Cover

Introduction und Inhalt

 

Carmen Sevilla

 

Bea rastet nie mehr aus

Date an einem Erderwärmungstag

 

Erzählung

 

 

Ne rêve pas ta vie - vis ton rêve

Eigentlich hatte ich bei der Partnervermittlungsagentur ja nicht wirklich eine Frau gesucht. Ich sah es eher als Joke, den ich mal probieren wollen, hatte aber Bea kennengelernt, und bevor es ernsthaft begonnen hatte, war es schon wieder vorbei. Warum war ich so enttäuscht, als ob mich eine langjährige gute Freundin ver­lassen hätte, obwohl mir selbst noch nicht mal wirklich klar war, ob ich Bea überhaupt lieben würde. Es tat mir weh, äußerst weh, all das mit ihr Verbunde­ne plötzlich zu verlieren. Ob ich sie liebte oder nicht, eine müßige Frage eigent­lich, sie war zum Quell meiner täglichen Lebensfreude geworden. Ihre neckischen E-Mails, waren kein nettes Aperçu. Ich wartete gespannt darauf, und freute mich sie zu beantworten. Gedanken an sie waren immer mit wohlig freudigen Emp­findungen verbunden. Das alles gab es auf einmal nicht mehr, sollte nicht mehr als ein kurzer Traum gewesen sein.

Ende Juni erhielt ich eine Ansichtskarte aus Belém in Portugal: „Hallo Chris, ich mache hier Urlaub. Alles total spannend, erlebe es zum ersten mal. Ich hoffe du bist nicht mehr so frech. Deine Bea“. Was hatte das denn zu bedeuten? 'Meine Bea' schickt mir nach fast einem Jahr Funkstille eine Urlaubskarte aus Portugal mit einer lustigen Bemerkung. Mit wem machte sie denn Urlaub? Al­lein doch wohl kaum. Hatte sie jetzt jemanden ohne 'verlogenen Männermist' gefunden? Ihre Tochter, mit der sie zusammen in Urlaub war, habe ihr vorgeschlagen, mir doch eine Karte zu schicken, weil sie doch immer noch von mir träume. Wie bitte? Bea von mir träume? „Bea, ich glaube du willst mich auf den Arm nehmen.“ meinte ich zu ihr. „Nein, nein, Chris, das ist schon so. Vergessen habe ich dich nicht.“ erklärte sie. „Kannst du dir vorstellen, dass ich mich nicht getraut habe.“ Das konnte ich nicht. Sie erklärte mir, ihre Ansicht sei gewesen, dass ich sie für völlig übergeschnappt hielte, was auch zuträfe, und ich mit ei­ner so Durchgedrehten sicher nichts hätte zu tun haben wollen. Der Gedanke habe ihr sehr weh getan, und da habe sie lieber von unseren wenigen schönen Tagen und Erlebnissen geträumt.

 

Bea rastet nie mehr aus - Inhalt

 

Bea rastet nie mehr aus 4

Erderwärmungstag 4

Meine Partnerin 4

Romantik versus Stupidität 5

Partnervermittlungsagentur 5

Exkurs über Kolleginnen und Geschwisterliebe 6

Reaktionen der Partnervermittlung 6

Projektmanagerin 7

Erster Date 7

Trennung Privat - Beruf 10

Empfindungen für Bea 10

Second Date 11

Reflexionen 12

Reaktion und warten 13

Partnersuche 13

Ansichtskarte aus Portugal 14

Treffen in Meerbusch 14

Verliebt 16

Beas Erklärungen 18

Beas Therapie 20

Abendessen und Nacht 22

Gedanken in Duisburg 24

Bea in Duisburg 25

Umzugspläne 27

Aus dem gemeinsamen Leben 27

Kleine Katastropen mit großen Wundern 28

 

Bea rastet nie mehr aus

Schließlich öffnete sie ihren Mund und erklärte: „Das war's dann wohl. Ich werde jetzt fahren.“ „Bitte Bea, sag mir doch was los ist.“ flehte ich sie an, „Lass es mich doch wenigstens wissen, was ich Falsches gesagt oder getan habe.“ Und ich fügte einfach hinzu: „Ich liebe dich, und ich möchte dich nicht verlieren.“ „Chris, ich habe dich auch geliebt, und bin einfach blind davon ausgegangen, dass du ein anderer Mann seist. Aber leider habe ich mich getäuscht, und diesen ganzen verlogenen Männermist mache ich ein für alle mal nicht mehr mit.“ erklärte sie mir. „Bea, was ist denn der 'verlogene Männermist' an dem, was ich getan, und dir einfach so aus mir selbst heraus freimütig erzählt habe.“ wollte ich wissen.

Erderwärmungstag


Du wirst die richtige Sonnenkreme wählen müssen, auch wenn du nur für eini­ge Zeit im Gartencafé sitzen willst. Es ist ein heißer Sommertag mit brennen­der Sonne. Ein Tag mit hohen Temperaturen, wie schon die vierzehn voran ge­gangenen auch. Einen schönen warmen Sommer hatten wir in diesem Jahr, würde man reflektierend am Silvesterabend sagen, doch seit einigen Jahren waren schöne warme Sommer zu einem Menetekel der bereits begonnen Er­derwärmung geworden. Jetzt musste ich mir ein schlechtes Gewissen machen, dass ich es für toll hielt, fast nackt am PC sitzen zu können, dass ich es als schöner empfand, wenn die Menschen in luftigen und knappen Bekleidungen herumliefen, und ich die Luft der lauen Sommernacht unter einem leichten Tuch im Bett genießen konnte. Ich liebte diese heißen Tage im Sommer sehr, jetzt sollte ich sie nicht genießen können, weil sie eventuell das Omen späterer katastrophaler Entwicklungen sein könnten? So ein Quatsch. Natürlich sah ich die bösen Folgen der von den Menschen bewirkten Erderwärmung. Selbstver­ständlich wurde viel zu wenig getan, um diese fortschreitende Entwicklung zu stoppen. Ein schöner Sommertag blieb aber trotz allem ein freundlicher Genuss für mich, und würde sich niemals zu einem hässlichen Erderwärmungstag ent­wickeln.


Meine Partnerin


Deshalb lag mir auch keine Art von Katastrophenerwartung im Sinn, als ich zu meinem ersten Treffen mit einer Frau aus der Partnervermittlung fuhr. Eigent­lich suchte ich gar keine Partnerin, oder zumindest nicht unbedingt. Ein reines Spiel zum Zeitvertreib war es für mich aber auch nicht. Ich konnte mir schon ausmalen, wie schön es wäre, verliebt mit einer Frau zu leben, hielt mich aber für gelassen genug, zu akzeptieren, dass so etwas für mich in meinem Alter, ein außergewöhnlicher Zufall bleiben würde. Als Ersatz einfach mit einer Frau zusammenleben, gegen die ich nichts einzuwenden hatte, das wollte ich nicht. Ich hatte seit der Trennung von meiner Frau zwei andere Frauen näher ken­nengelernt. Beide Male war es das gleiche. Wir mochten uns, trafen uns öfter, konnten uns ausgezeichnet unterhalten, es freute mich, mit ihnen zusammen zu sein. Je mehr selbstverständlicher die Beziehungen wurden, umso öfter dachte ich an die Perspektiven. Die Bilder die sich mir darstellten gefielen mir nicht. Wenn diese Frau jeden Abend neben mir im Bett läge, würde ich Lust haben, mich auf sie einzulassen, würde ich Lust haben, sie glücklich zu ma­chen, würde ich Lust haben, sie zu lieben? Ich fand sie ganz nett und hätte sie akzeptieren können, aber mehr war es nicht. So wollte ich nicht mit einer Frau zusammenleben, für eine Wohngemeinschaft hätte es vielleicht gereicht, aber nicht für eine enge persönliche Beziehung.


Romantik versus Stupidität


Schon möglich, dass meine Vorstellung, mein emotionales Bedürfnis von einem Schuss Romantik geprägt war, wie meine Frau meine Kritik an unserer Bezie­hung immer beurteilt hatte. Aber dieses 'die Tage neben einander herlaufen und im Bett gegebenenfalls die sexuellen Bedürfnisse aneinander abreagieren', konnte ich für mich nicht als normal oder zufriedenstellend akzeptieren. Es störte mich, ärgerte mich, brachte mich immer mehr auf die Palme. „Selbst wenn das Romantizismen sind, wie du meinst,“ hatte ich einmal zu meiner Frau gesagt, „dass ich in der Welt, in der du angekommen bist auf keinen Fall leben will und werde, weiß ich bestimmt. Wenn ich Lust hätte, dich zu lieben, wolltest du es gar nicht, weil es dir eine überflüssige Anstrengung bedeutete. Das ist für mich nicht normal, natürlich, oder selbstverständlich, wie du sagst, das ist schlicht und einfach tot. Da lebt nichts mehr, außer deiner Physiologie. Da existierst du nicht mehr.“ Eine ähnliche Entwickelung wäre für mich denk­bar, wenn ich mit einer Frau zusammenleben sollte, die ich nur ganz nett fän­de. Es gab sicher sehr viele Paare, die so lebten, wie meine Frau es als ganz normal empfunden hatte, und die die Trostlosigkeit ihrer Beziehung als große Abgeklärtheit betrachteten.


Partnervermittlungsagentur


Auch unter den Frauen aus getrennten Beziehungen, gab es sicher viele, die von einer neuen Beziehung nichts anderes erwarteten, als ein lahmes 'sich-gut-verstehen'. Andere allein stehende Frauen, hatten ihr Interesse an Män­nern ganz aufgegeben, aus welchen Gründen auch immer, und wieder andere, die ihren geliebten Partner verloren hatten, konnten sich nicht vorstellen, mit einem anderen Mann glücklich zu werden. Die Chancen für mich mit meinen 56 Jahren waren nicht eben groß, das glaubte ich, sehr realistisch zu sehen, und akzeptiere es auch, lieber allein zu leben, als unter quälenden Verhältnissen mit einer Frau. Ich suchte nicht intensiv nach einer neuen Beziehung, hatte viele Freunde und Bekannte und fühlte mich in meinem derzeitigen Zustand nicht unwohl. Durch Zufall hatte ich von einer Partnervermittlungsagentur, wo­für ich mich noch nie interessiert hatte, gehört, die nach wissenschaftlichen Methoden arbeiten, und die höchsten Vermittlungserfolgsquoten haben sollte. Ich wollte gar keine Partnerin suchen, sondern mir nur mal das Konzept an­schauen. Dann fand ich es interessant mitzuspielen, um zu sehen, was bei mir wohl durch die Tests für ein Typ entstehen würde, gleichzeitig war man da­durch aber auch für alle anderen Beteiligten, anonym natürlich, einsehbar und ansprechbar. Die am besten nach Prozenten zu mir passten, waren fast alles Lehrerinnen. War der Beruf ein so wesentliches Kriterium, oder hatte ich als Lehrer an einem Gymnasium selbst so viele Lehrer typische Eigenschaften ent­wickelt, die ich im Test nicht verbergen konnte. Ich vermutete eher das erste, denn ich konnte mir anhand der Profile der Personen sonst oft nicht erklären, warum ausgerechnet diese Person gut zu mir passen sollte.


Exkurs über Kolleginnen und Geschwisterliebe


Nach meinem Weltbild dürften Lehrerinnen in der Regel eigentlich alle nicht zu mir passen. Für mich gab es zwei Sorten von weiblichen Wesen: Frauen und Lehrerinnen. Die meisten weiblichen Lehrkräfte mutierten schon während ihres Referendariats oder kurz danach von Frau zur Lehrerin. Manche schienen es schon während des Studiums geschafft zu haben, vielleicht waren einige ja auch schon gleich als Lehrerin geboren worden. Ich weiß gar nicht, ob es eine Art von weiblicher erotischer Ausstrahlung ist, die auf mich wirkt, es ist in mir einfach nur ein angenehmes freundliches Gefühl, sich mit einer Frau zu unter­halten, und das traf bei uns an der Schule für mich nur auf eine Kollegin zu. Sie war für mich ein Zeichen, dass es auch anders möglich sein konnte, bezie­hungsweise die die Regel bestätigende Ausnahme. Dass ich sie gut leiden konnte, beruhte auf Gegenseitigkeit. Warum das so war, haben wir nie analy­siert. Wir vertraten meistens die gleichen Ansichten, aber verstanden uns auch so gut, dass wir gegensätzliche Meinungen streitend klären konnten. Ein wenig verhielten wir uns, wie ein leicht verschworenes Paar, blinzelten uns zu, wenn jemand in der Konferenz Unsinniges sagte, und unterstützen uns gegenseitig in unseren Beiträgen. Manche Kollegen waren sicher der Ansicht, dass wir uns mehr als nur gut verstehen würden, aber es gab überhaupt nichts. Sie war nicht nur glücklich verheiratet und hatte zwei fast erwachsene Kinder, was ich niemals hätte stören wollen, sondern ich konnte mir auch gar nicht vorstellen, sie in Liebe umarmen und küssen zu wollen oder derartiges. Obwohl ich sie für eine schöne attraktive Frau hielt, löste sie in mir keine erotischen Begehrlich­keiten aus. Wir waren uns außergewöhnlich vertraut aber eher wie Geschwis­ter. Wenn wir nebeneinander im Bett gelegen hätten, wären wir uns wahr­scheinlich einig gewesen, dass sich doch jeder einen eigenen Partner suchen solle, hätten uns aber dann wahrscheinlich ständig darüber informiert, wie's denn war und wie's denn liefe. Eigentlich eine ungewöhnliche Situation, aber ich hatte zu Frauen, nicht zu Lehrerinnen, auch bei meinen Bekannten meis­tens ein besseres näheres Verhältnis als zu den Männern.


Reaktionen der Partnervermittlung


Ich war gespannt, ob sich auf meine Annonce, beziehungsweise meine Be­schreibung bei der Partnervermittlung wohl jemand melden würde. Ich wusste gar nicht wie mir geschah. Unmengen an E-Mails von interessierten Damen sammelten sich bei mir. Ich schaute noch einmal in meinem Profil nach. Unge­wöhnliches konnte ich darin nicht finden. Ob es einfach so viele allein stehende Frauen gab, die unermüdlich auf Partnersuche waren, und jeder Mann prinzipi­ell so viele Antworten erhielt. Keine Ahnung. Natürlich befanden sich unter den Reagierenden sehr viele Lehrerinnen, bei denen ich wohl als ein möglicher Fa­vorit aufgetaucht war, aber es gab auch andere Interessentinnen. Bei einer Apothekerin musste ich an die Frau meines Apothekers denken, die auf mich immer, obwohl ich sie gar nicht kannte, den Eindruck machte, sie sei noch ein großes Stück trüber geworden als meine Frau. Eine Ärztin? Na ja, wie sie sich beschrieben hatte, löste in mir auch nicht gerade freudige Empfindungen aus.


Projektmanagerin


Eine Projektmanagerin hatte geschrieben, sie fände meine Beschreibungen sehr, sehr interessant und würde sich über eine Rückmeldung von mir freuen. Eine Frau im Projektmanagement? Interessant fände ich es schon, so eine mal kennenzulernen. Ich hatte eigentlich keine Ahnung von Projektmanagement, hatte aber eine untergründige Achtung vor der Vielzahl an Kompetenzen, die diese Menschen beherrschen mussten. Dazu noch eine Frau, die Interesse an einem Oberstudienrat hatte. Kurios empfand ich das. In ihrem Profil konnte ich auch nichts Negatives erkennen, es sagte mir zu. Warum sie nicht mit einer hohen Korrelation auf meiner Favoritenliste aufgetaucht war, konnte ich mir nur dadurch erklären, dass sie keine Lehrerin war. Ohne Mitglied zu werden und Beiträge zu zahlen, konnte ich der Frau nicht antworten. Sollte ich mir den Spaß doch gönnen, um diese Frau kennenzulernen, obwohl ich es eigentlich nie vorgehabt hatte. Ich schrieb ihr, dass ich ihr Profil auch sehr interessant ge­funden hätte. Ich mir gar nicht vorstellen könne, was sie von einem Lehrer wolle, und mich interessiere, was sie speziell denn an meinem Profil so inter­essant fände. Sie antwortete, das meine Worte ihren Eindruck weiter bestäti­gen würden, und sie mir das gerne persönlich sagen, und mit mir darüber sprechen würde. Sofort treffen? Warum nicht, umso besser. Wir stritten uns scherzend per Mail noch ein wenig über den Ort, und einigten uns schließlich auf ein Café am Rhein im Norden von Düsseldorf.


Erster Date


Ich war kurz vor dem vereinbarten Zeitpunkt eingetroffen, weil man Madame ja nicht warten lässt. Meine Sonnenkreme hätte ich mir sparen können, denn wir saßen im Schatten großer Platanen. Als sie auf mich zukam, und wir uns die Hand gaben, stellte sie sich vor als „Bea Wolff“. „Muss ich mich jetzt auch vorstellen Frau Wolff, oder erkennen sie mich auch so?“ fragte ich lächelnd. Sie lächelte auch, und meinte scherzend: „Sie sind schon wieder so frech, Herr Lo­renz. Ich glaube nicht, dass es so mit uns etwas werden kann.“ Sie wollte so­fort wissen, warum ich denn auf ihre Mail geantwortet habe und ob ich drin­gend eine Freundin suche. „Nein, nein, Frau Wolff, ich erzähle ihnen das alles gerne, aber zunächst müssen sie mir erzählen, warum sie auf mein Profil rea­giert haben, und es sehr, sehr interessant fanden. Weil sie mir das mündlich vermitteln wollten, haben wir uns jetzt hier getroffen.“ erwiderte ich ihr. Sie fi­xierte mich lächelnd, und begann: „Na gut, also ich kann gar nicht sagen, was es genau war, sie hatten nur in mehreren Bereichen ungewöhnlich auf die Fra­gen reagiert. Während alle anderen immer brav mit 'ja','nein' oder Aufzählun­gen reagieren, fielen ihre Antworten häufig auf. So hatten sie zum Beispiel auf die Frage, ob sie ein Instrument spielen nicht einfach mit 'nein' geantwortet, sondern geschrieben: 'leider habe ich mich gegen meine Eltern durchgesetzt'. Das ist wie eine kleine lustige Geschichte, die etwas über den Schreiber ver­mittelt. So ähnlich hatten sie mehrfach geantwortet, so dass sich mir ein Bild von einem Mann vermittelte, den ich sehr gerne mal kennenlernen würde. Und in ihren Mails haben sie meine Vorstellung bislang nur bestätigt. Jetzt müssen sie mir aber erzählen, warum sie auf mich reagiert haben, und meine Erwar­tungen auch in der Realität bestätigen.“ Ich erklärte ihr, wie es dazu gekom­men war und Bea Wolff reagiert: „Sie suchen also gar keine Freundin, sondern wollen nur mal schauen, wie eine Projektmanagerin aussieht. Dann kann ich ja gleich wieder fahren, denn von Projektmanagement werde ich ihnen absolut überhaupt nichts erzählen.“ Ich musste laut lachen und sie hielt ihre Vermu­tung auch wohl nicht für ganz ernst. „Nein, nein“ antwortete ich „sie gefallen mir, sie gefallen mir sehr als Frau Bea Wolff. Nur das konnte ich mir bei einer Frau, die Projektmanagerin ist gleich eher vorstellen, als bei einer Frau die Lehrerin ist. Und meine ärgste Befürchtung war, dass sie mich enttäuschen, und mir heute etwas von Projektmanagement erzählen wollten.“ „Sie sind ein Schatz.“ bemerkte Frau Wolff, „Wir unterhalten uns so locker aber reden uns so steif an. Mir würde es besser gefallen, wenn sie mich einfach Bea nennen, egal ob aus uns mehr wird oder nicht. Ich finde es einfach für hier und jetzt passender und angenehmer.“ „Selbstverständlich,“ reagierte ich „ich bin dann einfach der Chris, Christian wäre zu förmlich, wenn du mich schon Schatz nennst. Ich wollte dir aber noch etwas dazu sagen, ob ich wirklich eine Freun­din suche.“ Ich erzählte ihr sehr viel über mich, und meine Vorstellungen von Beziehungen und Liebe, mein Verhältnis zu Frauen und meine Erfahrungen und Enttäuschungen. Bea lauschte aufmerksam schweigend meinen Darstellungen, und brachte unvermittelt ein „Schön!“ mit langem Ö hervor. Dann verhärtete sich plötzlich ihre Mimik. Sie ordnete geschäftsmäßig unser erstes Treffen ein und machte Planungsvorgaben für unser nächstes Treffen. Was war gesche­hen. Hatte sie 'schön' gesagt und 'blöder Unsinn' gemeint? Nein das passte auch nicht. Hatte sie vielleicht wirklich die ganze Zeit etwas anderes im Hinter­kopf gehabt, als unser teils launiges Geplänkel. Nein, auch das passte nicht. „Frau Wolff,“ sagte ich ernst, „ich bin mir nicht sicher, ob es ein nächstes Tref­fen geben wird.“ „Wieso, habe ich etwas Falsches gesagt?“ fragte Bea erschro­cken. Ich erklärte ihr, die Art wie sie gesprochen habe, vermittele mir den Ein­druck, dass ich Teil eines ihrer Projekte sei, der Gedanke zerstöre in mir alle vorherige Sympathie. Es sei für mich völlig widersprüchlich zu unserem bishe­rigen Gespräch, und das müsse sie mir erklären, sonst habe ich nicht unbe­dingt Lust, mich noch mal mit ihr zu treffen. Bea rührte in ihrem fast kalten Kaffeerest, starrte auf den Rhein und sprach dann: „Ich sag das mal. Ich habe ein Problem. Im Job bin ich total cool, da läuft alles reibungslos, da funktioniert alles. Macht mir auch Spaß, bin ich auch stolz drauf. Ich komme auch gar nicht auf andere Gedanken, aber privat, da ist alles Formale weg, da bin ich die rei­ne Seele. Ich sehe alles nur emotional, ob mir etwas Lust macht, ob mir etwas gefällt. Es kommt mir manchmal so vor, als ob auf dem Weg vom Büro nach Hause ein anderer Mensch aus mir wird. Das Emotionale dominiert dann ein­deutig über die Rationalität. Eigentlich genieße ich das, aber es macht mir auch manchmal Angst, und wenn ich mir dann sagen will: „Bea sei vernünftig!“ ver­falle ich wahrscheinlich in diesen Jobstil, als Schutz davor, etwas Unsinniges zu tun. Mein 'Schön' vorhin war für mich selbst ein Auslöser. Ich mag dir gar nicht sagen, was ich wirklich empfunden habe, ich sage dir einfach nur, dass ich es als gaga bezeichnen würde. Wahr ist aber, dass ich dich sehr, sehr mag, und du mir sehr gut gefällst.“ Ich wusste nicht, wie ich das empfinden sollte und wie ich darauf reagieren könnte. Es würde mich zu Hause noch mal beschäfti­gen. Sympathie für sie und Interesse an ihr hatte ich schon, auch wenn mir das kalte Dominagesicht von vorhin missfiel. Sie wirkte überhaupt nicht wie eine straff organisierte fünfundfünfzigjährige Managerin. Ihr Verhalten und Re­den erweckten eher den Eindruck einer quirligen Studentin und ihr Erschei­nungsbild hätte man auch eher auf fünfundvierzig Jahre geschätzt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass diese Frau jemals eingeschlafene Beziehungen als normal und zufriedenstellend betrachten würde. Ich erklärte einfach, das sie mir zwar von ihrer Ansicht zu meinem Profil berichtet habe, ich aber von ihr noch nicht wisse, warum sie sich überhaupt an die Partnervermittlung gewandt hätte, da sie doch stets von Männern umgeben sei, und was sie im speziellen mit einem Lehrer wolle. Bea grinste und sagte: „Das mit dem Lehrer ist schnell erklärt. Du unterrichtest doch Englisch und Französisch, das ist gut, das kann ich immer gebrauchen. Da kann ich mir einen Korrespondenten sparen. Nein Quatsch, das ist mir völlig egal. Ich habe da einfach gar keine Vorurteile. Das hat mich einfach überhaupt nicht interessiert. Die andere Geschichte ist etwas länger und schwieriger, und es fällt mir auch schwerer, sie dir zu erzählen. Ich will's mal ein wenig zusammenfassen. Bei meinem Mann war der Unterschied zwischen Arbeit und Privat noch extremer. Der konnte im Beruf ein richtiges Schwein sein, und zu Hause war er der liebe kleine Junge. Unsere Beziehung war wie eine richtige süße Kinderliebe. Jeder umhegte und umspielte den an­dern. Absolute Idylle. Die Sau rauslassen konnte man ja im Job. Ihm gehörte die Firma, was aber keiner wusste. Alle hielten ihn für den Geschäftsführer der Investoren. Seit er verunglückt ist, gehört sie zur Hälfte mir und meiner Toch­ter. Wir lebten aber schon jahrelang vorher getrennt. Er hatte bei all unserer Idylle angefangen mit anderen Frauen zu schlafen. Hat es mir immer brav be­richtet, und konnte es sich gar nicht erklären, warum er es getan hatte. Beim ersten mal war ja auch noch sofort alles vergeben und vergessen, beim siebten oder achten mal habe ich ihn rausgeschmissen. Ich konnte diese Absurdität nicht mehr ertragen. Unser gemeinsames Leben erschien mir nicht mehr wie eine kindliche Idylle, sondern wie eine verlogene Farce, die ich nicht länger le­ben wollte. Ich war froh, es beendet zu haben. Es tat mir auch gar nicht weh. Das hatte es vorher getan, jetzt fühlte ich mich frei. So völlig frei war ich aber doch wohl noch nicht. Ich sah in Männern immer Menschen, auf die man sich nicht würde verlassen können, die einem die heißesten Liebesschwüre ins Ohr säuseln, um einen morgen kaltschnäuzig zu betrügen. Bei allen hatte ich Angst, sie könnten sich prinzipiell ähnlich verhalten, wie mein Gerd. Immer versuchte ich mir vorzustellen, wie sie mich wohl betrügen würden, und das ließ mich jedes mal das Interesse an ihnen verlieren. Ich wollte ja einen Mann, ich wollte ja lieben und geliebt werden, aber es funktionierte so nicht. Meine Tochter riet mir zu einem Therapeuten, was ich auch dankbar aufgenommen habe, und dazu geführt hat, dass ich mich heute tatsächlich frei fühlen kann.“

„Liebste Bea,“ redete ich sie an, die Flapsigkeit vom Beginn unseres Treffens war verschwunden, aber für ein erstes Treffen einer Partnervermittlungsfirma waren wir doch schon sehr vertraulich geworden, „ich wüsste doch allzu gern etwas von dem, was du empfunden hast, und was du als gaga bezeichnen wür­dest.“ „Warum willst du das wissen? Cool bist du auch nicht, und neugierig obendrein.“ antwortete sie, beugte sich vor, zog meinen Kopf zu sich und gab mir einen Kuss, „Ja, als ich dir zuhörte, dich anschaute, deine Stimme in mei­nen Ohren spürte, war ich einfach hin und weg. An was ich dabei gedacht habe, kann ich dir jetzt einfach nicht erzählen. Vielleicht entwickelt sich ja et­was, so dass ich dir das später mal erzählen kann. Nimm's einfach so, dass sich mein Eindruck von dir mehr als bestätigt hat. Dass ich total froh bin, dass wir uns getroffen haben, und wenn's dir auch gefallen hat, träume ich heute Abend von uns beiden. Würde dir das gefallen?“ „Natürlich,“ reagierte ich sofort, obwohl mir gar nicht klar war, wie ich das alles bewerten sollte, meine Erklärungen hätten wahrscheinlich holprig geklungen. Ich sagte nur, dass unser Treffen für mich viel mehr bedeutet hätte, als ich mir habe vorstellen können, und dass ich es für selbstverständlich hielte, dass wir uns wiederträfen. Zeitpunkt und Ort wollte Bea lieber per E-Mail ausmachen, da ihr das beim letzten Mal Spaß gemacht habe, und vielleicht würde es ja jetzt wieder ähnlich lustig.


Trennung Privat - Beruf


Der Gedanke an Bea beschäftigte mich ständig. Die Frau, die ich in Düsseldorf erlebt hatte, war keine Projektmanagerin gewesen, bis auf die paar kuriosen Sentenzen vielleicht. Sie war eine weiche, warmherzige und zugleich lustige und neckische Frau. Aber wie konnte ein Mensch am gleichen Tag so divergie­rende Rollen spielen. Das empfand ich nicht nur als ungewöhnlich, sondern auch als beängstigend. Wie ich sie erlebt habe, hat sie mir außergewöhnlich gut gefallen. Aber die Vorstellung, dass sie auch täglich ihre Dosis an kalter Dominanz braucht, erschreckte mich. Vielleicht lebte sie ja in zwei Welten, aber die Merkmale einer krankhaft gespaltenen Persönlichkeit trafen ja auf sie überhaupt nicht zu. Sie konnte zwei Leben leben, und in beiden glücklich sein. War das bei anderen auch so? War ich in der Schule ein völlig anderer Mensch als zu Hause? In gewissem Umfang sicher schon. Ich hatte mir darüber nur noch nie Gedanken gemacht, aber ich musste feststellen, dass ich teilweise im Unterbewusstsein schon so gehandelt hatte. Meine Freunde und Bekannten hatten mit dem Kollegium nichts zu tun. In sofern schien es schon zwei sepa­rate Bereiche in meinem Leben zu geben. Andererseits waren durch die vielfäl­tigen Aktivitäten für die Schule zu Hause, die Bereiche auch sehr stark ver­mengt. Ich sah es so, dass mir ein gewisses Maß an Trennung schon wichtig war, aber eine völlige Divergenz wie bei Bea gar nicht möglich und auch nicht wünschenswert gewesen wäre. Vielleicht war es ja auch die hochgradige Ver­mischung von Beruflichem und Privaten, die Lehrer zu ungewöhnlichen Men­schen werden ließ, da sie auch im Privatleben immer noch viel mehr Lehrer waren, als dies bei anderen Berufen gemeinhin der Fall war. Vielleicht wirkte sich das auch in meinem Bild bei Lehrerinnen auf die weibliche Ausstrahlung aus. Aber Beas Diskrepanz zwischen Beruf und Privat schien mir doch so au­ßergewöhnlich, dass ich sie dazu noch einmal näher fragen würde.


Empfindungen für Bea


Außer ihrer ungewöhnlich Trennung von Privatem und Beruflichem erfüllte mich das gesamte Treffen mit Rätseln. Ich wollte sie eigentlich nur mal ein we­nig kennenlernen, ein wenig mehr von ihr hören, als in ihrem Profil zu lesen war. Die Angaben aus ihrem Profil waren mir gar nicht mehr präsent und auch überflüssig. Sie hatte mir gleich so etwas Ähnliches wie eine Liebeserklärung gemacht, und ich? Wie sah ich sie eigentlich selbst? Liebesempfindungen, nein so konnte ich das nicht nennen, aber dass ich sie interessant finden würde, war auch zu schwach. Unsere E-Mails hatten schon so etwas wie neckisches Liebesgetändel. Vor allem auch, dass wir uns fast jeden Tag schrieben. „Chris, ich warte immer auf deine Mails, freue mich wenn ich sie lese und habe große Lust, darauf zu antworten, aber noch mehr Lust und Freude würde es mir machen, dich lebendig zu treffen, zu sehen und mit dir zu reden. Wie ist das bei dir? Möchtest du das auch?“ In so ähnlich kuriosem Stil verfasste sie ihre Mails. Sie hatten oft so eine bewusst naiv leicht provokante Note, dass sie mich nicht nur amüsierten, sondern auch zu einer entsprechenden Replik kitzelten.


Second Date


„Komm doch einfach zu mir. Mir gefällt's hier gut, und du kannst ja mal che­cken, ob's dir hier auch gefallen würde.“ Mir sei das noch ein wenig zu riskant, da sie ja höchst wahrscheinlich auch ein Bett in ihrer Wohnung besitze. Und ich nicht wisse, wem ich mehr misstrauen würde, ihr oder mir selbst. Mir sei es für unser kommendes Treffen jedenfalls lieber, dies an einem Ort ohne Bett in der Nähe stattfinden zu lassen. Wir trafen uns wieder in einem Landgasthaus zwi­schen Düsseldorf und Duisburg, aber dieses Mal drinnen. Denn die heißen Sommertage waren zu Ende gegangen, und draußen regnete es. Wir begrüß­ten uns selbstverständlich mit einem Kuss, und Bea setzte sich neben mich auf die Couch. Wir schauten uns an, lächelten und strahlten, wie wenn ein ganz vertrautes Pärchen hier nebeneinander säße. Wie ein Schutz davor, dass wir uns gleich küssend in den Armen liegen könnten, fing ich an zu reden: „Bea ich mag dich, ich mag dich sehr, aber für mich kommt das alles völlig überra­schend. Ich kann mir mögliche Perspektiven noch gar nicht vorstellen, mir ist alles noch so unklar, ich brauche noch ein wenig Zeit.“ Bea ging gar nicht dar­auf ein, und bemerkte unvermittelt: „Ich habe von dir geträumt, Chris. Nicht nur so beim Einschlafen träumend an dich gedacht, du warst richtig bei mir im Traum, aber was erzähle ich nicht.“ Na, dann war's ja auch so klar. Wahr­scheinlich dadurch angeregt, fragte ich sie. Ob sie denn seit der Trennung von ihrem Mann überhaupt keine intime Beziehung zu einem Mann mehr gehabt habe, und wie sie das denn aushalte. „Was für 'ne blöde Frage, was macht Mensch denn, wenn er sexuelle Bedürfnisse hat, und allein ist. Weißt du dann etwa nicht, was du dann machen sollst?“ antwortete sie fragend. „Ja, ja natür­lich, aber ich habe da eigentlich sehr wenig Lust zu, und mach es sehr selten. Ich habe so eine ganz sonderbare Beziehung zu einer Frau, eine gute Bekannte von mir. Sie kam mal einmal und wollte sich ausheulen über alles, sie schien völlig fertig. Ihr ging es aber zunehmend besser, und sie bekam Lust auf mehr, als nur ihren weinenden Kopf auf meine Schulter zu legen. Ich wollte das nicht, weil ich mit der ganzen Familie befreundet war. Sie versuchte mich aber immer mehr zu überreden, es sei ja ihre Schuld, und nur dies eine Mal, es würde ihr in ihrer Situation bestimmt gut tun. Ich brauchte mich nicht dazu zwingen, und konnte mein schlechtes Gewissen damit beruhigen, ihr ja damit zu helfen.“ be­richtete ich und erzählte weiter, dass sich derartige Treffen, seitdem öfter wie­derholten. Beas Gesichtszüge hatten sich verändert. Sie schaute mich an, hör­te genau zu, lächelte aber nicht, sondern blickte ernst. Sie fixierte mich mit unangenehmem Blick. Ich hatte schon beim Erzählen gemerkt, dass ich etwas Falsches von mir gab. Was? Es konnte nur die Frau sein. Aber ich konnte ja nicht mitten in der Erzählung aufhören, sondern sie nur möglichst schnell beenden. Während sie mich anstarrte, unterstützten ihre Lippen eine leicht mokant traurige Mine. „Bea, was ist? Was habe ich gesagt? Warum schaust du so?“ fragte ich beängstigt. Statt zu antworten, hob sie die Augenbrauen und holte dabei tief Luft, als wenn sie sagen wollte: „Das solltest du doch wohl am besten selber wissen. Schließlich öffnete sie ihren Mund und erklärte: „Das war's dann wohl. Ich werde jetzt fahren.“ „Bitte Bea, sag mir doch was los ist.“ flehte ich sie an, „Lass es mich doch wenigstens wissen, was ich Falsches gesagt oder getan habe.“ Und ich fügte einfach hinzu: „Ich liebe dich, und ich möchte dich nicht verlieren.“ „Chris, ich habe dich auch geliebt, und bin einfach blind davon ausgegangen, dass du ein anderer Mann seist. Aber leider habe ich mich getäuscht, und diesen ganzen verlogenen Männermist mache ich ein für alle mal nicht mehr mit. Ich bin im Moment noch nicht einmal traurig, vielleicht heute Abend, jetzt bin ich eher ärgerlich über mich selber.“ erklärte sie mir. „Bea, was ist denn der 'verlogene Männermist' an dem, was ich getan, und dir einfach so aus mir selbst heraus freimütig erzählt habe. Ich kann das für mich nicht erkennen. Sag es mir doch bitte.“ bat ich sie. „Chris,“ antwortete sie, „ich habe eigentlich keine Lust, mit dir darüber zu sprechen, aber vielleicht hast du ja einen Bonus. Du hältst es für völlig normal, dir eine Freundin bei der Partnervermittlung zu suchen, obwohl du gleichzeitig regelmäßig mit einer anderen Frau fickst. Allein schon, dass du es für selbstverständlich hältst, zeigt wie du denkst. Ich will da nicht weiter drüber reden, Chris, es ist zwecklos.“ „Bea, das ist schade, sehr, sehr schade.“ reagierte ich, „ich glaube nämlich, dass du etwas ganz massiv missverstehst. Aber vielleicht ist es auch besser so.“ Warum? So genau wusste ich das im Moment gar nicht, es war nur so eine Empfindung. Als wir uns verabschiedeten standen mir die Tränen in den Augen, und ich fragte mit halb erstickter Stimme: „Keine Umarmung?“ „Doch, natürlich, Chris, das Schöne bleibt immer unvergessen.“ antwortete Bea. Ich musste erst mal zur Toilette, und meinen Tränen freien Lauf lassen.


Reflexionen


Warum war ich so enttäuscht, als ob mich eine langjährige gute Freundin ver­lassen hätte, obwohl mir selber noch nicht mal wirklich klar war, ob ich Bea überhaupt lieben würde. Es tat mir weh, äußerst weh, all das mit ihr Verbunde­ne plötzlich zu verlieren. Ob ich sie liebte oder nicht, eine müßige Frage eigent­lich, sie war zum Quell meiner Lebensfreude geworden. Ihre neckischen E-Mails, waren kein nettes Aperçu. Ich wartete gespannt darauf, und freute mich sie zu beantworten. Gedanken an sie waren immer mit wohlig freudigen Emp­findungen verbunden. Das alles gab es auf einmal nicht mehr, sollte nicht mehr als ein kurzer Traum gewesen sein.

Aber was war mit dieser Frau selbst. Für sie hatte ich doch mit Sicherheit noch mehr bedeutet. Sie träumte davon mit mir zu vögeln, und dass sie bei ihrer Einladung zu sich nach Hause mehr als reine Unterhaltung nicht ausgeschlos­sen hatte, stand für mich fest. Kurz nachdem ich den Eindruck hatte, dass sie mir am liebsten küssend um den Hals gefallen wäre, ist durch einige Worte von mir ohne Erklärung einfach alles total vorbei. Was spielt sich denn in der Frau ab, dass von jetzt auf gleich alles Vorangegangene nichts mehr bedeutet. Ist das vielleicht doch so etwas wie Persönlichkeitswandlung, die aus der Projektmanagement-Domina plötzlich die warme empfindsame zartfühlende neckische Frau werden lässt. Wenn sie hört, dass dieser geliebte Mann vor eventuell noch gar nicht so langer Zeit mit einer anderen Frau gefickt hat, wird er von einer Sekunde zur anderen zum Ekel? Würde sie auch in anderen Zusammenhängen möglicherweise plötzlich völlig gegensätzlich empfinden? Dass ihre Ansicht, von den Altlasten ihrer Ehe völlig befreit zu sein, nicht zutraf, stand jedenfalls fest. Sie hatte ja von meiner Beziehung zu Maren außer dem Beginn kaum etwas erfahren. Ihr sogenannter 'verlogener Männermist' war ja größtenteils das Produkt ihrer Gedanken. Auf ähnliche Gedanken wäre sie möglicherweise früher oder später aus anderen unbegründeten Vorstellungen sowieso gekommen. Da war es vielleicht doch am besten, dass es jetzt schon zur Trennung gekommen war, und nicht viel später, wenn's noch viel mehr geschmerzt hätte. O. k. ich hatte es akzeptiert, auch wenn ich es eigentlich lieber anders gehabt hätte.


Reaktion und warten


Ich schrieb ihr eine scharfe Mail. Ich würde mir diese Unterstellungen von ihr verbeten. Sie möge doch wegen ihrer Mutmaßungen lieber mal ihren Psychia­ter befragen, als mich zu beschimpfen. Um ihr trotz allem nochmal eine Hilfe­stellung zu geben, würde ich ihr den eigentlich sehr vertraulichen Sachverhalt ausführlich darstellen, und wenn sie das Dargestellte wahrnehme und nicht ir­gendwelche Fantasien in ihrem Kopf, würde sie nicht anders schlussfolgern können, als dass es nirgendwo einen Anlass gebe, von 'verlogenem Männer­mist' zu reden. Auch wenn ich ärgerlich über das Geschehene sei, würde es mich doch ungemein freuen, wenn wir eine Klärung herbeiführen könnten, und wieder Kontakt zu einander bekämen. Mit einer schnellen Antwort hatte ich nicht gerechnet, aber ich dachte doch, dass sie mal ein wenig wehmütig an un­sere Zeit denken würde, und vielleicht ins Grübeln käme, aber nichts. Ich schaute ja selbstverständlich in meine E-Mails, aber ich dachte immer noch bis zum Winter, ob nicht vielleicht doch wohl eine Nachricht von Bea dabei wäre. Never. Schade, sie hatte sich, obwohl wir uns ja nur für kurze Zeit ein wenig gekannt hatten, tief in meine Emotionalität eingegraben. Warum? Wodurch? Ich bin der Ansicht, dass das zu den Dokumenten gehört, die das limbische System in seinen für unser Bewusstsein unzugänglichen Tresoren verschlossen hält. Wieso ein anderer Mensch in uns emotional anziehende Wirkungen aus­löst, hängt sicher mit vielem zusammen, das uns nicht oder nicht mehr be­wusst ist. Bei der Projektmanagerin Frau Bea Wolff schien das für mich der Fall zu sein.


Partnersuche


Warum lernte ich nicht andere Frauen kennen, bei denen das für mich auch so war? Gab es zu geringe Chancen? Sollte ich es noch mal bei der Partnerver­mittlung versuchen, bei der ich ja damals nur durch Zufall hinein gerutscht war? Unsinn, es war mir ja gar kein dringendes Bedürfnis. Dass sich so ein ähnlicher Zufall wie mit Bea wiederholen würde, war ja höchst unwahrscheinlich. Ich malte mir eher das Bild von unzähligen mühseligen Dates, die mir statt Lustgefühlen unangenehme persönliche Erfahrungen bereiten würden. Ich würde einfach warten, ob sich nicht doch vielleicht mal auf ganz normalem Wege etwas ergebe. Ich könnte mich ja mal ein wenig mehr um zusätzliche Kontakte kümmern.


Ansichtskarte aus Portugal


Ende Juni erhielt ich eine Ansichtskarte aus Belém in Portugal: „Hallo Chris, ich mache hier Urlaub. Alles total spannend. Ich bin hier zum ersten mal. Ich hoffe du bist nicht mehr so frech. Deine Bea“. Was hatte das denn zu bedeuten? 'Meine Bea' schickt mir nach fast einem Jahr Funkstille eine Urlaubskarte aus Portugal mit einer lustigen Bemerkung. Mit wem machte sie denn Urlaub? Al­lein doch wohl kaum. Hatte sie jetzt jemanden ohne 'verlogenen Männermist' gefunden. Wahrscheinlich, zumindest schien sie ihn bis jetzt bei ihm ja noch nicht entdeckt zu haben. Ganz kalt ließ sie mich immer noch nicht, obwohl sie in meinen alltäglichen Gedanken nicht mehr vorkam. Was hatte sie veranlasst, mir eine Karte zu schicken. Ich wollte es wissen, es ließ mich nicht in Ruhe. Nach einigen Wochen rief ich sie zu Hause an, und erklärte ihr, ich wolle mich für die Karte bedanken. Ihre Tochter, mit der sie zusammen in Urlaub war, habe ihr vorgeschlagen, mir doch eine Karte zu schicken, weil sie doch immer noch von mir träume. Wie bitte? Bea von mir träume? „Bea, ich glaube du willst mich auf den Arm nehmen.“ meinte ich zu ihr. „Nein, nein, Chris, das ist schon so. Vergessen habe ich dich nicht.“ erklärte sie. „Aber als Freund hast du jetzt einen anderen Mann?“ wollte ich ergänzen. „Nein, wieso kommst du denn darauf?“ wollte sie wissen. „Na, weil du dich nie mehr gemeldet hast. Ich war immer der Ansicht, dass du mich völlig vergessen, und dich anders besser ver­sorgt hättest.“ antwortete ich ihr. „Kannst du dir vorstellen, dass ich mich nicht getraut habe.“ Das konnte ich nicht. Sie erklärte mir, ihre Ansicht sei gewesen, dass ich sie für völlig übergeschnappt hielte, was auch zuträfe, und ich mit ei­ner so Durchgedrehten sicher nichts hätte zu tun haben wollen. Der Gedanke habe ihr sehr weh getan, und da habe sie lieber von unseren wenigen schönen Tagen geträumt.


Treffen in Meerbusch


Ob ich denn nicht noch einmal Lust hätte, sie zu sehen, bat sie, dann könne sie mir besser etwas erzählen als am Telefon. „Ja selbstverständlich, am liebsten sofort.“ antwortete ich. „Dann mach das doch. Setz dich in dein Auto, und komm zu mir. Du kannst sicher sein, dass ich dich nicht ins Bett zu locken, oder zu drängen versuche.“ Da hätte ich auch jetzt gar nicht mit gerechnet.


Bei Bea kam immer alles unverhofft, plötzlich, spannend. Einerseits machte es den Umgang mit ihr interessant, andererseits aber auch vielleicht unberechen­bar riskant. Sie wohnte allein in einer üppigen Villa in Meerbusch. Einer Frau, die noch im Hause war, teilte Bea mit, dass sie jetzt nach Hause gehen könne. Zuerst zeigte sie mir ihr Schlafzimmer mit der Bemerkung: „Das ist das Bett, in dass du heute nicht reinkommst.“ dann umarmten wir uns wie zwei alte Freunde, die sich lange nicht gesehen hatten. Es war sofort alles wieder in gewisser Weise selbstverständlich und vertraulich, auch wenn wir nichts geklärt oder besprochen hatten. Mit Bea verhielt es sich ähnlich wie mit meiner Kollegin, es war das Empfinden einer selbstverständlichen Übereinstimmung, nur dass bei Bea eben noch das Gefühl der Lust aneinander hinzukam. Bea wirkte auf mich sehr ruhig, und sie erklärte sofort, dass es sein könne, dass sie ein wenig tranfunzelig wirke, da sie immer noch Tabletten nehme, die das angeblich nicht bewirken sollten, sie sich aber sicher sei, dass es diesen Effekt doch habe.

„Chris ich freue mit ungemein, dass du jetzt hier bist. Das wirst du gar nicht nachempfinden können, wenn du nicht in meiner Lage bist.“ Das höre sich an, als ob sie mir etwas Unangenehmes, Schlimmes erzählen wolle. Ich würde das auch gerne hören wollen, und würde ihr auch gern von meinen Qualen erzäh­len. Aber ich freue mich genauso wie sie, und würde am liebsten zuerst über etwas Angenehmes, Freudiges, Lustige mit ihr reden. „Ach, das ist schwer.“ stöhnte Bea „Also, der Urlaub in Portugal war sehr schön. Es hat mir gut gefal­len dort.“ Wir schauten uns an und lachten. Bea kam zu mir auf die Couch, schlang ihre Arme um meinen Hals und drückte ihre Wange an meine. Dann befühlte sie mein Gesicht mit den Fingern ihrer linken Hand, schaute mich tief an und sagte: „Chris, das einzig Schöne und Angenehme ist, das du hier bist, und mir nicht mehr böse bist, oder?“ Ich schüttelte nur bestätigend den Kopf. „Doch es gibt noch etwas Schönes, dass es mir viel, viel besser geht, und ich voraussichtlich bald wieder arbeiten kann.“ „Bist du krank gewesen?“ erkundig­te ich mich. „Ja fast ein ganzes Jahr. Seit unserem letzten Treffen.“ Ich zog fragend die Augenbrauen hoch. „Ja als ich zu Hause ankam, war ich total fer­tig, völlig durcheinander. Auf der Rückfahrt kam es mir schon sofort: 'Was hast du getan? Bist du verrückt? Was hast du für einen Unfug gemacht? Wie konn­test du so etwas tun, bist du absolut dämlich?' Dazu brauchte ich deine Erklä­rungen gar nicht. Wo und wer war ich da, als ich mich so meschugge verhielt. Ich habe sofort meine Tochter angerufen, und sie gebeten, zu mir zu kommen, ich würde durchdrehen. Wir haben dann fast die ganze Nacht geredet, und wa­ren uns klar, dass ich einen Arzt brauchen würde. Aber es war ja nicht nur das Bewusstsein, dass ich ausgerastet war, es kam ja auch noch der Schmerz hin­zu, dich verloren zu haben, und das selber erwirkt zu haben. Ich konnte ja nicht einfach mal so eben sagen: 'Tschuldigung, war nicht so gemeint.' Ich war ja völlig verrückt gewesen, das hattest du ja erlebt. Das konnte ich ja nicht einfach ungeschehen machen mit einem: 'Soll nicht wieder vorkommen.' Deine E-Mail bestätigte mich nur in meiner eigenen Auffassung. Ich musste damit rechnen, Dinge zu tun, die völlig neben der Spur lägen. Und zusätzlich immer noch diese Entzugsschmerzen. Ich kam mir vor, als ob ich früher die ganzen Tage damit verbracht hätte, deine E-Mails zu lesen und dir welche zu schrei­ben, und das ging jetzt nicht mehr. Ich konnte nichts machen, weil ich ständig daran denken musste. Wir kamen dann überein, dass ich mich erst mal in der Psychiatrie erholen sollte. Daraus wurden sechs Wochen. Als ich nach Hause kam, fühlte ich mich nicht erholt, sondern geschwächt und antriebslos. Ich konnte einfach so stundenlang im Sessel sitzen und in die Gegend starren.“

„Hör auf, meine Liebe, ich kann das nicht ertragen.“ reagierte ich, „Sonst fange ich gleich auch an durchzudrehen, wenn ich daran denke, wie unerträglich dumm ich gewesen bin. Schlafen werde ich diese Nacht schon eh nicht mehr können.“ Ich umarmte Bea, und diesmal drückten wir nicht nur unsere Wangen aneinander, sondern küssten uns. Einmal schaute Bea mich zwischendurch fra­gend an, dann schloss sie ihre Augenlieder wieder. Als wir aufhörten, lachte sie, stupste mir mit einem Finger die Nasenspitze und verkündete mit dickem Schmollmund: „Das war das Schönste heute. Von so etwas werde ich bestimmt ganz schnell wieder kerngesund.“ Sie streichelte mir durchs Haar, über die Stirn, zeichnete meine Augenbrauen nach, und strich zart mit einem Finger über meine Lippen. „Ich tue das gern, gefällt dir das auch?“ schaute sie mich schelmisch grinsend an. Das hatte sie also trotz ihres Krankseins und ihrer Ta­bletten, die sie noch nahm, nicht verlernt. Mir käme das eher so vor, als wenn mir Ungeziefer durchs Gesicht krabbeln würde, antwortete ich ihr dazu. „Wenn du wüsstest, welche Strafen du für solche Frechheiten eigentlich ver­dient hättest,“ reagierte Bea, und fragte, „Wie kommt das eigentlich, dass wir uns heute selbstverständlich anfassen, berühren, streicheln, und sogar richtig küssen, schön, aber komisch, nicht wahr?“ „Ich bin bei uns öfter ohne Erklä­rung geblieben. Mit dir war es schon immer schön, komisch und überraschend. Vielleicht liegt es heute daran, dass dieses ganze Jahr auf einmal vergessen ist, woran wir beide nicht geglaubt hätten.“ versuchte ich es zu erklären. „Ich möchte aber doch noch gerne ein wenig von deiner unerträglichen Dummheit hören. Vielleicht hilft es dir ja, wenn du dich mit mir mal darüber aussprechen kannst, damit du dann doch noch ein wenig besser schläfst.“ feixte Bea. „Mach dich bitte nicht lustig darüber. Es ist wirklich absolut doof. Du hättest mich nie verloren gehabt. Ich wollte dir das eigentlich noch mal genau lieb darstellen, damit du erkennen konntest, dass das, wovon ich bruchstückhaft erzählt hatte, mit männlicher Verlogenheit nicht im Geringsten zu tun hatte. Dann habe ich gedacht, das geht so nicht. Sie kann nicht einfach einen derartigen Tanz auf­führen, und erwarten, dass ich ihr nachlaufe, und sie flehentlich um Anhörung bitte. Ich muss ihr auch mal deutlich sagen, dass es so nicht laufen kann, ein erzieherischer Hinweis also. Dann habe ich gedacht, irgendwann wird sie doch mal Zweifel bekommen, ob das so richtig und sinnvoll war, und ob ihre vor­schnelle Einschätzung nicht doch Schwächen hatte. Auf eine entsprechende Mail von dir habe ich gewartet, bis Weihnachten jeden Tag. Aber du schienst für mich bei der während unseres Treffens geäußerten Ansicht geblieben zu sein. Es hat mich schrecklich traurig gemacht. Andererseits habe ich gedacht, wenn sie so verbohrt ist, war es vielleicht besser so. Wenn ich mir vorstelle, was wir uns hätten ersparen können, wenn ich dir nur einen Satz geschrieben hätte. Aber ich habe aus dem, was ich mir vorstellte meine Schlüsse gezogen, dabei so völlig falsch gelegen, und mir selbst und dir so viel geschadet. Aber du lagst ja auch völlig daneben mit deiner Ansicht, mir nicht mehr schreiben zu können. Wenn du gewusst hättest, wie sehnsüchtig ich jeden Tag auf eine Mail von dir gewartet habe.“ erklärte ich zu unserer absolut dummen Selbstfolte­rung.


Verliebt


Bea schaute mich lange leicht lächelnd mit verträumtem Blick an, dann erklär­te sie: „Weist du was, Chris, ich glaube, wir waren schon vorher richtig verliebt ineinander, ohne es vor uns selbst wahrhaben zu wollen. Ist das jetzt ganz anders für dich?“ „Im Gegenteil,“ antwortete ich, „es gibt für mich überhaupt kein Problem, es mir voll einzugestehen, obwohl ich erst gerade wieder zum ersten mal von dir gehört habe. Als ich nichts mehr hörte von dir, keine Mails mehr bekam, und dir keine schreiben konnte, wurde mir erst klar, was du mir bedeutet hattest, und das mit Partnervermittlungs-Dates überhaupt nichts zu tun hatte. Du hast dich emotional ganz tief bei mir eingegraben. Auf deine Karte nicht zu reagieren, oder zu denken 'Was will die denn auf einmal von mir?' wäre mir gar nicht möglich gewesen. Hattest du das auch erwartet?“ „Ich weiß nicht richtig, vielleicht habe ich es mir im Unterbewusstsein gewünscht, aber fest damit gerechnet, oder erwartet habe ich es nicht.“ antwortete sie, und fuhr fort, „Küsst du mich nochmal, Chris, es war so schön, und ich habe große Lust darauf.“ und schaute mich dabei sehnsüchtig leicht lächelnd an. Als ich sagte, ich könne sie immer küssen, sprang sie auf meinen Schoß, und saß breitbeinig vor mir. Wir küssten uns sehr lange und drückten unsere Oberkörper aneinander. Beas Atem wurde tiefer, ihre Hände lagen auf meinen Schultern als sie mich tief anschaute und meinte: „Auffressen könnte ich dich schon, aber es bleibt heute besser wie versprochen, oder?“ „Bea, du kannst manchmal naiv ganz schwere Fragen stellen. Meinst du denn, ich würde mich nicht gerne von dir auffressen lassen, obwohl ich nur vermute, was genau du dir darunter vorstellst. Ob wir's nicht tun sollen, weil du es mir versprochen hast, warum soll ich das denn entscheiden können?“ fragte ich zurück. „Na, weil du ja einer von zwei Teilnehmern der auf Gegenseitigkeit beruhenden Veranstaltung bist, hätte ich schon gerne deine Meinung vorher dazu eingeholt.“ antwortete sie. „Wenn du so weiter redest, fress' ich dich gleich hier auf, ohne vorher deine Meinung einzuholen.“ reagierte ich. „Nein, im Ernst, Chris, ich würde sehr, sehr gern mit dir zusammen sein, aber ich frage mich auch, ob das nicht ein wenig überstürzt ist. Weil es vor einigen Stunden für mich noch völlig unvorstellbar war, dass es sich so entwickeln könnte, habe ich das selbstverständlich versprochen, und innerhalb kurzer Zeit ist alles ganz anders geworden für mich. Für dich doch auch, oder?“ wollte sie meine Ansicht hören.

Ohne meine Antwort abzuwarten schlug Bea vor: „Wir können's ja so machen, heute schläfst du im Gästezimmer, und morgen können wir dann entscheiden, wie wir wollen.“ Was war das denn jetzt? Ich sollte in Meerbusch übernachten? Seit wann das denn? „Ja du musst dann doch morgen hier sein, und wenn wir morgen zusammen frühstücken könnten und alles weitere. Du hast doch Feri­en. Fändest du das denn nicht schön?“ fragte sie mich. „Schon Bea,“ erwiderte ich ihr, „aber wenn wir's morgen sowieso machen wollen, warum sollen wir's dann nicht heute tun, wenn wir brennend Lust darauf haben? Übrigens habe ich überhaupt nichts dabei zum Übernachten.“ „Ja, ich meinte ja nur, damit es nicht eventuell zu unüberlegt wäre, und kein Versprechen gebrochen würde. Mir wäre es anders auch lieber, und du könntest ja morgen im Laufe des Tages zu dir fahren, und dir holen, was du brauchst.“ meinte Bea und nestelte schon an den Knöpfen meines Hemdes. Sie ging also davon aus, dass ich noch länger hier bleiben würde. Mich konnte jetzt sowieso nichts mehr überraschen.


Beas Erklärungen


„Küss mich noch mal, Chris, und streichle mich mal ein bisschen mehr“ forder­te mich Bea auf, die ihre Hände von meiner Brust nahm, sie wieder um meinen Hals schlang und sich an mich schmiegte. „Hast du ein wenig Angst, Chris?“ fragt sie mich. „Was meinst du?“ bat ich Bea um Erläuterung. „Na, mich anzu­fassen, mich zu berühren, mit mir etwas zu machen. Du kommst mir so zöger­lich vor und streichelst mir so brav am T-Sirt rauf und runter. Ich glaube, wenn du nicht mehr willst, dann wird das gar nix mit uns.“ erklärte sie lächelnd. Na­türlich wolle ich mehr, meinte ich, aber dass ich ein wenig zögerlich sei, könne schon sein. Wir hätten uns schließlich vorhin erst zum ersten mal geküsst. Während bei der Unterhaltung ja alles total vertraut sei, müsse ich ihren Kör­per noch erst kennenlernen. „Ja tu das, das möchte ich gern.“ reagierte Bea, „aber weist du, hier geht das gar nicht richtig. Wir machen uns gleich etwas Schönes fertig, essen ganz früh zu Abend, und gehen dann schnell ins Bett. Da kannst du dann meinen Körper richtig erforschen. Meinst du ich könnte dann deinen auch mal ein wenig erforschen, so viel kenne ich davon ja auch noch nicht.“ Sie warf mich um, so dass ich jetzt auf der Couch lag und sie auf mir saß. Sie kommentierte es mit, für die Tigerin sei das einfach so die günstiger Position zum Fressen, aber sie fände es auch angenehm, sich so mit mir zu un­terhalten. „Das möchte ich mich gern ganz viel mit dir, ich möchte gerne deine Ansichten zu ganz vielen Dingen hören, und ich denke, du bist der einzige, der mir wirklich gern aus Interesse an mir zuhören könnte, und Lust hätte sich auf mich einzulassen. Es ist sehr seltsam,“ fuhr Bea fort, „ich hatte das Gefühl, ich mochte dich schon, bevor wir uns zum ersten Mal trafen. 'Alles meine Träume' sagen die Ärzte, nur die meisten Träume mit dir, werden schon eher erfüllt, bevor ich sie überhaupt träumen kann, oder sie sind flach im Gegensatz zu der Realität, die sich dann ereignet. Mir ist es völlig wurscht, ob du ein ganz beson­derer Mann bist, oder ob ich mir das erträume, das interessiert mich ei­gentlich gar nicht. Es ist einfach tatsächlich so, dass du ein Bild in mir, das lan­ge unkenntlich grau verschleiert war, mit neuen lebhaften frischen Farben aus­malst, und es bleibt mir gar nichts anders übrig, als mich zu freuen und glück­liche Empfindungen zu haben. Unsere Beziehung, war sehr kurz, und wir wis­sen ja auch heute im Grunde noch relativ wenig übereinander, und trotzdem hat es uns beide ganz tief bewegt. Wir werden etwas anderes als gegenseitig aktuelle Wunschträume angesprochen haben, anders ist das für mich nicht zu verstehen. Jetzt müsste ich dich eigentlich fragen, ob du das ganz anders siehst, aber dafür ist mir das, was ich gedacht und gesagt habe zu ernst und bedeutsam.“


Jetzt zog ich sie runter zu mir, und wir spielten mit den Zungen und Lippen und saugten aneinander. Bea wand sich auf mir, hob ihr errötetes Gesicht, und sagte tief atmend: „Chris, das ist nicht nur schön, mir geht das ganz tief. Ich würde jetzt am liebsten sofort mit dir ficken. Machen wir aber nicht, oder? Wir wollen beim ersten mal sanft und und zart sein, und das machen wir gemütlich nach dem Abendessen, nicht wahr?“ „Liebste jetzt war das ja passend,“ rea­gierte ich, „aber mir kommt das manchmal so vor, als ob du zwanghaft immer mit einer meist naiv anmutenden, simplen, leicht provokanten Frage schließen musst.“ „Muss ich nicht, aber macht mir Spaß.“ antwortete Bea, „Vielleicht kommt es auch oft schon automatisch. Ich mache das aber nur, wenn ich gut drauf bin, wenn ich mich wohlfühle. Für mich ist das so eine kleine Albernheit, eigentlich handelt es sich dabei um eine Persiflage von: 'den Ansprechpartner in seine eigenen Gedankengänge einbeziehen'. In der Ausbildung zum Projektmanagement kamen oft Dinge vor, die ich für absolut dämlich und komisch hielt. Ich hatte oft das Gefühl, nicht den erforderlichen Ernst aufzubringen, jetzt weiß ich aber, dass mir das nötige Maß an Stupidität fehlte. Ein sehr gutes therapeutisches Ergebnis, finde ich. Aber davon gibt es noch viele. Ich werde dir bestimmt mal mehr davon erzählen. Aber die Lust auf einen Mann hat man mir gottlob nicht wegtherapiert, und die Lust auf dich lass ich mir nicht wegtherapieren, abgesehen davon, dass sie völlig therapieresistent ist. Man hat's ja hinreichend oft versucht.“ Ihre jugendlich wirkende Frische und Lebendigkeit hatte man Bea anscheinend auch nicht abgewöhnt. Wenn ich in ihr Gesicht mit den zu mir hängenden leicht zerzauselten dunklen Haaren schaute, vermittelte es mir eher den Eindruck, von Lust auf wilde verwegene Streiche, als die sogenannte Seriosität einer sechsundfünfzig jährigen Frau. Trotzdem strahlten ihre Augen, Sanftheit, Milde und Zärtlichkeit aus. Ich liebte diesen Menschen, diese Frau, diese Bea. Der Gedanke daran, sie glücklich zu machen, erfüllte mich mit Freude und Lust. „Chris, du liebst mich doch, bis jetzt wenigstens.“ begann Bea. Es kam nicht das obligatorische 'oder', aber ein 'bis jetzt wenigstens' konnte sich nicht verkneifen, „hast du dir eigentlich mal Gedanken darüber gemacht, warum das für dich so ist?“ „Im Moment scheint das wohl noch so zu sein.“ erwiderte ich lächelnd, „Aber wenn ich mich frage, warum das so ist, dann hat das mit meinen Vorstellungen über Beziehungen, wie ich sie hatte, überhaupt nichts zu tun. Die erscheinen mir dann wie lächerlich infantile Theorien. Du und der Gedanke an dich haben mir einfach Freude bereitet, haben mich glücklich seine lassen. Mir ist das erst bewusst geworden, als ich nichts mehr von dir hörte. Ich merkte, dass unser E-Mail-schreiben für mich viel mehr bedeutet hatte als eine nette Spielerei. Mir fehlte das Zentrum meiner täglichen Freude. Da war mir klar, dass du dich sehr, sehr tief in mir befinden musstest, aber warum das dann so ist, weiß man glaube ich nie, da kann man sicher nur belanglos rätseln.“ „Es ist wunderschön, Chris, ich sehe das absolut genau so. Ich bin ja nicht durchgedreht, weil ich meinen Traum von dir nicht mehr haben konnte, sondern tatsächlich keine Nachrichten von dir mehr bekam, und dir schicken konnte, was ich nicht nur unbedingt brauchte, sondern was ich Idiot absichtlich selbst zerstört hatte. Mit Träumen hatte das allenfalls über tausend Umwege vielleicht auch ein wenig zu tun. Ich hatte mir selber das zerstört, was mir jeden Tag die meiste Freude bereitete. Diese Person in mir konnte ich nicht ertragen.“ antwortete Bea und fuhr fort,“Dass ich jetzt so auf dir liegen und dich am liebsten verschlingen würde, hättest du, als du mich anriefst, überhaupt nicht träumen können. Unsere Realitäten sind unseren Träumen immer weit voraus und völlig überlegen. Was soll ich denn jetzt von dir träumen? Die Realität ist wunderbar, schöner als jeder Traum. Ich habe gar keine Lust zu träumen, ich möchte die Wirklichkeit genießen.“


Beas Therapie


Beim Zubereiten des Abendessens erzählte Bea, dass sie lernen müsse, ihre tatsächlichen Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen, und ihnen entsprechende Gewichtung in ihrem Leben zu verschaffen. Den Professor, bei dem sie jetzt in Behandlung sei, habe ihr ihre Tochter besorgt. In der Psychiatrie habe man sie völlig tot therapiert. Man habe alles vermutet von Borderline, über Dissoziative Persönlichkeit und habe sich letztlich auf Schizophrene Phasen geeinigt. Als sie völlig hinüber gewesen sei, habe man sie entlassen. Ihre Tochter habe vor Wut und Entsetzen die Ärzte der Psychiatrie verklagen wollen, sich dann aber infor­miert und ihr diesen Professor besorgt. Er habe sie erst mal wieder zum Leben erweckt, und alle Mutmaßungen aus der Psychiatrie verworfen. Sie mache jetzt eine Gesprächstherapie und zusätzlich eine Analyse. Darüber hinaus habe sie noch in Abständen Besprechungen mit dem Professor. Das gefalle ihr alles sehr gut, aber das sei eigentlich gerade ihr zentrales Problem. Sie habe nie ge­merkt, was ihr eigentlich überhaupt nicht gefallen habe, sondern sie habe im­mer gemeint, alles sei prima. Sie habe vielleicht eine viel zu glückliche, harmo­nische Kindheit gehabt. Ganz deutlich geworden sei ihr das an ihrer Schulzeit. Sie habe in der Schule alles als gut empfunden, und könne nicht sagen, dass sie Aversionen gegen irgendein Fach entwickelt habe, privat für sich habe sie aber etwas völlig anderes gemacht. Sie habe viel und gern gelesen, und sich damit die Welt erobert. Kunstbücher habe sie sich gern angeschaut, und sich mit der Entwicklung von Wahrnehmung und Darstellung beschäftigt. Musik hö­ren und Opern besuchen seien Lieblingsbeschäftigungen von ihr gewesen. Und für's Anziehen, nicht dafür, dass sie gängigen Vorstellungen entsprechend chick aussehe, sondern eher Modedesign abseits des dominierenden Mode-Hy­pes, habe sie sich sehr interessiert. Dass das alles mit Mathe, Physik oder La­tein überhaupt nichts zu tun habe, hätte sie nicht gestört. Sie habe immer alles brav gemacht, gute Zensuren bekommen, und gemeint, sie habe Interesse daran. Wenn alles geregelt war, und es keine Unstimmigkeiten gab, war ich der Ansicht es sei prima. Dass es Diskrepanzen zwischen dem gab, was sie in­teressierte, und was sie ordentlich erledigt hatte, sei ihr nie aufgefallen. Sie hätte alles Mögliche studieren können, dass sie dabei doch am besten etwas hätte machen sollen, was mit ihren persönlichen Interessen zu tun hatte, sie ihr gar nicht in den Sinn gekommen. Aus nicht mehr bewussten Überlegungen sei sie auf Ökonomie gekommen, weil das ein finanziell sorgloses Leben ver­sprechen würde. Sie habe immer alles brav gemacht, und dem Erforderlichen den Vorrang eingeräumt. Im Nachhinein empfinde sie sich als völlig dämlich, immer schon. Sie sei doch nicht doof gewesen, aber darüber, dass sie angeb­lich Interesse an allen Schulfächern habe, privat aber etwas ganz anderes ma­che, habe sie sich nie Gedanken gemacht. Spätestens bei der Arbeit mit Gerd, habe sie doch merken müssen, dass da etwas nicht in Ordnung sei. Aber sie habe einfach unkritisch beides zu genießen geglaubt. Die Person, die ihre ei­gentlichen Interessen darstelle, habe gar nicht ihr Ego gebildet. Sie selbst habe sich immer schlicht mit einer leicht zu großen Emotionalität gesehen, die aber stolz darauf war, auch ganz anders sein zu können. Alles in Ordnung, keine Probleme, man kann zufrieden sein.

Im Grunde fange sie jetzt wieder an, in ihrer Kindheit zu lernen, dass Müll rausbringen blöd bleibe, auch wenn ihre Mami sie so lieb darum gebeten habe. Erinnerungen an ihre Kindheit seien für sie immer ausschließlich wohlige Glücksmomente gewesen. Aber dass ihre Mutter in ihrer Liebe wohl ein Stück des Guten zu viel getan habe, und ihr letztendlich später dadurch Probleme be­reitet habe, sei ihr erst jetzt bewusst geworden. „Ich habe meine Tochter auch sehr geliebt, und es ist heute noch so, aber meine Mutter scheint mir im Nach­hinein richtig abgöttisch in mich verliebt gewesen zu sein. Das hätte ich so bei Cecille gar nicht gekonnt. Ich konnte damals den größten Mist angestellt ha­ben, alles endete hinterher immer in Liebes- und Schmuseszenen. Ich kann mich an nichts erinnern, wogegen ich mich hätte wehren, durchsetzen oder be­haupten müssen. Alles wurde mir so bereitet, dass ich es zufrieden und glück­lich akzeptieren konnte. Meiner älteren Schwester Cecille gegenüber habe ich immer ein schlechtes Gewissen gehabt. Dass ich meine Tochter auch Cecille genannt habe, ist so etwas Ähnliches wie eine Wiedergutmachung für sie, und es hat sie auch maßlos gefreut. Sag mal, Chris,“ fuhr Bea fort, „kannst du dir das eigentlich vorstellen, dass wir uns noch jemals wieder trennen werden?“

Oh je, was war denn das jetzt schon wieder? Wenn sich das so fortsetzte, wäre ich spätestens morgen früh mit ihr verheiratet, und bei ihr eingezogen. „Bea, ich bin außerordentlich glücklich, dich wiedergefunden zu haben, und ich weiß auch, dass ich dich sehr liebe, über alles weitere habe ich mir überhaupt noch keine Gedanken gemacht. Selbstverständlich möchte ich das im Moment nicht, dass wir uns irgendwann wieder trennen. Aber ob ich mir vorstellen kann, dass es jemals dazu kommen könnte, das weiß ich jetzt wirklich nicht, und darüber möchte ich auch jetzt gar nicht nachdenken.“ antwortete ich ihr. „Zweifelst du, oder misstraust du mir?“ fragte sie nach. „Nein, nein, nein!“ Ich merkte, wie ich Angst hatte, Anlass für das Empfinden irgendeiner Art von Disharmonie ge­ben zu können. Frei von der Furcht, dass sie etwas falsch verstehen könnte oder wollte, und dann exaltiert reagieren könnte, war ich nicht. Bea schien das an meiner leicht panikartigen Reaktion zu spüren. „Komm mal mit, Chris!“, zog sie mich zum Wohnbereich, schubste mich in einen Sessel, und setzte sich wie­der breitbeinig auf meinen Schoß. „Du hast gerade Angst gehabt, dass ich aus­rasten könnte, nicht wahr? Ich kann das verstehen, trotzdem tut es mir weh, wenn du so von mir denkst. Beweisen kann ich dir nicht, dass so etwas nicht mehr vorkommen wird, du kannst es mir nur glauben. Wenn du immer so mit mir redest, dass ich auf keinen Fall Anlass für ein Missverständnis haben könn­te, mag ich das nicht. Ich würde Zweifel an deiner Ehrlichkeit haben. Auch wenn du etwas mir Unangenehmes oder Zweideutiges sagst, ich werde nicht ausrasten, sondern ganz normal nachfragen, was du ja so gerne magst, wenn ich dich frage, und wovor du keine Angst zu haben brauchst. Wirst du mir das glauben, und so empfinden können? Ich bin glücklich, so weit zu sein, und es täte mir weh, wenn du in mir immer noch die potentiell Durchdrehende sehen würdest. Dass du dann Zweifel daran haben könntest, dass es zwischen uns beiden immer so bleiben würde wie heute, kann ich gut verstehen. Nur so ist es für mich nicht mehr, und ich wünsche mir, dass du es auch so siehst.“ Zum Zeichen des gemeinsamen Verständnisses küssten wir uns lange, und gingen dann zum Essen in den Küchenbereich.


Abendessen und Nacht


Nach einem Abendessen, bei dem wir viel lachten, liebkosten wir uns bei einem gemeinsamen Bad, und sinnierten über unsere alternden Körper und wie wir mit den Veränderungen zurecht kämen und was uns am meisten störte. „Du hast recht, Chris.“ bestätigte mich Bea, „Wir beide sind eigentlich bislang sehr gut davon gekommen, wir sind beide schlank geblieben, fühlen uns fit und sind nicht krank. Gegenseitig empfinden wir den Körper des anderen doch nicht als abstoßend, im Gegenteil er lässt uns rattig werden. Können wir uns denn über­haupt mehr wünschen.

Bea warf sich aufs Bett, und forderte mich lachend auf: „Nu mach mal!“ Nach kurzen Rangelspielen lag sie küssend auf mir. Während sie mich leicht lächelnd tief anschaute, zeichneten die Fingerspitzen ihrer rechten Hand Kreise um mei­ne Augen, malten langsam auf Stirn und Wangen Linien, und betasteten Nase und Kinn. Nach zärtlichem Fingerspiel auf meinen Lippen, berührte sie sie hauchzart mit ihren eigenen. „Es kommt mir vor, als ob ich unsere Verbunden­heit, unsere Nähe zueinander so deutlich spüren könnte. Als ob ich genießen könnte, wie unsere, nein alle Vokabeln, die mir dazu einfallen passen nicht, sind verbraucht oder mit Konnotationen belegt, die zu schal oder ordinär sind, wie wir beide uns gegenseitig weit für einander öffnen. Ein anderer Mensch, der meine Nähe will, den ich glücklich mache und der mich begehrt, öffnet sich für uns, dass wir uns austauschen und fast verschmelzen können aber doch immer einzelne Personen bleiben. Die tastende Haut meiner Fingerspitzen und die Impressionen, die meine Augen aufnehmen senden Signale zu der Staffelei, auf der in einem nie enden wollenden Prozess das Bild unserer Verbindung ge­malt wird. Manchmal haben deine Augen geschaut, als ob sie fragen wollten: 'Wer sind diese Augen, die in mich hineinsehen wollen?'. Eine Frage, die wie ein lebendiger bunter Punkt in dem Gemälde erscheint, nicht wie ein knarziges ungelöstes Rätsel. Es ist eine Frage, die Freude bereitet, auf die wir immer ein wenig mehr Antwort erhalten, aber wissen, dass wir sie nie voll beantwortet bekommen werden, und dies auch gar nicht wollen. Ich träume nicht, ich bin sehr wach, es ist als ob ich unsere Liebe, unsere Verbundenheit, unsere Bezie­hung so sehen und tief fühlend spüren könnte. Es ist ein wunderschönes Erleb­nis für mich, nach dem ich mich ein wenig wie in einer neuen Welt empfinde, ich fühle mich frei, leicht, selig, glücklich, als wenn ich Orgasmen für meine Seele gehabt hätte.“ erläuterte Bea, und fuhr fort, „Ob nur Frauen, oder auch Männer oder vielleicht nur ich das so empfinde?“ „Ich habe sehr gerne gehört, was du sagtest,“ antwortete ich, „habe es leider nur als sinnlich angenehm und sehr lieb empfunden. Ob ich oder Männer generell es nicht anders können, weiß ich nicht. Ich denke jeder wird etwas ähnliches auf eine unterschiedliche Art empfinden, nur die wenigsten werden versuchen, es sich bewusst zu ma­chen, und darüber reden könne wie du.“

Mit einem Satz kniete sie auf meiner Brust, und verkündete: „Ich werde dich jetzt auseinandernehmen.“ Als ich laut lachen musste, erklärte sie mir, dass sie beim Sex selbst nicht so viel schmusen wolle, und sich denken könne, dass das immer noch so sei, dafür hinterher umso lieber. Ihre Lust an ironischen, und leicht provokanten Fragen schien ihr aber auch beim Ficken nicht zu feh­len. „Chris, meinst du, ein Mann mit 57 Jahren könnte es auch noch mal? Eine Frau mit 56 Jahren fände das nämlich überhaupt nicht schlecht.“ fragte sie. Völlig, erschöpft, verschwitzt und verschmiert schliefen wir ein, während Bea noch auf mir lag. Nach einiger Zeit wurden wir wach. Bea strahlte mich wohlig an, wälzte sich zur Seite, küsste meine Hand und schlief darauf weiter. Ich verspürte immer den Drang, verstehen zu wollen, was sich überhaupt für mich abspielte, aber bevor ich irgendein Gedankenkonstrukt entwickeln konnte, war ich auch schon wieder eingeschlafen.

Am Morgen meinte Bea, dass sie anschließend immer einen schönen, leichten, beschwingten Tag haben werde, wenn sie abends so etwas erlebe. „Chris, ich glaube, ich will das immer. Würdest du das auch wollen und können.“ stellte sie wieder eine ihrer kuriosen Fragen. Ich lachte, zog sie auf mich und wir küssten uns. „Nicht jetzt, Chris.“ wehrte sie weiteres ab, „Sonst kannst du viel­leicht heute Abend nicht mehr. Nein lass uns doch jetzt lieber aufstehen und frühstücken. Hättest du denn mal Lust, tagelang nur im Bett zu bleiben? Im­mer wenn man wach wird, redet man ein wenig, schmust miteinander, und fickt wieder. Zwischendurch holt man sich etwas zu essen ins Bett, schläft wie­der, und dann wieder von neuem, bis man absolut nicht mehr kann, bis man sich richtig tot gefickt hat. Ach, Blödsinn, aber die Ideen werden uns bestimmt nicht ausgehen.“

Und Bea erzählte, dass sie schon als Mädchen immer starkes Interesse an Sinnlich-Erotischem gehabt habe. Sie sei ziemlich offen aufgewachsen, und habe es für sich immer als angenehm, schön und selbstverständlich normal ge­nossen. Mit dem, was ihre Mitschülerinnen schamvoll tuschelnd und kichernd dazu beitrugen, habe sie nichts zu tun gehabt. Sie habe sich nicht für nackte Männer oder eigentlich verbotene Bilder vom Ficken interessiert. Sie habe lie­ber sich selbst angeschaut oder andere schöne Frauen. Sie empfinde, dass Frauen über eine erotische Ausstrahlung verfügten, auch wenn man überhaupt keine gleichgeschlechtlichen Ambitionen habe. Bei einem Moses sage man viel­leicht: schöner Mann, gut dargestellt, und das war's dann auch schon. Eine Frau, die dabei ins Träumen komme, halte sie für leicht pervers. Wenn sie die Venus Kallypigos, mit ihren Gewandresten und ihrem hübschen Po sehe, emp­finde sie ihren eigenen Körper, und würde selbst gern ihren Hintern berühren, oder noch besser berühren lassen. Über künstlerische Darstellungen sei auch ihr Interesse an Kleidung entstanden. Ihr sei deutlich geworden, wie Verhüllen­des oder Zugefügtes die Wirkung und Lust nach dem eigentlich Verborgenen betone und verstärke, was die sie bedeckenden Stoffe über die Frau darin aus­sagen und vermitteln könnten. Mit den gängigen Modeentwicklungen habe das überhaupt nichts zu tun. Hier werde ein Vorstellungs-Hype, wie alle gefälligst auszusehen hätten implantiert, und alle würden brav und fleißig diesen Markt in gewünschter Form bedienen. „Auch mit erotischer Wäsche ist das so.“ fuhr Bea fort, „ich mag das eigentlich sehr an mir, nur 95 % davon sind ordinär, weibisch tüttelig oder auf männliche Geilheitsfantasien zugeschnitten und von den wenigen Designern, die mehr drauf haben, gefallen einem dann auch nur die Hälfte. Bei Negligés gibt es manchmal etwas sehr Schönes. Ich kann dann nicht widerstehen. Ich habe mittlerweile eine ganze Reihe teurer Seidenne­gligés im Schrank liegen, obwohl ich nie welche trage. Eigentlich mag ich das nämlich gar nicht, wenn sich zwischen meiner Haut und dem Bett noch etwas anderes befindet, außer einem Mann vielleicht, aber der ist ja auch in Haut ein­gewickelt.“ Bea lachte, gab mir einen schnellen Kuss, und sprang aus dem Bett.


Gedanken in Duisburg


Beim Frühstück kam es mir vor, als ob ich wie jeden Morgen selbstverständlich mit Bea am Tisch säße, obwohl es ja mit meiner gewohnten Frühstückssituati­on außer dem Kaffee nicht das Geringste zu tun hatte. Alles schien mir ver­traut, obwohl ich nichts kannte.

Wieder zu Hause in Duisburg wollte ich schnell einiges für die nächsten Tage zusammenpacken. Den Koffer hatte ich schon geöffnet, als ich mich selbst zur Gelassenheit mahnte. Ich bereitete mir zunächst mal einen Espresso, und woll­te ein wenig in der Zeitung lesen, aber bei offen vor mir liegender Zeitung be­gann ich über meine Situation nachzudenken. Ich war seit gestern Mittag in eine andere Welt geraten, und steckte völlig darin. Gab es den Christian, der hier jahrelang allein gelebt hatte, innerhalb von wenigen Stunden nicht mehr? Was machte die Faszination dieser Frau aus, die das bewirkt hatte? Ich ließ den ganzen, mich verzaubernden Film noch einmal ablaufen, Antworten auf meine Fragen gab es nicht. Ich begehrte diese Frau, ich liebte ihre Anwesen­heit, ich liebte wie und was sie sprach, ich schaute ihren Bewegungen faszi­niert zu, aber da war noch mehr. Etwas Anderes, Wichtigeres, das sich mir nicht erschloss, was in mir ein Bedürfnis ähnlich einer Sucht auslöste, und es verhinderte, alles Geschehen in klaren Bezug zu meinem sonstigen Leben zu setzen. Richtig gehend verliebt war ich alter Boy. Ich freute mich, ich war glücklich, aber ein wenig kurios und mit dem Anflug eines Empfindens, dass man nicht wisse, was davon zu halten sei, kam ich mir schon vor, wenn ich versuchte, meine Situation von außenstehend zu betrachten.

Aber wo würde das alles hinführen, und wie sollte das alles vor sich gehen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir uns zunächst häufiger besuchten. Eines Tages wäre es dann zu umständlich, und ich sollte zu Bea ziehen, was ich meinem derzeitigen Empfinden nach auch gern machen würde. Aber wo blieb ich selbst, der der ich bis gestern Mittag gewesen war bei allen Überlegungen. Ihn gab es gar nicht mehr. Es existierte nur noch der in Bea Wolff verliebte Christian Lo­renz. Es war für mich aber unvorstellbar, dass der sich einmal nach dem alten zurücksehnen würde. Das war ja der, der sich emotional so halbwegs über Wasser gehalten hatte, und dem jetzt eine Erfüllung winkte, die außerhalb sei­ner im Traum vorstellbaren Möglichkeiten lag. Sein altes Ego schien ihm wie das eines armseligen, bescheidenen, alten Mannes, der er eigentlich gar nicht zu sein gedacht hatte, und auch meinte, sich überhaupt nicht so zu empfinden. Bea schien, mir nicht nur Freude und Lust zu vermitteln, sie erfüllte mich auch mit neuem Leben und neuer Vitalität. Welche bezaubernde Frau musste das sein, die so etwas in mir auslösen konnte. Vielleicht war es ja wirklich so, dass sie neue strahlende Farben in ein altes, für mich nicht mehr erkenntliches be­deutendes Bild brachte. Mir wurde ersichtlich, von wie unermesslicher Bedeu­tung die Beziehung zu einem anderen Menschen sein kann, ebenso wichtig wie die anderen Grundbedürfnisse. Nur sie war nicht planbar, wie die Versorgung mit Nahrung, sondern wurde in Bereichen organisiert, die unserem bewussten Denken und Handeln nicht voll zugänglich waren.


Bea in Duisburg


Wieder bei Bea, kam sie auf die Idee, ob wir die kommende Nacht nicht bei mir verbringen sollten. Sie habe meine Wohnung ja noch gar nicht kennengelernt, und sie würde dann auch mal ein Negligé mitnehmen. „Du wohnst doch nicht direkt neben einer stinkenden Fabrik, oder?“ musste sie natürlich noch fragen, „Am besten fahren wir doch gleich, dann können wir noch zum Abendbrot et­was einkaufen gehen, und du lädst mich in dein Lieblingscafé ein. Oder gibt es so etwas bei dir gar nicht?“ Natürlich fuhren wir gleich nach Duisburg, aller­dings mit ihrem Schlitten. „Angenehm ist das ja schon.“ meinte sie, „Aber wenn ich diese jungen Männer bei uns sah, die sich mit 2,5 Netto und eventu­ell noch Frau und Kind so etwas zulegten, bekam ich entsetzlichen Hass auf sie, obwohl sie ja eher arme Schweine waren. Einen Mann zu haben, der meint mir mit einem Auto demonstrieren zu müssen, was für ein toller Hecht er ist, damit ich ihn bewundern kann, eine absolut grässliche, unmögliche Vorstellung für mich. Aber möglicherweise gibt es ja doch noch eine ganze Reihe Mädels, die nicht merken, was für einen Schwächling sie da vor sich haben, sonst wür­den es ja nicht so viele praktizieren. Ich konnte ja nicht als Projektleiterin im Golf vorgefahren kommen, dann hätte man uns sofort für eine Garagenfirma gehalten. Aber Lust auf einen Golf verspüre ich jetzt eigentlich auch nicht, oder sollte ich mir einen Smart zulegen, da passten wir ja auch beide rein?“

Meine stinknormale Wohnung in Uni-Nähe fand Bea heimelig schön, und mein­te, dass man so etwas gar nicht erwarte, wenn man an Duisburg denke. Wenn meine Bücher auch noch alle bei ihr ständen, sei uns die Akzeptanz des Düs­seldorfer Intellektuellenmilieus gesichert. Wann war ich je so gerne einkaufen gegangen, wann hatte ich je so gerne in diesem lapidaren Café gesessen? Mit der warmen offenen Blume Bea begann meine Alltagsumgebung Blüten zu öff­nen, deren Knospen ich nie erkannt hatte.

„Na reizt dich das?“ frage Bea, sich langsam in ihrem burgunderroten mit schwarzen Stickereien besetzten Seidennegligé vor mir drehend. „Ich finde es wunderschön und es ist eigentlich schade, dass du so etwas nicht trägst, aber es verstärkt in mir eher den Reiz dessen, was es verbirgt.“ antwortete ich ihr. „Ja, das soll es ja auch. Das macht ja gerade das Erotische aus. Chris, wir ha­ben so viele ähnliche Empfindungen und Gedanken, und kennen uns eigentlich kaum.“ Bea hatte sich zu mir auf's Bett gelegt, „Ich wüsste gerne mal woran das liegt oder liegen könnte. Eigentlich bist du ja ein Mensch, der in völlig an­deren Zusammenhängen lebt. Aber von deiner Geschichte, von deiner Genese weiß ich so gut wie gar nichts. Außer von deiner Einstellung zum Zusammenle­ben mit einer Frau, die mir damals sehr gut gefallen hat, die du jetzt selbst aber als alberne Theorie bezeichnest.“ Ich wisse gar nicht so viel darüber, warum ich so sei wie ich sei. Mir sei es zwar schon aufgefallen, dass ich in manchen Bereichen andere Vorstellungen und Wünsche habe als die Mehrzahl der Männer, und dass ich mich bei Parties oder Ähnlichem meist lieber mit Frauen unterhalte als mit Männern. Das habe nichts mit Flirt oder erotischen Ambitionen zu tun, ich fände es einfach interessanter. Männer brauchten gar keine ausgesprochenen Machos zu sein, aber ein Interesse an Selbstdarstel­lung hätten fast alle, was schnell ermüdend und langweilig werde. Frauen hät­ten meist eine sensiblere Wahrnehmung, meist einen tieferen Durchblick, und würden gern Fragen stellen. Zwar meist nicht so lustige wie Bea Wolff, trotz­dem sei es in der Regel einfach eben interessanter und abwechslungsreicher sich mit ihnen zu unterhalten, es mache schlicht mehr Spaß.

Vielleicht liege es ja daran, dass ich mit drei Frauen aufgewachsen sei, meiner Mutter und meinen beiden Schwestern. Als männliche Bezugsperson habe ich nur ab und zu meinen Opa gehabt, der aber auch ein sehr sanfter und liebevol­ler Mann gewesen sei. Als Junge sei ich mir aber überhaupt nicht anders vor­gekommen als alle anderen. „Als du aber von deinen Privatinteressen während der Schulzeit sprachst, ist mir aufgefallen, dass sie bis auf Modedesign mit meinen völlig identisch waren. Bei mir kam noch vermittelt über das erste Operninteresse große Liebe zu Schauspiel und Theater und später auch Ballett hinzu. Das war eigentlich alles ungewöhnlich in Bezug zu meinen Klassenka­meraden, aber ich habe mich nie als Außenseiter empfunden oder wurde so behandelt. Ich war immer sehr beliebt, als jemand der viel wusste, dem geist­volle Streiche einfielen und der immer aus dem Stegreif parodieren und lächer­liche Szenen deklamieren konnte. Dass ich Englisch und Französisch studiert habe, lag einfach daran, dass ich in der Schule sehr gut darin war, und es mir auch Spaß machte, obwohl ich mich ja privat auch nicht weiter damit beschäf­tigte. Meinen Interessen entsprechend hätte ich eigentlich Germanistik oder Theaterwissenschaften studieren müssen, da bin ich aber auch nie drauf ge­kommen. Wenn ich allerdings Physik studiert hätte, wäre es mir wahrscheinlich irgendwann ähnlich ergangen wie dir, nur konnte das gar nicht in Frage kom­men, weil ich mich darin in der Schule immer nur mit Mühe über Wasser gehal­ten hatte.“ erzählte ich ein wenig aus meiner Geschichte, und hätte auch noch weiter über meine Kindheit im Gegensatz zu ihrer berichten können, aber Bea legte sich auf mich und küsste mich. „Alles was du sagst, macht mich zusätz­lich glücklich. Ich denke, eine Steigerung ist nicht mehr möglich, aber du er­freust mich immer weiter. Wie kann es denn möglich sein, dass zwei junge Menschen völlig unabhängig voneinander identische Interessen haben. Ich glaube fast, wir sind bis auf unsere Sexualchromosomen geklont. Wenn ich demnächst mal nicht sicher bin, ob es sich bei mir um einen realen Wunsch oder eine irrsinnige Illusion handelt, brauche ich nur dich zu fragen. Du wirst es wissen, und mir erklären können. Weißt du was, Chris,“ fuhr Bea fort, „ich glaube, es wird dich schockieren, und dir als völlig überstürzt erscheinen, aber ich sage es trotzdem einfach mal, weil es jetzt mein tatsächlicher Wunsch ist. Ich würde dich außerordentlich gern immer in meiner Nähe haben. Jetzt sofort und immer. Kein Tag mehr ohne dich. Irgendetwas macht mich süchtig. Was es genau ist, weiß ich gar nicht, aber was du sagst, verstärkt es immer mehr.“ Ich erläuterte Bea, wie ich es mir vorstellen würde, und sie meinte: „Wenn du auch damit rechnest, dass du irgendwann zu mir ziehst, warum dann das gan­ze Getändel mit den Besuchen vorher. Außerdem werde ich dann an den Aben­den, an denen du nicht bei mir bist, von dir träumen, und das darf ich doch gar nicht. Darüber hinaus scheinst du vergessen zu haben, dass ich für einen glücklichen Tag, dich am Abend vorher brauche.“ Diesmal kam es zu einer er­füllten Nacht plus Negligéspielereien mit Bea in meinem Bett, in dem schon seit über einem Jahr keine Frau mehr gelegen hatte. Das Getingel mit Maren hatte ich damals sofort beendet, obwohl das Verhältnis zu Bea ja auch zerbro­chen war. Eine Fortsetzung war trotzdem für mich unmöglich. Als ich sie am nächsten morgen fragte, wie sie sich gefühlt habe, meinte Bea: „So etwas fragt man eine Frau doch nicht.“ Als ich ihr erklärte, dass ich nicht ans Ficken gedacht hätte, sondern daran, wie sie in meinem Bett geschlafen habe, erklärte sie, dass sie mit mir zusammen wahrscheinlich sogar auf einem Nagelbett wohlig schlafen würde.


Umzugspläne


Gegenüber ihren Wünschen fühlte ich mich immer ohnmächtig. Ein Abend ohne Bea war für mich ja auch kein Wunschtraum, obwohl mich meine Entscheidun­gen auch ein wenig selbst beängstigten. War es denn möglich, sicher sein zu können, dass man nichts falsch machte. Mir fiel einfach nichts Anderes, Besse­res, für sinnvoller zu Haltendes ein. Ich würde nach den Ferien im Kollegium mitteilen, ich wohne jetzt in Meerbusch. Meinen Freunden würde ich erklären: „Es hat sich gestern so ergeben. Ich habe da eine Freundin.“ Seit wann? „Seit vorgestern.“ Eigentlich unmöglich, aber ich wollte es selbst. Rush? Ich wusste es nicht, aber dass er abklingen würde, war für mich auch undenkbar. Es sei denn, Bea würde mich aus irgendwelchen Gründen rauswerfen. Das konnte ich mir aber auch überhaupt nicht vorstellen. Mit Sicherheit war es ein rauschhaf­tes Erlebnis für mich, dass ich aber unbedingt genießen wollte. Auch wenn der Rausch ausklingen sollte, dass es kein böses Erwachen geben würde, dessen war ich mir sicher.

Am Früstückstisch kam schon die Projektmanagerin zum Zuge, die konkret den Umzug plante, wusste was, wann, wie organisiert werden musste, und beab­sichtigte, die Heimeligkeit meiner Wohnung in gewisser weise in ihr Haus in Meerbusch innenarchitektonisch zu implementieren.In einer Woche sollte alles geschehen sein, und ich bei Frau Wolff wohnen. Alle Details wurden geklärt, ei­gene Telefonnummer oder gemeinsam, getrennte Briefkästen oder gemeinsam etc., Frau Wolff war absolute Spitze und vergaß nichts. „Ich finde dich total su­per, meine Liebste, aber darf ich dich für so etwas denn loben, oder stört das dein neues Ego?“ fragte ich Bea scherzhaft. Sie blickte mich mit strengen Au­gen aber lächelnd an: „Jetzt fängst du auch schon an so blöde Fragen zu stel­len. Gewöhn dir das nicht an. Wenn beide das tun, macht es keinen Spaß mehr.“ meinte sie lakonisch.


Aus dem gemeinsamen Leben


Bea und ich redeten ständig miteinander, auch wenn wir nicht meinen Umzug planten oder uns Teile aus unserer Lebensgeschichte erzählten. Irgendetwas Banales konnte den Anlass bieten, uns in stundenlange zum Beispiel kunstge­schichliche Diskussionen zu vertiefen. Die Struktur der Gespräche war meis­tens sehr unterschiedlich, mal hatten sie mehr informativen Charakter, mal tauschten wir mehr unsere Meinungen und Ansichten aus. Am schönsten und meist auch lustigsten war es, wenn wir uns unsere jeweiligen Interpretationen, emotionalen Bilder, die sich uns darstellten, gegenseitig zu vermitteln suchten. Niemand wollte sich darstellen, und doch war es vielleicht gerade deshalb eine kleine Geschichte, ein Schauspiel des anderen über sich, in dem man ihn per­sönlich erleben und genießen konnte.

Die Vorstellung, dass uns einmal der Gesprächsstoff ausgehen würde, hätten wir für eine absonderliche Idee gehalten. Wir brauchten doch keinen Stoff, kein Thema, alles konnte Anlass bieten, um mit dem anderen zu kommunizieren. Die Kommunikation selber war die Oper, das Thema bildete allenfalls das Li­bretto. Es war das Spiel unserer beiden Körper, unserer beiden Persönlichkei­ten, die sich darin ausdrückten und vermittelten. Sie erzählten die Geschich­ten, denen man lauschen wollte, sie malten die Bilder, die man so gern be­trachtete und entstehen sah. Unsere Gespräche waren ein allumfassendes Er­lebnis mit hoher sinnlicher Qualität.

Nicht selten versäumten wir etwas, weil uns unser Gespräch im Moment wich­tiger war. Übliche Kategorien für Gespräche, wie zum Beispiel so etwas wie: in­teressant erzählen zu müssen, um den Partner nicht zu langweilen, wären uns absurd und lächerlich erschienen, auch wenn Bea ihre ironischen Fragen zu ei­ner von ihr persönlich entwickelte Spezialform der Mäeutik erklärte, und mir aufzeigen wollte, wie sie mich dadurch zu Wissen und Erkenntnis durch mich selber bringen werde. Kleinste Erklärungen oder Informationen konnten oft viel Zeit in Anspruch nehmen, weil wir Lust daran hatten, aus ihnen ein Erlebnis mit dem anderen zu machen.

Wo war dieses Bedürfnis, das uns beide erfasst hatte verborgen gewesen, als wir noch nicht zusammen waren? War es vielleicht gar kein originäres Bedürf­nis, sich mitzuteilen oder etwas ähnliches? War das Gespräch nicht vielleicht eher so etwas wie ein Gewand, das die Person des anderen erkennen lässt, sie aber nicht ganz offenbart, sondern ihren Reiz und die Lust auf sie erhöht. Es bereitete uns Lust, dem anderen beim Sprechen zuzuhören und ihn dabei an­zuschauen und zu empfinden, sowie selber etwas darzustellen, und den ande­ren unseren Gedankengängen folgend, unsere Person wahrnehmend und unse­re Signale suchend zu wissen, um dann seine Reaktion zu erwarten.

Ein wenig kam es mir vor, wie bei den eigentlich ja relativ belanglosen kleinen Mails, in denen wir ja wenig Bedeutsames und so gut wie nichts Konkretes über uns selbst gesagt hatten, die aber bei uns beiden so eindrucksvolle Bilder erzeugten, die tiefe psychische Auswirkungen für uns zur Folge hatten.

Vielleicht waren unsere Gespräche ja ein Weg, den wir beide unbewusst ge­wählt hatten, um uns gegenseitig immer noch tiefer näher zu kommen, uns besser zu erkennen, uns noch intensiver gegenseitig erfahren und aufnehmen zu können.


Kleine Katastropen mit großen Wundern

 

Zum Ende des Sommers, der in diesem Jahr nicht erderwärmungsheiß gewe­sen war, wohnte ich in Meerbusch bei Düsseldorf mit einer Frau aus der Part­nervermittlung zusammen, die sich von mir bei unserm zweiten Treffen ge­trennt hatte, und die für mich fast ein Jahr lang unsichtbar gewesen war. Un­sere Beziehung, die ja gar nicht mehr bestand, war das einzige, das sie trotz aller Therapie als Realität festgehalten hatte, und nicht in irgendeine Traum­welt hatte konstruieren lassen. Mir erschien es jetzt eher wie ein Traum, den ich jeden Tag aufs neue nicht nur träumen, sondern leben durfte. Ich hatte das Empfinden auf einem anderen Planeten zu wohnen, auf dem keine Katastro­phen drohen können, weil ich nicht nur eine Partnerin, eine Frau für eine schö­ne Beziehung gefunden hatte, sondern sehr viel mehr. Ich hatte einen Men­schen kennengelernt, der in mir etwas belegte, von dem ich gar nicht wusste, dass es noch existierte. Es konnte keine Wünsche mehr entwickeln, keine Be­dürfnisse mehr formulieren und keine Träume mehr gebären. Ich habe nicht einmal wahrgenommen, dass es nicht mehr zu existieren schien, aber gestor­ben war es ja nicht. Vielleicht geht es den vielen Menschen, die sich für abge­klärt und erfahren halten ja in gewisser weise ähnlich. Sie können vieles nicht mehr erkennen, wovon sie schöne Träume haben könnten, die sich zu leben lohnten. Sterben wird es in einem Menschen niemals, dafür ist es zu alt und zu früh eigebrannt. Vielleicht bedarf es ja einer kleinen Katastrophe, um es wieder zu neuem Leben zu erwecken, so wie die kleine Katastrophe ja auch für mich mit ungewöhnlich angenehmen Konsequenzen verbunden war. Der heiße Er­derwärmungstag im vergangenen Sommer, den ich so entspannt genießen wollte, und der letztendlich dazu führte, dass sich mein gesamtes bisheriges Leben komplett veränderte. Ähnlich katastrophale Sommertage kann ich nur jedem Menschen wünschen, gezielt finden wird man sie aber leider wohl eher kaum.

 

FIN

 

Ne rêve pas ta vie vis ton rêve

 

Eigentlich hatte ich bei der Partnervermittlungsagentur ja nicht wirklich eine Frau gesucht. Ich sah es eher als Joke, den ich mal probieren wollen, hatte aber Bea kennengelernt, und bevor es ernsthaft begonnen hatte, war es schon wieder vorbei. Warum war ich so enttäuscht, als ob mich eine langjährige gute Freundin ver­lassen hätte, obwohl mir selbst noch nicht mal wirklich klar war, ob ich Bea überhaupt lieben würde. Es tat mir weh, äußerst weh, all das mit ihr Verbunde­ne plötzlich zu verlieren. Ob ich sie liebte oder nicht, eine müßige Frage eigent­lich, sie war zum Quell meiner täglichen Lebensfreude geworden. Ihre neckischen E-Mails, waren kein nettes Aperçu. Ich wartete gespannt darauf, und freute mich sie zu beantworten. Gedanken an sie waren immer mit wohlig freudigen Emp­findungen verbunden. Das alles gab es auf einmal nicht mehr, sollte nicht mehr als ein kurzer Traum gewesen sein.

Ende Juni erhielt ich eine Ansichtskarte aus Belém in Portugal: „Hallo Chris, ich mache hier Urlaub. Alles total spannend, erlebe es zum ersten mal. Ich hoffe du bist nicht mehr so frech. Deine Bea“. Was hatte das denn zu bedeuten? 'Meine Bea' schickt mir nach fast einem Jahr Funkstille eine Urlaubskarte aus Portugal mit einer lustigen Bemerkung. Mit wem machte sie denn Urlaub? Al­lein doch wohl kaum. Hatte sie jetzt jemanden ohne 'verlogenen Männermist' gefunden? Ihre Tochter, mit der sie zusammen in Urlaub war, habe ihr vorgeschlagen, mir doch eine Karte zu schicken, weil sie doch immer noch von mir träume. Wie bitte? Bea von mir träume? „Bea, ich glaube du willst mich auf den Arm nehmen.“ meinte ich zu ihr. „Nein, nein, Chris, das ist schon so. Vergessen habe ich dich nicht.“ erklärte sie. „Kannst du dir vorstellen, dass ich mich nicht getraut habe.“ Das konnte ich nicht. Sie erklärte mir, ihre Ansicht sei gewesen, dass ich sie für völlig übergeschnappt hielte, was auch zuträfe, und ich mit ei­ner so Durchgedrehten sicher nichts hätte zu tun haben wollen. Der Gedanke habe ihr sehr weh getan, und da habe sie lieber von unseren wenigen schönen Tagen und Erlebnissen geträumt.

 

 

 

Bea rastet nie mehr aus- Seite 27 von 27

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Tag der Veröffentlichung: 31.05.2013

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