Cover

Introduction und Inhalt

 

Carmen Sevilla

Leidenschaft und Begierde Isabella und Pascal

Verlangen wider Willen

 

Erzählung

 

La raison peut nous avertir de ce qu'il faut éviter,
le coeur seul nous dit ce qu'il faut faire. "

J. Joubert

„Ich würde es gern länger, ganz lange genie­ßen. Verstehst du? Ich möchte unsere Liebe auch körperlich endlos spüren können.“ erläuter­te Isa­bella und lächelte schel­misch. „Sag mal, Pascal, findest du mich eigent­lich schön und begehrenswert?“ fragte Isabella plötzlich und Pascal bog sich vor Lachen. „Ja, das stimmt, Isa­bella, man müsste sich das ei­gentlich auch sa­gen, nur jetzt? Und wie sollte ich es denn formulieren: „Du bist so schön Isa­bella, ich be­gehre dich.“?“ überlegte Pascal. Dafür bekam er einen Boxhieb. „Ein unstill­bares Verlangen nach der Schönheit deines Kör­pers durchwogt all mein Begeh­ren.“ wäre das poetischer?“ erkundig­te er sich bei Isabella. „Pascal, du bist böse und machst dich über mich lustig.“ meinte Isabella mit nicht erns­ter Schmollmimik. „Meine Liebste, du weißt doch, dass ich dich für die Frau mit dem schönste Po der Welt halte, die Isabella kallipy­gos, und dein Gesicht ist meine Sonne, sie bringt alles zum Strahlen und durchwärmt mein Herz. Kannst du mein Begehren auch ein­fach so spüren, ohne dass ich öfter mal Brunft­schreie ausstoße?“ reagierte Pas­cal. „Ja, für Frauen, die meis­ten wenigstens, ist es schon bedeutsam, be­gehrt zu werden, während Männer mit der Einstel­lung ge­boren werden, dass es bei ih­nen per se der Fall sein muss.“ erklärte Isa­bella. „Natürlich, sie schmücken sich ja auch mit modi­scher Klei­dung und an­deren Accessoires, weil beim Menschen die Weibchen die akti­ve Rolle im Balz­verhalten haben.“ erläu­terte Pascal. „Aha, und wie war die Balz deines Weib­chens? War sie bei dir erfolgreich, ja?“ fragte Isabella und fügte dem hin­zu: „Dann darfst du aber jetzt auch nicht nur träu­men und schmusen wol­len, mein Liebs­ter, dafür habe ich doch den ganzen Auf­wand der Balz nicht betrieben.“

 

Leidenschaft und Begierde Isabella und Pascal– Inhalt

 

Leidenschaft und Begierde Isabella und Pascal 4

Germanistikseminar und Gelüste 4

Leider war er ein Mann 7

Walden 8

Vielleicht in Pascal verliebt? 9

Pascal wollte es nicht 10

Pascals Wänglein streicheln 11

Völlig durchgeknallt 12

Frühlingsgefühle 13

Pascal wir müssen uns trennen 14

Spanien 16

Aktives Leben führen 18

Hallo Pascal, hallo Isabella 19

Florians Schlafzimmer 19

Schönes Wochenende 22

Zwei neue Sterne 24

Pascal im Kopf 26

Mahlers Adagietto 28

Nackter Mann 29

Es ist so und es wird sich nicht ändern 30

Pias Geheimnis 31

Zukunftspläne 32

Bunte Nächte 34

Wohnungen 35

Isabella und Anett 35

Ménage à trois 37

Anett zu Besuch 39

Mit Fabienne ins Klavierkonzert 42

 

Leidenschaft und Begierde Isabella und Pascal - Germanistikseminar und Gelüste

 

Er wollte einen Blick erhaschen, wollte diesem mürrischen, nein, angewiderten auch nicht, diesem gelangweilten Gesicht ein Lächeln schenken. Klar, die The­matik förderte beim Durchschnittsgermanisten nicht gerade schärfstes Interes­se und erweckte Lustgefühle. Die Frau drehte auch ihren Kopf zu ihm und und gab ihrer Mimik freundliche Züge. Eini­ge Sekunden später erklärte sie: „Mich wi­dert das hier an. Ich mag sie ja, auch die Lyrik der Romantik. Wenn ich ein Ge­dicht von Eichendorff lese, dann weiß ich was er sagen, was er rüberbringen will. Ich verstehe ihn und bin fasziniert da­von, wie er's gemacht hat. Mir gefal­len seine Formulierungen und seine Ausdrucksweise. Wenn er in der Mond­nacht den Himmel die Erde küssen und die Seele ihre Fügel ausbreiten lässt, dann ist das warm, milde und sanft und weckt beim Leser Asso­ziationen ans eigene Empfinden der Liebe. Mehr hat Eichendorff nicht gewollt, und mehr will der Le­ser nicht wissen. Keiner von ihnen kannte oder kennt aus dem großen Katalog der lyrischen Stilmittel die sprachwissenschaftlich zu be­stimmenden Details, die hier zur Anwendung kommen. Was interessierte es Ei­chendorff, ob er hier eine Synkope verwendet hatte oder nicht, und mich inter­essiert es ge­nauso wenig.“ Der junge Mann musste lachen. „Na ja,“ meinte er, weiter lä­chelnd, „die Germanistik untersucht Sprache eben nicht nur auf Schönheit.“ „Sollte sie aber.“ reagierte die junge Frau. „Die meisten Texte sind abstoßend, Missbrauch von Sprache, sogar man­che Referate hier in den Seminaren. Was will man denn mehr von ei­ner Spra­che, als die Möglichkeiten ihrer Schönheit zu finden und herauszustellen?“ Der Pro­fessor kam herein, das Seminar be­gann. Der junge Mann lachte immer noch stumm vor sich hin. Eine lustige Sicht, auf so etwas war er noch nie gekom­men. Die bei­den saßen in einem Se­minar zur Lyrik von drei Dichtern der Ro­mantik. Zum Schluss des Seminars schien die Frau besser gelaunt. Sie blickte ihren Nach­barn mit breit grinsenden Lippen an. „War's doch besser, als du er­wartet hat­test?“ fragte der Mann. „Nein, wieso?“ die Frau. „Du bist anscheinend doch bes­ser drauf jetzt.“ der Mann. „Ach wo, ich war doch vorher nicht schlecht drauf. Es ist nur dieses gan­ze vermaledeite Studium.“ meinte die Frau. „Das verstehe ich nicht.“ der Mann darauf. „Aber wir müssen hier auch raus. Hast du Lust und Zeit, es mir bei 'nem Kaffee zu erklären?“

 

Als sie in der kleinen Kaffeebar des Instituts Platz nahmen, stellten sie sich erst mal vor. Isabella und Pascal hießen sie. „Ich dachte, ich liebte Germanistik, die Beschäftigung mit der deutschen Sprache. Ich las viel und gern, hab' nicht nur alles verschlungen, meine Bücher waren mein zu Hause. Ich führte ein um­fängliches Tagebuch mit oft essayhaften Texten und war die einzige in der Klas­se, die gerne Aufsätze schrieb. Die Germanistik hier hat damit aber überhaupt nichts zu tun. Hier wird die Sprache mit ähnlichen Methoden wie in den Natur­wissenschaften seziert. Mir kommt es so vor, als ob es unausgesprochen Ziel des Studiums sei, den künftigen Germanisten die Lust an der Sprache ein für allemal gründlich auszutreiben. Ernst und wichtig ist die deutsche Sprache. Al­les andere ist irrelevant.“ stellte es Isabella dar. Es war bestimmt nicht der In­halt ihrer Worte allein, der Pascals Zwerchfell anregte, es waren auch ihre Dik­tion und vor allem wie sie sprach, ihr Rhythmus, ihre Sprachmelodie aber auch das Timbre in ihrer Stimme, die Pascal eine lustige Spannung verspüren ließen. Er lachte nicht über Isabella. Ihre Sprache gefiel ihm und er­freute ihn, er lauschte ihr gern und hätte ihr einfach immer wei­ter zuhören können. Grinsend schaute er Isabella an. „Aber du willst mir doch nicht erzäh­len, du hättest ge­dacht, Germanistik bestünde darin, dass man ein paar schö­ne Bücher lesen und gemeinsam drüber sprechen würde.“ meinte Pascal. Sie schauten sich mit Blicken an, die noch ernst sein wollten, doch dann lachten beide los. „Aber dass ich Gedichte lieber lese, als sie sprachwissenschaftlich zu zer­pflücken, das stimmt schon.“ stellte Isabella immer noch lachend trotzig klar. Kurze Zeit war es still. Dann meinte Pascal: „Du solltest auch Dramaturgie oder Rhetorik, nein Theaterwissenschaften studieren.“ „Ich mache doch noch Philo­sophie. Da fühle ich mich wohl. Das ist ein weites, buntes Universum und nicht so ein sprach­wissenschaftlicher Kleinschiss wie hier oft. Da brauchst du so theatralische Sa­tiren nicht. Obwohl in der Linguistik haben sie ja enge Bezie­hungen.“ erklärte Isabella. Pascal hätte sie immer anschauen können. Sympa­thisch fand er Isa­bella sicher, aber was es da auch noch gab, das von Anfang an schon da war, bevor sie den ganzen Fake mit ihrem Germanistikstudium in­szeniert hatte, konnte er nicht benennen. Wie sie ihn mit dem Gesicht an­schaute, das aus ge­langweilt ein freundliches Lächeln entwickelte, hatte er nicht nur wahr genom­men. Es sprach ihn an und musste wohl direkt etwas in ihm bewegt haben. Dieses Gesicht sah er immer, wenn sie ihn anschaute oder mit ihm sprach. Ob Isabella attraktiv war? Das vielleicht auch, aber was sollte so eine Frage jetzt? Was konnte es nur sein, das sie für Pascal anziehend wirken ließ. Er mochte sie, obwohl er sie überhaupt nicht kannte.

 

„Und was hat dich zu den Germanisten getrieben?“ wollte Isabella von Pascal wissen. „Ach, das ist genauso kurios nur auf eine andere Art und Weise. Ich war ein Jahr in den USA. Da bist du sprachlich ziemlich gut drauf, und wenn ich Bücher im Original las, die ich auf Deutsch kannte, kam mir das oft wie zwei verschiedene Bücher vor. So wird das wahrscheinlich, wenn du wörtlich über­setzt ohne das amerikanische Buch richtig zu verstehen und dich einfühlen zu können, weil dir die Hintergründe und Zusammenhänge fehlen. Es gibt auch ei­nige hervorragende Übersetzungen, und so etwas wollte ich eigentlich später mal machen. Das ist dann mehr als übersetzen. Du setzt nicht nur für die ame­rikanischen Wörter die deutschen ein. Du bist selber kreativ, und versuchst zum Beispiel die Stimmung des amerikanischen Buches auf deutsch zu vermit­teln. Transponieren würde meiner Ansicht nach besser passen, wie du Musik für ein anderes Instrument umschreibst und doch den gleichen Eindruck beibe­hältst. Du bist kein Übersetzer, sondern deine Übertragung für deutsche Leser enthält vielfältige eigene Komponenten. Dazu studiert man am besten Anglistik und Germanistik, habe ich gedacht. Ist auch vielleicht ganz richtig. Nur norma­lerweise reicht dafür aber das Übersetzerkol­leg schon.“ erläuterte Pascal. „Du Armer, da musst du dich mit den Strukturen romantischer Lyrik rumquälen.“ bedauerte ihn Isabella. „Es gibt ja sehr be­rühmte amerikanische Romantiker wie Thoreau, Poe und Melville zum Beispiel. Vielleicht müsste ja davon mal et­was neu übersetzt werden. Aber die sind si­cher schon gut übersetz. „Walden“ ist bestimmt schon zehn mal übersetzt wor­den.“ meinte Pascal. „Ich verstehe nichts. Wer sind Walden und Thoreau?“ er­kundigte sich Isabella. „'Walden, oder das Leben in den Wäldern' ist ein Buch von Thoreau. Sein Essay über zivi­len Ungehorsam ist übrigens auch äußerst le­senswert. Es beeinflusste sogar Mahatma Gandhi und Martin Luther King.“ er­läuterte Pascal. „Also erfahre ich doch etwas von interessanten neuen Büchern, durch nette Kommilitonen. Wahrscheinlich kann man von ih­nen am meisten lernen. Ich hab' von Edgar El­len Poe mehreres gelesen. Hat mich zum Teil fas­ziniert, aber auf den Gedan­ken, sich mal um amerikanische Romantik zu küm­mern, während ich ein Semi­nar zur Romantik besuche, kom­me ich Trottel na­türlich nicht. Aus der französi­schen Romantik kennt man doch einige Schrift­steller von Madame de Staël bis Victor Hugo. Aber wovon handelt dieses 'Wal­den' denn eigentlich?“ wollte Isa­bella wissen. „Vom richtigen Leben. Du musst es unbedingt lesen. Viel Philoso­phisches übrigens. In der Hippie Be­wegung war es ein Kultbuch.“ erläuterte Pascal. Isabella fixierte Pascal, als ob sie so er­gründen könne, wer dieser junge Mann wirklich sei, und aus welcher Welt er stammte. Pascal lächelte. „Was ist, Isabella? Warum starrst du mich an?“ fragte er. „Ich versuche mir vorzustellen, was du außer Germanistik- und Anglistikveranstaltungen zu besuchen und da­für zu ar­beiten sonst noch wohl machen würdest.“ antwortete sie. „Und, was hast du bislang rausgefunden?“ wollte Pascal wissen. „Fußball glotzen und Bier saufen, oder stimmt das nicht?“ reagierte Isabella. Pascal versuchte sich so vorzustel­len und lachte stakkato­haft vor sich hin. „Ja, ich denke schon, dass diese Triebimpulse meines Es vor­handen sein könnten. Ich habe sie wahr­scheinlich nur unbewusst als uner­wünscht abgewehrt. Meine zugelassenen Triebimpulse bringen mich dazu, ein­zukaufen, die Treppe zu putzen und den Müll zu entsorgen.“ meinte Pascal dazu. „Willst du so etwas nicht auch lieber abwehren? Schön ist das doch nicht.“ kommentierte Isabella es mit krauser Mi­mik „Lässt du bei dir denn gar keine schönen Triebe zu?“ meinte sie an Pascal gerichtet. „Du bist blöd, meine Liebe. Aber im Ernst, ich lese auch gerne wie du, höre gern klassische Musik, versuche mich immer wieder erfolglos am Kla­vier und gehe gern raus. Oper, Konzert, Theater, aber da sind die Karten ja trotz Studentenermäßigung nicht gerade billig. Und die anderen Triebe gefallen mir auch.“ antwortete Pascal. „Und welche Gelüste außer Lesen und Tagebuch schreiben treiben dich in dei­ner Freizeit?“ wollte er von Isabella wissen. Isabel­la lachte und meinte: „Ich bin voller Gelüste, ein Konglomerat aus Gelüsten. Mal wollen sie Schokolade, mal lieber Pudding und mal Kartoffelbrei. Immer et­was Neues. Nein ich mache sonst fast nix. Doch Musik höre ich auch gerne. Nur schade, ich kann nicht bei­des zusammen machen. Nicht dass sie mich beim lesen stören würde, nur Mu­sik muss ich richtig hören oder gar nicht. Ich konzentriere mich automatisch darauf und muss mich voll auf sie einlassen können. Ich kann auch nichts an­deres dabei machen. Sie erfasst mich voll. Ich erlebe sie, das ist schön aber auch schade. Ah ja, ich gehe auch sehr gern spa­zieren. Da kannst du deine As­soziationen und Gedanken frei fliegen lassen, während du deinen Körper rhythmisch bewegst, und die Natur dir unbegrenzt neue Anregungen und Motive bietet. Von den ande­ren Trieben erzähle ich nix, das geht dich nichts an, aber doch, leckeres Essen mag ich gern. Außerhalb essen gehen, aber noch schöner ist es, wenn man ge­meinsam gekocht hat. Nur mein Freund hat immer keine Lust dazu.“ erläuterte Isabella ihre Freizeitaktivitäten. Sie besprachen noch kurz gemeinsam ihre Re­ferate und gingen dann, Pascal in eine Vorlesung und Isabella nach Hause.

 

Leider war er ein Mann


Zu Hause hatte Isabella mehrere gute Freundinnen gehabt. Sich mit ihnen zu treffen, war für sie und ihren Gefühlshaushalt sehr wichtig. Allein schon eine geliebte Freundin zu sehen, mit ihr zusammen zu sein, war Balsam für die See­le. Dass sich immer interessante und wichtige Gespräche entwickelten, ergab sich von selbst. Das alles gab es nicht mehr seit sie studierte. Sie schrieben sich nur noch per E-Mail oder telefonierten auch mal. Hier hatte sie bislang nur zwei bessere Bekannte kennengelernt. Das bei ihren Freundinnen vorhandene Vertrauen hatte sich noch nicht entwickelt, und Isabella war skeptisch, ob es überhaupt dazu kommen würde. Da müsse sich gleich von Anfang an etwas anders gestalten, meinte sie. Heute bei Pascal hatte es sich ganz anders ge­staltet. Leider war er ein Mann. Aber es schien von Anfang an ein Draht zuein­ander vorhanden zu sein. Der Jux mit dem Germanistikstudium war aus ihrer Laune entstanden, aber bei jedem hätte sie das ja nicht gemacht. Hatte sie ge­spürt, das Pascal sich darauf einlassen, und es verstehen würde? Ihre Augen schienen mehr zu verstehen, als sie ihrem Bewusstsein mitteilten. Sie hatte di­rekt Lust, mit ihm zu reden. Warum eigentlich? Fragte Isabella sich. Er war lo­cker, konnte sie zum Lachen bringen, erzählte in­teressant, aber sie meinte auch, dass es wohl damit zusammenhängen müsse, dass sie ihn einfach ir­gendwie zu mögen schien. Ihre Mutter hatte sie mal ge­fragt, warum sie ihren Teddy liebe. Sie wusste es nicht und hatte gesagt weil er sich so gut anfühle. Ihre Mutter hatte den Kopf geschüttelt und erklärt, sie möge ihn so gern, weil er einen Platz in ihrer Seele habe, wo sie nicht hin­schauen könne. Seitdem hat­te für Isabella alles, das sie gern mochte, aber nicht genau wusste warum, einen Platz an diesem uneinsehbaren Ort in ihrer Seele. Ob Pascal sich da auch vielleicht schon eingenistet hatte? Sie konnte es ja nicht wissen.


Pascal konnte sich in der Vorlesung nicht konzentrieren. Immer wieder ging ihm das Gespräch mit dieser fremden Frau durch den Kopf. Normal war das keineswegs. Man hätte automatisch eine viel größere Distanz gehabt, wenn man sich unbekannt wäre. Langsam hätte man sich an den anderen heranzu­tasten versucht. Zurückhaltend und viel reservierter wäre man gewesen. Der andere wäre einem persönlich sehr fern vorgekommen. Warum hatte es diese Distanziertheit zwischen Isabella und ihm nicht gegeben? Sie hatte sich gleich von Anfang an sehr offen geäußert und Pascal hatte es aufgegriffen? Da muss­te etwas anderes und mehr vorhanden sein. Vielleicht hatte mann gleich ge­spürt, dass - wie man sagt – die Chemie zwi­schen ihnen stimmte, dass sie auf der gleichen Wellenlänge segelten. Pascal vermutete so etwas. Wie hätte es sonst dazu kommen können, dass man ähnlich zwei guten Bekannten ver­traut miteinander redete und scherzte, ob­wohl man sich vorher noch nie be­gegnet war. Sollte man sich etwa aus einem früheren Leben schon kennen, erwog Pas­cal schmunzelnd. Ob Isabella ihn auch mochte? Das musste sie, wie hätte sie sonst Lust daran haben sollen, ihn scherzhaft zu provozieren und mit ihm Un­sinn zu re­den. Immer wieder ließ er sein Gedächtnis die Szenen von vorhin ab­spielen, als ob er sie sich fest einprä­gen und nie wieder vergessen wolle. Und immer wieder diese Stimme, die erzählte und diese Augen, die ihn anblickten. Pascal wusste nicht, ob er sich für verwirrt halten, oder es wie einen erlebten Schatz ansehen sollte.


Walden


Bei der nächsten Seminarsitzung gingen sie freundlich lächelnd aufeinander zu und begrüßten sich wie zwei alte Bekannte mit einem Handschlag auf den Oberarm. Als sie im Seminarraum saßen, zeigte Pascal Isabella sein Buch 'Wal­den', das er für sie mitgebracht hatte. „Das ist wahrscheinlich nicht die neueste Übersetzung. Bei Diogenes gibt es, glaube ich, eine neuere.“ meinte Pascal dazu. „Danke, ganz herzlichen Dank Pascal. Das ist sehr lieb von dir.“ und ihre Augen, die Pascal freundlich lächelnd anblickten, sagten das gleiche. „Aber wenn du mich auf etwas so scharf machst, kann ich natürlich nicht untä­tig blei­ben. Es tut mir leid Pascal.“ erklärte Isabella und zog die neue Ausgabe aus der Tasche. „Isabella, das stört mich doch nicht. Es freut mich vielmehr, dass mei­ne Worte so ein großes Gewicht für dich haben. Hast du schon etwas davon ge­lesen?“ Pascal dazu. „Ich habe es noch nicht ganz durch.“ antwortete Isabella, „Bis 'Nachbar Tier' bin ich gekommen. Jetzt kommt 'Der Kamin'. Ich bin mal gespannt, ob er mich davon überzeugt, dass und warum Mensch so et­was un­bedingt braucht. Zu Hause haben wir einen, aber mit Feuer habe den noch nie erlebt. Das Buch finde ich jedenfalls faszinierend. Es begeistert mich heu­te, auch wenn es wundervolle, absolut schärfste Romantik ist. Da hätten sich eini­ge unserer romantischen Schwafelhelden mal et­was von ab­schneiden sol­len. Nur Thoreau konnten sie ja noch gar nicht ken­nen. Das war ja später. Ich dan­ke dir Pascal, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast. Es bereichert mein Leben. Wenn dir mal wieder irgendetwas für mich einfallen sollte, lass es mich unbedingt wissen.“ er­klärte Isabella.


Im Seminar war ein Gedicht in ei­nem Referat behandelt worden, und man dis­kutierte darüber. „Sagen sie mal? Gefällt ihnen das Gedicht eigentlich?“ platzte Isabella mitten im Seminar fra­gend an den Professor. Der lachte stumm vor sich hin und Isabella fügte hinzu: „Ja, sie haben davon noch nichts erwähnt.“ Die anderen Studenten fanden die Situation auch wohl sehr komisch. Sie grins­ten und tuschelten untereinander. „Sie haben völlig Recht, Frau …?“ „Falken­berg“ half Isabella ihm. „Es ist ja die Intention jedes Dichters, den Leser mit seinem Werk betrof­fen zu machen. Ein sehr wichtiger Aspekt, den wir nicht un­erwähnt lassen soll­ten. Ja das Gedicht gefällt mir sehr, ich finde es wundervoll. Es hat mich be­wegt. Warum genau, das sollten wir vielleicht besser in die In­terpretation ein­beziehen.“ antwortete der Prof. Ob jetzt alle Studis in ihren Re­feraten auch wohl dazu Stellung neh­men würden, wie es ihnen persönlich ge­fallen habe? Isabella musste bei dem Gedanken schmunzeln. „Du würdest es doch noch schaffen, aus dem 'Institut für Germanistik' das 'Institut für schöne deutsche Sprache' zu machen. Du müsstest nur lange genug studieren.“ mein­te Pascal beim anschließenden Kaf­fee. „Da gibt es aber härtere Brocken als die Romanti­ker“ erwog Isabella. Wel­chen Grund es dafür gab, dass man jetzt auch wieder anschließend einen Kaf­fee trinken ging? Keinen. Aber beide waren ohne den anderen zu fragen, selbstverständlich zur Kaffeebar gegangen.


Bei ihren Gesprächen gaben sie sich auch gegenseitig Tips und Informationen zum Studium, aber wichtiger war, dass der andere erfuhr, welche Bücher und Romane man absolut klasse und wichtig fand, und von denen man meinte, dass der andere sie unbedingt gelesen haben müsse. Das hielt man nicht nur für wichtig und erzählte begeistert davon, es war auch immer ein kleiner Schatz für den Zuhörer, ein Schatz des Erzählers, in dem er sich öffnete und tiefe Einblicke in seine Persönlichkeit gewährte. Die beiden diskutierten aber ebenso viel über gemeinsam Bekanntes. Die Gespräche über Walden zum Bei­spiel hatten fast Seminarumfang. Isabella fiel auf, dass sie so etwas sonst nicht kannte. Mit Freundinnen zu Hause hatte sie früher schon mal sporadisch über ein Thema, das sie betraf, ausführlicher diskutiert. Selbstverständlich wunder­voll waren die inhaltlichen Gespräche mit Pascal über 'Das richtige Leben“ wie Thoreau es sah, und wie es sich aus ihrer Sicht darstellte. Das konnte sie sogar zu weiterführenden Themen und gemeinsamer Lektüre bringen. Solche Diskus­sionen brauche ein Mensch doch, meinte Isabella, und wunderte sich, dass sie vorher keinen Mangel empfunden hatte. Die Diskussion über das Thema war sicher bedeutsam, nicht weniger bedeutsam war es jedoch, dass die Diskussion mit Pascal stattfand, doch das übersah Isabella geflissentlich. Aber neben der­artigen Gesprächen besaßen auch Mitteilungen dar­über, wie sie die Semester­ferien zu verbringen gedächten, hohen In­formationswert. Im Grunde hatte den alles. Sie konnten sprechen, worüber sie wollten, der andere sah zu und lauschte dem interessiert und gespannt, als ob er es auf­saugen wolle. Jedes mal ging man nach dem Seminar einen Kaffee trin­ken, und wenn Pascal nicht anschließend zu einer Vorlesung gemusst hätte, wäre nicht abzusehen gewe­sen, wann sie ihr Kaffeegespräch beendet hätten. Sie wussten mittlerweile al­les nur Denkbare voneinander, aber verstanden den an­deren nicht nur deshalb besser, sondern vor allem dadurch, dass sie dem oder der anderen beim Ge­spräch genau zuschauten, sie oder ihn intensiv be­trachteten. Sie hat­ten da­durch beide das Empfinden, sehr viel von der Psyche, der Persönlichkeit des anderen erkannt zu haben, sie immer besser zu verste­hen und zu sehen, was den an­deren in seinem tiefsten Wesen ausmachte. Sehr nahe gekommen wa­ren sich Isabella und Pascal. Dass sie sich bei Begrüßung und Abschied um­armten, war selbstver­ständlich. Sie berührten sich auch, streichelten zum Bei­spiel dem anderen über den Handrücken oder gaben ihm einen Nasenstups. Sie seien dadurch dass sie sich jede Woche sähen, sehr ver­traut miteinander, wie gute Freunde eben. Das andere durften sie nicht wissen, und auch dass der anschließende gemein­same Kaffee viel wichtiger war als das Seminar selbst, wussten nur ihre Emotio­nen, aber ihr Bewusstsein durfte so etwas nicht er­fahren. Da hatten sie beide massive Barrieren aufgebaut gegen alles, was ihre Lage, wie sie sie sehen wollten, hätte beeinträchtigen oder stören können.


Vielleicht in Pascal verliebt?


Zu Hause hatte Isabella seit ihrem ersten Treffen häufiger an Pascal gedacht. Es gefiel ihr, sich an Szenen und Eindrücke zu erinnern. Unbedeutend war es ja auch nicht, was sie besprochen hatten und Isabella musste oft zu Hause weiter darüber nachdenken. Aber häufig sah sie auch nur das Bild von Pascal selbst. Sie fühlte sich wohl, wenn sie an Pascal dachte. Ob sie es absichtlich tat, weil es sie eben warm und freundlich stimmte, oder ob es von selbst ge­schah, dass sie sich immer häufi­ger mit Pascal beschäftigte, war Isabella nicht klar. Jetzt wollte Pascal jedoch ständig zuge­gen sein, ließ Isabella permanent an ihn den­ken, es verwirrte und ir­ritierte sie massiv. Ja, sie mochte ihn, ohne Zweifel, aber das wusste sie ja schon lan­ge. Nur jetzt musste sie eben im­mer an ihn denken, spielte Vergan­genes vor ihren inneren Augen wieder ab, oder sie stell­te sich in allen Situatio­nen vor, Pascal sei jetzt anwesend. Sie wollte das nicht, aber sie konnte sich nicht dage­gen wehren. Es gefiel ihr ja auch ir­gendwie. Es machte eben ein freudig lustiges Gefühl, sich vorzustel­len, Pascal würde beim Einräumen der Spülmaschine helfen. Sie hätte schon Lust, ihn da­bei zu sehen, ihn zu ärgern und zu necken. Hatte sie sich vielleicht in Pascal ver­liebt? Fragte sich Isabella. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie ihn lieb­te, sie ihn küsste, wie sie sich küssten, wie er sie umarmte und sie streichelte. Was sie dabei empfand, wollte sie vor sich selbst nicht verbalisie­ren, aber abends im Bett ka­men diese Vor­stellungen wie­der. Sie schmus­te und küsste und streichelte sich zärtlich mit Pascal, bis sie langsam ins Träu­men kam und in den Schlaf hinüber glit. Was sollte das? Sie hatte einen Freund und war glücklich mit ihm. Sie wa­ren schon in der Schule ein Paar gewesen. Mit Benni, so hieß ihr Freund, war sie sehr vertraut. Schließlich war Benni ihre ers­te Lie­be, und das war er immer noch. Sie war zwar vorher auch schon mit ei­nem Jungen zusammen gewesen, den sie als ihren Freund bezeichnete, aber mit Benni hatte sie zum ersten mal die­ses unbekannte Empfinden erlebt, dass sie und auch Benni allein aus ihrer Ge­meinsamkeit Glücksgefühle entwickeln lies, dass sie Sehnsucht nach dem an­deren verspüren konnten, und das war im­mer noch mit Benni verbunden. Jetzt störte Pascal. Woher kam das, warum emp­fand sie so, fragte sich Isabel­la. Könnte man Benni und Pascal vergleichen. Un­sinn. Mit Benni war alles be­kannt und vertraut, Pascal hatte den Reiz des Un­bekannten, Neuen, Spannen­den. Aber das wäre doch idiotisch. Sollte sie sich alle drei Jahre einen neuen Mann suchen, der im Ge­gensatz zu dem Be­kannten beim jetzigen etwas neues Aufre­gendes an sich hatte. Aber das war es ja nicht bei Pascal. Sie spürte ja kein Verlangen nach ihm, weil er et­was aufre­gend Neues ver­sprach. Sie konnte es nicht tiefer ergründen, und ihre Überle­gungen blieben an der Oberfläche. Sie mochte einfach bei­de. Vielleicht war an dem ge­heimen Ort in ihrer Seele ja Platz für zwei Männer, nur die beiden wür­den sich da nicht vertragen.


Pascal wollte es nicht


Pascal freute sich darauf, nach Hause zukommen. Meistens war seine Freundin, An­ett, schon da und begrüßte ihn. Sie umarmten und küssten sich. Man mach­te Scherzchen und jeder wusste etwas zu erzählen. Den Treffen mit Isabella je­doch fie­berte er entgegen, nicht selten schon am Abend vorher. Dann freute er sich nicht nur, dann erreichten seine Emotionen ihre höchste Erregungsstufe und sein Gehirn schien Glückshormone im Übermaß auszuschütten. Er sorgte sich und war damit keineswegs zufrieden. Pascal hatte Anett erst vor einigen Monaten kennengelernt. Anett war eine intelligente, lebendige junge Frau, die sehr lustig aber auch anschmiegsam und zärtlich sein konnte. Sie mochten sich gern und waren sehr verliebt in­einander. Verklungen war das nicht. Dass ihre Liebe durch irgendetwas beein­trächtigt werden könnte, schien unvorstellbar. Jetzt war da Isabella, ohne sich um Anett zu scheren. Und Pascal liebte Isabel­la. Es müsse so sein, dass er sie liebe, anders sei seine Einstellung zu Isabella und sein Empfinden für sie nicht zu erklären. Sie erweckten bei den Kaffeege­sprächen immer den Anschein von zwei guten Be­kannten, aber an ihrem Sprachstil und der Art und Weise mitein­ander umzuge­hen, konnte jeder außer ihnen selbst deut­lich erken­nen, dass hier zwei Verliebte miteinander beim Kaf­fee saßen. Es war zwar be­glückend, aber rational wollte Pascal es nicht. Es hat­te keine Perspekti­ve. Er würde Anett nicht verlassen, und Isabella würde es auch bestimmt nicht wol­len. Sie hatte ja ebenfalls einen festen Partner. Wie ihr Verhältnis zu ihm war, darüber wusste er nichts. Es gab nichts, worüber sie nicht gesprochen hätten, nur über ihre Partner war kaum ein Wort gefallen. Als ob es eine still­schweigende Vereinbarung gegeben hätte, dieses Thema auszu­klammern.


Pascals Wänglein streicheln


Als sie beim nächsten Mal im Seminar Platz nahmen, bekam Pascal einen Blick zugeworfen, der ihn irritierte, und den er nicht verstand. Er lächelte leicht ver­legen, freundlich. Was hatte das denn zu bedeuten? In Isabellas Blick lag et­was Verwegenes, leicht Verruchtes, der Vamp, der sagen wollte: „Junge, ich durchschau dich ge­nau. Ich weiß doch was du willst.“ Pascal musste über seine eigene Interpreta­tion lachen. „Isabella, fühlst du dich wohl?“ fragte Pascal sie. „Ja, sehr wohl so­gar.“ erklang die sandige Burbon Stimme in einer Sprechwei­se, mit der Isabella antwortete und die genau zu ihrem Blick passte. Pascal lachte los und Isa­bella lachte auch. „Was ist in dich gefahren, Isabella?“ wollte Pascal wissen. „Ich wollte mal ausprobieren, ob ich dich ins Séparée locken könnte. Nein, Quatsch, ich bin einfach nur ein bisschen übermütig.“ erläuterte Isabella. Tat­sächlich hatte sie vom ersten Moment an, als sie Pascal erblickte, das Bild vom Schmu­sen und Liebkosen mit ihm vor Augen. Isabella fand es lustig, aber es löste ebenso das Empfinden einer gewissen Hochstimmung aus. Auch während des Seminars wandte sie sich öfter zu ihm und sah sich selig sein Wänglein strei­cheln und es küssen. So ein Schwachsinn, aber heute kam sich Isabella ein wenig überdreht vor. Beim Kaffee konnte sie es nicht mehr er­tragen. Sie wollte dieses verrückte Bild verdrängen und sich ernsthaft unter­halten. „Du hast ge­sagt, du hörst sehr gern klassische Musik, aber mir über­haupt noch nicht ver­raten, was du denn gerne hörst.“ stellte sie fragend fest. „Ja, natürlich Opern. Die Sopranistinnen bringen mich in ihren Arien immer zum schmelzen. Ich höre bestimmt sehr kitschig oder sentimental, nur ich kann doch nichts daran ma­chen, das sich mein Musik und Harmonie Empfinden so sozialisiert hat. Ich ver­steh das ja alles mit der modernen Musik, nur meine Ohren wollen sie trotzdem nicht hören. Die verlangen nach diesen wunderba­ren Frauen­stimmen, die mich im­mer zum Wei­nen bringen können. Nicht nur bei Arien ist das so. In jedem Kon­zert gibt es bestimmt irgendeine oder mehre­re Stellen, die mir die Kehle zu­schnüren. Bei Musik, wenn's nicht gerade Marschmusik ist, können mir immer sehr leicht die Tränen kommen, in Filmen nie, da bin ich stets mehr oder weni­ger außen vor. Aber ich mag auch andere Musik, vor allem Jazzgesang und Songs aus anderen Län­dern, wenn sie schön melancholisch, träumerisch sind und von schönen Frauen­stimmen gesun­gen werden. Jeder Mensch ist ja grundsätzlich sehr offen für Mu­sik, aber dass Frau­enstimmen so wunderbar klingen können, hat sich bei mir bestimmt schon früh ins Ge­hirn eingegra­ben. Meine Mami hat mir immer etwas vorgesungen, wenn sie mich ins Bett­chen brachte. Für mich waren das reine Glücksmomente. Wo­möglich werde ich das, wenn ich Frauen singen höre, heute und mein Leben lang asso­ziieren.“ erläu­terte Pascal seine Musikvorlieben. „Wie sieht es bei dir aus. Was sind deine Fa­voriten? Das hast du auch noch nicht erzählt.“ fragte Pascal. „Also Opern auf CD hören, ist nicht so mein Ding. Die schau ich mir lie­ber an. An­sonsten ist das alles sehr unter­schiedlich bei mir. Mahler würde ich vielleicht noch einen bevor­zugten Platz einräumen, ja und Beethoven natürlich auch. Sonst ist alles abso­lut ge­mischt. Einzelne Stücke von Vivaldi bis Stra­winsky, na ja, die Klavierkon­zerte von Rachmaninow zum Beispiel, aber da ist auch noch so vieles andere. Im Grunde höre ich fast alles gern, weil's eben Musik ist, und Musik ist nun mal prinzipiell schön, sogar Mozart, man kommt ja nicht umhin, auch wenn ich ihn im Grunde hasse. Was nicht schön ist, ist Klangsuppe oder Lärm. Das findest du doch auch, nicht wahr?“ Pascal antwor­tete nicht, sondern lachte nur. „Ich höre Musik sehr intensiv, lass mich voll er­fassen, dass du dabei nicht außen vor bleiben kannst wie bei Filmen, verstehe ich sehr gut, nur muss ich meine Gefühle nicht gleich heulend äußern. Die Vio­linkonzerte sind sind ja großartig, aber bestimmt zum Teil ganz gezielt auf das Erzeugen von Senti­ments an­gelegt. Überall kom­men doch diese schmusenden, traurigen oder lieblichen Violi­npassagen vor. Wie will man Mendelssohns D-Dur Konzert denn sonst hören? Da kom­men ei­nem ja fast zwangsläufig die Tränen.“ erläuterte Isabella ihre Musikvor­lieben. Als Pascal aufstand, blickte sie ihn mit breiten Grinselippen und lustigen Augen an. „Lass dich nicht ärgern. Pass schön auf dich auf, mein Süßer.“ mein­te sie zum Ab­schied, und Pascal bekam einen Kuss auf die Wange.


Völlig durchgeknallt


„Mein Süßer?“ Na, so was, Pascal hatte es ja gewusst. „Mein Geliebter“ hieß das doch. End­lich hatte Isabella mal etwas in der Richtung gesagt. Auch wenn du es weißt, trotzdem klingt es wunderschön, wenn du es hörst. Hatte sie das nicht gewollt? War ihr das rausgerutscht? Nein, das war schon in Ordnung. Heute konnte Isabella es sich nicht verbieten, Pascal ein liebes Wort zu sagen. Wenn er abends so gern süße Frauenstimmen hörte, ob sie ihm dann im Bett immer etwas vorsingen sollte? Isabella fragte sich, wo sie lebe? Mehr als ein wenig durcheinander war schon alles bei ihr heute. Konnte sie sich das denn überhaupt vor­stellen, mit Pascal ins Bett zu gehen? Sehr feinfühlig, einfühlsam und zärtlich würde er bestimmt sein. Wie er wohl aussehen würde, nackt im Bett? Na ja, sie musste sich ja nur die Kleider wegdenken. Sie formte ein Bild. Vorstellen würde es sich Isabella schon können, gut vorstellen, sehr gut vor­stellen konnte sie es sich. Bei den Überle­gungen zur konkreten Ausführung dieser Vor­stellung schlief sie am Abend selig schlummernd ein. Am anderen Morgen machte sie sich Vorwürfe. Sie sei völlig durchgeknallt, jetzt träume sie schon davon, mit Pascal ins Bett zu gehen. Aber obwohl sie es sich verbat, blieb die Vorstellung existent. Was sollte sie denn tun? Es so weiterlaufen las­sen und abwarten, was sich entwickelte? Sie liebte Benni und wollte Pascal. Beides zu­sammen ging nicht. Um eine Entscheidung käme sie nicht herum. Beides täte weh. Sie würde Pascal ja nicht vergessen können. Könnte er zu ei­ner wun­derschönen Erinne­rung werden? Das ließ Isa­bella zweifelnd die Augen­brauen heben. Aber Benni verlassen und spekulativ mit Pascal zu rech­nen, das wäre keine Alternative. Pascal war ein Traum, ein herrlicher Traum, aber ihr Partner war Benni, mit ihm fand ihr Leben statt, und daran gab es nichts aus­zusetzen. Warum hätte sie das für einen riskanten Traum zerstören und aufge­ben sollen? Es gab keine Wahl. Selbstverständlich würde sie mit Benni zusam­men bleiben. Und dann weiterhin immer Pascal treffen? Benni war ihre erste Liebe, aber Pascal war ihr Fieber. Sie würde den Kontakt zu Pascal beenden müssen, sonst funktionierte es nicht. Am besten anderswo studieren. Germa­nistik ginge ja überall, aber Benni hätte nach Aa­chen oder München oder sonst wohin gemusst. Zürich wäre für Benni auch ge­gangen. Oh ja, in die Schweiz, aber so volle Lust darauf, mit Benni in die Schweiz zu gehen, konnte Isabella im Moment gar nicht entwi­ckeln. Das Emp­finden von Lust, schien derzeit nur an die Person von Pascal ge­bunden möglich. Alles Zirkus. War sie nicht eine starke Frau? Sie würde es Pas­cal erklären, dass sie es nicht mehr wolle, und sie sich demnächst möglichst aus dem Wege gehen sollten.


Frühlingsgefühle


Pascal träumte zwar nicht davon, mit Isabella ins Bett zu gehen, aber der Ge­danke an ihre Liebe, konnte ihm jeden Moment versüßen. Die bedeutsamen Dinge das Alltags verloren ihr Gewicht, und auch ihm selbst verlieh es ein Emp­finden von Leichtigkeit. Dass Glücksempfindungen, vor allem in der Liebe, häu­fig mit dem Verb 'schweben' assoziiert wurden, konnte er gut nachvollzie­hen. Alle ließen sie ja bei Frühlings- oder Liebesgefühlen ihre Seelen schweben, lie­ßen sie ihre Flügel ausbreiten oder befanden sich auf irgendwelchen Wolken. Pascal schwebte nur über den kleinen Dingen des Alltags, auf die er sich sonst oft intensiv kon­zentriert hatte. Jetzt sah er sie als unbedeutend geringfügig und von ganz weit oben. Warum war nicht dafür gesorgt worden, dass nur Menschen mit einem genetisch bedingten Hochgefühl sich evolutionär durchge­setzt hatten. Ebenbild Gottes sollte der Mensch doch sein. War Gott etwa nicht glücklich, sondern griesgrämig, mürrisch und zänkisch? Was für eine Welt könnten wir haben, wenn alle Menschen immer Pascals Stimmung als dauer­haftes Lebensgefühl hätten, sinnierte Pascal. Bei der augenblicklichen evolutio­nären Disposition müssten sie dazu alle verliebt sein. Offensichtlich waren das aber sehr viele nicht. Anett konnte ja nicht wis­sen, dass es an Isabella lag, aber Pascals dauerhaft gute Laune fiel ihr schon auf. Sie hatte ihn gefragt, ob er irgendwo erfolgreich gewesen sei, und er hatte gemeint, dass Freude über einen Erfolg schnell verblasse. Es sei ein­fach dies Empfinden des Frühlings, der sich langsam auf den Sommer zubewe­ge, was alle Menschen freundlicher und offener stimme. Dass Pascal Frühlings­gefühle hatte, war bestimmt berechtigt, aber ob und wie der Sommer eintref­fen würde, darüber mochte er sich keine Gedanken machen.


Pascal wir müssen uns trennen


Das nächste Seminar war das letzte. Dann gab es Semesterferien. Isabella fuhr wie in jedem Jahr wieder in ein kleines 'wirkliches' Dorf in der Nähe von Mala­ga. Ihre Eltern hatten dort vor vielen Jahren ein altes Haus gekauft. Es wurde vom Tourismus nicht berührt und war auch von der Entwicklung der Obst- und Gemüseindustrie verschont geblieben. Sie hatte dort viele Freunde, die sie zum Teil schon als kleines Kind kennengelernt hatten. Isabella kannte jeden Bewoh­ner des Dorfes, es war für sie ein anderes ,zweites Zuhause. Zu den überfüll­ten Touris­tenstränden fuhr sie nur äußerst selten. Pascal hatte schon wieder Termine mit 'seinem' Café abge­sprochen, wann er für Kellnerinnen, die in Ur­laub waren, Bedienungsaushilfe machen konnte. In Isabellas Mimik lag et­was Fragendes, aber sie wollte nichts von Pascal wissen. Sie war nicht glücklich mit dem, was sie bewegte. Was wird aus mir? Wo bleibe ich damit? Meinte sie sich zu fragen. In Isabellas Selbstbild existierte kein Ort für die Ereignisse mit Pas­cal. Es war mit ihr geschehen. Sie erlebte es emotional so stark wie sonst nichts, aber ihr Einfluss war, wenn überhaupt, nur minimal. Auch wenn ihr Ent­schluss fest­stand, war sie sich doch höchst unsi­cher. Es gab niemanden, der ihr so viel be­deutete, und sie wollte ihn in Zukunft nicht mehr kennen. Sie sah sich zärtlich lie­bend mit Pas­cal im Bett und wollte ihn gleich­zeitig aus ihrem Le­ben strei­chen. Natürlich hat­te sie ihre gegenseitige Liebe bei den Kaffeegesprä­chen ge­nossen, aber da­nach, sie auch körperlich zu erfahren, konnte sie sich nur seh­nen. In der Reali­tät hatte sie es nicht erlebt und würde es nicht mehr erleben. Auch im Seminar schon blickte sie oft zu ihm hinüber. Dann schaute sie eher wehmütig, sah Pas­cal und empfand die Zärtlichkeiten, die sie unter­einander austauschten, wozu es aber nie kommen würde. Beim Kaffee scherz­ten sie, ob und wie sie wohl die lange Zeit der Trennung in den Semesterferien überleben würden. Pascal wollte überlegen, was sie im nächs­ten Semester ge­meinsam belegen könnten. Isabel­la antwortete mit Ausflüch­ten. Pascal blickte fragend und ver­stört. Sie musste es ihm ja doch sagen, wann denn, wenn nicht jetzt, auch wenn es ihr äußerst schwer fiel. „Pascal, wir sagen immer, wir sind gute Freunde, wir mögen uns gern, so ein Stuss, nicht wahr? Wir wissen doch beide, dass wir leidenschaftlich ineinander verliebt sind. Oder emp­findest du das etwa nicht so? Nur wir spielen immer die guten Be­kannten, und alles was man tut, wenn man sich liebt, versagen wir uns. Küss mich doch erst mal end­lich.“ er­klärte Isabella. In den Kuss schienen sie alle Leidenschaft hineinle­gen zu müs­sen, die sie sich das ganze Semester über ver­sagt hatten zu äu­ßern. Bei Isa­bella rief es das heute immer leicht präsente Bild vom miteinan­der schlafen wach, was sie auf der Stelle getan hätte, wenn ein Bett in der Nähe gewesen wäre. „Pascal, ich bin verrückt nach dir. Ich weiß nicht, wie es für dich ist. Alles einfach weiter plät­schern lassen, das wird es nicht geben. Ich habe mich ge­fragt, ob ich das an­dere will. Ich will meine Be­ziehung mit Benni behal­ten. Die möchte ich nicht aufgeben. Dafür habe ich mich entschieden. Wenn wir weiter etwas zu­sammen machen, wird es nicht dabei bleiben, dass wir nett miteinan­der re­den. Ich träume ja jetzt schon da­von, mit dir ins Bett zu gehen. Pascal, ich musste mich entscheiden. Für mich war es eine Entscheidung zwi­schen Benni und uns. Keinesfalls bedeu­tet mir unsere Liebe weniger, sie ist an­ders, und du kannst dir denken, wie stark ich sie empfinde. Ich habe mich ra­tional entschie­den, vor allem wegen der Perspektive. Pascal wir können es nicht wei­ter so laufen lassen, wir werden uns trennen müssen. Eine andere Lö­sung sehe ich nicht, und es kann sie nicht geben.“ erläuterte es Isa­bella. Ei­gentlich hätten ihr die Tränen kommen müssen, bei dem was sie gerade ver­kündet hatte, aber sie handelte, als ob es ein Geschäftsvorgang sei. Pascal konnte im Moment nicht darauf antworten. Sie schauten sich nur lange stumm an. „Ja, so ist es, Pascal, leider.“ jetzt bekam Isa­bellas Stimme doch einen wei­nerlichen Tonfall. Pascal schaute traurig, nach­denklich. Als ob je­mand die Freu­de aus seinem Le­ben verbannen wolle, dachte er sich. Anderer­seits wusste er ja auch nicht, wie es weitergehen sollte. Das sah er genauso wie Isabella, dass Liebe immer mehr will. Und womit sollte er Anett seine gute Laune an tristen Novemberta­gen er­klären? Darüber schmun­zelte Pascal. „Isa­bella, ich weiß nicht, ob und wie ich das ertra­gen kann, oder ob ich vor Liebes­kummer verwel­ken werde.“ meinte Pascal. „Es zu hören, ist schon schmerzlich, und ich kann mir nicht vor­stellen, dass es in Zukunft nicht mehr weh tun sollte, aber du ver­sagst mir ja nicht deine Liebe. Das wird es er­leichtern. Ich würde dir ja auch zustimmen, dass es so für uns beide am ver­nünftigsten ist. Nur nimmt es nichts davon, dass es mir ungeheu­er schwer fal­len wird. Meine Liebe wird trotzdem nicht vergehen oder geringer werden, und genauso wird meine Sehn­sucht bleiben. Isabella, unsere Beziehung ist doch kein Liebesabenteuer, das man be­enden könnte, weil man's aus irgendwelchen Gründen gerade mal für richtiger hält. Wie sollte es denn in Zukunft für uns aussehen. Werden wir uns nicht mehr kennen? Kein Wort mehr mitein­ander wechseln oder wie? Obwohl wir wissen, dass wir uns beide gegenseitig lieben?“ wollte Pascal wissen. „Ich verstehe dich sehr, sehr gut, Pascal. Mir wird es si­cher auch entsetzlich schwer fallen, keine Berührung mehr mit dir zu haben. Ich dachte nur, du hast doch auch ein glück­liches Leben ge­habt, bevor du Pas­cal kennenlerntest. Warum sollte das denn nicht jetzt auch wieder mög­lich sein?“ meinte Isabella. Pascal blickte skeptisch. Einfach eine historische Si­tuationen aus seiner Persönlich­keitsentwicklung wie­derzubeleben und das da­nach Gesche­hene auszublenden, hielt er nicht für möglich. Vielleicht konnte es ja helfen, die neue Situation zu bewältigen, wenn man es sich wie ein Mantra immer wie­der vorsagte, dass man damals doch auch so glücklich gewesen sei. Die Blicke mit denen sie sich anschauten, drückten nicht Traurigkeit aus, son­dern eher ver­bundene Überein­stimmung, dass man dem, was gerade verein­bart worden war, so nicht sicher trauen kön­ne. Wie hatten sie es sich denn real vorzustellen. Der andere war doch kein Bekannter, den man jetzt nicht mehr treffen würde, er war doch in­tegraler Be­standteil des ei­genen Lebens. Bestimmt hatte eine innere Stimme ih­nen zuge­flüstert, dass es bei ihnen etwas gebe, das stärker sei als ihre ratio­nal konstru­ierten Beschlüs­se. Bei der Verabschiedung wollten sie offen­sichtlich dauer­haft um­armt blei­ben, denn auf den Gedanken, sich wieder von­einander zu lö­sen, schi­en nie­mand zu kommen. Pascal leckte ständig Isabellas Wangen, auch wenn schon gar keine sal­zigen Tränen mehr kamen. „Alles Ge­lernte kannst du ver­gessen, Pascal, aber unsere Liebe exis­tiert ja nicht in dei­nem Ge­dächtnis, sie hat einen Platz in deiner Seele oder deinem Herzen, und den wird sie behal­ten.“ brach­te Isabella während der Verabschiedungszeremo­nie ein. Es war ja nicht nur ihre Abschied­sumarmung, sie hielten sich ja auch zum ersten mal so liebend um­schlungen in den Armen. Isabella hatte wieder zu weinen begon­nen, einfach so. Es war so rührend und angespannt, sie war glücklich und küsste Pascal ständig. Die bei­den hatten ihre Körper fest aneinander ge­presst, und bei der dünnen Sommer­bekleidung konnten sie sich sehr gut spü­ren. Dazu Pascals Hände auf Isa­bellas Rücken und Po riefen in ihr wieder Asso­ziationen ans ge­meinsame Bett wach, Pascal so und ohne Bekleidung zu erfah­ren, sah und empfand sie auf ih­ren in­neren Bildern. Abschließend gab es noch Küsse auf Stirn und Wan­gen, dann trennten sie sich.


Die rührselige Stimmung der Verab­schiedungszeremonie war schnell verklun­gen. Stumpfsinnig setzte sich Isabella an ihren Schreibtisch und starrte auf die gegenüberliegende Wand. Starrte ihre Paula an, Paula Becker mit den roten Bäckchen. Das Moder­sohn, das offiziell auch noch zu ihrem Namen gehörte, existierte für Isabella nicht. Sie mochte ihn nicht und war der Überzeugung, er habe Paula psychisch destruiert. Isabel­la sah es so, dass sie im Begriff sei, das gleiche jetzt mit sich selbst zu tun. Wenn sie auch vorher noch Unsicherheiten verspürt hatte, jetzt kam es ihr vor, als ob sie in einem naiven Rausch oder dümmlich panisch ge­handelt hätte. Sie wusste, dass sie nichts von Pascal ab­bringen könnte und hatte Angst, Benni dadurch zu verlieren. Da musste man sich eben von einem trennen. Überall auf der Welt trennten sich Paare, nur von denen, die sich ge­rade im Hochgefühl gegenseitiger Liebe befanden, dürften nicht viele darunter sein. Worauf basier­te ihre Entscheidung eigentlich? Isabel­la meinte, über gutes Einfühlungsvermö­gen zu verfügen, bei anderen, nur für sie selbst schienen da nicht einmal Rudi­mente vorhanden zu sein. Was sie ge­tan hatte, schien ihr dumm. Nur es zu än­dern, es rückgängig zu machen, dazu hätte sie eine ver­nünftigere, intelligente­re Lösung kennen müssen, und die sah sie nicht. Sie hatte Angst vor der mög­lichen Entwicklung gehabt. Sie wollte Benni nicht ver­lieren, und in der Bezie­hung zu Pascal hatte sie gelernt, sich selbst für unbere­chenbar zu halten.


Spanien


In Spanien war Isabella immer allein mit ihren Eltern. Das störte sie nicht. Benni hatten sie einmal mitgenommen, aber es war ihm zu langweilig und zu heiß. Er hatte immer nur gemeckert. Das hatte gestört. Jetzt rief ihre Freundin Carole an. Sie sei in Spanien und wolle sie besuchen kommen. „Oh, Carole, von Barcelona aus ist das ja eine Weltreise. Wenn du trotzdem kommen möch­test, was mich natürlich außerordentlich freuen würde, musst du unbedingt fliegen.“ meinte Isabella am Telefon. Egal, Carole woll­te es machen. Carole konnte auch nicht verstehen, was Isabella an diesem trostlosen Nest so faszi­nierte. „Auch wenn du in der hässlichsten Stadt auf­wächst, wird sie zu deiner Heimat, die du liebst. Ich bin hier schon als Baby gewesen. Nichts ist mir fremd. Hier gehört mir al­les, alles gehört zu mir. Es ist wie eine zweite Hei­mat, in der ich nicht nur die Gebäude sehe, sondern die Menschen kenne. Das ist es, was mich fas­ziniert.“ reagierte Isabella. Carole berichtete, dass sie sich von ih­rem Freund, den sie erst zu Semesterbeginn kennengelernt habe, wieder ge­trennt hätte. Frustrierend sei es natürlich schon, aber nein, schmerzlich seien nur die ganzen sinnlosen Que­relen gewesen, und dass sie sich so in ihm geirrt habe. Isabella erzählte auch, dass sie sich von ih­rem Freund, den sie zu Se­mesterbeginn kennenge­lernt habe, wieder getrennt hätte. „Von Benni?“ frag­te Carole, „Aber mit dem warst du doch auf der Schule schon zusammen.“ Dann erzählte Isabella von Pascal. Zum ersten mal. Sie hatte auch ihren Freundinnen in den E-Mails nichts davon geschrieben. Wie sollte sie ihnen von etwas schrei­ben, das für sie selbst gar nicht existierte und ihre verworrene Gefühlslage war für sie auch zu persönlich. „Oh, Isabella, das ist ja ein absolutes Liebes­drama. Richtig einschätzen kann ich das wahrschein­lich nicht, weil ich mit so einer Lie­be noch nicht konfrontiert worden bin. Aber meinst du denn, das ginge einfach so wie­der weg, und du könntest es als schö­ne Erinnerung ablegen? Das glaube ich eher nicht. Ich könnte mir gut vorstel­len, dass es dich nicht loslas­sen wird. So macht die große Liebe das im Allge­meinen.“ war Caroles Ansicht. „Ja, Car­role, das glaube ich auch eher. Es ist ja jetzt schon so. Obwohl wir Schluss ge­macht haben, alles zu Ende und vorbei sein soll, muss ich ständig daran den­ken. An Pascal, an Benni nie.“ Isabella dazu. „Wenn dein Begehren und dei­ne Sehn­sucht an Pascal hängen, wie willst du das denn ändern? Etwa indem du es dir selbst verbietest? Das wird nichts nutzen. Du richtest höchstens Schaden an deiner eigenen Psyche damit an.“ schätzte Carole es ein. „Du warst noch nie so richtig massiv verliebt?“ fragte Isabella. „Doch in meinen Opa.“ meinte Carole, und beide lachten. „Ja, wirk­lich, wir fuhren ihn immer Sonntags besu­chen, und wenn das mal aus welchen Gründen auch immer nicht ging, bekam ich Tobsuchtsanfälle und war nur durch das Versprechen zu beruhigen, dass ei­ner von meinen El­tern an einem anderen Tag mit mir zu ihm fahren würde.“ berichtete Carole und fuhr fort: „Das muss schon etwas Sonderbares sein mit der Liebe, dass sie dich als kleines Kind schon so erfassen kann, dass du ihret­wegen durchdrehst. Wir kennen alle ir­gendwelche Liebesmelodramen, aber welche Bedeutung sie im Alltag für jeden Menschen hat, berücksichtigen wir überhaupt nicht. Ich hatte ja deine Telefon­nummer und wusste nur, dass du immer in Spanien warst. Dann meinte ich die zwei Flüge seien doch ein biss­chen viel Geld, bis ich wach wurde und mich ge­fragt habe, wie viel Geld unsere Freundschaft denn wohl wert sei. Dir blase ich wahrscheinlich die Ohren voll, Isabella, wenn ich dir sage, dass es nichts Wert­volleres gibt als Liebe und Zu­neigung zu erfahren und geben zu können. Wenn ich mich mal intensiv in einen Mann verlieben sollte, wird das bestimmt ein älte­rer sein müssen. Ich glaube, ich nehme die Jungs in meinem Alter gar nicht richtig für voll. Sie wir­ken auf mich oft psychisch so unreif. Ich habe die Gelassenheit und Weisheit des Alters zu er­kennen und schätzen ge­lernt. Wahrscheinlich hat mein Opa mich erkennen las­sen, welche Männer die richtigen für mich sein sollten.“ schloss Carole lachend. Beim Erzählen war Isabella alles noch einmal bewusst gewor­den. Sie sah es ja jetzt aus der nach­träglichen Perspekti­ve, und jedes Kaffee­gespräch hatte dabei einen goldi­gen Glanz bekommen. Al­les war viel schöner und wert­voller als sie es damals live empfunden hatte. Als ob sie es jetzt erst richtig be­werten und in seinen Feinheiten voll erkennen könne, mein­te sie. Am liebsten würde sie jetzt alles noch einmal neu erleben. Das Ge­spräch mit Carole hatte al­lem in ihrer Erinnerung einen noch wesentlich ge­wichtigeren und hö­heren Stellenwert zugewiesen. Isabella wollte auch unbe­dingt mit ihren El­tern darüber reden.


„Mami, ich muss immer an Pascal denken, und ich ich weiß nicht, was ich da­gegen machen soll?“ begann Isabella und ihre Mutter lachte, aber sie wollte es natürlich erläu­tert haben. „Oh, Thomas, wie schön, nicht war?“ kommentierte sie öfter an ih­ren Mann gerichtet anrührende Passagen aus dem, was Isabella erzählte. Sie befand sich ja nicht in Isabellas damaliger Position, sondern sah jetzt die süßen Auswüchse der vor sich selbst verheimlichten Verliebtheit. „Mei­ne arme Maus,“ das brachte sie immer noch, wenn sie besonders liebevoll zu Isabella sein wollte, „Ich kann dir dazu gar nichts raten. Alles was du tust, musst du völlig aus dir selber tun, sonst wird es sowieso nur Mist. Aber du hast ja etwas getan, ob das nicht auch vielleicht schon Mist war, wage ich nicht zu beurteilen. Wie willst du denn von Benni jemals so schwärmen, wie du es von Pascal getan hast. Mir kam es vor, als ob du Pascal so empfindest, dass er ex­akt dein Leben trifft, wie ein Puzz­leteil, das genau und nur zu dir passt. Benni ist sicher sehr nett und du emp­findest viel Zuneigung für ihn, aber in der Hin­sicht bleibt er außen vor, wird immer in gewisser weise fremder sein. Seinem Herzen fol­gen? Sicher schlägt dein Herz auch für Benni, nur Pascal scheint es voll er­fasst zu haben.“ Hatte sie alles falsch ge­macht? Hätte sie vorher ihre Mutter fragen sollen? Das tat sie ja sonst auch. Nur Pascal hatte sie wohl als ihre per­sönlich intimste Pri­vatangelegenheit be­trachtet. Jetzt konnte sie dar­über re­den, aber sie hatte es auch so empfunden, dass ihre Beziehung zu Pas­cal et­was in ihr getroffen hatte, was sie nicht genau erklären konnte, aber als sehr tief und intim empfand, und worüber sie nicht gerne sprach. Und damals zu erzählen, wie sie sich einbilde­te, von Pascal gestreichelt zu werden, wäre ihr sehr pein­lich gewe­sen. Carole und ihre Eltern hatten Isabella in ihren Empfin­dungen be­stärkt, nur wie sie da­mit umgehen sollte, wusste sie deshalb nicht. Faktisch hatte sie sich mit der Trennung von Pascal entschie­den aber emotional war alles noch völlig offen, und an der Richtigkeit ih­rer Entscheidung waren ihre Zweifel. Noch weiter verstärkt worden Sie wollte sich aber jetzt keine wei­teren Ge­danken darüber machen und sich ständig damit quälen. Wenn ihr da­nach war, träumte sie eben von Pascal, und sonst gab es das Dor­fleben sowie Exkursio­nen mit ihren Eltern.


Aktives Leben führen


Im Café war es trotz der Sommermonate häufig recht voll. Dann war Pascal stark beschäftigt. Zu Träumen, auch von Isabella, war da keine Zeit. Aber ver­gessen, das ging nicht. Sie war immer präsent. Jetzt begann Pascal auch, sich vorzustellen, wie er Isabellas Haut streichelte. Er legte Mahlers fünfte auf und träumte sich Isabella zu dem Adagietto für den Austausch sanfter, liebevoller Zärt­lichkeiten ins Bett. Außer bei der Abschiedsumarmung hatte er ja noch nie etwas von ihrem Körper gespürt oder gesehen. Isabellas Po gefiel Pascal aller­dings schon, auch mit Hose. Darüber hatten sie schon ziemlich zu Beginn ihrer Bekanntschaft gescherzt, und Isabella versuchte ihn öfter damit zu necken. Er versuchte sich vorzustellen, wie Isabellas Haut sich wohl anfühle, was er dabei wohl empfinde, aber in Wirklichkeit würde es bestimmt ganz anders sein, eine neue Empfindung. Seine Vorstellungen konnte er ja nur aus seinem bestehen­den Fundus zusammen fügen. Isabella einmal spüren dürfen, davon träumte Pascal. Er hielt es für falsch, was er machte. Er ließ sich gehen und gab sich Träumen hin, die keine Erfüllung fin­den würden. Die Arbeit im Café hielt in da­von ab. Er sollte nicht versuchen, seine Träume zu unterdrücken, sondern ein aktives, volles Leben führen, in dem kein Platz für Träume war. Er wollte mehr arbeiten und auch seine Beziehung zu Anett bedurfte unbedingt ei­ner Rekulti­vierung. Er wollte wieder so wie zu Beginn ihrer Liebe für sie empfinden. Das war Pascals Plan, nur in der Praxis entwickelte es sich nicht so. Es war kein Plan, es war Pascals Wunsch. Auch ein Traum. Bei der Arbeit störte Isabel­la ständig und auch bei anderen Aktivitäten war der Gedanke an sie stets zuge­gen. Nichts funktionierte. Pascal war häufiger mürrisch und empfand eine inne­re Leere, als ob ihm etwas Unbestimmtes fehlen würde. Seine Beziehung zu Anett intensi­vieren? Wie denn? Er hätte glücklich sein und Lust auf sie haben müssen. Lust­empfindungen und Glücksgefühle konnten bei Pascal jedoch zur Zeit nur Träu­me von Isabella ent­wickeln. Anett sah er dagegen eher häufiger aus kritischem Blickwinkel.


Hallo Pascal, hallo Isabella


Bei Semesterbeginn war Pascal erstaunt, dass Isabella in keinem Seminar und in keiner Übung war, die er auch besuchte. Sie musste die Listen überprüft ha­ben und tatsächlich bei einer Übung zu der er sich relativ spät gemeldet hatte, war ihr Name, der da schon gestanden hatte, wieder durchgestrichen. Für ein Semester konnte das sicher funktionieren, aber für's ganze Studium wäre das schon ein Kunststück. Bei Vorlesungen ließ es sich ja überhaupt nicht durch­führen, und so sahen sie sich auch öfter. Hallo Pascal, hallo Isabella, begrüßten sie sich, als ob sie sich schon mal irgendwo begegnet wären. Bis Isabella Pas­cal ir­gendwann anhielt. „Pascal, wenn wir vielleicht auch etwas falsch ge­macht ha­ben, nur jetzt spielen wir die absolut bescheuerten Kinder. Wir haben uns getrennt und wollen unsere Beziehung nicht weiter entwickeln, o. k., aber weg ist mein Empfinden, meine Zuneigung, meine Liebe für dich doch deshalb nicht, und ich kann mir kaum vorstellen, dass du es verges­sen haben solltest. Lass uns doch nicht so einen lächerlichen Zirkus veranstalten und tun, als ob es das alles nicht gäbe. Umarmen und küssen wir uns. Was denn sonst?“ schlug Isabella vor und Pascal war glücklich. So hielten sie es jetzt immer, wenn sie sich trafen.


Florians Schlafzimmer


Pascal hatte Florian, einem Freund, von seiner Liebe und der schwierigen Lage, in der er sich sah, erzählt. „Es geht einfach nicht. Vorher war alles goldig, und jetzt ist es nicht wie früher, sondern alles ist grau. Ich leide unter Liebesent­zugserscheinungen, obwohl sie mich ja immer noch genauso liebt. Wie die bei­den Kö­nigskinder, nur das tiefe Wasser haben wir uns selbst gegraben.“ „Ihr seid total verrückt nacheinander, habt aber per Beschluss alles beendet und von heute auf morgen nichts mehr miteinander zu tun?“ erkundigte sich Flori­an, der es gar nicht fassen konnte, erstaunt. „Es gibt also nichts mehr, und miteinander ins Bett geht ihr dann na­türlich auch nicht mehr?“ Pas­cal lachte auf „Nicht mehr ist gut. Wir waren noch nie zusammen im Bett. Alles nur plato­nisch außer einigen Küssen und Umar­mungen. Isabella hat mir schon im letz­ten Se­mester gesagt, dass sie davon träumt und bei mir ist es nicht an­ders.“ erklärte Pascal. „Und warum tut ihrs dann nicht?“ wollte Florian wissen. „Wo denn, wie denn? Oder soll ich Anett am Wochenende zu ihrer Mama schi­cken, und wäh­renddessen mit Isabella das Bett benutzen? Und wenn Anett zurück­kommt, merkt sie, dass ihr Platz noch warm ist. Ich weiß nicht, so etwas möchte ich und kann ich nicht. Und zum Ficken ins Hotel gehen, mag ich erst recht nicht.“ erklärte Pascal. Florian überlegte und erklärte dann: „Also meinet­wegen könntet ihr euch gern bei mir treffen und mein Schlafzimmer benutzen, das gebrauche ich ja nur nachts. Und wenn ich weiß, dass ihr euch heute schon darin geliebt habt, schlafe ich bestimmt dop­pelt so gut und werde nur die sü­ßesten Träume ha­ben“ Sie lach­ten, aber es war ein überraschender Ge­danke. Vielleicht keine schlechte Idee, nur Isabella würde es jetzt auf keinen Fall mehr wollen. Aller­dings wenn ihre Träume noch wie früher existierten, gehörte das ja auch dazu. Nur wie sollte er es Isabella jetzt vermitteln, wenn sie schon den gemeinsamen Kontakt in Se­minaren mied. Sie wollten es nicht weiter betrei­ben, und Isabella hatte sich für ih­ren Freund Benni entschieden. Das würde sie doch nicht für einen Nachmit­tag aus­blenden können und wollen. Die Initiative zur Trennung war doch von ihr aus­gegangen, sie hatte es doch für unvermeid­lich gehalten.


Für Isabella schien auch nicht alles einfach so glatt zu laufen wie früher. Häufig missfiel ihr irgendetwas. Unbedeutende Kleinigkeiten meistens, das sah sie aber nicht so, sondern ärgerte sich darüber. Über die dümmsten Lappalien konnte sie sich aufregen. Ein Topf stand nicht an dem Platz im Schrank, an dem er sonst gewöhnlich stand. Das störte Isabella. Vor allem stand er nicht einfach an einem falschen Ort, es war ja Benni, der ihn dort hin­gestellt hatte. Benni konnte so vieles falsch machen. Knatschige und zickige Züge zeigte sie manchmal, was weder sie selbst noch andere von ihr kannten. Isabella erweck­te in der Regel keines­falls den Eindruck, zufrieden zu sein. Des­halb schliefen sie und Benni auch nur noch selten miteinander. Anstatt Lust auf Benni zu ha­ben, träumte sie lieber vom „Richtigen Leben“. Wie oft hatten Pas­cal und sie darüber geredet. Mit Tho­reaus 'Walden' hatte es begon­nen, später hatten sie lang und intensiv über Agnes Hellers 'Theorie der Gefüh­le' diskutiert. All die Gespräche erinnerte sie gern und empfand sich dabei warm umhüllt. Dass sie sicher sein konnte, mit Pascal das 'Richtige Leben' zu finden, dessen konnte sie sich ja nicht absolut ge­wiss sein, aber darüber reden zu können und Lust daran zu haben, das war schon ein Schritt auf dem richtigen Wege. Den fand sie mit Pascal, nicht aber mit Benni. Ja natürlich liebte Isabella Benni, aber von der Liebe war vieles Er­innerung, das Wissen darüber, wie sie in der Vergangenheit empfunden hatte. Es war ihr wertvoll und bedeutsam, aber es war auch ganz anders, und vor allem ba­sierte es nicht auf ihrer aktuellen Ge­fühlslage. Die sah ihr Glück, obwohl sie es sich verboten hatte, stärker denn je in der Bezie­hung zu Pascal. Ein glückliches Leben führen, wie es früher war, bevor sie Pascal kennengelernt hatte? Das ließ Isabella nur schmunzeln. Sie wollte das auch keinesfalls. Auch wenn sie ihre Liebe nicht Leben konnten, würde ihre Begeg­nung mit Pascal im­mer ein aktueller, wertvoller Schatz für sie bleiben. Benni würde es nicht be­merkt haben, aber die Begegnung mit Pascal hatte ihr Leben verändert, hatte sie eine andere werden lassen. Eine andere, zu der auch die Möglichkeit der Kommunikation mit Pascal gehörte. Pascal war ein Teil der Welt ihrer veränder­ten Persönlich­keit.


Bei ihrer gegenseitigen Begrüßung wechselten sie auch immer ein paar Worte. Meist Scherzhaftes, oder leicht Provokantes man sah den anderen eben gerne lachen und glücklich. „Träumst du immer noch von mir?“ fragte Pascal unver­mittelt. Isabella stutzte. „Nein, du Nase­weis, natürlich nicht. Ich träume jetzt nur noch von Benni.“ ant­wortete Isabella. Kurz hielten sie inne, dann platzten beide los. „Du kannst aber auch dämliche Fragen stellen. Was denn sonst, und ich erwarte schärfs­tens, dass es bei dir kein bisschen anders ist.“ meinte Isa­bella. „Du hast da­mals auch ge­sagt, du seist verrückt nach mir und würdest gern mit mir ins Bett ge­hen. Ist das auch immer noch so für dich?“ fragte Pas­cal. Was hatte das denn jetzt zu bedeuten? Isabella schaute ihn skeptisch grin­send an. Worauf würde das hinauslaufen. Ein dringendes Bedürfnis ver­spürte sie zwar im Mo­ment nur selten. Sie hatte es aus dem Katalog des möglicher­weise Realisierba­ren gestri­chen und dachte nicht mehr so häufig daran wie da­mals, aber grund­sätzlich gehörte es schon noch zu ihren Träumen. „Aber wir haben doch Schluss ge­macht.“ erklärte Isabella eher halbherzig als energisch. „Aber Isa­bella, warum müssen wir uns denn immer nur quälen. Alles Schöne versagen wir uns. Wenn unsere Liebe noch da ist, hat sie ein Recht darauf, auch einmal Glückliches zu erfahren. Ha­ben wir uns nicht schon mehr als ge­nug an Freude und Glück verboten?“ fragte Pascal. „Pascal, du Schlingel, wir haben uns ge­trennt, aber sollen unsere Liebe weiter fördern? Ach, Pascal, was hast du vor?“ wollte Isa­bella wissen, und Pascal be­richtete davon, dass sie bei seinem Freund das Schlafzimmer benutzen könn­ten. Das war jetzt sehr überra­schend. Warum lehnte sie es nicht direkt strikt ab? Isabella schaute Pascal fra­gend an, als ob er ihr mit einem Blick ant­worten und sagen könne, was sie tun solle. Sie war sich sehr unschlüssig. Alles ging ihr wieder durch den Kopf. Wie verrückt hatte sie damals die Vorstel­lung gemacht, nur daran zu denken. Jetzt bestünde die Möglichkeit, es einmal zu erleben. Einmal? Dabei würde es blei­ben? Das konnte sie sich selber nicht glauben. Sie hatte sich dafür entschie­den, mit Ben­ni zu leben und würde mit Pascal ins Bett ge­hen? Das wäre ver­rückt. Aber Pas­cal stand ihr gegenüber. Sie sah ihn nicht nur, sie spürte ihn wieder, ihr Verlan­gen, ihn begehrte sie. Sie würde seine Haut berühren und überall küssen kön­nen und er würde sie zärt­lich nackt in seinen Armen halten. Sie träumte weiter und er­klärte sich mit Pascals Vor­schlag einverstanden.


Als sie bei Florian das Schlafzimmer betreten hatten, blieb Isabella stehen. „Pascal, ich kann das nicht. Nein ich kann nicht.“ erklärte sie erregt mit halb weinerli­cher Stimme. „Es tut mir leid, lass uns gehen. Lass uns sofort wieder gehen.“ Draußen meinte sie: „Es tut mir schrecklich leid, Pascal. Ich weiß auch nicht genau woran es liegt, aber ich bin bestimmt zu empfindlich. Ich bin eben nicht so eine rattige Elster, die unbedingt ficken will und sonst nichts wahr­nimmt.“ beide grinsten, und Isabella fuhr fort, „Ich weiß nicht, was mich direkt gestört haben könnte. Das Zimmer war ja ganz o. k.. Vielleicht ist es ja die Si­tuation insgesamt, und es kommt mir vor, dass so etwas nicht zu unserer Liebe passt. Ich möchte immer noch gern mit dir ins Bett, da hat sich nichts geän­dert, aber in Liebe und nicht anderswo hingehen, an einen fremden Ort, um Sex haben zu kön­nen. Bestimmt muss die Um­gebung dazu vertrauter sein, vielleicht geht es ja nur bei mir im Bett.“ meinte Isabella und lachte wieder. „Den Benni schmeiß ich so­wieso bald raus. Der geht mir ständig auf den Geist.“ erklärte sie über­mütig und lachte erneut.


Schönes Wochenende


„Ach, Mami, es ist schlimmer als je zuvor.“ erklärte Isabella auf die Frage ihrer Mutter, wie es sich mit Pascal entwickelt habe. „Damals haben wir nur davon geträumt, und jetzt nach dem Ende unserer Beziehung versuchen wir es zu realisieren.“ meinte Isabella und erzählte von ihrem gescheiterten Versuch. „Kinder seid ihr schon ein bisschen, oder“ sah es Isabellas Mutter und fügte dem hinzu, „aber traurig süß ist es auch“. Isabella berichtete von ihren Proble­men mit Benni und dass sie von einem anderen Leben mit Pascal träume. Sie hätten so viel dar­über geredet. Wie bei uns im Alltag sich eine Entfremdung der Gefühle vollzö­ge, und dass eine gefühlsreiche Persönlichkeit als Leitvorstel­lung dienen müs­se. „Und was tue ich? Ich träume davon und will mir meine stärksten Gefühle verbieten. Es ist alles pervers, Mami. Mein Leben basiert in zentralen Bereichen auf Wi­dersprüchen. Ich will das nicht mehr so weiter lau­fen lassen. Das muss sich ändern, nur im Moment traue ich mich noch nicht.“ versicherte Isabella. „Hast du schon mal daran gedacht, dass ihr beide euch hier ein schönes Wo­chenende machen könntet?“ fragte Isabellas Mutter. Isa­bella lachte. Sie wusste nicht genau warum, ob ihr die simple, ausgezeichnete Idee gefiel, auf die sie selbst noch nicht gekommen war, ob sie sich freute, dass ihre Mutter sie dazu einlud, wie auch immer. „Im Kinderbett?“ fragte sie provokativ lachend. „Aber Maus, das können wir doch von heute auf Morgen ändern. Wenn ich morgens zu Roggenkamp gehe, habe ich nachmit­tags das Bett hier stehen.“ meinte ihre Mutter. Was sie sich wohl vorstellte, wel­che As­soziationen ihr wohl kamen, je­denfalls hatte Isabella eine freudige Span­nung, die sie erst­mal durch Umarmen und intensives Drücken ihrer Mutter ent­laden musste.


Sie berichtete Pascal davon, dass ihre Mutter sie und auch ihn für ein gemein­sames Wochenende eingeladen habe. Aber der schien sich zu zieren. Es war ihm unangenehm, Isabellas Eltern zu besuchen, um mit ihrer Tochter ins Bett gehen zu können. „Pas­cal!“ drohte Isabella, „Ich hau dich. Bei dir würde ich ja die dümmsten Gedanken dulden, aber das geht zu weit. Was kann uns denn Besseres passieren. Du wirst glücklich sein, mit allem und vielleicht auch mit mir.“ Pascal lachte. „Das ist mein Geliebter.“ stellte Isabella Pascal ihren Eltern am Freitagnachmittag vor. „Und das ist meine Geliebte.“ regierte Pascale scherzhaft. „Sollen wir erst mal Kaffee trinken, oder habt ihr etwas anderes vor?“ fragte Frau Falkenberg. „Ich muss zuerst das Bett sehen und dann Kaf­fee, ja?“ schaute sie nach Bestä­tigung zu Pascal. „Ach du liebe Zeit.“ staunte Isabella, als sie das Bett sah. „Hat Mami extra für uns gekauft.“ erklärte sie . „Was das wohl gekostet hat und dann alles noch Satinbezüge, die spinnt, aber schön ist es ja schon, nicht wahr?“ „Wenn ich als Übersetzer so viel verdiene, dass ich mir solche Möbel leisten kann, dann habe ich es endgültig geschafft.“ meinte Pascal und lachte. Die Gespräche am Kaffeetisch waren ziemlich launig, und hier konnten Pascal und Isabella auch kindisch die Verliebten spielen, da waren sie bislang noch nie drauf ge­kommen. Sie fütterten sich mit Kuchen, schmierten dem anderen Sahne auf die Nasenspitze und dergleichen mehr. „Ihr habt wahr­scheinlich viel nachzuho­len.“ meinte Frau Falkenberg scherzend. „Un­bedingt,“ bestätigte sie Pascal, „wir haben ja bislang nichts anderes gemacht als mitein­ander zu reden und uns anzuglotzen. Aber da kann man auch viel er­leben. Warum haben sie ihre Tochter eigentlich nicht zur Schauspielschule ge­schickt?“ fiel Pascal plötzlich ein. „Hätten wir sollen?“ fragte Frau Falkenberg launig. „Ja, natürlich, haben sie denn ihr ausgeprägtes Talent nicht erkannt? Sie wäre be­stimmt eine große Tragö­din geworden.“ vermutete Pascal. Er er­zählte, wie sie sich kennengelernt hat­ten, und Pascal kam ins Schwärmen. „Ich könnte ihnen sagen, was für eine herrliche Frau ihre Tochter ist, und was ich alles an ihr be­wundere, was ich liebe und was mich fasziniert, nur das macht es im Kern gar nicht aus, das ist nicht das Wesentliche. Das Endscheidende ist, was sie mir gibt, was sie mir schenkt. Es ist diese abso­lute Nähe, die sie mir vermittelt und mich spüren lässt. Es ist nicht einfach so, dass sie da ist, mich wahrnimmt, mich sieht oder hört, ich empfinde, dass sie mich tiefstens ver­steht und mir bedin­gungslose Anerkennung schenkt, dass sie mit mir lebt, wenn wir zusammen sind. Und das ist das Wunderbarste Empfin­den des Ande­ren, das es für einen Menschen geben kann.“ sagte Pascal zu ih­rer Beziehung, und Isabella küsste ihn dafür. Ansonsten war es für einen Mo­ment fast andäch­tig still ge­worden. „Pascal, das hört sich sehr gut an. Empfin­dest du auch so für dich, meine Lie­be?“ fragte Frau Falkenberg Isabella. „Ich empfinde noch viel eher und viel stärker, weil ich nämlich die ge­fühlsreichere Persönlichkeit habe.“ meinte Isa­bella dazu und brachte so alle wieder zum Schmunzeln. „Und, was haltet ihr von meinem Liebhaber?“ fragte Isabella un­vermittelt ihre Eltern am Kaffee­tisch. Jetzt lachten alle, und ihre Mutter erklär­te: „Meinst du, dass man so et­was so schnell beurteilen kann und dass man das sollte? Wir kennen Pas­cal ja kaum.“ „Ich hab' das fast beim ers­ten Blick er­kannt, Mami. Du müsstest viel­leicht mal genauer hinschau­en. Das kann sehr spannend sein. Er wird dir viel mehr über sich erzählen, als was er bisher ge­sagt hat.“ meinte Isabella. „Du hast schon Recht, meine Liebe, man macht sich immer direkt ein Bild, das nachträglich kaum wieder zu ändern ist. Warum du ihn so siehst, das weißt du gar nicht. Trotzdem ist das Bild fast direkt beim An­blick da, und du teilst die Leute sofort nach mehr oder weniger sympathisch beziehungsweise unsympa­thisch ein. Und du bist ganz weit auf der sympathi­schen Seite bei mir gelandet, Pascal.“ sagte Frau Falkenberg und strich Pas­cal lächelnd über den Arm. Zu Hause schi­en Isabella sich zu verändern. Einer­seits gefiel es ihr, die lusti­ge, ke­cke Kleine zu spielen und andererseits mar­kierte sie eher die dominante Chefin, wenn sie Pascal alles im Haus und im Garten zeigte. „Im Grunde habe ich das noch nicht verwunden, Pascal, dass ich hier ausziehen musste. Es kommt mir vor, als ob hier immer die Sonne ge­schienen hätte. Durch dich hat sich da etwas verän­dert. Du hast einen ande­rern Hori­zont eröffnet, an dem auch immer die Sonne scheinen könnte. Ich glaube, da ist viel dran, dass mich meine Liebe zu dir ein neues Zuhause emp­finden lässt. Kannst du das irgend­wie verstehen?“ fragte Isabella. „Ich glaube schon. Wenn du von Heimat oder Zuhause sprichst, meinst du ja meistens einen Ort in all seinen Erscheinungs­formen und Bedin­gungen mit denen du vertraut bist, die du magst und die zu dir gehören. Ich denke, so etwas kann es ja für deine vielschichtige Psyche, deine Seele auch geben. Dazu musst du nicht mit dem anderen aufgewachsen sein und dich langsam an alles gewöhnt haben, son­dern du erkennst sehr bald, dass er es ist, der genau zu dir passt, zu dir ge­hört, der deiner Seele einen Ort bietet, den du als dein Zuhause emp­finden kannst. Ja, ich denke schon, dass ich so empfinde, dass ich mich mit dir zu Hause fühle.“ meinte Pascal dazu. Nach dem Abendbrot saßen sie noch kurz bei einem Glas Wein zusammen im Wohn­zimmer, bis Isabella Pascal plötzlich mit der Aufforderung: „Komm, ich will dich.“ an die Hand nahm und ihn in ihr Zimmer zog.


Zwei neue Sterne


Nur von Isabellas heißem Verlangen war nicht viel zu spüren, als sie ausgezo­gen voreinander im Schneidersitz auf dem Bett saßen. Zwei Engelchen nicht unähnlich, sie streichelten sich mal, beugten sich vor, um sich zu küssen, aber sonst redeten und lachten sie nur. Ihre Stimmen hatten dabei schon einen Zärtlichkeitssound, und was sie sich sagten, kam einem flirtenden Liebesge­zwitscher am nächsten, aber sie saßen nur da und freuten sich darüber, so nah mit ihren nackten Körpern beieinander zu sein und sich gegenseitig betrachten zu können. Sie sahen eben nicht eine nackte Frau oder einen nackten Mann, sondern den Körper, den sie begehrten, nach dem sie sich so lange gesehnt hatten. Das allein schien ih­nen sehr gut zu gefallen und zu reichen und stimm­te sie freudig erregt. Warum sollten sie es nicht fortführen, und sie hät­ten es bestimmt die ganze Nacht getan, wenn Pascal nicht plötzlich ein­gefallen wäre, dass Isabella doch auch davon geträumt hatte, von ihm gestrei­chelt zu wer­den. Mit breit grinsender Schnute kam Isabella auf Pascal zu. Sie umarm­ten sich, ließen sich aufs Bett fallen und lösten sich gar nicht wieder aus ihrer streichelnden Umarmung. So hatte immer ihre Vorstellung ausgesehen, davon hatte sie geträumt, nackt mit Pascal im Bett liegen, dass seine Haut an ihrer lag und sie in seinen Armen gehalten wurde. Ihre zärtlich glänzenden Augen blickten Pascal an, wenn sie sie nicht gerade vor Wonne geschlossen hatte. „Pascal, so wollen wir uns immer halten, nicht wahr? Zu unserer Grundhaltung erklären wir das, und immer, wenn wir uns umarmen, stellen wir uns vor, dass wir dabei nackt im Bett lägen, so wie jetzt.“ schlug Isabella vor. Pascal lachte, Isabella ebenso. „Ja, Pascal, das habe ich mir gewünscht, davon habe ich ge­träumt, habe mir vorzustellen versucht, was ich empfinden würde. Es machte mich selig, aber es war auch aufregend und verlangend. Danach war ich ver­rückt und konnte immer daran denken. Unsere Liebe war das, wie sie nicht nur unser Empfinden erfasst hatte, sondern auch das Verlangen meines Körpers. Bestimmt war es immer schon da. Du warst nie wie eine liebe Freundin, aber gewusst habe ich es erst spät. Jetzt ist es eine Leidenschaft, und ich weiß nicht, ob sie nicht stärker ist als ich selber. Es hat mich absolut fundamental erfasst, in Bereichen von denen ich nicht wusste, dass ich darüber verfügte. Vielleicht sind sie neu, mit dir neu ent­standen. Ich bin schon eine andere ge­worden, mein Empfinden, die Wahrneh­mung meiner Empfindungen hat sich verändert, als ob ich tiefer oder reifer empfin­den würde. Pascal, noch nie hat mich etwas innerlich so bewegt und er­griffen wie unsere Liebe. Und das bist du.“ sprach Isabella sanft. „Komm, mein Liebs­ter, streichle mich, ganz sanft.“ meinte sie, womit sie sich auf den Bauch legte. Pas­cal ließ seine Fingerspitzen zart über Isabellas Rücken, ihre Beine ih­ren Po gleiten und bedeckte sie mit Küssen. „Pascal, ganz, ganz vorsichtig. Ich bin so empfindlich heute.“ stoppte ihn Isabella lachend. „Ich glaube, es wäre besser, wenn du mich zuerst mal vor­ne streicheln würdest.“ Aber Pascals Be­rührungen schienen sie so gut wie über­all zu erregen. Sie meinte, seine Finger bis in die Zehen zu spüren „Ach, Pascal, es hat keinen Zweck. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ob ich heute so sensibel, empfindlich oder high bin, deine Finger, mein Liebster, erregen mich überall, wo ich sie auch spüre. Ich kann es nicht einfach als zärt­liches Streicheln genießen. An deinen Fingern wird es lie­gen. Sie sind be­stimmt mit kosmischen Energien geladen und jede Berührung durchdringt mei­nen ganzen Körper. Ich hatte es mir doch so schön schmuselig gewünscht, aber das scheint heute nicht zu funktionieren. Komm, wir umar­men uns liebevoll, und dann las­sen wir es ein­fach laufen, schauen, wie es sich entwickelt, oder möch­test du etwas Bestimm­tes?“ be­klagte sich Isabel­la. „Wir haben doch Zeit, Isa­bella. Wir können doch tun und lassen was wir wollen, was uns gerade einfällt, und wo wir im Moment Lust zu haben. Wir müssen doch nichts. Wir müssen auch nicht mitein­ander schlafen. Vorstellungen, dass und wie sich Sex jetzt zwischen uns abspielen müsste, interessieren mich nicht. Unsere Liebe möchte ich erleben. Ich empfin­de mich auch von ihr so stark er­fasst, wie sonst noch nie etwas in meinem Le­ben. Für mich ist es einfach schon wunderschön, dir ganz nahe zu sein, hier bei dir zu liegen, dich zu betrachten und deine Haut zu spüren. So habe ich auch von dir geträumt, es war mein un­erfüllbarer Wunschtraum. Dass es jetzt so ist, kann ich kaum fassen, es macht mich sehr glück­lich“ erklärte Pascal. „Du bist lieb, ganz, ganz lieb Pascal. Ich wünsche mir schon viel Zärt­lichkeit, das ist sanft und gefällt mir gut, und dass du glücklich bist ebenso, aber auch Frauen wol­len mehr als Zärtlichkeiten und Liebkosungen, Pascal.“ Isabella lächelte schel­misch und fuhr fort, „Du weckst sie in mir, diese weiter­gehenden Bedürfnisse, das gefällt mir nicht nur gut. Du hast es immer schon getan, und hast mich da­mit verrückt gemacht. Ich möch­te schon, dass wir uns lieben, und ich kann mir bei dem, wie ich dich spüre, kaum vorstellen, dass es bei dir nicht so sein soll­te. Alles Weibliche in mir will dich, dich körperlich voll erleben als Frau und nicht nur eine Nacht der Zärtlich­keiten mit dir verbringen. Bloß ich komme mir heute viel zu leicht und zu schnell erregbar vor. Ich würde es gern länger, ganz lange genie­ßen. Verstehst du? Ich möchte unsere Liebe auch körperlich endlos spüren können.“ erläuter­te Isa­bella und lächelte schel­misch. „Sag mal, Pascal, findest du mich eigent­lich schön und begehrenswert?“ fragte Isabella plötzlich und Pascal bog sich vor Lachen. „Ja, das stimmt, Isa­bella, man müsste sich das ei­gentlich auch sa­gen, nur jetzt? Und wie sollte ich es denn formulieren: „Du bist so schön Isa­bella, ich be­gehre dich.“?“ überlegte Pascal. Dafür bekam er einen Boxhieb. „Ein unstill­bares Verlangen nach der Schönheit deines Kör­pers durchwogt all mein Begeh­ren.“ wäre das poetischer?“ erkundig­te er sich bei Isabella. „Pascal, du bist böse und machst dich über mich lustig.“ meinte Isabella mit nicht erns­ter Schmollmimik. „Meine Liebste, du weißt doch, dass ich dich für die Frau mit dem schönste Po der Welt halte, die Isabella kallipy­gos, und dein Gesicht ist meine Sonne, sie bringt alles zum Strahlen und durchwärmt mein Herz. Kannst du mein Begehren auch ein­fach so spüren, ohne dass ich öfter mal Brunft­schreie ausstoße?“ reagierte Pas­cal. „Ja, für Frauen, die meis­ten wenigstens, ist es schon bedeutsam, be­gehrt zu werden, während Männer mit der Einstel­lung ge­boren werden, das es bei ih­nen per se der Fall sein muss.“ erklärte Isa­bella. „Natürlich, sie schmücken sich ja auch mit modi­scher Klei­dung und an­deren Accessoires, weil beim Menschen die Weibchen die akti­ve Rolle im Balz­verhalten haben.“ erläu­terte Pascal. „Aha, und wie war die Balz deines Weib­chens? War sie bei dir erfolgreich, ja?“ fragte Isabella und fügte dem hin­zu: „Dann darfst du aber jetzt auch nicht nur träu­men und schmusen wol­len, mein Liebs­ter, dafür habe ich doch den ganzen Auf­wand der Balz nicht betrieben.“ „Langsam, ganz lang­sam, Pascal.“ mahn­te Isa­bella zwischen­durch, „Ich will es ganz genau spüren, alles langsam fühlen. Es ist doch unser ers­tes mal. Da darf ich doch nichts vergessen. Das muss ich al­les gut er­innern kön­nen. Und so wild? So bist du eben, mein Süßer, nicht wahr?“ und Isabella platzte los. „Isa­bella,“ lachte Pas­cal, „muss das immer sein mit dem Blödsinn.“ Da­von hatte Isabella nicht im Detail geträumt. Wie hätte sie denn auch? Sie ken­ne ja nur ihren Flachlandsex, wie sie meinte. Damit hat­te alles was zwi­schen ihr und Pascal heut Abend geschah nichts zu tun. Es musste ja auch an­ders sein. Pas­cal war ja nicht einfach anderer Mann. In einer völlig anderen Szenerie spielte es sich ab. Es kam ihr vor, als ob sie etwas gänzlich Neues erlebe. Ob das wohl jedes mal un­terschiedlich werden wür­de? Phy­siologisch war es ja im Prinzip immer das glei­che, aber würde sie es immer wieder neu empfinden können, so wie es ihr heute auch als völlig neue Erfah­rung vorkam? So oder ähnlich und nur so woll­te sie es jetzt immer erle­ben, als intensive körperliche Erfahrung ih­rer Liebe. „Ich glaube, jetzt bin ich eine But­terblume. Meine Blüte strahlt goldi­ges Glück, und breit bin ich wie fast ge­schmolzene Butter.“ emp­fand sich Isa­bella nach­her. Komm auf mich oder ganz nah an mich, mein aller, aller, aller Liebs­ter. Nein, das ist blöd, nicht wahr. Mein Stern? Du Stern meines neuen Le­bens? Oder noch besser: Stern am Horizont der neuen Heimat meiner Seele. Wäre das gut?“ fragte Isabella. „Unseres neu­en Lebens oder un­serer neuen Heimat, aber da gehört mein Stern auch dazu.“ korrigierte sie Pas­cal. „Also, die beiden Ster­ne am Horizont der neuen Heimat unserer Seelen. Richtig so?“ fasste Isa­bella es zusammen und meinte: „Pascal, wir könnten uns be­stimmt ganz viel sagen, aber im Moment käme es mir vor, als ob jedes Wort alles nur zerreden würde, mein Glück nur stören. Lass uns schweigen. Im Übrigen wäre deiner Butter­blume jetzt sehr da­nach, unter unse­ren beiden neuen Sternen lie­gend ein we­nig schmusend zu träumen und dabei langsam in den Schlaf hin­über zu gleiten.“ Anstatt zu ant­worten, küsste Pascal sie, und sie sanken halb an und halb aufeinander lie­gend lang­sam in den Schlaf.


Pascal im Kopf


„Wehe“ drohte Isabella ihrer Mutter mit schwenkendem Zeigefinger am Mor­gen, als sie in die Küche kam, und die sie fragend anschaute. Sie hatte ver­standen, dass sie nicht fragen sollte, wie's war. „Ich glaube, ich bin für so et­was gar nicht geeignet.“ meinte Isabella „Ich bin sofort high. Wie ein Mimö­schen, die leichteste Berührung geht mir völlig durch“ „Ist das denn nicht schön? Geht dir das immer schon so?“ wollte ihre Mutter wissen. „Nein, nur heute Nacht. Stimmt, an Pascal wird es liegen. Es liegt gar nicht an mir. Aber etwas Beson­deres hat er doch gar nicht gemacht.“ staunte Isabella. „Es wird der Pascal in deinem Kopf gewesen sein, der dein Empfinden beeinflusst hat. Wie du etwas sexuell empfindest, entschei­det sich immer in deinem Kopf. Und wenn dein Kopf weiß, dass du zum ersten mal die Fingerspitzen deines Aller­liebsten spürst, dann wird er dich schon an­ders empfinden und vielleicht ein wenig ver­rückt spielen lassen. Der macht vie­les sowieso absolut selbständig, ohne sich deine Zustimmung einzu­holen oder dich überhaupt zu informieren.“ meinte Isabellas Mutter. Isabella sin­nierte. Das konnte sie gut nachvollziehen. Schon in der Vergangenheit hatte Pascal ja weitgehend eigenmächtig in ihrem Kopf agiert. Hatte er sie etwa ge­fragt, ob sie ständig an ihn denken wolle? Er hatte sich einfach ihres Kopfes be­mächtigt. Liebe muss ein Pirat sein, der in deinen Ge­dankengängen segelt und dein Wertvollstes kapern will. Dass aus Pascal über Nacht „mein Stern“ gewor­den war, konnte nieman­dem am Früh­stückstisch ver­borgen bleiben. Aber auch nach sonstigen Veränderungen durch die Nacht suchte Isabellas Mutter neugie­rig, doch sie musste sich eingestehen, das alles im Spekulativen blieb. Die neue Sprache, worüber die Blicke, die Isa­bella und Pascal wechselten, jetzt verfügte, blieb Frau Falkenberg natürlich verborgen. „Wir werden jetzt jeden Abend zum Schlafen herkom­men. Es hat uns in der letzten Nacht sehr gut gefallen in dem tollen, neuen Bett. Das kann man doch nicht einfach ungenutzt lassen. So­gar gut schlafen kann man darin.“ begründe­te Isabella es schmunzelnd und dankte ihren El­tern noch­mal.


Isabella fragte Pascal, ob er lieber spazieren gehen oder Frau Falkenberg in der Küche beim Essen kochen helfen wolle. Für Küche entschied man sich. Jeder wusste beim Kochen irgendwelche Tips, über die sich die anderen lustig mach­ten oder gab etwas Kurioses aus seinen Kocherfahrungen zum Besten. Pascal erzählte, dass seine Mutter beim Kochen immer sang, aber noch lieber hätte sie sich von seiner Schwester oder ihm dabei etwas vorlesen lassen. „Oh tem­pora, oh mores,“ eröffnete Frau Falkenberg ihr Wehklagen, „diese kaputten Menschen. Früher hat man überall bei der Arbeit gesungen. Nicht nur in der Küche, auch auf den Feldern haben die Frauen gesungen. Singen ist der seeli­sche Ausdruck eines kultivierten Menschen. Er bringt seine innere Harmonie zum Ausdruck und pflegt sie. Das wusste man schon vor mehreren tausend Jahren. Die Kultur im Alltag wird heute zunehmend ver­schrottet.“ „Ja, und vor­gelesen wird auch nur noch in Zigarrenfabriken.“ ver­stand es Isabella dem bei­zupflichten und gleichzeitig die Zwerchfelle anzure­gen. Man scherzte, lachte gemeinsam und übereinander. Das Kochen selbst wurde zweit­rangig. Im Vor­dergrund schien das grenzenlose Gaudium zu ste­hen. Frau Falkenberg mochte Pascal offensichtlich auch gut leiden. Ihn sprach sie immer an oder bezog ihn ein bei irgendwelchen Scherzen. Als er mal kurz raus war, meinte Isabellas Mut­ter: „Also, ich will mich ja kein biss­chen einmischen, aber deine Zweifel kann ich überhaupt nicht ver­stehen. Wenn du ihn nicht willst, nehme ich ihn.“ „Mami, lass es, dräng mich nicht. Es hat ja auch mit Pascal nichts zu tun.“ rea­gierte Isabella lachend.


Mahlers Adagietto


Am Nachmittag lagen sie auf dem neuen Bett und hörten Mu­sik. Pascal wollte Isabella zeigen, wobei er ge­träumt hatte, dass Isa­bella jetzt zu ihm ins Bett käme. „Ja, wunderschön, nicht wahr? Da breitet die Seele noch viel mehr als ihre Flügel aus, da öffnet sie sich ganz. So hätte ich es gerne ge­habt, aber ich war gestern Abend ein­fach zu kribbelig, zu angespannt, zu auf­geregt. Be­stimmt legt sich das, wenn du mich mal öfter gestreichelt hast.“ „Aufgeregt war ich schon auch. Na ja, es war ja für uns beide nichts Alltägli­ches. Also, ge­lassen und relaxed war ich be­stimmt nicht. Ich kam mir eher wie ein kleiner Junge vor, der keinesfalls bei dir etwas falsch machen wollte. War denn etwas falsch?“ fragte Pascal provozie­rend. „Ja, Schweinkram hast du ge­macht, nur Schweinkram. So etwas tut man nicht bei einer anständigen Frau.“ reagierte Isabella. „Sollte ich das in Zukunft lieber bleiben lassen?“ erkundigte sich Pas­cal. „Bloß nicht, anständige Frauen lieben das.“ lautete Isabellas Ant­wort. Isa­bella hatte ihren Kopf auf Pascals Bauch ge­legt, und die Finger einer Hand hat­ten sie ineinander ver­hakt. Plötzlich fuhr Isabella hoch. „Sag mal, Pas­cal, was meinst du, sollte ich mich von Benni tren­nen?“ fragte sie ihn. Pascal lachte auf. „Isabella, was soll ich dir denn dazu sa­gen? Ja, verlasse ihn sofort und komm zu mir. Dann habe ich zwei Freundinnen. Je mehr, umso besser?“ und Pascal lachte wieder. „Isa­bella, das ist bei mir doch genauso verworren wie bei dir. Meine Heimat ist bei dir, aber soll ich Anett ein­fach fortschicken. Sie hat mir doch nichts getan, und wir waren vor nicht langer Zeit noch sehr verliebt. Sie ist es mit Sicherheit im­mer noch.“ fügte Pascal hin­zu. Jetzt redeten sie zum ersten mal intensiv über ihre Beziehungen. Sie spra­chen auch über ihre Liebe, die sie für den Partner empfanden. Sowohl für Isa­bella als auch für Pascal spielte sie sich aber auf einer anderen Ebene ab. Sie sahen es aus der Meta­perspektive ih­rer eigenen Liebe, die über allem schwebte. „Benni ist meine ers­te Liebe. Durch ihn habe ich überhaupt erst erfahren, was Liebe sein kann. Das wird für mich immer bedeutsam bleiben.“ erklärte Isabella. „Eine ähnliche Lie­be war es bei dir nicht. Dann hätte es sie nicht gegeben. Auf den Gedanken, dass ich in dich verliebt sein könnte, kam ich erst, als ich anfing zu spinnen. Ich hatte im­mer nur ein fanatisches Bedürfnis, in deiner Nähe sein zu wollen. Dich spre­chen zu hören und zu sehen, dich zu erleben, war wie eine Gier. Deine Worte lassen mich hören und sehen, wer du bist. Sie sind voll Harmonie. Ich höre ih­ren lyri­schen Rhythmus, deine Worte sind ein Gedicht. Ein Gedicht für mich mit der Melodie deiner Sprache. Deine Worte sind ein Lied, ein Liebeslied. Du schenkst es mir. Du schenkst mir dich, immer wieder. Mit Liebe, wie ich sie kannte und und erlebte, hatte das nichts zu tun. Als erwachsene Frau sah ich mich, mit dir und durch dich. Und du warst kein netter Junge sondern ein er­wachsener Mann. Aber es ist ja nicht nur dies Verlangen, Pascal. Ich mag dich total gut leiden. Als ob mir alles an dir gefiele, alles wundervoll wäre. Unsinn, nicht wahr? Aber ich verstehe dich eben zu gut. Niemals war ich einem ande­ren Menschen so nahe wie dir. Je tiefer ich dich erkennen konnte, umso groß­artiger kamst du mir vor. Ich sah immer mehr von dem, was den Men­schen in dir ausmachte, und das ist das eigentlich Großartige. Alle Äußerlich­keiten wer­den immer unbedeutender, und das Wunder Mensch, das ich in dir sehe, immer größer. Noch nie ist mir das so bewusst geworden. Jede und jeder wird dieses Wunder in sich tragen, nur niemand ist da, der es erkennen will und kann. Weißt du, Pascal, dieser Jesus in der Bibel hat doch gesagt: „Lie­bet eure Fein­de.“, das kann ich jetzt verstehen und die Mütter, die ihre Kinder lie­ben, ob­wohl sie zu Verbrechern geworden sind, auch. Das machst du aber nicht, Pas­cal, nicht wahr? Du bleibst immer schön brav, ja?“ anders konnte Isa­bella auch ernsthafte Überlegungen nicht beschließen. „Durch dich hat sich vieles andere für mich relativiert, auch meine Beziehung zu Benni.“ stellte sich Isa­bella dar. „Wenn du mich ver­lassen, und an­derswo stu­diert hättest, würde ich vielleicht mit Anett glück­lich sein. Vielleicht würden wir Kinder haben, wenn sie es woll­te, aber die Sehn­sucht nach dir blie­be immer unverändert“ stellte Pascal sein Empfinden dar. „Jeden Tag würde ich hoffen, dich ir­gendwann wiederzu­sehen. Das bleibt so Isabella. Das ist wie eine Sucht,ist ganz tief in mir, und ver­schwinden wird es nie wieder.“ er­klärte Pascal. Isa­bella sagte nichts. Sie über­trug es auf ihre Situation und versuchte sich ihre Sehnsucht nach Pascal vorzu­stellen. Isabella betrachtete Pascal stumm, ihre Mi­mik hatte ernste Züge. Dann nickte sie langsam, und als Zei­chen ihres glei­chen Empfin­dens, fiel sie Pascal um den Hals. „Das Hauptpro­blem ist doch deutlich.“ mein­te sie, „Benni und Anett behindern das uneinge­schränkte Ver­hältnis zwi­schen dir und mir. Sie be­hindern die umfassende und frei Aus­übung unserer Liebe. Das darf doch kein Mensch, oder?“ fragte sie, während ein schel­misches Lä­cheln ihren Mund um­spielte.


Nackter Mann


„Sag mal, Pascal, findest du eigentlich, dass ich auch ein Wunderwerk bin?“ wollte Isabella mit spezifischem, nicht ganz ernstem Unterton wissen. Pascal bog sich und lachte stumm. „Also, ich denke, dass es dir manchmal noch an der notwendigen Explosivkraft mangelt, aber sonst finde ich, das du eher ein Feuerwerk bist, so feurig und in all dieser funkelnden Pracht ...“ Isabella ließ Pascal nicht zu Ende reden, sondern überfiel ihn, als ob sie ihn für seine bos­hafte Bemerkung niederkämpfen wolle. Nur sie lagen ja beide schon. Es blieb ihnen also nichts als ein wenig herumwälzen und dabei zu lachen. Sie lagen wieder in der von Isabella als Grundhaltung bezeichneten Umarmung, und Pas­cal streichelte ihr über den Rücken. Er fuhr mit seiner Hand unter Isabellas T-Shirt, und sie zog es aus. Pascal ließ seine Hand über Isabellas Rücken gleiten. „Fühlt sich das gut an für dich?“ fragte Isabella und Pascal nickte nur. „Für dich auch?“ erkun­digte er sich. „Mhm.“ stimmte Isabella zu, „aber vorne nicht. Mei­ne Haut will deine Haut spüren und nicht dein Oberhemd. Meine Brüste sind nicht Cotton fetischistisch.“ Sie half ihm beim Ausziehen. „Zieh das auch aus.“ befahl Isa­bella, womit sie Pascals Hose meinte, „Und das auch.“ Pascal sollte auch seinen Slip ausziehen, monierte aber: „Isabella, was tun wir? Wenn gleich mal deine Mutter rein kommt.“ „Mein Vater könnte auch kommen und uns zum Kaffee ru­fen. Wir werden ihnen sagen, wie es ist, dass wir für unsere Grund­haltung üben.“ meinte Isabella dazu. „Und was hast du in Hosen mit einem nackten Mann vor?“ erkundigte sich Pascal weiter. „Anschauen, anfassen, aber es geht ja nicht um einen nackten Mann, es geht ja um dich.“ Isabella darauf. Sie be­fühlte Pascal, beugte sich vor und ließ ihre Brüste über seine Haut glei­ten. „Du, hast es gern, wenn die Frau deinen Penis in den Mund nimmt, nicht wahr?“ fragte Isabella. Pascal lacht auf: „Nein, Isabella, du tust mir keinen Ge­fallen damit.“ Die schaute ihn fragend an und meinte: „Das kann ich nicht glauben. Alle Männer mögen das.“ „Mir fehlen aber die entsprechenden Gene.“ meinte Pascal, „Das sind Männervorlieben, die sich kulturell verbreitet haben. Bei mir ist da noch nix angekommen. Ich habe noch viel von dem ursprüngli­chen Mann aus den Wäldern. Legst du denn Wert darauf?“ wollte er von Isabel­la wissen. „Um Himmels Willen,“ reagierte die, „im Prinzip kann eine Frau das gar nicht wollen. Sie hat nichts davon. Es können nur Spinnereien in ihrem Kopf sein.“ Und dann dozierte und ereiferte sie sich über den Unsinn von Fella­tiovorlieben bei Frauen. Pascal hatte schon mal bemerkt, dass es ihn doch überhaupt nicht interessiere, aber darauf hatte Isabella gar nicht reagiert. Jetzt rief er sie, wo­bei das 'e' in ihrem Namen wie ein ganz lang gezogenes 'ä' klang. „Isabella, warum sollen wir uns damit beschäftigen, wenn es uns beide nicht betrifft, weil wir beide die gleiche Auffassung haben?“ meinte Pascal. „Das ha­ben wir auch bestimmt schon unbewusst gleich beim ersten Blick erkannt.“ vermutete Isa­bella zur Erheiterung Pascals, der von ihr wissen wollte, worin sich so etwas denn offenbare. Für Isabella war das Anlass zu ei­ner erneuten Balgerei, während Frau Falkenberg gerade beschlossen hatte, die beiden zum Kaffee zu rufen. Ohne ein Wort zu sagen, schloss sie sofort wieder die Tür. Isa­bella sprang auf, lief ihr mit bloßem Oberkörper nach und meinte „Mami, es ist nix. Wir kommen, fangt noch nicht an.“


Es ist so und es wird sich nicht ändern


Beim nächsten Besuch bei Isabellas Eltern machte sie eine ernste, strenge Mine. So hatte Pascal Isabella noch nie gesehen. Als er sie fragte, erklärte sie energisch: „Ich mach das nicht mehr. Ich komm' mir idiotisch vor. Es gibt doch gar keine Alternative. Vor wem müs­sen wir denn warum was verheimli­chen oder verstecken? Kann ich nicht dazu stehen, wie es ist? Etwa vor Benni nicht? Es ist so, und es wird sich nicht än­dern. Das steht für uns beide fest. Das ist die Realität. Da hab' ich es nicht nötig, Benni etwas vor­zugaukeln. Das ist kin­disch und unwür­dig, auch Ben­ni selbst gegenüber.“ Pas­cal stimmte dem zu, nur bei sich? Da konnte er das nicht so einfach sagen. Die Beziehung zwischen An­ett und ihm war an­ders strukturiert. Er war für Anett je­mand anders als Benni für Isabella. Er liebte Anett schon, aber sie bewunderte ihn. Ihm wurde erst jetzt einiges über sein Verhältnis zu Anett klar. Dass er der dominante Mann war, hätte er eigent­lich immer schon erkennen können, be­wusst geworden war es ihm aber noch nie. Anett hatte es ihn noch nie spüren lassen. Ob sie viel­leicht so ein Verhält­nis auch suchte, sie den Mann haben wollte, zu dem sie aufblicken konnte, weshalb auch immer? Bei ihrem Intellekt und ihrer Position in feminis­tischen Fragen, hätte er es auch nie vermutet. Viel­leicht hatte er et­was von der Funkti­on ihrer zwei Jahre älteren Schwester, die ihr sehr viel be­deutete. Es musste sich ziemlich subtil abge­spielt haben, weil für Pascal im Grunde nur eine Bezie­hung auf gleicher Ebene in Frage kam, wie er sie jetzt zu Isabella hatte. Er konnte Anett nicht einfach die Realität mittei­len, auch wenn er sie be­trog, überwog sein Bedürfnis, sie da­vor zu schützen, dass sie es er­fuhr. Isabel­la fuhr ihn an: „Was für ein Macho bist du denn, dass du dir an­maßt, darüber ent­scheiden zu können, was für An­ett gut zu wissen ist, oder nicht. Bist du An­etts Zensurbe­hörde oder ihr Skla­venhalter? Pascal, das ist ganz widerlich. An­ett ist eine selbständige, erwach­sene Person, die für sich entschei­den kann, und das soll­test du jederzeit aller­schärfstens respektie­ren.“ „Isabel­la, ich will Anett doch kei­neswegs bevormun­den, nur ich habe auch kei­ne Lust daran, sie zu verlet­zen. Das werde ich mit Sicherheit tun, nur ich kann über­haupt nicht ab­schätzen, wie stark es sie tref­fen und wie sie damit umge­hen wird. Und da­vor habe ich Angst. Es gibt doch die schlimmsten Bei­spiele dafür, wie es Men­schen ge­troffen hat, wenn sie plötzlich verlassen wur­den. Es bei Anett einfach darauf ankommen lassen, das kann ich nicht. Ja, Isa­bella, ich liebe sie, zwar nicht so wie wir uns, aber ich empfinde sehr viel für sie.“ erklär­te Pascal dazu. „Oh, Pascal, alles muss man dir vorsagen. Dir scheint es an jeglichen kreativen Im­pulsen zu mangeln. Sie hat doch zum Bei­spiel sicher Freundinnen, die sie auf­fangen können, wenn es zu schlimm wird, oder mit de­nen du sonst etwas aus­hecken kannst. Ihre Eltern, könntest du die vielleicht ansprechen? Lass dir doch mal etwas einfallen. Du starrst nur wie das Kanin­chen auf die Schlange „Sagen oder Nicht-Sagen“.


Pias Geheimnis


Isabella hatte es Benni gesagt. Sie hatten lange darüber geredet. „Ich weiß es doch Benni. Es war sehr schön, und vergessen werde ich es niemals, gleichgül­tig ob wir zusammen sind oder nicht, nur das war alles gestern, ist Geschichte, Erin­nerung, bedeutsame Erinnerung, aber heute ist das nicht.“ hatte Isabella ihm gesagt, wenn er immer wieder an gemein­same Erlebnisse und Erfahrun­gen erinnerte. „Ich liebe dich auch heu­te noch, Benni, nur ich bin auch eine andere geworden, und es gibt eine Liebe, die mich heute trifft. Diese Liebe ist anders, und ich will sie unbedingt, und von ihr wird mich nichts und niemand abbringen können. Das ist so, und das lässt sich nicht ändern. Ich kann nicht verlangen, dass du mich verstehst und es akzeptierst, aber vielleicht stimmst du dem zu, dass es etwas geben kann, dass stärker ist als alles andere, das dein bisheriges Emp­finden übersteigt. So ist es für mich, Benni, und du wirst nicht umhinkom­men, es zu akzep­tieren. Es wird dir weh tun, das weiß ich. Ich will dir keinesfalls wehtun, aber wie sollte ich es denn verhindern, dass es für dich schmerzlich ist?“ hatte sie es Benni zu erklären versucht. Sie habe den Ein­druck gehabt, dass Benni es sehr gefasst aufgenom­men habe, aber man wisse ja nie, wie es wir­ke. Pascal hatte sich mit Pia, An­etts bester Freun­din ge­troffen. Pascal mochte Pia auch gut leiden. Sie war im­mer sehr lustig und neckisch. „Boah, was macht ihr denn für Sachen?“ stöhnte sie , als Pascal kurz berichtet hatte. Dann erkun­digte sie sich immer näher nach den Einzelheiten von Pascals und Isabellas Lie­be. „Du liebst sie und hast gewusst, dass sie dich auch liebt und umgekehrt genauso? Ihr habt aber kein Sterbenswörtchen da­von gesagt, sondern habt immer fleißig zusammen Kaffee getrunken, als ob nichts wäre.“ Pia ließ sich aufs Bett fallen und lachte sich tot. „Das ist ja total crazy. So et­was habe ich noch nie gehört.“ meinte sie. „Ja, es ist einfach so ge­kommen. Ich habe mir ja selber immer etwas vorgemacht, dachte ich fänd' sie ganz nett, bis ich mir eingestehen musste, dass ich süchtig nach ihr war. Aber wir wollten es doch beide nicht, ich wegen Anett nicht und Isabella hatte auch einen fes­ten Freund. Als wir es vor uns selbst nicht mehr verheimlichen konn­ten, haben wir sogar richtig offiziell Schluss gemacht, aber Liebe arbei­tet nicht mit dir und deinen Beschlüssen zusammen. Sie akzeptiert nur ihre ei­genen Me­thoden.“ erläuterte Pascal. „Ich versteh dich gut, Pascal. Damit du das weißt.“ meinte Pia, „Und was soll ich dabei tun? Es Anett schonend beibrin­gen?“ „Müsste ich das nicht eigentlich selber tun? Ich weiß nur überhaupt nicht, wie sie es auffassen wird, und was es ihr ausmacht. Vielleicht könntest du ihr dabei ein wenig helfen, dass es für sie erträglicher wird.“ „Na klar,“ meinte Pia, „ich werde vorher und nachher mit ihr reden.“ Pascal hatte mit Anett etwas Ernstes zu bespre­chen. Es sei nicht angenehm. Sie müs­se sehr gefasst und ganz stark sein. An­ett schien das nicht sonderlich zu tangieren. Ihre Mimik zeigte freundli­che Ge­lassenheit. Dann hat­te Pascal angefangen, von ih­rer großen Liebe zu er­zählen. Anett grinste immer nur und meinte schließlich: „Aber jetzt hast'e ne neue Freundin.“ Pascals große, erstaunte Augen starrten Anett an. Nach sei­nem Schock fragte er Anett, wo­her sie es wisse. „Von Pia natürlich, aber sie wollte es nicht verra­ten und hat mir verboten es zu wissen. Ich sollte ganz traurig sein, hat sie mir befohlen. Im Grunde bin ich das ja schon, Pascal, na­türlich wäre ich lie­ber mit dir zusammen geblieben, aber wenn das stimmt, was Pia gesagt hat, und das glaube ich schon, muss ich mich eigentlich bei dir be­danken, auch wenn du mich verlässt. Damit fing es ja an, dass Pia so von dir geschwärmt hat. Ich ver­stand das nicht und habe sie gefragt, ob sie sich in dich verliebt habe. Nein, meinte sie, es sei nur wichtig, dass ich das wisse. Jede weiterge­hende Frage, die sie beantwortete, machte alles nur noch obsku­rer. Bis ich ihr gesagt habe, sie wisse etwas, was sie mich nicht wissen lassen wolle, sie solle es er­zählen. Nach langwierigem, weiteren Hin und Her und Zu­sicherungen, hat sie es mir dann erzählt. Mein Lieber, hast du so für mich gelit­ten. Ich liebe dich, glaube ich, noch viel mehr als vorher.“ erläuterte Anett. Grundsätzlich könne sie so etwas mit der großen Leiden­schaft, gegen die man machtlos sei, schon verstehen. „Ihr seid ja schließlich nicht die ersten, die da­von befallen wurden. Die Geschichte ist voll von derarti­gen Lovestories und be­stimmt ist es ein Traum von vie­len, dass ihnen selbst so etwas widerfahren möge. Ich mache dir und deiner Freundin überhaupt keine Vorwürfe, und du tä­test mir einen Gefal­len damit, wenn ich Isabella mal ken­nenlernen könnte.“ äußerte sich Anett.


Zukunftspläne


Isabella hatte ihrer Mutter am Telefon schon alles erzählt. „Aber deine Freundin muss ja eine wirklich starke Frau sein, nicht wahr?“ meinte Frau Falkenberg zu Pascal. „Tscha, allem Anschein nach. Das habe ich bei ihr erst jetzt erkannt. Es muss doch wohl so sein, dass auch Männer, die sich für ziemlich feinfühlig hal­ten, im Bereich des Sozialen ein wenig tumb sein können.“ antwortete Pascal. „Nein, mein Liebster, mach dir keine Vorwürfe. Du bist genau passend zart und sensibel, ein Mimöschen willst du doch nicht sein, oder?“ äußerte sich Isabella mit ei­nem verschmitzten Lächeln dazu und überlegte weiter, „Vielleicht hat An­ett ihre innere Stärke ja bewusst ver­borgen gehalten, um dich im passenden Moment damit zu scho­ckieren. Wie will ein Mann denn so etwas spüren, selbst wenn er so feinfühlig ist wie du?“ „Und heute Abend gibt’s Champagner?“ woll­te Frau Falkenberg wis­sen. Isabella und Pascal warfen sich fragende Blicke zu. „Also, das ist ja ein wenig gemischt. Ich möchte auf keinen Fall feiern, dass wir Benni und Anett jetzt endlich los sind, aber dass wir jetzt alle Freiheiten für uns ha­ben, darauf könnte man schon einen Champagner trinken, nicht wahr Pascal? Wir haben uns ja auch riesig gefreut darüber und sind uns glücklich um den Hals gefal­len.“ meinte Isabella.


„Mami, wir werden aber weiterhin kommen, oder Pascal? Es hat uns zu gut ge­fallen. Das ist ein schönes Bett, unser Liebesbett, außerdem ist es wundervoll, mit euch zusammen zu sein, und mit dir, Mami, Sonntagmorgens zu kochen. Wie sollte man darauf verzichten können? Es ist immer wie ein kleiner Urlaub hier, oder empfindest du das anders Pascal?“ wollte sie wissen. „Du hast noch die Kirschtorte und den Pflaumenkuchen am Freitagnachmittag vergessen. So etwas gäbe es bei uns nie.“ fügte Pascal hinzu. Am Abend überlegten sie, wie die Zukunft sich für sie ge­stalten würde. „Benni wird auf jeden Fall auszie­hen. Er sucht schon eifrig und hat sich schon einiges angeschaut. Allein dort woh­nen bleiben? Man könn­te na­türlich die Auffassung vertreten, dass man, um ein eigenständiges Leben füh­ren zu können, lieber allein leben solle, und sich mit seinem Partner treffen könne, wenn man Lust dazu habe. Nicht wenige tun das ja auch und sind glücklich da­mit. Ich kann das rational gut nachvollziehen. Nur der Mensch ist seine Kommuni­kation und ich besonders. Ich bin kein Puma Weibchen, das sich mit seinem Partner nur irgendwann mal zur Kopulation trifft. Eine evolutionär bedingte Veranlagung zum Eremi­tentum und isoliertem Leben gibt es beim Menschen nicht. Oder hast du solche Gene, Pascal, und möchtest ihnen gern folgen?“ fragte Isabella. „Nein, nein, keineswegs, nur wir haben uns immer schrecklich darauf gefreut, den an­deren nach dieser unend­lich langen Woche wiederzuse­hen. So etwas wird es dann natürlich nicht mehr geben. Die Sehn­sucht ist vor­bei. Das Bedürfnis ist dauer­haft befriedigt.“ mein­te Pascal dazu. „Thomas, hast du etwa keine Sehn­sucht mehr nach mir?“ fragte Frau Falken­berg streng ihren Mann. „Natürlich, Charlot­te,“ meinte der, „du weißt doch, wie oft ich dich anru­fe und frage, ob du mal eben kommen könn­test.“ Dafür bekam er einen Knuff in die Rippen. „Die könnten zum Beispiel auch nicht für sich allein leben. Wie sollten sie denn dann ihre kleinen Necke­reien anbringen, die endlos verliebten Hasen.“ hatte Isabella zwar an Pascal gerichtet aber ließ Herrn und Frau Falkenberg trotzdem lächelnd grinsen. „Pas­cal, junger Mann, die Sehnsucht in der Liebe ist doch nicht dar­an gebunden, dass man sich eine Woche lang nicht sieht. Du brauchst keine Angst zu haben, du kannst sie auch empfinden, wenn Isabella neben dir in der Küche steht. Er wird doch noch viel von dir lernen müssen, Isabella.“ machte Frau Falkenberg deut­lich. „Aber, Mami, ich weiß sicher vieles über Küche, nur mit der Sehnsucht kenn' ich mich da auch nicht aus.“ so die angesprochene Isabella dazu. „Ja, ist das so, Charlotte, dass die sich bei dir im­mer in der Kü­che entwickelt?“ misch­te sich der meistens sehr zurückhaltende Herr Falken­berg ein, während seine Charlotte die Augen nur halb geöffnet hat­te, ihre Lip­pen grinsend zusammen­kniff und dadurch zum Ausdruck brachte, dass man von ihr kein Wörtchen mehr dazu hören würde. „Über die zukünftige Wohnsi­tuation von Anett und mir haben wir noch nicht gesprochen.“ erklärte Pascal, „Ich könnte mir nur vorstel­len, dass Anett gern wohnen bleiben würde. Ihr ge­fällt es dort und sie fühlt sich wohl, nur allein kann sie die Woh­nung nicht fi­nanzieren. Vielleicht würde sie gern mit einer Freundin zusam­men leben, dann hätten sie schon eine Woh­nung.“


Bunte Nächte


Die Nächte waren bunt, und keine Nacht war wie andere war. Ihre liebestrun­kene Lebensfreude, ihre Kreativität und ihr reichhaltiges Wissen, brachten ih­nen unerschöpflich neue Einfälle und Ideen. Wenn man zwischen Tag und Nacht, zwischen Arbeit, Freizeit und Schlaf unterscheiden konnte, dann war da für Isabella und Pascal noch eine andere Zeit. Sie war nicht die längste, aber für ihr emotionales Wohlbefinden, ihr Glück, ihrSeelenleben die bedeutendst. Es war die Zeit, die man gemeinsam wach im Bett erlebte. Die Zeit, in der sie sich gegenseitig und ihre gemeinsame Lie­be voll genießen konnten. In der je­der ausschließlich für den anderen und ihr gemeinsames Glück existierte. Sich stundenlang anstarren hatte es nur am ersten Abend ge­geben, und dass Isa­bella so ner­vös und überemp­findlich re­giert hatte, war längst vergessen. Wenn sie miteinander schliefen, empfanden sie es als großartiges körperliches Sinn­bild und lustvolle allumfassende Erfah­rung ihrer Liebe zueinander. Pascal konn­te wun­derschön Ge­schichten aus allen möglichen Bereichen und von seinen vielfälti­gen Erlebnis­sen erzählen. Meistens lauschte sie aufmerksam, fast an­dächtig, aber oft wur­de auch ein albernes Ge­spräch daraus, wenn Isa­bella ku­riose Nachfragen stellte. Pascal hätte manch­mal gern im Hintergrund Musik ge­hört. Das ging natürlich nicht. Aber manch­mal hörten sie gemeinsam intensiv zu. Für beide eine wundervolle Form neuen, gemeinsamen Musikerlebens und -genießens. Den Jungen musste ja abends im Bett eine süße Frauenstimme singend umgarnen. Leider war Isabella es auch nicht gewohnt, in der Küche und auf den Feldern zu singen. Ihr Repertoire war daher äußerst dünn. Die Kir­chenlieder kannte sie alle noch aus ihrer Kindheit, aber ob es Pascal nach „Großer Gott wir loben dich.“ gelüstete, wagte Isabella zu bezweifeln. Sie war dabei, fleißig Brecht Lieder zu üben. Die fand sie alle so toll, aber von den Tex­ten konnte sie immer nur Bruchstücke. Das einzige, das sie ohne Lücken kann­te, war „Das Lied von der Moldau“. Als sie die „Ballade von der Hanna Cash“ konn­te und sie Pascal abends im Bett vorsang, kamen ihm die Tränen. „Isabel­la, das ist nicht die Hanna Cash, das bist du. Ich kenne das Lied ja, und hab's auch schon öfter gehört, aber du singst es ganz anders. Wundervoll. Deine Stimme singt es nicht nur, sie lebt es, du lebst es für mich. Als ob du mein Empfinden dabei spürtest, meine geliebte Diseuse. Kannst du noch mehr?“ fragte Pascal. Na klar, generös konnte Isabella aus ihrem reichhaltigen Fundus noch „Das Lied von der Moldau“ anbieten. Pascal war ganz stumm. Er strich Isabella mit seiner rechten Hand über ihr Gesicht, das leicht über ihn gebeugt war. „Es trifft schon zu, Isabella, dass du ein Stern bist, der Stern an meinem Horizont. Wer hat das nicht alles gesungen, nicht schlecht, sehr schön, aber wenn ich es von dir höre, verstehe ich es am bes­ten, als ob du genau wüss­test, wie du mich direkt triffst.“ äußerte Pascal sein Empfinden und meinte, Isabella könne für ihn singen, was sie wolle, es würde immer ein Genuss für ihn sein. Isabella erzählte ihm, dass sie mehr Brecht Lie­der lernen wolle. Zur Zeit übe sie gerade an der „Erinnerung an die Marie A.“. Pascal wollte es unbe­dingt hören, trotz Isabellas Warnungen. Pascal war sowie­so schon von Isabel­las Stimme ent­zückt, auch als sie ihm noch nie etwas vor­gesungen hatte. Sie hatte als kleines Mädchen im Schulchor gesungen, aber das Glo­ckenhelle wür­de sie heute nicht mehr bringen können. Ihre Stimme hatte sich stark verän­dert. Heute passte sie eher in die Seemannsbar bei Han­na Cash. Vielleicht hat­te der wüste Pascal sie ja auch deshalb mit sich gehen lassen.


Wohnungen


„Isabella, mit meiner Wohnung das würde ich am liebsten mit Anett und dir ge­meinsam besprechen. Sie wollte dich ja sowieso gern kennenlernen. Das wäre doch ein Anlass.“ meinte Pascal. „Ja, gern, nur du solltest dir auch erst mal meine Wohnung anschauen.“ meinte Isabella. Pascal gefiel seine Wohnung auch. Sie war wohl früher mal ein kleines Handelskontor gewesen, mit den Bü­ros auf der einen Seite, das waren jetzt die Zimmer und das Bad, und dem La­gerraum auf der gegenüberliegenden Seite. Hier gingen jetzt Küche, Wohn­raum und Schlafbereich ineinander über. Es gefiel Pascal nicht nur wegen der Aufteilung, sie hatten es sich auch sehr ansprechend und gemütlich eingerich­tet. Pascal lebte gern hier und hatte mit Anett schon viele glückliche Stunden erlebt. Aber Isabellas Wohnung gehörte zu einer anderen Liga. Sie war zweifel­los formidabel. Entweder hatte Benni auch begüterte El­tern, oder Isabella zahl­te den weitaus überwiegenden Teil. Fünf Zimmer, Kü­che, Bad mit Parkett und Stuck in einem alten Bürgerhaus. Wozu brauchten sie denn so etwas? „Na ja,“ meinte Isabella, „durch den Platz, die hohen Räume und die großen Fenster hat man wenigstens ein bisschen das Gefühl von Frei­heit. Ich kann hier endlos durch die Räume tanzen. Du kannst so viele einla­den, wie willst und für die Nacht unterbringen kannst du auch mehrere. Hab' ich nur alles hier noch nicht gebraucht. Ich kenn' ja niemanden außer dir.“ er­klärte Isabella mit Totensonn­tagsmine. „Ich weiß es nicht, vielleicht vermitteln so kleine Nischen ja auch ein spezielles Feeling, nur das kenne ich nicht, und ausprobieren möchte ich es lie­ber auch nicht.“ „Isabella, wenn ich hier zu dir ziehe, dann machen wir eine ganz große Fète. Da müssen sie dann alle kom­men, deine Freundinnen, unsere Eltern und Geschwister. Das ist dann keine kleine Geburtstagsfeier, da beginnt ja ein neuer Lebensabschnitt für uns.“ meinte Pascal. „So, dadurch dass du hier einziehst?“ Isabella zweifelnd, „Das ist sehr schön, wenn du bei mir wohnst, aber meinen neuen Lebensabschnitt den lebe ich schon längst, und dafür habe ich keine Zuschauer einer Fète gebraucht, nur dich, sonst nix.“ „Und als sym­bolischen Ausdruck könnte man es auch nicht gelten lassen. Wäre ein Umzug dafür ein zu banales Zeichen?“ fragte Pascal nach. „Den Umzug fän­de ich trivi­al, aber dass wir ganz nah beieinander sind, unsere Sehnsucht nur noch kür­zeste Wege braucht, der neue Lebensabschnitt so wesentlich prakti­scher und rapider gestaltet wird. So könnte man es doch symbolisch se­hen, oder?“ mein­te Isabella. “Mit Sehnsuchtskurzstreckenfète?“ erkundigte sich Pas­cal noch.


Isabella und Anett


Als Isabella kam, umarmten sich Anett und sie gleich zur Begrüßung. Pascal staunte. Vielleicht ein Friedenssignal oder Ausdruck der jederzeit existenten Frauensolidarität? Man schaute sich die Wohnung an, und Isabella fand sie auch klasse. Dann spra­chen sie über Anetts konkrete Aussichten. „Zwei Freun­dinnen wären mir sehr lieb, aber die wollen aus ihrer jetzigen WG nicht raus.“ meinte Anett, „Und von den anderen bin ich nicht so überzeugt. Am besten suchte ich mir ganz schnell 'nen neuen Freund.“ erklärte sie und lachte. „Nimm doch den Benni.“ schlug Isabella vor, „Der hat keine Wohnung, keine Freundin und ganz lieb ist er auch.“ die beiden lachten sich schief. „Ja, ich könnte euch doch verkup­peln, aber der wird nicht mehr auf mich hören. Ich glaube, der ist böse auf mich. Bist du auch böse mit Pascal?“ fragte sie. „Ach, Isabella, ich dachte du würd'st ihn kennen, wie soll man dem denn böse sein?“ fragte Anett. Isabella fixierte sie kurz grinsend. „Ich finde das ja absolut scharf, Anett, aber irgend­wie kann ich dich auch nicht verstehen. Wenn du ihn liebst, dann weißt du das doch nicht nur rational und kannst das jetzt ändern, dann sitzt das doch in dei­nen Emotionen, in deiner Seele. Das kannst du doch nicht einfach aus­streichen. Du verlierst doch etwas. Das ist doch schmerzlich und tut weh.“ meinte Isabella. „Ja, natürlich. Ich hätte ihn ja schon lieber behalten, aber er ist ja nicht gestorben und ganz verlo­ren haben wir uns ja auch nicht. Ihr habt euch doch auch geliebt, ohne mitein­ander ins Bett zu gehen, mit meiner Mutter gehe ich auch nicht ins Bett, und trotzdem lieben wir uns. Ich denke, dass das für deine Seele entscheidender ist, und Liebe nicht von gemeinsamem Sex ab­hängig ist und auch nicht davon, dass ich die einzige bin, die ihn liebt und von ihm geliebt wird. Ich werde Pascal auch weiterhin lieben und ich denke, er mich auch. Es hat sich ja nichts verändert an ihm. Er ist ja genauso liebens­wert geblieben. In deiner Seele oder deinem Herzen ist doch nicht nur für eine Lie­be Platz. Mei­ne Freundin Pia sitzt da ge­nauso gut, wie meine Mutter und da ist Pascal in bester Gesellschaft.“ sagte Anett, und die beiden schmunzelten. „Du bist wun­derbar, Anett, aber ich könn­te so etwas wahrscheinlich trotzdem nicht.“ meinte Isabella. „Bist du härter? Nein ich denke nicht, aber du hast eine Schwester, nicht wahr? Ich bin als alleini­ges Goldstück aufgewachsen. Vielleicht macht das doch einen großen Unter­schied in der sozialen Komplexität.“ Die beiden unter­hielten sich noch weiter über Liebe. Pascal saß als un­beteiligter Zuschauer da­neben und wurde nicht beachtet. Als sie auf Platons Diotima zu sprechen ka­men, gingen sie in Anetts Zimmer, denn Anett hatte es ausge­druckt und wollte es Isabella mitgeben.


Wieder zurück kamen sie jedoch nicht. Pascal wollte nachschauen. „Pascal, kannst du uns noch ein wenig allein lassen?“ meinte Isabella. Als Pascal schon fast wieder draußen war, fingen die beiden an, laut zu lachen. Einer von beiden hatte wohl irgendeine Bemerkung gemacht, nur Pascal hatte sie nicht mitbe­kommen. „Jetzt gibt es erst mal Abendbrot. Ihr könnt ja anschließend eure Ge­heimverhandlungen weiterführen.“ erklärte Pascal, als er sie zum Es­sen rief. „Jetzt hat er Angst bekommen, der Arme.“ meinte Isabella und Anett fügte hinzu: „Wir werden doch nichts Böses über dich reden, Pascal, höchstens etwas Gutes, Nettes, Freundliches. Wir lieben dich doch beide, aber wir haben gar nicht über dich gesprochen. Wahrscheinlich bist du es nicht gewohnt, dass man nicht über dich spricht, aber wir haben leider nur über uns selber gesprochen.“ Isabella lachte stumm. „Und was habt ihr über euch selbst her­ausgefunden?“ erkundigte sich Pascal mehr scherzhaft. „Dass wir Freundinnen sind.“ antwor­tete Isabella knapp. Auf Pascals fragenden Blick hin erläuterte sie es näher: „Anett meinte, dass wir bestimmt sehr gute Freundinnen sein könn­ten, wenn du nicht wärest. Das sah ich überhaupt nicht so, dass du über eine Freund­schaft zwischen mir und Anett verfügen könntest. Also sind wir jetzt Freundin­nen. Was dagegen?“ „Nein, nein, nein, überhaupt nicht, eher das Ge­genteil.“ erklärte Pascal und lachte.


Beim Abendbrot unterhielten sich die beiden wieder untereinander. Sie studier­ten beide Philosophie, aber darüber sprachen sie gar nicht, zumindest nicht mehr. Sie redeten über Literatur und Kochrezepte, aber eben nur unter sich. Anett stieß Isabella an und deutete mit dem Kopf in Pascals Richtung. „Pascal, was hat dir denn eigentlich bei Mami am besten geschmeckt?“ fragte Isabella und alle platzten los vor Lachen. „Pascal, wir wollen dich doch nicht ausschlie­ßen, aber wir beide gefallen uns eben so gut untereinander, dass wir automa­tisch im­mer miteinander tuscheln. Ich seh' das jetzt in einem völlig anderen Licht. Ich habe mir wohl so ein pauschales Bild gemacht, aber ich konnte ja auch nicht ahnen, was für eine tolle Frau Anett ist. Und Isabella lobte und pries Anett. Die meinte: „Hör' auf Isabella, das tut ja weh.“ Zwei Minuten rede­te sie gewöhnlich weiter und nicht von Anett, dann begann sie wieder, ihre Vor­züge heraus zu stellen. „Isabella, was willst du? Die Person von der du sprichst ist mir sehr gut bekannt. Willst du uns wieder verkuppeln, oder meinst du, An­ett sei doch die richtige Frau für mich und nicht du?“ fragte Pascal. „Ach, mein Liebster,“ hob Isabella an, wäh­rend sie zu Pascal ging, sich bei ihm auf den Schoß setzte und ihre Arme um seinen Hals schlang. „Du hast immer nur ge­sagt: „Meine Freundin, meine Freundin, meine Freun­din.“ Ich konnte mir doch gar kein Bild davon machen, was Anett für eine fantastische Frau ist, und jetzt bin ich ein­fach überwältigt. Ich finde, ich kann eure Liebe sehr gut nachvollzie­hen. Ach, lassen wir das.“ erklärte Isabella.


„Mit den Wohnungen, das machen wir ganz unkompliziert. So lange Anett nichts gefunden hat, zahlst du hier offiziell weiter und ich wohne eben meinen Eltern gegenüber allein. Die paar Kröten von Benni werden sie sicher auch noch verkraften.“ schlug Isabella vor. „Nein, nein,“ meinte Anett, „für eine Übergangszeit werden meine Eltern das schon zahlen, nur auf Dauer brauche ich ja nicht so eine große Wohnung. Ich könnte den Raum ja vermieten, aber unter den Bedingungen?“ „Das wäre doch was. Du suchst dir 'nen Netten aus und verliebst dich dann in ihn.“ schlug Isabella vor. Man lachte und Pascal meinte: „Es gibt doch bestimmt nette Frauen, die einen Platz in einer WG su­chen. Du solltest wirklich mal in der TAZ annoncieren.“


Ménage à trois


„Isabella, bleib doch, dann können wir noch ein Glas Wein trinken. Wir müssen ja schließlich auch auf die neue Freundschaft anstoßen.“ wünschte sich Anett. Isabella und Pascal schauten sich fragend an. „Und wie soll das gehen?“ fragte Pascal, „Soll Isabella etwa in meinem Zimmer auf der Couch schlafen?“ „Nein, ihr könnt gerne das Bett benutzen. Das macht mir nichts. Ich weiß ja, dass ihr sonst auch miteinander schlaft und es in Zukunft immer tun werdet, das ist doch natürlich, was wollt ihr denn sonst machen?“ meinte Anett. „Also, ich mit Pascal in deinem Bett, und du schläfst allein auf der Couch? Nein, Anett, das mache ich nicht.“ erklärte Isabella. Die beiden gingen erst mal raus, um sich zu beraten. Aber geklärt hatte sich nur, das jede meinte, die andere solle doch mit Pascal ins Bett gehen, selber habe man über­haupt nichts dagegen. „Schau mal, Anett ist so eine süße junge Frau, die freut sich auch über Zärtlichkeiten.“ meinte Isabella. So oder ähnlich priesen sie Pascal die jeweils andere an und lachten sich immer wieder schief dabei. „Ihr seid beide durchgeknallt.“ konsta­tierte Pascal, „Ich werde überhaupt nicht hier schlafen, sondern anderswo.“ „Pascal, das kannst du doch nicht machen. Wo willst du in dieser unbehausten Welt denn hin?“ meinte Anett, „Hier hast du zwei Frauen, die dich lieben, ande­re haben gar keine.“ und die beiden lachten wieder. „Aber wirklich, Pascal, ich fände das auch nicht gerade gut, wenn du einfach flüchten würdest.“ fügte Isa­bella dem hinzu. „Es könnte ja noch eine mögliche Lösung geben.“ begann Pascal. „Ihr beide schlaft zusammen in dem großen Bett und ich auf der Couch, oder wir schlafen alle drei in dem großen Bett, und ich verspreche, keine von euch beiden anzurühren, nur reden.“ Anett und Isabella schauten sich an und gaben sich Zeichen, mimisch und mit Fin­gern. Die Dreierlösung wurde bevor­zugt. Später im Bett wurde es lustig. Sie hatten auch vorher schon viel ge­lacht, aber die kuriose Situation schien es besonders herauszufordern. Sie scherz­ten, witzelten und lachten nur, wobei Witzigem über Männer und ihre Sexualität, der Vorzug gehörte. Dass Männer grundsätzlich auch so empfinden könnten wie Frauen, meinten beide schon. Sie müssten nur massiv auf die Te­stosteronbremse treten. Ob Männer sich Strickzeug zulegen würden, wenn sie nur mini­mal Testosteron produzierten? Solche und ähnliche Fragen wollten An­ett und Isabella geklärt haben. Die zu­künftige Wohnsituation wollten sie klä­ren, als Isabella kam. Jetzt lagen sie alle drei zusammen im Bett.


Mit „Ist es dir schwer gefallen, mein Stern?“ empfing Isabella Pascal am Mor­gen, als er die Küche betrat. Pascal hob die Augenbrauen und meinte: „Nein, überhaupt nicht. Ich habe vorm Zubettgehen schnell eine mentale Ge­schlechtsumwandlung zu einem Neutrum vollzogen. Da hätte ich mit keiner von euch beiden etwas anzufangen gewusst. Isabella, soll ich etwa für eine Nacht meine Empfindungen abschalten können? Wenn nicht, wie wäre mir dann denn wohl in dieser perversen Situation gewesen, wenn ich zwischen euch beiden im Bett liege? Kannst du dir da vielleicht schemenhaft ein Bild von machen?“ „Ja, sonderbar war das schon. Sonst schlafen wir zusammen, und jetzt darf ich dich nicht ein­mal be­rühren. Für Anett war es sicher ebenso kuri­os.“ meinte Isabella, und Pascal er­gänzte: „Ihr redet über Sexualität, ich liege zwischen zwei Frauen, mit denen ich Sex habe und muss meine Finger an mei­nen eige­nen Körper gepresst halten, damit sie sich nicht ir­gendwo hinbewegen, wohin sie nicht dürfen.“ Beim Frühstück fragte Isabella: „In einer Ménage à trois ge­hen immer alle drei zusammen ins Bett und haben Sex miteinander, nicht wahr?“ Pascale hob die Augenbrauen, wäh­rend Anett bestätigend meinte: „Ich glaube schon. So etwas könnte ich aber nicht und wollte es auch nicht.“ „Ich auch nicht, auf keinen Fall.“ pflichtete ihr Isabella bei. „Nein, nein,“ meinte Pascal, „Vorschriften für Beziehungen gibt es ja nicht. Soweit ich weiß, bezeich­net man es immer so, wenn drei Leute Bezie­hungen untereinander haben. Ein Dreiecksverhältnis, wie man es konkret lebt, liegt eben an den Beteiligten sel­ber.“ Isabella sinnierte. „Also, mich würde es nicht stören, wenn du auch mal mit Anett ins Bett gingst. Eifersüchtig machte es mich nicht. Ich wusste ja vor­her auch, dass es immer so war, und jetzt ist sie zudem noch meine gute Freundin.“ erklärte Isabella. Anetts Mimik zeigte ein Grinsen, und sie blickte Pascal an. „Isabella, eigentlich finde ich sehr nett, was du sagst, aber ich möchte das nicht. Keinesfalls, weil ich Anett nicht mehr lieben würde, aber ich möchte mit Anett oder mit dir leben und nicht an einem Tag mit der einen und am nächsten Tag mal mit der anderen, auch wenn das Bett nicht das Leben ist. Mich würde es stören. Ich habe mich für dich ent­schieden, du bist mein Leben, wie sagst du? „Der Stern am Horizont der neuen Heimat meiner Seele“, und da möchte ich nicht ab und an mal mit Anett ins Bett gehen, so eine 'rattige Els­ter' bin ich auch nicht.“ erklärte Pascal, lächelte, bekam von Isabella einen Kuss, und Anett war auch aufgestanden, um Pascal für seine ehrenwerte Hal­tung zu umarmen und zu küssen. Dass es sich aber zur Zeit genau so verhielt, Pascal sogar öfter mit Anett schlief, übersah man geflissentlich. Das verdräng­ten alle drei. Es gab ja eine simple Erklärung dafür. Mit der Wohnungssituation hing es zusammen.


Anett träumte. Sie mochte Pas­cal im­mer mehr. Seit er sie verlas­sen wollte, hatte sie Wesenszüge von ihm kennengelernt, die ihr bislang ver­borgen geblieben waren. Es machte ihr schon das Herz warm, Pascal ein­fach nur anzuschauen. Bestimmt empfand so ähnlich auch manche Mutter für ihren Sohn oder ihre Tochter. Einfach nur in ihrer Nähe sein, und ihren Augen das Bild von ihnen schenken können, das erwärmte ihr Herz. Pascal war ein wun­dervoller Mann, und Anett musste sich hüten, ihr Bild von ihm zu idealisie­ren. Sie konnte sich ja jetzt schon nicht vorstellen, einen auch nur annähernd gleichwertigen Freund wieder zu finden. Aber das sei wohl immer so, wenn die Liebe noch so stark sei, tröstete sie sich. Sie müsse erst mal ihre Witwenzeit überwinden, dann würde der Schleier 'Pascal' sicher ange­hoben, ihre Trauer lege sich, und sie könne auch wieder etwas anderes sehen, dachte sie schmun­zelnd.


Anett zu Besuch


Anett war eingeladen, fürs ganze Wochenende. Der Besuch bei Falkenbergs wurde abgesagt und schlafen sollten alle drei in getrennten Räumen. Obwohl Pascal, seit er bei Isabella wohnte, nie mehr mit Anett ins Bett gegangen war. Viel­leicht eine Reminiszenz an das schreckliche Dreierbett. Natürlich wurde ge­meinsam gekocht, immer wurde gekocht, mittags, abends und zum Früh­stück auch schon. Pascal fand das ja auch amüsant, aber Isabella und Anett schien etwas danach zu drängen, gemeinsam am Herd zu stehen. Ob, wie die Pflege der Feuerstelle beim Mann die Zubereitung des Essens bei den Frauen wohl auch evolutionäre Verankerungen habe, sinnierte Pascal. Sicherlich, dass über­all auf der Welt die Frauen das Essen kochten, konnte doch kein Zufall sein. Anett schien glücklich, wie Pascal meinte, sie schon lange nicht mehr er­lebt zu haben. Es gefiel ihr offensichtlich bei Isabella und Pascal. Natürlich hätte sie es lieber gesehen, wenn Pascal bei ihr geblieben wäre, und ihn einfach nur an eine fremde Frau verlieren, wäre gewiss mit häufiger Trauer und viel Schmerz verbunden gewesen. Das empfand sie jetzt gar nicht. Hier sah sie sich als eine von dreien, die sich alle untereinander mochten und liebten. Sicher zu sein, dass sie von Isabella und Pascal Anerkennung, Zuneigung und Liebe erfuhr, machte ihre Welt offen und weit, und vermittelte ihr ein Empfinden von Freiheit und Glück. Isabella hatte ihr alles gezeigt auch ihre umfängliche Sammlung an Ta­gebüchern. „Das ist nicht umsonst.“ meinte Anett, „Die Texte sind ja zum Teil druck- oder sende­reif. Die Gedanken über die Vorstellung, deine Mutter hätte dich in zerfetzten Leichenteilen wiederbekommen, wie die Mutter ihren gleich­altrigen Sohn aus Afghanistan ist doch umwerfend stark. Jede Zeitung hätte das gedruckt. Du wirst eine hervorragende Journalistin oder Redakteurin wer­den. Da bin ich mir absolut sicher.“ behauptete Anett. „Und wenn das alle ge­lesen hätten, würde man die ganze Bundeswehr auflösen.“ ergänzte Pascal. „Ja, wieso eigentlich nicht. Wegen des kalten Krieges hat man sie damals ge­gründet. Es war heiß umstritten. Der kalte Krieg ist längst vorbei, aber die Bundeswehr gibt’s immer noch. Im Prinzip gibt's ja nichts für sie zu tun. 'Bella gerunt alii'.“ meinte Anett. „Da fehlt aber noch was, meine Süße.“ machte sie Isabella aufmerksam. „Ja, tu felix Germania nube.“ ergänzte Anett, die beiden lachten sich krumm. „Willst du eigentlich mal heiraten, Anett?“ fragte Isabella. Jetzt lachte Anett so stark und anhaltend, dass sie die anderen ansteckte. „Wie kommst du denn darauf? Seh' ich etwa wie eine fette Braut aus?“ wollte Anett wissen. Sie brauchten nicht übers Heiraten zu reden. Sie wussten, dass sie auf der glei­chen Welle schwammen.


Am Abend äußerte Anett ihr Wohlbefinden und meinte, sich gut vorstellen zu können, hier dauerhaft zu leben und glücklich zu sein. „Nur keiner von uns wird einen Beruf haben, in dem er sich so etwas leisten kann.“ erklärte sie. „Meine Eltern sind auch beide Philolo­gen. Sie finanzieren dies, unterhalten sel­ber ihr dickes Haus und haben noch ein kleines in Spanien. Was sie sonst noch an Knete haben, weiß ich gar nicht“ Isabella darauf. „Ja, Glück kannst du nicht studieren. Ich hab' ja auch nicht Pascal studiert. Mein Vater hat gedacht, es wäre nur für kurze Zeit. Die kleine Klitsche würde pleite machen. Er hat sie nur übernom­men, weil er seinem Vater einen Gefal­len tun wollte, und sein Bruder es schon abgelehnt hatte. Dass sie sich zu so einem florierenden Import-Ex­port-Laden entwickeln würde, konnte ja niemand ahnen. Mami hat auch be­stimmt massi­ven Anteil daran. Sie war Lehrerin für Englisch und Französisch, na, und in spanisch ist sie ja schließlich auch perfekt. Italienisch geht mittler­weile auch so ein wenig. Mit den Korrespondentinnen gab's immer wieder Pro­bleme, und Mami sollte es überprüfen. Da konnte sie's ja gleich besser selber machen. Heute wickelt sie viele Geschäfte völlig selb­ständig ab. Manche wollen das nur mit ihr, weil viel mehr über Telefon und schnelle Internetbestätigung läuft. So wie sie das Bett gekauft hat, könnte sie heute etwas in Verona bestel­len, das morgen in Osnabrück ankommen soll. Und bei solchen Dingen ist sie wohl sehr versiert.“ erläuterte Isabella. Ob sie das denn mal übernehmen wol­le, fragte Anett. Isabella zog eine krause Schnu­te und schüttelte den Kopf. Sie habe überhaupt keinen Draht dazu, meinte sie. „Wir werden es alle drei ma­chen und Pascal wird den USA Handel aufbauen mit einer Oversea Trade Group. Dann könnten wir uns hundert solcher Wohnungen leisten.“ schlug An­ett vor und lachte. „Ja, siehst du, Anett, du hast schon den richtigen Riecher. Eine arme Kirchenmaus wirst du nicht bleiben, da bin ich mir sicher.“ meinte Isabella.


„Ach, das ist nur gesponnenes Geplapper. In Wirklich­keit ist mir das alles ge­nauso fremd wie dir. Wir sind eben verdorben, Isabella, für die realen Aufgaben dieser Welt verdorben. Wir beglücken uns an unseren eigenen und den Gedanken anderer, lieben es in den Eindrücken und Assozia­tionen unserer Wahrneh­mungen zu schwelgen und suhlen uns in dem, was un­sere Emotionen uns zu bieten haben. Unsere Welt besteht aus dem, was uns ästhetisch, hoch­geistig und sonst kulturell emotional bewegt, das reale Move­ment dieser Welt spielt sich aber in den Companies, den mit ihnen zusammen­hängenden Institu­tionen und den daraus resultierenden Einrichtungen ab. Machtbefriedigung ist ihr zentrales Moment und nicht die Lust an emotionalen, ästhetischen und so­zialen Genüsse .Unsere Welt ist ihr Zierrat.“ erläuterte An­ett ihre tatsächliche Sicht. „Das sehe ich überhaupt nicht so, son­dern grund­sätzlich völlig anders, Anett. Deine Welt, was du bist und wie du dich deutest, ist das Zentrale und Ei­gentliche, was den Menschen ausmacht. Nicht die Arbeit im Betrieb, wo er ein Adjuvans der Maschine ist oder das Le­ben in Büros, Ver­waltungen und Finanz­bereich, wo er seinen Intellekt für dem Menschen we­sensfremde Aufgaben zu verwenden gelernt hat. Wir beide haben uns noch vieles von dem einheitlichen Wesen, das wir als Menschen sind, be­wahrt. Das wird ein Grund dafür sein, warum wir uns so gut verstehen und uns gegensei­tig mögen. Wir sollten das hoch schätzen, keineswegs als geringwertig wahr­nehmen und uns so viel wie möglich davon zu erhalten suchen.“ erläuter­te Isa­bella ihre Sicht und ergänzte: „Wir können noch Leidenschaften entwi­ckeln und ihnen folgen. Und die andere versteht es, kann es nachvollziehen und würdigt es. Das ist fantastisch, und du bist da viel bewundernswerter als ich. Wir sind nicht Zierrat dieser Welt. Wir sind die Welt und das andere ist gerade keine Zierde, sondern will uns ent­fremden und in die Irre treiben, uns einreden, dass anderes, Geschäfte und fi­nanziellen Gewinn Versprechendes wichtiger seien. Dass wir noch nicht idio­tisch geworden sind, uns vieles von dem bewahrt ha­ben, was den Menschen im Zentralen ausmacht, sollten wir als Grund­stimmung unseres Lebensgefühls se­hen, stolz sein und uns darüber freuen.“ Anett sin­nierte, fixierte Pascal und Isabella, und ihre Mimik verriete, dass sie sich freu­te und sich als glücklich empfand. „Sollen wir nicht mal ein bisschen Tanzen?“ fragte sie unvermittelt und löste bei Isabella und Pascal da­mit überraschtes Lä­cheln aus. „Ja, es ist doch so, dass vom meisten, was dich erreicht, nicht nur Ohren, Augen und Ge­hirn betroffen sind, sondern dass es deinen ganzen Kör­per erfasst. Gebremst und abgeschwächt bringst du das Empfinden deines Kör­pers ja auch im­mer in Gestik, Mimik und Körpersprache ein. Sich glücklich zu empfinden, dies seinen gesamten Körper spüren und zum Ausdruck bringen zu lassen, ist für mich ein starkes Bedürfnis und lustvolles Empfinden. Es fördert die Ver­stärkung mei­nes Glücks­. Ja, in mei­nem Glück bewegen, das Glück tanzen.“ erläuterte Anett. „Nach welcher Musik würde dein Körper denn jetzt ein Verlangen spüren?“ fragte Isabella und wollte eine CD auflegen. Folglich war jetzt Disco-Time, nur Pascal musste auch noch seinen Schmuse­jazz hören. Lieb hatte man sich ja al­lemal, das gehörte selbstverständlich zum Glück, und Pascal empfand es als Ausdruck höchsten Wohlbefindens.


Mit Fabienne ins Klavierkonzert

 

Isabella und Anett telefonierten häufiger, aber über einiges musste man doch in direktem persönlichen Gespräch reden. „Es ist wundervoll.“ berichtete Anett einige Wochen später von ihrer neuen Mit­bewohnerin, Fabienne. „Sie verfügt über all das, woran es bei mir hapert, und wovon ich mir mehr wünsche. Sie ist poli­tisch aktiv, feministisch sehr versiert und hat ein Faible für bildende Kunst, für alles, von Fotographie bis Bildhauerei. Ich bin zum Model geworden, so vie­le Fotos hat sie schon von mir gemacht. Ich mag mich jetzt noch viel lieber lei­den. Ich wusste gar nicht, dass ich so schön bin.“ und Anett lachte. „Aber An­ett, hat Pascal dir das denn nie gesagt?“ gab sich Isabella erstaunt, „Aber der schaut bei Frauen ja nur auf den Po. Ob das Gesicht schön ist, kann er wahr­scheinlich überhaupt nicht erkennen. Selbst wenn er's erkennen sollte, hält er es nicht für nötig, es dir zu sagen.“ „Was für ein Schwachsinn.“ versuchte Pas­cal sich zu wehren, „Ich bin doch kein Gesäßfetischist. Außer bei dir habe ich noch nie einer Frau bewusst auf den Hintern geschaut. Und außerdem bin ich doch nicht in die ästhetische Symmetrie deiner Gesichtszüge verliebt, end­scheidend ist doch was das Gesicht mir über dich sagt.“ „Aha, und wie ist es beim Po?“ wollte Isabella auch noch wissen. „Da kommt es eben auch darauf an, was er in mir anspricht.“ Pascal dazu. „Deine Geilheit nach der Symmetrie ästhetischer Rundungen des weiblichen Körpers spricht er in dir an. Purer Ge­schlechtstrieb, mit Liebe und Zuneigung hat das nichts zu tun, mein Süßer.“ wusste Isabella es zu deuten. „Ach je, er macht es ja ganz gern, und ich habe immer gedacht, er liebt mich dabei.“ Anett dazu mit todernster Kleinmädchen Mine. Nachdem sie ausgelacht hatten, tröstete Isabella Anett: „Weißt du, An­ett, bei ihm ist das gemischt, alles zusammen in einem Topf, verrührt zu einem großen Pudding. Was da gerade wie zum Tragen kommt und überwiegt, weiß er dann selber nicht. Es ist eben immer ein Mischung. Aber die Melange ist nicht schlecht, oder?“ „Fabienne bemüht sich fleißig, das libidinöse immer stärker zu sublimieren. Nicht schlecht, aber so völlig möchte ich das auch gar nicht. Wir haben uns schon gemeinsam zwei Ausstellungen angeschaut. Ja, mit Fabienne ist neues Leben, ein anderes Leben in die WG ein­gezogen. Über fe­ministische Fragen zum Beispiel können wir endlos diskutie­ren. Meist fängt es mit einem simplen Artikel oder Buch an und wir kommen sehr schnell zu grundlegenden, philosophischen Fragen. Epis­temologisch bin ich ja schließlich auch ganz gut drauf, und da nimmt es kein Ende. Es ist für uns beide gegen­seitig äußerst be­reichernd. Sie ist so eine tolle Frau, ein Juwel, ihr Freund muss ein un­endlicher Stiesel gewesen sein. Jetzt will sie von Männern grund­sätzlich erst mal nichts mehr wissen, sondern sich klarer darüber wer­den, wer sie selbst als Frau ist. Für mich ist sie, - wie hast du gesagt? - der Stern ...“ „Hör auf zu schwärmen Anett. Du drehst noch durch. Ich freue mich jedenfalls ungemein für dich.“ meinte Pascal. Isabella umarmte sie. „Bring sie mit.“ schlug sie vor. „Oder lass dir etwas einfallen, was wir zusammen machen könn­ten.“ meinte Pascal. „Ich würde ganz gern in dieses Klavier­konzert mit Werken von Brahms, Liszt und Chopin gehen. Ist ja alles sehr ge­fällig. Wenn sie so et­was mag. Hier ist der Prospekt davon.“ schlug Pascal vor. „Ihre Musikinteres­sen kenne ich überhaupt nicht, sonderbar.“ meinte Anett und wunderte sich, dass sie darüber noch nie gesprochen hatten. „Ich höre manch­mal etwas, das muss Indie Rock sein oder so, aber auch Arien habe ich schon mal ge­hört. Hät­te die Netrebko sein kön­nen. Warum habe ich eigentlich nicht gefragt? Ich muss doch sonst alles von ihr wissen.“ Aber Fabienne mochte auch Klaviermu­sik und Liszt besonders. Sie hatte früher selber mal Klavierun­terricht gehabt, aber sie mochte den Flohwal­zer und den 'Fröhlichen Land­mann' zu sehr. Warum sollte sie da noch kompli­ziertes Neues lernen. Im Kon­zert musste Anett ihr erklären, warum Pascal sich bei der 'Ungarischen Rhap­sodie Nummer 2 von Franz Liszt' immer die Au­gen rieb. Die drei Frauen blick­ten sich an und schmunzelten.

FIN

 

 

La raison peut nous avertir de ce qu'il faut éviter,le coeur seul nous dit ce qu'il faut faire. "

J. Joubert

„Ich würde es gern länger, ganz lange genie­ßen. Verstehst du? Ich möchte unsere Liebe auch körperlich endlos spüren können.“ erläuter­te Isa­bella und lächelte schel­misch. „Sag mal, Pascal, findest du mich eigent­lich schön und begehrenswert?“ fragte Isabella plötzlich und Pascal bog sich vor Lachen. „Ja, das stimmt, Isa­bella, man müsste sich das ei­gentlich auch sa­gen, nur jetzt? Und wie sollte ich es denn formulieren: „Du bist so schön Isa­bella, ich be­gehre dich.“?“ überlegte Pascal. Dafür bekam er einen Boxhieb. „Ein unstill­bares Verlangen nach der Schönheit deines Kör­pers durchwogt all mein Begeh­ren.“ wäre das poetischer?“ erkundig­te er sich bei Isabella. „Pascal, du bist böse und machst dich über mich lustig.“ meinte Isabella mit nicht erns­ter Schmollmimik. „Meine Liebste, du weißt doch, dass ich dich für die Frau mit dem schönste Po der Welt halte, die Isabella kallipy­gos, und dein Gesicht ist meine Sonne, sie bringt alles zum Strahlen und durchwärmt mein Herz. Kannst du mein Begehren auch ein­fach so spüren, ohne dass ich öfter mal Brunft­schreie ausstoße?“ reagierte Pas­cal. „Ja, für Frauen, die meis­ten wenigstens, ist es schon bedeutsam, be­gehrt zu werden, während Männer mit der Einstel­lung ge­boren werden, dass es bei ih­nen per se der Fall sein muss.“ erklärte Isa­bella. „Natürlich, sie schmücken sich ja auch mit modi­scher Klei­dung und an­deren Accessoires, weil beim Menschen die Weibchen die akti­ve Rolle im Balz­verhalten haben.“ erläu­terte Pascal. „Aha, und wie war die Balz deines Weib­chens? War sie bei dir erfolgreich, ja?“ fragte Isabella und fügte dem hin­zu: „Dann darfst du aber jetzt auch nicht nur träu­men und schmusen wol­len, mein Liebs­ter, dafür habe ich doch den ganzen Auf­wand der Balz nicht betrieben.“

 

 

 

Leidenschaft und Begierde Isabella und Pascal – Seite 41 von 41

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Tag der Veröffentlichung: 05.06.2013

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