheinend ist Derartiges im menschlichen Leben nicht unüblich, nur ich wurde wohl zum erst mal damit konfrontiert. Ich blieb konsterniert. Wie Lola geschimpft hatte, gefiel mir. Mit ihr würde man sich bestimmt sehr gut streiten können, aber dafür kannten wir uns eben nicht hinreichend. Vielleicht wäre das ja morgen früh so weit.
Ich konnte gar nicht mehr mit Lola darüber reden. Mein Zwerchfell befand sich in ständiger Anspannung. Absolut irreal war es, was ich erlebte. Das hatte auch nicht zu dem gehört, woran ich gern geglaubt hätte, weil ich es mir gar nicht wünschen konnte. Obwohl ich mich für keineswegs prüde hielt, ließ ich heute T-Shirt und Slip für die Nacht an. Lola kam in einem weiß mit Blümchen verzierten Flanell Schlafanzug aus dem Bad. Süß wirkte sie, die Frau, die sonst eher Züge einer Diva zeigte. Weil ich lächelte, meinte sie etwas zu ihrem Schlafanzug sagen zu müssen. „Brauche ich.“ sagte sie, „Habe ich immer angehabt. Zum Schlafen gehört für mich ein schmuseliger Schlafanzug. Und du schläfst immer in Hemd und Höschen?“ „Nein, ich habe auch ein paar Schlafanzüge, für den Notfall, aber ich mag sie überhaupt nicht. Sonst habe ich im Bett nichts an. Ich wollte dir nur den Anblick ersparen.“ antwortete ich und bekam dafür wieder Lolas mokantes Lächeln geschenkt. „Na ja, wenn die Leute es sogar lieben, am Strand nackt rumzulaufen, warum sollen sie dann nicht auch nackt schlafen.“ gestand sie mir fast bedauernd zu. Ob ich mal versuchen sollte, mich mit ihr über die Vorzüge und tieferen Begründungen, nackt zu schlafen zu streiten? Ein wenig Lust hätte ich schon gehabt, aber nicht jetzt, wo sie so süß auf dem Bett lag. Ich schaute sie gern an, trotzdem hätte ich am liebsten zwischen Lola und mich eine Wand gebaut. Ich weiß nicht, ob es Angst war, aber Unsicherheit bestimmt. Was sollte denn daraus werden? Unsere Beziehung war so intensiv, dass wir uns wir uns noch niemals geküsst hatten. Alles Erotische war ihr immer wesensfremd. Jetzt, wo wir gemeinsam im Bett lagen, konnte ich es ja nicht mehr leugnen, dass sie auch eine begehrenswerte Frau war. Aber das müsste man doch langsam entwickelnd entdecken, so passte es überhaupt nicht zu unserer Beziehung. Es verwirrte mich nur enorm. „Lola, ich kann das nicht. Es geht nicht. Ich werde doch bei mir auf der Couch schlafen.“ erklärte ich. „Wenn ich dir auch zugestehen muss, dass wir uns sehr gut kennen, aber in Bezug auf Liebe und Zuneigung hat es da doch nie etwas gegeben.“ Lola blickte mich ernst, fast ein wenig traurig an. „Ich kann und werde dich nicht zurück halten, Fabian, nur was du sagst, tut weh.“ sagte Lola dazu. „Ich habe dich für einen gefühlsreichen Menschen gehalten, dem nicht entgangen sein könnte, dass ich dich sehr, sehr mag. Man kann es auch anders ausdrücken, und ich war mir sicher, es bei dir ebenso gespürt zu haben.“ Es war nicht nur nett zwischen uns, es sollte eine Liebesbeziehung sein? Einfach so glauben, konnte ich Lola das nicht, zumal sie doch auch einen Freund hatte, den sie liebte.
„O. k., Lola, ich bleibe, aber unter einer Bedingung: Du musst mir genau erklären, wie du uns siehst und in welchem Verhältnis es zu deiner jetzigen Beziehung steht.“ beanspruchte ich. Lola schaute kurz ins Leere, setzte sich auf's Kopfkissen und lehnte sich an die Rückwand. „Na gut,“ sagte sie, „aber es ist eine lange und sehr intime Geschichte.“ Dann erfuhr ich vieles über Lolas Leben und ihre Persönlichkeit, was ich bislang nicht kannte. Alles war immer glatt verlaufen in ihrem Leben, alles absolut straight, keine Abweichungen, keine Brüche, keine krummen Wege. Ein Bedürfnis, etwas zu hinterfragen, habe sie gar nicht gekannt, immer eine feste, gefasste Meinung zu allem, eine vorgefasste Meinung. Das sehe sie aber erst jetzt so. Lola erzählte manches, was ich schon kannte, nur jetzt eben aus einer anderen Perspektive. Ich lauschte intensiv. So hatte ich sie nie kennengelernt. Wenn sie mich besser kennenlernen wolle, gehöre auch dazu, zu wissen, dass ich abends gern ein Glas Wein tränke. In diesem Punkte konnten wir durchaus Gemeinsamkeiten entdecken, und ich holte für uns Wein und Gläser. „Mein Freund entsprach mir total. Uns intellektuellen, rationalen Menschen würde die Zukunft gehören. Selbstverständlich hatten wir wie alle anderen auch Emotionen, aber Entscheidungen trafen wir nur mit unserem objektiven, rationalen Bewusstsein. So war das, das glaubten wir, empfanden es so und lebten danach. Nicht nur überheblich sondern auch dumm, wie ich es heute sehe.“ erklärte Lola. Sie erzählte es ausführlich und mit vielen Beispielen. Ich lauschte ihren Erläuterungen gespannt. Das war das andere Leben, das ich nicht verstehen konnte. Auch wenn ihr Auftreten dem schon entsprach, wäre ich doch nie darauf gekommen. „Dass mir beim ersten mal dein Jux gefiel, störte mich nicht. Als ich aber merkte, dass ich mich bei etwas wohlfühlte, was überhaupt nicht zu mir passen wollte, begann ich zu fragen und kam zu der Ansicht, dass da auch noch etwas anderes in mir existieren müsste, was in meinem Weltbild bislang nicht vorkam. Ich wollte mit Paul, meinem Freund darüber sprechen, ob uns vielleicht etwas fehle, wir etwas übersehen würden, doch das war nicht möglich. Zweifel oder etwas in Frage zu stellen kamen bei ihm, wie allgemein bei mir auch, nicht vor. Nur ich erlebte es ja und konnte es nicht leugnen. Ich hätte zu dir und deinen Ansichten bestimmt vorgefasste, diskriminierende Beurteilungen gehabt, nur was sich zwischen uns abspielte, hatte mich dir gegenüber geöffnet. Frei von jedem Vorurteil fand ich dein Wissen höchst interessant und entdeckte die gravierenden Mängel in meiner Weltsicht und meinem Selbstverständnis. Lange Zeit lebte ich in zwei Welten. Die eine, das war ich immer gewesen, so war ich aufgewachsen. Ich konnte nicht plötzlich radikal erklären: „Das bin ich nicht mehr.“. Die andere war die, die sich mir durch dich eröffnet hatte. Sie gefiel mir immer besser, tiefer durchdacht und der Wahrheit näher. Hier sollte sich Lola zu Hause fühlen. Hier sollte ihr Selbstbild angesiedelt sein und sich ihr Selbstwertempfinden definieren.“ erklärte es Lola. Sie sprach noch über die vielfältigen Versuche, ihren Freund zu bewegen, ihr doch einmal unvoreingenommen zuzuhören. Mit Beispielen aus der Physik und wie man dort zu neuen Erkenntnissen gekommen sei, hatte sie ihn locken wollen, alles vergebens. Lola war böse geworden, hatte ihn als frauenfeindlich beschimpft, weil er es nicht für nötig erachte, ihr zuzuhören. Er hatte sich gewehrt und ihre Vorwürfe als dümmlich, naiv darzustellen versucht, aber Lola war ihm überlegen. Sie verfügte über ein breiteres Spektrum an Wissen. Sie hatten sich öfter gestritten, und die Ansicht, dass sie ausgezeichnet zu einander passen würden, existierte nicht mehr. Das Gegenteil war eher der Fall, auch wenn sie sich noch nicht offiziell getrennt hatten. Sie suchten nicht mehr die Nähe des andern, sondern befürchteten sie eher.
Obwohl es ja noch nie zwischen uns vorgekommen war, musste ich Lola öfter aus Mitgefühl oder Bestätigung küssen, und sie schien es für selbstverständlich zu halten. „Der Kaffeeklatsch bei dir war auch immer ein Besuch in der neuen Heimat meiner Seele. Es war für mich sehr wichtig und bedeutsam. Du hast das wahrscheinlich so nicht wahrgenommen. Ich mochte dich von Anfang an, nur zuerst durfte es ja nur das Geistige sein. Im Ausdruck unserer Beziehung hat sich das so beibehalten, obwohl es mich langsam zu nerven begann. Ich sah dich insgesamt, den ganzen Menschen mit Körper und Geist, nur konnte ich es nicht zum Ausdruck bringen. Das wollte ich jetzt einfach durch einen revolutionären Akt radikal überwinden. Verstehst du jetzt?“ fragte Lola. Ich lachte und musste sie in ihrem pummeligen Schlafanzug an mich drücken. „Das ist eine Geschichte wie ein großes Märchen. Nein, sie ist ja wahr, eine Sage, die Lola-Saga. Weißt du, Lola, das hat dein Bild bei mir völlig verändert. Ich spüre ein Bedürfnis in mir, alles zu tun, damit deine Seele in ihrer neuen Heimat glücklich wird. Ich wünsche mir, dich glücklich zu sehen und glaube fest daran, dass es auch so sein wird, weil ich in unsere Beziehung so tiefes Vertrauen habe.“ erklärte ich dazu. Dann erzählte ich, wie es sich für mich dargestellt hatte und wurde dabei zwischendurch immer geboxt und geknuffelt. „Zieh das aus. Das ist ja albern und stinkt. Du musst dich doch für mich nicht verkleiden. Ich würde dich auch viel lieber ohne sehen.“ meinte Lola zu meinem T-Shirt und meiner Unterhose. „Und du?“ fragte ich. „Das ist ja nicht verboten, nur das musst du dir erarbeiten.“ erklärte Lola und lachte. Ich sagte ihr, wie glücklich mich diese Entwicklung unserer Beziehung mache, dass ich es so schnell aber auch immer noch gar nicht richtig fassen könne, da ich sie nie als potentielle Freundin gesehen hätte. „Dass es mir aber so wichtig war, mich jede Woche mit dir zu treffen, muss ja schon einen tieferen Grund gehabt haben. Meine Schwester liebe ich, käme aber nie auf die Idee, sie jede Woche zum Kaffee einzuladen. Was du mir bedeutet hast, ist mir nicht bewusst geworden. Ich hätte immer gesagt, es sei sehr angenehm mit dir. Dir selbst kannst du manchmal nicht trauen, denkst du, dabei kannst du dich selbst am intensivsten belügen und glaubst es, hältst es für die absolute Wahrheit. Und jetzt liege ich mit dir, meiner Freundin, einer Frau im Bett. Zum letzten mal war ich mit einer Freundin in der Schule im Bett.“ verdeutlichte ich meine Situation. „Du Armer, jetzt hast du Angst, weißt gar nicht mehr, wie es geht, und was du machen sollst. Du musst mir ganz liebe, schmeichelnde Worte sagen. Das tust du ja sonst auch manchmal, nur jetzt musst du es ganz zärtlich sagen, dass nicht nur meine Ohren es hören sondern auch mein Herz es versteht.“ gab Lola mir Tipps. Ich musste lachen und Lola ebenfalls. Ihre Stimme hatte dabei schon so sanft und in einer schmeichelnden Melodie gesprochen, dass sie mich an eine Sprecherin im Rundfunk erinnerte, bei der selbst die Verkehrsnachrichten noch wie eine Liebeserklärung klangen. „Streicheln ist nicht schlecht. Weiß du das noch?“ fragte Lola und brachte uns wieder zum Lachen. „Lola, ich glaube, wir nehmen das gar nicht ernst, dabei ist Liebe doch eine so äußerst ernste Angelegenheit, oder?“ kommentierte ich. „Mag schon sein,“ meinte Lola, „in erster Hinsicht ist sie aber eine sehr glücklich machende Angelegenheit. Und bei allzu großem Glück wird man da nicht auch leicht übermütig und bekommt Lust auf Albernheiten?“ war Lolas Ansicht. „Es besteht also keine Gefahr, wir müssen uns nicht mal zusammenreißen, und unsere Liebe richtig ernst nehmen, meinst du?“ erkundigte ich mich noch. „Bloß nicht.“ war Lolas Reaktion unter Lachen. Wir alberten noch ein wenig, küssten uns immer häufiger und intensiver. Streichelten und betasteten uns zärtlich, und unser Worte wurden weniger und leiser. „Lola“ flüsterte ich leise. „Ja, Fabian?“ sie darauf. „Ich kann nichts sagen.“ meinte ich darauf. „Warum auch, ist doch überflüssig, wir spüren doch alles.“ Lola dazu. Sie musste eine Fee sein. Das brauchte ich nicht zu glauben, dessen war ich mir sicher. Nur ob sie morgen früh auch noch hier sein würde, oder sich alles als Traum aus einem Wunderland herausstellte, das konnte ich nicht sagen. Jetzt war ich verzaubert und wollte es genießen.
Fast Mittag war es, als ich die Augen öffnete. Wir waren ja erst in den frühen Morgenstunden eingeschlafen und an meiner Seite lag immer noch schlafend diese Fee mit ihren zerzausten schwarzen Haaren. Als ich mich bewegte, hob sie leicht ihre Lieder an und schloss sie gleich wieder. Ich musste ihr über die Wange streicheln. Bestimmt war sie eine Schwester von Schneewittchen und ohne ihren Anblick wollte ich auch nicht mehr leben. Plötzlich hob die Schöne ihren Kopf und biss ihrem jungen Königssohn mit einem Tiger ähnlichen Geräusch in die Schulter. Im Schlaf schien sich unser Glück eher potenziert als vermindert zu haben. „Fabian, nicht nur meine Seele, der ganze, unaufgeteilte Mensch, Lola, braucht ein Zuhause. Ob ich es heute Nacht gefunden habe? Ich glaube, schon.“ sagte sie mit noch verschlafener, tiefer Sandstimme. Ich umarmte und drückte sie und sagte zum ersten mal: „Ich liebe dich, Lola.“. Ich sah in Lolas Gesicht die Sonne, sie warf sich auf mich und bedeckte mein Gesicht mit Küssen. Wir wollten aufstehen und Frühstück zubereiten. Lola zog ihren Schlafanzug wieder an. „Nein, Lola, bitte nicht. Dein Schlafanzug ist wunderschön, aber was er verbirgt ist noch tausendmal schöner, Blanche-Neige.“ bat ich. Sie sollte in der Küche einen Bademantel von mir überziehen, denn wir wollten ja wieder ins Bett zurück, um dort zu frühstücken. „Für einen jungen Königssohn ist dein Kühlschrank aber nicht sehr gut bestückt.“ bemängelte Lola. Wir blieben übergeschnappt. Unser Glück war nur exaltiert zu ertragen. „Nein, du kannst doch jetzt nicht wieder zu dir fahren. Willst etwa unsere Liebe kurz nachdem sie begonnen hat, schon wieder auseinander reißen?“ fragte ich entrüstet. Nein, das habe sie nicht vor, erklärte Lola lachend. Wir fuhren zu ihr, um einiges zu holen. Den Kühlschrank räumten wir fast komplett aus, weil einerseits der Königssohn ja Bedarf hatte und andererseits den Sommer über doch einiges verderben würde.
Die ersten Wochen waren paradiesische Tage, aber langsam mussten wir es doch wieder mit dem Alltag koordinieren. Zu Anfang war es mir nicht bewusst geworden, wie in einem Rausch hatten wir gelebt, aber ich war ja jetzt nicht mehr allein. Das wundervolle Erlebnis, Lola abends Geige spielen zu hören, hätte es nie gegeben, aber es war eben alles anders. Nichts war mehr so, wie es vordem war. Für Lola traf das bedingt auch zu. Sie hatte ja nicht mit ihrem Freund zusammen gelebt. Wir nahmen uns vor, sehr achtsam zu sein und über alles zu reden. Zu reden hatten wir eh viel mehr als vorher. Immer redeten wir. Selbst abends im Bett war es uns oft so wichtig, dass wir beinahe die Liebe darüber vergaßen. Aber im gemeinsamen Gespräch bringst du ja auch Zuneigung und Liebe zum Ausdruck. Bislang war das der einzige Weg gewesen, aber jetzt spielte sich alles auf einer anderen Ebene, in einer anderen Dimension ab.
Wir wollten uns gegenseitig in unser Leben integrieren und ein neues gemeinsames schaffen. Natürlich gingen wir gemeinsam ins Theater und ins Konzert, besuchten Ausstellungen zusammen und liebten es, essen zu gehen. Auch die Eltern sollten uns kennenlernen. Lola hatte mich schon gewarnt. Ihre Eltern hätten sich nicht mit ihr verändert, harte, konservative obere Mittelschicht sei zu erwarten. In der Tat, anstrengend und langweilig zugleich war der Besuch. Für Lola war es anders. Sie verstand es, damit umzugehen und bewegte sich in absolut sicherem Terrain. „Ihr Sohn ist ein Schlingel. Er hat mir den Kopf verdreht.“ sagte Lola lachend zu meiner Mutter. „Wie hast du das denn geschafft?“ wollte Mutter in der Küche von mir wissen. „Die Lola ist ja 'ne richtige Diva.“ „Ich? Ich hab' doch nichts gemacht.“ hätte ich am liebsten wie ertappt gesagt, antwortete aber: „Ja, es war ziemlich schwer, bis wir erkannt hatten, dass wir uns liebten. Ich beneide die Minnesänger um die Einfachheit ihrer Methode. Aber das mit der Diva, denk nicht so und sag das nicht wieder. Lola ist eine sehr freundliche und äußerst einfühlsame Frau, fast so wie du.“ sagte ich. Wir schmunzelten uns zu und Mutter umarmte mich.
In meinen Bekannten und Freundeskreis, war Lola auch jetzt nicht integriert, und ich konnte auch kein Bedürfnis danach verspüren. Natürlich traf sie mal den einen oder die andere, wenn sie mich besuchen kamen. Wir tranken auch wohl gemeinsam einen Kaffee, aber es blieb distanziert. Meine Beziehungen schränkte ich stark ein. Sie waren mir anscheinend wichtiger gewesen, als ich allein war und Lola nur mal zum Kaffee traf. Ob ich zu einer Fète musste, überlegte ich nach dem Gesichtspunkt, wie der Gastgeber mein Fernbleiben bewerten würde. Wenn, dann ging ich alleine und kam sobald wie möglich zurück. Einmal hatte ich Lola mitgenommen, aber da wollten wir auch beide schon sehr schnell wieder nach Hause. Ich sah es so, dass ich mich durch meine Liebe zu Lola auch selber verändert hatte, andere Präferenzen entwickelte, mein eigenes Leben anders lebte. Mein Leben kam mir voller, intensiver und komplexer vor. Der Kontakt mit Lolas Freundin Juliane gefiel mir schon besser, obwohl Lola und Juliane sich ständig nur stritten, beziehungsweise heftige Diskurse führten, wenn man so will. Genauso falsch, wie es sein mag in Frauen nur das Ausgleichende, Versöhnliche zu sehen, war es meiner Ansicht nach, ihnen das Kämpfergen abzusprechen. Bei meiner Schwester hatte ich das Bedürfnis doch hinreichend erkannt, und mit Lola und Juliane schien es sich nicht anders zu verhalten. Während Juliane massiv ihre konservativen Ansichten vertrat, konnte Lola sich zur Revolutionärin steigern und Juliane simples eindimensionales Denken vorwerfen. Sie waren sich auch nicht böse und suchten bald wieder erneut Kontakt. Ich traute mich nicht, mit Lola zu streiten und konnte auch kein Bedürfnis danach verspüren.
Zu meinem Geburtstag gab es auch keine Feier, zu der pflichtgemäß einige Freunde einzuladen gewesen wären. Wir feierten in Paris. Lola hatte mir einen Besuch der Opéra-comique geschenkt und Karten für Jacques Offenbachs 'Les Contes d’Hoffmann', die hier wieder mal gespielt wurden, reserviert. Wir wollten uns öfter Paris-Besuche schenken, weil wir es beide als großartig erlebt hatten. Lola hatte zwar noch ihre eigene Wohnung, aber seit ihrem Überraschungsbesuch hatten wir beide zusammen bei mir gelebt. Ob wir auch weiter zusammen leben wollten? Im Grunde hatte keiner von uns prinzipiell so etwas für sich geplant, aber jetzt hatte es sich faktisch für uns anders entwickelt. Wir kannten ja die theoretischen Bedenken, aber unsere Emotionen erwiesen sich als stärker. Nur brauchten wir dann eine andere Wohnung, die uns auch genug eigenen Raum ließ.
Eine Freundin wollte ich suchen. In der Tat ein falscher, simpler Weg, der sich an der Oberfläche bewegte. Tatsächliche Märchen kannst du nicht in deinen Träumen antizipieren. Da kann nur sein, was sich schon in dir, deinen Gedanken und deinen Emotionen befindet. Etwas wirklich Neues, Märchenhaftes kann dich nur das Leben selbst erfahren lassen. Die Fee Lola kam in meinen Träumen nicht vor, und jetzt erfüllte sie mehr, als ich mir wünschen konnte.
FIN
L'amour a son instinct, il sait trouver le chemin du coeur comme le plus faible insecte marche à sa fleur avec une irrésistible volonté.
Honoré de Balzac
Du siehst eine Frau, findest sie attraktiv, glaubst anderweitig Liebenswertes in ihr zu erkennen und wünscht dir nichts mehr, als dein weiteres Leben mit ihr zu verbringen. Nicht so ich. Dem schönen Schein glaubte ich nicht. Selbst bei den wundervollsten Frauen sah ich das zickig Zänkische nach dreißig Ehejahren, das auch heute schon in ihr angelegt sein musste. Eine Freundin hätte ich auch schon gern gehabt. Ich taxierte ja alle, aber immer dasselbe Resultat. Deshalb konnte ich auch keine Freundin finden. Meine Mutter hatte mir geraten, nach dem Liebenswerten zu suchen, das jeder Mensch in sich trage. Es veränderte manches, aber eine Freundin fand ich trotzdem nicht. Lola gehörte nicht zum Kreis meiner mehr oder weniger guten Freunde und auch nicht zu den Frauen, die ich auf Beziehungsfähigkeit taxiert, und bei denen ich Lust hatte, nach dem Liebenswerten zu fanden. Ich lud sie nicht zur Geburtstagsfeier ein und fragte sie auch nicht nach einem gemeinsamen Konzertbesuch. Auf die Idee kam ich gar nicht. Das hätte nicht gepasst. Ich empfand unser Verhältnis als äußerst vertrauensvoll, aber doch mit einem gewissen Grad an Distanziertheit. Eines Tages kam Lola und wollte bei mir schlafen. Selbstverständlich mit mir in meinem Bett. Ich schaute sie gern an, trotzdem hätte ich am liebsten zwischen Lola und mich eine Wand gebaut. Ich weiß nicht, ob es Angst war, aber Unsicherheit bestimmt. Was sollte denn daraus werden? Unsere Beziehung war so intensiv, dass wir uns noch niemals geküsst hatten. Alles Erotische war ihr immer wesensfremd. Jetzt, wo wir gemeinsam im Bett lagen, konnte ich es ja nicht mehr leugnen, dass sie auch eine begehrenswerte Frau war. Aber das müsste man doch langsam entwickelnd entdecken, so passte es überhaupt nicht zu unserer Beziehung. Es verwirrte mich nur enorm. „Lola, ich kann das nicht. Es geht nicht. Ich werde doch bei mir auf der Couch schlafen.“ erklärte ich. „Wenn ich dir auch zugestehen muss, dass wir uns sehr gut kennen, aber in Bezug auf Liebe und Zuneigung hat es da doch nie etwas gegeben.“ Lola blickte mich ernst, fast ein wenig traurig an. „Ich kann und werde dich nicht zurück halten, Fabian, nur was du sagst, tut weh.“ meinte Lola dazu. „Ich habe dich für einen gefühlsreichen Menschen gehalten, dem nicht entgangen sein könnte, dass ich dich sehr, sehr mag. Man kann es auch anders ausdrücken, und ich war mir sicher, es bei dir ebenso gespürt zu haben.“ Es war nicht nur nett zwischen uns, es sollte eine Liebesbeziehung sein? Einfach so glauben, konnte ich Lola das nicht, zumal sie doch auch einen Freund hatte, den sie liebte. „O. k., Lola, ich bleibe, aber unter einer Bedingung: Du musst mir genau erklären, wie du uns siehst und in welchem Verhältnis es zu deiner jetzigen Beziehung steht.“ beanspruchte ich. Lola schaute kurz ins Leere, setzte sich auf's Kopfkissen und lehnte sich an die Rückwand. „Na gut,“ sagte sie, „aber es ist eine lange und sehr intime Geschichte.“
Fremde Frau in meinem Bett – Seite 14 von 14
Tag der Veröffentlichung: 07.08.2013
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