Cover

Introduction und Inhalt

Carmen Sevilla 

Ein Espresso für Sophia

Du tust mir sehr gut, Pierre.

 

Erzählung

 

L'espoir fait vivre.

 Eines Tages, als Sophia mit Erik am Abendbrottisch saß, sagte er kühl und nüch­tern: „Mir ist zugetragen worden, dass du einen Freund aus eurer Firma hast, mit dem du jeden Tag, von Montags bis Donnerstags nach der Arbeit zu ihm nach Hause fährst. Trifft das zu?“ Sophia hörte auf zu kauen und erstarrte. Jetzt irgendetwas zu plappern und es abzustreiten, das konnte sie nicht. Trotz allem war Erik ja kein dummer Junge für sie. Sie achtete, respektierte und mochte ihn schon. „Sophia, du wirst mir etwas dazu sagen müssen.“ forderte Erik sie auf zu antworten. Sie konnte, was sie im Mund hatte, nicht mehr run­terschlucken und spuckte es auf den Teller. „Ja es ist zutreffend.“ antwortete sie nur. Blickte mal zu Erik und mal auf ihren Teller. „Es wäre mir schon lieb, von dir etwas mehr zu erfahren, Sophia. Was bietet dieser Mann meiner Belle de Jour, was für sie hier nicht möglich wäre?“ fragte Erik weiter, und verdeut­lichte, dass er zwar äußerlich Coolness zeigen konnte, es ihn aber natürlich schon emotional traf. Er lebte für die Arbeit, alles andere war für Erik Sophia, beziehungsweise mit ihr Zusammenhängendes. Das hatte sich die ganzen Jah­re über nicht abgeschwächt. Sophia genoss es und wusste es zu schätzen. Was sollte sie Erik, der bereit war, alles für sie zu tun erklären. Sie wollte ihm offen zu erklären versuchen, wie es sich für sie darstellte, vielleicht würde er es ja verstehen können. „Erik ich liebe dich und mag dich. Unser Zusammenleben über die ganzen Jahre hin, gefällt mir und ist mir wichtig. Ich habe nur erfah­ren, dass es auch etwas anderes geben kann, das sich auf einer ganz anderen Ebene bewegt, und das mir auch sehr wichtig und bedeutsam geworden ist. Es ist mit unserem Zusammenleben nicht zu vergleichen. Ich kann und will mich nicht für das Eine und gegen das Andere entscheiden. Es gefällt mir und befriedigt mich beides. Mein Freund würde es wahrscheinlich auch lieber sehen, wenn ich ständig bei ihm wäre. Aber es ist mein Leben und gehört nicht einem anderen Menschen, einem Mann, der mir vorschreiben will, wie es mir zu gefallen hat. Wahrscheinlich ist es sehr hart für dich, und trifft dich empfindlich, vielleicht bist du aber auch so stark, dass du es ein wenig verstehen und respektieren kannst. Ich persönlich möchte keine Veränderung. Ich werde meinen Freund nicht aufgeben, möchte dich aber auch keinesfalls verlieren.“ erklärte Sophia jetzt ruhig und entspannt ihre Situation. Sie hatte es gesagt, aber was wurde war nicht klar, und ein Espresso schmeckte ihr zu Hause nicht.

 

 

Ein Espresso für Sophia - Inhalt

 

Ein Espresso für Sophia 4

Stromausfall 4

Sophia und Erik 4

Espresso mit Pierre 5

Café-Renovierung 6

Wieder zu Pierre 7

Wo ist deine Dusche? 7

Sophias warme wohlige Welt 9

Pierres Freundin 9

Zwei Welten 10

Erik weiß alles 10

Tag danach 11

Eriks Einverständnis 12

Sophias Bedenken 12

Eriks Unfall und Sophias Vorwürfe 12

Therapie 13

Sophias Pläne 14

Pierres Perspektive 14

Neues Leben für Pierre 15

Sophia wieder zurück 15

Sophia in Frankreich 16

Enttäuscht 17

Auseinandersetzung mit Gudrun 17

Pierre auf der Suche 18

Wieder im Espresso-Café 18

Lieber zu Pierre 19

Beziehungsrevision 19

Neue Beziehung 21

Die Nacht 22

Life together 23

Bambini? 24

Epilog 25

 

 

 

Ein Espresso für Sophia

Dass es bei einem einmaligen temporären Erlebnis bleiben, und sie ab nächster Woche wieder brav im Café ihren Espresso trinken würden, hielt auch Sophia nicht für sicher. Dafür war das Bedürfnis, von Pierre mehr erleben zu wollen, als ihn nur im Café anzuschauen, zu groß. Dass sie aber von nun an Montags bis Donnerstags nach der Arbeit selbstverständlich immer für etwa eine Stunde zu Pierre gingen, hatte sie auch nicht erwartet. Sie schliefen nicht immer mit­einander, aber Sophia war bei Pierre zu Hause. Sie lagen auch nicht immer auf seinem Bett und besprachen etwas, Sophia fühlte sich einfach wohl in Pierres Nähe und seiner Umgebung. Sie meinte eines Tages zu Pierre: „Weißt du Pier­re, du bist eigentlich so etwas wie meine Schmusekatze, na ja, Kater, du bist ja ein Mann, aber ich fühle mich bei dir so richtig wohl, so warm als ob ich in meinem Katzenkörbchen läge, und du mich streicheln würdest. Ich könnte bei dir immer schnurren vor Wärme und Wonne. Das ist eine neue Erfahrung, ein neues Erlebnis für mich, dass ich bislang nicht kannte. Ich wusste nicht, dass ich ein Bedürfnis nach Geborgenheit und Wärme habe, und wie schön es sein kann, dies zu genießen. Durch dich und unser Zusammensein habe ich es ken­nengelernt, und es gefällt mir außerordentlich gut. Meine andere Welt er­scheint mir dagegen kühl und hart. Überall nur Ecken, glatte Stellen und Nüch­ternheit. Schön anzuschauen, ästhetisch prima, nur wo ist das Leben? Bei dir ist es umgekehrt, hier ist Pierres Leben dominant und wir beide mittendrin. Du tust mir sehr gut, Pierre.“

Stromausfall


Vor einer Woche ist bei uns im ganzen Haus der Strom ausgefallen. Für acht Stunden am Sonntag. Das Hauptzuleitungskabel war beschädigt, und es muss­te erst die Straße aufgerissen werden, um den Beschädigungsort genau zu lo­kalisieren. Was macht man denn acht Stunden ohne Strom? Kein Licht, keine Wärme, kein Mittagessen. Nicht mal einen Kaffee können sie sich kochen, und im Eisschrank ist alles aufgetaut. Sie können den Fernseher nicht benutzen, und mit ihrer Musikanlage werden sie sich nicht über die Malaise hinweg trös­ten können. Ihr Computer funktioniert nicht, die Batterie des Laptops ist schnell leer, und ins Internet können sie sowieso nicht, weil der Router nicht funktioniert. Verreisen, zu Bekannten gehen? Hier können sie nicht leben. Erst jetzt wird ihnen deutlich, dass ihre Existenz an einer Steckdose hängt. Nie wie­der wollen sie so etwas erleben. Sollen sie sich vorsichtshalber ein Notstrom­aggregat auf den Balkon stellen, oder sich unabhängiger machen, in dem sie ihre Lebensbedingungen verändern. Dann werden sie auf vieles verzichten müssen, was ihnen heute lieb, bedeutsam und im Grunde unverzichtbar ist. Beides werden sie nicht tun. Sie werden nicht zu archaischen Lebensformen zurückkehren und sich auch kein Stromaggregat für den Fall, dass sich so et­was noch einmal in ihrem Leben ereignen sollte, auf den Balkon stellen. Le­benssituationen, die Menschen ratlos werden lassen, in denen sie nicht wissen, was sie tun sollen, wie sie sich verhalten sollen, wie es weiter gehen sollte, gibt es für jeden öfter, und fast immer ist die Angelegenheit bedeutsamer und komplizierter als bei einem langandauernden Stromausfall.


Am bekanntesten ist Lenins Frage „Was tun?“ im Zusammenhang mit der Ent­wicklung des Sozialismus, in dessen Beantwortung er die Notwendigkeit der „Avantgarde des Proletariats“ entwickelt. Wer ratlos, verzweifelt ist und nicht weiß, wie es weiter gehen soll, ist nicht zwangsläufig Mitglied sozialer Schich­ten, die aus finanziellen Gründen in Existenznöte geraten sind. Auch Menschen, die von dieser zunehmenden Entwicklung nicht betroffen sind, sie vielleicht so­gar nicht einmal wahrnehmen, können in einen Zwiespalt, häufig psychischer Art, geraten, in dem sie sich nicht vorzustellen wissen, wie es weiter gehen könnte. Die Ratlosigkeit beim Stromausfall belästigt mich nicht sehr, häufig ist das Empfinden der Ausweglosigkeit aber so gravierend, dass es Menschen zu realitätsfernen Handlungen veranlasst, oder sie selbst dazu verleiten kann, aus allem flüchten zu wollen und sich das Leben zu nehmen.


Sophia und Erik


Que faire -Was tun? Diese Frage stellte sich für Sophia nie. Sie führte ein sorg­loses Leben und empfand sich als selbst als glücklich. Sie war eine ausgespro­chen gut aussehende Frau. Eric ihrem Chef musste an Szene von damals aus der Schule denken. Als ein Lehrer eine Schülerin ermahnte, sie müsse ihr hüb­sches Köpfchen auch mal anstrengen, hatte die geantwortet: „Schöne Frauen brauchen nicht zu denken. Die heiraten einen reichen Mann, der alles bezahlt.“ Bei Sophia hätte das auch zutreffen können. Sei war Diplom Betriebs­wirtin und stand voll im Berufsleben. Es gefiel ihr, obwohl sie es nicht nötig ge­habt hätte, denn ihr Mann war in seinem Unternehmen mittlerweile im Vor­stand und dort für das gesamte Personalwesen zuständig. An Geld mangelte es keinesfalls. Kinder hatten sie keine, obwohl das bei ihrer Heirat im Grunde selbstverständ­lich war. Nur als Sophia gar nicht schwanger wurde, stellte sich heraus, dass sie so nicht in der Lage war, Kinder zu bekommen. Eine Operation an ihren Ei­leitern hätte es wahrscheinlich ermöglicht. Unter Erik, ihrem Mann, und ihr selbst kamen Zwei­fel auf, ob ihnen das überhaupt so viel bedeute. Sie ent­schieden sich, dass auch ein Leben ohne Kinder angenehm sei, und sie ihr Le­ben nicht zwanghaft auf's Kinderbekommen fokussieren wollten. Dass sie ar­beitete, bedeutete viel für Sophia, sie fühlte sich selbständiger und unabhängi­ger, es stärkte ihr Ego und war auch für Erik selbstverständlich. Sophia war trotz ihrer mittlerweile vierzig Jahre eine attraktive Frau, sie hatte Lust daran, sich elegant und leicht aufreizend zu kleiden, und Erik vergötterte sie, wenn er abends nach Hause kam. Er kam fast immer erst am frühen oder auch späte­ren Abend, denn in seiner Position war eine begrenzte Arbeitszeit lächerlich. Es war selbstver­ständlich, dass er erst nach Hause ging, wenn die Arbeit erledigt war. Nicht selten kam es vor, dass sie sich für den Abend etwas vorgenommen hatten, und der Termin ausfallen musste, weil Erik noch nicht nach Hause kom­men konnte. Sophia störte das nicht besonders, da sie wusste, dass es in ihrer Fir­ma nicht anders lief. Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn sie nicht nur die gemeinsamen Wochenenden und die kurzen Abende gemeinsam verbringen könnten. Sie hätte sich schon vorstellen können, wie das Leben für sie sich an­ders gestaltet hätte, wenn Eric auch um 16 Uhr seinen Arbeitstag beendet hät­te, aber im Grunde dachte sie kaum daran. Sie hatten eben die finanziellen An­nehmlichkeiten vorgezogen, und wenn Erik damals den Vorstandsposten nicht angenommen hätte, wäre das mit Sicherheit das Ende seiner Karriere gewe­sen. Unzufriedenheit über ihre gemeinsame Situation existierte auf keiner Sei­te. Für Sophia war die Zeit bis zu Eriks Rückkehr keineswegs mit Langeweile verbunden. Sie hatte eine Vielzahl von Möglichkeiten, diese Zeit für sie ange­nehm zu verbringen, traf sich mit Freundinnen und Bekannten, ging einkaufen oder kochte etwas. Sie las auch gern und schrieb sich Mails mit Freunden und Verwandten. Ihre Zeit war ausgefüllt mit Aktivitäten, die ihr emotional ange­nehme Empfindungen vermittelten. Sie war mit sich zufrieden und glücklich, und das wusste sie auch Erik zu vermitteln, wenn er abends nach Hause kam.


Espresso mit Pierre


Nach Büroschluss ging sie meistens noch mit Pierre im Café an der Straße zum Parkplatz einen Espresso trinken. Zu Pierre hatte sie häufigen Kontakt. Was sie erarbeitet hatte, erhielt er, musste es kontrollieren und sich darum kümmern, dass es praktisch realisiert wurde. Formal war er ihr Vorgesetzter, aber diese hierarchische Denkweise hielt Sophia für lächerlich, und auch Pierre äußerte nie irgendwelche Attitüden dieser Art. Wenn er ihr erklärte, dass er etwas von ihr toll gefunden hatte, war das für Sophia kein Lob von oben, sondern eine Anerkennung unter Freunden, die ihr schmeichelte, und auch wenn Pierre mal anderer Ansicht war als sie, diskutierten sie darüber. Anweisungen oder mah­nende Kritik waren undenkbare Vorstellungen. Man schien auf ähnlicher Wel­lenlänge zu liegen, kam sehr gut miteinander aus und mochte sich. Pierre drängt auch nichts, möglichst schnell nach Hause zu kommen. Er lebte allein, hatte sich vor acht Monaten von seiner langjährigen Freundin getrennt und schien es noch nicht ganz verwunden zu haben. Jedenfalls hatte er sich noch nicht auf eine neue Beziehung eingelassen.


Café-Renovierung


Als sie an einem Dienstag Mitte Mai in ihr Café wollten, war es geschlossen, für eine Woche wegen Renovierungsarbeiten. Pierre und Sophia schauten sich kurz enttäuscht aber akzeptierend an. Dann fuhr man eben ohne Espresso nach Hause. „Oder sollen wir in ein anderes Café gehen? Gleich da vorne ist ein Bistro. Da gibt es auch bestimmt Espresso.“ fragte Sophia. „Du kannst auch mit zu mir kommen. Meine Kaffeemaschine kann uns auch welchen machen.“ erwiderte Pierre. Warum nicht, dann sah sie mal wie Pierre wohnte. Er hatte ihr schon öfter von seinem Loft erzählt. Also auf einen Espresso zu Pierre.

„Was hat man denn früher hier gemacht? Haben hier Webstühle gestanden, oder sind hier Panzer zusammengeschraubt worden?“ fragte Sophia scherzhaft als sie den riesigen Hallenraum betraten, der Pierre als Wohnung diente. „So weit ich weiß, war es nur ein Lagerraum. Das ganze Gebäude gehörte nämlich einem Handelskontor.“ beantwortete Pierre ihre Frage. „Was für einen hüb­schen Quilt du hast. Wo hast du den her. Der gefällt mir.“ bemerkte Sophia so­fort als sie Pierres Bett sah, das nicht in einer abseitigen, vielleicht besonders gemütlichen Ecke stand, sondern zentral im Raum neben der Couch protzte. „Ja ich mag Quilts sehr, meinen ersten habe ich mir damals schon während der Schulzeit aus den USA mitgebracht. Ein Original Amish Quilt, war ich so ver­liebt drin, dass ich ihn unbedingt haben musste. Ich habe ihn auch heute noch, nur lege ich ihn nicht mehr aufs Bett. Ist mir zu schade, wenn er abgenutzt wird. Ich liege nämlich sehr viel auf dem Bett. Wenn ich nicht gerade herum­laufe, liege oder sitze ich fast immer auf dem Bett.“ klärte Pierre sie auf. „Des­halb steht es auch hier mitten im Raum, weil es in etwa deine Zentrale ist?“ wollte Sophia noch wissen. „Ja, es ist viel angenehmer auf dem gepolsterten Bett im Schneidersitz zu sitzen oder zu liegen. Das wussten früher schon die Römer. Nur nachfolgenden Generationen erschien es wohl immer herausgeho­bener und Ehrfurcht gebietender, wie der Herrscher auf dem Thron zu sitzen. Dabei ist man auf einem Stuhl oder Sessel viel verkrampfter, und Gespräche verlau­fen auch anders, wenn man zusammen auf dem Bett liegt, als wenn man sich in Kampfposition gegenüber sitzt.“ erläuterte Pierre. „Wie, wenn dich je­mand besuchen kommt, legst du dich mit ihm aufs Bett und unterhältst dich so mit ihm?“ fragte Sophia erstaunt nach. „Meistens schon. Mit einem Versiche­rungsvertreter eher nicht. Nur alle Bekannten finden das gut und angenehm, auch wenn sie zunächst mal skeptische Minen machen.“ antwortete Pierre. „Und dann werden wir jetzt unseren Espresso auch auf dem Bett zu uns neh­men, du alter Römer?“ fragte Sophia erheitert. „Wenn du nichts dagegen hast und un­bedingt lieber im Sessel oder auf der Couch sitzen möchtest.“ war Pier­res Ant­wort. Sophia fand es absolut erheiternd. Sie überlegten, wie Konferen­zen wohl verlaufen würden, wenn man sich liegend auf einer großen Polster­landschaft statt an Tisch und Stühlen unterhielt. Es wäre sicher alles viel ange­nehmer und entspannter, und Frau Trepel, die gemeinhin als alte Juffer ange­sehen wurde, bekäme auch sicher mal ein Küsschen. Sie lachten und scherz­ten, und Sophia fühlte sich ausgesprochen wohl, ihr gefiel es sehr gut. So gut, dass sie gar nicht bemerkte, wie die Zeit verging, und sie schon über eine Stunde mit ei­nem Espresso auf Pierres Bett lagen. Hastig raffte sie sich auf, streichelte Pier­res Wange und verabschiedete sich mit einem: „Danke Pierre. Hat mir sehr gut gefallen. Bis Morgen.“


Wieder zu Pierre


Am Mittwoch sagte Sophia nach Büroschluss gleich zu Pierre: „Zu dir, oder?“. Pierre nickte nur, und Sophia fühlte sich in Pierres Wohnung schon fast ein we­nig heimisch. Sie half beim Kaffeekochen und ließ sich von Pierre die Funkti­onsweise der Kaffeemaschine erklären. Schaute sich noch dies und jenes in der Wohnung an, und fragte Pierre nach Bedeutung und Herkunft. In Pierres Woh­nung lebte eine ganz andere Welt, als sie es von sich gewohnt war. Bei ihr war alles ordentlich und angenehm arrangiert, innenarchitektonisch korrekt, normal eben. Bei Pierre hatte alles seine individuelle Funktion und Relevanz. In seiner Wohnungsgestaltung und -einrichtung lebte Pierre persönlich. Bei ihr hätte je­der Beliebige wohnen können. Persönlichen Charakter hatte ihr Haus nicht. Ob sie bei sich mal etwas ändern sollte, überlegte Sophia. Aber nein, das hätte gar nicht zu ihnen gepasst, und sie hätte auch gar nicht gewusst, was und wie denn eigentlich. Trotzdem gefiel ihr Pierres Loft sehr gut. Es vermittelte einen Bezug zu einem Menschen, der darin lebte, strahlte Wärme aus, man konnte sich darin wohlfühlen und als geborgen empfinden. Eine wohltuende, angeneh­me Umgebung, wie Sophia empfand. Die beiden räkelten sich wieder Espresso trinkend auf dem Bett und lachten viel, bei dem, worüber sie sich unterhielten. „Ich glaube aber nicht, dass man sich liegend über ernsthafte Probleme unter­halten kann.“ erwägte Sophia. „Warum nicht.“ meinte Pierre, „Die meisten Szenen der Ehekriege finden doch auch liegend im Bett statt. Die meisten Men­schen liegen ja schon ganz gerne. Wie viele Bücher werden in Betten gelesen, und wie viele Unterhaltungen werden in Betten geführt. Nur eben abends unter der Bettdecke. Sich tagsüber darauf zu legen, kommt den meisten kurios vor oder fällt ihnen gar nicht erst ein.“ Sophia blickte Pierre intensiv an. Schon durch diese zwei Besuche hatte sich an ihm für sie etwas verändert. Er war nicht mehr nur der nette freundliche Arbeitskollege. Sie empfand es so, dass sie bei diesen zwei Besuchen viel von ihm persönlich kennengelernt hatte. So viel, dass er auf sie wie ein sehr guter Bekannter, wie ein Freund wirkte. Von der Distanz vermittelnden persönlichen Fremdheit war vieles verloren gegan­gen.


Wo ist deine Dusche?


Am Donnerstag fragte man sich gar nicht erst mehr. Man ging davon aus, dass jeder es gesagt hätte, wenn es ihm heute nicht auskäme. Sophia saß im Schneidersitz auf dem Bett und schaute auf den auf dem Rücken liegenden Pi­erre runter. „Sag mal, du alter Römer,“ begann sie und verwuschelte ihm mit einer Hand das Haar, „ich finde du bist ein Mensch mit so vielen individuellen Besonderheiten, dass es gar nicht zu dir passt, im kaufmännischen Be­reich zu arbeiten. Ich könnte mir dich viel eher als Künstler, nein eher als For­scher, als Archäologe oder Biologe vielleicht vorstellen. Warum machst du nicht so etwas?“ Pierre lächelte. „Soll ich dich jetzt mit meiner Bio langweilen? Also: Als ich einmal geboren wurde … . Nein, nein, mach ich nicht. Ist halt so. Ich versuche damit klar zu kommen, und ich glaube, es funktioniert auch ganz gut. Außerdem hätten wir uns ja sonst gar nicht kennen lernen können. Stell nicht so viele Fragen.“ reagierte Pierre. „Ich wollte dich nicht ärgern.“ stellte Sophia, die jetzt wieder mit dem Kopf auf den linken Arm gestützt neben ihm lag, klar „Ich mag es, mir gefällt es. Es war eher als eine Art von Bewunderung, als Kompliment gedacht.“ Pierre schmunzelte und hauchte lächelnd ein „Danke“. Sophia sah auf Pierre runter und fühlte, wie sie Lust hätte, ihn zu küssen. Er­schrocken starrte sie in die Ferne des großen Lofts. Sie kannte so etwas nicht von sich. Ein Interesse, mit jemand anders zu schmusen und sich zu küssen als mit Erik, war ihr noch nie bewusst geworden, sie hatte es noch nie gehabt, jetzt schon. Mit breit gezogenen Lippen, nicht lächelnd aber auch nicht ernst schaute sie wieder Pierre intensive an. „Was ist?“ fragte der, „Ist irgendetwas nicht in Ordnung, oder warum schaust du so?“ Sophia wartete einen Moment, dann sagte sie „Ich würde dich gern küssen.“ machte eine kurze Pause und fügte hinzu, „aber ich weiß nicht, ob ich das, was sich wahrscheinlich daraus entwickeln wird, hinterher gewollt haben werde.“ Pierre lächelte, während die Lust darauf sich immer stärker Sophias Gedanken und Empfindungen zu be­mächtigen schienen. Was sollte das? Nie wäre ihr der Gedanke gekommen, Erik zu betrügen, sie hatte nie irgendeine Art von Lust dazu verspürt. Wenn sie sich jetzt ihrem Bedürfnis überließ, Erik würde zwar nichts erfahren, aber wür­de es für sie etwas an ihrer Beziehung ändern? Sophia konnte nicht klar den­ken, immer wieder drängte sich die Lust auf Pierre stärker werdend in den Vor­dergrund. Sie müsse sich körperlich bewegen, etwas anderes tun, meinte sie, damit sie wieder normal denken könne. Sie sprang aus dem Bett und machte zwei neue Espressos. Es wirkte schon ein wenig beruhigend. Sie versuchte Pi­erre zu verdeutlichen, dass sie nicht sicher sei, was es für sie bedeuten würde, und welche Auswirkungen es haben könne. Ob es ein temporäres kleines Er­lebnis sei, an das sie im Zusammenhang mit Erik gar nicht denken würde, oder ob es ständig präsent bliebe, und in ihrer Beziehung zu Erik ständig gegenwär­tig sei. Pierre schaute sie süß sauer lächelnd an und meinte: „Sophia, dazu kann ich dir überhaupt nichts Hilfreiches sagen. Das ist ausschließlich ganz al­lein deine Entscheidung. Ich bin mir nur ziemlich sicher, dass allzu langes Grü­beln nicht lustfördernd wirkt. Außerdem hast du mich ja noch gar nicht gefragt, ob ich überhaupt Lust dazu habe.“ „Das weiß ich auch so, kleines Böckchen.“ meinte Sophia, schaute ihn schelmisch an und gab ihm mit der Hand einen Klaps auf seinen in der Hose deutlich sichtbar erigierenden Penis. Sophia ließ sich auf Pierre fallen und dachte ab jetzt nur noch daran, Pierre zu erleben und mit ihm glücklich zu werden.

„Wo ist deine Dusche?“ fragte Sophia lächelnd mit tiefer dunkler glücklicher Stimme, „rück das Duschgel und ein Handtuch raus.“ Pierre lächelte und be­folgte Sophi­as Anweisungen. Unter der Dusche sinnierte Sophia über die bei­den Männer, die sie jetzt kannte. Mit Pierre war es ein wunderbares Erlebnis gewesen, das sie in keinem Fall bereuen würde. Er war ein anderer Mensch, der in einer an­deren Welt lebte und der auch beim Ficken ein völlig anderes Er­lebnis vermittelte. Sie hatte immer lachen müssen. Das war ihr sonst noch nie passiert. Bei Erik war ihr zwar noch nie danach, aber wenn, dann hätte sie sich gar nicht getraut, weil sie befürchtet hätte, Erik fühle sich ausgelacht. Bei Pier­re kam ihr der Gedanke überhaupt nicht. Pierre musste auch lachen und hatte lachend gemeint: „Sophia, so geht das nicht.“ „Kannst dich nicht konzentrie­ren, hm? Ich werde mich bemühen, ein wenig ernster bei der Sache zu sein.“ hatte Sophia geantwortet. Eine Unterbrechung mit Lachen und Küssen war die Folge. Sophia mochte das alles sehr, es erfreute sie, frei und ungezwungen fühlte sie sich, und es vermittelte ihr das Empfinden glücklich zu sein. Pierre war natürlicher, lebendiger näher an Sophias Person. Sie küssten sich lange und schauten sich tief an, als sie sich verabschiedeten. Worte wechselten sie keine. Sophia gab Pierre nur glücklich lächelnd einige Klapse auf die Wange.


Sophias warme wohlige Welt


Dass es bei einem einmaligen temporären Erlebnis bleiben, und sie ab nächster Woche wieder brav im Café ihren Espresso trinken würden, hielt auch Sophia nicht für sicher. Dafür war das Bedürfnis, von Pierre mehr erleben zu wollen, als ihn nur im Café anzuschauen, zu groß. Dass sie aber von nun an Montags bis Donnerstags nach der Arbeit selbstverständlich immer für etwa eine Stunde zu Pierre gingen, hatte sie auch nicht erwartet. Sie schliefen nicht immer mit­einander, aber Sophia war bei Pierre zu Hause. Sie lagen auch nicht immer auf seinem Bett und besprachen etwas, Sophia fühlte sich einfach wohl in Pierres Nähe und seiner Umgebung. Sie meinte eines Tages zu Pierre: „Weißt du Pier­re, du bist eigentlich so etwas wie meine Schmusekatze, na ja, Kater, du bist ja ein Mann, aber ich fühle mich bei dir so richtig wohl, so warm als ob ich in meinem Katzenkörbchen läge, und du mich streicheln würdest. Ich könnte bei dir immer schnurren vor Wärme und Wonne. Das ist eine neue Erfahrung, ein neues Erlebnis für mich, dass ich bislang nicht kannte. Ich wusste nicht, dass ich ein Bedürfnis nach Geborgenheit und Wärme habe, und wie schön es sein kann, dies zu genießen. Durch dich und unser Zusammensein habe ich es ken­nengelernt, und es gefällt mir außerordentlich gut. Meine andere Welt er­scheint mir dagegen kühl und hart. Überall nur Ecken, glatte Stellen und Nüch­ternheit. Schön anzuschauen, ästhetisch prima, nur wo ist das Leben? Bei dir ist es umgekehrt, hier ist Pierres Leben dominant und wir beide mittendrin. Du tust mir sehr gut, Pierre.“


Pierres Freundin


Pierre liebte Sophia. Es schmerzte ihn, wenn sie ihn jeden Nachmittag nach der kurzen Zeit des Zusammenseins wieder verließ. Wie gerne hätte er auch seine Wochenenden mit ihr verbracht. Neuerdings freute er sich auf seine Arbeit, war froh, wenn das Wochenende vorbei ging, weil er immer dann Sophia wieder se­hen konnte. Sie hatte ihm ziemlich zu Beginn ihrer regelmäßigen Besuche deutlich erklärt, sie sei mit Erick verheiratet und liebe Pierre. Sie wolle beides behalten und nichts davon verlieren. Sie brauche beides. Eine Stunde für die Liebe pro Tag müsse ausreichen, und außerdem sei sie bei der Arbeit ja auch nicht ganz abwesend. Dass sie ihn liebe, hatte Pierre gefreut, und er befürch­tete durch drängelnde Forderungen nach mehr Zeit für ihn, oder den Wunsch, sich ganz für ihn zu entscheiden, eher Sophia ganz zu verlieren, als etwas dazu zu gewinnen. Welch kuriose Situation für ihn. Er hatte an vier Tagen für jeweils eine Stunde eine Freundin. Trotzdem bedeute ihm Sophia sehr viel. Er konnte unter diesen Bedingungen keine andere Frau kennenlernen, und es lag ihm auch fern. Er hatte kein Interesse daran.


Zwei Welten


Für Sophia war es zur selbstverständlichen Alltagspraxis geworden. Skrupel und Bedenken gegenüber ihrem Verhältnis zu Erik hatte sie nicht. Sie hielt es einfach für zwei Welten, in denen sie lebte, von denen jede ihre Vorzüge hatte. Das Leben mit Erik war exklusiv und elegant, aber nach dem sie es kennenge­lernt hatte, ohne das Zusammensein mit Pierre allein nicht zu ertragen. Pierre bot ihr Freude und Glück bei der Arbeit und eine Stunde danach. Das war sehr viel und ließ sie die Nachteile der Zeit danach im Hinblick auf die Vorzüge hier gut ertragen. So lebte sie es, war damit zufrieden und sah es für sich als selbstverständlich an.


Erik weiß alles


Eines Tages, als sie mit Erik am Abendbrottisch saß, sagte er kühl und nüch­tern: „Mir ist zugetragen worden, dass du einen Freund aus eurer Firma hast, mit dem du jeden Tag, von Montags bis Donnerstags nach der Arbeit zu ihm nach Hause fährst. Trifft das zu?“ Sophia hörte auf zu kauen und erstarrte. Jetzt irgendetwas zu plappern und es abzustreiten, das konnte sie nicht. Trotz allem war Erik ja kein dummer Junge für sie. Sie achtete, respektierte und mochte ihn schon. „Sophia, du wirst mir etwas dazu sagen müssen.“ forderte Erik sie auf zu antworten. Sie konnte, was sie im Mund hatte, nicht mehr run­terschlucken und spuckte es auf den Teller. „Ja es ist zutreffend.“ antwortete sie nur. Blickte mal zu Erik und mal auf ihren Teller. „Es wäre mir schon lieb, von dir etwas mehr zu erfahren, Sophia. Was bietet dieser Mann meiner Belle de Jour, was für sie hier nicht möglich wäre?“ fragte Erik weiter, und verdeut­lichte, dass er zwar äußerlich Coolness zeigen konnte, es ihn aber natürlich schon emotional traf. Er lebte für die Arbeit, alles andere war für Erik Sophia, beziehungsweise mit ihr Zusammenhängendes. Das hatte sich die ganzen Jah­re über nicht abgeschwächt. Sophia genoss es und wusste es zu schätzen. Was sollte sie Erik, der bereit war, alles für sie zu tun erklären. Sie wollte ihm offen zu erklären versuchen, wie es sich für sie darstellte, vielleicht würde er es ja verstehen können. „Erik ich liebe dich und mag dich. Unser Zusammenleben über die ganzen Jahre hin, gefällt mir und ist mir wichtig. Ich habe nur erfah­ren, dass es auch etwas anderes geben kann, das sich auf einer ganz anderen Ebene bewegt, und das mir auch sehr wichtig und bedeutsam geworden ist. Es ist mit unserem Zusammenleben nicht zu vergleichen. Ich kann und will mich nicht für das Eine und gegen das Andere entscheiden. Es gefällt und befriedigt mich beides. Mein Freund würde es wahrscheinlich auch lieber sehen, wenn ich ständig bei ihm wäre. Aber es ist mein Leben und gehört nicht einem anderen Menschen, einem Mann, der mir vorschreiben will, wie es mir zu gefallen hat. Wahrscheinlich ist es sehr hart für dich, und trifft dich empfindlich, vielleicht bist du aber auch so stark, dass du es ein wenig verstehen und respektieren kannst. Ich persönlich möchte keine Veränderung. Ich werde meinen Freund nicht aufgeben, möchte dich aber auch keinesfalls verlieren.“ erklärte Sophia jetzt ruhig und entspannt ihre Situation. Erik hatte aufmerksam zugehört und ließ sich jedes ihrer Worte durch den Kopf gehen. Alles ging ihm noch mal durch den Kopf. Er war ein sehr konservativer strebsamer Mann, hatte sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet und war recht erfolgreich dabei. Er verehrte Sophia, versuchte ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen, aber im Grunde sah er sie schon in gewisser Weise als seinen emotionalen Besitz an. Sie mit jemandem teilen zu müssen, war für ihn unvorstellbar. Die Vorstel­lung, wenn er abends nach Hause käme, hätte Sophia schon ein Tète à Tète mit ihrem Liebhaber gehabt, schnürte ihm die Kehle. Nur es war ja schon prak­tisch fast zwei Jahre so gewesen, aber er hatte es nicht gewusst. „Es gibt nichts, das du dir vorstellen kannst, was wir verändern könnten, so dass du auf dieses andere Verhältnis verzichten könntest?“ fragte Erik Sophia vorsichtig. „Was sollen wir verändern?“ antwortete Sophia, „Diese Welt ist unsere Welt, und ich will sie auch gar nicht verändern. Pierres Welt ist seine Welt, die liebe ich auch. Man kann beides nicht vergleichen, und schon gar nicht könnte man meine Erfahrungen mit Pierre in unser Leben implantieren. Wenn einer von euch beiden, das so nicht will und nicht ertragen kann, ist das sehr schade für mich. Pierre weiß es natürlich und wird damit fertig. Ich wünschte mir, dass es für dich auch erträglich sein könnte. Praktisch würde sich ja für uns nichts ändern, nur du weißt es jetzt eben auch.“ erläuterte Sophia ihre Position noch weiter. „Es beschäftigt mich, Sophia, ich kann dir jetzt keine Antwort geben, ja nicht einmal viel dazu sagen. Ich hoffe, du hast Verständnis dafür.“ antwortete ihr Erik. Das Abendbrot war beendet, denn Lust darauf, jetzt noch etwas zu essen, hatten beide nicht.


Tag danach


Als Sophia es Pierre am nächsten Tag schon morgens sofort im Office berichte­te, meinte der, es sei bestimmt jemand aus der Firma gewesen, der Verbin­dungen zum Betrieb ihres Mannes habe. Eigentlich galten Storys über Amore und Liebschaften zwar immer als heiße Themen, waren aber Dauerthema und hatten somit außer gerade beim Geschwätz keine besondere Bedeutung. Dass Pierres und Sophias Verhältnis nicht besonders distanziert war, hatten sicher schon mehrere Kollegen bemerkt und sich ihren Reim darauf gemacht, aber dass die beiden sich jeden Nachmittag bei Pierre trafen, konnte nur jemand wissen, der ihnen gefolgt war. Erzählt hatten weder Pierre noch Sophia irgend­jemandem auch nur in Andeutungen etwas. „Und jetzt, was wird jetzt?“ fragte Pierre besorgt und versuchte es durch eine scherzhafte Erlärung selbst zu be­antworten, „Erik schmeißt dich raus, und du ziehst zu mir.“ Sophia lächelte: „Ich weiß nicht. Erik hat sich noch nicht zu einer klaren Haltung durchgerun­gen. Er denkt noch nach. Ein wenig unwohl ist mir schon, denn es einfach zu akzeptie­ren, dürfte ihm äußerst schwer fallen.“


Eriks Einverständnis


Der Nachmittag zwischen Pierre und Sophia war heute nicht so entspannt wie üblich. Sophia fuhr bald nach Hause, und auch Erik kam heute außergewöhn­lich früh von der Arbeit zurück. „Sophia, es beschäftigt mich natürlich sehr, ist ständig in meinem Kopf präsent und hindert mich daran, konzentriert zu arbei­ten.“ verdeutlichte Erik seine Situation, „Aber wenn sich alles so verhält, wie du es für dich darstellst, lässt du mir eigentlich keine Alternative, es sei denn, mir läge plötzlich nichts mehr an dir, und es machte mir nichts aus, dich völlig zu verlieren. Mir gefällt es überhaupt nicht, aber du bist dadurch keine böse Frau für mich geworden, ich habe das Gefühl, ich kann dir noch nicht einmal etwas vorwerfen. Ich habe ja auch an deinem Verhalten mir gegenüber nichts gespürt. Trotzdem ist es äußerst schwer für mich zu ertragen, und ich wünsch­te mir, davon nie etwas gehört zu haben.“ Erik akzeptierte es also trotz aller Vor­behalt. Als Sophia sich freute, und ihn dafür küssen wollte, wehrte Erik ab. „Nein, jetzt nicht, es wird noch brauchen, bis ich es verdaut habe und wie üb­lich damit leben kann.“ machte er noch einmal deutlich. Sophia wahr erleich­tert und froh, konnte es aber nicht richtig äußern. Mit einem so klaren Einver­ständnis von Erik hatte sie im Grunde gar nicht gerechnet. Dass er derartiges für sich zulassen konnte, empfand Sophia eher als ungewöhnlich für ihn. Sie haucht ihm nur ein verhaltenes „Danke Erik“ zu.


Sophias Bedenken


Natürlich musste das Pierre auch sofort am nächsten Morgen vermittelt wer­den. Trotzdem konnte Sophia sich nicht ausgelassen darüber freuen. Es erschi­en ihr alles ein wenig gequält und unnatürlich. Bevor Erik etwas wusste, war alles selbstverständlich. Sie brauchte sich auch keine Gedanken zu machen, et­was vertuschen oder verheimlichen zu müssen, was sie in der Zeit zwischen Arbeitsschluss und Eriks Rückkehr machte, war ausschließlich ihre Welt, von der Erik nur erfuhr, was sie ihm erzählte. Woran dachte Erik jetzt, wenn er nach Hause kam und sie anschaute? „Wie sie's wohl mit ihrem Lover heut ge­trieben hat?“ oder etwas in der Richtung? War Pierre häufig in Eriks Gedanken präsent, wenn er mit Sophia zu tun hat. Er könne sie nicht mal für irgendetwas als schuldig ansehen, hatte Erik erklärt, aber seine Gedanken an den Neben­buhler bereiteten ihm unangenehme Empfindungen und die waren mit Sophia verbunden. Auch wenn Erik es akzeptiert hatte, unangenehme Veränderungen würden sich bestimmt einstellen.


Eriks Unfall und Sophias Vorwürfe


Eine Woche später erschien Sophia nicht im Büro. Sie sei krank für unbe­stimmte Zeit, in den folgenden Tagen könne sie aber keinesfalls arbeiten. Am nächsten Morgen erzählte man, Sophias Mann habe sich umgebracht. Er habe mit viel zu hoher Geschwindigkeit auf einer Bundesstraße die Seitenbegrenzun­gen einer Brücke durchbrochen. Dass er es absichtlich getan hatte schien evi­dent, denn andere Anlässe, die dazu geführt haben könnten, waren nicht er­sichtlich. Warum er es getan haben konnte, wusste keiner, niemand kannte ir­gendwelche Gründe, die ihn dazu veranlasst haben könnten. Nur Sophia starb fast selbst an dem Vorwurf, Eriks Tod verursacht zu haben. Sie machte sich keine Vorwürfe, das getan zu haben, was sie getan hatte, nur wie kalt und oberflächlich, war sie damit umgegangen, was es für Erik bedeuten würde, dass es ihn in psychische Ausweglosigkeit führen konnte, derartige Gedanken wa­ren ihr nie gekommen. Sie hatte sich nicht in seine Position zu setzen ver­sucht, und zu empfinden, was es für Erik bedeuten könnte, ja sie hatte sich im Grun­de gar nicht darum bemüht, ihn zu verstehen. Sie hatte nur auf sein Ein­verständnis gewartet, und dabei seine Abhängigkeit von ihr ausgenutzt. Wie hatte sie sich so verhalten können, so blind, kalt und rücksichtslos. Sie ver­stand sich selber nicht. Aber es wäre auch schon ein wenig ungewöhnlich ge­wesen, wenn sie sich tiefer auf Erik eingelassen hätte. Er war Sophia immer wie eine psychi­sche Festung erschienen, die nichts erschüttern kann, dass er auch zarte sen­sible Seiten haben konnte, wusste sie allerdings auch. Nur mit ihm über derar­tige Themen zu reden, war äußerst schwierig. Es schien, als ob er zu seiner emotionalen Basis selbst keinen Zugang hätte, oder ihn zumindest für andere nicht öffnen wollte, auch für Sophia nicht. Doch wie er gesprochen, was er ge­sagt hatte, hätten eigentlich für Sophia deutliche Signale sein müs­sen, dass die Angelegenheit psychisch für ihn überhaupt nicht gelöst war. Von der der aus­weglosen Zwangslage, in die sie ihn bringe, dass er es akzeptiere, obwohl es ihm überhaupt nicht gefalle. Bei anderen wären das vielleicht Worte, die man so hinnehmen könnte, bei Pierre hätte Sophia jedoch wissen müssen, das dies Verbalisierungen waren für etwas, das ihn zutiefst aufwühlte und quälte. Warum hatte sie so etwas alles nicht wahrgenommen, hatte sich nicht darauf eigelassen, sich nicht darum gekümmert? Sie hätte es wissen können und hät­te es gewusst, bloß jetzt hatte sie wahrscheinlich nur sich selbst gese­hen, sich selbst mit ihrer Angst, dass sich für ihr derzeitiges Leben uner­wünschte Ände­rungen ergeben könnten. Sie war Schuld an Eriks Tod. Sie hatte ihn durch ihre Rücksichtslosigkeit in den Tod getrieben. Sophia konnte es nicht ertragen. Sie wusste nicht, wie sie damit weiter leben sollte, zwar nicht direkt jemanden um­gebracht zu haben, aber die Schuld an Eriks Tod zu tragen, Erik, der sie so sehr liebte und mit dem sie so lange glücklich zusammengelebt hat­te. Sophia war sich nicht sicher, ob sie überhaupt damit weiterleben wollte. Zu ihrem vor­herigen Leben zurückfinden würde sie keinesfalls.


Therapie


Als Pierre sie anrief, und fragte, ob er ihr in irgendeiner Weise behilflich sein könne, weinte Sophia immer nur. „Es tut mir leid Pierre, du bist nicht dafür verantwortlich, aber deine Anwesenheit wäre für mich überhaupt keine Hilfe. Du hilfst mir am meisten, wenn du mich in nächster Zeit völlig in Ruhe lässt. Ich werde dir später alles erklären.“ Sie heulte den ganzen Tag, manchmal war es ihr gar nicht mehr ganz klar, warum sie genau weinte, wegen Erik, wegen sich selbst, oder weil für sie mit einem Mal plötzlich alles zerbrochen war. Sie wusste nicht mehr, wie es weiter gehen sollte. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich in ihrer Ausweglosigkeit nicht selber auch etwas antun könnte. Obwohl sie sich dafür selbst ein wenig für zu feige hielt, ging sie zu einer Psychotherapeu­tin, denn alleine wieder herauszufinden, und mit ihrem Leben halbwegs klar zu kommen, hielt sie für nicht möglich.


Sophias Pläne


Nach einiger Zeit hatte Sophia sich wieder ein wenig stabilisiert, ein wenig zu sich selbst gefunden und konnte sich wieder mit anderen Menschen normal un­terhalten. Sie besuchte Pierre, aber sie nahm nicht auf seinem Bett platz, und an Lachen, Scherzen und Liebkosungen war nicht zu denken. Er war für Sophia nicht mehr der, mit dem sie so viele glückliche Stunden verbracht hatte, son­dern der Wille zum Glück mit ihm, war Anlass für ihr selbstsüchtiges, rück­sichtsloses Verhalten gegenüber Erik gewesen. Jetzt konnte sie dieses Glück nicht mehr erkennen. Alles bisherige Glück schien durch Eriks Tod in ihr zer­stört. Sie erklärte Pierre, das sie ein neues Leben beginnen wolle. In einer Um­gebung, in der sie nichts an die Vergangenheit erinnere. Ihr Haus werde sie vermieten oder verkaufen und nach Frankreich gehen. Sie habe ja dort studiert und bemühe sich derzeit schon um eine Stelle. Pierre wusste gar nicht, was und wie er mit Sophia reden sollte. Es kam ihm vor, als ob sie sich im Moment auf einem anderen Stern befinden würden, die Frau sah zwar so aus, ihre Stimme war auch identisch, aber seine Sophia war das nicht. Wehmütig blickte er sie an und mit feuchten Augenlidern fragte er sie zaghaft, ob sie sich den gar nicht vorstellen könne, dass sich zwischen ihnen wieder etwas entwickeln könne, was für sie beide wertvoll sei. Er habe Lust, ihr zu helfen, auch wenn sie ihm im Moment sehr, sehr fern erschiene. Sophia lehnte das ab. „Alles was mich an mein früheres Leben erinnert, dient nur dazu meine Schuldgefühle neu zu beleben, und dazu gehörst du in besonderem Maße. Es ist nicht deine Schuld, es ist mein verkorkstes Leben. Ich weiß, dass die Zeit mit dir sehr schön war, dass ich sehr glücklich war, ich weiß es, aber ich kann es nicht mehr nachempfinden, es lebt nicht mehr in mir.“ und dabei kamen ihr die Trä­nen, wobei sie erklärte, jetzt gehen zu müssen. Pierre entließ sie rätselhaft traurig blickend mit einem Kuss auf die Wange.


Pierres Perspektive


Was hatte man dieser Frau, diesem Leben angetan, oder was hatte sie sich selbst angetan. Vielleicht hatte sie ja nicht völlig unrecht mit ihren Selbstvor­würfen, obwohl Erik ja ein erwachsener Mann war, der selber wusste was er tat. Vielleicht war es ja auch Eriks Intention gewesen, in einer kamikazeartigen Aktion Sophia gleich mit zu zerstören, denn in dem Moment hatte er ja sicher­lich keine Rücksicht auf seine verehrte Sophia genommen.

Sophias Leben existierte nicht mehr, es war mit einem Schlag wie ausgelöscht. „Ist so etwas überhaupt möglich?“ fragte sich Pierre, „oder hat sie das Problem einfach völlig überfordert und durchdrehen lassen?“ Eine zufriedenstellende Antwort fand er nicht. Pierre war nur selbst unendlich traurig über Sophias Schicksal und natürlich auch darüber, dass ihre Beziehung so abrupt geendet hatte. Immer wieder hörte er ihre liebevoll schmeichelnden Worte, ihr ausge­lassenes Trällern und versuchte Reste ihres Geruchs auf seinen Bettdecken zu erspüren. Auch wenn sie nur viermal pro Woche für eine Stunde bei ihm gewe­sen war, es kam ihm vor, als ob sie bei ihm gewohnt und mit ihm gelebt hätte. Für diese kurze Zeit hatte Pierre ihr ein zu Hause geboten, in dem sie sich frei fühlte und glücklich war. Das hatte Pierre erfreut und er liebte es, sie so zu er­leben. Das würde ihm nicht nur schlicht fehlen, er wusste nicht, was es in ihm bewirken würde. Sich schnell um eine andere Beziehung bemühen, die ihn ver­gessen ließ? Undenkbar, zu einer kleinen Göttin hatte sich Sophia für ihn auch entwi­ckelt, zu seiner Glücksgöttin. Sie hatte eine Marge für eine Beziehung zu einer Frau festgelegt, von der Pierre sich nicht vorstellen konnte, wie sie mit einer anderen Frau erreichbar sein sollte.


Neues Leben für Pierre


In der Firma erschien Sophia nicht mehr. Sie hatte gekündigt, ihre Stelle be­setzte jetzt ein junger Mann, den Pierre nicht mochte. Nicht nur seine Arroganz und sein dummes zur Schau gestelltes Überheblichkeitgebaren störten Pierre immens, sie schienen auch sonst in Nichts eine gemeinsamme Ebene finden zu können. Auch das erinnerte Pierre immer wieder daran, wie glücklich die Zeit im Büro mit Sophia gewesen war. Sie sollte in Nantes eine Beschäftigung ge­funden haben und dort auch leben. Eine Sophia Render war aber in keinem Te­lefonbuch weder in Nantes noch in der Umgebung zu finden, und Firmen in Nantes, wo sollte Pierre dort suchen? Außerdem hatte sie ja auch ausdrücklich keinen Kontakt zu ihm mehr gewünscht. Pierre musste sich einfach damit ab­finden. Ein Leben in Erinnerung an Sophia war ja keine Perspektive. Es musste ja irgend wie weiter gehen. Im Büro war der hässliche junge Mann Gott lob nicht mehr da, hatte sich anderswo auf eine besser bezahlte Stelle beworben, aber sein Nachfolger war auch keine Erlösung. Er war eine Schlafmütze, und Pierre hatte viel Arbeit mit ihm. Abends ging Pierre viel aus, in Kneipen, zu Fèten, zu Veranstaltungen. Früher war er häufig allein oder mit Freunden zu Hause gewesen, jetzt hatte er das Empfinden, für ein neues anderes Leben auch raus zu müssen. Es dauerte nicht lange, bis er eine Frau kennenlernte, die sich gerade von ihrem Mann getrennt hatte. Pierre und Gudrun mochten sich, und so verbrachte bald darauf Gudrun den größten Teil ihrer freien Zeit bei Pierre.


Sophia wieder zurück


Eineinhalb Jahre waren vergangen als es klingelte, und in der Wohnungstür Sophia erschien. Sie viel Pierre um den Hals küsste ihn und meinte erleichtert: „Ah, tut das gut.“ Was ihr so gut tat, wollte Pierre im Moment nicht wissen, er war nur maßlos er staunt. „Sophia, was ist los? Wo kommst du her? Was machst du hier?“ fragte er verwundert. „Ja, was meinst du, weshalb ich hier bin? Natürlich weil ich dir das alles erzählen will. Hast du ein wenig Zeit?“ ant­wortete sie ihm lächelnd. Das war die alte Sophia, die er geliebt hatte, schoss es Pierre durch den Kopf. „Ja natürlich, selbstverständlich, ich muss nur eben telefonieren.“ „Nein heute nicht, nein wirklich nicht.“ bekam Sophia vom Tele­fonieren mit. „Haste ne Freundin?“ wollte Sophia schelmisch grinsend von Pier­re wissen. „Na wenn du einfach verschwindest und mich in Stich lässt. Ich habe lange gebraucht, bis mir klar war, dass es so nicht weitergehen kann, und auch für mich ein neues Leben anfangen muss.“ erklärte ihr Pierre, „Und was ist mit deinem neuen Leben. Du machst einen gut gelaunten Eindruck. Hats gut funktioniert?“ „Pierre, ich freue mich, weil ich wieder hier sein kann. Es gibt kein neues Leben. Das ist eine Chimäre. Du kannst einige Bedingungen ändern, aber du selbst bleibst immer die Alte, immer das was in dir steckt.


Sophia in Frankreich


Frankreich, das war Folter, Arbeitslager, Psychoterror. Ich habe jetzt all meine Schuld abgebüßt. Die Firma war ungeheuerlich, Hierarchien wie man sie sich zur Kaiserzeit vorstellt. Ich habe viel ertragen, weil ich ja auch neu war und schon ein wenig eine Außenseiterrolle hatte. Als es mir dann mal all zu bunt wurde, ist mir der Kragen geplatzt. Ich habe meinen Chef angefaucht, dass er mal wahrnehmen solle, dass er nicht mit einer dummen Göre sondern mit ei­ner respektablen Madam spreche, und das es da gewisse Formen von Höflich­keit gäbe, von denen er anscheinend noch nie etwas gehört habe. Das war na­türlich der Gipfel an Unverschämtheit. Dass ich nicht geflogen bin, wundert mich, aber Schikanen, wo es nur ging, waren die Folge. Und der Gipfel war al­lerdings, dass die Kolleginnen und Kollegen auch den Kontakt mit mir mieden. Es war nicht gut für's eigene Ansehen, mit so einer etwas zu tun zu haben. Hier erlebst du immer die selbstbewussten Franzosen in wilden Arbeitskämp­fen, ich habe den Eindruck, dass die Mehrzahl von ihnen entsetzliche Arsch­kriecher sind, wie man sie sich hier kaum vorstellen kann. Jeden Tag habe ich mit dem Gedanken gespielt, mich um eine andere Stelle zu bemühen, aber selbst wenn es geklappt hätte, wer garantierte mir denn, dass es dort wesent­lich anders zuginge. Ich hatte ja auch gar keine persönlichen Kontakte, keine Freunde, keine Bekannten. Die Franzosen sind äußerlich sehr nett und freund­lich, aber darüber hinaus sehr reserviert. Das war mir damals schon im Studi­um aufgefallen, nur da hat es nicht gestört, weil wir uns sowieso nur in unserer Studentenclique bewegten.

Dann habe ich einen Mann kennengelernt. Gar nicht leichtsinnig, weil ich sonst keine Beziehungen hatte, ich mochte ihn, er gefiel mir. Er war sehr charmant, nett, zuvorkommend und witzig. Er schien mich auch sehr zu mögen und war Richter am Amtsgericht in einem Bezirk von Nantes. Es lief alles gut, er hatte sich bei mir einquartiert, weil ich die größere Wohnung hatte. Schon nach zwei bis drei Monaten fing er an immer sonderbarere Attitüden zu entwickeln. Ich habe zu Anfang vieles einfach ignoriert oder geschluckt. Wegen solcher Lappa­lie wollte ich doch keinen Streit anfangen und ihn eventuell dadurch verlieren. Er war ja mein einziger Kontakt in Nantes, und manchmal konnte er ja auch ganz nett sein. Nur sein Verhalten mir gegenüber wurde immer unmöglicher, und bei meinen Beschwerden kam es regelmäßig zu heftigem Streit, in dem er sehr ausfallend unangenehm wurde. Warum ich ihn nicht rausgeschmissen habe, weiß ich selbst nicht genau. Erst als er mir dann bei einem Streit mit der Faust ins Gesicht geschlagen hat, war endgültig Schluss. Ich musste ihm dro­hen, dass ich sonst zur Polizei ginge und ihn anzeigen würde, wenn er nicht ganz schnell verschwände. Das ganze Verhältnis war zum überwiegenden Teil Quälerei. Hier hätte ich mir so etwas niemals bieten lassen.

Im Nachhinein kann ich nicht verstehen, was ich ertragen habe. Ich suchte ein neues Leben, aber die Bedingungen sorgten dafür, das mir das alte immer ro­siger erschien. Das Bedürfnis zurück zu wollen, wurde immer stärker. Jetzt habe ich's endlich realisiert. Ich bin schrecklich froh. Alles was ich damals zer­stört habe, beziehungsweise in mir zerstört habe, lebt wieder und will wachsen und genutzt werden.“


Enttäuscht


„Und wo wohnst du jetzt?“ wollte Pierre wissen. „Nja,“ druckste Sophia, „ich hatte gedacht... „ „Nicht bei mir, das geht nicht, und das möchte ich auch nicht. Nicht mal weil ich jetzt eine andere Freundin habe...,“ weiter kam Pierre nicht. Sofia beendete den Satz: „sondern weil ich nicht mehr die unbeschwerte lustige Frau bin, sondern eine kaputte psychotisch Pute, die dir Angst macht, ich verstehe schon. Vielen Dank, Pierre.“ Sophia sprang auf und rannte zur Tür. Das hatte Pierre zwar nicht sagen wollen, aber er hatte ihr schon erklären wollen, das sich auch für ihn die Situation geändert habe, und es einen Punkt gegeben habe, an dem er froh gewesen sei, endlich das Thema Sophia abge­schlossen zu haben. Er könne nicht einfach so tun, als ob die vergangenen ein­einhalb Jahre nicht existierten, und plötzlich alles so sei wie früher. Er glaube auch, dass er das gar nicht wolle. Allerdings hatte Sophias Anwesenheit ihn nicht unbeeinflusst gelassen. Pierre dachte wieder an sie.


Auseinandersetzung mit Gudrun


Seine Freundin Gudrun hatte die kurze, schroffe und unbegründete Ablehnung ihres Besuchs bei Pierre nicht erfreut. Sie war sowieso der Ansicht, das Pierre sie nicht „richtig liebe“, was auch immer darunter zu verstehen war. Pierre wusste auch nicht was „richtig lieben“ bedeutete und nahm's hin, das Gudrun diese Ansicht vertrat. Er mochte sie gern und freute sich, wenn sie bei ihm war, das musste reichen. Nur jetzt kam sie nicht und meldete sich auch nicht. Pierre rief sie an. Gudrun wollte ihren Unmut am Telefon äußern, aber Pierre bat sie, doch zu kommen und es persönlich zu besprechen.

Nur es wollte sich nichts lösen. Pierres Erklärungsversuche führten eher dazu, dass Gudrun noch unmutiger wurde. Als sie erfuhr, das Sophia da gewesen sei, war es ganz aus. Das sei ja eine Diva. Sie habe Bilder von ihr gesehen, und er könne ihr nicht vormachen, dass er nicht mit ihr geschlafen habe, wo er ihr doch erzählt habe, dass er sehr verliebt in sie gewesen sei. Sophia bedeute ihm heute immer noch mehr als sie. Sie habe keine Lust, seine Nebenfrau für die Zeit ohne Sophia zu sein und eine untergeordnete Rolle zu spielen. Alle Be­teuerungen Pierres konnten nichts bewirken. Gudrun glaubte ihm nicht. Für sie stand es so fest, wie sie es sich zurecht gelegt hatte. „Nein, Pierre, ich will es nicht mehr“ erklärte sie, „es kränkt mich mehr, als es mich glücklich macht. Schade.“ Sie fuhr wieder nach Hause und ließ Pierre allein.


Pierre auf der Suche


Sophia beschäftigte Pierres Gedanken ständig. Mit so einem Missverständnis konnte man sich doch nicht einfach trennen. Wo mochte sie nur sein. Sie hielt sich doch irgendwo in der Stadt auf, aber welche Möglichkeiten gab es, sie zu finden. Er versuchte Bekannte und Freundinnen von ihr aus zu machen, fragte in der Firma, ob dort jemand etwas gehört hätte, alles vergebens. Schließlich kam er auf die Idee, sich an die Mieter ihres Hauses zu wenden. Die hatten zwar ihre Kontonummer, wussten auch, dass sie sich wieder in Deutschland aufhielt und überlege eventuell wieder selber einzuziehen, aber eine Adresse oder Telefonnummer hatten sie nicht. Die Maklerfirma müsse aber doch wis­sen, wie Frau Render zu erreichen sei. Pierre ging zur Maklerfirma und erzähl­te, er habe gehört, Frau Render überlege, das Haus zu verkaufen, er sei an dem Objekt interessiert. Dort wusste man nichts davon. Er solle doch mal mit Frau Render persönlich sprechen und gab ihm ihre Handynummer.


Wieder im Espresso-Café


„Woher hast du meine Telefonnummer? Wie bist du da ran gekommen?“ fauch­te Sophia ihn fast an.

„Sophia bitte, ich sag dir alles, aber hör mir doch, bitte, erst zu.“ bat sie Pierre. Sie beschlossen sich zu treffen, allerdings nicht bei Pierre, sondern in ihrem al­ten Café, in dem sie früher immer ihren Espresso getrunken hatten. „Warum sagst du so etwas, warum denkst du so etwas?“ wollte Pier von Sophia in Er­fahrung bringen. „Na ja bei deiner brüsken kategorisch Zurückweisung, hörst gar nicht in Ansätzen zu, was ich sagen will. Unterbrichst mich mit deinen apo­diktischen Deklarationen. Du scheinst auch nicht mehr der alte zu sein, Pierre, der liebevoll zuhört und zu verstehen versucht. Dein Verhalten schien mir deutlich zu erklären: „Bloß nicht, mit dir will ich nichts mehr zu tun haben, komm mir nicht zu nahe.“ Es hat mich sehr geärgert und verletzt. Ich war gar nicht davon ausgegangen, da weiter zu machen, wo es aufgehört hatte. Ich hatte mich nur auf dich gefreut, und dann so etwas. Was hat dich so verän­dert, in deinem Verhalten solche Veränderungen bewirkt, die ich von früher nicht kenne?“ versuchte Sophia zu erkunden. Pierre sinnierte, was hatte er be­fürchtet, wovor hatte er Angst? Dass das ganze Gebäude mühsamer Verarbei­tungszeit plötzlich wieder zusammenstürzen könnte? Hatte er Angst nicht zu wissen, was er wollte, sein derzeitiges Leben weiter führen oder sich seiner Sehnsucht nach Sophia überlassen? „Sophia, du hast wie früher auch so oft, absolut recht. Wie du es darstellst, wird mir bewusst, wie unmöglich mein Ver­halten war. Das ist aber nicht üblich für mich geworden. Ich glaube du hast mit einem ganz kleinen erschrockenen verwirrten Pierre geredet. Du überrascht to­tal durch dein plötzliches Auftauchen. Es freut mich, wird mich immer freuen, dich zu sehen, nur gleichzeitig ist alles präsent. Wie es mich gequält hat, dich nicht mehr sehen zu können, wie ich mich darum bemüht habe, damit fertig zu werden, wie ich das Gefühl habe, es geschafft zu haben und ein halbwegs passables Leben zu führen. Ich empfinde ein Gefühl von Panik, weil ich nicht weiß, was ich will. Gar keine Konsequenzen erkennen kann. Da habe ich mich idiotisch vor irgendeiner Antastung meiner derzeitigen Situation zur Wehr zu setzen versucht. Kannst du das ein wenig nachvollziehen?“ suchte Pierre Ver­ständnis bei Sophia und fügte an „aber liebevoll zuhören und zu verstehen ver­suchen kann immer noch und mache es, auch wenn es natürlich nicht mehr so schön ist, wie mit dir damals.“ „Pierre, das liebe wundervolle Bild von dir, hat sich auch in mir erhalten. Die Erinnerung an unsere schöne Zeit ist sehr leben­dig in mir, und nicht nur als reines Wissen vorhanden, wie ich dir damals, glau­be ich, erzählt habe. Das ist Unfug, derartige emotionale Erfahrungen lassen sich nicht tilgen, die bleiben immer für dich bestehen. Was du weißt, kannst du eher vergessen, aber was du tief emotional erlebst, vergeht nicht. Und du … „ Sophia stockte und schaute Pierre an. Der erkundigte sich nach dem Grund ihre Unterbrechung.


Lieber zu Pierre


Sophia antwortete zögerlich und meinte: „Ich würde jetzt doch lieber bei dir weiter reden. Die Atmosphäre gefällt mir besser und vielleicht dauert's ja auch noch länger, oder hast du noch etwas vor? Musst wieder deiner Freundin absa­gen? Ich will dich keinesfalls in irgendwelche Schwierigkeiten bringen.“ begrün­dete Sophia ihre Unterbrechung. „Freundin gibt’s nicht mehr, deinetwegen.“ merkte Pierre kurz an, was Sophia natürlich erläutert haben wollte. „Tscha, ei­gentlich schade, aber weh tut's nicht. Sie hatte wohl nicht ganz unrecht mit ih­rer Vermutung, dass ich sie nicht „richtig lieben“ würde.“

Bei Pierre zu Hause fragte Sophia scherzhaft lächelnd: „Und hast du mich denn „richtig geliebt“?“ „Nein ganz falsch“ meinte Pierre, „ich hab' mich von dir süchtig machen lassen. Ganz zu Anfang, da war's richtig. Lust daran haben, mit der netten freundlichen Arbeitskollegin zu vögeln. Aber später, das war doch pervers.“ „Aha, so siehst du das also“ staunte Sophia, lachte und stieß Pi­erre, der neben ihr stand aufs Bett. „Bleib doch, Sophia, dann können wir et­was trinken.“ meinte der. Sophia machte eine breite Schnute. „Ich weiß nicht, ob ich das will Pierre. Das ist alles sehr plötzlich. Ich bin davon ausgegangen, dass mir schon sehr daran gelegen sei ein gutes freundschaftliches Verhältnis zu dir zu haben. Ich habe gedacht, du führst ein anderes Leben, hast eine Freundin, und ich wollte da nicht stören. Diesmal verwirrst du mich.“ reagierte sie auf Pierres Wunsch. Der zog sie zu sich aufs Bett und meinte: „'Ob ich das hinterher gewollt haben würde.' heißt das.“. Sophia verstand nicht. Pierre er­klärte ihr, dass sie das bei ihrem ersten Mal gesagt habe. Beide lachten und Sophia entschied: „Wir sind ja beide erfahrene, gereifte Menschen, die harte Prüfungen überlebt haben, wir werden schon wissen was wir tun. Zur Not kann ich mir ja auch immer noch ein Taxi bestellen.“ Es störte sie nicht, dass sie sich nicht sicher war, was sie wollte. Sophia würde es der Entwicklung des Abends überlassen.


Beziehungsrevision


„Wir hatten uns im Café über etwas anderes unterhalten, als mir die Idee kam, es lieber bei dir weiter besprechen zu wollen. Über emotionale Erlebnisse in Bezug auf unsere Zeit. Für mich war unsere Beziehung sicher das tiefste ange­nehme emotionale Erlebnis, das ich je hatte. Ich sehe es mittlerweile so, dass ich dumm und naiv war, mich nicht für ein Verhältnis, für unser Beziehung zu entscheiden. Heute würde ich das gar nicht mehr als Liebe bezeichnen, was sich zwischen Erik und mir abgespielt hat. Von tiefgreifender persönlicher Be­ziehung war dort eigentlich nichts zu spüren. Erik vergötterte mich, und mir dummer Nuss gefiel es. Mit Liebe hatte das prinzipiell nichts zu tun. Von dir hätte ich so etwas gar nicht gemocht und haben wollen. Für dich wollte ich die sein, bei der du Lust hast, sie zu verstehen, die du begehrst, ja, ja die dich süchtig macht. Von der du immer mehr willst, nicht im Bett, von deren Person du immer mehr kennenlernen möchtest. Dass es so etwas geben kann, und wie viel Glück es dir vermittelt, das du sonst nirgendwo so erlebst, habe ich erst mit dir kennengelernt. Vorher wusste ich gar nicht, was Liebe ist oder sein kann. Im Grunde war meine Beziehung zu Erik ein Verhältnis zu einem lieben Onkel, mit Liebe, wie ich sie heute verstehe, hatte das nichts zu tun. Und obwohl ich es ja mittlerweile anders kannte, meinte ich die Beziehung zu Erik zu brauchen.Ganz schön dämlich, nicht war?“

„Was hat dich denn damals beides gleichwertig sehen lassen? Du hast ja da­mals schon gesagt, dass du mich liebst aber mit Erik verheiratet bist.“ fragte Erik nach. „Ein wenig spielte natürlich meine Entwicklung eine Rolle. Es gefiel mir von Erik bewundert, ich meinte geliebt, zu werden. Ich konnte ein sorglo­ses Leben mit sehr viel Freiheiten führen, einen Mangel, das Empfinden, mir könnte etwas fehlen, das Bedürfnis nach etwas Unbefriedigtem gab es nicht. Ich denke in mir besteht ein tiefer Graben zwischen meinem intellektuellen Wissen, das halte ich für ganz normal, und meinem emotionalem Erleben, da halte ich mich für äußerst naiv. Ich finde leicht etwas schön, nett, angenehm und bin zufrieden ohne die kritischen Aspekte zu berücksichtigen, die mir ei­gentlich bekannt sind. Dass meine Beziehung zu Erik keine Liebe war, hätte ich auch zu Anfang unserer Beziehung wissen können, nur ich habe zwischen mei­nem Wissen und meinem Gefühl, glücklich zu sein, überhaupt keine Verbin­dung zugelassen. Ich kann mich sehr leicht über etwas freuen, ohne kritische Gedanken, die mir nicht fremd sind, aufkommen zu lassen. Sehr naiv, damit habe ich eigentlich schon mein Leben lang zu tun, aber trotzdem wird es mir meistens nicht bewusst. Ich habe mit Erik gelebt, hielt mich für glücklich und konnte nicht erkennen, warum ich da etwas hätte ändern sollen. Ich hätte vie­les wissen können, aber emotional getrieben hat es mich nicht.“ antwortete ihm Sophia.

„Ja aber mit mir, da hat dich doch etwas getrieben, da hattest du doch Bedürf­nisse?“ fragte Pierre nach. Sophia gab ihm einen Kuss: „Ich weiß es nicht ge­nau warum, aber ich mochte dich ja auch vorher schon sehr gut leiden. Nichts erotisches oder sexuelles, du warst ein Mensch, der mir sehr gut gefiel, was man sich von einem guten Freund wünscht. Vielleicht hast du mich an meinen lieben Daddy erinnert oder Erinnerungen an die warme Liebe meiner Mutter angesprochen. Ich hatte eine sehr glückliche sorglose Kindheit und habe zu Hause sehr viel Liebe, Glück und Wärme erfahren. Ich war nicht doof, aber Kontakte mit schroffem, rauem und hartem Verhalten waren mir fremd und sind mir zuwider. Ja ich glaube schon, dass du mir eine weiche Wärme vermit­teltest, die Verbindungen zu dieser glücklichen Kindheit herstellt. Ich habe dich einfach so erfahren und mich gefreut. Gesucht hatte ich nicht danach.

Was das Sexuelle ausmacht, warum ich mit dir Ficken wollte, und wie das ent­stehen konnte ist mir selbst völlig schleierhaft. Aber da bin ich auch eine abso­lut dumme Gans. Ich kann mich nicht an sexuelle Probleme bei mir erinnern. Ich war nie besonders rattig, ich hab's mir nur sehr selten mal selber gemacht, ich war einfach so schon glücklich.“ Sophia lachte und meinte weiter, „aber ich glaube, das ist nicht nur bei jedem Menschen unterschiedlich, sondern kann auch noch bei jedem einzelnen sehr variieren und ist von vielen Faktoren ab­hängig, die du gar nicht bewusst verorten kannst. Mit Erik war's immer ganz schön. Es kam dazu, wenn wir uns gut drauf fühlten, schmusten und streichel­ten. Bei dir war das ganz anders. Da kam es nicht da zu, da wollte ich es. Da machte es mich im Büro schon manchmal kribbelig und mehr. Warum? Keine Ahnung, durchforsche mal meine limbischen Bahnen, mich lassen sie es nicht wissen.“

„Aber warum beide Beziehungen für dich gleichwertig waren, dazu hast du noch nichts gesagt. Wenn die Beziehung zu Erik ganz nett und angenehm war und auch schon lange dauerte hat sie doch nicht den gleichen Stellenwert, wie das Verhältnis zu jemanden, mit dem einen tiefe persönliche Beziehung verbin­det?“ wollte Pierre weiter wissen. „Ja natürlich, völlig recht hast du. Darin be­stand ja gerade meine Verblendung und Dämlichkeit. Ich war das Leben mit Erik gewohnt und fand es o. k., die Erfahrung mit dir war neu hinzu gekom­men, fand ich sehr gut. Dass es eine unterschiedliche Wertigkeit in der Bedeu­tung für meine Person, für mein Leben geben könnte, dass eine tiefe persönli­che Beziehung das Wichtigste ist, alles nicht erschienen. Diese Schuld ist für mich persönlich viel größer, als der Selbstvorwurf, nicht genügend auf Erik ein­gegangen zu sein.“ bestätigte Sophia Pierre.


Neue Beziehung


„Wir werden da bestimmt noch sehr oft drüber reden.“ mutmaßte Pierre. So­phia starrte ihn mit großen fragenden Augen an. Pierre fragte nach dem Grund. „Wann werden wir das denn tun?“ fragte Sophia zurück. Pierre verstand nicht. „Wovon gehst du denn aus? Dass wir selbstverständlich zusammenleben werden, unsere Beziehung plötzlich wieder so ist wie vor fast zwei Jahren, nur weil ich mit zu dir in die Wohnung gekommen bin und wahrscheinlich hier übernachten werde? Ich weiß nicht, ob ich mir da nicht doch lieber ein Taxi be­stellen sollte.“ erklärte Sophia. Jetzt starrte Pierre sie mit großen Augen fra­gend an. Davon war er wohl selbstverständlich ausgegangen, hatte an die al­ten Erlebnisse gedacht und sich darauf gefreut, aber Sophia erläuterte weiter: „Es ist anders, nicht dass ich dich nicht mehr sehr gern mag, nicht dass mir unsere gemeinsame glückliche Zeit nicht gegenwärtig wäre, aber es ist eine Erinnerung, nicht eine Situation in der wir jetzt leben. In den über eineinhalb Jahren hat sich vieles ereignet, das uns nicht unbeeinflusst gelassen hat. Wir sind nicht mehr die, die sich zum letzten Mal nach der Arbeit bei dir getroffen haben. Wir werden nicht automatisch dadurch glücklich sein, indem wir das tun, was wir früher gemacht haben. Wenn wir zusammenleben wollen – ich wünsche es mir zwar – werden wir neu zusammen finden müssen, unser jetzi­ges Glück entwickeln, und nicht die Vergangenheit nachspielen. Das will ich nicht, darin sehe ich keine Perspektive, und der Gedanke daran bereitet mir auch keine Freude. Ich habe auch kein kribbelndes Gefühl, weil ich jetzt mit dir schlafen möchte. Ob sich dazu heute Abend noch Lust entwickeln wird, weiß ich nicht, ich wollte nur sagen, Pierre, du musst sehen, dass vieles anders ist, und dass wir auf dieser Basis etwas entwickeln müssen, sonst kann das mit uns, glaube ich, nichts Gutes werden.“

Pierre sah zwar ein, dass Sophia nicht Unrecht hatte, aber glücklich machte es ihn trotzdem nicht. Er konnte es sich praktisch nicht vorstellen. Sollte er sie behandeln, als ob er sie neu kennengelernt hätte? Kasperletheater spielen? Durfte er keine Lust auf sie haben, weil ihre neue Beziehung noch nicht ent­sprechend gereift war? Wie sollte sich das denn abspielen, was Sophia gesagt hatte, so war es doch Unsinn. Realistisches fiel ihm dazu nicht ein. Er sagte das nicht, sondern fragte nur ein wenig launig, wie er sich denn jetzt konkret im Moment für den Neuaufbau ihrer Beziehung verhalten solle, was dem jetzt praktisch dienlich wäre. Das hatte zur Folge, das sie im weiteren Verlauf des Abends „Neue Beziehung Aufbauen“ spielten und dabei mit zunehmendem Weinkonsum immer lustiger und alberner wurden.


Die Nacht


Als sie ins Bett gingen, stellte Sophia Pierre vor die Alternative, entweder zu versprechen, dass er sie nicht anrühre, andernfalls würde sie sich ein Taxi be­stellen. Natürlich versprach Pierre und Sophia blieb. Eine sonderbare Situation für beide. Sie hatten es immer bedauert, das besonders fürs Bett die Zeit im­mer so knapp bemessen war. Jetzt hätten sie unbegrenzt tun und lassen kön­nen, was sie wollten, aber sie untersagten es sich. Pierre konnte trotz des Weingenusses nicht einschlafen. Immer wieder quälte ihn die Vorstellung, dass Sophia die sogenannte neue Beziehung nicht gefiel. Es quälte ihn die Vorstel­lung, irgendetwas veranstalten zu müssen, um Sophias Gunst zu erlangen. So etwas hatte es früher nicht gegeben, und es war ihm auch zuwider. Ob er so ein Leben mit Sophia dann überhaupt noch wollte? Er wollte die alte Sophia, sein erlebtes Glück wiederhaben, neue konstruierte Beziehungen vermochten ihn nicht zu reizen.

Er lag bestimmt schon eine Stunde grübelnd wach im Bett, als plötzlich Sophi­as Hand seine Schulter berührte und sie leise fragt: „Pierre, schläfst du schon?“ Pierre drehte sich um und schaute Sophia lächelnd an. „Pierre, ich konnte gar nicht einschlafen.“ sagte sie und ihren Augen entglitten kleine Trä­nen. Sie beugte sich über Pierre und küsste ihn. „Weißt du,“ sagte sie schel­misch lächelnd, „ich glaube, das Kribbeln ist doch da, und dabei kann man überhaupt nicht schlafen.“

Jetzt schliefen sie miteinander und diskutierten noch bis zum frühen Morgen. Nachdem Pierre erklärt hatte, warum er auch noch wach gewesen sei, kom­mentierte Sophia: „Es ist Unsinn, was ich gesagt habe. Ich weiß nicht, warum ich mir so etwas ausdenke. Ich liebe dich heiß und innig, gestern wie heute, du bist kein anderer Mensch geworden und ich auch nicht, wir haben in der Zeit etwas Unterschiedliches erlebt, aber unsere Persönlichkeiten sind die gleichen geblieben. Warum will ich mir selbst solche Restriktionen auferlegen, habe ich Angst mich in irgendetwas zu verrennen oder traue ich meinen eigenen Gefüh­len nicht mehr? Das glaube ich schon eher. Es ist eine Katastrophe Pierre, mei­ne Theorien sind falsch und meine Emotionen sind naiv und gefährlich. Hilf mir, mein Süßer.“


Life together


Pierre half Sophia nicht nur im Hinblick auf ihre Theorien und Emotionen, son­dern er sorgte auch dafür, dass sie wieder eine Anstellung in der alten Firma bekam. Zwar nicht an ihrem alten Platz zusammen mit Pierre, weil der Perso­nalleiter ihm klar machte, dass die geschäftlichen Interessen das leitende Motiv seien, und die persönlichen Wünsche dabei nicht immer berücksichtigt werden könnten, aber in Zukunft könne sich ja das eine oder andere ändern. Sophia war glücklich, nicht nur ihren Liebsten wieder zu haben, sondern auch wieder unter den lieb gewesenen Bedingungen arbeiten zu können. In ihr Haus wollte sie nicht wieder zurück. Pierres Loft und sein ganzes Ambiente gehörten ja mit zum Bild ihrer Liebe. Alles zusammen war es ja gewesen, dass ihr das ange­nehme, warme Glücksgefühl vermittelt hatte. Ein kleiner, etwas abgetrennter Bereich diente ihr als privates Herrschaftsgebiet, und Sophia empfand es manchmal tatsächlich so, als ob das Glück ihrer Kindertage transformiert für Erwachsene jetzt zu ihr zurückgekehrt sei. „Liebster,“ meinte Sophia sinnie­rend zu Pierre, „ich glaube wir beide können gar nicht ohne den andern leben, dafür können wir uns einfach zu gut riechen.“ Pierre lachte, er verstand Sophia nicht. „Ich erinnere mich noch daran, als wir uns damals im Office vorgestellt wurden, du als mein neuer Chef, nicht unsympathisch aber ganz normal eben. Geändert hat sich das fast schlagartig, als du zum ersten mal neben mir stan­dest, um mir irgendetwas zu erklären. Dein Geruch fiel mir auf. Meistens stin­ken Männer etwas, entweder riechen sie extrem nach Mann und Schweiß, oder sie umgibt eine Wolke widerlichen Aftershave-Duftes. Du fielst mir auf, weil du einen für mein Empfinden ungewöhnlich angenehmen Geruch verbreitetest, ein wenig Mann aber sonst sehr mild und warm. Ganz unbewusst war für mich plötzlich klar, dass du ein sehr netter Mensch sein musstest. Sonderbar, nicht wahr? Es war mir nie unangenehm, wenn du so nah bei mir warst, dass ich dich riechen konnte, im Gegenteil, es gefiel mir.“ „Und heute, gibt es da manchmal Momente, in denen du mich nicht riechen kannst?“ fragte Pierre scherzend. „Ja, dann wenn du so dämliche Fragen stellst.“ antwortete ihm So­phia, „Ich meine es ernst. Bei dir ist es doch nicht anders. Du bist doch richtig olfaktophil. Wie oft hast du mir schon gesagt, ich solle nicht soviel Deo, Creme oder Parfüm nehmen, das schönste Parfüm produziere ich selber. Oder wenn wir gefickt haben, hast du hinterher gesagt, jetzt röche ich am besten. Mein Odeur kann gar nicht so schlimm sein, als dass er dir nicht gefiele.“ „Sophia ich finde das angenehm und ich denke, dass es auch gar nicht unwichtig ist, den Geruch des anderen zu mögen. Dein Geruch bleibt mir auch in der Nase, im Gedächtnis. Als du wiederkamst aus Frankreich hätte ich ohne jeden Zweifel am Duft er­kennen können, dass du es bist. Wenn ich daran denke, kann ich mir auch et­was vorstellen, wie ein Bild. Das wird immer bleiben und immer als angenehm empfunden werden. Aber das ist dein Körpergeruch, wenn du stinkst, das mag ich auch nicht.“ antwortete Pierre. So waren sich beide einig darin, dass die Gründe für ihre Unzertrennlichkeit wesentlich auch in ihrer ol­faktorischen Harmonie zu suchen seien.


Bambini?


Besonders genossen Sophia und Pierre die gemeinsamen langen Abende, die Wochenenden, alles was ihnen damals versagt war oder nicht stattfinden konn­te. Sie brauchten keine neue Beziehung, sie hatten ein neues gemeinsames Leben. Selbst gemeinsames Einkaufen war neu und interessant. Sophia erlebte mit ihren zweiundvierzig Jahren außer Espresso-Trinken fast alles zum ersten Mal mit Pierre, freute sich selbst über Banalitäten und fand alles aufregend und spannend. „Pierre, du musst nicht lachen.“ begann Sophia ein Gespräch, „du wirst es nicht nachempfinden können, aber ich sag einfach wie es war, ich hat­te die Vorstellung, dass wir Kinder haben könnten, kleine Pierres und kleine Sophias und es machte mir Freude.“ Pierre lachte nicht, er schaute Sophia nur mit großen Augen an. „Ja,“ setzte die fort, „ich weiß, es ist verrückt, selbst wenn es klappen sollte, wir würden sie als Oma und Opa in die Schule bringen. Nur dieser Wunsch, diese Lust darauf fand ich sehr außergewöhnlich. Damals war es in gewisser Weise selbstverständlich, dass man auch Kinder haben wür­de, nicht schlecht aber auch kein dringendes Bedürfnis danach. Eine alltägliche Selbstverständlichkeit eben. Jetzt ist es etwas ganz Neues, etwas das ich nicht kenne, das ich noch nie gehabt habe. Du bist Schuld daran, wer sonst.“ Jetzt lachte Pierre aber doch. Er hatte nie an Kinder gedacht, nie einen Wunsch da­nach verspürt. Mit seiner Freundin war es nie ein Thema gewesen, aber jetzt mit Sophia? Pierre begann zu träumen. „Sag etwas!“ forderte ihn Sophia auf. Pierre lächelte und küsste Sophia. „Ich glaube, du machst mir mit deiner Vor­stellung auch Freude, aber in unserem Alter? Nur Interesse daran, es mal ge­nau zu überlegen hätte ich schon. Du wärst ja bei weitem nicht die einzige Frau, die mit zweiundvierzig noch ein Kind bekommt. Heute ist das ja schon fast selbstverständlich, und die einzigen Omas und Opas im Kindergarten wür­den wir bestimmt nicht sein.“ erklärte Pierre. „Nein, nein,“ wehrte Sophia ab, „ich meinte ja gar nicht, dass wir es praktisch realisieren sollten. Ich war nur erstaunt. Wie und wann kommt in einer Frau der Wunsch auf, Kinder zu be­kommen. Es bedeutet doch eigentlich Unannehmlichkeiten, viel Arbeit und Stress, das weißt du doch, und trotzdem möchtest du es.“ „Das ist genetisch so bedingt,“ erklärte Pierre lächelnd, „die Frauen, denen diese Gene fehlen sind alle längst ausgestorben, konnten sich evolutionär nicht durchsetzen. Ist doch logisch.“ Sophia schmunzelte: „Und trotzdem bin ich der Ansicht, dass du Schuld daran bist. Ich empfinde alles sehr glücklich machend, eine wunder­schöne emotionale Umgebung für kleine Ableger, die sie auch glücklich machen würde, und glückliche Kinder in einer freundlichen Umgebung sind eben ein schönes Bild.“ „Sophia,“ sprach Pierre wieder ernst, „wir sollten es doch mal praktisch überlegen. Ich würde mich auch sehr darauf freuen. Natürlich nur, wenn du es auch willst, denn für dich ist es ja mit den meisten Komplikationen und Risiken verbunden.“

Wahrscheinlich war der wichtigste Grund für Sophias Kinderwunsch, in der Ver­änderung ihrer Persönlichkeit zu finden. Sie konnte zwar immer noch in kindli­cher Freude durch die Wohnung tanzen, aber das Zusammenleben mit Pierre und ihre emotional klare Positionierung hatten ihr mehr Reife und Sicherheit verliehen. Sie wusste, was sie wollte, und das stimmte auch mit ihrer gesam­ten Persönlichkeit überein. Dieses von Unklarheiten, Widersprüchlichkeiten und Turbulenzen geprägte Leben hatte für sie ein Ende gefunden. Sie war im Grun­de erst jetzt eine richtig erwachsen Frau geworden.


Alles wurde in die Wege geleitet. Die Operation an Sophias Eileitern stellte sich fast als Lappalie heraus und kurz darauf war sie mit einem kleinen Mädchen schwanger. Pierre und Sophia freuten sich grenzenlos, und nachdem die kleine Simona auf der Welt war, ließ Sophia es einfach zu einer weiteren Schwanger­schaft kommen. Wieder ein Mädchen. Für Pierre sollte ihr Name mit P beginnen und Parvana (Schmetterling) wurde ausgesucht.


Epilog

 

Ratlosikeit, Ausweglosigkeit, nicht mehr wissen wie es weitergehen soll stan­den für Pierre und Sophia nicht mehr an. Sie hatten sich entschieden und ihr Glück gefunden. Sie wussten aber auch, dass Glück kein festschreibbarer Zu­stand ist, der sich konservieren lässt, sondern ein Prozess, der in fortlaufender Arbeit daran ständig entwickelt werden muss. Die Gefahr, dass sich etwas Um­stürzendes ereignet besteht immer. Gereifte und erfahrene Menschen in einer gefestigten tiefen persönlichen Beziehung, wie Pierre und Sophia, haben die besten Voraussetzungen, dem zu begegnen, und sich nicht als hilflos und aus­weglos zu sehen, und nicht mehr zu wissen, wie es weiter gehen könnte.

 

 

FIN

 

 

L'espoir fait vivre.

 

Eines Tages, als Sophia mit Erik am Abendbrottisch saß, sagte er kühl und nüch­tern: „Mir ist zugetragen worden, dass du einen Freund aus eurer Firma hast, mit dem du jeden Tag, von Montags bis Donnerstags nach der Arbeit zu ihm nach Hause fährst. Trifft das zu?“ Sophia hörte auf zu kauen und erstarrte. Jetzt irgendetwas zu plappern und es abzustreiten, das konnte sie nicht. Trotz allem war Erik ja kein dummer Junge für sie. Sie achtete, respektierte und mochte ihn schon. „Sophia, du wirst mir etwas dazu sagen müssen.“ forderte Erik sie auf zu antworten. Sie konnte, was sie im Mund hatte, nicht mehr run­terschlucken und spuckte es auf den Teller. „Ja es ist zutreffend.“ antwortete sie nur. Blickte mal zu Erik und mal auf ihren Teller. „Es wäre mir schon lieb, von dir etwas mehr zu erfahren, Sophia. Was bietet dieser Mann meiner Belle de Jour, was für sie hier nicht möglich wäre?“ fragte Erik weiter, und verdeut­lichte, dass er zwar äußerlich Coolness zeigen konnte, es ihn aber natürlich schon emotional traf. Er lebte für die Arbeit, alles andere war für Erik Sophia, beziehungsweise mit ihr Zusammenhängendes. Das hatte sich die ganzen Jah­re über nicht abgeschwächt. Sophia genoss es und wusste es zu schätzen. Was sollte sie Erik, der bereit war, alles für sie zu tun erklären. Sie wollte ihm offen zu erklären versuchen, wie es sich für sie darstellte, vielleicht würde er es ja verstehen können. „Erik ich liebe dich und mag dich. Unser Zusammenleben über die ganzen Jahre hin, gefällt mir und ist mir wichtig. Ich habe nur erfah­ren, dass es auch etwas anderes geben kann, das sich auf einer ganz anderen Ebene bewegt, und das mir auch sehr wichtig und bedeutsam geworden ist. Es ist mit unserem Zusammenleben nicht zu vergleichen. Ich kann und will mich nicht für das Eine und gegen das Andere entscheiden. Es gefällt mir und befriedigt mich beides. Mein Freund würde es wahrscheinlich auch lieber sehen, wenn ich ständig bei ihm wäre. Aber es ist mein Leben und gehört nicht einem anderen Menschen, einem Mann, der mir vorschreiben will, wie es mir zu gefallen hat. Wahrscheinlich ist es sehr hart für dich, und trifft dich empfindlich, vielleicht bist du aber auch so stark, dass du es ein wenig verstehen und respektieren kannst. Ich persönlich möchte keine Veränderung. Ich werde meinen Freund nicht aufgeben, möchte dich aber auch keinesfalls verlieren.“ erklärte Sophia jetzt ruhig und entspannt ihre Situation. Sie hatte es gesagt, aber was wurde war nicht klar, und ein Espresso schmeckte ihr zu Hause nicht.

 

 

 

Ein Espresso für Sophia – Seite 24 von 24

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Tag der Veröffentlichung: 31.05.2013

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