Cover

Introduction und Inhalt

Carmen Sevilla

Robinie liebt Lotusbaum
Lou, neuer Weg nach harter Prüfung

 

Erzählung

 

 

Il n'y a qu'un bonheur dans la vie,
c'est d'aimer et d'être aimé.

George Sand

„Wenn ich einen Lotusbaum so gut fände, warum ich denn dann selbst kein Baum sei.“ hat Bella mich auch gefragt. „Und deine Antwort?“ wollte Leonard wissen. „Du willst nur, dass ich auch ein Baum bin, nicht war, und wir dann miteinander ins Bett gehen können.“ warf ich ihm vor, so dass er vor Lachen gar nicht mehr antworten konnte. „Dass Bäume sich dadurch vermehren, dass sie gemeinsam im Bett miteinander kopulieren, ist mir neu, aber du als Biologin kennst dich da sicher besser aus.“ erklärte Leonard schließlich. Ich fragte ihn, ob es ihm denn ein Anliegen sei, sich zu vermehren? „Aber, Lou,“ reagierte Leonard, „das ist doch die Bestimmung aller Lebewesen, ihre Art zu erhalten und sich deshalb so viel wie möglich zu vermehren.“ „Oh Schreck, Leonard, in dir steckt doch noch sehr viel Mann. Die Bestimmung des Lotusbaums ist es, anderen seine süßen Früchte anzubieten, sich an ihnen laben zu lassen und sie dadurch zu erfreuen.“ erwiderte ich. Ganz dicht beieinander saßen wir. Ich kniete neben Leonard auf der Couch. Unsere lachenden Gesichter sprachen direkt voreinander. „Das würde dir eher gefallen?“ erkundigte sich Leonard. „Probieren, könnt ich mal probieren?“ fragte ich, bevor sich unsere Lippen direkt aufeinander zubewegten. Das bewegendste und intensivste Erlebnis haptischer Wahrnehmung ist es, wenn Lippen und Zunge die eines anderen Menschen berühren. Natürlich ist das soziale und allgemein emotionale Befinden entscheidend, aber haben sie schon mal einen Lotusbaum geküsst? Einmal, das reicht nicht. Sie wollen es perpetuieren, zum dauerhaften Erlebnishintergrund machen. Nach unser dritten Kussszenerie erklärte ich: „Leonard, ich habe mich entschieden. Eine Robinie bin ich. Kennst du, oder? Hast du meine bitteren, giftigen Früchte nicht geschmeckt?“ „Nein, nur deine Zunge und deine Lippen haben mich beglückt.“ antwortete er fast selig, verträumt. „Stimmt, ich stehe ja auch noch voll in der Blüte, da kannst nur die Trauben meiner geöffneten weißen Blütenlippen erkennen. Die tiefen Furchen in meiner Rinde, haben deine Finger die denn erspürt?“ fragte ich ihn. Wir hatten nämlich einige Kleidungsstücke geöffnet oder ausgezogen, um uns auch taktil näher erfahren zu können.

 

Robinie liebt Lotusbaum Inhalt

 

Robinie liebt Lotusbaum 3

Christians neue Chefin 3

Nicht mehr im Geschäft 4

Sklavin Frau 4

Ich bin, der ich bin 5

Florence 6

Schwestern 7

Lotusbaum nicht kommunizierbar 8

Könnt ich mal probieren? 9

Aber Liebe musste es doch sein 10

Kein cooler Mann 12

Starke Robinie 13

 

 

Robinie liebt Lotusbaum - Christians neue Chefin

 

Imelda, wie kann man so heißen? Ich kannte keine Frau außer der philippini­schen Schuhperversen, Imelda Marcos, die so hieß. Aber Christians neue Chefin hieß so. Zunächst hieß sie Frau Hohlberg. Christian erzählte schon öfter mal etwas aus der Firma, dann handelte es sich meistens um nette Episoden, Possen oder etwas, worüber er sich echauffierte. Frau Hohlberg, eine Chefin war die gar nicht, doch schon, aber sie demonstrierte es nicht, gab eher den ganz gewöhnlichen, freundlichen Menschen. Christian war begeistert, und nach drei Wochen wusste er nicht nur, dass sie mit Vornamen Imelda hieß, er nann­te sie auch so. Immer wusste er etwas Neues, Tolles von Imelda zu berichten. War ich eifersüchtig? Nein, es konnte nur schon mal nerven. Christian, der ge­hörte mir. Wenn dir jemand sagt, dass er seit unserer Liebe erst weiß, wofür er geboren ist, dass du für ihn die Frau an sich bist, dann vergisst du das nicht. Wenn er gesagt hätte: „Du blödes Kamel, halt dein Maul, du dumme Pute.“, nein, vergessen hättest du das auch nicht. Beides berührt dich emotional sehr tief, wenn ein Mensch es sagt, für den du dich total geöffnet hast und die Ver­bundenheit mit ihm für dich dein Wertvollstes ist. Es berührt deine Persönlich­keit. Eine unbedeutende Schmeichelei unter vielen, war es bestimmt nicht, Christian hatte es schon total ehrlich gemeint, hatte so empfunden. Wir waren glücklich, wie in einem prachtvollen, emotionalen Schloss lebten wir im Gebäu­de unserer Liebe. Dass sich daran etwas ändern würde, konnten wir gar nicht denken. Mehr oder Besseres als unsere Liebe hatte diese Welt nicht zu bieten. Ob Imelda für Christian mehr oder besseres zu bieten hatte, weiß ich nicht, er erklärte nur nach drei Monaten, dass er sie auch persönlich, privat, als Frau sehr gern möge. Es sei für ihn ein Dilemma, er liebe mich ja weiterhin, ob wir nicht zu dritt, so eine Ménage-à-trois, das machten ja viele, führen könnten. Schon bei Christians ersten Worten war mir alles klar. Es sagte mir: „Bleib jetzt bloß cool. Zeig diesem Verbrecher, diesem emotionalen Gangster und Verräter kein bisschen Offenheit.“ Wie eine Klammer umfing es mich. „Weißt du, Christi­an, dein Herz hat zwei Hälften, aber allein ist jede Hälfte wertlos und un­brauchbar, sie müssen schon vereint schlagen und dein Leben dirigieren. Ver­mutlich tun sie das im Moment bei dir mehr für deine Imelda, und du traust dich nur nicht, mir zu sagen, dass du mich nicht mehr brauchst. Wie du das verarbeiten willst, ist dein Leben, mit dem du klar kommen musst.“ erklärte ich nur. Nein, weiter darüber reden, lange Gespräche führen, wollte ich nicht. Ge­klärt war es, alles weitere konnte ich nicht. Es war zu erniedrigend und zu de­mütigend für mich. Das Christian unsere Liebe desavouieren und stärkere Zu­neigung für eine andere Frau empfinden könne, gehörte für mich an meinem Horizont zu den Gestirnen, die ich nicht erkennen konnte.

 

Nicht mehr im Geschäft


Sommer sei es, sagt der Kalender, aber ich hätte singen sollen: „Wir lieben die Stürme, der eiskalten Winde raues Gesicht.“ Zum Wetter draußen passte es zur Zeit genau, vor allem aber in meiner Psyche sah ich nur brausende Wogen, und mein Herz kühlte sich zunehmend ab. Wo wurde Vertrauen nicht wie Dummheit behandelt? Das wusste ich doch. Natürlich galt Liebe immer den ei­genen Bildern und Visionen. Es war mir eigentlich sonnenklar. Trotzdem tat es so entsetzlich weh und wollte mich offensichtlich zerstören oder doch wenigs­tens verrückt machen. Das war vor zwei Jahren, verrückt macht es mich heute nicht mehr. Bin ich jetzt stärker, weil ich angeblich damit fertig geworden bin? Lachen könnte ich über so einen Blödsinn. Der Verletzte wird durch seine Wun­den nicht stärker, sondern eher zum Krüppel, wenn es immer mehr werden. Ein seelischer Krüppel, nein das war ich nicht, auch wenn ich nicht zum Psy­chotherapeuten gegangen war. Was sollte ich da? In meiner frühen Kindheit wühlen, ob meine Mutter nicht vielleicht doch mal ein harsches Wort gesagt hatte, das mich heute nicht befähigte, die Liebe aufrecht zu erhalten? So ein Quatsch, ich war in Ordnung, wie die meisten Menschen. In meine oder ihre Persönlichkeit die Ursache für das erlittene Leid legen, das machten sie alle. Auf die Idee hatte sie Freud gebracht, ich empfand es als äußerst perfide. Aber was und wer war es dann? War Christian im Prinzip ein so nichtsnutziger, ge­fühlskalter Mensch und ich hatte es nur nicht erkannt? Nein, so war es be­stimmt nicht. Er war schon sehr zärtlich, liebe- und rücksichtsvoll gewesen. Seine Liebe war echt, daran war nichts gespielt. Hätte man mir gesagt: „Ihr macht es, wie alle es eben so machen. Eure Liebe ist, wie man sich als Mann und Frau eben so liebt, hätte ich lautstark protestiert. Zu Recht, das waren schon meine eigenen, tiefen, ganz persönlichen und wirklichen Gefühle gewe­sen, die unsere Liebe in mir erzeugt hatte. Doch ich hatte es schon so ge­macht, wie alle es machen, wie man es als Frau so macht. Hatte mich voll in die Liebe involviert, mich in sie fallen lassen, hatte mich von ihr aufsaugen las­sen. Ich, das war unsere Liebe. War Christian distanzierter gewesen? Nein, aber sich von der Leidenschaft voll okkupieren zu lassen, gilt für einen Mann nicht als cool. Er konnte seinen Gefühlshaushalt geschäftsmäßig handlen und umdisponieren, wenn es geboten schien. Ob seine Imelda und er sich jetzt wohl für's Leben gefunden hatten, oder ob Christian irgendwann wieder umdis­ponieren würde, weil er eine noch bezauberndere Imelda kennengelernt hatte? Vielleicht würde seine Imelda ja auch ihre Optionen stornieren, weil ihr ein wertvolleres Angebot zum gleichen Preis vorlag. Wer weiß, wie die Geschäfte liefen? Jedenfalls würde ich bei diesem Handel in Zukunft auf keinen Fall mehr im Angebot sein, das wusste ich sicher. Aber was dann?


Sklavin Frau


Christian hatte durch sein Handeln und seinen Umgang mit unserer Beziehung vieles in mir zerstört, mich tief verletzt, aber meine Erfahrung, wie wundervoll die Liebe war, konnte er mir doch nicht wieder wegnehmen. Die Sehnsucht da­nach, dass dich ein anderer als einzigartigen Menschen anerkennt und schätzt, nichts mehr, als von dir geliebt werden möchte, war doch nicht etwas, was Christian mir geschenkt hatte. Die Lust am uneigennützigen und absichtsfreien Schenken und Empfangen von Liebe, wohnt allen Menschen inne, und ist nichts, was Christian mir in unserer Beziehung vermittelt hätte. Ich war die Frau in unserer Beziehung, das wusste ich schon von klein an, dass ich in einer Beziehung die Frau sein würde. Nicht nur bei meinen Eltern und den Verwand­ten war es so, überall kannte man es nicht anders, als dass einer der Mann und der andere die Frau war. Meine Eltern amüsierten sich jetzt immer noch über meine unendlich vielen Fragen als Kind. Nach allem, dem nur denkbar Kurio­sesten hatte ich gefragt, aber warum ich bei einem Paar die Frau spielen muss­te, nicht. Offensichtlich handelte es sich dabei um eine von den Fragen, die nie gestellt werden, weil sie im Uterus schon geklärt wurden. Wenn du zur Welt kommst, ist es längst klar, dass du in der Beziehung die Frau sein wirst. Tau­send verschiedene Möglichkeiten von Frau gibt es, aber dass du die Frau sein wirst, daran gibt es keinen Zweifel. Wer genau so über mich bestimmt hatte, war nicht zu eruieren, wie bei all den Dingen, die man so tut, weil man es eben so macht. Aber wie willst du es machen, wenn nicht wie Mann und Frau es eben so machen? Ich war eine Sklavin, wurde gehalten in einer Sklavenhalter­gesellschaft. Natürlich gab es bei den Menschen zwei Geschlechter wie bei Schlangen, Pumas und Wildeseln auch, nur beim Puma und all den anderen Tieren bestimmten ihre Gene, wie sie ihr Leben zu führen hatten. Niemand hatte den Fohlen vermittelt, wie sie sich später mal als Wildeselin oder als Eselhengst zu benehmen hätten. Bei den Menschen ist es aber ausschließlich so. Nur bei der Fortpflanzung sind die unterschiedlichen Genitalen von Bedeu­tung. In den Genen steht nur etwas zu deiner Physiologie, wie du dich zu ver­halten hast und alles andere hast du dir ausschließlich im Laufe deines Lebens in der Kommunikation mit anderen und durch Erfahrung angeeignet. Ein Bezug zum Biologischen ist beim Verhalten des Menschen eine Phantasmagorie. Es gibt keine biologische Frau oder einen biologischen Mann, trotzdem werden alle Kinder von Geburt an in eine dieser beiden Gruppen gezwängt und entspre­chend gezüchtet. Ein Verstoß gegen die durch Menschenrechte geschützte Frei­heit des Individuums. Nur keine Menschenrechtsorganisation scheint es zu stö­ren. Es bleibt dir nichts anderes übrig, als 'To Arrange Your Matters', deine An­gelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen.


Ich bin, der ich bin


Mein Freund ist sehr feingliedrig, verletzbar, leidenschaftlich. Ungewöhnlich, nicht wahr? Aber ungewöhnlich ist keine Kategorie für ihn. Er lässt sich nichts vorschreiben, in keine Anforderung von anderen drängen. „Ich bin, so wie ich bin. Wenn ich an mir etwas ändern sollte, wäre ich das nicht mehr. Dann wäre es jemand anders.“ sagt er. „Ich bin, der ich bin.“ hatte schon mal einer ge­sagt. Es gab nichts zu kritisieren und zu hinterfragen an ihm, man sollte ihn einfach so hinnehmen und akzeptieren, wie er war. Das würde ich auch gern von mir sagen können, aber bei mir stehen Myriaden von Besserwissern, Ver­treter von Mainstream und Volkesmeinung, sowie selbsternannte Berater und Helfer für alle Lebenslagen mit ihren multimedialen Infiltrationsorganisationen vor der Tür, die mir klar machen, wer ich bin und wie ich zu sein habe. Alle scheinen es zu wissen, nur ich selbst kann es nicht herausfinden.


„Dass ich maskuline Genitalien und Hormone besitze, stelle ich ja nicht in Ab­rede, nur ich bestehe doch nicht daraus, dass ich nichts anderes tue, als Tea­tosteron zu versprühen und mit meinem Penis zu wedeln. Was man als Mann oder männlich bezeichnet, sagt etwas darüber aus, was die Gesellschaft heute darunter versteht, aber nichts über mich. Ich finde mich darin nicht wieder. Die Bezeichnung 'männlich' in meinen Papieren ist eine Frechheit. Das bin ich nicht.“ hatte mein Freund erklärt. „Aber was bist du dann? Leonard, na klar, aber jeder sein eigenes Geschlecht? Leonard ist dein individueller Name, aber das Geschlecht ist eher die Bezeichnung für eine Kategorie, der man sich zuge­hörig sieht.“ meinte ich. „Du könntest zum Beispiel eine Welle mit ihren unend­lich vielen Ausprägungsmöglichkeiten sein, oder ein Wind, der sich in abertau­send Stärken, Formen und Wirbeln präsentiert.“ schlug ich vor. Es war ja nicht unbedeutend. Seine Zugehörigkeit weckte in der Kommunikation ja auch Asso­ziationen. Mit viel Spaß diskutierten wir lange zahllose Vorschläge. Für einen Baum entschied sich Leonard letztlich. Er wollte ein Baum sein, ein Lotusbaum, der käme seinem Wesen am nächsten. „Wenn du einen Lotusbaum imaginierst, kannst du vieles von mir persönlich erkennen.“ erklärte Leonard.


Florence


„Ihr seid verrückt.“ lachte Florence, „Lotusbaum gefällt mir. Ich denke es passt gut zu Leo. Die Suche nach Erleuchtung kann nur bei der Meditation unter ei­nem Lotusbaum erfolgreich sein. Wirst du sie den unter deinen Zweigen Medi­tierenden vermitteln?“ fragte Florence und lachte. Leonard hatte ich bei Flo­rence kennengelernt. Sie war meine intensive Freundin. Ich liebte sie. Für mich war sie die schönste Frau der Welt. Für andere gewiss nicht. Wie ein Engel aus der Renaissance kam sie mir vor. Das passte tausendmal besser zu ihr als die Bezeichnung 'Deutsche Frau'. Nicht der Engel aus der Verkündigung von Fra-Angelico, der gefiel mir nicht, er wirkte eher wie eine deutsche Mutter, aber in Florence hätte ich mich bestimmt verliebt, wenn ich … . Ich liebte sie ja, hätte sie zwar ständig einfach nur anschauen können, aber weshalb wir uns liebten, lag nicht an ihrem Aussehen, das mir so gut gefiel. Im Grunde waren wir un­terschiedlicher als es nicht sein konnte, aber vielleicht löste gerade das die Spannung aus, die uns immer neu zu gegenseitigem Austausch drängte. Nicht nur beruflich, Florence studierte Modedesign und ich Biologie, sondern auch in unseren sozialen Wahrnehmungen und Empfindungen waren wir sehr unter­schiedlich. Trotz Christian wünschte ich mir schon eine dauerhafte, enge Lie­besbeziehung, während Florence es offener handhabte. Dass sie mit einem Mann zusammenleben würde, war nicht denkbar. Sie flirtete gern, vielleicht wurde ja auch ein wenig mehr daraus. Leonard, der von allen Leo genannt wurde, war auch ein Bekannter von Florence. Florence, Bella, eine andere Freundin von Florence und mir, und ich hatten uns auf einen Kaffee getroffen und Leo war auch dabei. Das Verhältnis der drei Weiber untereinander bewirk­te, dass Leo leicht im Abseits saß. Ich fragte ihn, ob Leo sein offizieller Name sei, oder ob in seinem Pass Leonard oder Leonidas stünde. Er lachte und mein­te: „Leonard, aber wer ist Leonidas?“ „Eine schwere Bildungslücke, mein Lie­ber. Ein König der Spartaner hieß so, aber mit spartanischem Leben kennst du dich nicht so aus, nein?“ lautete meine Reaktion. „Ich bin ein sehr gebildeter Mensch. Wahrscheinlich nur, weil es mir Freude bereitet, von dir immer Neues dazu zu lernen.“ konnte Leo vor Lachen kaum sagen. „Leo, das hört sich an wie Heinz und Jupp und Willy. Ich werde dich Leonard nennen. Leo ist ja uner­träglich.“ teilte ich meinen Beschluss mit. Leo lachte und Bella fragte: „Sollen wir dich auch Leonard nennen? Ist dir das lieber?“ „Na klar,“ meinte Leonard, „aber du bist ja ausgeliefert, und dich beschweren, sagen dass du Leonard heißt, ist ja auch blöd, zumal wenn du das Leo dein Leben lang gewöhnt bist.“ Trotzdem lächelte er immer, wenn ich ihn betont Leonard nannte. Ob ich ihm mehr als seinen Namen zurückgegeben hatte? Bestimmt empfand er es so.


Schwestern


Wir drei Freundinnen trafen uns öfter. Bella hieß eigentlich Isabella und alle nannten sie Isa. Pervers fand ich das, sie sah nämlich wirklich gut aus, wusste das natürlich auch und fand es einfach nur nett. „Meine Mutter ist eine schöne Frau und mein Vater ist ein schöner Mann, da hat sich eben bei der Meiose die Schönheit potenziert. Was kann die Isa denn dafür, dass sie so schön ist?“ scherzte Bella. Über die Schönheit Scherze machen, konnte man, aber nicht ernsthaft darüber reden, dann wurde Bella böse. Sie wollte es wie blonde oder schwarze Haare sehen, eine ganz normale Kommunikationswissenschaftlerin werden, die eben gut aussah. Bella hatte auch keinen festen Freund, nur sehr gute Beziehungen zu einem Mann, der aber verheiratet war. Sie meinte, ihr Aussehen sei hinderlich, wahre Liebe zu finden. Natürlich sprachen wir unter­einander auch über Beziehungen und Liebe, aber nicht über individuelle Bezie­hungen von Einzelnen, das war Waschweiber-Talk. Als Christian sich Imelda zu­gewandt hatte, versuchten beide natürlich alles, um mir zu helfen. Ich weiß nicht, ob Florence sich noch weiter öffnen wollte, als sie es sonst konnte. Sie drückte mich, legte meinen Kopf auf ihren Schoß, streichelte mein Haar und betastete mein Gesicht. Eine Geste, die ich mir nicht hätte vorstellen können. Florence hatte mich erkennen lassen, dass meine Seele bei ihr ein Zuhause habe. Ganz anders, aber doch ähnlich geschah es bei Bella. Sie umarmte mich lange, ließ mich nicht los und begann zu weinen. „Ich kann es nicht ertragen. Es tut mir weh, wenn ich spüre wie deine Seele verletzt wird, Lou. Freundin­nen? Ja natürlich das sind wir, aber mir kommt es vor, dass ich für dich eher wie eine Schwester empfinde.“ erklärte Bella. Mein Leid hatte uns deutlich ge­macht, wie nah wir beieinander waren. Schwestern, das war schon der passen­de Begriff.


Warum ich nicht mehr im üblichen Geschäft der Liebe zwischen einem Paar die herkömmliche Rolle der Frau übernehmen wollte, hatte ich zu erläutern ver­sucht. „Anders geht es nicht.“ meinte Florence, „Es gibt keine Parallelgesell­schaft, in der alles ganz anders ist, und es gibt auch nicht den reinen Men­schen, Lou, der nur er selbst ist, frei von irgendwelchen gesellschaftlichen Ein­flüssen.“ „Vielleicht so nicht, aber es ist ja entscheidend, in welche Richtung du gehst. In der Toskana, und nicht nur dort, leben doch viele sogenannte Aus­steiger, die sich nicht länger von den Zwängen unseres technologisierten All­tags ihr Leben diktieren lassen, sondern mehr zu sich selbst finden wollen.“ er­widerte ich „Ich bin sicher die letzte, die nicht vieles zu kritisieren hätte, das weißt du, aber heute Frau zu sein, hat doch nicht nur negative Aspekte. Du würdest mir meine Berufsgrundlage entziehen, wenn Frauen keine Lust mehr hätten sich toll zu kleiden. Was wolltest du da denn wohl mit Männern machen?“ erklärte Florence und lachte. „Das meine ich doch auch gar nicht. Es gibt sicher tausend tiefgreifende ästhetische und soziologische Diskussionen über Mode und Design, und du wirst sie alle kennen. Mich stört nur immer die­se Bindung an das gesellschaftlich festgelegte Bild der Frau.“ antwortete ich. „Was soll ich denn sagen? „Sie sehen jetzt unsere neueste Kollektion, vorge­stellt von Esche.“ „Wer ist Esche? Ein neues Model?“ fragt man. „Nein, Esche ist ein Baum.“ antworte ich.“ verdeutlichte es Florence, was uns beide lachen ließ. „Lou, das meiste, was du zur gesellschaftlich festgelegten Rolle von Frau und Mann und ihr unterschiedliches Verhalten in Bezug auf Liebe gesagt hast, unterstütze ich doch, aber als Baum? Ich schätze Bäume sehr, bewundere sie in ihre Komplexität. Ich weiß nicht ob ihr schon miteinander ins Bett geht, Leo­nard und du, aber was sagst du denn dann? „Könntest du mal deine Geäst ein wenig rüber nehmen, oder würdest du, bitte, deine Wurzeln nicht so weit aus­strecken?“ so Florence. Was zur Folge hatte, dass ich sie umwarf. Wir rangelten ein wenig symbolisch, blickten uns lächelnd in die Augen und fuhren sanft über die Wange der anderen. Intime Momente, die erst geschehen konnten, seitdem wir Schwestern waren.


Lotusbaum nicht kommunizierbar


„Warum bist du kein Baum, wenn du es so toll findest, dass Leonard von sich sagt, er sei ein Lotusbaum?“ wollte Bella wissen, „Ich verstehe es gut, dass du unsere Rollenvorgaben als Frau und Mann in der Liebe für untauglich hältst. Alle suchen die Liebe, wollen sie, aber die Anzahl derer, die daran scheitern oder unzufrieden sind, ist größer als die derjenigen, die von sich sagen, ihr Glück in der Liebe gefunden zu haben. Da stimmt nicht nur bei einzelnen etwas nicht, da muss schon insgesamt bei unseren Vorstellungen von Liebe, wie wir sie finden und realisieren etwas nicht richtig funktionieren. Du kannst auch nicht sagen, dass sie früher, als die Frau und der Mann gesellschaftlich anders gesehen wurden funktionierte, da war auch die Vorstellung von Liebe und der Umgang mit ihr ein anderer. Sich den heutigen Rollenvorgaben entziehen zu wollen, zu sagen: „Eine Frau oder ein Mann, so wie man sie heute sieht, das bin ich nicht, damit kann ich mich nicht identifizieren.“, ist durchaus verständ­lich, nachvollziehbar und ich empfinde deine Ansicht sehr sympathisch, aber zu sagen: „Ich bin ein Baum, ein Lotusbaum, das entspricht eher meinem We­sen.“ ist vielleicht interessant, aber nicht kommunizierbar. Niemand wird dich verstehen.“ machte mir Bella deutlich. Ich verstand Leonard sehr gut. Ich lieb­te und bewunderte Bäume. Meerschweinchen, Katzen, Hunde hatte ich nicht gehabt, war auch kein hippophiles Teenymädchen gewesen, obwohl ich sie mochte. Sie suchten ja Liebe und sahen im Pferd oder Pony ihren einzig wirklichen Freund. Aber gerade das hatte mir den Umgang und den Bezug zu Säugetieren anderer Spezies verleidet und suspekt gemacht. Immer war dabei die eigene Psyche mit im Spiel, nur verstehend nachempfinden kann es für das Verhalten von Tieren beim Menschen niemals geben, der Hund wird niemals dein Freund und auch das Pferd nicht. Ihr Verhalten ist genetisch bedingt, und dazu hast du als Mensch keinen Zugang. Bei Pflanzen war das selbstverständlich, da kamst du gar nicht auf die Idee, das Wunderwerk, das aus dem Weizenkorn entstanden war, psychisch okkupieren zu wollen. Du konntest es einfach nur akzeptieren und bestaunen. Lieben auch? Na ja, in gewisser weise schon, aber es blieb selbstverständlich immer das andere. Die Begeisterung und Faszination für botanische und biochemische Vorgänge hatten meine Entscheidung für das Biologiestudium bewirkt, und Bäume genossen dabei einen bevorzugten Platz in der Liebe. „Wenn du Leonard liebst, wird die Liebe nicht einfach deshalb funktionieren, weil er kein Mann mehr, sondern ein Baum ist.“ lautete Bellas Ansicht. „Natürlich kommt es nicht auf den Namen an, aber Leonard ist anders, ist leidenschaftlich, empfindsam, verletzbar. Leonard ist kein cooler Mann mehr.“ entgegnete ich. „Toll,“ meinte Bella, „das ist sicher wundervoll und ganz bedeutsam, aber ich habe es dir ja auch damals schon gesagt. Wir lieben uns. Wer wollte das bezweifeln? Aber unsere Liebe lebt. Wir sehen gegenseitig etwas in uns, das uns reizt, miteinander zu tun zu haben, uns auszutauschen, das auf dem permanenten Wunsch basiert, uns gegenseitig näher zu kommen. Unsere Liebe verändert sich, ist immer anders, immer spannend neu, sie ist ein Prozess und lebt.“ „Wie alles, oder fast alles in der Natur, nicht wahr? Du hast mir damals gesagt, die Liebe zwischen Christian und mir sei zum Stillstand gekommen. Ich habe dir nicht widersprochen, aber verstanden habe ich es nicht.“ meinte ich dazu. „In deinem Leben ist alles immer in Bewegung, es gibt keinen Tag, der wie der vorige ist, sogar jede Sekunde lebst du anders, neu. Es gibt keine Pause, keinen Zustand, der bleibt und Liebe ist ein Teil von deinem Leben. Sie ist auch ein permanenter Prozess des gegenseitigen Austausches. Wenn du die Vorstellung hast, deine Liebe sei ein Zustand, den du jetzt erreicht hast und halten willst, kann es nur schief gehen. Du hast dir ein falsches Bild gemalt und willst damit leben. Probleme sind dadurch vorprogrammiert. Und dabei ist es völlig gleichgültig, ob dein Freund ein Mann oder ein Baum ist.“ erläuterte Bella.


Könnt ich mal probieren?


„Du bist nicht kommunizierbar, hat Bella gesagt.“ tat ich Leonard, der auch Kommunikationswissenschaften studierte, kund. Leonard lachte immer bevor er, wenn überhaupt, zum Sprechen kam. Ernst bleiben konnte ich auch nicht. „Leonard, du sprichst mit einer Frau, die schweres Leid ertragen musste. Viel­leicht könnte sie sich ausgelacht fühlen.“ gab ich lachend zu bedenken. „Lou, du musst einen direkten Zugriff zu meinem Zwerchfell haben, vielleicht ver­fügst du über mediale Kräfte oder Ähnliches. Ich kenne das sonst von mir nicht, aber bei dir war es schon vom ersten Satz an so, als du mich nach meinem Namen fragtest. Ich weiß nicht, was es ist, dass ich in dir sehe, aber es muss eine Vision der reinen Freude sein, ich möchte, dass wir immer zusammen lachen können.“ erklärte Leonard. „Wenn ich einen Lotusbaum so gut fände, warum ich denn dann selbst kein Baum sei.“ hat Bella mich auch gefragt. „Und deine Antwort?“ wollte Leonard wissen. „Du willst nur, dass ich auch ein Baum bin, nicht war, und wir dann miteinander ins Bett gehen können.“ warf ich ihm vor, so dass er vor Lachen gar nicht mehr antworten konnte. „Dass Bäume sich dadurch vermehren, dass sie gemeinsam im Bett miteinander kopulieren, ist mir neu, aber du als Biologin kennst dich da sicher besser aus.“ erklärte Leonard schließlich. Ich fragte ihn, ob es ihm denn ein Anliegen sei, sich zu vermehren? „Aber, Lou,“ reagierte Leonard, „das ist doch die Bestimmung aller Lebewesen, ihre Art zu erhalten und sich deshalb so viel wie möglich zu vermehren.“ „Oh Schreck, Leonard, in dir steckt doch noch sehr viel Mann. Die Bestimmung des Lotusbaums ist es, anderen seine süßen Früchte anzubieten, sich an ihnen laben zu lassen und sie dadurch zu erfreuen.“ erwiderte ich. Ganz dicht beieinander saßen wir. Ich kniete neben Leonard auf der Couch. Unsere lachenden Gesichter sprachen direkt voreinander. „Das würde dir eher gefallen?“ erkundigte sich Leonard. „Probieren, könnt ich mal probieren?“ fragte ich, bevor sich unsere Lippen direkt aufeinander zubewegten. Das bewegendste und intensivste Erlebnis haptischer Wahrnehmung ist es, wenn Lippen und Zunge die eines anderen Menschen berühren. Natürlich ist das soziale und allgemein emotionale Befinden entscheidend, aber haben sie schon mal einen Lotusbaum geküsst? Einmal, das reicht nicht. Sie wollen es perpetuieren, zum dauerhaften Erlebnishintergrund machen. Nach unser dritten Kussszenerie erklärte ich: „Leonard, ich habe mich entschieden. Eine Robinie bin ich. Kennst du, oder? Hast du meine bitteren, giftigen Früchte nicht geschmeckt?“ „Nein, nur deine Zunge und deine Lippen haben mich beglückt.“ antwortete er fast selig, verträumt. „Stimmt, ich stehe ja auch noch voll in der Blüte, da kannst nur die Trauben meiner geöffneten weißen Blütenlippen erkennen. Die tiefen Furchen in meiner Rinde, haben deine Finger die denn erspürt?“ fragte ich ihn. Wir hatten nämlich einige Kleidungsstücke geöffnet oder ausgezogen, um uns auch taktil näher erfahren zu können.


Aber Liebe musste es doch sein


„Leonard, so ist es nicht bequem, aber ein Bett hast du nicht? Lotusbäume schlafen im Stehen, nicht wahr?“ vermutete ich. „Robinien etwa nicht?“ fragte er zurück. Ich meinte zu spüren, dass er Bedenken hätte und wahrscheinlich lieber nicht ins Bett wollte. „Doch auch, da hast du schon Recht. Aber an man­chen Abenden im Mai schweben sie mit ihren Blütenlippen verträumt wispernd, für die Menschen nicht zu sehen und zu hören, zu ihrem Freund, einem ande­ren Baum, und dann bevorzugen sie schon ein Bett. Lotusbäume empfinden nicht so, oder?“ wollte ich wissen. In Leonhards Grinsen lag auch ein wenig Verlegenheit. „Komm“ sagte er nur. Dass ich heute sein Schlafzimmer betreten könnte, damit hatte er genauso wenig wie ich selbst gerechnet. Ganz schön wüst sah es da aus. Er grinste ein wenig verschämt und räumte hastig einiges zur Seite. Mir ließ es Leonard auf eine zusätzliche, unvermutete Art liebenswert erscheinen. „Du kannst dir vornehmen, was du willst, aber du wirst die Liebe immer wieder gleich leben. Was Liebe ist hat sich ganz früh bei dir festgelegt und ist in der Entwicklung deines Gehirns verwachsen. Das kannst du nie mehr ändern oder negieren.“ hatte eine Bekannte gesagt. Wenn das so wäre, und alles immer wieder zwangsläufig so wie mit Christian ablaufen müsste, dann würde ich lieber lebenslänglich Single bleiben. Ich war doch keine Masochistin. Natürlich hatte ich die Liebe von meiner Mutter gelernt, das konnte nur wundervoll sein, daran würde ich nie etwas ändern wollen, aber da waren doch keine Bahnen für potentiell zukünftige Männer gelegt worden und für Lotusbäume erst recht nicht. Dass ich mit meinem Lotusbaum heute im Bett landen könnte, war ein so fern liegender Gedanke, dass ich darauf nie gekommen wäre, als ich ihn heute vom Institut abholte. Wir gefielen uns schon sehr. Leonard hatte Lust auf jedes meiner Worte, ich freute mich darüber, und sein Lachen hob meine Gefühlslage um mehrere Ebenen an. Es war Wochenende, und wir wollten uns nur bei einem Kaffee ein wenig unterhalten, beieinander sein. Wir konnten auch ernsthaft miteinander reden, aber jetzt war es einfach so gekommen, hatte sich in diese Richtung entwickelt. Was ich mir dabei dachte? Nichts. Du denkst dabei nicht, dann funktioniert es nicht. Du kannst nur hinterher beschreiben, was du empfunden hast. Aber das konnte ich auch nicht. Es war wie beim ersten mal. Nein, nein, das stimmt nicht, dann bist du ja unsicher, verklemmt oder Ähnliches, nur ganz neu war es schon. Aber Liebe musste es doch auf jeden Fall sein, auch wenn wir nie über unsere tiefe Verbundenheit, unser unbedingtes gegenseitiges Vertrauen und Dergleichen gesprochen hatten, glücklich waren wir deshalb nicht weniger. Wir spürten unsere Nähe, wussten aber nicht, worin sie genau lag. Im Grunde waren wir uns völlig fern, wollten aber beide den anderen, beziehungsweise die andere. So könnte Liebe nicht gehen, hätte ich gesagt. Zu meinen Vorstellungen passte das überhaupt nicht. Von Leonard wollte ich es wissen: „Wir sind so verschieden, meine Vorfahren kommen aus den Appalachian Mountains während deine aus der Gegend von Syrien stammen, wir brauchen keine Programme zur gegenseitigen Verständigung, wir wollen uns, einfach so. Kannst du dir das erklären?“ „Kausale Begründungen sind Konstrukte der von den Menschen entwickelten logischen Denkmodelle, nicht überall sind sie brauchbar und anwendbar. Gerade bei der Liebe tun sich kausale, rationale Erklärungen schwer. Deshalb ist ja auch so vieles falsch, was gemeint und gesagt wird, vor allem aber bleibt in der Liebe vieles unerklärlich und für immer ein Rätsel.“ erläuterte Leonard, „Aber ganz unabhängig davon, warum soll Andersartigkeit trennend und distanzierend wirken. Das empfindet nur der Schwache, Ängstliche, wenig Charakterstarke so. Der Kluge, enthusiastisch Lebende, gute Mensch ist interessiert an dem Anderen, dem Fremden, das nicht er ist, und das außerhalb von ihm liegt. Das weiß du doch aus der Biologie, gerade das Andere ist interessant, macht neugierig, du willst es näher verstehen, auch wenn du weißt, dass es nie mit dir identisch werden kann. Nicht viel anders wird das bei der Robinie und dem Lotusbaum auch sein.“ Leonard lachte. Meine Fingerspitzen glitten sanft über sein Blattwerk. Ich weiß ja nicht, wie Bäume sonst schauen, wenn sie gestreichelt werden, jedenfalls Leonhards Lippen grinsten zufrieden, glücklich, und seine ganze Mimik erweckte einen Eindruck, der mich vermuten ließ, dass er vielleicht gleich zu Schnurren beginnen könnte.


Kein cooler Mann


Ein cooler Mann, das war Leonard nicht, und das hatte nicht erst begonnen, seitdem wir uns kannten. Er hatte eine ältere Schwester, die feministisch be­wandert und aktiv war, und die Leonard abgöttisch liebte. Zu Hause, das war für ihn seine Schwester. Sie hatten viel über die Rollenvorgaben diskutiert, und für seine Schwester war er kein Junge oder zukünftiger Mann, sondern einfach ihr Liebster. Das erlebte Leonard auch heute noch so. Nicht ausgeschlossen, dass er in mir etwas Ähnliches wie ein Pendant sah und deshalb allein mein An­blick ihn schon erfreute. Auch wenn ich mich mit feministischen Gedanken identifizierte, war ich doch nie in irgendeiner weise aktiv gewesen. Was das Pa­triarchat, und der technologisierte kapitalistische Alltag für die Beziehung der Menschen untereinander und die Liebe bedeutet, hatte ich in meiner Beziehung zu Christian erlebt und mir bewusst machen können. Dass ich es so nicht mehr wollte, stand absolut fest, dafür war mir die Liebe zu kostbar und zu schade. Mit meinem Lotusbaum würde es sich nicht so entwickeln können? Dass alles ganz anders war, überhaupt nicht zu meinen früheren Vorstellungen passte und mich wahnsinnig neugierig machte, dessen war ich mir völlig sicher.


Auf einen Kaffee am Freitagnachmittag war ich zu Leonard gekommen, am Montagmorgen fuhr ich nach Hause, um mich umzuziehen und zur Uni gehen zu können. Unser weiteres, gemeinsames Leben hatten wir fast komplett ge­plant. Damals hatte ich mich auf Christian fixierte. Er war es, der mich meine Liebesempfindungen entfalten ließ, jetzt hatte Leonard erklärt, er brauche mich physiologisch. Seinem Körper fehle etwas, wenn er mich und meine Zuneigung nicht spüren könne, er würde krank und seine Blätter würden welken. Viel an­ders war es bei mir auch nicht. Wenn ich morgens mit Leonard gelacht hatte, konnte der Tag mit allen potentiellen Widrigkeiten mir nichts mehr anhaben. Liebe? Mussten wir darüber diskutieren? Konnte es denn etwas geben, das uns emotional stärker und tiefer bewegte als unsere gegenseitige Anerkennung und Zuneigung? Liebe war es ganz bestimmt, auch wenn sie in einem völlig ande­ren Gewand erschien, als ich es kannte. Ein wunderschönes Kleid trug sie, das zu mir, der Robinie und dem Lotusbaum passte. Dass unsere Liebe nie zu ei­nem Zustand, einem Status verkommen würde, war garantiert. Die Suche nach Erleuchtung unter einem Lotusbaum ist ein fortwährender Prozess, ein Ende findet er nie. Und über Robinien musste Leonard ja noch soviel lernen. Dass ich zur Erbauung der Mitarbeiter eines Instituts gepflanzt war, konnte er ja nicht wissen. Der Anblick meiner Blütenpracht aber auch meiner feinziselierten Blätt­chen, die selbst auf Wind reagierten, der meteorologisch nicht gemessen wur­de, erfreute sie, wenn sie bei der Arbeit aus dem Fenster blickten. An Schön­heit standen wir uns also gegenseitig in nichts nach. Leonard erklärte, das zwar nicht gewusst zu haben, aber gewiss hätte er die im leichten Windhauch fortwährend klimpernden Blättchen gespürt, bestimmt würden sie ihn emotio­nal kitzeln, und deshalb müsse er immer lachen.


Starke Robinie

 

Ein starkes Gefühl machte es schon, sagen zu können: „Ich bin eine Robinie, das müsst ihr einfach akzeptieren. Euer Lamento, wie ich als Frau zu sein hät­te, berührt mich nicht. Damit habe ich nichts mehr zu tun.“. In einer Parallel­gesellschaft wähnten wir uns nicht, aber wenn du deine Rollenvorgaben als Mann und als Frau zurückgegeben hattest, empfandst du dich kräftig und mu­tig. Wie ein Baum, dessen Kräfte die Menschen meistens nur erkennen, wenn seine Wurzeln stärker sind als Straßendecken oder Mauerwerk. Die viel bedeut­sameren und stärkeren Kräfte, mit denen er ständig aus der Erde seine Krone unterhält, können die Menschen nicht sehen. Wir fühlten uns auch in vielem nicht direkt Sichtbaren stark. Das konnte es für uns nicht mehr geben: Leben, wie man so lebt und etwas tun, wie man es so macht, weil es alle so machen. Du suchst nach dir, deinen wirklichen Bedürfnissen und Gefühlen, bist wider­spenstig und willst dich nicht mehr an den von der Oberflächenkultur vorgege­benen Mustern, Rollen und Klischees orientieren. Nichts hatte ich wiedergefun­den, nichts war mir zurückgegeben worden. Neu war alles. Neu mein Leben und neu meine Erfahrungen. Wertvoller war es als alles was ich je besessen und verloren hatte, vor allem aber erlebte ich es als einen Prozess, eine Ent­wicklung mit der ich mich absolut identifizierte, die ich selbst, die mein Leben war. „Wer bist du eigentlich wirklich, wie heißt du denn laut Pass, Marieluise oder Lusitania? Ich finde Lou sehr schön, deshalb habe ich dich wahrscheinlich noch nie gefragt.“ erkundigte sich Leonhard. Jetzt konnte ich vor Lachen nicht antworten. „Lusitania wäre sehr schön, nicht wahr?“ meinte ich schließlich, „Aber einfach nur Lou. Nur Lou steht bei mir im Pass. Wahrscheinlich ist es eine Kurzform für Louisdor, Goldstück kannst du einfach auf deutsch sagen, weil meine Blättchen im Herbst wie tausende kleiner Goldstückchen klimpern.“ „Goldstück sucht Erleuchtung.“ schlug Leonard vor, „Könnte das eine Metapher für unsere Beziehung sein?“ wobei er mich eng umschlungen an sich drückte, was eine Metapher dafür war, dass Leonard jetzt gern mit mir das Bett aufsu­chen würde. Konnten wir denn ständig miteinander ins Bett gehen, nur weil Leonard sein Schlafzimmer jetzt aufgeräumt hatte? Aber es war ja auch ein Zeichen dafür, dass wir uns doch immer noch primär der Gattung Homo sapi­ens zugehörig fühlten, auch wenn wir uns bei den Arboribus, den Bäumen, an­gesiedelt hatten, dann hätte es uns gereicht, irgendwann einmal im Jahr unse­re Samen zu verstreuen. Deshalb kamen wir uns auch nie mit unserem Geäst oder Wurzelwerk gegenseitig ins Gehege, wie Florence es befürchtet hatte. Wir genossen es einfach wie einen neuen Frühling, oder entsprach es eher der Hitze des Sommers? Die Eiszeit mit ihren brausenden Stürmen war endgültig vorüber. „Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit.“ so empfand mein Gemüt heute.

 

FIN

 

 

Il n'y a qu'un bonheur dans la vie,
c'est d'aimer et d'être aimé.

George Sand

„Wenn ich einen Lotusbaum so gut fände, warum ich denn dann selbst kein Baum sei.“ hat Bella mich auch gefragt. „Und deine Antwort?“ wollte Leonard wissen. „Du willst nur, dass ich auch ein Baum bin, nicht war, und wir dann miteinander ins Bett gehen können.“ warf ich ihm vor, so dass er vor Lachen gar nicht mehr antworten konnte. „Dass Bäume sich dadurch vermehren, dass sie gemeinsam im Bett miteinander kopulieren, ist mir neu, aber du als Biologin kennst dich da sicher besser aus.“ erklärte Leonard schließlich. Ich fragte ihn, ob es ihm denn ein Anliegen sei, sich zu vermehren? „Aber, Lou,“ reagierte Leonard, „das ist doch die Bestimmung aller Lebewesen, ihre Art zu erhalten und sich deshalb so viel wie möglich zu vermehren.“ „Oh Schreck, Leonard, in dir steckt doch noch sehr viel Mann. Die Bestimmung des Lotusbaums ist es, anderen seine süßen Früchte anzubieten, sich an ihnen laben zu lassen und sie dadurch zu erfreuen.“ erwiderte ich. Ganz dicht beieinander saßen wir. Ich kniete neben Leonard auf der Couch. Unsere lachenden Gesichter sprachen direkt voreinander. „Das würde dir eher gefallen?“ erkundigte sich Leonard. „Probieren, könnt ich mal probieren?“ fragte ich, bevor sich unsere Lippen direkt aufeinander zubewegten. Das bewegendste und intensivste Erlebnis haptischer Wahrnehmung ist es, wenn Lippen und Zunge die eines anderen Menschen berühren. Natürlich ist das soziale und allgemein emotionale Befinden entscheidend, aber haben sie schon mal einen Lotusbaum geküsst? Einmal, das reicht nicht. Sie wollen es perpetuieren, zum dauerhaften Erlebnishintergrund machen. Nach unser dritten Kussszenerie erklärte ich: „Leonard, ich habe mich entschieden. Eine Robinie bin ich. Kennst du, oder? Hast du meine bitteren, giftigen Früchte nicht geschmeckt?“ „Nein, nur deine Zunge und deine Lippen haben mich beglückt.“ antwortete er fast selig, verträumt. „Stimmt, ich stehe ja auch noch voll in der Blüte, da kannst nur die Trauben meiner geöffneten weißen Blütenlippen erkennen. Die tiefen Furchen in meiner Rinde, haben deine Finger die denn erspürt?“ fragte ich ihn. Wir hatten nämlich einige Kleidungsstücke geöffnet oder ausgezogen, um uns auch taktil näher erfahren zu können.

 

 

Robinie liebt Lotusbaum – Seite 14 von 14

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Tag der Veröffentlichung: 13.06.2013

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