Cover

Introduction und Inhalt

 

Carmen Sevilla

 

Klaus, du bist doch der Ältere

 

Die Bahnen aus frühen Kindertagen bleiben immer befahrbar

 

Erzählung

 

Il n’y a pas de femmes frigides.
Il n’y a que de mauvaises langues.

Coluche

Völlig orientierungslos überlegte ich, was ich als Nächstes tun sollte. Sollte ich etwas
zu essen vorbereiten? Würde er vielleicht lieber Bier trinken? Ach, alles Quatsch. Auf
jeden Fall wollte ich noch duschen und mir etwas anderes anzie­hen. Nachdem ich
mich immer wieder im Bad aus allen Perspektiven begutach­tet, und verschiedene
Kleideranproben hinter mich gebracht hatte, betrachtete ich intensiv das Gesicht,
das aus dem Spiegel zurück schaute. Es sah mich ver­wirrt fragend mit leicht irr
flirrenden Augen an, und erklärte eindeutig: „Lisa, bei dir stimmt irgendetwas nicht
mehr ganz richtig. Bleib cool und komm zu­rück auf den Teppich!“. Alles klar, also
Jeans und Sweatshirt, wie jeden Abend. Ich zog dann doch ein kleines Schwarzes
mit umgehängter Weste und Nylons zu Pumps mit hohen Absätzen an. Warum? Ich
weiß es nicht. Ich war tatsäch­lich der festen Überzeugung, dass ich mich nur auf die
Unterhaltung mit einem Freund aus frühen Kindertagen freute. Alles andere hätte
ich für völlig abstrus und undenkbar gehalten. Der Abend wurde für mich zum
Horrorerlebnis. Ich saß neben Klaus auf der Couch, und brachte kaum ein Wort
heraus. Wann war mir so etwas schon mal passiert? Ich kannte es von mir überhaupt
nicht, und erlebt hatte ich es noch nie. Ich war nie aus Verlegenheit sprachlos
geworden, und große Anspannung puschte mich eigentlich immer, so dass ich in
Prüfungs ähnlichen Situationen und bei neuen ungewohnten Anforderungen
besonders konzentriert glänzen konnte. Jetzt saß ich hier mit bibberndem Zwerchfell
auf der Couch, und mir fie­len nur alberne, dämliche Bemerkungen ein, die ich
keinesfalls aussprechen konnte, zumindest nicht hier und heute Abend. Ich saß
einfach blöd da, freute mich, dass Klaus neben mir saß, und musste ihn unentwegt
leicht grinsend an­starren. Am liebsten hätte ich mal sein Gesicht angefühlt, aber wie
konnte ich nur, was sollte das. Klaus hätte mich mit Sicherheit, völlig zurecht,
zumindest für leicht durchgedreht gehalten. Ich wollte ja was sagen, aber die
Terrains in denen Komponenten für eine geistreiche, humorvolle, interessante
Unterhal­tung zu finden waren, schienen völlig versperrt. Wenn ich ihn so übliche
Lang­weiligkeiten, wie: „Wo hast du denn studiert? Wann hast du denn geheiratet?“
gefragt hätte, ich wäre jedes mal losgeplatzt vor Lachen. Klaus hatte versucht, die
zunehmend peinlicher werdende Situation zu überbrücken, und erzählte fleißig
irgendetwas von sich, von dem ich nur soviel vernahm, wie Musik aus Boxen eines
vorbeifahrenden Autos. Er schaute mich an und meinte: „Lisa, mir scheint, dass dich
das alles überhaupt nicht interessiert. Du sitzt nur da, siehst mich an und lächelst.
Findest du mich lächerlich, oder ist das, was ich erzähle für dich albernes Zeug?“
„Nein, nein, Klaus, nichts von dem, überhaupt nichts.“ wies ich seine Mutmaßungen
entschieden zurück, „ich freue mich einfach schlicht, dass du heute Abend hier bist,
und neben mir auf der Couch sitzt. Ich frage mich nur, ob wir früher bei uns …,“. Eine
innere Eingebung stoppte mich, weiter Unsinn zu reden. „Ich bin heute Abend gar
nicht so richtig gut drauf. Entschuldige!“ sprang auf, und rannte ins Bad.

 

 

Klaus, du bist doch der Ältere - Inhalt

 

Klaus, du bist doch der Ältere 4

Prolog 4

Bambinitreffen im Herbst 5

Lisa bleib cool! 7

Mehr als nur Klaus Bio? 8

Großer Morgenratschlag 9

Essen kochen, Barolo trinken …? 16

Kurze Nacht mit Frühstück 23

An der See 25

Home again 33

Klaus du bist doch der Ältere 33

La notte delle nozze 38

Auf neuen Gleisen 40

Stop Sex – Read! 44

La vie en rose 45

Carla 46

Gesellschaftspläne 52

Verhängnisvolle Beziehung – glückliche Entwicklung 52

Komm an mein zärtlich Herz du schöner Kater. 54

Epilog 55

 

 

 

Klaus, du bist doch der Ältere

Für die Professorin Lisa gehörte Klaus nicht zur Kategorie Mann, sondern war Spielfreund im Sandkasten vor sechzig Jahren. „Klaus im Ernst, sag mal, mit gestern Abend, was war das eigentlich. Sollen wir das nicht ein­fach ganz schnell wieder vergessen?“ schaute ich ihn fragend an. Klaus war der An­sicht, dafür sei es zu in­tensiv und bedeutsam gewesen. „Für uns selbst könnten wir ja vielleicht gut mit der Deutung leben, dass sich alte Sandkastenfreunde gegenseitig ihr Leben erzählt hätten, und das nur eben ein wenig intensiver“.

Prolog


Mein limbisches System hat allem Anschein nach bei mir auf Autopilot geschal­tet, und dirigiert mich unter Kappen aller Bahnen zu korticalen Funktionen in wilder Jagd durch den emotionalen Alltag. Ich selber stehe oft staunend dane­ben, und nehme meine neuen Einfälle verwundert zur Kenntnis. Fragen, warum etwas so ist, warum ich mir so etwas wünsche, oder danach Verlangen habe, stelle ich mir schon lange nicht mehr. Meine Bewusstseinsregionen er­halten keine lesbaren oder dechiffrierbaren Informationen irgendwelcher Art. Ich kann nur undifferenzierte Mutmaßungen und Spekulationen anstellen, doch oft nicht einmal das. Auf meinen ersten Fotos trage ich mein fast schwarzes Haar lang mit einem Pony vorn. Seit 64 Jahren ist diese Frisur ein Teil von mir und mei­ner Persönlichkeit. Niemals hat mich jemand anders gesehen. Ich glau­be, fast hätte ich lieber einen Arm oder ein Bein geopfert, als meine Frisur än­dern zu lassen. Jetzt will ich sie ändern. Warum? Etwa weil auf einmal 64 Jahre für eine Frisur lange genug sind? Rationale Gründe gibt es nicht, weshalb ich jetzt auf Ideen komme, die ich mir sonst, wenn sie denn überhaupt aufge­taucht wären, erfolgreich verbeten hätte.


Tagsüber bei der Arbeit im Institut bleibe ich weitgehend unbehelligt, obwohl auch hier schon mal einige Empfindungs- und Gefühlsdispositionen sich in ihrer erbarmungslos penetranten und dominanten Art breit machen. Meine Hosenan­züge und Kostümchen, die ich hier trage, fand ich immer chic und situationsad­äquat. Auf einmal halte ich sie für widerlich, und schäme mich fast vor mir selbst, mich so im Institut und vor den Studis sehen zu lassen. Warum? Es gibt nicht den Anschein einer rationalen Erklärung, ich weiß nur, dass es keinen Weg zurück gibt, und ich dringend andere Klamotten brauche, wenn ich mich nicht permanent unwohl fühlen will. Welche Klamotten? Keine Ahnung, es wird sich bei der Suche herausstellen. Meine unbekannten Operatoren werden mich schon dirigieren.


Ich habe es aufgegeben, mich dagegen zu wehren. Zu Anfang habe ich es noch manchmal versucht, weil ich immer der Ansicht war, dass meine Emotionalität und mein Bewusstsein meist friedlich ausgeglichen miteinander harmonierten. Das sollte sich jedoch als böser Trugschluss erweisen. Meine limbischen Kata­komben hatten plötzlich ihre Schleusentore weit geöffnet, und schienen alles zu überfluten, was ich mir mit meinen intellektuellen Funktionen so schön kon­struiert, und über Jahrzehnte pfleglich gewartet hatte. Nichts harmonierte mehr, nichts von den Glaubenssätzen und dem Wissen über meine emotiona­len Grundlagen schien den Rest eine Relevanz zu haben.


Es kam mir vor, als ob eine fremde Stimme mir einflüsterte, dass alles, woran ich bislang glaubte, und wovon ich fest überzeugt war, wertlos sei, und nichts von dem mehr stimmen würde. Einwänden und Anmerkungen aus meinen Be­wusstseinsspähren wurde keine Chance eingeräumt. Eine zweite Person entwi­ckelte sich, und lebte in mir, die ich bisher nicht kannte, und deren Existenz ich geleugnet hätte. Sie hatte sich mir nie offenbart, in keinen Wünschen, Träu­men, Sehnsüchten oder Verlangen.

Bambinitreffen im Herbst


Begonnen hat alles im Herbst vorigen Jahres. Ich unterhielt mich im Flur des Instituts mit zwei Studentinnen, die noch Fragen zu ihrer Arbeit hatten. Meine Tasche hatte ich dabei kurz auf einen Stuhl hinter mich gestellt. Als ich gehen wollte, griff ich nach ihr. Sie war nicht mehr da. Man hatte sie gestohlen. Mir, die hier jeder kennen musste, und dann noch im Beisein der Studentinnen die Tasche stehlen, das war mehr als eine unverfrorene Frechheit. Und warum überhaupt konnte - ich vermute mal ein Student oder eine Studentin -so etwas tun, was erwarteten sie in meiner Tasche zu finden, geheime biochemische Formeln etwa? Oder ging's doch nur um das Übliche, Karten, Papiere, Geld? Vielleicht hatte ja ein ausländischer Student eine Mutter, die mir ähnlich sah, und die er mit meinem Ausweis gern hier leben lassen wollte, oder so etwas in der Richtung. Dass jemand scharf auf mein Puderdöschen war, schien mir eher nicht so sehr wahrscheinlich. Was hatte sich eigentlich alles genau in der Ta­sche befunden?, Die Skripte hatten wir hier auf unseren Rechnern, und von der Dissertation ließ sich sicher leicht ein anderes Exemplar besorgen. Nur alle meine persönlichen Utensilien, dass die verschwunden waren, war schon sehr unangenehm. Ein Etui mit meinen Papieren, mein Portemonnaie mit den Kar­ten und auch ein Ersatzhaustürschlüssel fehlten mir. Kartensperre, ein neues Hau­stürschloss und Information der Polizei habe ich noch sofort vom Büro aus or­ganisiert, aber ich musste mir ja auch alles – Personalausweis, Führerschein, Karten etc. - wieder neu beschaffen.

Heute hatte ich mir den ganzen Tag frei gehalten, und wollte so viele Ämter und Organisationen wie möglich abtingeln. Es war ein wunderschöner Herbst­sonnentag. Die roten Strahlen der frühen Nachmittagssonne färbten die Bäck­chen und Nasen der Menschen noch roter, und alles erschien durch den leich­ten rötlichen Schimmer bunter als sonst. Mich stimmte es fröhlich, und ich sah vor mir Gaukler in ihren bunten schellenbesetzten Kostümen klimpernd durch die Straßen tanzen. In der Stadt ist der Herbst nicht von Altweiberspinnfäden be­seelt oder von der Blätterfarbenpracht eines Indiansummer überwältigt, hier wirken die schönen Tage im Herbst eher lustig und klappernd, wie wenn sie sich nichts dringender als eine bunte lärmende Herbstkirmes herbei sehnten.


Im Bezirksamt, wo ich einen neuen Personalausweis beantragen wollte, hatte ich mir eine Nummer gezogen, und saß, die Anzeigetafel beobachtend, war­tend auf einem der unbequemen Besucherstühle. Plötzlich hörte ich, wie am Schal­ter vor mir jemand von der städtischen Angestellten mit den Worten verab­schiedet wurde: „Also wie gesagt, Herr Gerding, spätestens in vierzehn Ta­gen ist er da.“ Gerding? Ich wäre gleich an der Reihe gewesen, aber den Typ muss­te ich unbedingt sehen. Ich sprang auf, rannte ihm nach und platzte ein­fach raus „Pardon, Klaus Gerding aus Coesfeld?“ Ein langezogenes „Ja-h-ah“ kam als Antwort. Und während seine Augen mich mehrmals musternd von oben bis unten abtasteten, verkündete er lächelnd: „dann bist du Puschi Ahlers, stimm­t's?“ Ich nickte lachend. Wir strahlten uns gegenseitig an und vielen uns um den Hals. „Was machst du hier in Düsseldorf im Bezirksamt?“ wollte ich von ihm wissen. „Hast du mich echt so erkannt?“ fragte er, ohne auf meine Frage einzugehen. „Lass uns alles bei einem Kaffee besprechen, nicht hier im Amt.“ schlug ich vor. Beschwingt verließen wir untergehakt das BZA. „Übrigens, Puschi, das ist schon ganz, ganz lange nicht mehr, seit der Grundschule schon nicht mehr.“ bemerkte ich. „Ja aber, Entschuldigung, deinen richtigen Namen hat mir doch nie jemand verraten.“ „Richtig heiße ich Elisabeth, aber so nennt mich außer-offiziell keiner. Ich bin immer für alle Lisa. Manche gebrauchen auch schon mal Abkürzungen, wie Lis oder Lizzy, aber eher selten.“


Wir wohnten im münsterländischen Coesfeld, nur durch wenige Häuser von einander getrennt, in der selben Straße. Unsere Eltern kannten sich relativ gut, und als kleine Kinder hatten wir öfter zusammen gespielt. Bei dem einen oder andern zu Hause oder auf der Straße, was damals noch ohne jede Gefahr mög­lich und üblich war. Wenn die Jungs Fußball spielen konnten, trennten sich die Wege schnell. Zudem war Klaus ein Jahr älter als ich, und somit ein Jahr früher in der Schule. Die Volksschulen waren noch getrennt geschlechtlich organisiert, aber auch auf dem Gymnasium hatten wir so gut wie nichts miteinander zu tun, da wir verschiedene Klassen besuchten. Wir grüßten uns zwar immer freundlich, aber sonst ereignete sich eben nichts Gemeinsames, weil wir ja auch gar keine gemeinsamen Berührungspunkte hatten. Wenn ich mich in der Pubertät für Jungen interessierte, dann waren das eher Alain Delon und James Dean, deren Filme ich zwar nicht sehen durfte, von denen ich aber Bilder gese­hen und wahnsinnig aufregende Stories gehört hatte. Auf die Idee, mich in einen Jungen „aus dem Dorf“ zu verlieben, wäre ich niemals gekommen, denn Sartre, Camus und Sagan hatten sich bis in das Zimmer des jungen Bürger­mädchens in Coesfeld vorgearbeitet, unter anderem dafür gesorgt, dass Rock und Bluse, Jeans und schwarzem Rollkragenpulli weichen mussten und bewirkt, dass unsere sogenannte Kleinstadtidylle mitsamt all ihrer Einwohner (außer meinem Biologielehrer natürlich) auf mich schon damals den Reiz eines üblen Gestanks von bourgeoisem Kleinstadtmief ausübte. So war Klaus eben mein ei­gentlicher Name nie begegnet, er kannte nur meinen 'Babynamen'. Weil meine Eltern mich immer Puschelchen oder Puschi nannten, wurde ich auch von den andern Kindern so genannt. Bei Schuleintritt haben meine Eltern dann wohl be­schlossen, dass man es so nicht weiter laufen lassen sollte. Das hatte Klaus aber gar nicht mehr mitbekommen. Da hat er 14 Jahre lang, wenn er freund­lich 'Hallo' gerufen hat, wahrscheinlich immer 'Hallo Puschi' gedacht. So offen und aufgeschlossen freundlich waren damals in den 50 Jahren die Kontakte in den Kleinstädtchen.


Auf dem Weg zum Café hatten wir zu klären versucht, warum wir beide in Düs­seldorf gelandet waren. Claus war im Sommer pensioniert worden und gerade von Essen nach Düsseldorf gezogen, einfach weil's ihm hier besser gefiel als in Essen. Er erklärte das noch dezidierter, Kunst-Kultur und Rhein waren zum Bei­spiel zwei bedeutende Gesichtspunkte. Ich erklärte ihm kurz, dass ich an der HHU Professorin für Biologie sei, und merkte dass ich eigentlich keine Lust hat­te, hier weiter zu reden. Ich hätte ihn gern mit nach Hause genommen. Ich gab zu Bedenken: „Klaus, weiß du was, hier beim Kaffee da können wir das doch gar nicht abklären, was wir uns alles noch zu erzählen haben. Hast du nicht Lust mal an 'nem Abend zu uns zu kommen. Wenn du ja jetzt auch in Düsseldorf wohnst, wirst du als Herr Pensionär doch sicher noch einen freien Termin finden können.“ „Schlag was vor. Ich richte mich nach dir.“ war er sofort einverstanden. Ich erklärte ihm, dass es mir gleich heute Abend eigentlich am besten auskäme, was zwar Unsinn war, aber etwas Unbestimmtes in mir schien mich zu drängen, ihn nicht zu lange aus den Augen zu lassen.


Lisa bleib cool!


Beschwingt, leicht tänzelnd betrat ich das Haus, wollte Musik auflegen, fand aber nichts, was meiner augenblicklichen Stimmung entsprach, und trällerte selber, während ich begann im Wohnraum und in der Küche unkoordiniert ir­gend welche Gegenstände zu verrücken und aufzuräumen. Carla, meine Toch­ter (sie ist zwar 27 Jahre alt, aber trotzdem können und wollen wir beide uns immer noch nicht voneinander trennen) kam runter. „Was ist los Mamotschka? Warum bist du so gut drauf?“ „Na, weil's so schön ist draußen. Ich war in der Stadt, mir neue Papiere besorgen.“ „Was erzählst du mir Mutti? Gib's zu, du hast dich verliebt.“ Sie wusste, dass sie mich mit derartigen Scherzen zwar nicht ärgern, aber doch leicht ein wenig herausfordern konnte „Hast du mich denn schon mal verliebt gesehen?“ wollte ich wissen. Carla überlegte „Hm, na so richtig eigentlich nicht, aber so ausgeflippt wie jetzt, sieht man dich ja auch eher selten.“ Wir scherzten noch ein wenig, dann erzählte ich ihr, wen ich in der Stadt getroffen hatte, und dass Klaus heute Abend vorbei käme. Mit der Be­merkung „Ich hab's ja gleich gesagt, also doch verliebt.“ zog sie sich grin­send wieder in ihr Zimmer zurück.


Völlig orientierungslos überlegte ich, was ich als Nächstes tun sollte. Sollte ich etwas zu essen vorbereiten? Würde er vielleicht lieber Bier trinken? Ach, alles Quatsch. Auf jeden Fall wollte ich noch duschen und mir etwas anderes anzie­hen. Nachdem ich mich immer wieder im Bad aus allen Perspektiven begutach­tet, und verschiedene Kleideranproben hinter mich gebracht hatte, betrachtete ich intensiv das Gesicht, das aus dem Spiegel zurück schaute. Es sah mich ver­wirrt fragend mit leicht irr flirrenden Augen an, und erklärte eindeutig: „Lisa, bei dir stimmt irgendetwas nicht mehr ganz richtig. Bleib cool und komm zu­rück auf den Teppich!“. Alles klar, also Jeans und Sweatshirt, wie jeden Abend. Ich zog dann doch ein kleines Schwarzes mit umgehängter Weste und Nylons zu Pumps mit hohen Absätzen an. Warum? Ich weiß es nicht. Ich war tatsäch­lich der festen Überzeugung, dass ich mich nur auf die Unterhaltung mit einem Freund aus frühen Kindertagen freute. Alles andere hätte ich für völlig abstrus und undenkbar gehalten.


Immer wieder kam ich zufällig am Spiegel vorbei, und musste mich kurz kon­trollieren. Carla wollte sich etwas zu essen auf's Zimmer holen. Sie machte große Augen, als sie mich sah, nickte mehrmals langsam staunend mit dem Kopf, zog dabei grinsend eine breite Schnute, und verschwand wieder wortlos vor sich hin lächelnd in ihrem Zimmer.


Mehr als nur Klaus Bio?


Der Abend wurde für mich zum Horrorerlebnis. Ich saß neben Klaus auf der Couch, und brachte kaum ein Wort heraus. Wann war mir so etwas schon mal passiert? Ich kannte es von mir überhaupt nicht, und erlebt hatte ich es noch nie. Ich war nie aus Verlegenheit sprachlos geworden, und große Anspannung puschte mich eigentlich immer, so dass ich in Prüfungs ähnlichen Situationen und bei neuen ungewohnten Anforderungen besonders konzentriert glänzen konnte. Jetzt saß ich hier mit bibberndem Zwergfell auf der Couch, und mir fie­len nur alberne dämliche Bemerkungen ein, die ich keinesfalls aussprechen konnte, zumindest nicht hier und heute Abend. Ich saß einfach blöd da, freute mich, dass Klaus neben mir saß, und musste ihn unentwegt leicht grinsend an­starren. Am liebsten hätte ich mal sein Gesicht angefühlt, aber wie konnte ich nur, was sollte das. Klaus hätte mich mit Sicherheit, völlig zurecht, zumindest für leicht durchgedreht gehalten. Ich wollte ja was sagen, aber die Terrains in denen Komponenten für eine geistreiche, humorvolle, interessante Unterhal­tung zu finden waren, schienen völlig versperrt. Wenn ich ihn so übliche Lang­weiligkeiten, wie: „Wo hast du denn studiert? Wann hast du denn geheiratet?“ gefragt hätte, ich wäre jedes mal losgeplatzt vor Lachen. Klaus hatte versucht, die zunehmend peinlicher werdende Situation zu überbrücken, und erzählte fleißig irgendetwas von sich, von dem ich nur soviel vernahm, wie Musik aus Boxen eines vorbeifahrenden Autos. Er schaute mich an und meinte: „Lisa, mir scheint, dass dich das alles überhaupt nicht interessiert. Du sitzt nur da, siehst mich an und lächelst. Findest du mich lächerlich, oder ist das, was ich erzähle für dich albernes Zeug?“ „Nein, nein, Klaus, nichts von dem, überhaupt nichts.“ wies ich seine Mutmaßungen entschieden zurück, „ich freue mich einfach schlicht, dass du heute Abend hier bist, und neben mir auf der Couch sitzt. Ich frage mich nur, ob wir früher bei uns …,“. Eine innere Eingebung stoppte mich, weiter Unsinn zu reden. „Ich bin heute Abend gar nicht so richtig gut drauf. Entschuldige!“ sprang auf, und rannte ins Bad. Ich hätte vor Wut laut schreien können. Wie ein dämliches Teenygirl oder noch viel Unangenehmeres, so ähn­lich benahm ich mich. Eine erwachsene Frau, die vor Hunderten von Studenten reden konnte, war bei einem früheren Spielkameraden nicht in der Lage, sich zu unterhalten. Mit mir hatte das jedenfalls überhaupt nichts zu tun. Anschlie­ßend wollten wir es doch noch einmal versuchen. Klaus sollte mich etwas fra­gen. Allein die Lächerlichkeit der Situation des Frage-Antwort Spiels veranlass­te mich, zu frech-albernen Auskünften, die zumindest nicht schmeichelhaft für Klaus waren, was ich aber keinesfalls beabsichtigte. „So macht das einfach kei­nen Sinn, Klaus.“ erklärte ich. Unter vielfachen Entschuldigungen, bat ich ihn, unser Treffen heute Abend zu beenden. „Klaus, du musst mir aber unbe­dingt versprechen, dass wir das nachholen, wenn's mir wieder besser geht.“ verab­schiedete ich ihn an der Tür.


Ich rannte ins Bad, trat gegen alles, was ich treffen konnte, lief zurück, warf mich auf die Couch, und trommelte laut brüllend mit den Fäusten auf das Le­der. Clara kam aus ihrem Zimmer gestürmt, und schrie schon von oben: „Mami, was ist passiert? Hat er dir was getan?“ Sie rüttelte mich. „Mami, sag jetzt endlich was los ist. Ich habe Angst. So hab ich dich noch nie erlebt. Sag endlich!“ Wir redeten noch lange miteinander, und Carla wollte heute Nacht bei mir schlafen. Sie meinte, ich müsse es einfach vor mir selbst akzeptieren, dass ich von Klaus mehr wolle, als nur seine Bio zu erfahren. Für mich blieb es inak­zeptabel, es gab einfach keinen Grund. Ich kannte ihn doch überhaupt nicht, diesen pensionierten Sonderpädagogen, abgesehen davon, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie einfach so verrückt nach einem Mann gewesen war, und dann sollte sich mit 64 plötzlich so ein Verlangen einstellen? Außerdem wollte ich keinesfalls eine feste Beziehung zu einem Mann, das war sicher. Was sollte ich von Klaus wollen. Ich fand ihn zwar ganz nett und sympathisch, er schien auch gebildet und eloquent, war witzig und geistreich. Er machte den nicht üblen Eindruck eines älteren intellektuellen Mannes auf mich. Alles ganz angenehm, aber was sollte auf mich überwältigend, oder zumindest besonders beeindruckend gewirkt, und mich zu außergewöhnlichen Reaktionen veranlasst haben? Mir fiel nichts ein. Ich fand es einfach nur angenehm, und hatte mich darauf gefreut. Eine Korrelation meines eigenen Verhaltens mit dieser Theorie wollte sich mir allerdings auch nicht offenbaren.


Großer Morgenratschlag


Am nächsten Morgen rief ich Klaus direkt vom Institut aus an. Es war mir wich­tig, mich nochmals für mein Verhalten eindringlich zu entschuldigen, und even­tuell üble Bilder, die von mir dadurch hätten entstanden sein können, sofort zu retuschieren. Das Gespräch endete damit, dass ich ihn gleich für heute Abend zum gemeinsamen Essen-kochen mit Carla und mir einlud. Jegliche Art von zu­sätzlichen kreativen Impulsen sei da immer hoch erwünscht. Aus dem, was un­sere Haushaltsgehilfin Sophia Donnerstags immer vom Markt mitbringe, eine irgendwie harmonierende Mahlzeit zu komponieren, sei allein mit den üblichen Kochkunstressourcen meist nicht zu bewerkstelligen.


Diese irrelevante kleine private Szene, sie war mir ständig präsent. Wenn ich zum Beispiel Streit mit Carla gehabt hätte, wäre es für mich völlig plausibel ge­wesen, dass mich so etwas ständig quälend beschäftigte, aber dieser margina­le Lapsus vom Vorabend, wer außer Carla hätte je davon erfahren, und wen hätte es denn überhaupt interessiert? Und Klaus, ich hatte 60 Jahre lang nicht mit ihm gespielt, und in meinen Erinnerungen war er auch nie aufgetaucht, da sollte ich es die letzten, mir noch verbleibenden Jahre doch wohl auch noch ohne ihn aushalten können, oder?


Ich hatte es immer ohne Männer ausgehalten, sogar viel besser. Eine richtige Beziehung, so mit Liebes- und Treueschwüren und dem ständigen Bedürfnis, übereinander her zu fallen, hatte ich nur einmal für vierzehn Tage im Studium während eines limnologischen Praktikums. Als wir wieder zu Hause waren, kam es sofort zurück, dieses mich seit der Oberstufe drängende Bedürfnis, mir Un­bekanntes wissen zu wollen, mich restlos in Zusammenhänge zu vertiefen, um sie besser verstehen zu können, immer weiter zu fragen, einer rastlosen Neu­gier gleich, die mich durch mein ganzes Leben gezogen hat. Es war nie unan­genehm für mich. Mein Biologielehrer hatte in mir das Bedürfnis geweckt, in dem er für mich das biologische Universum in einem Bild zeichnete das einem sternenübersäten Horizont glich, in dem jeder Stern für ein in ihm verborgenes ungelöstes Rätsel leuchtete. Biologie hatte ich nicht als heile bewundernswerte Tier- und Pflanzenwelt kennen gelernt, das hatte mein Interesse nicht geweckt, es war die Faszination und das Staunen bei der tiefer gehenden Klärung von Lebensprozessen, die mich fesselten und mir neue Horizonte zu eröffnen schie­nen. Ich hatte schon in der Schule versucht, mir die tieferen biochemischen Prozesse der Abläufe von Lebensfunktionen auch privat weitgehender ver­ständlich zu machen, hielt dies für den zentralen und einzigen Zugang, um zu tieferen Erkenntnissen, umfassenderen Aussagen und bessern Verständnissen zu kommen, und war dabei auf die weiten unerforschten weißen Flächen der biologischen Landkarte gestoßen. Dass ich auch etwas anderes als Biologie hätte studieren können, derartige Gedanken sind mir nie gekommen. Zu Stu­dienbeginn war ich allerdings erstaunt und enttäuscht, mich von Tierfreunden und Pflanzenliebhabern umzingelt zu sehen, die sich in den folgenden Semes­tern meine Kenntnisse und mein Wissen mühselig und widerwillig als in ihren Augen relativ biologieferne Randbereiche anpauken mussten. Die biologischen Bereiche in denen ich nicht so bewandert war, öffneten sich mir nicht nur leicht, sondern ich nahm sie gerne auf, weil ich in ihnen immer neue Felder für tiefergehende Fragestellungen entdecken konnte. Ich sah bei mir ständig einen weiten Vorsprung, umfänglicheres Wissen und profundere Kenntnisse als bei meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen. Meine Arbeit vermittelte mir im­mer Anerkennung, Bestätigung und Erfüllung durch mich selbst und andere nicht nur im Fach. Dass ich zum Beispiel zu Studienbeginn Medizinstudenten am Mensatisch den Zitronensäurezyklus (Citratzyklus) einfach mal so aus der La main für sie verständlich erklären konnte, veranlasste sie nicht nur zu un­gläubigem Staunen, sondern lies sie in mir das Genie erkennen. Für mich wa­ren derartige Zusammenhänge aber einfach unabdingbare selbstverständliche Grundlagen gewesen, ohne deren detaillierte Kenntnisse es kein Weiterkom­men gab, und die ich mir an vielen Nachmittagen und Abenden, mit Spannung forschend und staunend gern erarbeitet hatte, während meine Freundinnen und Freunde, in Kneipen und auf Partys die großen Erkenntnisgewinne such­ten.


Wenn wir bei Forschungsprojekten unüberwindbare Hürden überwunden, Ant­worten auf unlösbare Fragen gefunden, und verborgene Rätsel entschlüsselt hatten, blieb es nicht aus, dass wir uns selbst auch stark fühlten, und keine Mü­hen zu groß sein konnten, dieses Empfinden zu wiederholen, und steigern zu wollen. So hat mich meine unablässige Neugier und Lust daran, tiefer und um­fassender in die Zusammenhänge einzudringen und noch ungelöste Rätsel ent­schlüsseln zu wollen, allerdings auch völlig, sowohl intellektuell als auch emo­tional, okkupiert. Ich war der Ansicht, mich nicht teilen zu können. Wenn ich in meine Arbeit vertieft war, und das war ich ja schließlich häufig und gern mit brennendem Interesse, kam der Gedanke oder das Bedürfnis, mit einem Mann zu schmusen, und Sex haben zu wollen nicht auf. Obwohl ich prinzipiell nicht nur nichts dagegen hatte, sondern es eigentlich liebte, und als sehr ange­nehm empfand. Zur passenden Zeit zwar ein schönes Surplus, auf das ich aber auch gut verzichten konnte, mehr eben nicht. Ich habe nie die Vorstellung ge­habt, auf die Befriedigung meines Sexualtriebs verzichten zu wollen, oder zu müssen, er hat sich nur eben selten abends im Bett gemeldet, und war immer leicht ohne jeden Mann zu besänftigen.


Berechtigterweise wollte Erik, mein Amor aus dem Praktikum, auch nachher die Abende und Nächte mit mir verbringen. Ich hatte auch nicht vergessen, wie schön auch ich es selbst empfunden hatte, dass wir fast keine freie Minute au­ßerhalb meines Bettes verbracht hatten, und ich das Gefühl hatte, ihn nicht nur gern zu haben, sondern richtig zu lieben. Aber jetzt war meine Lust wieder zu Hause, an ihrem gewohnten Ort, in meinem Kopf, meinen Gedanken und meinen Büchern, ein Erik kam da nicht vor. Das sexuelle machte ich, wie vor­her auch, bei Bedarf ebenso mit mir selber aus, der Gedanke an einen Mann kam darin gar nicht vor. Nach mehrfachen ehrlichen und gelogenen Vertröstun­gen habe ich zweimal ohne eigenes Bedürfnis, mehr aus einem Berechti­gungs- und Verpflichtungsgefühl mit ihm geschlafen. Ich meinte, dass sich die alte Emphase und Leidenschaft dann schon im Verlauf wieder einstellen wür­den. Das Gegenteil war der Fall. Mir wurde übel dabei, und ich musste mich hinter­her übergeben. Trotzdem habe ich es noch ein zweites Mal versucht, viel­leicht weil ich es selbst nicht wahrhaben wollte, dass die lustvollen Erfah­rungen aus dem Praktikum nicht in mein Alltagsleben zu implantieren sein soll­ten. Auf je­den Fall wurde es jetzt zum völligen Desaster. Seitdem war Erik für mich auch als liebevolle Erinnerung gestorben. Ich kam mir benutzt vor. Eine horrible Vor­stellung, die mein Ego nicht erträgt, und die für mich nicht nur jede Art von gleichberechtigter Liebe und Anerkennung im Kern zerstört, sondern auch al­lein schon als gedankliche Erwägung bei mir, jede weitere Beziehung zu einem Mann unmöglich werden lässt. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, weshalb ich nicht mit fremden Männern, die ich kurzfristig kennen lerne, ins Bett gehen kann. Wenn ich mich mit einem Mann, den ich auf einem Kongress oder bei ei­ner Party treffe, unterhalte, ihn eigentlich ganz nett, amüsant und reizvoll fin­de, und dann merke, wie sein steigender Testosteronspiegel Verhal­ten und Re­den zu dominieren beginnt, möchte ich ihm am liebsten ins Gesicht spucken. Ein Bedürfnis, mit ihm ins Bett zu gehen, habe ich dabei jedenfalls noch nie verspüren oder entwickeln können.


Ich saß am Schreibtisch und überdachte mein ganzes Sex- und Liebesleben und mein Verhältnis zu Männern. Mit Carla hatte ich oft darüber geredet. Sie blieb unverbrüchlich bei der Ansicht, dass ich eine behandlungsbedürftige Be­ziehungsproblematik mit Männern habe, so intensiv und argumentationsstark bis ich es selber glaubte. Fast schon auf dem Weg zum Psychiater, wollte ich doch noch die Meinung meiner Theater- und Kunstfreundin Hildegard einholen. Sie ist Psychotherapeutin, wir decken gemeinsam unseren Kunstbedarf und das Bedürfnis nach Albernheiten alternder Mädels ab. Psychologische Themen sind zwar zwischen uns nicht explizit tabu, nur sie interessieren an unseren gemein­samen Abenden einfach nicht, mich nicht und Hildegard erst recht nicht. Sie riet mir dringend, so etwas nicht zu tun. Ich solle mich nicht krank thera­pieren lassen. Wozu ich mir Bedürfnisse antherapieren lassen wolle, die ich nicht brauche und ohne die ich bislang glücklich sei. Das akzeptierte auch Car­la.


Während ich sinnierend, leicht nach oben schauend und mit den Fingerspitzen meinen Unterkiefer streichelnd am Schreibtisch saß, kam Lilly, my Acting-Part­ner, rein. Lilly heißt eigentlich Frau Sylvia Brender, und ist Leiterin des Deka­natsbüros. Ich habe zu Beginn meiner Professur dafür gesorgt, dass sie mei­ne Sekretärin wurde, und es ist mir immer gelungen, sie über kurz oder lang weiter zu bringen. Mit Lilly verbindet mich mehr als die Uni-Beziehung, doch das ist hier 'topsecret' höchste Stufe. Aus unserer früheren Zeit stammt auch der Name Lilly, weil ich sie so schön fand, wie die junge Lilofee und wir uns ge­meinsam vor den wilden Wassermännern retten wollten, was ihr allerdings nicht gelungen ist. An der Uni gilt sie immer als mein Sprachrohr und Alter-E­go. Oft kommt es mir vor, dass wir uns näher sind als siamesische Zwillinge. Ein Streit zwischen uns ist nicht nur undenkbar, sondern ich glaube auch zu wissen, dass er aus prinzipiellen Erwägungen gar nicht möglich sein könnte. Sie scheint für alles, was mir ferner liegt, große Begabungen zu haben und Dinge, die mir lästig und quälend erscheinen, mit Links erledigen zu können. Sie arbeitet sich in kürzester Zeit in ihr völlig fern liegende Bereiche ein und erreicht es, allen zu vermitteln, dass sie von großer Kompetenz beseelt und eine geöffnete Blüte der Freundlichkeit ist, von den Mathematikern bis zu den Psychologen. Sie hat von all dem nichts gelernt, hat nur eine Ausbildung als einfache Verwaltungsfachkraft. Ich bewundere sie, und kann sie gar nicht überschwänglich genug loben. Ich meine, das manchmal unbedingt tun zu müssen, denn allgemein erhält sie ja nur die Rückmeldung, dass sie ordentlich funktioniert, doch von mir will sie's leider nicht hören. Sie würde bestimmt ein großes Unternehmen leiten, oder etwas ähnliches und viel Geld verdienen kön­nen, wenn sie eine angemessene Ausbildung gehabt hätte. Aber vielleicht puscht sie ja auch ein wenig unser Teamplay, dass ihr sicher immer wieder An­erkennung, Bestätigung und Ermutigung verschafft hat, und vor allem die Tat­sache, das wir beide Lust daran haben uns gegenseitig schamlos die aller­dümmsten Fragen zu stellen. Die Zusammenkünfte mit ihr sind für mich immer außergewöhnlich angenehme Momente, sie ergeben sich nur leider viel zu sel­ten, sind zu kurz und viel zu überladen mit organisatorischen Angelegenheiten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Männerfreundschaft in meiner viel­leicht vorurteilsbehafteten Vorstellung von burlesker Kumpanei eine derartige Tiefe und Vertrautheit in der Beziehung entwickeln kann. Wenn ich emeritiert bin, werde ich Lilly privat mit Sicherheit häufig besuchen.


„Wovon träumst du?“ fragte Lilly „lass mich mitträumen!“ „Von meinem ganzen Leben außer unserem gemeinsamen Teil.“ antwortete ich verschmitzt lächelnd. „Seit wann denkst du nicht mehr gern daran?“ schaute sie mich schelmisch grinsend mit vorwurfsvoll strafendem Blick an. „Nein, nein, das war schön und erfolglos, das sehe ich immer noch so. Nur jetzt denke ich ausschließlich an Männer.“ Ich hatte mit Lilly eigentlich nie viel über Männer gesprochen, außer damals über ihren dämlichen Verflossenen, und darüber, dass uns beiden, trotz aller gegenteiligen Bemühungen, für's Sexuelle doch wohl eher Männer die zu­träglicheren Partner zu sein schienen. Ja, und natürlich auch bevor es zu unse­ren ersten Berührungsversuchen kam. Wir waren schon länger befreun­det, Lilly hatte auch schon mal einige Wochen bei mir gewohnt, wir waren zu­sammen im Urlaub und lagen abends nackt auf dem Bett. Wir machten uns über die An­baggerversuche vom Nachmittag lustig, und ich sinnierte sie be­trachtend mehr im Scherz, sie sei eigentlich viel zu schön für einen Mann. Es sei immer das Gleiche. Männer würden sich bei den Frauen nur einschleimen und im Laufe der Jahre Wracks aus ihnen machen. Sie würden sie in den Abgrund ziehen, wie der wilde Wassermann die schöne junge Lilofee. Sylvia kannte das Gedicht nicht. Ich hab versucht, meine Gehirnwindungen zu aktivieren und es ihr vorzusingen. Sie hat sich tot gelacht. Und dann sind wir einfach so übereinander hergefallen. Anschließend haben wir vor uns hin träumend beschlossen, niemals die arme junge Lilofee zu werden. Wir waren nicht wenig verwundert und sprachlos über unser eigenes Verhalten. Es kam mir vor, als ob die Lust miteinander zu balgen, einfach so automatisch in erotische Lustdimensionen vorgedrungen sei. Wir hatten beide noch nie sexuelle Kontakte mit einer anderen Frau gehabt, nicht mal im entferntesten daran gedacht, aber weil's für uns beide so schön war, überlegten wir, vielleicht etwas daraus machen zu können. Eine wundervolle, erfüllte Zukunft fern jeglicher Probleme mit Männern schwebte uns vor, bis wir allerdings sehr schnell erkennen mussten, dass der himmlische Moment von Korsika, sich unter außergewöhnlichen Bedingungen ereignet hatte, und zuhause nicht einfach reproduzierbar war. Ich war gern mit Lilly zusammen, aber unsere sexuellen Anstrengungen empfand ich eher als lästig und wenig befriedigend. Ich schmuste und knutschte gern mit ihr, und empfand es auch als sehr angenehm, ihre zarte sanfte Haut zu streicheln, aber von sexueller Erregung keine Spur. Zu meiner Erleichterung begann Lilly damit. Unter Vorausschicken aller erdenklicher Zuneigungserklärungen, Liebesbezeugungen und Freundsaftsversprechen erklärte sie heftig weinend, dass sie leider nichts daran ändern könne, in Bezug auf Sex einfach mehr Lust auf einen Mann zu haben. Wir vielen uns beide in die Arme, mussten dabei ausgiebig lange weinen. Warum eigentlich, ich weiß es nicht genau, vielleicht weil es uns gegenseitig aus quälendem Druck befreite, und die Spannung es nicht zu wollen, aber sich nicht zu trauen es zu sagen, sich plötzlich und so befriedigend gelöst hatte. Jedenfalls muss es schon etwas tief in mir berührt haben, da ich sonst so gut wie nie heule.


„Hast du einen kennen gelernt?“ wollte Lilly wissen. Ich fragte sie, ob sie ein wenig Zeit habe, worauf sie sich gleich für eine Stunde im Büro abmeldete. Ich schloss die Tür zu und erzählte Lilly die ganze verrückte Story. „Was ist das? Was soll das? Fang ich an durchzudrehen, oder beginnt so der Altersschwach­sinn?“ endete ich. Auf die linke Hand hatte Lilly ihr Kinn gestützt, die rechte lag an der Seite ihres Gesichtes. Sie schaute mich lange an und atmete tief, bevor sie antwortete: „Lisa, hältst du es für möglich, dass man sich mit 64 zum ers­ten mal so richtig verliebt? Mit 16 hält man es für normal, wenn man dann ver­rückte Dinge tut, mit 64 hält man sich selbst für verrückt. Was du erzählst hört sich sehr, sehr stark danach an, dass es dich voll erwischt hat.“ „Ach, davon ist Carla ja auch überzeugt.“ entgegnete ich lakonisch. „Ich sehe nur nicht den Anschein eines Grundes, warum das so sein sollte. Weder bin ich scharf auf einen Mann, und schon erst recht nicht mehr in meinem Alter, noch hat dieser Klaus irgendetwas Aufregendes an sich. Ich kenne ihn ja gar nicht mal.“ „Ich kann dir auch nicht sagen, warum du vielleicht verliebt sein solltest oder nicht. Ich weiß von mir selbst ja nicht mal, warum ich verliebt bin, es ist einfach so da, ein umfassendes, tiefes, dominantes Empfinden, warm und aufregend. Ich glaube niemand kann wirklich sagen, warum er verliebt ist. Alle die anfangen aufzuzählen: 'wegen ihrer schönen …, wegen ihrer angenehmen … bla, bla, bla', die dichten sich alle etwas zusammen, weil sie es vor sich selbst nicht zu­lassen oder ertragen können, nicht alles über sich zu wissen und erklären zu können. Ich glaube eher, dass jemand der dich aufregt und süchtig werden lässt, ganz alte, nicht mehr bewusste schöne Bilder in dir wieder erweckt und verspricht, sie mit leuchtenden Gegenwartsfarben für dich neu zu kolorieren.“ Wir lächelten uns an, umarmten und küssten uns. „Und was, meinst du, soll ich tun, Lilly?“ fragte ich noch. Und Lilly erklärte achselzuckend, „Was soll man an Gefühlen schon machen? Da kennst du dich ja selbst viel besser aus als ich.“. Sie würde alles einfach ruhig laufen lassen. Vielleicht stelle sich ja auch alles nur als als ein Flush heraus, und sei morgen wieder gegessen. Ihrer Meinung nach sei das Beste, einfach nachgeben, je mehr ich mich in die Angelegenheit grübelnd vertiefte, umso größer seien die Probleme hinterher.


Nach außen hatte ich Lillys Aussagen immer als 'Lords own Word' bekräftigt, aber manchmal drängte sich mir auch der Eindruck auf, dass ich ihr selber ein wenig hörig war. Besonders in Situationen in denen ich zweifelte, kam es mir so vor, dass ich froh war, etwas zu haben, woran ich glauben konnte, weil Lilly es so gesehen hatte. Wissenschaftlich natürlich völlig unvorstellbares Verhalten schien mir im sozial-kommunikativen Rahmen zu gefallen und gut zu tun.


Ich kam mir immer ziemlich selbstsicher, kaum angreifbar und - zwar immer freundlich - aber auch ein wenig dominierend vor. Bei Kollegen und Studenten war ich ziemlich beliebt und fachliche Erfolge hatte ich ja auch immer vorzu­weisen. Mir schien es rundherum gut zu gehen. Selbstverständlich empfand ich das auch so und versuchte es sich auf die Arbeit im Institut und mit den Stu­denten auswirken zu lassen. Von manchen wurde ich richtig bewundert für mein aufgeschlossenes Freude ausstrahlendes Naturell, das offensichtlich von den Mühen und Qualen der Arbeit völlig unbehelligt war. Das Bedürfnis, Über­heblichkeitsempfindungen zu entwickeln, kannte ich wahrscheinlich auf Grund meiner eigenen beruflichen Genese nicht, bei der immer ausschließlich das In­teresse an fachlichen Aspekten dominierte. Zusätzlich schien ich auch damit gesegnet, in meinem ganzen Leben bislang eine hervorragend funktionierende Firewall gegen depressive oder melancholische Anwandlungen zu haben. Ins­gesamt empfand ich mich als in den mir wichtigen Feldern glücklich und zufrie­den, und hielt mich für relativ stark und ausgeglichen.


Dass ich selbst ein Bedürfnis haben könnte, Schwäche zu zeigen, wurde mir erst nach einer heftigen Auseinandersetzung mit Carla bewusst. Bei ihr haben emotionale Kriterien einen für mich oft nicht nachvollziehbaren Stellenwert. Wenn wir über Ansichten oder Einstellung von wem auch immer diskutierten, und ich etwas einzuwenden hatte, war ihre erste Reaktion immer: „Du magst den nicht, nicht war?“. Tausendmal hatten wir den Zusammenhang von argu­mentativem Inhalt und emotionalen Komponenten diskutiert. Als ich zum Bei­trag bei einer Diskussion im Fernsehen mich kritisch äußerte und wieder die bekannte Floskel kam, ist mir der Kragen geplatzt. „Bevor du entscheidest, ob du jemandem zuhören willst, musst du wahrscheinlich erst geklärt haben, ob du mit ihm ins Bett gehen würdest, ja!“ Warum ich das so formulierte, weiß ich nicht. Vielleicht fiel es mir ein, weil Carla zu der Zeit eine ziemlich wechselvolle aktive amouröse Phase hatte. Jedenfalls sprang sie wortlos auf, stürmte wut­entbrannt ins Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.


Am nächsten Morgen beim Frühstück redete sie nicht mit mir. Abgesehen da­von, dass „Nicht-miteinander-reden“ eine in den Breiten unserer kommunikati­ven Auseinandersetzungsregion völlig unbekannte Landschaftsformation war, kam es einem Sakrileg gleich am Frühstückstisch zu streiten. Das gemeinsame Frühstück war uns heilig. Viel zu üppig und dekorativ wurde es jeden Tag aufs Neue inszeniert. Es sollte nicht nur einen freundlich prallen Tagesbeginn sym­bolisieren, sondern auch dem Rest des Tages eindringlich vermitteln, uns wei­terhin, auch im übertragenen Sinn, so freundlich und üppig zu bedienen. So mussten sich auch graue Regenmorgende in ihrer Absicht Tristesse unter den Menschen zu verbreiten bei Anblick unseres Frühstückstisches kampflos ge­schlagen zurückziehen. Es war ein Ritual, das wir am meisten vermissten, wenn wir außerhalb waren. Ich versuchte Carla vorsichtig anzusprechen. Sie sprang auf, feuerte die Serviette auf den Tisch und schrie im Weglaufen: „Ich will nicht mehr!“ Ich rannte ihr nach und wollte wissen was der Grund für ihre Enragiertheit sei, worauf ich von ihr übelst beschimpft wurde. Ich empfinde Vergnügen daran sie fertig zu machen, benutze sie, um meinen Frust darüber, dass ihr der Umgang mit Männern leichter falle als mir, abzureagieren, mein tolerantes Verhalten sei nur äußerer Schein, in Wirklichkeit setze ich mich im­mer mit faschistoider Dominanz durch. Wir würden nicht gleichberechtigt mit­einander reden, sondern ich verdeutliche ihr immer, dass es mir ein Leichtes sei, sie argumentativ zu destruieren. Und sie habe immer geglaubt, ich würde sie lieben, in Wirklichkeit empfände ich sie als lächerlich und mache mich über sie lustig. Diese Erkenntnis sei für sie die bisher größte Enttäuschung, die sie je erfahren habe. Es schmerze sie noch mehr als der Tod ihres Großvaters. Sie halte es hier nicht länger aus, und werde so schnell wie möglich ausziehen.


Mit offenem Mund und entsetzt starren Augen hatte ich ihr zugehört. Solche Worte aus dem Munde meines Allerliebsten, meiner emotionalen Sonne und Basis, dem Gehalt meines Lebens. Es schien, als ob alles in mir in einem kurz­en Augenblick mit wenigen Sätzen zu Fetzen zerrissen würde. Ich konnte nicht einmal schreien, viel weniger etwas sagen. Mein Kopf schien hohl und leer von jedem Gedanken, der zu dieser Philippika gepasst hätte. Ich warf mich auf die Couch, und begann nach kurzer Starre schrecklich zu heulen mit weinkrampf­artigem Schluchzen. Was hatte ich getan? Was konnte sie zu solchen Ansichten veranlassen? Ich liebte sie doch, heiß und innig, mit jedem weiteren Tag ihres Lebens ein zusätzliches Stück mehr. Nie hätte ich auf den Gedanken kommen können, ihr etwas Böses zu wünschen oder gar anzutun. Sie war doch mein Ein und Alles. Wir hatten doch immer zusammen viel Freude gehabt, und gegen­seitige Liebesbezeugungen ausgetauscht. Wie konnte sie nur so über mich re­den? Jedes ihrer Worte über mich schoss mir wiederholt schmerzhaft brennend ein­zeln durch meine Gedanken.


Nach einiger Zeit versuchte Carla mich zu trösten. Mir kam es endlos vor, bis es sich bei mir löste, und ich mich hinsetzen konnte. Carla hatte mittlerweile auch ganz verweinte Augen. Sie umarmte mich und fragte: „Entschuldigung Mama, kannst du mich überhaupt noch ansehen?“ „Ja ich möchte dich ganz lange ansehen, und dann musst du mir alles ganz in Ruhe einzeln erklären, nur eins schon vorab, eine Entscheidung darüber, ob dich jemand liebt, solltest du nie treffen, bevor du die dich liebende Person mal selbst gefragt hast.“ meinte ich. Carla lächelte. Ich küsste sie mit meinem verheulten Gesicht und den an­geschwollenen Lippen. Carla machte einen Tee und ich meldete mich in der Uni krank. Nachdem wir uns frisch gemacht hatten, haben wir fast den ganzen Tag zusammen gehockt und intensivst über unser Verhalten untereinander – und natürlich besonders meines gegenüber Carla - diskutiert. Die Darlegung von Carlas Ansichten und ihren Interpretationen, veranlassten mich, mir viele, wenn auch unbeabsichtigte Fehler eingestehen zu müssen. Aber vielleicht war das ja der größte Fehler gewesen, nicht achtsam und sensibel genug gewesen zu sein, um solche Fehler erkennen und vermeiden zu können, sondern mich so zu verhalten, als ob ich eingefahrene Muster glücklich und stumpfsinnig über Jahr und Tag bedenkenlos perpetuieren könne. Seit diesem Tag hat sich unser Verhältnis zueinander grundlegend geändert. Was sich im Laufe der Jah­re hätte entwickeln sollen, musste so durch einen 'revolutionären Akt' erwirkt werden. Auch wenn Carla es weiterhin liebt, mich als Mutti, Mami, Mamotschka oder alles sonst eher Unmögliche zu bezeichnen, leben wir doch erst jetzt wie zwei Frauen auf gleicher Augenhöhe gleichberechtigt miteinander. Sie ist nicht mehr primär mein Kind und meine liebe Tochter, sondern jemand, den ich als andere erwachsene Frau mag, liebe und schätze. Wenn mir auch an diesem Tag vieles klar und einsichtig geworden war, musste ich mich doch anfänglich noch oft kontrollieren, um nicht in die alten gewohnten Rollenmuster, auf die ich eigentlich überhaupt keine Lust mehr hatte, zurückzufallen. Wenn ich heute meinen Kopf auf Carlas Schoß lege, hat das emotional einen völlig anderen Ge­halt, es ist nicht mehr die Tochter die liebevoll Mamas Gesicht streichelt, son­dern eher die geliebte Freundin, die Gefallen daran findet, sanft und zärtlich zu mir zu sein. Carla und Lilly haben mir beigebracht, dass es auch angenehm und befriedigend sein kann, Schwäche zu zeigen, eigenes Fehlverhalten und ei­gene Ratlosigkeit einzugestehen, und zu akzeptieren. Gegenüber einem Mann …? Na zumindest kann ich's mir für mich nicht vorstellen.


Essen kochen, Barolo trinken …?


Klaus kam pünktlich zum Kochen, und brachte einen alten Barolo 'à partir de sa propre cave' und eine Flasche Sherry mit. „Was sollen wir denn mit Sherry?“ posaunte Carla sehr direkt. „Na als Aperitif und weil die Ladies ja heute Abend in der Überzahl sind, dachte ich mir, das könnte eventuell wohl passen.“ erwi­derte Klaus lächelnd. „Carla bevor du weiteren Quatsch redest, hol bitte die Sherrygläser. Ich möchte ihn probieren.“ befahl ich. Carla konnte keine Sherry­gläser finden, weil sie gar nicht wusste, wonach genau sie dabei eigentlich Aus­schau halten sollte. Ich holte sie selber. Sherry hatte ich schon lange nicht mehr getrunken und Carla noch nie. Sie meinte das sei etwas für Old-Englis­h-Ladies zum Five-o'clock-tea. "We don't drink tea with Ahlers Ladies but may be some Sherry will do" kommentierte Klaus in Abwandlung eines bekannten Aus­spruchs, den er später noch näher erläuterte. Carla fand Sherry auch trotz der Alte-Damen-Assoziationen sehr lecker und süffig. „Deine Vorbehalte gegen äl­tere Damen hätte ich doch bitte mal ein wenig dezidierter erläutert, junge Frau.“ forderte ich Carla mit gestrengem Blick lächelnd auf. Es handele sich da­bei nur um die 'tütteligen', und da sie mich bis jetzt noch nicht voll dazu zähle, brauche ich mir keine Sorgen zu machen, bei eventuellem Entwicklungsbedarf biete sie aber gern ihre Hilfsdienste an. Durch Carlas süffisanten Bemerkungen, die Klaus immer außergewöhnlich lustig zu parieren wusste, und vielleicht ein wenig begünstigt durch den Sherry, den wir schon während der ganzen Essensvorbereitungen fleißig probierten, wurde es beim Kochen sehr lustig, wir mussten viel Lachen, und es herrschte eine ausgesprochen freudige Stimmung.


Beim Essen kam mir kurz der Gedanke, dass es sich anfühle, als ob es ganz selbstverständlich sei, dass Klaus mit am Tisch sitze, und als ob es nie anders gewesen wäre. Es erstaunte mich zwar, aber eine Vorstellung von Gast oder Besuch wollte sich gar nicht einstellen, schien unangebracht, fremd, und ich wollte sie in meinem Bild über unser Zusammensein auch gar nicht vertreten sehen.


Wir haben uns am Tisch über unsere ehemals kolumbianische Haushaltsgehilfin Sophia unterhalten. Ihre Eltern und Verwandten sind von der Farc gekillt wor­den. Sie selbst ist als kleines Kind mit einer Kinderhilfsorganisation nach Deutschland gekommen, und hat hier die Hauptschule besucht. Trotz sehr gu­tem Klasse 10 Abschluss hat sie keine Ausbildung gemacht, sondern gleich Geld zu verdienen versucht, und bald geheiratet. Einen Kolumbianer, von dem wir – obwohl Sophia immer sagt, dass sie ihn liebt und ein Kind von im hat – wünschen, dass er möglichst bald abgeschoben wird. Mit ihrer Einbürgerung war er noch einverstanden, weil er dadurch sein Aufenthaltsrecht in Deutsch­land gesichert sah. Als ich aber eine Weiterbildungsmöglichkeit für Sophia ohne irgendwelche finanziellen Einbußen organisiert hatte, hat er es ihr einfach ver­boten, und Sophia hat sich dem zwar weinend aber widerspruchslos gebeugt. „Was soll ich machen, er ist mein Mann, ich liebe ihn.“ wiederholte sie nur mehrfach. „Also ich finde, was die da machen, hat mit unseren Vorstellungen von Liebe nicht das Geringste zu tun. Irgendwelche mittelalterlichen Vorstel­lungen von Vertragstreue und Ergebenheit gemischt mit katholischem Eheser­mon und Heilge-Familie-Wahn sind da zusammen gebraut. Ich glaube Sophia hat noch nie mit diesem Brutalmatcho gefickt, weil sie selbst Lust darauf hatte, sondern immer nur, weil sie es für ihre selbstverständliche Pflicht hält, die Bei­ne breit zu machen, wenn dem Herrn danach ist seinen Schwanz in ihrer Möse zu entladen.“ Carla ereiferte sich immer mehr. Mein Versuch sie zu bremsen, schien fehl zu schlagen. „Ja, mir läuft auch vor Wut der Speichel im Mund zu­sammen, wenn ich sehe, wie Sophia, diese intelligente, aufgeweckte, schöne, junge Frau, die mit Sicherheit nicht die geringsten Probleme hätte, trotz Kind etwas wesentlich Besseres zu finden, dieses Arschloch nicht zum Teufel schickt. Ich glaub', ich hätte ihn schon längst erschossen. Sophia ist doch hier aufge­wachsen, wie kommt sie dazu, sich so etwas gefallen zu lassen.“ „Was macht ihr Mann denn, schlägt er sie auch?“ wollte Klaus wissen. Ich meinte, dass er sie nicht schlage, weil er wohl wisse, dass so etwas sehr leicht gefähr­lich für ihn selbst werden könne. Arbeitslos sei er, und oft für mehrere Tage einfach verschwunden, ohne Ankündigung, und ohne Erklärung hinterher. Wenn Sophia frage, bekomme sie zur Antwort, das ginge sie nichts an. Ihr Geld müs­se sie bis auf den letzten Cent abliefern, und bekäme dann Haushaltsgeld, was aber so gut wie nie ausreiche. „Das grenzt ja an Sklavenhaltung. Da braucht man doch schon masochistische Servilität, um sich so ein Verhalten bieten zu las­sen“ kommentierte Klaus und Carla meinte: „Ich sag ja, erschießen. Ich glaube so ein Typ könnte in mir noch sadistische Gelüste wecken. Jeden Tag ein Stück­chen mehr abschießen, bis er, wenn das Haushaltsgeld zu Ende geht, ganz tot ist.“ Klaus wollte wissen, was in ihr denn sonst noch sadistische Ge­lüste we­cken könne. „So blöde Fragesteller wie du vielleicht?“ antwortete sie fragend und schaute Klaus dabei breit grinsend, mit großen Augen und vorge­strecktem Kopf an.


Ich schlug vor bei weiterem Bedarf an Explikation unserer sadistischen Gelüs­te, dies doch auf der Couch zu tun, darüber hinaus verspüre ich Gelüste, Claus Barolo zu probieren. Carla grinste breit. Mir war nicht klar, was ich ge­sagt ha­ben sollte. „So kann man's auch sagen“ meinte Carla nur ergänzend. Klaus lä­chelte zwar, es schien ihm aber eher unangenehm. Er meinte nur: „Lisa, du hast 'ne versaute Tochter.“ Da ging mir auf, was sie eventuell in mei­ne Worte rein interpretiert haben könnte. „Jeder halbwegs gebildete Mensch weiß, dass sich beim Barolo der Geist im Glase entwickelt und nicht wo du's vielleicht ver­mutest, Carla.“ Nicht sehr gelungen, wie ich darauf reagiert hatte. Ich konnte es nicht mehr, leicht Anzügliches witzig formulieren. Abgesehen da­von, dass mir jede Übung fehlte, war meine Sprache zu alt und mein Feinge­fühl auf dem Terrain einer situationsadäquaten Diktion völlig orientierungslos. Obwohl ich selbst seit Carlas Pubertät im sexuellen Bereich häufig Bezeichnun­gen verwen­dete, von denen ich vorher dachte, dass sie über meine Lippen nie kommen könnten. Als Carla zum Beispiel immer von ficken redete, und ich sie bat, doch eine andere Bezeichnung dafür zu verwenden, weil ich dieses Wort für disgus­ting, Suburban-Slang und Prol-Sprache hielt, belehrte sie mich im Al­ter von 13 Jahren, dass Sprache sich eben ändere. Das sei in meiner Jugend vielleicht noch so gewesen, aber heute sagten das alle, nicht nur in ihrer Klas­se, in Fil­men werde es ja auch selbstverständlich verwendet, auch wenn im Fernsehen in frühen Abendstunden immer ein Piep darauf gelegt werde. Sie könne sich nicht vorstellen, das Verliebte sich gegenseitig fragten, ob sie Geschlechtsver­kehr miteinander machen sollten. Wenn sie das ihren Freundinnen erzähle, würden die sich darüber totlachen.


Carla hatte sich beruhigt und wollte ins Bett gehen. Sie fühle sich be­schwipst, habe zu viel Sherry getrunken und würde uns sicher nur stören. „Oder braucht ihr jemanden, der auf euch aufpasst?“ erkundigte sie sich noch schelmisch grinsend. Ja, für einen 'Gute-Nacht-Schluck' zusammen mit ihr sei schon drin­gend eine Aufsicht erforderlich, meinte Klaus lächelnd. Carla war ganz begeis­tert von dem Geschmack des Barolo. Sie habe sicher nicht wenige Rotweine getrunken, aber eine Köstlichkeit, die so voll ihr Geschmacksempfin­den bezau­bern könne, sei bislang nicht darunter gewesen. Eigentlich könne sie jetzt gar nicht ins Bett gehen.Sie nahm Klaus das Versprechen ab, von weite­ren Fla­schen keine an andere Frauen zu verschenken, sondern nur uns mit zu brin­gen. Dann gab sie jedem einen Kuss und verschwand in ihrem Zimmer.


„Lisa du hast eine ganz wundervolle Tochter.“ erklärte mir Klaus „und hast zu dem noch das Glück, sie immer bei dir zu haben. Ich habe überhaupt das Ge­fühl, dass ihr beide ein sehr glückliches Leben führt. Es gefällt mir ausgespro­chen gut bei euch. Es kam mir schon nach wenigen Minuten so vor, als ob ich selbstverständlich dazu gehöre. Ich empfinde euch beide als sehr, sehr nett. Aber dass eine Tochter von Puschi Ahlers nicht nett sein könnte, ist ja im Grunde auch gar nicht vorstellbar.“ „Nenn mich bitte nicht so Klaus, ich mag das wirklich gar nicht. Und mit der Vorstellung, schon nach wenigen Minuten dazuzugehören, das machen wir mit allen Männern so. Erst vermitteln wir ih­nen das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, dann nehmen wir sie aus und anschließend schmeißen wir sie wieder raus. Wie eben anderswo im Leben auch.“ erklärte ich mit salopper Gebärde und überheblichem Gesichtsausdruck. Klaus fragte süß-sauer grinsend, was er denn daraus verstehen solle. Das sei einfach schlicht meiner Lust am Blödeln entsprungen, besänftigte ich seine zweifelnde Frage, nur zu unserer Family wolle ich noch erklären, dass Carla und ich zwar schon ein relativ glückliches Leben hätten, sie auch biologisch meine Tochter, aber in erster Linie eine andere erwachsene Frau sei, die selb­ständig ihr eigenes Leben führe. Wir liebten uns zwar sehr und fühlten uns auch aufeinander angewiesen, aber das sei zwischen zwei erwachsenen Frauen viel erfüllender als zwischen Mutter und Tochter. „Wie, du lebst mit deiner Tochter so ähnlich zusammen wie ein Paar, wie gewöhnlich Mann und Frau?“ fragte Klaus erstaunt. „Ja vielleicht ein bisschen so ähnlich sehen wir das,“ ant­wortete ich ihm „nur finde ich das viel angenehmer, als ich mir das mit einem Mann je vorstellen kann, und außerdem gibt es niemals sexuelle Probleme, weil keine auf die Idee kommt, mit der anderen Sex haben zu wollen.“ Ob ich generell keine Männer möge und wie Carla denn entstanden sei, wollte Klaus wissen.


„Jetzt in meinem Alter weiß ich das gar nicht aber sonst mag ich Männer gene­rell eigentlich schon, nur …“ und damit fing ich an von einem zum andern kom­mend, nach und nach mein gesamtes Sexualleben vor Klaus auszubreiten. Meist sah er mich nur lauschend an, manchmal stellte er kleine Verständnisfra­gen und ich spürte, den Drang mich immer weiter und detaillierter zu explizie­ren. Warum und wie es zu Carla gekommen war, wusste er jetzt in allen Einzel­heiten, und selbst das mit Lilly hab' ich ihm erzählt. Je ne sais pas, pour­quoi. Was drängte mich dazu, diesem grundsätzlich relativ fremden Mann Angele­genheiten zu erläutern, von denen ich eigentlich dachte, dass sie nur mir gehö­ren würden, und von denen ich viele sicher selbst meinem Psychiater ver­schwiegen hätte.


„Du bist also der Ansicht, dass deine Arbeit dich nur befriedigen kann, wenn du dich völlig auch mit all deiner Emotionalität in sie vertiefen kannst, jegliche Dif­ferenzierungen für dich ungeheuer störend wirken, wenn nicht gar völlig un­möglich sind. Ich kann das so nicht nachvollziehen, das wäre nicht meine Er­klärung. Ich habe zwar auch keine einfachen schlüssigen Erklärungsmuster, aber zum Beispiel Carla, die passte bei deinen Schlussfolgerungen ja über­haupt nicht ins Bild. Die könntest du dann ja auch nicht mit voller emotionaler Hingabe geliebt haben? Oder wie wäre das zu erklären?“ bemerkte Klaus zu meinen Darstellungen und fuhr fort „Bei diesem Erik glaube ich eher nicht, dass du in ihm wirklich den Menschen geliebt hast. Er war dir angenehmen, und du hast viel Spaß mit ihm gehabt, und als du wieder zu Hause warst, brauchtest du das nicht mehr. Das könnte ich nachvollziehen. Wenn zum Bei­spiel deine Freundin Lilofee, oder Carla sowieso, deine Hilfe braucht, wird dir die Idee, sie vertrösten zu wollen, weil's dir gerade nicht in den Kram passt, sicher niemals in den Sinn kommen. Euch beiden war es ja auch wichtig, dass die andere verstehen und akzeptieren kann, warum ihr keine Lust mehr daran habt, bei Erik war dir das völlig gleichgültig, da hast du nur dich selbst gesehen, und jemanden, der etwas von dir wollte.“


Ich schaute ihn nachdenklich und Zustimmung nickend an. „Haben dir denn außer dem jungen Doktoranden sonst keine Männer Avancen gemacht? Das kann ich mir bei so einer freundlichen, schönen und klugen Frau wie dir gar nicht vorstellen, oder haben sie alle Angst vor dir gehabt?“ wollte er wissen. „Danke Klaus“ antwortete ich und gab ihm einen flüchtigen Kuss „aber ich bin eine alte Frau. Früher kam das schon sehr oft vor, da wurde ich häufiger einge­laden, zum Essen, ins Theater oder sonst wohin, aber da liegt ja gerade das Problem. Ich fand die Männer auch ganz nett, sonst hätte ich mich ja gar nicht einladen lassen, aber wenn der Kontakt um einige Nuancen intensiver wurde, roch ich die Testosteronwölkchen aufsteigen, und der Mann wurde mir plötzlich ungeheuer fremd. Er kam mir einem Alien ähnlich vor, wie ein Monster, und die Vorstellung, dies Gebilde ständig oder häufig um mich zu haben, bereitete mir Angst und Ekel. Das Bild von Situationen, in denen ich mich verpflichtet fühlen könnte, diesem Menschen berechtigte Ansprüche erfüllen zu müssen, weil er mir meine erfüllt hatte, löste fast panikartige Empfindungen in mir aus. Ich musste dann zwangsläufig ein wenig unhöflich oder unanständig werden, um jede weitere Hoffnung im Keim zu ersticken. Bei einigen veränderte sich da­nach ihr Verhalten massiv. Nur zwei haben mich auch hinterher nochmal einge­laden, und konnten offen darüber sprechen, dass sie sich eine Liaison mit mir schon gewünscht hätten, für mich war das dann aber ein für alle mal gestor­ben.


Einem anderen Prof., der wahrscheinlich mal ein Abenteuer suchte, und sicher eingesehen hatte, dass er bei jüngeren Mädels keine Chance bekam, habe ich erzählt, dass ich lesbisch sei, und mit Männern nichts anfangen könne. Zwei Tage später fragte mich Lilly aufgeregt, ob ich irgend jemandem von unseren Experimenten berichte habe, es liefe nämlich im Institut das Gerücht, dass ich lesbisch sei.

Wenn's so gewesen wäre, dachte ich, hätte mir das vieles vereinfacht, nur trotz unserer intensiven Wünsche, festen Absicht und eifrigen Bemühungen, hatte sich das entsprechende Feeling bei Lilly und mir ja nicht einstellen wol­len. Wir blieben eben beide 'schwanzfixiert', obwohl das für mich mit andau­ernder Entbehrung verbunden war, die ich allerdings gar nicht als solche regis­trierte.

Lillys und meine Experimente hatten wir aber strickt verborgen gehalten, damit auf keinen Fall durch irgendwelche Gerüchte über unsere Beziehung, Lillys Po­sition in Gefahr kommen könnte. Lilly hatte nicht einmal ihrem Mann davon er­zählt, zuerst hatte sie sich zwar einfach nur nicht getraut, aber dann war sie der Ansicht, dass jeder, der davon wisse, einer zu viel sei. Dass und warum ich es Carla unter großem Indianerehrenwort der Verschwiegenheit bei einem un­serer vielen Gespräche über Beziehungen zu Männern und Frauen, sexuellen Ambitionen und Präferenzen und ähnlichem, die seit Carlas Pubertät, mehr oder weniger häufig zustande kamen, erzählt hatte, hat Lilly schließlich akzep­tiert. Jetzt geriet sie in Panik, und wollte wissen, wer von uns beiden dafür ver­antwortlich sei.

Nachdem ich Lilly über den Urheber des Gerüchts aufgeklärt hatte, haben wir uns einen Spaß daraus gemacht, die Sache umzukehren. Lilly galt im Institut als mein Sprachrohr, mein Alter-Ego, und manche wollten es auch umgekehrt nutzen, um über Lilly Einfluss auf mich zu nehmen. Lilly konnte also die Sache aufklären. Ich habe mich gegen die massiven Zudringlichkeiten des lüsternen Profs. E. nicht mehr anders zu wehren gewusst, als durch die Erklärung, dass ich lesbisch sei. Da Lilly die Wege für schnelle Verbreitung von Gerüchten kannte, schaute Monsieur E. schon am übernächsten Tag ostentativ zur Seite, als er mir begegnete. Ich glaube die Story hat sich sogar unter den Studenten verbreitet, ich meinte in den schmunzelnden Blicken mancher junger Damen und Herren anerkennende Zustimmung zu spüren, denn im Gegensatz zu E., der immer stark die großartige wissenschaftliche Kapazität markierte, war ich wohl immer sehr beliebt bei den Studis.

Nachdem E. eine Zeit lang krank gewesen war, habe ich ihn angesprochen, um die Angelegenheit zu bereinigen. Auch wenn ich ihn angelogen habe, sei damit noch längst nicht die Permission erteilt, als Marktschreier die sexuellen Vorlie­ben einer Kollegin zu verbreiten. Wenn ein Mann meine, das trotzdem prakti­zieren zu können, müsse er schon damit rechnen, lächerlich gemacht zu wer­den. In seiner ersten Wut habe er überlegt, mich wegen übler Nachrede anzu­zeigen, nach längerem Überdenken und massivem Streit mit seiner Frau, die über andere Wege davon erfahren habe, sehe er aber jetzt vieles anders. Er habe eine Art Katharsis durchlaufen, und sehe das, was ich ihm angetan habe letztlich als große Hilfe an, die ihm gezeigt habe, dass auch er und sogar von Frauen immer noch vieles lernen könne. Dass ich das Gespräch gesucht habe, und wieder mit ihm reden wolle, bestätige ihn in seiner Einschätzung. Er sei sehr froh darüber, und hoffe dass wir auch weiterhin noch viel voneinander ler­nen könnten, allerdings vom Modus her doch möglichst ein wenig mehr kom­mod.“


Klaus amüsierte das sehr. „Toll!“ fand er: „Aber hast du dir nie die Frage ge­stellt, ob es nicht einfach auch ganz nette Männer geben könnte, bei denen nicht immer sofort der Testosteronspiegel explodiert, wenn sie 'ne Frau sehen, sondern die dich primär einfach als Mensch bewundern und gern haben könn­ten, wie deine Tochter und Lilly, und die gern deine Wünsche respektieren wür­den und keine Ansprüche an dich stellten und nur zu unbeholfen wären, dies zu vermitteln?“ „Eigentlich nicht. Aber wozu auch? Es gab ja für mich nicht den geringsten Anlass dazu. Ich empfand nie den geringsten Mangel. Vorstellungen über Männer waren für mich fast ausschließlich mit zusätzlicher überflüssiger Belastung verbunden. Ich hätt' vielleicht schon ganz gern mal mit jemandem geschlafen, wie früher in der WG auch. Irgendetwas mit Beziehung oder großer Liebe stand da aber auch nie zur Disposition. Vielleicht auch weil die Jungs in der WG sich gar nicht trauten. Ich hatte immer so ein wenig den Nimbus einer Femme-fatale , ziemlich groß, relativ üppiger Busen, dicke schwarze Afrofrisur und Gitanes rauchend, zudem noch mit dem für eine Frau unmöglich scheinen­den Interesse an Biochemie, aber in Wirklichkeit war ich ja das völlig unerfah­rene Landmädel. Das einzige, was ich seit dem ersten Mal wusste war, dass ich dafür sorgen musste, dass sich die Jungs gefälligst um mich zu kümmern hat­ten, damit es mir auch Spaß machte. Vielleicht waren die Jungs ja einfach dankbar, wenn sie mal mit so 'ner verwegenen Frau, wie mir, ins Bett durften.“ ich musste über meine eigenen Worte laut lachen „Nein, Ausschlag gebend war glaube ich die Situation aus der sich das entwickelte. Die Absicht, gemeinsam ins Bett zu gehen, war vorher sicher nie bei einem vorhanden. Es waren immer Unterhaltungen, die sich zunehmend lustiger, emotionaler und vertraulicher entwickelten, bis bei beiden wie selbstverständlich der Wunsch auftauchte sich noch näher zu kommen, und dies durch gemeinsame Aktivitäten im Bett zu in­tensivieren. Einfach so, das Bedürfnis jetzt mit einem Mann ficken zu wollen, habe ich nie gehabt. Es hat mir nichts ausgemacht, darauf zu verzichten. Ich empfand keinen Mangel. Ein nettes, aber nicht unbedingt erforderliches Sur­plus“


Klaus reagierte nachdenkend: „Ich weiß auch gar nicht, wie ich mich einer Frau wie dir gegenüber verhalten hätte. Freche, selbstbewusste Frauen haben mir eigentlich immer mehr imponiert, Schlummerbienen mit ihren übertrieben fe­mininen Attitüden waren mir immer grauselig. Meine erste Freundin, noch während der Schulzeit, schien mir das einzige Mädchen auf der Welt, das voll zurechnungsfähig war, im Gegensatz zu den anderen, die für mich alle Tussis waren. Auch meine Frau, die ich sehr geliebt habe, hat eher etwas Freches, Herbes …“ und jetzt erzählte Klaus. Er hatte viel intensiver politisch die 70er, 80er und auch noch 90er Jahre gelebt. Zu dem noch geheiratet und Kinder nicht nur bekommen sondern auch groß gezogen. Sein Leben war sicher we­sentlich facettenreicher verlaufen als meines. Auch wenn es seine begonnene Hochschulkarriere gekostet hatte, machte es mich ein wenig neidisch. Mir kam es vor, als ob ich etwas Unbestimmtes im Leben verpasst hätte. Klaus hatte si­cher mit viel mehr Problemen zu kämpfen gehabt als ich, und auch viel mehr einstecken müssen, aber selbst das schien mir zu fehlen. Zum ersten Mal wuchs in mir eine Vorstellung, die mich auf mein eigenes Leben nicht mehr stolz, ja sogar nicht mehr zufrieden mit ihm sein ließ. Als ob mir das Entschei­dende, etwas Buntes, Blumiges, Lebendiges versagt geblieben wäre, ich die ganze Zeit ums Paradies gerast sei, und mir verborgen geblieben wäre, dass ich überhaupt nicht drin war. Während mir Klaus Leben eher wie ein Roadmo­vie erschien, schrumpfte meines zu einer Fachidioten-Heimatschnulze zusam­men. Eine Träne löste sich aus meinem Auge. Klaus stockte erstaunt und sah mich fragend an. „Es macht mich traurig,“ erklärte ich knapp. „Was macht dich traurig?“ fragte Klaus nach. „Das geht dich nix an.“ gab ich patzig zurück. Ob er aufhören solle, fragte Klaus. „Bloß nicht, du hast mir noch viel zu wenig über deine Amouren erzählt, und das will ich jetzt zumindest genauso detail­liert erfahren, wie ich mich vor dir entfaltet habe. Also z. B. hast du eine Freundin und wenn ja, wie oft schläfst du mit ihr oder so.“ Ich konnte wieder lachen und Klaus stöhnte auf: „Lisa!“ mit ganz langem I, wie ein entrüstetes 'Lisa, wie kann man nur', fing aber doch an zu erzählen. „Also ich habe keine Freundin und will auch keine haben, weil ich mich dadurch zu sehr eingeengt und kontrolliert fühlen würde, war lange Zeit meine feste Meinung, die mich aber schon länger immer weniger überzeugt. …“ Ich schaute Klaus an und hör­te fasziniert zu. Er konnte geistreich und gefühlvoll erzählen, und besonders an­genehmen war es, seiner leicht sonoren samtenen Stimme zu lauschen. Ich musste aufpassen, dass ich nicht vergaß, zu fragen, was ich unbedingt wissen wollte. Warum Beziehungen bei ihm zu Ende gegangen waren, und wie er sich dabei den Frauen gegenüber verhalten hatte, das interessierte mich besonders detailliert.


Als Klaus dabei angekommen war, vom Sexualleben mit seiner Ehefrau zu er­zählen, stockte er, und hielt sich die Hand vor die Stirn „Mein Gott, was tun wir hier eigentlich?“ rief er fragend „für mich war das immer Gesetz, nicht über die Intimitäten mit anderen Frauen zu tratschen, und ich habe auch niemals ein Bedürfnis dazu verspürt, aber jetzt mache ich das einfach so. Einfach so plau­dere ich die Intimitäten anderer Menschen, die mir vertraut haben, aus, als ob es nichts Selbstverständlicheres unter der Sonne gäbe.“ „Ich weiß es ja auch nicht Klaus, überhaupt nicht,“ unterstrich ich sein Erstaunen über die Situation, und strich ihm übers Haar, „mir geht es doch genauso. Vieles von dem, was ich dir erzählt habe, weißt bis jetzt nur du. Vielleicht gibt es bei jedem ein tief lie­gendes, unbewusstes Bedürfnis, sein äußerst Privates einer sehr vertrauten Person mitzuteilen, aber warum ausgerechnet wir beide das sein sollen, obwohl wir uns ja vor heute Abend so gut wie gar nicht kannten, will mir auch nicht einleuchten. Vielleicht stellt sich so tiefes Vertrauen eben nur ein, wenn man zusammen Kaufladen gespielt hat, und da schon nicht betrogen wurde.“ fügte ich scherzend an.


Kurze Nacht mit Frühstück


Mittlerweile war es nach 3:00 Uhr in der Früh geworden. Die Baroloflasche war leer, aber wir spürten weder Alkohol noch Müdigkeit. „Klaus, du fährst jetzt nicht mehr nach Hause. Wir haben für dich alles was du brauchst, sogar einen richtigen Herrenbademantel und neue Zahnbürsten. Und vor allem will ich dich Morgen beim Frühstück noch sehen.“ und ich erklärte ihm kurz, was es damit auf sich hatte. Nach anfänglich skeptischem Blick war er einverstanden, und ließ sich von mir alles kurz zeigen. Wir verabschiedeten uns mit einem leichten Kuss, und verschwanden in unseren Zimmern.


Ich versuchte zu rekapitulieren, was sich da heute Abend eigentlich abgespielt hatte, schlief aber nach den ersten Ansätzen sofort ein. Plötzlich wurde ich wach, ich lag heftig atmend verschwitzt in meinem Bett. Was war passiert? Ich hatte doch tatsächlich geträumt, mit Klaus zu ficken. Verständnislos atmete ich tief durch, drehte mich, nicht weiter daran denken wollend zur Seite, und schlief wieder ein. Einige Zeit später, wieder das Gleiche. Mon Dieu, Madame! Was soll das? Ich schaute zur Uhr, kurz vor fünf. Nochmal wollte ich das nicht mitmachen. Ich stand auf und ging ins Bad. Während das Wasser in die Wanne lief schaute ich intensiv das faltige Gesicht im Spiegel an. Ich suchte das Ge­sicht des kleinen Mädchens, das darauf brennt Unsinniges zu tun, das Abenteu­er sucht ohne die Risiken in Erwägung zu ziehen, das neues Land erforschen will, ohne zu wissen, ob es überhaupt begehbare Wege dahin gibt. Es sollte sich zeigen, ich wollte es verstehen, und ihm auch helfen, aber es hielt sich hinter dem Faltenvorhang verborgen. Vielleicht weil es wusste, das ich es so­wieso nicht verstehen konnte, und meine Hilfe wertlos war. Ich legte mich in die Wanne, und ließ den Schwamm langsam über meinen Körper gleiten. Was war das nur für eine Bühne auf der sich dieser Hexentanz abspielte. Regisseurin war ich hier jedenfalls nicht. Auch in Drehbuch und Choreografie hatte ich keine Einblicke. Die Musik zwang mich einfach nur zu tanzen. Ich war eine Marionette, deren Verhalten über dünne Fäden von unsichtbaren Akteuren gesteuert wurde. Musste ich das akzeptieren, sollte ich das angenehm finden, mich darüber freuen, etwa stolz darauf sein. Eigentlich hatte ich mich schon viel zu tief hinein ziehen lassen. Vielleicht wäre jetzt der letztmögliche Zeitpunkt, um aus diesem Szenario noch heraus zu finden.


Nachdem ich mich im Badewasser fast aufgelöst hatte, zog ich mich an, und begann das Frühstück vorzubereiten. Ich hatte Klaus gar nicht gesagt, wann wir frühstückten. Freitags eigentlich zwischen neun und zehn. Um neun Uhr ging ich ihn wecken. „Klaus das Frühstück ist schon fertig. Komm einfach im Bademantel runter. Anziehen kannst du dich später.“ Als er am Tisch saß, schienen mein Blues und meine Unausgeschlafenheit plötzlich weggeblasen. Wir scherzten miteinander und er bewunderte den Frühstückstisch. „Jeden Morgen ein Osterfrühstück nur ohne Osterdekoration, das hätte ich auch ger­ne.“ meinte Klaus. Er könne ja Carla fragen, vielleicht käme die mal vorbei, und würde ihm den Tisch decken, bot ich ihm scherzhaft an. „Klaus im Ernst, sag mal, mit gestern Abend, was war das eigentlich. Sollen wir das nicht ein­fach ganz schnell wieder vergessen?“ schaute ich ihn fragend an. Klaus war der An­sicht, dass man nicht einfach auf Befehl etwas aus seinem Gedächtnis tilgen könne, und dass es auch nicht einfach so bald verschwinde, dafür sei es zu in­tensiv und bedeutsam gewesen. Wir könnten allenfalls uns gegenseitig ver­sprechen, dass wir niemandem davon erzählten, aber das würde ja sowieso nicht geschehen, wie er das sehe. Für uns selbst könnten wir ja vielleicht gut mit der Deutung leben, dass sich alte Sandkastenfreunde gegenseitig ihr Leben erzählt hätten, und das nur eben ein wenig intensiver, statt sich permanent mit dem Vorwurf zu quälen, leichtfertig alle Intimitäten ausgeplaudert zu ha­ben. Wir hatten die Köpfe zusammen gesteckt, als wenn wir sehr Geheimes zu be­sprechen hätten. Plötzlich stand Carla am Küchentisch. „Oh, das ging ja schnell.“ war ihre erste grinsend geäußerte Bemerkung. „Klaus hat in Opas Zimmer (so hieß unser großes Gästezimmer immer noch, obwohl der Opa schon seit zehn Jahren tot war) geschlafen und ich in meinem. Halt dich gefäl­ligst ein wenig zurück.“ reagierte ich leicht gereizt. Mit vielfachen Entschuldi­gungen und Selbstbezichtigungen fiel Carla mir um den Hals, und versuchte al­les zu­rück zu nehmen. Klaus störte es nicht, er fand's nur lustig. Ich wollte Klaus vermitteln, dass ich es für besser hielte, wenn wir uns erst mal einige Zeit nicht sehen würden, und dass ich das unbedingt für mich brauche. Derarti­ge Worte zu ihm zu schicken, schien am Tisch aber eine mir unbekannte Kraft, die stärker war als ich, zu verhindern. Erst als er ging, brachte ich's im letzten Mo­ment an der Haustür heraus. Klaus machte große erstaunte Augen und sag­te nur: „Tut mir leid, dann werd' ich das wohl so akzeptieren müssen.“


„Mama, bist du verrückt? Der Typ ist Klasse, so einen kann man doch nicht wegschicken, den muss man halten, und nicht laufen lassen. Oder ist gestern Abend vielleicht noch etwas passiert?“ fauchte Carla mich an. „Schatz, mir geht’s nicht um Typen halten oder laufen lassen. Ich selbst bin völlig durchein­ander, ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich will oder nicht will. Ich merke, wie ich mich ganz anders verhalte, als ich's beabsichtigt hatte. Ich habe oft das Gefühl völlig neben mir zu stehen. Ich denke manchmal, ich dreh durch.“ ver­suchte ich Carla meine Situation klar zu machen. Carla schlug vor, wir sollten doch einfach mal an die See fahren, das hätte ich doch sonst auch schon öfter gemacht, wenn ich mich entspannen, und wieder einen klaren Kopf bekommen wollte.


Eigentlich keine schlechte Idee, nur musste ich dabei allein sein. Mit Carla zu­sammen würde das nicht funktionieren. Ich rief im Büro an und sagte Lilly, dass ich mich für eine Woche krank schreiben lassen wolle, und Hildegard das Attest schicken würde. Lilly wollte natürlich wissen, was los sei, und ob er nichts von mir wissen wolle. „Doch, doch Lilly, nur das mit dem einfach laufen lassen funktioniert nicht. Ich bin manchmal nicht zurechnungsfähig. Ich mache Sachen, die ich hinterher nie gewollt haben würde. Ich habe überhaupt keine Kontrolle mehr über mich. Ich fühl' mich völlig derangiert. Ich erzähl dir alles detaillierter, wenn ich zurück bin.“ Hildegard fragte auch ganz besorgt, was denn passiert sei, und meinte: „Ich kann dir nur raten, nicht zu versuchen, das argumentativ klären zu wollen, das spielt sich anderswo ab. Entscheide dich für das Eine oder das Andere und steh dazu, zieh das nicht wieder in Zweifel, auch hinterher nicht denken 'hätt' ich doch'. Dann war's eben ein Fehler, mit 'nem Fehler kann man gut leben, mit ewigen Vorwürfen und Zweifeln nicht. Aber wem erzähl ich das, das sind ja Kleinkinderratschläge.“ „Aber in solchen Fällen vielleicht genau adäquat. Ich komme mir manchmal nämlich so ähnlich vor.“ antwortete ich. Sie hoffe, mich dann als erwachsene Frau wieder zu sehen, weil es ihr mit Kindern in der Oper doch nicht soviel Spaß mache, und sie sei der festen Überzeugung, dass wir später mal viel darüber zu lachen haben würden, egal wie ich mich entscheide.


An der See


Ich rief im Hotel an, packte das Nötigste zusammen, besorgte mir noch schnell ein billiges neues Handy, und war nach knapp vier Stunden im Hotel. Ich rief Carla an, um ihr meine neue Nummer durchzugeben. So war sie die einzige, die mich im Notfall erreichen konnte, oder aus anderen Gründen stören durfte. Meine Sachen packte ich nicht aus, ich wollte heute noch ans Meer. Es faszi­niert mich immer wieder aufs Neue, am weiten leeren Strand die ungeheure ruhige Kraft des Ozeans zu spüren. Es hat für mich auch bei Sturm nie bedroh­liche Züge, löst keine angstvollen Vorstellungen aus. Ich kleiner Winzling fühle mich inmitten dieser großen Kräfte beschützt und geborgen. Wenn der Salzduft meine Nasenhöhlen okkupiert, und die frechen Winde mein Haar zerflattern, fühle ich mich neckisch begrüßt, und liebevoll aufgenommen in den Kreis der übermächtigen Naturgewalten. Alles nur Imagination? Selbstverständlich, aber es lässt für mich die überhektische Betriebsamkeit in den Städten zu winzigen l'art pour l'art Sujets schrumpfen, und vermittelt mir das Empfinden, frei zu sein für Wesentliches und Bedeutendes. Ein Aufenthalt an der See, erfüllt mich immer mit Kraft, Ruhe und Zufriedenheit. Vielleicht wird die Angelegenheit mit Klaus hier ja auch zu einer Marginalie schrumpfen, vielleicht wird er ein netter Freund bleiben, den wir völlig unaufgeregt mal zum Essen einladen, wer weiß, wir werden sehen.


Zurück im Hotel packte ich meine Sachen aus, und wollte mir ein Restaurant suchen. Es fing heftig an zu regnen, also blieb ich zum Abendbrot im Hotel. Ich ging ins Zimmer und wollte lesen, aber alles, was ich mitgenommen hatte, weil ich es für interessant hielt, und dringend lesen wollte, gefiel mir heute Abend nicht. Ich drehte mich auf den Rücken, und versuchte zur Decke starrend noch mal zu rekapitulieren, was ich Klaus gestern Abend alles erzählt hatte. Eigent­lich alles, von meinem ersten Mal bis zur detaillierten Beschreibung, wie ich masturbiere. Ich sollte lieber überlegen, ob mir noch irgendetwas einfiele, was ich ihm eventuell nicht erzählt haben könnte. Wie konnte ich nur so bescheuert sein? Eine 64 jährige Frau, die sich weiß Gott nicht für intellektuell minderbe­mittelt hält, breitet einem fast unbekannten Mann, ungefragt alle Intimitäten ihres Lebens aus. Was treibt sie dazu, was erhofft sie sich davon, was gibt ihr das Vertrauen? Warum erzählt sie ihm nicht mitreißende Geschichten von spannenden Forschungserfolgen? Darf man sich etwa in der gealterten Sand­kasten-Gang nur streng Vertrauliches, Intimes vermitteln. Klaus hat's ja auch getan, und erst sehr spät gemerkt, dass er fleißig dabei war, sich selbst Unter­sagtes zu praktizieren. Waren 60 Jahre bei unserem erneuten Zusammentref­fen einfach ausgeblendet worden? Rational zwar präsent, aber emotional be­deutungslos? Hatte sich trotz der fast das ganze Leben andauernden Trennung das kindliche Vertrauen sofort wieder eingestellt, das sich wie eine unlöschbare Matrix bei uns eingebrannt hatte, und jederzeit reaktiviert werden konnte?. Wie Klaus den Umgang mit seinen Freundinnen und Partnerinnen schilderte, schien mir ziemlich sympathisch. Ich würde das allerdings ja gerne mal von den Frauen selber hören. Was denkt er wohl über mich. Ob er auch wohl im Traum mit mir vögelt? Sicher nicht, aber ich habe ja auch nie daran gedacht, mit ihm ins Bett zu gehen, und trotzdem hab' ich's geträumt. Wo kommt das eigentlich her? Ich habe solange ich mich erinnern kann, nicht davon geträumt, mit einem Mann zu schlafen. Mein Traumarchiv dürfte solche Streifen doch gar nicht mehr vorrätig haben. Ich weiß nicht einmal, ob Klaus überhaupt Lust dazu hätte, mit mir alter Schachtel ins Bett zu gehen. Vielleicht kann er ja auch selbst gar nicht mehr richtig. Bei einem Mann mit 65 da klappt's doch meistens nicht mehr einfach so. Da hat er nichts von erzählt. Im Traum war er ja ganz gut, und ich war auch ganz fleißig.


„Hey Lisa, was überlegst du hier eigentlich für selten dämlichen Unsinn?“ rief ich mich zur Raison. Ich beschloss Carla anzurufen, das würde mich sicher auf andere Gedanken bringen. Nach zwei Sätzen fing Carla auch an, von Klaus zu reden, vielmehr zu schwärmen. Er sei der einzige Mann, den sie sich bei uns im Haus vorstellen könne, und worauf sie sich riesig freuen würde. „Carla, ich bin hier, weil ich Abstand gewinnen möchte, und mir einen klareren Blick ver­schaffen will. Im Übrigen hältst du's doch wohl auch nicht für so ganz realis­tisch, dass ich mit einem Mann zusammen leben könnte, nur weil du ihn so toll findest.“ erwiderte ich. Carla meinte, sie habe nur Angst um mich, dass ich mir möglicherweise wegen eventuell kleinlicher Bedenken und Ängste eine einmali­ge Chance entgehen ließe. Sie habe, den Eindruck, dass wir uns beide, Klaus mich auch super-gern möchten, und unheimlich lieb und vertrauensvoll mitein­ander umgingen. Sie könne sich das nicht schöner vorstellen, und sie möge Klaus auch sehr.


Klaus war überall. Ich schien nur noch eine Chance zu haben, dass mir die Be­drängnis durch mich selbst und andere so auf die Nerven ging, dass ich den Namen Klaus nicht mehr hören könnte. Ich ging in die Launch, um eventuell andere Menschen zu sehen, oder mit ihnen zu reden. Keiner da. Der Barkeeper stand allein hinter seiner Theke, und trocknete gelangweilt Martini Gläser. Er meinte es sei für lange Zeit schlechtes Wetter mit viel Regen angekündigt. Ich bat ihn, mir etwas zu mixen, wovon ich gut schlafen könne. Er überlegte und gab die Empfehlung, dass eigentlich warmes Bier das beste Einschlafmittel sei, das könne er mir wohl zubereiten, wenn ich es wünsche. Ich wehrte entschie­den ab. Dann hat er mir etwas sehr leckeres gemixt und erklärte, das sei extra ein Schlaftrunk für schöne Frauen. Als ich meinte er sei ein Schleimer, und dann würde der Drink ja eigentlich bei mir gar nicht mehr wirken, wollte er er­klärt haben, was Schleimer bedeute. Dann haben wir uns bei zwei weiteren Schlafdrinks für schöne Frauen noch ein wenig weiter unterhalten, wobei er mir erklärte, was wirklich die Schönheit einer Frau ausmache. Lächelnd fiel ich ins Bett und schlief sofort ein. Es kann anscheinend auch entspannend sein, ein wenig Nonsens zu reden.


Am nächsten Tag goss es wirklich unablässig. So würden mich die Naturgewal­ten am Strand sicher gar nicht erkennen, und einladen können. Was sollte ich nur den ganzen Tag machen. Ich hatte nur meine Bücher mitgenommen, und meine Leseintentionen wurden ja durch limbische Störimpulse so fundamental bekämpft, dass sie mir lesenswert scheinendem rücksichtslos den Stempel un­interessant aufdruckten. Wenn ich dann trotzdem ein Buch aufschlug, und mei­ne Augen die Zeilen abtasteten, musste ich nach kurzem feststellen, wie ein­fach die Interpretations- und und Verständnisfelder abgeschaltet wurden, und meine kortikalen Zentren mit Gedanken belegt waren, von denen in den Bü­chern nichts zu finden war. Die limbischen Banditen hatten hier ungefragt ihre eigenen, dumm verwirrendes Gewäsch plaudernden Störsender implantiert, und ließen jeden weiteren Leseversuche scheitern.


Mein süßer Schleimi-Barkeeper war auch noch nicht da, und nach dem Früh­stück gleich mit dem Schlaftrunk für schöne Frauen zu beginnen, schien mir auch ein wenig deplatziert. Ich war ja schließlich nicht nach Holland gefahren, um mich in einer Woche zur Saufziege ausbilden zu lassen, eigentlich sollte da ja mehr so etwas wie ein Kopf mit klaren Gedanken im Vordergrund stehen. Ich musste mich trotz Regens etwas bewegen. An der Rezeption gab man mir einen großen Hotelschirm, weil man der Ansicht war, mein kleiner Taschen­schirm sei für das Wetter draußen viel zu schwach.


Also lief ich Reklame fürs Hotel. Das kleine Städtchen schien, obwohl es Sams­tag war, fast ausgestorben. Hier huschten Leute gebückt unter Regenschirmen in Geschäfte, dort öffneten Leute Türen, streckten eine Hand ins Wetter, und zogen sich Tür schließend wieder zurück, und manchmal sah man auch Men­schen aus Haustüren zu ihren Autos rennen, oder umgekehrt. Wo man Men­schen sah, schienen sie sich von den Regenfäden wie von feinen Peitschen an­treiben zu lassen, um wieder schnell sichere beschützende Orte zu erreichen, wo der Regen ihnen nichts mehr anhaben konnte. Ich kam mir vor, wie der einzige starke Vertreter unserer Art, der vermittels seines großen Hotelschirms unbehelligt von den sirrenden Regenfäden sicher und gemächlich die Fronten der Geschäfte des kleinen Städtchens abschreiten konnte. Ich wollte meinen Lieben irgend etwas Kleines mitbringen. Zuerst fiel mir natürlich die Frage ein, ob ich für Klaus auch etwas mitbringen sollte, verflixt! Erst musste ich mal ent­sprechende Geschäfte finden. Warum gab's hier eigentlich keine überdachte Einkaufspassage, bei Regenwetter braucht man so etwas doch. Ich fand einen kleinen Schmuckdesigner. Die Auslage sprach mich sehr an, ziemlich modern und doch überwiegend dezent. Vielleicht wahr ja auch noch für mich selbst et­was dabei (Klaus verschwinde aus meinen Gedanken) – also ausschließlich für Carla. Ein kleines Collier, ein Silberreif mit zwei versetzten Querstäbchen deren Zwischenraum durch unterschiedlich große Zirkoniasteinchen in mich sehr an­sprechender frischer farblicher Kombination, überbrückt wurde. Ich versuchte es mir an Carlas Dekolleté vorzustellen und versuchte zu überlegen, wie Carla es empfinden könnte. Ich war mir sicher und kaufte es.


Am Abend an der Bar war ich wieder allein mit meinem Schleimi-Keeper. Er lobte, wie angenehm es sei, sich mit mir zu unterhalten. Er habe schon den ganzen Tag daran gedacht, ob ich heute Abend wohl wieder an der Bar sein würde. Ich erklärte ihm, dass man eigentlich nicht ungestraft endlos schleimen dürfe, er könne aber einer Strafe entgehen, wenn er mir einen Gefallen täte. Ich hätte noch zwei Freundinnen, die tausendmal schöner seien als ich, auch nach meinen eigenen Kriterien, und denen würde ich gern etwas von dem Gu­te-Nacht-Trunk für schöne Frauen mitbringen. Ob er mir auch eine ganze Fla­sche voll mixen könne. Selbstverständlich war er sofort bereit. Er suchte eine besonders exquisite Flasche aus, goss den Rest in einen Behälter und begann zu mixen.


Wunderbar! Ich merkte nur an, dass sich laut Etikett in der Flasche „Single Malt“ befände, und ich mir nicht ganz sicher sei, ob nicht zumindest eine der beiden schönen Frauen das doch eher mit Wisky als mit Schlaftrunk übersetzen würde. Ich schlug vor, ein weißes Etikett darüber zu kleben, und es auf deutsch zu beschriften. Nein, nein das sähe nicht aus, das würde ja alles ver­derben. Ich solle ihm nur sagen, was darauf stehen müsse, dann könne ich morgen Abend die Flasche in Empfang nehmen. Ich schrieb ihm auf:

„Gute-Nacht-Trunk
Nur für Schöne Frauen!“.

Jetzt müsse ich auch mal schleimen, nämlich dass ich ihn für den aller nettes­ten Barkeeper, der mir je begegnet sei, hielte. Aber eigentlich sei das schlicht die Wahrheit, und gar nicht geschleimt. Er meinte ich mache ihn ganz verle­gen. Er solle sich nicht so anstellen, was sei denn schon dabei, wenn die Mama den Sohn lobt. Ich dürfe nicht so reden, und vor allem dürfe ich mir das nicht selbst einreden, das tue ihm weh. Er habe mir ja schon erklärt, ich sei eine sehr, sehr schöne Frau, am wichtigsten sei es jedoch, das ich das selber wisse, und nicht immer abzustreiten versuche. Ob er denn von der schönen Frau einen Kuss annehme, oder ob sie nicht dafür doch zu alt sei, wollte ich wissen. „Hören sie auf und küssen sie mich. Ich warte darauf.“ rief er. Nach dem Kuss strich ich ihm mit der Rückseite meiner Finger am Gesicht entlang, und ging verschmitzt lächelnd auf mein Zimmer.


Auch wenn ich wusste, dass es alles nur Geplänkel und Spielerei war, konnte ich nicht abstreiten, dass es mir doch ein wenig gut tat, und meine Stimmung aufheiterte. Ich begann zu überlegen, ob er das selber vielleicht wirklich glau­ben würde. Ich versuchte mich an seine Kriterien vom Vorabend zu erin­nern. Gesichtszüge, Augen, Lächeln, Proportionen, Grazie, Klugheit waren dar­unter gewesen. Beim Nachdenken darüber, wie wohl was bei mir zu bewerten sei, schlief ich ein.


Am nächsten Morgen wieder volles Regenprogramm. Heute musste ich aber unbedingt mit der Causa Klaus weiter kommen, egal ob Meer oder nicht. Ich konnte nicht einfach zurück fahren, und für mich selbst nichts geklärt haben. Ich fühlte mich auch ohne Meer schon viel entspannter und keinesfalls mehr so durchgeknallt. Und abends fiel mir dank der Schöne-Frauen-Drinks Klaus gar nicht mehr ein.


Ich glaubte es einfach mal platt systematisch angehen zu sollen.

Welche Möglichkeiten gab es? Da waren die zwei Extrem-Positionen:

der Kontakt zu Klaus wird komplett beendet, weil es mich zu sehr stört, und ich mich selbst nicht mehr in der Gewalt habe, und

Klaus zieht voll in unser Haus ein, wir leben wie ein übliches Paar mit ei­ner zweiten Frau in einer Wohngemeinschaft.

Was könnte zwischen diesen Extremen liegen

mit Klaus wird nicht ganz Schluss gemacht, er bleibt ein netter Freund, wir laden uns gegenseitig öfter ein, verstehen uns zwar gut aber no Sex.

ein Schritt weiter wäre, Klaus ist nicht nur ein guter Freund, er ist my of­ficial Lover, ich nehme ihn überall hin mit, Sex nur selten, aber nicht völ­lig ausgeschlossen.

die nächste Stufe wäre, wir wohnen zwar nicht zusammen, treffen uns aber immer, wenn wir Lust aufeinander haben.

Was will ich denn davon, was wäre denn realistisch und praktikabel?

Ich will ihn nicht verlieren, er soll mich nur nicht verrückt machen. Die Netter Onkel-Freundschaft ist meiner Ansicht nach nicht mehr praktikabel. Da waren wir vielleicht beim Abendessen noch, aber jetzt sind wir längst darüber hinaus. Zwischenstufe 2 ergibt meiner Ansicht nach keinen Sinn. Wenn man schon Sex hat, warum soll man's nicht dann tun, wenn man Lust dazu hat. Sie ist formal und hohl.

Bleiben Extrem 2 und Zwischenstufe 3.

Ich will ihn ja nicht nur zum Sex haben, vielleicht sogar überhaupt nicht. Ich hab ja gar nicht daran gedacht, dass er ein Mann ist, mit dem man ins Bett ge­hen kann. Ich will ihn hören, sehen, um mich wissen. Ich möchte mit im reden, kochen, tanzen, das ist es, wonach ich ein Verlangen in mir spüre.

Aber wie verträgt sich das mit meinem Horror, permanent einen Mann im Haus zu haben. Ist das nur meine Theorie, oder wird die Situation auch schnell dahin umschlagen? Könnte man das verhindern?


Eigentlich kommt für mich nur das volle Zusammenleben mit Klaus in Frage,al­les andere ergäbe keinen Sinn. Nur müssen wir noch Vieles überlegen und wir­kungsvolle Vorkehrungen treffen, damit es auch funktionieren kann. Und na­türlich meine Unsicherheit, ob das überhaupt praktikabel ist, selbst wenn ich es unbedingt will. Ich habe noch nie (außer mit Anfang 20 in der WG) mit einem Mann zusammen gelebt, ja nicht mal eine feste Beziehung gehabt. Ob bei überheblichster Einschätzung meiner Flexibilität, Lernbereitschaft und Toleranz überhaupt eine Chance besteht, dass ich in der Lage sein werde, mich meinem eigenen Wunsche dienlich zu verhalten. Was mich jetzt bei Klaus Anwesenheit entzückt, wird mir in einem halben Jahr schon 182 mal begegnet sein, jeden Tag, der Reiz des Neuen kann nicht mehr wirken. Wird es mich noch ent­zücken? Es ist immer da, keine Ausnahme mehr. Wird die Sehnsucht, ihn im­mer um mich zu wissen, auch nach der Erfüllung noch wirkungsvolle Kräfte entfalten. Wird es mich immer noch reizen, ihn zu berühren, wenn ich ihn an 182 Tagen berühren konnte. Werde ich nach 182 Tagen immer noch so gerne seiner Stimme lauschen, oder werde ich immer mehr mir unangenehme Zwi­schentöne vernehmen, für die meine Wahrnehmungsorgane im anfänglichen Rausch blockiert waren. Wird es mich noch interessieren, wenn das meiste an Klaus zum selbstverständlichen Alltag gehört, oder wird unser Interesse anein­ander nach und nach schrumpfen, wie bei den meisten üblichen Ehepaaren? Werde ich nicht anfangen, Unangenehmes an ihm zu entdecken, dass mich mehr und mehr zu stören beginnt? Komisch, die sonst übliche Angst vor sexu­ellen Ansprüchen und empfunden Verpflichtungen, dass es eine Situation ge­ben könne, in der er mit mir schlafen wollte, und ich keine Lust dazu hätte, ist in der ganzen Zeit, seit ich ihn zum ersten mal getroffen habe, noch nie aufge­taucht. Ob meine limbischen Vernetzungen vielleicht entschlüsseln können, dass es bei Klaus völlig unbegründet ist? Vielleicht sollten wir unsere Bezie­hung gleich von Anfang an durch eine ständige Paartherapie begleiten lassen. Horrible! Was mich reizt, ist glaube ich eher, bei Klaus Maschine auf den Sozius zu steigen, und mit wehenden Haaren mit ihm durch die letzten Jahre unseres Lebens zu brausen. Wobei wir nur eben aufpassen müssten, nicht schon bald aus der Kurve geschleudert zu werden.


Die wesentliche Voraussetzung ist natürlich die, dass der arme Klaus, über den ich hier so umfassend verfügt habe, es auch überhaupt selber will. Und da weiß ich im Grunde eigentlich sehr wenig zu. Außer den Aussagen, dass er uns nett findet, und es ihm beim Abendessen, ja und natürlich beim Frühstück, gut ge­fällt, und dass es nicht mehr zutrifft, dass er keine feste Beziehung will, weiß ich dazu eigentlich nichts. Dass ich ihm völlig gleichgültig bin, auch unter femi­ninen Aspekten, das kann ich mir allerdings auch nicht mehr denken. Warum genau, ich weiß es gar nicht, aber es würde nicht mehr ins Bild passen.

Hildegard, die einzig mögliche Entscheidung ist gefallen! Eine Revision ist nicht zugelassen.


Ich fühlte mich ungeheuerlich befreit. Auch wenn ich nicht an die 'Causa Klaus' dachte, schien sie doch immer bedrückend gegenwärtig. Jetzt musste ich un­bedingt sofort Carla anrufen. Ich sagte ihr, dass ich für mich eine Entscheidung getroffen habe. „Ja und?“ fragte sie beängstigt. „Ich bin dafür, das Klaus bei uns einzieht“ antwortete ich „Juh! Juh! Juh! Juh!“ jubelnd schien sie mit dem Telefon durch's Haus zu tanzen, und sich dabei gar nicht wieder beruhigen zu können. Ich genoss es stets, mitzuerleben, wie Carla trotz ihrer 27 Jahre ihre Freude immer noch mit kindlichem Überschwang zum Ausdruck bringen konn­te. Es war für mich eine Metapher für ihre gesamte Persönlichkeitsstruktur. Ich bewunderte sie und verspürte manchmal sogar ein wenig Neid. Ihr Verhalten und Denken vermittelte mir oft erst, wie ich trotz überzeugter Selbstsicherheit und unerschütterlichem Unabhängigkeitsbewusstseins an fremdbestimmte Mo­ral- und Verhaltenskodexe gefesselt war. Carlas Persönlichkeit schien mir da einen begehrenswerten, aber für mich unerreichbaren Freiheitsgrad aufzuwei­sen. Für mich schien ihr das die Fähigkeit zu vermittelten, auf beschwingten Wogen durchs Leben zu gleiten, im Gegensatz zu meinen Kraxeleien von einer schroffen Felswand zur nächsten. „Mamotschka du bist wunderbar. Ich sag's ja immer, dass man sich auf dich verlassen kann. Du triffst immer die richtigen Entscheidungen.“ überschüttete sie mich mit Lob für meine Antwort. „Komm schnell zurück, damit ich dich ganz fest in die Arme nehmen kann.“ bat sie mich. „Du scheinst dich ja mehr zu freuen als ich selbst. Es gibt nur einen ent­scheidenden Haken, wir haben Klaus noch gar nicht gefragt, ob er das über­haupt will. Ich bin da aber relativ zuversichtlich.“ fügte ich noch an. „Ich glau­be Klaus hat schon öfter versucht, dich zu erreichen, er hat nämlich sogar schon im Dekanat angerufen, sagt Lilly.“ informierte mich Carla noch. „Ich schätze, dass ich morgen am frühen Nachmittag zurück sein werde. Hier reg­net es sowieso die ganze Zeit in Strömen. Wenn's dich nicht stört, kannst du die Handys ja wieder einschalten.“ teilte ich Carla noch mit.


Am Nachmittag verspürte ich plötzlich Lust, in meinen mitgenommenen Bü­chern zu stöbern, konnte mich kaum entscheiden, welchem ich den Vorzug ge­ben sollte und versenkte mich stundenlang konzentriert und ungestört in Fin­negans Wegh (Wake), das schon so lang auf meiner 'read urgently-Liste' stand. Leider konnte auch die durch keinerlei störende Gedanken beeinflusste konzen­trierte lange Beschäftigung damit nicht verhindern, dass das 'urgently' von mir durch 'during holiday' ersetzt wurde. War ich plötzlich wieder normal gewor­den, oder waren meine limbischen Aktivisten durch meine Entscheidung bezüg­lich Klaus besänftigt und befriedigt, und sahen keinen Anlass mehr, sich stö­rend in meine cerebralen Prozesse einzumischen? Es erleichterte und er­freute mich so, dass ich fast die Abendbrotzeit verpasst hätte.


„Hallo, ihre schöne Frau ist wieder da“ begrüßte ich am Abend den Barkeeper „aber heute zum letzten mal“. Ich solle ihn nicht heute schon traurig machen, meinte er, als er sich bückte, um die Flasche für Lilly und Hildegard hervor zu holen. „Nicht zu fassen. Wie haben sie das denn hingekriegt. Und dazu noch am Sonntag!“ wollte ich erstaunt wissen. Die Flasche sah aus wie original frisch aus einer Brennerei mit glänzend gedrucktem Etikett und neuer verschlossener Manschette. „Was bekommen sie denn dafür?“ fragte ich ihn. Für schöne Frau­en sei das umsonst, meinte er. Zuerst wollte ich das überhaupt nicht akzeptie­ren. Als ich merkte, dass nichts zu machen war, bedankte ich mich und versi­cherte ihm: „Sie sind ein sehr, sehr netter Mensch. Nicht nur ein netter Barkee­per, sondern ein sehr, sehr netter Mensch“ „Ich glaube, jetzt schleimen sie aber, schöne Frau“ meinte er.


„Ach wissen sie, das mit der Schönheit der Frau das müssen sie mir noch mal erklären, wenn ich's wirklich glauben soll. Ich hab nämlich die Kriterien, die sie genannt hatten, nicht mehr zusammen bekommen. Was ist denn zum Beispiel an mir so schön?“ bat ich ihn.

„Ja sehen sie, wenn sie zur Bar kommen, da kommt nicht eine Touristin auf die Theke zugewackelt, Ihre Körperhaltung, ihre Bewegung erweckt eher den Ein­druck, als ob eine Königin mit Grazie auf die Bar zugeschritten kommt, gleich­zeitig sind ihre Bewegungen in keiner weise schwerfällig oder ähnliches, son­dern grazil und elfenhaft leichtfüßig. Es ist ein Genuss, sie kommen zu sehen, egal ob in Kleid oder Jeans. In nicht enden wollenden Elogen pries er die Pro­portionen meines Gesichtes. Die Wirkung der Strahlkraft meiner Augen und die Aussagen meines Blickes zeichnete er in übermenschlichen Dimensionen.“ Und so ging das weiter mit allem was man von mir sehen und nicht sehen konnte, selbst für das Dekolleté über meiner schlaffen Hängebrust fand er bewundern­de Bemerkungen. Am Ende blieb mir nichts anderes übrig, als mich für die schönste Frau der Welt zu halten. „Die meisten Menschen sind dafür blind,“ meinte er,“die sehen nur die Oberfläche der Haut, mir offenbart sich das sofort beim Anblick einer Frau. Durch gestraffte Falten kann eine Frau niemals schön werden, wenn sie es nicht auch ohnehin schon ist.“ Ich hätte das alles auf­schreiben sollen und Klaus vor die Nase halten, wenn er mal vergessen sollte, was für ein tolles Weib er da vor sich hat.

„Ihre ad hoc Expertisen über weibliche Ästhetik sind ja bewundernswert, aber“ wollte ich vom Barkeeper wissen „sind sie verheiratet oder haben sie eine Freundin,und machen sie der auch so viele Komplimente und Schönheitsbezeu­gungen, wie mir?“ Er grinste und sagte, dass seine Freundin das nicht wolle, aber Gott sei Dank das Wort Schleimer nicht kenne, sonst hätte sie ihn sicher schon oft so genannt.


„Wissen sie,“ wollte ich ihm noch vermitteln „dass ich ihnen sehr dankbar bin. Nicht allein wegen des Cocktails für meine Freundinnen und der vielen über­schwänglichen Komplimente, mit denen sie mich überschüttet haben, sondern primär aus einem ganz anderen Grund, den sie gar nicht kennen.“ „Ich vermu­te mal,“ erwog er zögernd „es hat etwas mit einem Mann zu tun.“ „In gewisser Weise schon.“ gestand ich zu „Mit unserem freundlichen Geplauder haben sie dafür gesorgt, dass sich quälende und zersetzende Gedanken nicht in meinem Kopf verbreiten konnten, und ich frei davon, entspannt und zufrieden jeden Abend eingeschlafen bin. Damit haben sie mir unbewusst eine für mich sehr bedeutsame Hilfe erwiesen.“ Er bedankte sich und wollte wissen, ob ich denn der Ansicht sei, die Zukunft auch ohne unser Geplauder bewältigen zu können. Es gab zum Abschied einen Cocktail zusätzlich für beide und die Versicherung, dass er trotz der vielen Abwechselung in der Saison unsere gemeinsamen Abende mit Sicherheit nie vergessen werde. Nicht nur wegen unserer amüsan­ten Gespräche, sondern vordringlich, weil ich in ihm die ungekannte kreative Potenz geweckt habe, in Minutenbruchteilen einen neuen Cocktail kreieren zu können, den es sonst nirgendwo auf der Welt gebe. Er wisse nicht, ob ihm das je wieder gelingen werde. Wenn er es unbedingt benötige, werde er mich bit­ten, zu kommen.


Home again


Für Klaus hatte ich noch schnell ein Kuscheltier, einen kleinen weißen Heuler, besorgt, mit dem er sich begnügen müsse, und zusammen weinen könne, wenn er unfreundlich zu mir gewesen sei, und die Nacht über allein bleiben müsse. Nach kurzer überschwänglicher Begrüßung bei meiner Ankunft, erklärte mir Carla, dass Klaus angerufen habe, ganz besorgt gewesen sei, und immer wieder gefragt habe. Sie habe aber kein Fitzelchen verraten, sondern sei cool dabei geblieben, dass ich an die See gefahren sei, weil ich ein wenig Erholung gebraucht hätte, und alles andere er mich schon selber fragen müsse. Das Col­lier fand Carla klasse, es gefalle ihr sehr, bewertete es aber so, dass es nur zu besonderen Anlässen getragen werden könne, bei ihrer alltäglichen Schlampig­keit und Wurstigkeit käme sie sich damit overdressed vor. Vielleicht könne sie ja ihren Alltag in der Weise verändern, dass sie sich in das Collier hinein entwi­ckele, schlug ich vor, obwohl ich sie auch jetzt schon damit abends auf der Couch schön, und nicht als overdressed empfinden würde.


Ich rief Klaus an. Er wollte wissen, was los gewesen sei, wie's mir ginge, und was er am Donnerstagabend oder Freitagmorgen falsch gemacht hätte. „Klaus ich möchte das nicht am Telefon besprechen, wenn du darüber reden willst, musst du vorbei kommen.“ markierte ich die coole Lady. Selbstverständlich hatte ich wieder alles wieder fest im Griff. Er fragte, wann er denn kommen solle. Obwohl ich's ja gar nicht abwarten konnte, antwortete ich lapidar: „Na wann du möchtest.“ „Heißt das auch sofort?“ fragte er noch. „Meinetwegen auch sofort.“ war meine knappe Replik.


Klaus du bist doch der Ältere


Nach 20 Minuten war er da, und begann sofort wieder mit den gleichen Fragen. Ich bat Carla, uns doch mal kurz allein zu lassen. „Klaus du hast überhaupt nichts falsch gemacht. Ich scheine nur manchmal ein wenig meschugge zu werden, am letzten Mittwoch zum ersten mal“ versicherte ich ihm, und er lä­chelte. „Jetzt geht’s mir aber wieder gut, und ich wollte dich eigentlich etwas fragen. Ich meine, du hast doch nach dem Essen gesagt, dass du es bei uns ganz toll finden würdest, und dass du auch Carla gut leiden möchtest, ich mei­ne, wir haben uns ja auch Dinge erzählt, die sich viele Ehepartner nicht mal untereinander erzählen würden, zum Beispiel die Lilly, die hat ihrem Mann nichts von unserem gemeinsamen Abenteuer erzählt.“ „Lisa ich verstehe nicht, was du mir eigentlich sagen willst,“ unterbrach mich Klaus. „Ja ich meine nur,“ fing ich wieder an, „wir sind doch eigentlich verbal sehr intim gewesen. Ich hab' sogar nachts davon geträumt, dass wir miteinander schlafen würden. Hät­test du auch Lust mit mir zu schlafen?“


Ich glaubte mir ging's gar nicht mehr gut. Im Griff hatte ich zumindest nichts mehr. Mein Plan, wie ich mit Klaus reden wollte schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Statt dessen stotterte ich unkoordiniert irgendwelche Details zusam­men. „Lisa ich hoffe, du hast doch wohl gemerkt, dass ich dich sehr gern mag, und mich in deiner Anwesenheit sehr wohl fühle. Ich hab zwar nicht davon ge­träumt, dass wir gemeinsam Sex hätten, aber ich wäre schon Donnerstagnacht viel lieber mit dir ins Bett gegangen, als in Opas Bett zu schlafen.“ „Warum hast du's denn nicht gesagt, du Trottel, Pardon.“ Ich sprang auf seinen Schoß, schlang meine Arme um seinen Hals, und hätte am liebsten gar nicht wieder aufgehört, ihn zu drücken und zu küssen. Endlich durfte ich's. Ich kam mir vor wie ein kleines glückliches Mädchen. Aber eigentlich hatte ich ihn ja noch gar nicht das Entscheidende gefragt. „Klaus ich wollte dich eigentlich etwas ganz anderes fragen.“ erklärte ich breitbeinig auf seinem Schoß vor ihm sitzend. „Ich glaube, dass ich dich nicht nur gern mag, sondern total verliebt in dich bin. Mit 64 zum ersten mal verliebt in einen Mann.“ „Und woher glaubst du das zu wissen?“ fragte Klaus. „Das weiß man nicht, das fühlt man, und wenn dich das total dominiert, kannst du nicht anders, als dem zu gehorchen, und es ak­zeptieren und glauben.“ erklärte ich als erfahrene Liebesexpertin. Wir grinsten uns an. „Nein Klaus, ich habe das ja auch nicht geglaubt, und wollte es über­haupt nicht wahrhaben, obwohl Carla sich da von Anfang an sicher war. Schon durch mein Verhalten als ich am Mittwochnachmittag nach Hause kam, und Mittwochabend, so dämlich hab' ich mich in meinem gesamten Leben noch nie verhalten. Wenn's um dich geht, scheint mein Bewusstsein eine völlig neben­sächliche, untergeordnete Rolle zu spielen. Wenn du sprichst, versenke ich mich in den Genuss, dich dabei anzuschauen, und dem Klang deiner Stimme zu lauschen, so dass ich den Inhalt oft gar nicht wahrnehme. Ich komme mir selbst verrückt, kindisch vor, aber kann mich nicht dagegen wehren. So etwas hab' ich bislang bei mir noch nie erlebt.“ Jetzt zog mich Klaus zu sich, und um­armte mich küssend. „Aber du wolltest mich doch etwas fragen.“ erinnerte Klaus. „Ja weißt du,“ fing ich wieder an „weil bei dir alles, was ich sonst über Männer und Beziehungen dachte, nein felsenfest zu wissen glaubte, auf einmal nicht mehr stimmen, sondern ganz anders sein sollte, hat mich das total ver­wirrt. Ich dachte, ich würde mit einem Mann nie so eine vertrauliche Situation entwickeln können, wie zwischen uns am Donnerstag nachdem wir uns ein paar Stunden kannten. Einfach so passiert, ohne jeden Grund ohne jede Ab­sicht. Ich wusste nicht mehr, wer ich war, und was mit mir passierte. In mei­nem Kopf und meinem Empfinden schien nichts mehr zueinander zu passen. Und da bin ich erst mal ans Meer gefahren, weil mir das bei Stress und Verwir­rung immer am besten hilft.“ Klaus umarmte und küsste mich wieder, und meinte: „Lisa es macht mir Freude, dir zuzuhören, und ich will auch gar nicht drängeln, aber ich platze gleich vor Spannung, auf das, was du mich fragen wolltest.“ Ich schaute ihm ernst, leicht ängstlich fragend tief in seine Augen. „Klaus ich möchte gern, dass du immer bei mir bist, würdest du das auch wol­len?“ endlich hatte ich's herausgebracht, wobei mir gleichzeitig die Tränen aus den Augen zu quellen begannen, und ich mein Gesicht auf Klaus Schulter ver­steckte. Er streichelte meinen Rücken, und fragte, ob ich gar nicht hören wolle, was er dazu meine. „Ja natürlich“ richtete ich mich schnupfend, und die Tränen verwischend wieder auf. Gespannt erwartete ich, die Worte die jetzt aus sei­nem Mund kommen würden. Wenn er strickt „nein“ sagte, wäre alles vorbei, alles aus, alles zerstört. Aber das konnte ich mir eigentlich nicht mehr vorstel­len. Alles andere könnte man sicherlich noch irgendwie hin biegen. „Lisa, das wäre eine paradiesische Vorstellung für mich, nur …“ begann Klaus. „Was nur?“ unterbrach ich ihn erstaunt fragend. „Du hast mir sehr viel von dir erzählt, und da habe ich große Angst, dass es morgen nicht mehr so sein könnte.“ antwortete er. „Das habe ich doch auch, Klaus. Aber für mich gibt es gute Gründe, weshalb es zwischen uns beiden nicht dazu kommen wird, und da wir beide es ja keinesfalls wollen, können wir uns ja wohl mal gefälligst Einiges überlegen, damit es nicht so weit kommt, oder?“ meinte ich. „Also schön, …“ weiter ließ ich ihn gar nicht kommen und überdeckte ihn mit Freudenküssen. Aus den anfänglichen Schmatzern entwickelte sich schnell ein immer leidenschaftlicher werdendes Küssen. Klaus zog mir Bluse und Shirt aus der Hose, und ich spürte seine warmen großen Hände über die Haut meines Rückens gleiten. Ich wollte mehr von ihm, aber außer an sein Gesicht und seinen Hals konnte ich nirgendwo ran kommen. „Klaus du bist zu dick angezogen.“ konstatierte ich kategorisch, und während ich ihm Pullover, Oberhemd und T-Shirt nacheinander über den Kopf streifte, bemühte er sich mir Bluse und Unterhemd auszuziehen. Als er mir den BH öffnen wollte, wehrte ich kopfschüttelnd ab: „M, M,“ und flüsterte ihm ins Ohr „ich schäme mich.“


Alle Altersveränderungen an meinem Körper hatte ich peu à peu akzeptiert, aber mit meinen schlaffen Hängebrüsten konnte ich mich einfach nicht abfin­den. Wie eine Urwaldmutti, die zehn Kinder groß gesäugt hat, kam ich mir vor. Ich war mir nicht zu blöd, sie häufig im Spiegel zu beschimpfen, und sie für ir­gendwelche Fauxpas verantwortlich zu machen. Chirurgische Korrekturen woll­te ich allerdings auch nicht ausprobieren. Wenn ich es mir vorzustellen ver­suchte, entwickelte sich ein Bild, in dem ich gezwungen war, ständig zwei mir fremde Kegel vor mir hertragen zu müssen, die mir nicht gehörten, nicht Teile meines eigenen Körpers waren, mit mir fast nichts zu tun hatten, außer eini­gen Hautpartikeln. Da waren mir die mir persönlich gehörenden, vertrau­ten, zwar ungeliebten Hänger, doch noch lieber. Sie waren Originalteile von mir, aber Frieden schließen konnte ich mit ihnen deswegen doch noch längst nicht.


Ich merkte, wie mich unsere Liebkosungen immer stärker zu erregen began­nen, und konnte das auch deutlich bei Klaus spüren. Unter der Bemerkung: „Lass uns nach oben gehen.“ sprang ich von seinem Schoß, und zog ihn von der Couch hoch. Wir schienen gar nicht schnell genug die Hosen abstreifen zu können, blieben kurz lächelnd nackt vor einander stehen, und pressten unsere Körper aneinander. „Und den BH, willst du den immer anbehalten?“ fragte Klaus zweifelnd. „Nein jetzt darfst du, nur die sind so hässlich, und hängen so weit runter, da hab' ich Angst, dass du dich erschrickst.“ versuchte ich ihn zu warnen. Er gab mir einen Kuss auf jede Brust und einen Klaps auf den Po mit der Bemerkung: „Lisa, was kannst du für unsinniges Zeug reden. Komm ins Bett.“ „Ich würde mich noch gern ein bisschen frisch machen.“ wandte ich ein. „Oh, doch nicht jetzt Lisa,“ stöhnte Klaus auf „nachher.“ und zog mich unter Küssen aufs Bett. Es kam mir vor als ob wir 20 wären, nichts schien schwieri­ger oder anders zu sein, ich stellte nur fest, dass mir das Gefühl dafür, wie gut es tun kann, völlig abhanden gekommen war. Es überwältigte mich. Unbeab­sichtigt stöhnt ich immer: „Klaus, oh Klaus“, so das Klaus innehielt und mich leicht verwirrt fragend ansah. „Nein, nein, alles o.k., wunderbar,“ beruhigte ich ihn hastig. Ich war sehr schnell so weit, und dieses Orgasmusfeeling war mir bei meinem gelegentlichen Fingerhomework völlig verborgen geblieben. Das wollte ich öfter. Klaus war noch nicht so weit, hatte's natürlich bei mir gemerkt, und rollte sich langsam zur Seite. „Was machen wir denn jetzt?“ fragte ich ihn besorgt. „Macht einfach überhaupt nix. Ist alles völlig o.k..“ war seine Antwort. Erschlafft lagen unsere alten Gebeine völlig verschwitzt nebeneinander auf dem Bett. „Klaus, du bist doch der Ältere von uns, nicht war?“ fing ich an „Ja und?“ fragte er. „Da müsstest du doch eigentlich auch ein wenig vernünftiger sein, und aufpassen, dass wir alten Gestelle, wenn wir uns mal ein paar nette Sachen sagen, nicht unbedingt gleich wie geile Teenies übereinander herfallen, oder?“ „War's denn nicht schön?“ wollte er wissen. Meinen Oberkörper leicht aufrichtend beugte ich mich über ihn, küsste ihn und bemerkte: „Darüber reden schmälert den Genuss, eine seit Jahrhunderten tradierte Ahlersche Stammesweisheit.“ Mit 64 hatte ich auf einmal festgestellt, wie gut es mir gefiel, obwohl ich Jahrzehnte ohne gelebt hatte, und der Ansicht war auch meine zukünftigen Jahre noch so verbringen zu wollen, weil es mir völlig gleichgültig war und überflüssig schien. Die größten Täuschungsversuche schien ich an mir selber auszuprobieren. Klaus wollte mich zu sich ziehen. Ich wehrte ab, und erklärte, wir könnten Carla nicht noch länger warten lassen. Das gemeinsame Duschen zog sich trotz wiederholter Verweise auf Carla natürlich auch noch einige Zeit hin, wobei Klaus bemerkte, dass er mir zu meinen Brüsten irgendwann noch mal etwas Grundsätzliches sagen müsse.


18:00 Uhr war es mittlerweile geworden, als wir endlich nach unten kamen. Ich rief Carla und wollte mich bei ihr entschuldigen, aber sie wehrte ab: „Ist doch klar, überhaupt kein Problem, alles völlig paletti.“ Ich überlegte, ob wir essen gehen sollten, oder etwas bestellen, was wir ja schon lange nicht mehr getan hätten. Carla gefiel beides nicht. Sie wolle nicht haupt­sächlich essen, sondern wolle alles hören, und sie würde dazu unbedingt zu Hause bleiben wollen, und wie sie es einschätze gemeinsam feiern. Wir hätten zwar leider keinen alten Barolo, aber unter unseren Weinen seien doch auch zum Feiern ganz passable zu finden, und verhungern werde bei unseren Vorrä­ten sicher keiner.


Carla stellte sich direkt vor Klaus, schaute ihm lächelnd in die Augen, fiel ihm um den Hals, und küsste ihn ausgiebig. Dann stellte sie sich wieder grinsend vor ihn, und rief wie erleichtert: „Willkommen Papi!“ „Was soll das denn?“ rea­gierte Klaus lächelnd. Ja, so gehöre sich das doch. Vater, Mutter, Kind; ob wir das denn früher gar nicht zusammen gespielt hätten, fragte Carla. „Ja vor 60 Jahren haben wir's gespielt, und jetzt wollen wir's – zwar etwas spät – noch mal richtig versuchen. Nur jetzt hoffen wir, dass es noch viel, viel schöner wird, und nicht zuletzt, weil das Kind ja auch schon richtig groß geworden ist.“ be­merkte ich ein wenig gedankenverloren lächelnd. Ich fühlte mich sowieso traumhaft wonnig, leicht und leer. Mir war eigentlich gar nicht nach feiern oder anderen Aktivitäten zumute. Am liebsten hätte ich mich an Klaus gekuschelt auf's Bett gelegt, und geträumt oder geschlafen. Klaus meinte zu Carla, dass es da mit dem Kind aber eventuell Probleme geben könne, soweit er wisse sei eine rückwirkende Änderung der Vaterschaft gar nicht, oder nur unter äußert schwierigen Bedingungen praktizierbar, aber da kenne sich ihre Mutter sicher besser aus. „Pah, ist doch kein Problem, brauchst mich ja nur zu adoptieren, oder magst'e mich etwa nicht?“ Er sei sich da noch nicht so ganz sicher, erwi­derte Klaus, da er die Angst vor ihren sadistischen Gelüsten noch nicht ganz überwunden habe, sie solle ihm doch mal ihre Folterwerkzeuge zeigen. Die be­kämen nur ausgewählte Kunden zu sehen, und er habe sich noch nicht umfas­send qualifiziert, zum Beispiel beim Schnittchen-Zubereiten. Er könne aber viel aufholen, wenn er sofort damit beginne.


Nachdem wir alles für den Abend verwertbare zur Couch geschleppt hatten. Meinte ich zu Carla, dass ich es ihr ja wohl nicht mehr erklären brauche, dass Klaus damit einverstanden sei, bei uns zu wohnen. Es habe alles so furchtbar lange gedauert, ob es so schwer gewesen sei, ihn davon zu überzeugen, wollte Carla wissen. „Nein, nein ich habe sofort zugestimmt, als sie mich gefragt hat,“ stellte Klaus deutlich fest „nur bis ich endlich wusste, was Lisa mich fragen wollte, hat's endlos gedauert.“ Ich habe zwar sofort gesagt, das ich ihn etwas fragen wolle, aber nichts gefragt, sondern immer wieder etwas anderes er­zählt. Und während Klaus erzählte, ließ ich mich auf die Couch fallen, und legte meinen Kopf auf sein Schoß. Er strich mir über Haare und Gesicht, und ver­suchte mich manchmal mit meinen Haarspitzen an Hals und Ohr zu kitzeln. Zwischendurch beugte er sich zu mir runter, um mich zu küssen und fragte, ob er das überhaupt erzählen dürfe. Ich nickte immer nur zustimmend. Einerseits hatte ich das Gefühl, dass mir sowieso alles gleichgültig sei, und andererseits hatte ich meistens gar nicht genau mitbekommen, wovon die beiden gerade redeten. Als Klaus erzählte, dass ich schrecklich geweint habe, als ich die Frage endlich raus gebracht hätte, meinte Lisa: „Da siehst du mal, was für eine tiefe Bedeutung das für Mutti haben muss, die weint nämlich sonst so gut wie nie, selbst beim Tod ihres Vaters, den sie sehr, sehr mochte, kamen ihr keine Trä­nen.“


Plötzlich rief sie: „Mutti, du hast deinen Kopf bei einem Mann auf dem Schoß liegen. Das hab ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen. Das müssen wir doch festhalten. Mir war alles egal. Ich hatte das Empfinden, gar nicht dar­über nachdenken zu können, ob ich das wollte oder nicht. Carla holte ihre Ka­mera, rückte den Couchtisch zur Seite, und änderte die Beleuchtung. Das Foto­grafieren artete zu einer richtigen Session aus. „Und jetzt muss das Paar sich noch küssen.“ forderte uns Carla auf. Ich reckte mich ein wenig hoch, und hielt Klaus meinen Kussmund entgegen. „Nein, richtig hinsetzen.“ befahl Carla. Ich wandte ein, das es doch eine schöne Pose sei, wenn sich die Frau sehnsuchts­voll ihrem Lover entgegen recke. „Auch gut,“ empfand Carla „aber anders auch.“ Immer neue Positionswechsel, schafften es langsam, mich völlig aus meiner schlafwandlerisch gelassenen Daseinsform zu wecken, und ärgerliche Empfindungen in mir wach zu rufen. „Carla, jetzt ist's genug, ich will nicht mehr.“ erklärte ich genervt. Alles wurde beendet, und wieder zurecht gerückt. „Wir haben noch nicht einmal auf unser neues Trio miteinander angestoßen, und uns umarmt, und machen hier fleißig Hochzeitsfotos,“ versuchte ich auf einen großen Mangel hin zu weisen. Das wurde sofort nachgeholt. Wenn Carla mich ansah, grinste sie immer. Als ich sie darauf ansprach, fragte sie zurück: „Hat's dich geschafft?“ „Halt die Klappe!“ war meine leicht wütende aber doch nicht ganz ernst gemeinte Reaktion „Entschuldigung, nein es war sehr schön. Ich glaub', das will ich öfter.“ meinte ich mit einem süffisanten Zwinkern, „Nur für 'ne alte Frau ist das einfach ein wenig anstrengender. Ich fühle mich aber himmlisch, nur ein wenig schlaff.“ Carla musterte mich, und mit den Worten „Schön“ und „Mutti“ fiel sie mir um den Hals und drückte mich.


Wir scherzten noch darüber, wie sich alles entwickeln würde, und was alles auf uns zu käme, als mir das Mitgebrachte für Klaus einfiel. Angesichts des Stoff­tiers blickte Klaus mich verwirrt mit in Falten gelegter Stirnhaut an, bis ich ihm die Funktion für ihn erklärte, und weil Carla's zum Lachen fand, war er auch zufrieden. „Wisst ihr was,“ setzte ich an „wir können ja jetzt jeden Abend fei­ern. Nur heute würde ich sehr gern ins Bett gehen. Einerseits weil ich mich schlapp und müde fühle, und andererseits weil ich morgen gern ausgeschlafen sein möchte.“ Carla und Klaus sahen sich an, hoben die Schultern und machten Gesichter als ob sie sagen wollten: „O.k., warum nicht? Ich habe nichts dage­gen.“


La notte delle nozze


Klaus und ich gingen zusammen ins Bad. Nach obligatorisch ausgiebigem Gek­nutsche fragte Klaus: „Zusammen bei dir, oder ich bei Opa?“ „Untersteh dich, du bleibst schön bei mir, Bürschchen.“ versuchte die Domina keine dummen Absichten bei ihrem Zögling aufkommen zu lassen. Mit Späßen darüber, wie ich ihn weiterhin zu züchtigen gedenke, erreichten wir das Schlafzimmer.


Wir lagen zusammen nebeneinander auf dem Bauch im Bett und Klaus begann mit einer Hand mir den Rücken zu streicheln. „Klaus, ich kann nicht nochmal.“ wollte ich ihn vor falschen Erwartungen warnen, „Zweimal so kurz hintereinan­der das wird für so ne alte Lady einfach zu viel. Das schafft die nicht. Die muss sich nach so vielen Jahren Pause erst mal wieder daran gewöhnen. Ich würde mich gern bei dir ankuscheln, mit dir schmusen, und dabei streicheln, bis wir einschlafen. Wäre das für dich akzeptabel und auch schön?“ Ohne zu antwor­ten drehte sich Klaus auf den Rücken und zog mich zu sich. Mit dem Kopf auf seiner Schulter liegend streichelte ich seine Brust und meinte: „Klaus, ich werd' das, glaube ich, nie verstehen. Am letzten Donnerstag kam es mir so vor, als ob es das Selbstverständlichste von der Welt sei, dass du bei uns am Tisch sä­ßest, und jetzt ist es nicht viel anders. Selbstverständlich liege ich an Klaus ge­kuschelt im Bett, und lasse mich von ihm verwöhnen, als ob ich mir etwas an­deres gar nicht vorstellen könnte, wobei ich vor wenigen Stunden noch nicht einmal wusste, ob er überhaupt mit mir ins Bett gehen würde. Müsste das ei­nem normalen Menschen nicht alles als absolut überstürzt, total überhastet und völlig verrückt vorkommen, und dazu das alles noch in unserem Alter?“ fragte ich ihn. „Ich halte das auch für ein kleines, nein ein großes Wunder, Lisa“ antwortete Klaus „aber ich denke nicht daran, wie es sogenannten nor­malen Menschen vorkommen würde. Ich bin einfach erstaunt aus welchen Füll­hörnern ich plötzlich überschüttet werde, und versuche die Freude, die mir be­reitet wird, einfach nur zu genießen, und mich vom Glück, das mir widerfährt berauschen zu lasen. Als ich heute Mittag kam, konnte ich mir nicht mal vor­stellen, das wir jemals miteinander schlafen würden. Selbst wenn ich's mir ge­wünscht habe. Bei dem, was du mir von dir erzählt hast, war ich der festen Überzeugung, dass jeder Versuch in diese Richtung und jede Art von Andeu­tung, unser freundliches Verhältnis abrupt zerstört hätten. Selbst wenn ich's dringend gewollt hätte, ich hätte gar nicht gewusst, was ich hätte tun sollen, damit es sich in diese Richtung entwickeln könnte. Ich hab's nicht dringend ge­wollt, weil ich's für völlig unrealistisch hielt. So war das noch heute am frühen Nachmittag, und jetzt, ein paar Stunden später, liegen wir schon zum zweiten Mal gemeinsam im Bett, und halten es für völlig selbstverständlich. Ich glaube, man muss in den Heiligenlegenden lange suchen, um Wunder vergleichbarer Qualität zu finden.“ formulierte Klaus sein Staunen und seine Begeisterung.


Ich merkte, wie beim Zuhören sich meine zarten Handbewegungen zu einem immer intensiveren Streicheln entwickelt hatten. Klaus Haut war weich und sanft. Gar nicht wie ich mir Männerhaut eigentlich vorstellte, und wie sie aus den herben Gesichtern der Männer abzulesen war. Die Haut an Klaus Körper schien jugendlich geblieben zu sein, und ich genoss es, sie zu berühren und zu streicheln. Ich wollte mehr, als sie nur mit meinen Fingerspitzen und Handin­nenhandflächen berühren. Ich richtete mich auf, küsste seine Brust und strich mit meinen Wangen darüber, wobei meine linke Hand tiefer über Klaus Seite zu seinen Lenden wanderte. Wir schauten uns an, und lächelten. Als ich merk­te, dass es ihn schon erregte, forderte ich ihn auf, sich umzudrehen. Ich wollte ihn ja nur streicheln, und seine Haut spüren und genießen. Allerdings von mei­ner anfänglichen Schlaffheit, war nichts mehr geblieben. Streichelnd und massie­rend bearbeitete ich seinen Rücken und Po. „Soll ich mal etwas Massageöl ho­len? Carla die hat so was im Bad.“ fragte ich Klaus. „Nicht jetzt,“ war seine Re­aktion. Ich kniete zwischen seinen Schenkeln, und legte mich manchmal mit meinem Oberkörper streichelnd und reibend auf seinen Rücken. „Lisa, was ist hier eigentlich los?“ schoss es mir durch den Kopf. Ich merkte, wie's mir alter Kuh schon wieder feuchter wurde. Ich hatte gedacht, bei alten Frauen würde das gar nicht mehr funktionieren. Die brauchten immer Gleitkreme oder so et­was, aber heute Nachmittag war's ja auch nicht trocken gewesen. Hier war an­scheinend eben alles anders. Und dann schon wieder aufs neue, obwohl ich mich doch so schlapp gefühlt hatte. Ich legte mich auf Klaus Rücken und flüs­terte ihm ins Ohr: „Ich glaube, du musst dich doch besser wieder umdrehen, Liebling.“ Wir küssten uns, und Klaus drehte sich unter meinen kniend ge­spreizten Schenkeln um. Ich saß aufgerichtet auf ihm, Klaus erregierter Penis drückte gegen meine Vulva, und mich überkam ein Anflug von Unsicherheit, als ob ich plötzlich nicht mehr wisse, wie's jetzt weiter gehen solle. Ich ließ mich auf Klaus fallen, wir küssten uns und dann lief alles wie von selbst, nur noch viel anstrengender als nachmittags. Ich blieb noch länger auf Klaus lie­gen, während mir sein Sperma kitzelnd aus der Vagina tröpfelte.


„Klaus, ich glaube, wir sind Kinder. Wir möchten ficken, tun es, und uns geht’s gut. Den Kindern sagt auch keiner, was sie zu spielen haben. Die suchen sich aus den vorhandenen Ressourcen das aus, wozu sie die meiste Lust haben, machen es, und sind zufrieden. Vielleicht ist das die kindliche Sicherheit und Selbstverständlichkeit, die du mir vermittelst, dass ich so frei fühlend mit allem umgehen kann. Vielleicht habe ich das in meinem ganzen bisherigen Leben gar nicht zu finden können geglaubt, und auch gar nicht danach suchen können, weil ich vergessen hatte, dass es so etwas geben kann. Und du hast es wieder in mir geweckt, und sogar zu heißem Verlangen werden lassen.“ sinnierte ich. Klaus hielt das für eine interessante Theorie, aber er fühle sich gar nicht mehr in der Lage, dem richtig zu folgen. Ihm fielen fast die Augen zu, und ob wir uns nicht vorher noch ein wenig säubern sollten. „Ich, auf keinen Fall,“ deklamierte ich energisch und fügte lächelnd hinzu, „das ist doch der Hochzeitsbeweis, und übrigens, die erste Nacht verklebt und verschmiert mit deinem Samen, das werde ich mir doch nicht entgehen lassen.“ „Dich versteh ich sowieso nicht mehr,“ meinte Klaus lächelnd, gab mir einen Kuss und drehte sich zur Seite. So richtig verstand ich mich ja selbst auch nicht. Ich hatte ins Bett gewollt, weil ich mich schlaff und müde fühlte, was ja auch tatsächlich zutraf, Klaus er­klärt, dass ich nicht nochmal könne, und dann war ich selber wieder angefan­gen. Zum zweiten Mal am ersten Tag mit 64 Jahren nach fast 28jähriger Absti­nenz. Ob ich selbst diejenige war, der ich am wenigst trauen sollte? Ich legte mich mit meinem an Klaus Rücken und träumte noch kurze Zeit vor mich hin, bis ich endlich wohlig einschlummerte.


Auf neuen Gleisen


Fast so ähnlich in allen möglichen Variationen verlief es fortan beinahe jeden Abend. Es funktionierte ja auch alles so gut. Wir genossen beide die umfängli­chen Zärtlichkeitsspiele und -wonnen, die uns dann allerdings auch immer er­regter werden ließen. Und Klaus hatte auch immer Lust. Es gab nichts, was er gern mochte, aber mir nicht lag und umgekehrt. Wir konnten uns immer sehr leicht und gut verständigen. Wobei ich alte Ziege von 64 Jahren allerdings schon öfter mal scharf darauf war, wieder etwas mir Unbekanntes auszuprobie­ren, an mir war so etwas im bisherigen Leben ja auch alles völlig vorbei gegan­gen. Ich hatte das Gefühl, wenn wir nicht miteinander schlafen wollten, durfte ich Klaus mit nicht mehr als den Fingerspitzen berühren. Ich sah mich schon wieder als Fall für den Psychiater. Eine Oma mit 64 Jahren, die fast je­den Abend Sex haben will, ist das denn nicht krank. Mein Leben lang hab ich's kaum gebraucht, und jetzt im Alter will ich's von heute auf morgen perma­nent. Ist das nicht eine Form von behandlungsbedürftiger sexueller Devianz. Aller­dings trat diese Krankheit bislang nur im Zusammenhang mit Klaus auf. Viel­leicht enthielt seine Haut ja irgendwelche Kontaktgifte, die diese Verhaltensre­aktionen bei mir evozierten.


Bei jeder Beziehung (wenn es denn überhaupt mal so weit gekommen wäre) hätte für mich die zentrale Frage am Anfang gestanden, wie oft er's denn wohl von mir erwarten würde, und ich ihm zu wenig Lust am Sex haben könnte. Ich war der festen Überzeugung, dass meine libidinösen Bedürfnisse für die eines durchschnittlichen Mannes viel zu gering seien, jetzt im Alter sowieso. Zumal ich ja auch gar kein Verlangen danach, und über viele, viele Jahre ganz ohne gelebt hatte. Im Zusammenhang mit Klaus hatten sich bei mir derartige Fra­gen und Zweifel nie gestellt. Nicht dass ich gemeint hätte, bei Klaus wäre alles anders und problemlos, mir ist einfach nichts von all dem einfallen, ich habe einfach überhaupt nicht daran gedacht.


Obwohl, wenn mich heute jemand fragen würde, ob ich unbedingt Sex brau­che, würde ich dem nicht einfach zustimmen. Es ist die Gesamtsituation mit Klaus, aus der sich das entwickelt, die ich nicht missen möchte. Wenn wir ins Schlafzimmer gehen, ist mir noch nie die Vorstellung gekommen, das ich mich darauf freuen würde, gleich einen Penis in meine Vagina gesteckt zu bekom­men oder so etwas Ähnliches, völlig abstrus der Gedanke, es ist auch nicht Klaus Schwanz, den ich vermisse, wenn er mal nicht da ist, oder ich mal allein woanders bin. Was mir körperlich fehlt, ist seine Haut, die ich mit meiner Haut berühren kann, ist sein Duft, den ich in meine Nasenhölen einsaugen und mit dem ich seine Nähe spüren kann, es sind seine Lippen, mit denen ich spielen kann, und die mit meinen spielen. Das und weniges mehr verbunden mit Klaus gesamter Person, und unserer vertraulichen gemeinsamen Situation, ist es, was mir Lust macht gemeinsam ins Bett zu gehen. Wahrscheinlich spielt auch noch noch die Erwartung des berauschenden Gefühls der steigenden Erregung in die Vorfreude mit hinein. Was sich daraus entwickelt, dass es mich mit Klaus immer sehr leicht aroused macht, und dass ich dann scharf auf etwas anderes bin, ereignet sich zwar regelmäßig so. Ich genieße es auch und es macht mich auch high, aber ich gehe nicht ins Bett, weil ich etwa möglichst schnell zum Höhepunkt kommen will. Ich habe einfach auf der Treppe zum Schlafzimmer kein Bedürfnis, zum Orgasmus zu kommen, und hege auch nicht die geringsten Absichten, daran etwas ändern zu wollen.


Der Hauptgrund dafür, dass wir beiden Alten es so oft machen, ist meiner An­sicht nach Alters unabhängig, und liegt meiner Einschätzung nach darin, dass ich zusammen mit Klaus außergewöhnlich leicht erregbar bin, es ist wie ein Kitzel, der bei guter Stimmung mit Klaus immer auslösbar ist. Wenn Carla und ich uns gegenseitig das Gesicht streicheln und liebevoll betasten, dann ist das wohlig entspannend und veranlasst zum Träumen, oder wenn ich im Bett mei­ne eigene Haut, die seit meiner Jugend für mich Kuscheltierfunktion hat, sanft streichele und meine Hand an einer Stelle liegen lasse, dann vermittelt mir das ein Gefühl von ruhiger zärtlicher Geborgenheit, die mich zufrieden einschlum­mern lässt. Bei Klaus ist das völlig anders, wenn ich sein Haut streichele, stellt sich fast sofort ein Kribbeln ein, das immer intensiver werden will, dass nach immer mehr und stärkerem Kontakt verlangt, das mein Atmen intensiviert und sich sogar zu aggressiven Wünschen steigert, dass ich krallen, kratzen und bei­ßen möchte. Es existiert nur das Bedürfnis diese Erregung, die meinen gan­zen Körper und vor allem my sexual parts erfasst, immer noch weiter zu stei­gern und zwar zunehmend intensiver. Von wohlig sanften Empfindungen ist al­lenfalls bei den ersten Handbewegungen noch etwas zu spüren und natürlich hinterher, dann tritt beim Schmusen das Kribbeln auch nicht mehr auf. Viel­leicht empfin­de ich ja auch gar nicht primär die sanfte angenehm zu streicheln­de Haut, son­dern sehe in ihr die greifbare Oberfläche für den ganzen darin ein­gewickelten Body inclusive Brain und Gesamtpersönlichkeit, der mir jetzt im Bett voll zu­gänglich ist. Welche Muster da bei mir im Kopf ablaufen, und warum sich das alles so abspielt, wird sich mir möglicherweise erst dann ein wenig näher er­schließen, wenn's mal nicht mehr so sein sollte.


Carla fand's zunächst total amüsant, und meinte das würde sich legen. Aber neulich, als wir Sonntagsnachmittags auf der Couch wieder mal anfingen, uns gegenseitig auszupellen, kommentierte sie ärgerlich: „Mama, sei nicht immer so rattig, das nervt.“

Hildegard hat sich totgelacht, und meinte, ich hätte eben viel nachzuholen. So­lange ich genug Schlaf bekäme, und es mich nicht von anderen wichtigen An­gelegenheiten abhielte, sollten wir's doch genießen, solange es noch so gut funktioniere. Ansonsten könne ich ihr ja mal etwas davon vermitteln, ihrem Mann würde das sicher gefallen. Lilly konnte's gar nicht fassen, schüttelte im­mer wieder den Kopf, und meinte „Lisa, Lisa, auf was für 'nem Trip bist du denn?“

Meine Frauenärztin meinte, solange sich das auf einen Mann beziehen würde, und ich nicht grundsätzliche ständig scharf auf Männer allgemein wäre, sei das zwar eine seltene, ungewöhnliche Erscheinung, aber durchaus nicht unerklär­lich, und keinesfalls behandlungsbedürftig. Wenn mich das aber störe, könne sie mir etwas zur Libido-Dämpfung aufschreiben. Dass auch ältere Frauen gern Sex möchten, wenn auch nicht so häufig wie ich, sei allerdings überhaupt nicht ungewöhnlich. Dass man ab einem bestimmten Alter grundsätzlich keine Lust mehr dazu habe, sei eine Fama, die sich viele selbst einreden würden. Wenn das Bedürfnis einschlafe, habe es meist psycho-soziale Ursachen.

In Bezug auf Libidoprobleme habe sie es allerdings so gut wie ausschließlich mit dem Gegenteil zu tun. Die wenigen Ausnahmen seien Fälle für den Psycho­therapeuten oder die Psychiatrie gewesen. Als ich sie bat, es mir doch zu erklä­ren, wenn's nicht unerklärlich sei, ergab sich daraus ein längeres Gespräch über die weibliche Libido, in dem zwar nichts über die Ursache meines Verhal­tens zur Sprache kam, das mich aber hellhörig werden ließ für frauenfeindliche pharmazeutische und biochemische Aktivitäten, denen ich unbedingt weiter nachgehen wollte.

Ich kann jeder Frau, die keine Lust hat, aber haben möchte, nur empfehlen, da­für zu sorgen, das sie sich wirklich gut drauf fühlen kann (meist gar nicht ein­fach, aber unverzichtbare Grundvoraussetzung!) und sich einen Mann zu su­chen, der gut zu ihr passt, wie Klaus zu mir (meist noch schwieriger, da der vorhandene ja nicht selten die Ursache für fehlende Lust darstellt, d. h., dass der Mann sich ändern muss, eigentlich auch unverzichtbar!), wenn die entspre­chenden Voraussetzungen stimmen, dann kommt die Lust von selbst. Pillen bringen das nicht, Frauen sind schließlich keine Fickmaschinen wie Männer, bei denen man nur mal ein wenig kräftiger auf's Testosteronpedal treten muss. Eine Frau kann eben keine Lust auf Sex entwickeln, wenn sie mies drauf ist, sich gestresst fühlt, abgearbeitet ist, den Kopf voll quälender Gedanken hat, und an einen Kerl denken muss, der das trotzdem noch von ihr erwartet. So entwickelt sich eher ein Horror vor einer vermeintlichen Verpflichtungen zur Lust, aber Lust selbst niemals. Lust braucht Freiheit, Sicherheit und Glück, um sich entwickeln und entfalten zu können.


Aus meiner Volleyball-Gruppe für Seniorinnen hatte ich mich schon in der zwei­ten Woche abgemeldet, weil ich's für reine Zeitverschwendung hielt. Ich fühlte mich ohne die schwerfälligen Volleyball-Damen fitter denn je. Langsam schien ich allgemein einen Hass auf ältere Frauen zu entwickeln. Sie wollten mir nur den Eindruck vermittelten, dass ich auch zu den Greisinnen gehöre. Ich wollte mich aber nicht mehr so fühlen, und fühlte mich auch nicht so. Mein Outfit hat­te sich peu à peu völlig verändert. Während ich mich bislang eher dezent, ge­diegen und zu Hause lässig gekleidet hatte, musste's jetzt eher frech, aufre­gend und leicht verwegen sein. Meine Abendkleider mussten, trotz meiner Hänger und meiner 64 Jahre, viel freie Haut zeigen, und Carla und Klaus muss­ten aufpassen, dass es nicht all zu schlimm ausartete. Meine Langhaar-Ponny­frisur, die so alt war, wie ich selber, musste plötzlich einer sturmgebrausten Lo­ckenfrisur weichen. Im Bad brauchte ich mittlerweile mehr als doppelt so lange wie früher. Ich konnte plötzlich nicht mehr ohne aufregende Dessous, von sündhaft teuren Edelmarken, leben, obwohl Klaus zu meinem neuen 'Leçon de Séduction'-Set nur meinte, dass es zwar nicht schlecht aussähe, es ihm aber grundsätzlich egal sei, reizen könne ihn sowieso nur, was sich darunter befän­de. (Aussage eines Mannes gegenüber einer Frau, die nicht ungestraft hinzu­nehmen ist) Ich schleppte Klaus mit, Parfüms auszusuchen, obwohl ich der An­sicht wahr, eine bessere Nase für betörende Düfte zu haben. Betörend mussten sie ja jetzt sein, während früher eine dezent elegante Note wichtig gewesen war.


Im Laufe der Zeit schien sich alles zu verändern. Was bislang passend und an­gemessen gewesen war, wurde jetzt von meinen inneren Augen ausgemustert. Wo wollte ich eigentlich hin, auf welchen Gleisen bewegte ich mich da, gab es eine Zielrichtung, oder war es eine Fortsetzung der anfänglich vermuteten Überdrehtheit und Exaltiertheit. Doch diese Fragen stellte ich mir selten. Vor­rangig war, dass das Kritisierte schnell geändert wurde, so dass es meinen neuen Vorstellungen entsprach.


Hildegard meinte spöttelnd, Klaus habe bei mir bewirkt, dass aus einer 'grauen Maus' eine 'Madame de chics et chocs' geworden sei. Lilly staunte oft über mei­ne neuen Attitüden, und kommentierte, solange sich in meinem Wesen und in unserer Beziehung nichts verändere, sei letztendlich alles irrelevant. Draußen fühlte ich mich stärker denn je und insgesamt glaubte ich, ein neuer Mensch geworden, und noch nie so happy gewesen zu sein. Es war nicht Klaus, für den ich mich mit neuen Kostümierungen behängte, um seinen Wünschen zu ent­sprechen, und seinen Vorstellungen zu gefallen. Das hatte ich gar nicht nötig, er hätte mich auch in Kostümchen und Hosenanzügen gemocht, es war der neue Mensch in mir, der nach einem neuen Bild auch in der äußeren Erschei­nungsform verlangte, der freudig aufblühen, und sich dabei nicht durch faulen­de Reste von Früchten aus frühen Jahren behindern lassen wollte.


Zuhause konnten wir bislang alle Probleme relativ easy zu aller Zufriedenheit lösen und im Prinzip war alles wie am ersten Abend geblieben, außer dass Klaus voll in das Gästezimmer eingezogen war und fast immer abends kochte. Er hatte noch keine Nacht außerhalb meines Bettes verbracht, und sein kleiner Heuler hatte noch nie tröstend zum Einsatz kommen müssen. Anstatt langsam genug von Klaus zu bekommen, schien es mir eher immer wichtiger zu wer­den, dass er da war, und neben mir im Bett lag, dass er mir die Haustür öffne­te, wenn ich zurückkam, und mich begrüßend umarmte, ich mich im Institut freute, nach Hause zukommen, und auf dem Rückweg überlegte, was wir heu­te Abend zusammen machen könnten. „Wer klingelt denn da?“ fragte Carla ein­mal spöttelnd, „hier klingelt doch sonst nur Mutti.“ Tagsüber dachte ich oft, „Das muss ich Klaus erzählen.“ Wenn ich Bücher oder andere Dinge sah, die mir gefielen, und der Ansicht war, sie würden auch Klaus interessieren, musste ich sie für ihn besorgen. Die gemeinsamen Abende mit Hildegard verloren an Bedeutung, und meine Lust auf Albernheiten schien dem ständigen Bedürfnis, etwas von Klaus zu erzählen, zu weichen, bis Hildegard einmal schnippisch be­merkte: „Lisa, ich glaube, du scheinst wirklich den nettesten, schönsten, intel­ligentesten und im Bett am tollsten Mann der Welt zu haben, dass ich manch­mal denke, du solltest mal prüfen, ob er nicht auch für Theater- und Konzert­besuche geeignet ist.“


Mit Klaus hatte sich in meinem Leben ein neues Feld aufgetan, das bislang nicht existierte, und das ich mir vorher nie hatte vorstellen können. Mit einem Mann zu leben, hatte sich mir immer nur wie ein wahrscheinlich belastendes Attachment meines derzeitigen Lebens dargestellt. Qualitativ Anderes und Neuartiges lag nicht in meinem Erfahrungshorizont, und existierte für mich da­mit nicht.

Stop Sex – Read!


Irgendwann wurde mir das permanente Geficke zu dumm. Nicht, dass ich kei­ne Lust mehr dazu gehabt hätte, im Gegenteil, nur es kann doch nicht sein, mit 64 und 65 fast jeden Abend vögeln, dass man das unbedingt braucht. Mein ganzer Literaturkonsum mit allen Implikationen hatte sich abends im Bett ab­gespielt. Diese Welt war verschwunden, seit ich Klaus kannte. Ich hatte zu Hau­se kein einziges Buch mehr gelesen, ja nicht einmal mehr in die Hand ge­nommen. Die Sucht nach körperlichen Befriedigungsformen schien abends alle in­tellektuellen Bedürfnisse einfach weggewischt zu haben. Lesen, das ich lieb­te, das für mich immer eine Kombination von intellektuellen und emotionalen Komponenten bedeutete, das mich aufwühlen oder entspannen konnte, das mich informierte und mir Zusammenhänge verdeutlichte, und mich meist nach­denkend und träumend in den Schlaf begleite, war platter Geilheit und ei­nem exzessiven Schmusebedürfnis gewichen. Als ich mit Klaus darüber sprach, stimmte er dem sofort zu, er habe auch fast ausschließlich im Bett gelesen, er lese jetzt häufig, wenn er tagsüber allein sei. Literatur und Lesen seien für ihn immer kardinale Bereiche seines Lebens gewesen. Wir freuten uns schon dar­auf, Wege zu finden, wie wir gemeinsam im Bett lesen könnten, anstatt immer wild übereinander herfallen zu müssen. Wir malten uns Bilder aus, die uns bei­den reizvoll schienen, und auf deren Realisierung wir uns gemeinsam freuten. Nur leider haperte es bei der Umsetzung an den eigentlich mit eingeplanten Er­folgen. Es gelang uns einfach nicht, die Finger bei uns zu behalten, und selbst wenn, mussten wir's – auch wenn's schon spät in der Nacht war – anschlie­ßend noch miteinander machen. „Weist du was,“ schlug ich vor, „ich habe 'ne Idee, wie wir's mal versuchen könnten. Wir lesen nicht jeder in seiner Ecke mit Sehnsucht nach dem andern, wir lesen einfach zusammen. Einer liest vor, und der andere darf ihn nicht durch Begrapschen dabei stören, sondern hört zu, und kann fragen, und etwas dazu sagen.“ Und tatsächlich, beim Vorlesen ent­wickelte sich ein so intensives Gespräch über das Buch und den Autor, dass mein Kopf anschließend davon besetzt war, zu rekapitulieren, welche offen ge­bliebenen Fragen ich noch klären wollte, und ich ohne jedwede Gelüste auf­kommen zu lassen, in Klaus Armen einschlafen konnte. Wir waren nicht wenig stolz darauf, dass es funktioniert hatte. Ebenso begeistert waren wir aber auch vom Verlauf der ganzen Aktion selbst, und meinten entdeckt zu haben, dass gemeinsames Lesen ja wesentliche spannender, informativer und angenehmer sei als isoliertes, bei dem man nur in seiner eigenen Gedankenwelt gefangen bliebe, und zu dem nicht den Genuss habe, dem Vortrag des anderen lauschen zu können. Wir entwickelten Freude daran, uns gegenseitig ältere Werke, die wir beide schon kannten, neu vorzulesen, und Klaus, den ich meinen Kenntnissen gegenüber für eine Koryphäe hielt, gelang es, mir ein erweitertes viel facettenreicheres Bild von literarischer Kunst und Schönheit zu vermitteln, und neue Horizonte zu eröffnen, so dass ich meine, heute in literarischen Werken wesentlich mehr erkennen,entdecken und genießen zu können, und mir Zugänge offen stehen, die mir bislang verschlossen waren.


La vie en rose


Klaus und das Leben mit ihm okkupierten mich wie zu Beginn, nur störte und verwirrte es mich nicht mehr, sondern es bereite mir Lust und Freude, es aus­kostend zu genießen. Es schien in meiner Psyche eine Tür zu neuen Räumen und Gemächern geöffnet zu haben, die mir bislang völlig verborgen und unbe­kannt geblieben waren, und die ich jetzt mit großer Freude und kindlichem Überschwang, zu erforschen und auszukundschaften begann. Die Vorstellung von schroffen Felswänden, die ich sonst triumphierend bezwingen wollte, schi­en sich in ein Bild von sanften Hügellandschaften zu verwandeln, über die ich mich wie ein zarter Frühlingswind in der milden Nachmittagssonne gleiten ließ.


Ich glaube bis heute nicht, dass es trotz allem Überschwang und aller Exzessi­vität, primär der Mann und die Freude über die völlige Umwandlung meiner Einstellung zur Sexualität durch ihn waren, die mein Leben so stark beeinflusst haben, sondern es war vielmehr das unabdingbar tiefe gegenseitige Vertrauen, und die daraus resultierenden Gefühle von Geborgenheit und Sicherheit, die mich frei und stark werden ließen, Verborgenes entdecken, wiederzufinden, und zuzulassen zu können. Warum ich gerade in Klaus vom ersten Moment an diese Sicherheit und Geborgen vermutete und fand, und meine limbischen Ver­netzungen auf den ersten Blick beschlossen, sicher zu sein, ist mir allerdings bis heute immer noch nicht ganz schlüssig. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass ich in ihm gar nicht den Mann mit all seinen Implikationen und meinen Zu­schreibungen, sondern primär den größer gewordenen vertrauten Spielkamera­den aus sicheren und geborgenen Kleinkindtagen sah, von dem ich wusste, dass ich mich bei ihm sicher fühlen konnte, und nichts zu befürchten hatte. Detaillierte Erinnerungen an Einzelsituationen aus unserer gemeinsamen Kin­derzeit fehlen mir eigentlich völlig. Ich weiß nur, dass es uns Spaß gemacht hat, gemeinsam zu spielen, und dass ich Klaus gut leiden mochte, weil er nett war, obwohl er ja schon ein Jahr älter war, und so vieles mehr wusste und kannte.


Manchmal kam es mir vor, dass Klaus mir in allen Bereichen, außer in Biologie, Chemie und Physik natürlich, ja und auch in Englisch selbstverständlich, haus­hoch überlegen war. Ich hatte mich immer für rundum ziemlich gebildet gehal­ten, jetzt wollte es mir aber oft so scheinen, als ob es sich dabei vielfach nur um Lifestyle Bildung mit wenig Hintergrund und Fundament handelte. Ich lieb­te die Gespräche und Diskussionen mit Klaus, sie stellten für mich immer ein intensives, tiefes, bereicherndes und nicht selten auch lehrreiches Erlebnis dar. Wir hatten neue Zeitschriften abonniert, in denen ich viel las, obwohl es mir sonst oft schon schwer fiel, am Wochenende die Zeit durchzublättern. Auch un­ser Tageszeitungsspektrum hatte sich verändert und wurde wesentlich intensi­ver genutzt. Das Zusammensein mit Klaus hatte mein Privatleben in kürzester Zeit völlig verändert, und auf eine aus meiner Sicht qualitativ wesentlich höhe­re und intensivere Stufe gehoben. Mir schien es, als ob ich jetzt erst wirklich im Paradies angekommen sei.


Meine beruflichen Aktivitäten wurden durch meine neuen Lebenszusammen­hänge in keiner Weise beeinträchtigt, im Gegenteil, Vieles, was mich sonst stärker belastet hätte, schien mir jetzt einfacher von der Hand zu gehen, und der Stellenwert kleiner Probleme verlor für mich häufig stark an Bedeutung. Ich hatte sogar mehr Zeit zur Verfügung, weil Klaus sich jetzt um fast alle häuslichen Angelegenheiten kümmerte, und ich meinte manchmal, dass sich durch meinen neuen Lebensstil auch Anerkennung und Sympathie noch gestei­gert hätten.


Carla


Was jedoch bisher gar nicht in meinem Blickfeld aufgetaucht war, bezog sich auf meine Beziehung zu Carla. Mir kam nicht im entferntesten der Gedanke, dass sich hier Problematisches entwickeln könnte, obwohl es eigentlich abseh­bar gewesen wäre. Ich sah nur, dass Carla sich ja Klaus Einzug dringend ge­wünscht, und sich selbst und auch für mich intensiv darüber gefreut hatte. Ihre Freude an dem oft neckischen Verhältnis zu Klaus, schien sich in keiner Weise verändert zu haben, und auch an ihrem Verhalten hatte ich keine auffällige Verän­derungen bemerkt. Ich hatte nie einen Anlass gesehen, mich mit ihrem Befin­den zu beschäftigen, da ja in meinen Augen alles wunderbar funktionierte.


Eines Morgens meinte Klaus beim Frühstück zu mir: „Weiß du, Carla mag mich sehr.“ „Ja, das weiß ich,“ war meine lakonische Antwort „Ja ich meine noch viel, viel mehr als sehr.“ fügte Klaus hinzu. Ein Schock durchfuhr mich. Ich hat­te verstanden. „Wie bitte?“ sprang ich auf, stützte meine Hände in die Sei­ten und starrte Klaus Luft anhaltend mit entsetzt weit aufgerissen Augen und in­nerlich offenem Mund an „Was sagst du mir?“ Tief atmend und mit rasendem Puls schrie ich ihn an:“Das darf nicht sein! Was willst du mir da sagen? Willst du von mir die Erlaubnis, dass du meine Tochter ficken darfst? Soll ich dir viel­leicht noch ein paar Tips und Tricks verraten, wie du's ihr am besten besorgen kannst, und in welchen Positionen sie's am liebsten hätte, ja? Würde dir das ge­fallen? Klaus, Klaus, ich will das nicht hören,ich kann dich nicht mehr se­hen.Verschwinde! Verschwinde aus meinen Augen, und zwar sofort,sofort!“ schrie ich wutentbrannt, rannte in mein Zimmer und warf mich auf's Bett.


Hier hatte das Schwein noch vor wenigen Stunden gelegen und ich an ihm. Ich riss Bettlaken und Matratzenauflage, die ja vielleicht seinen Geruch enthielt, runter und überlegte, ob ich mich nochmal duschen sollte. Ich meinte, keine Hautschuppe von ihm an mir ertragen zu können. „Mein Klaus, mein Klaus …auch nur ein blöder billiger Schwanzträger!“ endlich konnte ich heulen. „Bedeu­tet ihm unser Gemeinsames überhaupt nichts, wenn sich ihm mal die Möglich­keit bietet, mit 'ner knackigen jungen Frau zu ficken. Sind dann alle Spuren von Bildung und Charakter in einem Moment verschwunden. Bedeute ich ihm tatsächlich so wenig, dass er keinen Anlass sieht, darüber nachdenken zu müs­sen, was das mit mir macht. Möchte er's vielleicht doch öfter, statt zu lesen, und traut sich nur nicht es zu sagen. Aber bislang war ich's ja immer, die die Initiative ergriffen hat. Wie stellt er sich das überhaupt vor? Wenn sein Schwanz ruft, braucht er sich nicht die geringsten Gedanken mehr über irgend­welche Konsequenzen zu machen. Das soll mein, mein Klaus sein? Nein, nein, nein, nein, nein! Ich will das nicht sehen! Mein Liebster, mein Traumprinz, der Sonnenkönig meiner Tage auch nur ein dämlicher geiler Fick-Bock der alles nimmt, was ihm vor den Schwanz kommt? Nein, nein, nein, ich will das nicht wahr haben. Wie denkt er sich das eigentlich? Möchte er 'ne Menage à Trois führen, Carla für's Ficken und ich für's Intellektuelle, damit er rundum befrie­digt ist? Hat er das vielleicht von Anfang an gehofft, und war nur raffiniert ge­nug, es geduldig abzuwarten. Gehörte das zu seinen Vorstellungen von paradi­sischen Zuständen? Er hat sie mir ja nie näher erläutert. Oder trauert er doch immer noch den Vorstellungen von freier Liebe nach, und meint es sei selbst­verständlich und konsequenzenlos, dass jede mit jedem in die Falle steigen kann, wenn's ihnen mal gerade danach ist. Er hat mir ja selbst erklärt, warum das damals ein Trugschluss gewesen sei. Ich kann's und kann's und kann's nicht fassen, und werd es auch wohl nie fassen können. Aber was denk' ich überhaupt über ihn nach? Er soll aus meinem Kopf verschwinden. Er soll aus meinem Leben verschwinden. Er hat es zerstört. Der, dem ich mich voll anver­traut habe, dem gegenüber ich mich vertrauensvoll geöffnet habe, wie nie ei­nem Menschen in meinem Leben zuvor, bei dem ich Sicherheit und Geborgen­heit gefunden hatte, er hat dieses Vertrauen gebrochen. Ich glaube, wenn er nicht verschwindet, bring ich ihn um. Ich werde nicht weiter leben können, bis ich nicht alles, was an ihn erinnern könnte, aus diesem Haus entfernt habe.“ so raste mir alles durch den Kopf, während sich auf der Matratze ein großer Trä­nenfleck gebildet hatte. Ich ging ins Bad, um mir Papiertücher zu holen und mich frisch zu machen, wobei mir einfiel, dass ich mich in der Uni abmelden musste. Lilly wollte wegen meiner erstickten Stimme wissen, was los sei. Ich würde es ihr später erklären, vertröstete ich sie.


Ich fühlte mich wieder bestätigt in meiner alten Auffassung, dass eine Bezie­hung zwischen Männern und Frauen, wobei das gegenseitige Vertrauen an ers­ter Stelle und über Allem stehe, einfach nicht möglich sei. Männer sind einfach Testosteron dominiert. Wenn sich ihnen die Möglichkeit bietet, ein Weibchen zu bespringen, können sie gar nicht anders. Wie bei Böcken und allen anderen Tieren auch. Die Funktionen der rationalen und intellektuellen Bahnen und Zentren sind dann abgeschaltet, oder laufen auf Sparstrom. Möglicherweise ist so ein Verhalten ja zur Arterhaltung dringend erforderlich, besonders weil sonst die große Anzahl der in Kriegen abgeschlachteten Artgenossen gar nicht zu verkraften wäre. Vielleicht sollte man bei Männern generell die Testosteronent­wicklung unterdrücken, und es ihnen nur dann verabreichen, wenn's ge­braucht wird, wie etwa Viagra. Möglicherweise würden dadurch nicht nur sexu­elle Pro­bleme gelöst, sondern sogar auch Kriege verhindert. Vergewaltigungen, Se­xualdelikte, Frauenhandel gäb's alles nicht mehr. Rosige Zeiten. Wenn man je genetische Veränderungen am Menschen vornehmen sollte, müsste das das erste sein: Männchen, bei den sich nach der Pubertät die Testosteronprodukti­on weitgehend einstellt. Bekommen würden sie es nur von ihren Freundinnen und Frauen, wenn die sie mit Testosteron brauchten. Traumwelten! Vielleicht sollten sich die Humangenetiker mal weltweit koordinieren, damit's schneller geht. Ah, das sind ja alles Männer! So saß ich herumspinnend mit verheulten Augen, angeschwollenen Lippen und sich heiß anfühlendem Kopf auf meinem Bett. Mein anfänglicher großer Wutanfall hatte sich abgemildert, ich fühlte mich leer, und wusste gar nicht, was ich denken sollte.


Carla kam rein. Mehr als ein „Mama“ konnte sie nicht hervor bringen, bis ich sie anherrschte: „Verschwinde! Ich will nicht gestört werden!“ Eigentlich muss­te sie es ja gewesen sein, die Klaus vermittelt hatte, dass man auch anders miteinander Spaß haben könne, als durch reden und feixen. Obwohl ihr ge­samtes Erscheinungsbild eher durchschnittlich wirkte, und keine besondere At­traktivität ausstrahlte, konnte sie mit ihrem Gesicht, ihrer Mimik und vor allem ihrer Eloquenz und kommunikativen Kompetenz bei Männern leicht Begehrlich­keiten wecken. Ich war immer der Ansicht, ihr wäre es ein Leichtes, in jedem Mann den Wunsch zu wecken, mehr mit ihr tun haben zu wollen, und mit ihr ins Bett zu gehen. Trainiert hatte sie das fast 20 Jahre lang mit ihrem Großva­ter, wobei mich ihr Verhalten, ihr Umgang mit meinem Vater und ihre Eloquenz oft erstaunten, und mir Anerkennung und Bewunderung abverlangt hatten. Deshalb bin ich auch der Ansicht, dass sie die in ihr liegenden Kapazitäten gar nicht nutzt. Mir gefallen ihre kreativen Aktivitäten, aber ihre umfänglichen au­ßergewöhnlichen kommunikativen Möglichkeiten einfach für den Privatbereich verkümmern zu lassen, tut mir weh. Besonders bei älteren Männern hat sie's leicht, da es ihr mühelos gelingt, deren Vertrauen zu gewinnen. Sie mag sie auch mehr als Jüngere, und Probleme wegen der älter werdenden Körper kann sie nicht nachvollziehen. Dass sie mit Klaus nicht ins Bett gehen würde, weil er ihr zu alt wäre, kann für Carla nicht gelten.


Ich könnte mir schon gut vorstellen, wie Carla ihn angemacht hatte, nur warum. Warum wollte sie mit Klaus ins Bett, hatte sie sich auch in ihn verliebt?

Dachte sie gar nicht daran, was es für mich bedeuten würde? Oder hatte ich sie vielleicht verletzt, und sie sprach nicht darüber, sondern wollte es mir heim­zahlen? Das war nicht vorstellbar. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstel­len, warum sie's getan hatte. Wie konnte meine Carla, ohne an mich zu den­ken, so etwas tun. Wir sind hier doch schließlich kein Bordell. Alle Damen im­mer be­reit, und der Herr sucht sich aus, mit welcher er's denn heute gern mal treiben würde.


Das Telefon klingelte, kurz darauf kam Carla mit dem Telefon rein. „Mama für dich“ sagte sie. Ich schrie nur „Raus!“. Mittlerweile war es Mittag geworden. Ich wusste gar nicht was ich tun sollte. Ich saß nur auf dem Bett, überlegte, was es in Zukunft nicht mehr geben werde, und welche geliebten Erfahrungen und Vorstellungen durch wenige Worte und kleine rücksichtslose Aktivitäten der beiden in mir zerstört worden waren, welche Welten sie in mir hatten zu­sammen brechen lassen. War ich einfach blind gewesen, und naiv und gläubig meinen blumigen Glückserwartungen hinterher gerannt. Müsste man dabei nicht immer mit einplanen, dass es Situationen geben könnte, die allem von heute auf morgen ein Ende bereiten, damit man sich nicht plötzlich fassungslos durch eine totale Katastrophe aus dem Traum gerissen sieht. Ich glaubte stark zu sein, und einiges ertragen zu können, aber das ausgerechnet meine Liebs­ten mir das Schlimmste antaten, das ertrug ich nicht, es ließ mich daran zwei­feln, ob es überhaupt noch erträglich sein könne, so weiter zu leben. Es wollte sich gar kein Bild einer Zukunft in mir entwickeln, ich konnte es mir gar nicht vorstellen. Ein einfaches Zurück zur Vor-Klaus-Zeit gab es nicht, und hätte ich auch nicht gewollt, aber wie sollte es denn dann aussehen? Hielt ich das über­haupt aus? Konnte ich das überhaupt allein durchstehen? Brauchte ich nicht dringend fremde Hilfe, damit ich nicht durchdrehte, und vielleicht etwas Schlimmes anstellte? Sollte ich nicht besser verschwinden, weil mich hier ja al­les permanent daran erinnerte. Hildegard und Peter hatten einen riesengroßen Bunker, den sie zu zweit gar nicht voll nutzten, da könnte ich mit Sicherheit erst mal unterkommen. Peter müsst ich dann erzählen, ich sei hier, damit es meine Tochter und mein Liebster ungestört von meinen hysterischen Anwand­lungen miteinander treiben könnten, oder so ähnlich? Nein, keinesfalls ließ ich mich hier vertreiben, eher schmiss ich beide raus. Bei Klaus war's ja schon passiert, aber Carla? Ich Carla rausschmeißen? Wie sollte ich das denn wohl zustande bringen? Unsinn, dass ich meine Carla auffordern würde, zu ver­schwinden, dazu konnte ich mir rein gar nichts vorstellen.


Carla kam wieder rein. „Verschwinde!“ rief ich ihr entgegen, aber diesmal ging sie nicht. „Mama, wir müssen miteinander reden“ beharrte sie. „Ich will nicht mit dir reden. Ich weiß nicht mehr wer du bist.“ antwortete ich. „Mama hör auf.“ sagte sie „wir brauchen ja nicht jetzt miteinander zu reden, wenn du noch nicht kannst, aber ich geh nicht eher raus, bis ich weiß, wann wir miteinander reden.“ Eigentlich wollte ich ihr zuerst sagen, dass in meinem Zimmer ja wohl ich bestimme, wer wann raus zu gehen habe, das kam mir aber nicht nur reichlich blöd vor, ich wollte ja auch wissen, warum Carla es getan hatte und was sie sich dabei gedacht hatte. „Also gut,“ sagte ich und deutete ihr an, dass sie beginnen solle. Carla setzte sich auf's Bett und begann: „Mama ich weiß, dass das falsch war und, ich möchte mich auch ausdrücklich dafür entschuldi­gen.“ „Ne, so einfach geht das nicht.“ unterbrach ich sie. „Mama es ist absolut nichts passiert, außer dass ich versucht habe Klaus ein bisschen anzuturnen, und als es ihm zu brenzlig wurde, ist er schnell auf sein Zimmer geflüchtet.“ versicherte Carla beruhigend.


Ich hatte Klaus also völlig zu unrecht verdächtigt. Mon amour, was hatte ich dir nur angetan? Was hatte ich nur alles über ihn gedacht? Wie hatte ich mich nur durch die falsche Interpretation einer einzigen Äußerung zu solchen Enragiert­heiten hinreißen lassen können. Es machte mir Angst. Vor mir selber. Mögli­cherweise war ich selbst mit solchen Verhaltenspotentialen die größte Bedro­hung für unsere gemeinsame Beziehung. Hoffentlich blieben von den schreckli­chen Gedanken und Meinungen über ihn keine Reste in meinem Kopf hängen. Lass mich vergessen, dass ich so etwas denken kann!


„Ja aber warum tust du so etwas? Was kann man anders wollen, als mit dem Mann ins Bett gehen? Und warum wolltest du das? Und was hast du dir dabei gedacht?“ fragte ich verständnislos. „Das kann man in einem Satz gar nicht beantworten. Das hat 'ne längere Geschichte, und wenn man die nicht kennt, kann man es gar nicht verstehen und beurteilen.“ antwortete Carla und setzte weiter fort: „Ich habe mich auch super gefreut, als Klaus hier einzog, ich konn­te, das total verstehen, wie verliebt du warst, und wie ihr Spaß miteinander hattet, ich hätte mir das für mich auch vorstellen können, doch es war für mich immer selbstverständlich völlig tabu, auch nur einen Gedanken daran zu ver­schwenden. Alles war schön. Du hattest endlich doch noch einen Mann gefun­den, mit dem du nicht nur richtig glücklich sein konntest, sondern der dich ra­sant hat aufblühen lassen. Prima!


Nur mit dem Trio, das hat von Anfang an nicht gestimmt. Während es für euch beide immer nur neue Vorteile gab, hatte es für mich, außer dass es jetzt abends meist selbstgekochtes Essen gab, und Klaus einige meiner Aufgaben hier im Haus erledigte, ausschließlich massivste Nachteile. Ich war zum dritten Rad am Wagen geworden, ich war da, weil ich eben so immer schon dazuge­hört hatte. Was mit mir war, wie's mir ging, hatte, wenn überhaupt, nur völlig marginale Bedeutung. Im Mittelpunkt standet immer nur ihr beide, und was ihr miteinander anstellen wolltet. Ich hatte oft das Gefühl, zwar anwesend zu sein, aber gar nicht gesehen zu werden. Diskussionen wurden beendeten, wenn ihr's nicht mehr abwarten konntet, übereinander herzufallen. Es hat mich ja An­fangs noch gefreut, zu sehen wie gern ihr euch mochtet, und wie ihr zwei alten Mäuse ständig miteinander rumturteltet, nur es fing langsam an mich zuneh­mend zu stören, weil es immer das Zentrale war, und ich kam darin nicht vor. Es fing an mich immer mehr zu nerven. Wenn ich abends ins Bad ging, und dein Bett knatschen, oder dich stöhnen hörte, hätte ich jedes mal unter die Decke gehen können. Ich hab' mich nicht mehr über deine Lust gefreut, son­dern fand sie zum Kotzen. Ich konnte mich auch tagsüber nicht davon freima­chen. Die Situation zu Hause lag immer wie ein trüber Schleier über mir und meinem Tag. An der Hochschule konnte ich mich nicht mehr richtig konzentrie­ren, und bin bei Arbeiten manchmal einfach weggelaufen. Männer fingen an mir widerlich zu erscheinen. Ich hatte zu nichts so wenig Lust, wie mich auf so einen einzulassen. Ich dachte öfters, mir gut vorstellen zu können, wie Leute dazu kommen, Junkies zu werden.


Aber das Allerschlimmste war für mich, dass meine Beziehung zu dir vom ers­ten Tag an nicht mehr existierte, das unsere Freundschaft sich von jetzt auf gleich in Luft aufgelöst hatte, und du von alledem nicht einmal etwas bemerkt hast, sondern dein Interesse nur noch Klaus und dir selber galt. War das was du über die Beziehung unter uns beiden Frauen gesagt hast, hohles Gewäsch oder hast du es früher mal selber geglaubt?“ „Carla“ unterbrach ich sie „wir ha­ben sicher ganz vieles falsch gemacht, und ich weiß gar nicht, ob sich das alles noch reparieren, und wieder hinbiegen lässt, nur dass sich meine Gefühle für dich in irgendeiner Art geändert hätten, kann ich bei mir nicht erkennen, und wie ich sonst unsere Beziehung gesehen habe, hat sich bis heute für mich um kein Jota geändert. Warum siehst du das anders?“ „Es mag sein, dass du das glaubst, nur praktisch existiere ich für dich nicht mehr. Wir haben sonst min­destens einmal, meist häufiger, die Abende zusammen auf der Couch ver­bracht, wir haben uns was erzählt, zusammen gelacht und geträumt, uns ge­tröstet und geschmust, haben manchmal gesüffelt und zusammen geschlafen. Das alles gibt es nicht mehr. Du merkst das gar nicht, für mich war das mein Zuhause, die Nähe und Vertrautheit zu dir war meine Basis. Dir scheint das ja nichts bedeutet zu haben, wenn du es einfach so von heute auf morgen ver­gessen kannst.“


Erschrocken und erstaunt über mich selbst reagierte ich: „Ich weiß es auch nicht, was da passiert ist.“ meine Augen begannen sich mit Tränen zu füllen, „ich fand es auch immer nicht nur sehr schön sondern auch wichtig für mich, und ich habe manchmal unter sehr großen Schwierigkeiten dafür gesorgt, dass es überhaupt klappten konnte. Es war auch für mich ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Und dann merke ich nicht einmal, dass es nicht mehr existiert. Ich verstehe mich selber nicht. Was du sagst macht mich unendlich traurig. Kannst du dich einmal von mir drücken lassen?“ Wir umarmten uns, wobei Car­la schluchzend zu weinen anfing. Es dauerte bis Carla wieder zuhören und sprechen konnte. „Mamotschka,“ hub sie an „ich glaube so ganz richtig weißt du das doch nicht, wie lieb ich dich wirklich habe, und wie viel du mir bedeu­test.“ „Du wirst es mir noch mal richtig erklären müssen, Schatz, damit ich es auch ganz bestimmt voll erfassen kann, es wird alles anders, das garantiere ich dir.“ versprach ich, und wollte wissen, warum sie denn nicht schon früher mal etwas gesagt habe. „Warum denn?“ antwortet Carla, „es war doch alles paletti, nach außen hin, ihr wart glücklich, alles funktionierte, jeder war zufrie­denen, sollte ich da stören, anfangen zu nörgeln und alles vermiesen. Sauer sein, und zeigen das es mich nervte, das ihr so happy wart, das konnte ich auch nicht.“


Die eigentliche 'Missetat', und warum Carla es getan hatte, war allerdings im­mer noch nicht aufgeklärt. Es interessierte mich aber auch mittlerweile fast kaum noch. Carla habe sich in ihrer Situation völlig frustriert und hilflos ge­fühlt. Für sie sei der Traum vom schönen Zusammenleben geplatzt, und sie habe zusätzlich noch mich verloren, und die Vorstellung gehabt alles ertragen zu müssen, und nichts dagegen unternehmen zu können. Sie sei sich selbst völlig überflüssig vorgekommen, und habe oft gegenüber allem ein Scheiß-E­gal-Gefühl entwickelt. Sie habe nicht geplant, mit Klaus schlafen zu wollen, als sie gemerkt habe, dass Klaus auf ihre Versuche anspringe, habe sie Spaß dar­an gefunden, ihn weiter zu puschen. Für sie habe das rein kommunikativen Charakter gehabt, für Klaus sei's wohl ein bisschen mehr gewesen. Ob sie mit ihm ins Bett gegangen wäre, wenn Klaus es gewollt hätte, könne sie gar nicht sagen, da es gar nicht soweit gekommen sei, dass sie auf die Idee gekommen sei, sich diese Frage zu stellen. „Was hast du ihm denn gesagt?“ wollte ich neugierig wissen. „Ach Mama, nichts als das Übliche. Haben wir doch schon tausendmal drüber gelacht. „Wolltest ihn etwa deine Titten bewerten lassen?“ wollte ich's doch noch genauer wissen. „Mama! hör auf jetzt!“ antwortete Car­la, und wir grinsten uns an, weil uns das an etwas erinnerte, worüber wir mal schrecklich gelacht hatten.


Im Moment waren wir wieder ein Herz und eine Seele, wie an den früheren ge­meinsamen Tagen und Abenden. Was war in mir passiert, dass ich das verges­sen haben konnte. Einfach so, von heute auf morgen, und nie mehr daran ge­dacht, nie einen Wunsch danach gehabt, wie aus der Erinnerung getilgt. Das heißt, vergessen hatte ich es ja gar nicht, nur es durfte in meiner Beziehung zu Klaus, im Bewusstsein nicht auftauchen. Carla hatte mir im Grunde verdeut­licht, wie blind für große Fehler man werden kann, wenn man sich euphorisch und bedingungslos von den unberechenbaren Sturmwinden der extatischen Verliebtheitswonnen durch den Tag blasen lässt.


Gesellschaftspläne


Ein Gedanke an Klaus störte jetzt nur. Heute wollten wir unter uns bleiben. Ich musste nur Klaus noch anrufen und eine große Reinwaschungs- und Büßerze­remonie veranstalten, obwohl Carla ja der Ansicht war, der Hauptschuldige für die Szenerie von heute Morgen sei eigentlich Klaus. Wenn er nicht so missver­ständlich herumgedruckst hätte, sondern klar gesagt hätte was passiert war, wäre keiner auf die Idee gekommen, Klaus irgendetwas anzulasten, und man hätte ganz vernünftig darüber reden können. Ich wollte ihm aber nichts vor­werfen, sondern wollte ihn wieder haben. Heute wollten wir ihn hier allerdings nicht sehen. Heute war Ladies-Day. Klaus war besänftigt und hat alles akzep­tiert.


Carla und ich hatten es uns am Esstisch gemütlich gemacht, und schmiedeten Pläne, wie und warum wir was ändern müssten, wollten und könnten. Es herrschte eine so intensiv herzlich-liebevolle und lustige Atmosphäre, dass sich mir zwischendurch immer wieder die unbeantwortbare Frage aufdrängte, wie es möglich sein konnte, dass mir das Fehlen solcher Situationen mit Carla überhaupt nicht bewusst geworden war. Nachdem wir einen 'Gesellschaftsplan' für die Wohngemeinschaft aufgestellt hatten, mit Positionen, die unverrückbar waren und die Klaus einfach so akzeptieren musste, wie z. B. dem wöchentli­chen Ladies-Day bis zu Positionen, die völlig variabel waren, oder auch gestri­chen werden konnten, wollte ich noch Carlas Sicht ihrer Beziehung zu mir er­klärt haben.


Verhängnisvolle Beziehung – glückliche Entwicklung


Nach überschwenglichsten Laudatien gipfelte es zusammenfassend darin, dass sie mich brauche, auf mich angewiesen sei und ohne mich nicht leben könne. Meine freche, starke, lebenslustige Carla, die ich neidvoll bewundert hatte, zeichnete sich selbst in einem Bild in dem die Farben der Suche nach Schutz, Hilfe und Geborgenheit den Grundton bildeten. Mir hatte sich nicht nur noch stärker verdeutlicht, welche Gewichtung unsere gemeinsamen Abende für ihre Psyche hatten, und warum sie meinem Balzverhalten so hilflos gegenüber stand, es war mir auch aufgegangen, dass die Entwicklung unseres Verhältnis­ses im Hinblick auf ihr Standing, gelinde gesagt, nicht nur positive Seiten auf zu weisen hatte.


Andererseits hatte sich ihr Abhängigkeitsgefühl und ihr starkes Bedürfnis nach Geborgenheit sicher auch erst durch die Erfahrungen in den letzten Monaten zu diesen Formen entwickelt. Möglicherweise hatte sie über längere Zeit zum ers­ten Mal in ihrem Leben das Gefühl, mir gleichgültig zu sein und keine Bedeu­tung für mich zu haben. Ein für sie unerträglicher Zustand, der in ihr das Emp­finden hervor rief, dass für ihre Psyche meine Anerkennung und Zuneigung die Felder mit den zentralsten Funktionen seien. Dass sie sich immer schon so schwach, so schutz- und hilfsbedürftig gesehen hat, und es mir nur die ganzen Jahre über nicht bewusst geworden ist, will und kann ich nicht glauben. Auch wenn uns beiden am Kontakt miteinander immer sehr viel lag, war Karla doch immer sehr selbstsicher und eigenständig, und zwar so eindeutig und aus­drucksvoll, dass es sich mit Sicherheit nicht nur um eine Fassade handeln konnte. Sie war zum Beispiel schon im Alter von 16 für ein ganzes Jahr ohne meine ständige Nähe und Zuwendung bis auf zwei Besuche, und natürlich häu­fige Telefonate allein in den USA gewesen, und hatte es nicht nur überstanden, und niemals den Wunsch geäußert, wieder nach hause zu wollen, sie hat es sehr freudig genossen, und auch dort ihre Freude, Energie und Lebenslust ver­breitet. Abends im Bett grübelte ich noch lange darüber, bis ich endlich nach diesem furiosen Tag einschlafen konnte.


Hildegard, mit der ich eher beiläufig darüber sprach, wurde hellhörig, und ver­trat die Ansicht, dass sich aus unserer vermeintlichen Idylle für Carla böse Konsequenzen entwickeln könnten. Sie würde mir dringend raten, mal mit je­mandem darüber zu reden, und vermittelte mir einen Termin bei einer Kolle­gin. Nach anfänglicher Konfrontation mit Horrorszenarien, und der von mir und Carla akzeptierten Einschätzung, das unsere WG-Konstellatin in der von uns gewünschten Weise prinzipiell gar nicht praktizierbar sei, suchten wir nach Än­derungsmöglichkeiten und für Karla günstigen Entwicklungsschritten. Heute kann ich sagen, dass nicht nur Schlimmes verhindert wurde, sondern sich in kurzer Zeit Entwicklungen vollzogen haben, die ich nach meinem Verständnis für schlicht unmöglich gehalten hätte.


Carla lebt heute in der Nähe von Avignon mit einem 'älteren' Schriftsteller zu­sammen, wird selber Mama und ist rundum glücklich und high, auch ohne La­dies-Day und Schmusen mit Mamotschka. Sogar mit deutlich weniger Telefona­ten und Skype-Connections als damals in den USA. Sie war zu einem Auslands­semester an der Ecole des Beaux Arts in Perpignan, hat Jean nach einer Le­sung kennengelernt, und lebt seit diesem Abend mit ihm zusammen. Er ist fast 20 Jahre älter als sie, und sei der erste (außer ihrem Opa natürlich) Mann in ihrem Leben, der ihr neue, für sie bedeutsame Eindrücke vermitteln könne, bei denen sie nicht meine, sich selber besser auszukennen. Außerdem verfüge er selbstverständlich über alle positiven Eigenschaften, die man sich bei einem Mann wünsche, und sei sicher der beste Vater, den sie sich für ihr zukünftiges Töchterchen vorstellen könne. Jean hingegen entdecke immer wieder neue po­sitive Aspekte an ihr und in ihrem Zusammenleben, und sei stets aufs Neue er­staunt, wie vorurteilsbehaftet sein Bild über deutsche Frauen doch gewesen sei. Ich bin sicher, dass mir Carlas Abwesenheit, und die Vorstellung, dass es nie wieder anders sein wird, größere Probleme bereiten, als Carla die Trennung von hier. Aufkommende wehmütige Gefühle kann ich immer nur mit der mir selbst erteilten Anweisung zurück drängen, endlich einfach zu akzeptieren, dass dies für Carla schließlich die bessere Lösung sei, und so meinem eigenen Wunsche entspreche.


Wie ich Probleme in der Beziehung zu Männern durch mein ganzes Leben ge­schleift habe, hatte mir die Situation mit Carla verdeutlicht, dass es mir auch in praktischer Pädagogik beim Umgang mit meiner Tochter bei aller Liebe nicht eben gelungen war, die Kompetenzen einer Koryphäe unter Beweis zu stellen.


Komm an mein zärtlich Herz du schöner Kater.


Mittlerweile bin ich emeritiert, lebe immer noch mit Klaus zusammen, habe ganz viele dunkle Punkte an ihm entdeckt, die mich allerdings nicht stören, sondern eher amüsieren oder kitzeln, und streite mich nur äußerst selten mit ihm, obwohl die Auswahl möglicher Streitpartner ja sehr gering geworden ist, und wir beide viel mehr Zeit dazu hätten. Ich kann Gefühle von Schwäche und Hilfsbedürftigkeit selbstverständlich auch Klaus gegenüber gut zulassen und äußern, aber ich liebe es auch, ihm heftig zu widersprechen, und mich in inten­siven Wortgefechten mit ihm auseinander zu setzen, was mir früher schwer fiel, aber jetzt schon mal Klaus eher Probleme zu bereiten scheint.


Obwohl sich Vieles vielleicht so entwickelt hat, dass man es als 'ganz normaler Alltag' bezeichnen würde, kommt uns jeder Tag immer noch vor, als ob Amor und Psyche sich gerade neu vermählt hätten, sich liebend umeinander schlän­gen und der oberste Schicksalsgott sich nicht in der Lage sähe, dies zu stören, sondern gezwungen fühle, gönnerhaft Nachsicht walten zu lasen. Über den ganzen Tag verteilte, kleine freudige und freundliche Lappalien verstärken die­ses Bild. Wir mögen es immer noch, wie frisch verliebte Kinder, miteinander zu spielen, unsere Gesichter dicht voreinander liegend mit Finger-und Zungenspit­ze betastend zu erkunden, als wenn wir uns gerade zum ersten mal geliebt hätten. Wir haben neben Literatur noch viele weitere Möglichkeiten entdeckt, die Auslösung meiner Potentiale zu behindern, wobei ich allerdings der Ansicht bin, dass sich an meiner Empfindsamkeit gegenüber Klaus grundsätzlich nicht viel verändert hat. Zur Zeit genießt die Liebeslyrik aller Epochen unser großes lustvoll lernend-forschendes Interesse, da wir beide hier ziemlich unbedarft waren. Besonders an frostigen Wintertagen können die Betroffenheit vermit­telnden, kunstvoll emotional gefassten Zeilen mich mit einer Aura von Wärme und Wohlbefinden ummanteln. Gedichten ab der Goethezeit allgemein gelingt das bei mir allerdings leichter, als etwa frühen Liebesgedichten von Catull oder vielleicht sogar anakreontischen Erotikons. Insgesamt empfinde ich unsere Be­ziehung wesentlich profunder, tiefgründiger und wärmer gegenüber dem leicht flatterhaften Verliebtheitsgetingel im Rausch der ersten Tage.


Mein schöner Kater konnte lernen, sein ästhetisches Bewusstsein gegenüber den mich umhüllenden Coture Kreationen im Hinblick auf Interesse und Bedeu­tung stark auszubauen, und zu differenzieren, so dass er heute in der Lage ist, selbst filigranste Veränderungen nicht nur selbständig wahrnehmen, sondern auch eloquent kommentieren zu können. Bei der Erarbeitung der nächsten Stu­fe, Interesse daran finden, selbständig qualifizierte Änderungsvorstellungen zu entwickeln, sie mir vorstellen, und mich davon überzeugen können, wie fashio­nable sie sind, tut er sich allerdings noch ein wenig schwer. Das Grundsätzliche zu meinen Brüsten habe ich auch erfahren, was allerdings keinerlei Umwand­lung ihrer Formgebung intendierte, und somit auch überhaupt keine Änderung meiner Einstellung zu ihnen bewirken konnte. Lieben werden wir uns nie mehr können, obwohl wir uns langsam immer noch näher zu kommen scheinen.


Bei der Sammlung von Ideen, Vorschlägen und Wünschen zu dem, was wir gern machen und unternehmen würden, können wir vor Kraft in unseren Köp­fen kaum laufen, abends kommt uns dann schon mal die Idee, dass es viel­leicht ebenso schön sein könnte, in der Geborgenheit der heimischen Räum­lichkeiten von dem Schriftsteller etwas zu lesen, als sich durch raue Wetter ackernd in unbehausten Hallen den Schriftsteller für begrenzte Zeit kurze Sen­tenzen selbst lesend anzuhören. Wir sehen unsere Fähigkeit, so kurzfristige Umdisponierungen vornehmen zu können, ausschließlich als einen deutlichen Beweis der uns auch bei zunehmendem Alter erhalten gebliebenen hochgradi­gen Flexibilität an.


Im nächsten Monat wollen wir an der Rhône entlang nach Süden dem Frühling entgegen bummeln. Zwar nicht mit fliegenden Haaren auf dem Sozius von Klaus Maschine, aber den Anflug einer Assoziation dazu kann man vielleicht schon erkennen. Klaus erstes größeres Buch „Roter Mond und heißer Sand“, das in ihm gleich seine Lesesucht ausgelöst hat, handelte davon, wie ein Vater und sein Sohn, die sich zum ersten Mal begegneten, zusammen die Rhône run­ter bis Saintes-Maries-de-la-Mer zogen, und dabei nicht nur vieles an der Rhô­ne entdeckt wurde, sondern sich ein immer tieferes Freundschaftsverhältnis zwischen den beiden sich vorher nicht Bekannten entwickelte. Van Goghs Fi­scherboote am Strand hätten in seiner gesamten Kindheit und Jugend die Erin­nerung daran täglich präsent gehalten und vergoldet. Für ihn bedeute es ein sehr tiefes Erlebnis, wenn wir beide zusammen eine derartige Tour machen könnten, obwohl sich in der Umgebung der Schwarzen Sara, und auch an man­chen anderen Orten in der Provence seit seiner Jugend sicher vieles ungünstig entwickelt habe. Ich fand das auch sofort toll, besonders weil wir ja Carla dabei besuchen würden, aber mittlerweile haben wir den Winter über so viel darüber geredet, und davon gelesen, dass sich bei mir ein Feuer entzündet hat, das zehrend den neuen Eindrücken und Erlebnissen entgegen glüht. Ich habe weni­ger Angst davor, dass der Mistral uns einiges zerblasen könnte, als dass die Zeit nicht ausreichen möchte, all unsere vielen Pläne bis zum Saisonbeginn zu realisieren, denn das Gedränge im Touristen- und Feriengequetsche gehört ausdrücklich nicht zu unseren avisierten Tourerlebnissen. Wie wir uns fortbe­wegen werden? Wir wissen es nicht. Es ist ein zentrales Moment unseres Plans, dies vor Ort zu entscheiden. Vielleicht nimmt mich dann ja doch mal jemand auf dem Sozius mit, wobei Fahrtwind und Mistral sich streiten, wer mir das Haar am am wildesten zerzauseln darf.


Epilog

 

Die vergangenen 1½ Jahre empfinde ich als die intensivste Phase meines Le­bens mit dem höchsten Ausmaß an Veränderungen und Wandlungen, die mir bewiesen hat, dass das Schlimme und Beängstigende am Prozess des Alterns, nicht die zunehmende Einschränkung der physiologischen Funktionen und der selbst empfundene Verfall des Gesamtkunstwerks Körper unter ästhetischen Aspekten sind, sondern die zunehmende Bereitschaft, mentale Schleusentore zu öffnen, die den trüben verseuchten Fluten eigener Vergreisungsvorstellun­gen Zutritt zu unserm Denken gewähren. Lass dir nichts vormachen über zu­nehmend defizitärer werdende Strukturen deiner Persönlichkeit und die Not­wendigkeit sich intensiver mit dem Tod beschäftigen zu müssen. Das gilt eher für die Jungen, die nirgendwo zu erfahren scheinen, dass es auch für ihr Leben mal ein Ende geben wird. Spüre die in dir verborgen liegenden Möglichkeiten auf. Die Bahnen aus frühen Kindertagen bleiben immer befahrbar. Es lohnt sich, sie wieder zu entdecken, und neu zu erforschen, wohin sie dich führen können, und das jeden Tag. Lass den Strauß der Blumen des kindlichen Ver­trauens und der frühen Sicherheit neu erblühen. Was dich daran hindern will, versuch es zu vergessen, oder befiel ihm zu schweigen. Genieße das bunte Treiben deiner Herbstkirmes und lass dich von den Gauklern und Spielmännern verlocken zu einem Tanz auf den Rheinwiesen im freundlichen Rot der für dich scheinenden Herbstsonnenstrahlen.

 

 

FIN

 

 

Il n’y a pas de femmes frigides.
Il n’y a que de mauvaises langues.

Coluche

 

Völlig orientierungslos überlegte ich, was ich als Nächstes tun sollte. Sollte ich etwas zu essen vorbereiten? Würde er vielleicht lieber Bier trinken? Ach, alles Quatsch. Auf jeden Fall wollte ich noch duschen und mir etwas anderes anzie­hen. Nachdem ich mich immer wieder im Bad aus allen Perspektiven begutach­tet, und verschiedene Kleideranproben hinter mich gebracht hatte, betrachtete ich intensiv das Gesicht, das aus dem Spiegel zurück schaute. Es sah mich ver­wirrt fragend mit leicht irr flirrenden Augen an, und erklärte eindeutig: „Lisa, bei dir stimmt irgendetwas nicht mehr ganz richtig. Bleib cool und komm zu­rück auf den Teppich!“. Alles klar, also Jeans und Sweatshirt, wie jeden Abend. Ich zog dann doch ein kleines Schwarzes mit umgehängter Weste und Nylons zu Pumps mit hohen Absätzen an. Warum? Ich weiß es nicht. Ich war tatsäch­lich der festen Überzeugung, dass ich mich nur auf die Unterhaltung mit einem Freund aus frühen Kindertagen freute. Alles andere hätte ich für völlig abstrus und undenkbar gehalten. Der Abend wurde für mich zum Horrorerlebnis. Ich saß neben Klaus auf der Couch, und brachte kaum ein Wort heraus. Wann war mir so etwas schon mal passiert? Ich kannte es von mir überhaupt nicht, und erlebt hatte ich es noch nie. Ich war nie aus Verlegenheit sprachlos geworden, und große Anspannung puschte mich eigentlich immer, so dass ich in Prüfungs ähnlichen Situationen und bei neuen ungewohnten Anforderungen besonders konzentriert glänzen konnte. Jetzt saß ich hier mit bibberndem Zwerchfell auf der Couch, und mir fie­len nur alberne dämliche Bemerkungen ein, die ich keinesfalls aussprechen konnte, zumindest nicht hier und heute Abend. Ich saß einfach blöd da, freute mich, dass Klaus neben mir saß, und musste ihn unentwegt leicht grinsend an­starren. Am liebsten hätte ich mal sein Gesicht angefühlt, aber wie konnte ich nur, was sollte das. Klaus hätte mich mit Sicherheit, völlig zurecht, zumindest für leicht durchgedreht gehalten. Ich wollte ja was sagen, aber die Terrains in denen Komponenten für eine geistreiche, humorvolle, interessante Unterhal­tung zu finden waren, schienen völlig versperrt. Wenn ich ihn so übliche Lang­weiligkeiten, wie: „Wo hast du denn studiert? Wann hast du denn geheiratet?“ gefragt hätte, ich wäre jedes mal losgeplatzt vor Lachen. Klaus hatte versucht, die zunehmend peinlicher werdende Situation zu überbrücken, und erzählte fleißig irgendetwas von sich, von dem ich nur soviel vernahm, wie Musik aus Boxen eines vorbeifahrenden Autos. Er schaute mich an und meinte: „Lisa, mir scheint, dass dich das alles überhaupt nicht interessiert. Du sitzt nur da, siehst mich an und lächelst. Findest du mich lächerlich, oder ist das, was ich erzähle für dich albernes Zeug?“ „Nein, nein, Klaus, nichts von dem, überhaupt nichts.“ wies ich seine Mutmaßungen entschieden zurück, „ich freue mich einfach schlicht, dass du heute Abend hier bist, und neben mir auf der Couch sitzt. Ich frage mich nur, ob wir früher bei uns …,“. Eine innere Eingebung stoppte mich, weiter Unsinn zu reden. „Ich bin heute Abend gar nicht so richtig gut drauf. Entschuldige!“ sprang auf, und rannte ins Bad.

 

Klaus, du bist doch der Ältere - Seite 53 von 53

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Tag der Veröffentlichung: 02.05.2013

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