Cover

Introduction und Inhalt

Carmen Sevilla

 

Männer und Glück
Nicht mit und nicht ohne

 

Ellis und Ulrike nie ohne Hoffnung

 

Erzählung

 

Les hommes sont comme des drogues –
si les femmes commencent avec eux,
les femmes ne peuvent pas vivre sans elle,
mais pas avec eux.

Eines Tages bat Heiner Ulrike, doch ganz zu ihm zu ziehen. Ulrike lehnte
das ab. Eine Trennung von uns käme für sie nicht in Frage. Er liebe aber sie,
und wolle mit ihr zusammen sein, und nicht mit ihrer Tochter und ihrem
Schwiegersohn. Ulrike habe ihm darauf­hin klar gemacht, dass sie ihn zwar
liebe und gern habe, ihre Tochter ihr aber noch mehr bedeute. „Dann geh
doch zu deiner Tochter und vögel mit ihr.“ habe er wütend gerufen. Ulrike
war aus dem Bett aufgestanden und sofort nach Hause gefahren. Sie kam
heulend zu uns ins Zimmer, berichtete was sich zugetragen hatte, und
verfluchte unablässig Heiner und sich selbst, dass sie sich darauf eingelassen
hatte. In den nächsten Tagen rief Heiner ständig an. Wenn Ulrike seinen
Namen oder seine Stimme hörte, legte sie sofort auf. Er wolle sich bei ihr
entschuldigen, es täte ihm so schrecklich leid. Er könne sich selber nicht
verzeihen, dass er so ausgerastet sei. Er habe Ulrike sehr tief ver­letzt,
meinte ich zu ihm. Ich wisse nicht, ob er je wieder eine Chance bei ihr
haben könne. Im Moment sei das jedenfalls wohl aussichtslos, eine
Entschuldi­gung könne das nicht aus der Welt schaffen. Heiner rief auch
dann nicht mehr an. Arme Ulrike.

Männer und Glück - Inhalt

Männer und Glück 4

Erinnerungen an leuchtende Tage 4

Erinnerungen an verliebte Zeiten 4

Bettgeflüster mit Ulrike 5

Gemeinsame Partnersuche 6

Kontaktaufnahme? 7

Neue Freunde 7

Party bei Lehmans 8

Julies Verkupplung 10

Veränderte Ulrike 11

Abteilungsfète 12

Ulrikes Fernweh 14

Lennies Schmerzen 15

Kontakte in der Firma 16

Bürogespräch 16

Ulrikes Amtsleiter 17

Cafégespräch 17

Zweifel 19

Komm Lennie 19

Lennies Heimat 21

Lösung von Mettmann 22

In Bed with Lennie 23

Stelle in Fos sur Mer 23

Heiraten? 25

Auf in die Provence 26

Neue Heimat – Neue Arbeit 27

Alltagsleben 28

Uli allein 28

Ulrike auf dem Markt 29

Zu Haus bei Heiner 30

Heiners Unverschämtheiten 30

Beschäftigung für Lennie 31

Heiners Brief 31

Meeting Ulrike - Heiner 32

Abgewischtes Kainsmal 32

Heiners Pläne 33

New Home und Ulrikes Gedanken 34

Heiner will heiraten 35

Christine 35

Heiners Kinder 36

Hochzeit mit Folgen 37

Ulrikes Sorge 38

Julies Bekanntschaft 38

Liebesberatungen 39

Elterntreffen 40

Erics Heiratspläne 40

Keine Reminiszenzen 41

 

Männer und Glück – Nicht mit und nicht ohne

„Willst du dir denn eigent­lich wieder einen anderen Mann zulegen?“ fragte Ulrike mich plötzlich. „Ich weiß es auch nicht genau. Prinzipiell ist das ja nicht übel, aber im Moment sehe ich in allen Männern John, Menschen, die nach der berauschenden Zeit ihrer Sehnsüchte und Begierden, gar nicht mehr wissen, was Liebe ist. Das ist nicht nur enttäuschend, sondern ich empfinde es auch für mich selbst als Person entwürdigend und erniedrigend. Nach einem halben Jahr bist du nur noch zum Ficken da, und damit der Herr Gesellschaft hat, und nicht so allein ist. So etwas möchte ich auf keinen Fall nochmal erleben.“ legte ich meine augenblickliche Sichtweise dar, und fragte sie selbst, „Hast du dich denn damals von Mark getrennt, und warst dir sicher, nie wieder mit einem Mann zu tun haben zu wollen?“ Ulrike lachte sich halb tot.

Erinnerungen an leuchtende Tage


Erinnerst du dich noch, als das gleißende Sonnenlicht das Weiß der Fensterrah­men des gegenüberliegenden Instituts selbst zum Strahlen brachte, als die im leichten Wind schaukelnden Blättchen der Robinie wie von einem goldgrünen Schimmer gesprenkelt tanzten. Natürlich kannst du es erinnern. Es gab viele solcher Tage, nur dass es dich freudig stimmte, und dich offen und gelöst emp­finden ließ, dieses Gefühl kannst du heute nicht zurückrufen. Es ist November geworden, und die Tage, an denen man nicht vermuten würde, dass es so et­was wie eine leuchtende Sonne gibt, sind vielzählig. Ein tiefgrauer Wolkentep­pich hat sich wie triste Auslegware in einigen hundert Metern über der Land­schaft ausgebreitet, und lässt all die strahlenden Sommerfarben in fahlen, wie mit einem grauen Hauch belegten Tönen dumpf wirken. Deine Stimmung kann sich dem, was du siehst, nicht entziehen. Späße und Lust auf Ausgelassenheit, wohlige Glücksgefühle und schmunzelnde Zufriedenheit wollen sich heute nicht einstellen. Du bist ernst. Vielleicht fällt dir all das ein, was dich unzufrieden macht, oder du lässt dich von Ereignissen unzufrieden stimmen, die dich ges­tern kaum berührt hätten. Das Wetter will dir seine Stimmung aufzwingen, in der Melancholie die Basis des Empfindens bildet.


Erinnerungen an verliebte Zeiten


Alle Erinnerung helfen nicht. Du kannst dich hinlegen, die Augen schließen und davon träumen, aber die Realität ist, was du jetzt erlebst, was du jetzt empfin­dest. Träume von der Sehnsucht, von der Lust, von der Gier, die dieser Mann in dir erweckt hat, was nutzt es, wenn dich heute allein sein Anblick aggressiv macht. Rede dir ein, wie schrecklich du ihn geliebt hast, wie sehr du ihn ge­mocht hast, wie glücklich du mit ihm warst, es wird dein Empfinden heute nicht ändern. Es stimmt dich allenfalls traurig, dass all das vorbei ist.

Er hatte nichts gemacht, nichts getan, war nicht mit anderen Frauen ins Bett gegangen oder Ähnliches. Eigentlich konnte ich ihm nichts vorwerfen. Das ein­zige, was mich wütend, ärgerlich und enttäuscht stimmte, wenn ich ihn sah, war, dass er seit Beginn unseres Zusammenseins langsam immer mehr aufge­hört hatte, mich zu lieben. Ich empfand mich unbeachtet und unerheblich für ihn. Wir fuhren auf völlig getrennten Schienen, und unsere Gleise entfernten sich immer weiter auseinander. Wozu lebte ich mit diesem Mann zusammen? Ich konnte es nicht ertragen, dass ich für diesen Untermieter, mit dem ich im­mer noch im gleichen Bett schlief, nicht mehr seine umworbene Partnerin, sei­ne geliebte Freundin, seine begehrte Frau war. Gleich bei den ersten Versu­chen, darüber zu reden, vor zwei Jahren, war wahrscheinlich alles grundsätz­lich falsch gelaufen. Ich hatte mich, wenn auch moderat, über sein Verhalten beklagt. Es hatte zur Folge, dass er es abzustreiten und zu entkräften versuch­te. Alle weiteren Gespräche hatten diese Basis, und John, so nannte ich mei­nen Partner Johannes, sah nie ein, dass in unserer Beziehung irgendetwas nicht in Ordnung sei, und er sein Verhalten überdenken müsse. Bis vor einem halben Jahr hatte mich mein Sexualtrieb immer noch mit ihm schlafen lassen, aber jetzt war es soweit, dass ich seine Berührungen nicht mehr ertragen konnte. Warum lebte ich noch mit ihm zusammen. Warum wohnte ich noch hier? Gab es irgendwelche Gründe, Verpflichtungen, Zwänge? Warum tat ich mir das an? Weil meine Erinnerungen sagten, wie bezaubernd es früher mal gewesen war, nur mit dem Leben jetzt hatte es nichts zu tun.

Weil das Haus nicht mir gehörte, zog ich zunächst mal zu meiner Mutter, die sich schon vor zehn Jahren von meinem Vater getrennt hatte, und seitdem ganz allein in ihrem Haus lebte.


Bettgeflüster mit Ulrike


Am Abend meines Einzugs waren wir nach dem Abendessen am Küchentisch sitzengeblieben, und hatten uns bei einigen Gläsern Rotwein bis spät in die Nacht unterhalten. Als wir endlich zu Bett gehen wollten, meinte meine Mutter: „Komm doch mit zu mir. Schlaf bei mir im Bett, da können wir uns dann noch weiter etwas erzählen.“ Also ging's gemeinsam in Mutters Ehebett, ungewöhn­lich, aber ich fand's auch viel angenehmer. „Weißt du, Ellis,“ sagte Ulrike, ich hatte meine Eltern immer mit Vornamen angeredet, „im Grunde bin ich total glücklich, dass du wieder da bist. Warum? Ich weiß das gar nicht so genau. Vielleicht, weil ich froh bin, dass die bedrückende Lage für dich zu Ende ist, vielleicht aber auch einfach nur, weil du da bist, hier bei mir. Es freut mich, dich zu sehen, mit dir zu reden, etwas dafür tun zu können, damit du glücklich bist. Für mich bist du meine allergrößte Liebe. Die Liebe, die am nächsten an meinem Herzen ist. Andere Liebe hat eine Historie, unser Liebe ist für mich ohne Geschichte. Sie ist wie ein unveränderbares Kontinuum, das immer be­steht. Sie ist etwas von mir selbst, etwas das mich glücklicher sein lässt, jeden Tag, dass bist du, meine Liebste.“ Ich konnte gar nichts dazu sagen. Was be­wegte sie zu dieser plötzlichen Liebeserklärung. Natürlich wusste ich, dass wir uns gegenseitig sehr viel bedeuten, trotzdem wärmte es mein Herz, mein Herz, das jahrelang Liebesverweigerung und Ungeliebtsein ertragen hatte. Ich beug­te mich über Mom und wir küssten uns. Meinen Kopf hatte ich jetzt auf ihre Schulter gelegt, und während Uli mir durchs Haar strich, oder mit ihren Fingern in meinem Gesicht spielte, meinte ich: „Aber mit der Geschichtslosigkeit das hab' ich nicht verstanden. Wenn du das kleine Mädchen liebst, ist es doch et­was anderes, als wenn du jetzt die vierzigjährige Frau liebst.“ „Nein, nein, es geht ja nicht um dein Alter und das was du jetzt gerade machst, es geht ja um deine Person, deine Persönlichkeit, um den Menschen Ellis, ob der klein, groß, jung oder alt ist, spielt dabei keine Rolle.“ erläuterte mir Ulrike. „Und als du mit mir geschimpft hast, als ich klein war, hast du mich da auch geliebt?“ frag­te ich spöttelnd nach. „Wen man liebt, den züchtigt man.“ war Ulis Replik, die uns noch Anlass zu weiterem launigen Gerede gab. „Willst du dir denn eigent­lich wieder einen anderen Mann zulegen?“ fragte Ulrike mich plötzlich. „Ich weiß es auch nicht genau. Prinzipiell ist das ja nicht übel, aber im Moment sehe ich in allen Männern John, Menschen, die nach der berauschenden Zeit ihrer Sehnsüchte und Begierden, gar nicht mehr wissen, was Liebe ist. Das ist nicht nur enttäuschend, sondern ich empfinde es auch für mich selbst als Person entwürdigend und erniedrigend. Nach einem halben Jahr bist du nur noch zum Ficken da, und damit der Herr Gesellschaft hat, und nicht so allein ist. So etwas möchte ich auf keinen Fall nochmal erleben.“ legte ich meine augenblickliche Sichtweise dar, und fragte sie selbst, „Hast du dich denn damals von Mark getrennt, und warst dir sicher, nie wieder mit einem Mann zu tun haben zu wollen?“ Ulrike lachte sich halb tot. „Ja, aber du bist doch seit dem völlig abstinent geblieben.“ schob ich nach. „Ich geh uns noch mal 'nen Wein holen.“ erklärte Ulrike, indem sie aus dem Bett sprang und in die Küche lief. „Nein, im Gegenteil.“ begann Ulrike zu erläutern als sie uns mit Wein versorgt hatte, und wieder im Bett war, „Wir haben uns ja damals nicht im Streit getrennt. Es war einfach öde und fad geworden. Wir hatten keine Lust mehr aufeinander. Die wollte ich aber haben. Nur war das nicht so leicht. Mit fünfundzwanzig da kannst du noch jeden Tag 'nen neuen Lover finden, mit zweiundfünfzig gibt’s gar keine Männer mehr, die dir gefallen und frei sind. Nur mal so Sexabenteuer mit verheirateten Männern, das wollte ich ja auch nicht, ich suchte ja etwas Dauerhaftes, und da war alles mau. Zu Anfang habe ich mich noch relativ intensiv bemüht, aber dann und mittlerweile sowieso hab ich's aufgegeben.“ „Du bist frustiert, hast resigniert, wie kommst du denn damit klar?“ fragte ich nach. „Ach Ellis, wenn es nichts gibt, was willst du da machen? Du bist einfach gezwungen es zu akzeptieren, und musst ab und an mit dir selber vorlieb nehmen.“ antwortete Ulrike. „Ja, machst du das noch, hast du da noch Lust drauf?“ wollte ich von ihr wissen. „Wieso denn nicht?“ reagierte Uli erstaunt, „Wenn du ne alte Frau beißt, dann tut ihr das genauso weh wie einer jungen, und wenn ich mir die Clit streichle, erregt mich das genauso wie dich. Nur die Situation ob mit Mann oder alleine, ist natürlich eine völlig andere. Wenn du mit 'nem Mann fickst, dann bist du gut drauf, dann hast du Spaß, dann bist du high, und alleine machst du's meistens, wenn du den Blues hast. Ist bei mir wenigstens so.“ Dann unterhielten wir uns noch über weitere sexuelle Details, und schliefen mit der gegenseitigen Erkenntnis ein, dass wir beide unbedingt Männer brauchten, und keinen Tag mehr verstreichen lassen wollten, uns darum zu kümmern.


Gemeinsame Partnersuche


Nachdem wir uns kurz vor Samstagmittag endlich aus den Federn gequält hat­ten, und uns am Frühstückstisch gegenüber saßen, schauten wir beide uns an, fingen an zu grinsen und platzten dann beide lachend los. „Wir machen das mit den Männern, Mom, wie auch immer. Ich freu mich schon drauf. Das wird be­stimmt lustig.“ versicherte ich, nachdem wir uns wieder halbwegs beruhigt hat­ten. Einfach so zuschauen, ob man nicht mal zufällig jemanden traf, schied we­gen der minimalen Erfolgsaussichten aus. Bei der Möglichkeit, Anzeigen aufzu­geben, lachten wir uns aber über die Anzeigentext Entwürfe so schlapp, dass wir wussten, so geht’s auch nicht. Es blieb einzig Partnervermittlungsagentur übrig. Eine schien uns am seriösesten, war allerdings auch nicht billig. Na, aber unser Glück wollten wir uns ja schließlich schon etwas kosten lassen. Wir wur­den zunächst mal durch einen psychologischen Minitest gescannt, um ein Profil zu erstellen, nachdem uns die Männer als Favoriten empfohlen wurden, die am weitgehendsten mit uns übereinstimmten. Jetzt mussten wir auf E-Mails von interessierten Herren warten, oder konnten uns natürlich auch selbst bei anderen melden. Mon dieu, die ganze Welt wollte uns heiraten. Wir hatten sofort Fotos von uns eingestellt, damit die betreffenden eine gewisse Vorstellung von uns bekamen. Wir waren nämlich bei der Aufstellung unserer eigenen Kriterienliste zu der Ansicht gekommen, dass das Aussehen von wichtiger Bedeutung sei. Wir suchten zwar nicht unbedingt einen Adonis, aber wie sollte frau mit einem Mann ins Bett gehen, dessen Aussehen in ihr unangenehme Assoziationen weckte? Das entscheidendste Kriterium war natürlich seine Persönlichkeit, sein Charakter, sein Verhalten, aber im Bett musste er es natürlich auch noch bringen, deswegen waren wir ja darauf gekommen. Nur nette Geschichten erzählen konnten wir uns schließlich auch selbst. Dabei stellte sich natürlich die Frage, wie genau man das bei der Partnervermittlung herausfinden sollte. Wir meinten, man könne sich vor ersten Dates ja auch länger schreiben, und gegenseitig mehr Vertrauen entwickeln, das man auch derartige Fragen ansprechen könne. So sollte es gemacht werden. Keine schnellen Dates, sondern zunächst ausführlicher Schriftwechsel.


Kontaktaufnahme?


Dreiundvierzig Typen hatten wir letztendlich, mit denen wir E-Mails austausch­ten. Ungeheuer viel Arbeit. Ulrike, die ja nicht mehr beschäftigt war, verbrach­te ganze Tage damit. Sie hatte ein System entwickelt, damit man den Über­blick behielt. Die Schreiben für meine Lover hatte sie mit übernommen. Sie schrieb einen Grundsatztext, zum Beispiel zu Ostern, oder zum Wetter oder welches Thema ihr sonst gerade einfiel, den bekamen alle gleich und dann wurde noch kurz auf die jeweils letzte E-Mail eingegangen. Dass man jemals zu einem der Briefwechselpartner direkten persönlichen Kontakt haben wollte, war völlig ins Hintertreffen geraten, im Vordergrund stand der Briefwechsel selbst, und bei so intensiver Beschäftigung hätte man ja auch gar keine Zeit für einen Mann gehabt. Wir lachten uns tot über uns selber, und waren glück­lich dabei. Mit einer Freundin war ich zur Aufführung eines Schülertheaters für die Eltern gegangen. Ihre Tochter spielte mit.


Neue Freunde


Bei dem kleinen anschließenden Empfang kam ich mit einem Vater ins Ge­spräch, mit dem ich mich geistreich unterhalten konnte. Ich erklärte ihm, wie­so ich hier sei, und kam lustig auf unsere Partnersuche zu sprechen. Wobei ich auch erzählte, dass sich dadurch bei Mutter jetzt viel mehr Interesse am Briefe schreiben als an Männern entwickelt habe. Er fand das alles so lustig und kuri­os, dass er nach weiterer amüsanter Unterhaltung meinte, die Frau würde er ja gern mal kennenlernen. Kein Problem, er wurde eingeladen, stellte aber aus­drücklich fest, dass er auf keine irgendwie geartete Weise eine neue Partnerin suche.

Er war verheiratet, hieß Gerd Lehman, war fünfzig Jahre alt und hatte zwei er­wachsene Kinder. Er war Leiter des städtischen Kulturamtes und war tatsäch­lich auf dem Weg vom Büro nach Hause bei uns vorbei gekommen. „Meine Tochter hat mir gesagt, sie wollten mich besichtigen.“ empfing ihn Ulrike la­chend. „Ja, ich fand es so lustig und interessant, wie und was ihre Tochter dar­über berichtet hatte, dass ich es zwar nicht so, aber so ähnlich zum Ausdruck gebracht habe. Ich fand das Gespräch mit ihrer Tochter aber so anregend und unterhaltsam, dass ich dachte, sie müssten sehr interessante und glückliche Menschen sein, und es schade gefunden hätte, wenn sich unsere Bekannt­schaft auf diese kurze Episode beschränkt hätte.“ Bei Kaffee und einigen Ku­chenstückchen unterhielten wir uns angeregt über alle möglichen Themen, über's Älter werden, über Beziehungen und ihre Entwicklungen, über seine Ar­beit im Kulturamt, nur über's Partner-Mails schreiben sprachen wir kaum. Als Herr Lehmann gehen musste, erklärte er, dass es ihm sehr gut gefallen habe, er den Kontakt gerne aufrecht halten möchte, und ob er uns nochmal besu­chen dürfe. „Nein, kommen sie zu mir, dann können sie auch meine Frau ken­nenlernen, und sich überzeugen, dass ich niemanden von ihnen heiraten will.“ forderte er uns auf. Mom erklärte das zu einer Beleidigung, schöner als wir mit unseren 43 Liebhabern könne niemand sein. Frau Lehmann war ebenfalls so aufgeschlossen und lustig, wie ihr Mann, und schon bald entwickelte es sich primär zu einem Gespräch unter den drei Frauen, wir sollten zum Essen blei­ben, und Gerd sollte uns etwas Leckeres zubereiten. Ulrike ging ganz selbstbe­wusst und offen mit ihrer Partnervermittlung um. Sie frage sich oft selber, warum ihr das Spaß mache, es sei einfach ein gutes Gefühl, die Bedürfnisse der Männer dirigieren zu können, die dringlich näheren Kontakt wünschten. Sie käme sich ein wenig so vor, als ob sie mit den Emotionen der Männer spielen könne. „Die meisten Frauen erfahren das über viele Jahre, oder ihr ganzes Le­ben umgekehrt. Ich habe auch nicht gewusst, welch gutes Gefühl von Stärke es einem vermitteln kann, und dass man früher oft gar nicht gewusst hat, wor­unter man wirklich leidet. Du hast dich freiwillig selbstverständlich in eine un­tergeordnete Position begeben, die um Liebe, Zärtlichkeit und Anerkennung bettelt, und dankend glücklich ist, solange sie sie gnädig erhält. Du hast ge­meint, du wärst verliebt, und hättest eine gleichberechtigte Partnerschaft. So etwas könnte ich mir heute gar nicht mehr vorstellen. Aber ob ich außer dem Umgang mit Briefen in der Realität je etwas anderes erhalten könnte, steht ja völlig in den Sternen. Es ist mir im Grunde auch viel zu vage, so gefällt es mir viel besser. Außerdem ist es so auch viel prickelnder, sich mit gegenseitigen Schmeicheleien beglücken zu wollen. Wenn du einen hast, ist das Bedürfnis, der Wunsch, das Verlangen erfüllt, so fühlen wir uns, ich von 20 und Ellis von 23 Männern begehrt, nicht schlecht, das gibt dir selber auch einen Wert.“ er­läuterte Ulrike zwar ernst, aber wir lachten trotzdem ausgiebig. „Ja, ja, vieles fällt einem in seiner patriarchal dominierten Selbstwahrnehmung überhaupt nicht auf. Du kannst gar nicht erkennen, warum du nicht glücklich bist. Dir scheint ja alles in Ordnung. Ich glaube, ich muss auch mal versuchen, die Do­mina in mir zu entdecken.“ scherzte Renate.


Party bei Lehmans


Wir trafen uns jetzt häufiger, mal kam Renate allein zu uns, mal besuchten wir Lehmanns. Wir unternahmen auch öfter etwas gemeinsam, besonders besuch­ten wir viel häufiger kulturelle Veranstaltungen, weil Gerd oft sowieso anwe­send sein musste. Auf der nächsten Geburtstagsparty waren wir selbstver­ständlich auch eingeladen, und die Tochter Julie, die offiziell Julia hieß, und kurz vorm Abitur stand, unterhielt sich ganz besonders interessiert mit Ulrike. Es schien, als ob die beiden alles über Liebe und Beziehungen untereinander erörtern wollten. „Trotzdem,“ erklärte Julie, „wenn mich die Beziehung zu ei­nem Mann glücklich machen soll, muss ich ihn doch haben, muss ich ihn doch anfassen, etwas mit ihm machen können. Alles andere ist doch nur wie schöne Träumerei und Wunschvorstellung.“ „Vielleicht ist das ja gerade das Schönste, es zu wünschen, das Gefühl Sehnsucht danach zu haben, deine unerfüllte Be­gierde, die dich beflügelt und erfüllt. Wenn alles erfüllt ist, verliert sich dieses Gefühl eventuell schnell.“ ergänzte Ulrike dazu. „Ulrike, du hast viel Ahnung, trotzdem verschafft mir der Traum von einem Mann keinen Orgasmus, und das will ich alles direkt erleben, und nicht sehnsüchtig herbei wünschen.“ bestand Julie auf ihrer Meinung. Ulrike gab ihr Recht, und meinte, ihre Darstellung die­ne nur zur Erklärung möglicher Entwicklungen in der Beziehung. „Ulrike, du braucht 'nen tatsächlichen Mann, 'nen realen.“ konstatierte Julie, „Wann willst du dir den denn suchen, wenn nicht jetzt. Was du jetzt machst, ist vielleicht ganz lustig, und erklärt dir ja auch selber vieles, aber im Grunde ist es absur­des Theater. Unser Deutsch-Lehrer ist fast in deinem Alter, ein super Typ, ich könnte mich glatt in ihn verlieben. Er hat sich auch vor Jahren von seiner Frau getrennt. Ob er eine andere Beziehung hat, weiß ich natürlich nicht. Aber das finde ich raus, und dann werde ich euch beide verkuppeln.“ die beiden lachten, und Julie hatte offensichtlich an Ulrike starkes Interesse gefunden. Sie stellte sie den anderen als ihre Freundin vor.

Unter den anderen Partygästen hatte sich Ulrikes kuriose Beschäftigung natür­lich schnell verbreitet. Kaum jemand traute sich, es bei Unterhaltungen zur Sprache zu bringen, nur Renates Bruder sprach sie direkt darauf an. Er finde das nicht in Ordnung, sie müsse doch auch mal an die armen Männer denken. „Stell dir vor, ich wäre einer von denen, würde dir immer liebe Mails schreiben und von dir erhalten. Ich wäre glücklich, weil ich dächte du würdest mich aus meiner Not befreien, wüsste aber gar nicht, dass du's gleichzeitig mit zwanzig anderen triebest. Deine Briefe mit den poetischen Formulierungen in Wirklich­keit Serienbriefe wären. Also ich halte das für gemeine Verarschungen, bei de­nen, die unschuldig Betroffenen überhaupt keine Chance haben, sie zu durch­schauen.“ „Männer sind nie unschuldig.“ entgegnete Ulrike flapsig, „Aber ich sehe schon, dass an dem, was sie sagen, etwas dran ist. Ich werde es mir noch mal durch den Kopf gehen lassen.“ Am nächsten Tag redeten wir länger darüber, und kamen zu der Entscheidung, das es ja im Grunde nicht unsere Einstellung sei, Freude daran zu empfinden, fremden unbekannten Menschen weh zu tun, sie zu belügen und zu enttäuschen. Also alles einstellen? Wir woll­ten ja ursprünglich wirklich Männer finden, obwohl wir im Augenblick mehr das Empfinden hatten, ein Mann würde bei uns jetzt eher störend wirken. Wir konnten ja jeweils drei Kontakte, die uns am meisten zusagten, weiterhin pfle­gen. Für die anderen verfasste Ulrike einen Serienbrief. Die drei schauten wir uns noch einmal intensiver an. Es las sich alles ganz nett, trotzdem blieben sie sehr weit entfernt, virtuelle Männer. Es stimmte schon, was die junge Julie er­klärt hatte, dass man sich erleben, sich erfahren müsse, um etwas zu entwi­ckeln. Sollten wir die drei auch noch canceln oder sollten wir uns mit ihnen treffen. Wir waren höchst unschlüssig.

Ich hielt es für müßig, langweilig und anstrengend, mich jetzt mit jemandem aus der Partnervermittlung zu treffen. Ich hatte überhaupt keine Lust darauf, diese dämlichen Kennenlernspielchen zu machen, und mich taxieren zu lassen. Ich wüsste gar nicht, was ich mit einem Mann, und dazu noch einem fremden jetzt sollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich mich in so jemand verlie­ben würde, und hatte im Grunde auch gar keine Lust darauf. Mir ging es gut, so wie ich lebte. Ulrike und ich mochten uns sehr, und unser Leben schien uns beide komplett glücklich zu machen. Sexuelle Bedürfnisse, die mich vielleicht intensiver an einen Mann hätten denken lassen, schienen sich bei mir seit John völlig erledigt zu haben. Ich verspürte einfach überhaupt kein Bedürfnis, kein Verlangen mehr. Sonderbar, es grenzte ja eigentlich an Körperverletzung, was er mir da angetan hatte, aber ich hatte keine Befürchtungen, das es wieder­kommen würde. Ich erinnerte mich an eine frühere Trennung, nach der ich auch sehr lange Zeit benötigte, bis ich wieder das Gefühl hatte, rollig zu sein, und Verlangen nach Sex zu haben. Also ich wollte mit dem ganzen Partnerver­mittlungskram nichts mehr zu tun haben. Aber was war denn mit unserer Dis­kussion in der Einzugsnacht? War das alles hinfällig? Wollten wir beide jetzt zu­sammenleben, ohne Männer. Oder etwa warten bis es uns mit 70 dann doch nicht mehr gefiel? Wir redeten mehrfach darüber, und Ulrike war es, der eine Beziehung mit einem Mann schon wichtiger erschien. Diese Partnervermitt­lungsgeschichten wollte sie auch abblasen. Sie sei zwar seit langen Jahren nicht mehr so erfüllt und glücklich gewesen, wie seit der Zeit, als wir zusam­men wohnten, aber es gebe eben etwas, dass ich ihr nicht vermitteln könne, und der Wunsch danach habe sich durch unser Gemeinsamkeit eher verstärkt, und habe die alte resignative Frustriertheit vertrieben. Sie fühle sich stärker, habe Lust und keine aufgegebene Hoffnung mehr. Ganz wichtig sei ihr aber, dass wir beide uns nicht mehr trennten. Dass wir beide zusammen blieben, sei für sie eine grundlegende Bedingung für alle weiteren Glückserwartungen.


Julies Verkupplung


Oberstufenfète in der Schule mit Lehrern und Lehrerinnen. Julie hatte Ulrike als ihre Freundin mitgeschleppt. Natürlich war der Deutsch-Pauker auch anwe­send. Julie stellte beide einander vor mit überschwänglichen Lobpreisungen und einem Verweis auf ihr gegenseitiges Singleleben. Der Lehrer staunte ver­wundert, und meinte, als Julie sich entfernt hatte,: „Will die kleine Hexe uns verkuppeln?“ Ulrike rettete die Situation, indem sie ganz offen sprach, und er­klärte, dass Julie sehr viel von ihm hielte, ihn bewundere, und ihn sehr möge. Sie habe ihr von ihm vorgeschwärmt, und gemeint, dass es für sie besser sei, nicht allein zu leben, und ihr Deutschlehrer sei ein idealer Partner. Alles ganz lieb und gut gemeint gewesen, sei es von ihr. „Trotzdem möchte ich meine Be­ziehungsfragen schon lieber selber klären, und nicht von einer Schülerin orga­nisieren lassen.“ erklärte er. „Selbstverständlich,“ meinte Ulrike, „sie meinte nur, uns beiden dadurch einen Gefallen zu tun.“ und dachte, „Julie, Julie, wenn du doch geschwiegen hättest.“, denn ein Kontakt mit dem Deutsch-Lehrer war natürlich jetzt unmöglich geworden.


Veränderte Ulrike


Aber Ulrike erhielt jetzt überall mehr Aufmerksamkeit bekam leichter Kontakte. Zu den Fotos für die Partnervermittlungsagentur war mir aufgefallen, dass sie, als ungepflegt konnte man es nicht bezeichnen, aber auf ihr äußeres Erschei­nungsbild wenig Wert zu legen schien. Sie wirkte nicht attraktiv. Wahrschein­lich hatte sich diese Einstellung im Laufe der Jahre so entwickelt. Bei unseren Überlegungen zu einem neuen Outfit für attraktiv wirkende Fotos war Ulrike völlig neu gestylt worden. Sie wirkte jetzt nicht mehr, wie eine durchschnittli­che ältere Frau von zweiundsechzig Jahren, sie entsprach eher dem Bild einer eleganten, schönen älteren Lady. Als ich einzog hatte ich sie als ganz normal empfunden, als so wie ich sie immer kannte. Trübsal und Enttäuschung waren ihr nicht anzusehen, aber jetzt schien sie aufgeblüht. Man hörte nicht nur häu­figer ihr befreiendes Lachen, meistens umspielte auch ein freundlich glückli­ches Lächeln ihre Gesichtszüge.

„Es gefällt mir sehr, es ist sehr angenehm, ich komme mir vor als ob ich ein anderer Mensch geworden wäre. Sonst habe ich mich durch die Tage gemüht, jetzt genieße ich sie. Nur was bringt das alles? Einen Mann habe ich trotzdem nicht gefunden.“ schätzte Ulrike ihre Position ein. „Mom, ich sehe das genauso, wie du es einschätzt. Nur ich finde, dass ist ungeheuer viel. Das ist doch das Zentrale, wie du dich fühlst, wie du dich empfindest, ob du mit dir und deinem Leben glücklich und zufrieden bist, ein Mann wäre da ein schönes Surplus, aber doch nicht das Wesentliche, worum sich dein Leben drehen sollte. Ich denke, wir schaffen uns mit unserer Fixiertheit darauf einen Anlass für eigene Unzu­friedenheit. Kann man das nicht einfach ignorieren? Zwar offen dafür sein, wenn es sich ergibt, aber dieses Suchen, dieses Männer taxieren, es nervt mich selber. Ich fühle mich dadurch in meiner Offenheit und Freiheit eher ein­geschränkt.“ erwiderte ich ihr. „Das machen wir dann zehn Jahre, und stellen fest, dass sich niemand in unseren offenen Armen befindet. So will ich's auch nicht.“ reagierte Ulrike. „Du schickst den Pessimismus aus deiner jahrelangen Erfahrung vorweg, aber du bist jetzt eine andere Frau. Es wird genügend Män­ner geben, die mehr mit dir zu tun haben möchten. Bei der Partnervermittlung hast du ja gesehen, wie sie dir zu Füßen lagen. Du hast und kannst alles, was einen Mann glücklich machen könnte, warum sollte sich niemand finden, den es danach verlangt?“ versuchte ich positive Erwartungen in ihr zu stärken. Wir kamen zu dem Schluss, dass wenn wir Männer suchten, es am besten sei, nicht ständig vordergründig daran zu denken.

Eine andere Frau war Ulrike schon seit vielen Jahren geworden. Sie hatte das damals verpönte Studium der kapitalistischen Betriebswirtschaft begonnen. Das große Industrieunternehmen, in dem ihr Vater beschäftigt war, hatte sie immer fasziniert. Dort hatte sie auch nach dem Studium eine Stelle bekom­men, und Mark kennengelernt, der auch hier beschäftigt war. Ihre beruflichen Inhalte behandelte sie wie ihr wichtigen persönlichen Interessen, und war schon nach kurzer Zeit in der Firmen-Hierarchie aufgestiegen. Unabhängig von allen kapitalismuskritischen Gedanken machte ihr die Arbeit Spaß und sie er­fuhr Bestätigung für ihre Kenntnisse und ihr Engagement. Als sie jedoch wegen Ellis nur noch mit halber Stundenzahl arbeiten wollte, änderte sich alles. Sie bekam einen anderen, uninteressanteren Aufgabenbereich, war an Entscheidungsfindungen nur selten beteiligt, kam sich vor wie eine Aushilfskraft auf höherer Ebene. Sie fühlte sich an den Rand gedränt, kam sich unbeachtet vor. Sie überlegte sich, wieder voll zu arbeiten, aber wozu hatte sie eine Tochter, wenn sie einer Kinderfrau gehörte. Sie machte sich während der Jahre viel Gedanken über Aufgabe und Funktion ihrer Arbeit, und wollte, auch als sie es gekonnt hätte, gar nicht wieder voll arbeiten. Ihre Interessen hatten sich verlagert. Der früher eher vernachlässigte kulturelle Bereich war zum Schwerpunkt ihrer Interessen geworden. Sie habe das Leben entdeckt, beschrieb sie ihre gewandelten Vorlieben. Meinen Vater schien das überhaupt nicht zu tangieren. Er hatte wenig Zugang dazu, und verspürte auch kein Bedürfnis daran etwas zu ändern. Wenn er sich mit Ulrike in eine Opernaufführung schleppen ließ, ertrug er es hauptsächlich, weil man als akademisch Gebildeter so etwas ja nicht ablehnte, aber genießen konnte er nichts daran. Mein Vater Mark hatte Ulrikes Entwicklung nicht im Geringsten mitvollzogen. Sie war nicht mehr die, die er mal geliebt hatte, und er war es nicht für sie. Sie lebten zwar zusammen, aber wussten nichts mehr miteinander anzufangen, dass ihnen beiden Freude bereitete. So war es hauptsächlich Ulrikes Initiative zu verdanken, die sich fragte, welche Bedeutung ihr Zusammensein überhaupt noch habe, und die lieber frei und ungebunden sein wollte. Ein schönes Leben hatte sie sich für die Zukunft vorgestellt, aber auch wenn es nicht so eingetreten war, nach den alten Zuständen hatte sie sich keinen Tag zurückgesehnt. Die Basis für ein aufregendes, spannendes Leben war also schon vor zehn Jahren gelegt gewesen, nur sie hatte es nicht entwickelt, sondern immer mehr einschlafen lassen. Jetzt lebte sie wieder auf, in ihrem Leben, dass sie schon vor so vielen Jahren entdeckt hatte.

Ich liebte sie umso mehr. Sie kam mir oft viel lebendiger und lebhafter vor als ich mir selber. Mir fielen dann Bilder ein aus ihrer wilden bewegten Studienzeit, von der sie mir öfter Storys erzählt hatte. Ich sah sie wie eine junge ausgelas­sene Studentin, die noch alles erleben wollte, und beneidete sie. Bei mir selbst hatte sich alles in relativ ruhigen, harmonischen Bahnen abgespielt. Ich hatte zwar mehrere unterschiedliche Beziehungen gehabt, aber verliebt in einen Mann, von dem ich dachte, mit ihm immer zusammenleben zu wollen, war ich – außer zu Beginn, wenn man das immer denkt – nie. Bei John war das noch am stärksten so. Möglicherweise habe ich es ja auch deshalb so lange mit ihm ausgehalten, weil ich selbst nicht wahrhaben wollte, das es nicht funktionierte. Der Wunsch, Kinder zu bekommen, hat sich bei mir nie eingestellt. Ich denke, er könnte sich allenfalls dann entwickeln, wenn ich mich sicher fühlte, mit ei­nem Mann immer glücklich zusammenleben zu können, oder es zumindest glaubte. Ich hatte nie einen Drang nach eigenen Kindern, und jetzt war es ja in einigen Jahren sowieso grundsätzlich vorbei.


Abteilungsfète


Ich war Chemikerin und arbeitete in einem großen Industrieunternehmen. Eine kleine Feier fand statt, weil wir ein neues Produkt entwickelt hatten, und sofort auf dem Markt sehr erfolgreich damit waren. Kurz nachdem die Feier begonnen hatte, war ich schon wieder zu Hause. „Was ist los? Was ist passiert?“ wollte Uli von mir wissen. Ich konnte gar nichts sagen. Ließ mich auf einen Küchen­stuhl fallen, und legte mein Gesicht in die Hände meiner auf den Tisch gestütz­ten Unterarme. „Es ist doch was passiert. Wie siehst du denn aus, und warum bist du denn schon so früh zurück?“ bohrte Ulrike intensiver. Ich blies nur tief meine Luft zwischen den Lippen aus, und vergrub mein Gesicht in den Händen. „Ulrike, ich fass es nicht. Ich versteh es nicht. Ich bin ein absoluter Idiot.“ kam es aus mir heraus. „Was denn, sag doch endlich, was passiert ist.“ drängte Ul­rike. „Ich hab' mit 'nem Angestellten aus der Firma gefickt, bei mir im Büro. Kannst du dir das vorstellen. Unmöglich! Unglaublich!“ brachte ich es endlich raus. Ulrike schmunzelte, schaute mich an, und fragte dann grinsend: „War's denn wenigstens schön?“ „Ulrike ich versteh das nicht, ich versteh das über­haupt nicht. Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nie passiert, dass mich ein Mann ansieht, und ich hab' das Gefühl ich will den, jetzt, sofort und auf der Stelle, und wenn er nicht will, werd ich ihn vergewaltigen. So ähnlich war das zumindest. Ich unterhalte mich ganz locker mit einem Kollegen, so üblicher Smal-Talk, plötzlich sieht er mich mit ernstem Gesicht an. Es kommt mir vor, als ob sein Blick mir durch die Augen ins Gehirn greift, nein meinen ganzen Körper erfasst. Ich schau ihn auch an, und weiß, dass ich ihn jetzt unbedingt will. Alles andere ist verschwunden, darf sich gar nicht in meine Gedanken ein­mischen. Ich sag ihm nur: „Komm mit!“ und er folgt mir in mein Büro, wo wir beide dann sofort übereinander herfallen. Wie kann das denn, Ulrike? Seit John verspüre ich überhaupt keine sexuellen Regungen mehr, und jetzt will ich plötzlich mit einem fast fremden Mann, ich kenn nur seinen Namen, und weiß wo er arbeitet, unbedingt ganz dringend ficken. Ohne irgendetwas zu berück­sichtigen.“ erläuterte ich Uli die Situation dezidierter. „Ist das denn nicht schön? Also ich hab' so etwas zum letzten Mal als Studentin erlebt. Ich emp­fand es ungeheuer erregend und himmlisch.“ meinte Ulrike dazu. „Ja aber das ist doch alles kein kurzer Traum, der nachher wieder verflogen ist. Es hat sich doch real so ereignet, und ist nicht wieder ungeschehen zu machen. Der Mann ist doch in unserer Firma, in unserer Abteilung. Ich werde ihm immer wieder begegnen. Er ist zwar nicht unsympathisch, aber ich will und werde nichts mit ihm zu tun haben, und trotzdem begegnet er mir immer wieder. Er ist jetzt ein für alle Mal nicht mehr der kaufmännische Angestellte Lennie, sondern immer jemand der seinen Schwanz in meiner Vagina gehabt, und meine Möse geküsst hat. Das will ich nicht, aber kann es nicht mehr ändern. Wenn er mich gefragt hätte, ob wir's nicht zusammen machen sollten, ich hätte mich gebogen vor Lachen. Er hat gar nichts gesagt, keiner hat etwas gesagt, trotzdem war es selbstverständlich, das wir beide ganz plötzlich total scharf aufeinander waren. Ich kenne solches Verhalten bei mir überhaupt nicht. Ich weiß gar nicht wo so etwas her kommt.“ versuchte ich Ulrike meine Situation zu erläutern.Sie mei­ne, sie würde sich an meiner Stelle nicht so viele Vorhaltungen machen. Ich wüsste ja nicht, wie viele Leute im Betrieb nicht auch schon so etwas Ähnliches gemacht hätten. Das bliebe ja verborgen, und sei eine einmalige Geschichte. Sie würde eher das positive Moment, dass es für mich ja doch auch eindeutig gehabt habe, überwiegen lassen, und es als glückliche Überraschung erinnern. „Oh, Mom, trotzdem wühlt es mich ungeheuer auf. Ich brauche erst noch einen Wein. So schlafen kann ich jetzt nicht.“ reagierte ich. Wir redeten noch eine Weile. Ulrike war der Ansicht, das sich da vorher schon einiges in meinem Kopf abgespielt habe. „Ob dich jemand interessiert und sexuell reizt, entscheidest du doch nicht mit deinem Bewusstsein, damit kannst du es nur konstatieren. Bei dir war das, was dein Unterbewusstsein möglicherweise zu diesem Lennie meinte, aber rational tubu. Wie du ihn beschreibst, ist er doch jemand, der deinem Wunschbild als Mann nahe kommt, und der Kontakt mit ihm hat dein Bedürfnis geweckt, das du aber gar nicht zulassen konntest. Sein Blick hat vielleicht nur die rationale Barriere aufgehoben.“ meinte sie, und Ulrike wollte immer mehr über Lennie wissen, aber ich wusste ja auch überhaupt nichts von ihm, außer wo er arbeitete, wie er aussah, und wie er beim Ficken war, ich kannte noch nicht einmal seinen Nachnamen. Ich wollte das auch alles gar nicht wissen, sondern ihn so schnell wie möglich vergessen, obwohl er mit der Erinnerung an das Erlebnis wahrscheinlich immer verbunden bleiben würde.


Ulrikes Fernweh


Ulrike tanzte auf allen Hochzeiten, und konnte sich mittlerweile vor amourösen Tändeleien nicht retten. Mehr wurde allerdings nicht daraus, entweder weil sie es nicht wollte, oder die Männer bremsten. Es gefiel ihr aber trotzdem nicht schlecht, und sie hatte immer wieder Neues, Lustiges zu erzählen, und schien sich tatsächlich nicht mehr unter dem Zwang stehend, dringend einen Mann bekommen zu müssen, zu empfinden. Bei einem unserer Bettgespräche erklär­te sie auch, dass sie sich im Grunde ganz zufrieden fühle, es ihr gut gehe und sie viel Spaß habe, aber manchmal sei sie melancholisch gestimmt. „Ellis, ich habe schon mal das Gefühl, dass meine Welt so klein, so begrenzt, so eng ist. Ich bin hier aufgewachsen, hier zur Schule gegangen, habe hier studiert, gear­beitet und gelebt. Außer im Urlaub bin ich hier nie raus gewesen. Ich kenne nur diese Stadt, und dabei kann ich noch nicht einmal sagen, dass ich sie liebe. Ich kenne nichts anderes, ich kenne kein anderes Leben. Eigentlich habe ich das verpasst. Ich hätte schon anderswo studieren sollen. Vielleicht hätte ich mich dann auch nicht so stumpfsinnig selbstverständlich an diesen Betrieb ge­wandt, als ich eine Stelle suchte. Wenn ich das alles im Nachhinein betrachte, kommt es mir mürbe und platt vor. Ich habe vergessen, etwas zu erleben, ein anderes Leben kennen zu lernen. Meinst du man könnte da jetzt noch etwas dran ändern, oder ist alles zu spät?“ fragte mich Ulrike nach meiner Meinung. „Ja, da ist schon etwas dran. Auf mich trifft das ja genauso zu. Ich habe mir darüber nur noch nie Gedanken gemacht. Im Grunde haben wir immer in dem uns bekannten Rahmen vor uns hingemuffelt, Weltbürgerinnen sind wir jeden­falls nicht, auch wenn wir beide bei weltweit operierenden Firmen arbeiten, be­ziehungsweise gearbeitet haben. Ich weiß es nicht, was man da tun könnte. Ich würde sagen, verpasste Chancen.“ antwortete ich ihr. Ulrike wollte sich da­mit nicht abfinden,und meinte: „Wir könnten ja zum Beispiel anderswo hinzie­hen. Ich arbeite ja nicht mehr, und du als Chemikerin findest doch überall eine Stelle.“ „Ach Ulrike, wo willst du denn hinziehen? Wo es schöner ist, bekom­men wir für den Wert unseres Hauses hier nicht mal eine Eigentumswohnung, und ich als Chemikerin mit vierzig Jahren, die in den letzten Jahren nur noch Expertisen und Anträge verfasst hat, wer will die denn? Du hast den dringen­den Wunsch, hier rauszukommen, aber ich sehe da keine realistischen Möglich­keiten mehr. Es ist zu spät meine Liebe.“ versuchte ich ihr klar zu machen, aber Ulrikes Fernweh, Ulrikes Abenteuerlust schienen verbal nicht zu besänfti­gen. Mit einem lächelnden „Ich will aber.“ küssten wir uns, und legten uns schlafen.


Lennies Schmerzen


Wenn Lennie und ich uns in der Firma trafen, lächelten wir uns immer kaum merklich zu. Drei Wochen nach dem Ereignis fragte er, ob er mich mal spre­chen könne. Nein, nein, nein, ich wollte nicht, sagte aber trotzdem freundlich lächeln: „Selbstverständlich.“ Lennie druckste rum, und sagte dann, er wolle sich noch mal bedanken. „Lennie, was redest du für einen Unsinn. Wir haben's beide gewollt, haben's beide gemacht, und für beide war's o. k.. Niemand braucht sich bei dem anderen bedanken.“ entgegnete ich darauf. „Ja,“ meinte er dann, „Ich weiß nicht wie ich das sagen soll, für mich war das irgendwie mehr. Ich muss da immer dran denken.“ „Lennie, das war schön, es hat uns beiden gefallen, aber das war ein Mal. Eine schöne Episode. Es wird keine Wie­derholung geben. Das steht fest und dabei bleibt es. Hast du denn keine Frau oder Freundin?“ reagierte ich darauf. „Seit dem Abend nicht mehr.“ erklärte er. Kollegen, die meinten witzig sein zu wollen, hatten bei ihm zu Hause angeru­fen, und waren erstaunt, das seine Freundin ihm das Telefon gab. Er habe im­mer nur gesagt, er wisse nicht, wovon sie redeten, und sie sollten sehen, dass sie wieder nüchtern würden. Sie hätten uns beide wohl gemeinsam Verschwin­den sehen, und hätten wissen wollen, wie's denn gewesen wäre. Seine Freun­din habe es zwar als kurios empfunden, aber sich nichts Konkretes gedacht. Er sei so dumm gewesen sich nicht im Bad, sondern im Schlafzimmer auszuzie­hen. „Du hast gefickt. Frisch gefickt. Ich riech es genau.“ habe sie ausgerufen, das Bettzeug genommen und sei in ihr Zimmer gegangen. Sie habe gar nicht mit ihm darüber geredet, habe nur gesagt: „Wer so etwas einmal tut, tut es auch öfter. Das will ich nicht, und brauche ich nicht.“ dabei seien sie sechs Jah­re zusammen gewesen. Sie habe in seiner Anwesenheit keine Träne vergossen und ihn zum Abschied nicht einmal geküsst, sondern nur „Mach's gut Lennie.“ gesagt, wobei ihre Lippen allerdings gezittert hätten. Er hätte überhaupt keine Chance gehabt, irgendetwas zu erklären, dabei sei ihm so etwas wie mit uns auch noch nie passiert. Er könne es sich selbst gar nicht erklären. „Das ist ja sehr dumm für dich gelaufen, Lennie, trotzdem es bleibt dabei. Im Übrigen als Ersatz für deine Freundin zur Verfügung stehen, was mutest du mir denn zu.“ machte ich ihm klar. „Nein, nein, ich habe ja auch so lange gewartet, bis ich dich anspreche. Es war einfach der Moment, wir kennen uns kaum, schauen uns an, und alles ist klar. Da läuft doch etwas in dir ab. Das machst du doch nicht mit jedem. Was ist das denn, da ist doch mehr. Das ist es was ich nicht vergessen kann. Ich möchte dich öfter anschauen und von dir angeschaut wer­den. Wenn wir darüber geredet hätten, wäre ich nie auf die Idee gekommen. Aber in dem Augenblick habe ich nichts anderes mehr sehen können.“ erläuter­te er mir sein Verhalten, das ich ja so ähnlich von mir kannte. „Trotz alledem Lennie, ist das eigentlich dein richtiger Name?“ fragte ich ihn dabei, worauf er seinen Namen, Leonard Dykhoff, nannte, „Leonard, das finde ich viel schöner, viel erwachsener, viel männlicher, trotz allem, es wird keine Wiederholung und auch keine Beziehung zwischen uns beiden geben. Ich will das nicht, und es hat auch keine Perspektive. Wir können uns ja weiterhin immer anschauen, wenn wir uns treffen, und dabei bleibt's.“


Kontakte in der Firma


Das taten wir natürlich. Es blieb nicht nur bei einem verschmitzten Lächeln, wir wechselten bald auch immer einige Worte. Nicht über Liebe und Beziehung, sondern über alles Mögliche. Es war fast immer freundlich und lustig. Ich mochte ihn ja, wenn ich ihn nicht gemocht hätte, wäre das bei der Fète be­stimmt nicht passiert, nur eine Beziehung mit ihm, was sollte das denn wer­den. Ich wusste zwar nicht, wofür er sich interessierte, aber mit jemandem be­freundet, dem es an Bildung mangelte, das konnte für mich nicht von Dauer sein. Und einfach nur mit ihm ficken? Lust hätte ich schon dazu. Als Mann war er nicht übel, das hatte ich ja erlebt. Ihn einmal in der Woche besuchen? Aber das war doch Irrsinn, da bleibst du doch nicht cool, da spielt sich doch mehr ab. Und beim Ficken cool bleiben, das konnte und wollte ich doch sowieso gar nicht. Unsere kurzen Gespräche bei zufälligen Tref­fen wurden immer länger, und manchmal kam Lennie direkt zu mir ins Büro. Beziehung oder gegenseiti­ges Verhältnis wurden nie angesprochen, er suchte meine Nähe, und mir war es angenehm. Beim Essen in der Kantine saßen wir immer zusammen, und mancher vermutete sicher, dass wir mehr miteinander zu tun hätten. Wir kannten mittlerweile unsere gegenseitigen Biographien im Detail, und Leonard beklagte sich immer noch darüber, dass seine Eltern ihn nicht wie seine Schwester zum Gymnasium, sondern zur Realschule geschickt hatten. Er habe es damals gar nicht überblicken können, und sei ganz froh ge­wesen, nicht so viel pauken zu müssen. Tatsächlich hätten seine Eltern ihn da­durch in eine an­dere gesellschaftliche Schicht katapultiert. Richtig deutlich sei ihm das erst ge­worden als er angefangen habe zu arbeiten, und da sei ihm al­les Nachholen und Verändern zu mühselig und langfristig gewesen. Jetzt habe er sein ganzes Leben darunter zu leiden, dass er als minderbemittelt angese­hen werde. „Von dir doch auch, oder? Das ist doch mit Sicherheit dein Grund. Wenn ich Diplom Kaufmann wäre, würde sich das für dich doch bestimmt alles ganz anders dar­stellen. Mich kannst du nirgendwo mit hinnehmen, mich kannst du nirgendwo vorzeigen. Das tut weh, einfach so immer weh.“ schloss er seine Darstellung. Mir war es peinlich, in der Kantine weiter darüber zu reden, und ich bat ihn: „Lennie, lass uns das nicht hier weiter besprechen, komm zu mir ins Büro, da können wir dann weiterreden.“


Bürogespräch


Er ging sofort mit mir ins Büro. „Lennie, ich mag dich doch, sonst wäre das doch damals gar nicht passiert. Ich halte dich nicht für minderbemittelt, sonst würde ich mich gar nicht immer mit dir unterhalten. Ich tue das, weil es mir gut gefällt, weil ich dich mag. Ich mag es dich zu sehen und wenn du mich be­suchen kommst. Wenn ich dich für minderbemittelt halten würde, wäre das be­stimmt nicht so.“ erklärte ich ihm, und dann schilderte ich ihm meine Vorstel­lungen über Beziehungen. Ich sprach von den andauernden, sich immer wie­derholenden Alltagsgegebenheiten, die man geregelt und bewältigt bekommen müsse, und da seien kurze Verliebtheit und schöne Betterlebnisse auf die Dau­er nicht ausrei­chend, da erwarte man etwas von dem anderen, dass dieser auch erfüllen müsse. Wenn du den Eindruck hast, dein Partner verhält sich so, als ob er dich nicht mehr liebe, dann ist es mit deiner Liebe auch schnell vor­bei. Wenn ich mich mit dir wohlfühlen möchte, indem wir uns eine Oper im Fernsehen anschauen, du willst aber lieber ein Fußballspiel anschauen, dann gefällst du mir dabei nicht. Das bezieht sich auf alle Bereiche, und Derartiges kann man nicht unbegrenzt ertragen. Dann weiß man nicht mehr, wozu man den Partner hat. „Wir mögen uns zwar gut leiden, aber als Basis für eine lang­fristige Beziehung reicht das nicht, Lennie. Ich denke wir werden zu viele un­terschiedliche Interessen haben, und dann wird es ganz schnell nicht mehr funktionieren.“ schloss ich meine Erklärungen. Lennie hatte angestrengt zuge­hört, stand auf und lächelte. Ich verabschiedete ihn mit einem Kuss. Eigentlich mochte ich ihn wirklich sehr. Dieser kräftige Mann mit seinen feingeschnittenen Gesichtszügen, die beim Lächeln leichte Grübchen auf den Wangen bildeten, war allein vom Äußeren her schon für mich begehrenswert. Viel liebenswerter war mir aber, wie ich mich mich mit ihm unterhalten konnte, wie wir miteinan­der redeten. Unsere Kantinengespräche waren mir zu einer freudigen Erschei­nung meines beruflichen Alltags geworden. Ich stellte mir vor, wie es wohl wäre, verliebt mit ihm herumzutollen.


Ulrikes Amtsleiter


Ulrike hatte wieder einen anderen Amtsleiter kennengelernt. Diesmal den Lei­ter des Chemischen Untersuchungsamtes. Als sie bei einer Unterhaltung die Darstellung seiner Tätigkeiten immer durch ironische Anfragen unterbrochen hatte, wurde er immer lebhafter und schien Gefallen an ihr zu finden. Gerd Lehman, der bei dem Empfang ebenfalls anwesend war, musste Auskunft über sie erteilen, und zum Schluss sprach der Chemiker Ulrike an, ob man sich nicht mal wiedertreffen könne, da ihre Unterhaltung ihm so gut gefallen habe. Na­türlich, in einem Café wollte man sich treffen, und unterhielt sich jetzt nicht mehr über seine Lebensmittelkontrollen, sondern über sich persönlich. Ulrike fand ihn ganz sympathisch, alles andere und weitere stand für sie völlig in den Sternen. Der Amtsleiter Kurt schien sie wohl immer mehr zu mögen, aber Ulri­ke wartete immer noch auf ein Flämmchen oder einen Funken, der sich für ihn entzünden müsse. Sie traf sich zwar ganz gern mit ihm, und fand ihn auch ganz amüsant, aber alles weitere fehlte, sie konnte kein Verlangen empfinden. Als sie meinte, Kurt würde sich immer mehr in sie verlieben, brach sie die Be­ziehung ab, weil sie für sich keine Chance sah. „Uli für dein Alter bist du ganz schön wählerisch. Ein Typ, den du magst, und der dich liebt, was willst du denn mehr?“ beurteilte ich ihr Verhalten. Sie müsse sich darauf freuen können, und finge nicht etwas an mit der Einstellung 'Na ja, könnt ja vielleicht etwas werden.' Das brauche sie nicht, sich mögliche Probleme ins Haus zu holen. Da ging's ihr ohne Mann besser. Das der bald auftauchen würde, dessen war ich mir bei Ulrikes derzeitiger Agilität und Außenwirkung sicher.


Cafégespräch


Nach einer Woche wollte Lennie mich wieder im Büro sprechen. Sonst kam er einfach so rein, jetzt fragte er vorher, ob er mich sprechen könne. Es schien Wichtigeres zu sein. Als ich nachfragte, worum es ginge, meinte er wegen un­sere Gesprächs letzte Woche. Ich empfahl, uns doch dazu lieber nach der Ar­beit im Café treffen, ich sei heute ziemlich beschäftigt, und darüber solle man doch lieber ohne Zeitdruck reden. Warum hatte ich mich eigentlich immer wei­ter auf Kontakte mit ihm eingelassen, wenn ich auf keinen Fall eine Beziehung mit ihm wollte. Im Grunde genommen war es ja schon dazu gekommen. Wir küssten uns nicht, gingen nicht miteinander ins Bett, aber wo wir konnten, hin­gen wir zusammen. Mir gefiel es, und Lust auf mehr hätte ich ohne Frage ge­habt. Nur die rationale Erwägung, dass eine dauerhafte Beziehung zwischen uns nicht funktionieren könne, hielt mich davon ab.

Im Café erklärte mir Lennie, dass ich ja in der letzten Woche über Beziehungen gesprochen habe, und wenn er dazu etwas sagen wolle, er dies ja auch tun müsse, obwohl ich es ihm verboten hätte. „Weißt du Ellis, unser Erlebnis von damals, das steht für mich heute überhaupt nicht mehr im Vordergrund. Da­mals hat es mir viel bedeutet und mich fasziniert, mittlerweile hat sich die Si­tuation für mich völlig verändert. Du bist für mich nicht mehr eine faszinieren­de Frau, weil es so ein tolles Erlebnis war, mit dir zu ficken. Das ist unwichtig geworden, viel bedeutender bist du heute als Person für mich, als Mensch, den ich damals gar nicht kannte, und das ist nach und nach ein viel größeres Erleb­nis für mich geworden. Was du gesagt hast über Beziehungen, dem stimme ich ja voll zu, und glaube auch, dass es sich leider sehr häufig so entwickelt, das Men­schen auf verschiedenen Gleisen nebeneinander herfahren, nur ich könnte dem für mich so nicht zustimmen. Wenn wir uns liebten, wäre ich glücklich, dir je­den Wunsch von den Augen ablesen zu können. Wenn ich wüsste, dass es dich glücklich machen würde, dir eine Oper anzuschauen, machte es mich glücklich, dir den Wunsch erfüllen zu können. Es würde mich am glücklichsten machen, dich glücklich zu sehen. Dir Unangenehmes bereitet zu haben, würde mich wahrscheinlich selbst mehr kränken als dich. Ich liebe nicht mehr die Frau, mit der ich gefickt habe, ich liebe dich, ich möchte dir zuhören, dich be­trachten, in deiner Nähe sein, und vor allem mehr von dir hören, als dass du mich ganz nett findest. Das ist mein Traum, mein Wunsch und wenn das für dich auch so wäre, bedeutete es für mich das absolute Glück.“ beendete Leo­nard seine Lie­beserklärung. Was sollte ich dazu sagen? Ich hatte es gern ge­hört. Es hatte mir sehr gut gefallen. Ich glaube so intensiv und deutlich hatte mir noch nie ein Mann seine Liebe erklärt. Ich wusste gar nicht, was ich tun sollte. „Leonard, gib mir einen Kuss.“ forderte ich ihn auf, und nachdem wir uns ein wenig intensiver geküsst hatten, erklärte ich: „Lennie, ich hab dich sehr, sehr gern.“ und meine Augen fingen an feucht zu werden. Warum? Ich weiß es nicht. Vielleicht weil ich mich hin und her gerissen fühlte, zwischen meinem Beschluss, keine Beziehung zu wollen und meinem derzeitigen Emp­finden. Beim ersten Mal hatte mich sein Blick verführt, jetzt verführten mich seine Worte zu einem Traum von glückli­chem Liebesleben. Einfach nein sagen, und meine strikte Ablehnung einer Be­ziehung wiederholen, konnte ich nicht. Im Moment befand ich mich ja in einem Zustand, in dem ich mir nichts lieber wünschen würde als das. Ich wollte die­sen Mann ja, sehr. Alles gefiel mir an ihm, ließ Träume in mir wach werden, und malte glückliche Bilder, nur die Angst vor einem möglichen späteren Mis­lingen unserer Beziehung hielt mich zurück. Mit einem ge­künstelten Lächeln sagte ich: „Leonard, du hast mich ver­wirrt. Ich kann im Mo­ment nichts dazu sagen. Ich muss darüber nachdenken.“ Wir gingen und ver­abschiedeten uns mit einer intensiven Umarmung und ei­nem leidenschaftlichen Kuss. Es erinner­te mich an den Abend im Büro, und ich dachte schmunzelnd vor mich hin: „Mach's nochmal, Lennie.“


Zweifel


Auf dem Heimweg fühlte ich mich einerseits beschwingt glücklich, dann plagten mich aber auch wieder Zweifel, ob ich das denn wirklich wollte. Zu Hause be­riet ich noch mit Ulrike bei mehreren Gläsern Wein am Küchentisch bis in die Nacht mein Problem. „Ulrike er sagt das jetzt, es hört sich sehr schön an, aber er spricht aus seiner unerfüllten Sehnsucht, wie wird er sprechen wenn sie er­füllt ist, wenn er hat was er begehrte.“ legte ich einen Punkt meiner Skepsis dar. „Aber das trifft doch für alle zu, dann dürftest du überhaupt keine Bezie­hungen mehr realisieren, weil dann das unerfüllte Verlangen immer gestillt ist.“ meinte Ulrike dazu, „Also ich kann dir nicht sagen tue dies, oder tue das, aber wenn ich es selber wollte und gerne möchte, würde ich mir das doch nicht aus vagen rationalen Erwägungen verbieten. Ich kenne ihn ja nicht, aber nach dem was du erzählt hast, ist er ja ein sehr lieber sensibler Mann, da kann ich mir auch gut vorstellen, dass so etwas wie eine unerfüllte Sehnsucht, dich zu errei­chen, sehr dauerhaft sein kann.“ Als wir ins Bett gingen, stand für mich fest, ich wollte es.


Komm Lennie


Am nächsten Tag rief ich Lennie in seinem Büro an, bei Arbeitsende auf mich zu warten. „Was ist los?“ fragte er als ich zu ihm rein kam. „Frag' nicht so viel, komm mit.“ war meine Antwort. „Wieder in dein Büro?“ fragte er wieder. „Nein, ist da mein Büro, zu meinem Wagen.“ erwidert ich. „Was hast du vor, Ellis, sollen wir's jetzt im Auto machen?“ wollte Lennie lächeld wissen. „Red' nicht so einen Blödsinn. Du kommst mit zu mir nach Hause.“ klärte ich ihn auf. „Wieso das denn, erklär mir doch was, Ellis.“ bat er. „Ich wollte dich meiner Mutter vorstellen, und wenn die mit dir nicht einverstanden ist, kann aus uns sowieso nix werden.“ machte ich ihm lachend klar. In der Garage angekommen umarmten und küssten wir uns ausdauernd. „Lieber Leonard, ich möchte, dass du mit zu mir kommst, und das möchte ich gern in Zukunft öfter, so oft wie möglich, willst du das auch?“ fragte ich ihn mit einem schelmischen Grinsen. Lennie lächelte, als ob er gar nicht wisse wie ihm geschehe. „Ja, ja, ja, nur, soll ich denn über Nacht bleiben?“ wollte er wissen. „Wenn du so blöde Fragen stellst, werd ich mir das doch noch mal überlegen müssen.“ war meine Ant­wort. „Ich meine nur, weil ich ja nichts dabei habe.“ wandte er ein. „Heute wirst du nichts gebrauchen, komm endlich.“ forderte ich ihn auf, einzusteigen. Unterwegs alberten wir noch weiter rum, wobei ich wissen wollte, ob er's denn auch im Bett könne, oder nur auf Schreibtischen und Schreibtischsesseln. Len­nie lachte immer mit einer Mischung aus Erstaunen und Glück. Ich erklärte ihm dass Ulrike eine ganz tolle Frau sei, und er sie bestimmt sehr nett finden wer­de. Sexuell sei sie bestimmt viel freizügiger als ich, sie habe in einer Zeit stu­diert, als jemand, der zweimal mit der selben pennte, schon zum Establish­ment gehörte. Lennie kannte den Spruch natürlich nicht, und der Erklärung folgten weitere Erläuterungen über die Zeit, die ich ja auch nicht selbst erlebt hatte. Die Ankunft zu Hause verlief lustig und scherzhaft, nach wenigen Minu­ten war es selbstverständlich, dass Lennie jetzt da war und dazu gehörte. Fast ständig lachten und alberten wir. Ich fühlte mich glücklich und frei, dass ich mich entschieden hatte, so entschieden hatte für Leonard, und Ulrike schien sich für mich zu freuen. Einen leicht verwirrten Eindruck machte Lennie manchmal, als ob er alles noch gar nicht fassen könne. Gestern hatte er mir seinen Traum vom Glück unterbreitet, und heute war alles Realität. Ich hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass wir ja nur das eine große Ehebett hatten, und meins ein ganz normales schmales war. Erst Ulrike brachte mich darauf, indem sie erklärte, in meinem Zimmer schlafen zu wollen. Wir hatten zwar eine Doppelbettcouch im Gästezimmer, aber das war auch sehr wenig romantisch für unsere erste Nacht. Diesmal fielen wir nicht übereinander her wie damals im Büro. Wir zogen uns ganz langsam den anderen mit Küssen überdeckend gegenseitig aus, und auch im Bett streichelten, küssten und betasteten wir uns lange gegenseitig, als ob wir es gar nicht fassen könnten, jetzt den anderen wie einen wertvollen Edelstein neben sich im Bett liegen zu haben. Jede Stelle der Haut wurde sanft mit den Fingerspitzen gestreichelt und zart geküsst. Zwischendurch verlangten aber immer wieder unsere Lippen und Zungen nach gemeinsamem Spiel. Sie wollten es nicht auf sich begrenzen lassen, sondern verlangten immer stärker von unseren Körpern, sich einzubeziehen in die Lust und Begierde, die sie sich gegenseitig vermittelten. Aus den betastenden und zart fühlenden waren ineinander verschlungene und verkrallte Körper geworden. Ich schaute Lennie lächelnd an, als sich bei mir wieder das Gefühl einstellte, das sich damals in Sekunden bei seinem Anblick in mir entwickelt hatte.

„Stimmt, du kannst es auch auch im Bett.“ hauchte ich Lennie in sein ver­schwitztes Gesicht über mir, als ich erschöpft und glücklich selig auf dem Rücken lag. Ich fühlte mich so gut, dass ich gar nicht wusste, an wem ich mein Glück auslassen sollte. Lennie natürlich, ich warf ihn auf den Rücken und setz­te mich auf seinen Bauch. Während bei jeder Bewegung sein Sperma zwischen meiner Vulva und seinem Bauch leichte Schmatzgeräusche vernehmen ließ, verkündete ich Lennie: „Das war jetzt schon das zweite Mal, das es nie geben sollte. Wie sähe es denn mit einem dritten Mal aus, würdest du das von deiner Seite aus völlig ablehnen?“ Lennie lachte: „Ja das käme auf den Zeitpunkt an.“ bemerkt er dazu. „Natürlich nicht erst in einem halben Jahr, oder brauchst du so lange Zwischenräume?“ war meine Ergänzung. „An was hattest du denn eher gedacht, an heute Nacht?“ erkundige sich Lennie lachend. „Also mir käm' das heute Nacht ganz gut aus, ich hätte nix dagegen.“ erklärte ich, während ich mich auf ihn fallen ließ, wir uns küssten, und ich begann, meinen Körper an ihm zu reiben. Wir waren zwar hinterher völlig entkräftet, aber einfach so ein­schlafen konnten wir jetzt natürlich nicht. Wir sagten uns Schmeicheleien und Neckisches, und mussten zwischendurch immer wieder ein wenig balgen oder raufen. Wir freuten uns über unser neu erworbenes Glück, wie Kinder zu Weih­nachten. Langsam wurden wir ruhiger. Ich hatte mich an Lennie gelegt, mei­nen Kopf auf seine Schulter, einen Arm und ein Bein über seinen Körper. So wollte ich jetzt jeden Abend glücklich sein, und während Lennie mich zärtlich streichelte, kam ich langsam ins Träumen und schlief selig ich ein.

Am nächsten Morgen mussten wir früh raus, es war ja ein ganz normaler Ar­beitstag. Ich fühlte mich zwar leicht zum Fliegen, würde das aber lieber träu­mend im Bett liegend durchführen. Dem Drang, unbedingt dorthin zurück zu müssen, konnte ich kaum widerstehen. Sollten wir uns krank melden. Quatsch, heute würden wir das durchstehen, morgen Abend wären wir wahrscheinlich sowieso zu müde, um endlos lange rumzuhexen, und dann wäre Freitag, Wo­chenend und alles offen. Uli sollte heute morgen sofort ein großes Bett besor­gen, das heute noch geliefert würde. Wir wollten uns dann in Marks ehemali­gem Arbeitszimmer einrichten, der größte Raum nach dem Wohnzimmer im Haus.


Lennies Heimat


Als ich träumend im Büro saß, und daran dachte, dass Lennie gestern um diese Zeit noch nichts gewusst hatte, die Wahrscheinlichkeit, dass ich „No, never“ sagen würde, nicht gering war, und wir uns plötzlich in die heiß geliebtesten Lover verwandelten, erschien mir das schon erstaunlich. Vielleicht hatte ich ihn doch mehr gemocht, als ich vor mir selber zugestehen konnte, und jetzt hatte ich mir selbst nur die Freiheit gegeben, dem ungehindert folgen zu können. Es kam mir vor, als ob ich meinen lang ersehnten Geliebten endlich bekommen hätte, obwohl ich mir vorgestern Morgen noch sicher war, dass es so etwas nie geben würde. Oh, Lennie du kannst mich verrückt machen, aber du machst es nie absichtlich, das ist das Wunderbare daran. Heute fuhren wir beide zu Len­nies Wohnung in Mettmann, weil er einiges einpacken wollte. Mir gefiel seine Wohnung und im Schlafzimmer warf ich ihn aufs Bett. Als es intensiver wurde, stoppte ich, und meinte: „Lennie, nicht jetzt. Ich befürchte, dass wir dann gar nicht mehr zu mir kommen.“ „Nur einmal.“ bat Lennie. „Nein, ich habe keine Lust auf so etwas Halb-angezogenes. Du wirst es auch aushalten können, dein kleiner Mann wird sich wieder beruhigen.“ unterstrich ich meine Ablehnung. „Wie wird das denn eigentlich aussehen? Soll ich in Zukunft jeden Abend mit zu dir fahren?“ fragte Lennie auf dem Bett liegend. „Na, wenn man sich immer sehen will, immer in seiner Nähe wissen will, immer miteinander reden können will, wie willst du das machen? Wenn du hier für dich allein in Mettmann bist, geht das doch nicht.“ antwortete ich ihm darauf. „Das würde also bedeuten, dass wir faktisch bei dir zusammenlebten?“ wollte er sich vergewissern. Ich nickte nur ein bestätigendes „Mhm.“. „Ellis, es gibt überhaupt keine Frage, dass du mir das Allerwichtigste bist, das über allem steht, nur bis gestern habe ich ohne dich gelebt, und dieses Leben fand hier in Mettmann statt. Hier war mein Zuhause, hier habe ich Freunde, hier bin ich im Sportverein, mein ganzes Leben war hier. Ich weiß gar nicht, wie ich damit umgehen soll, wenn es das alles plötzlich, wie mit einem Schnitt überhaupt nicht mehr gibt.“ Ich hatte gar nicht bedacht, dass ich ihn ja fast entwurzeln würde, wenn ich Lennie einfach zu mir holte. Ich schnitt ihn ja von seinem alltäglichen Leben ab. Er sollte nicht nur mein Liebster in Duisburg sein, ich wollte auch seine Freundin in Mettmann sein. Ich überlegte, und meinte dann: „Du hast Recht Leonard, so geht das nicht, so ist das keine gute Basis für uns. Wenn du mal ganz zu mir ziehen solltest, dann muss sich das langsam entwickeln, und du musst es von dir aus wollen. Du musst dein Leben hier weiterleben können, allerdings nicht ohne mich. Ich möchte auch deine Freunde kennenlernen, mit dir in deine Stamm­kneipe gehen, und so weiter. Du wirst mir zeigen, wie du hier lebst, ich möchte es gern erfahren. Wir sollten uns abwechseln, denke ich, mal fahren wir zu dir und ein anderes Mal zu mir. Nur Ulrike ist dann immer allein, wenn ich bei dir bin. Mit der bin ich nämlich auch verheiratet. Wir müssen auch immer umein­ander sein.“ Lennie lächelte. Seine Befürchtungen, dass ich ihn radikal aus all seinen Zusammenhängen reißen würde, schienen aber beigelegt. „Heute müs­sen wir das neue Bett einweihen, morgen ist Wochenende, wenn wir das bei mir erleben könnten, wäre mir das schon sehr lieb. Am nächsten Wochenende sind wir dann hier o. k.?“ schlug ich vor. Lennie schien zufrieden. Er packte ei­nige Sachen, und wir fuhren zu mir.


Lösung von Mettmann


Zunächst war ich ziemlich häufig bei ihm, lernte seine Freunde und ihre Frau­en, beziehungsweise Freundinnen kennen. Alles Akademiker und Künstler, die bis auf eine Grundschullehrerin alle in Düsseldorf beschäftigt waren. Sein bes­ter Freund war Museumspädagoge an einem Museum in Düsseldorf. Über ihn hatte er auch Sonja kennengelernt, und da er immer noch Kontakte zu Sonja hatte, wollte er anfangs die beiden immer wieder zusammenbringen, bis Len­nie ihm deutlich erklärt habe, dass er es nicht mehr wolle. Lennie und 'geistig minderbemittelte Schichten', was hatte er mir denn da vorgesponnen. Er habe das auf seine Position und Situation in der Firma bezogen, meinte er. Wir gin­gen gemeinsam aus, und ich schaute ihm beim Handball zu. Mehr und mehr verlegte er aber seinen Aktions­radius nach Duisburg, sodass wir nur noch zu Fèten oder ähnlichen Ein­ladungen nach Mettman fuhren. Ulrike mochte er auch sehr und sie ihn eben­so. Er schien sich bei uns eher wie zu Hause zu fühlen, während in Mettmann seine isolierte Wohnung war. Ganz zu uns ziehen, und die Wohnung in Mett­mann aufgeben? Lennie kam selbst auf die Idee. Wir müssten zwar Einiges umstrukturieren, aber warum nicht. Jetzt lebte Lennie voll und ganz mit mir zusammen. Ich hatte es ja schon lange erlebt, und emp­fand es herrlich. Ich fühlte mich so frei, wie noch nie mit einem Mann. Das un­bewusste Empfinden einer gewissen Spannung in Bezug auf den Partner, bei Lennie gab es das nicht. Wie bei einer Mitschülerin aus der Schulklasse, so of­fen, frei und selbst­verständlich war mein Empfinden gegenüber Leonard. Ich war maßlos glück­lich. Bildungsunterschiede? In üblichen Beziehungen hätte es wahrscheinlich eine Rolle gespielt, aber wir gingen lächelnd damit um. Lennie wollte ja alles wissen, alles erfahren und erleben, er war ja hungrig auf Zugän­ge, die ihm bis­lang verschlossen waren. Er meinte, durch mich und unsere Be­ziehung habe für ihn ein neues interessanteres, wundervolles Leben begonnen. Vielleicht habe er das alles gespürt, als er mich damals angesehen habe. Wie es damals zustande gekommen war, blieb aber für uns beide immer ein uner­klärliches Wunder.


In Bed with Lennie


Auch im Bett hatte sich selbstverständlich meine volle Lust wiederentwickelt, mehr denn je. Wenn du mit einem Partner sehr glücklich bist, verstärkt es auch deine sexuelle Lust und Gier auf ihn. So schien es jedenfalls bei mir zu sein. Mit Lennie hatte ich nicht nur meine wundervollste Beziehung, sondern auch meine herrlichsten Betterlebnisse. Zu Anfang wollte er immer sehr rück­sichtsvoll sein. Er war mir nicht nur manchmal zu zärtlich, sondern fragte im­mer, ob mir etwas gefalle. „Lennie mach einfach, was du willst, wo du Lust zu hast, wenn ich es nicht möchte, werd' ich es schon sagen, und wenn ich etwas möchte, sage ich es auch. Nur ein Frage-Antwort-Spiel mag ich nicht, das stört.“ hatte ich ihm erklärt. Lennie meinte, in zehn Jahren hätten wir uns wahrscheinlich völlig verausgabt, und könnten über­haupt nicht mehr. Es habe ihn damals im Büro schon sehr fasziniert. „Ich hatte das Gefühl, zum ersten Mal Sex mit einer erwachsenen Frau gehabt zu haben. Alles frühere kam mir dagegen wie Teenie-Sex vor. Das hat mich nicht losge­lassen, hat mich immer beschäftigt. Ich hatte die Vorstellung, du bist eine rich­tige Frau, und habe das auch auf dich insgesamt übertragen. Alle anderen er­schienen mir wie Mädels, oder irgendwie unreif. Es hat mir schon sehr weh ge­tan, dass und wie Sonja einfach gegangen ist, aber gleichzeitig hatte ich auch das Gefühl, so etwas ei­gentlich gar nicht mehr zu wollen, nachdem ich dich er­lebt hatte. Der Traum von dir hat mir geholfen, meinen Trennungsschmerz zu überwinden. Nur das schien mir ein völlig unrealistischer Traum. Ich habe ge­dacht, viel­leicht hättest du allenfalls noch mal Lust, mit mir zu ficken, weil's dir ja auch gut gefallen hatte. Anschauen, wie damals abends konnte ich dich aber nicht, ich wusste ja gar nicht wie ich's gemacht hatte, was da eigentlich pas­siert war, und als ich mit dir reden wollte, war natürlich alles tabu. Trotz allem konnte das mein Bild von dir, nicht zerstören. Auch wenn ich überhaupt nicht damit gerechnet habe, irgendeine Chance zu haben, bliebst du immer die un­erfüllte Sehnsucht meines Traumes.“ erzählte Lennie mal lächelnd im Bett. „Diene Sehnsucht ist hier, und will von dir geküsst werden, lieber Leonard.“ entgegne­te ich ihm darauf. Ich wollte von ihm noch wissen, was denn der Un­terschied zwischen Teenie-Sex und Sex mit einer richtigen Frau sei, aber er tat sich schwer bei der Erklärung, und meinte: „Na ja, es ist eben profunder, fun­damentaler, es ist ein anderes Erlebnis, ein volleres, umfassenderes. Es eröff­net dir tiefere Dimensionen dei­ner Lust, die du vorher gar nicht kanntest.“ Na, dass ich so etwas konnte, wusste ich gar nicht, aber vielleicht war es ja auch Lennie, der es in mir evo­zierte. Manchmal kam es mir vor, dass ich ihn nicht nur immer in meiner Nähe wissen, immer mit ihm reden können, sondern auch immer seine Haut an mei­ner spüren wollte. Auch sein Duft konnte mich betö­ren, genussvoll saugte ich sein sanftes männliches Odeur in meine Nase, und ließ es mit mei­nen Sinnes­organen spielen. Lennie war ein Mann, wie geschaf­fen für diese Frau, Ellis.


Stelle in Fos sur Mer


So hatte ich, die gar nicht so dringend nach einem Mann suchte, trotz einiger Turbulenzen zwar, in relativ kurzer Zeit meine Erfüllung gefunden. Bei Ulrike, die viel aktiver, forscher und aufgeschlossener war, kam es über kleine unbe­deutende temporäre Amouren nicht hinaus. In der Firma war eine Stelle in Frankreich ausgeschrieben. Das Werk in Fos sur Mer beschäftigte sich mit Stof­fen, über die ich meine Dissertation geschrieben hatte. Französisch sprach ich fließend, da ich in der Schule für ein Jahr in Frankreich gewesen war. Wenn es nicht um spezifisch französische Angelegenheiten ging, wurden Bewerber aus dem 'Mutterland' mit guten Sprachkenntnissen bevorzugt. Man erhoffte von ih­nen stärkere Identifikation mit dem Konzern. Ich sprach mit der Personalabtei­lung, und man meinte, auch mit vierzig Jahren habe ich sehr gute Chancen, und empfahl mir eine Bewerbung. Ich wollte Lennie nicht allein im Wagen da­von erzählen, sondern es zu Hause in Ruhe auch Ulrike berichten. Ich hatte mich allerdings schon die ganze Zeit mit dem Problem Lennie gequält. Aufge­ben, das war ausgeschlossen. Er war mein Leben, er war mein Glück, das gab ich doch nicht einfach für vielleicht interessante neue Erfahrungen und Erleb­nisse in Frankreich auf. Ihn mitnehmen, ohne Französischkenntnisse, wie sollte das denn gehen? Ich hatte die Bewerbung für mich selbst schon so gut wie ge­cancelt. Leider.

„Fos sur Mer?“ meinte auch Ulrike, „Ist das nicht so eine super dreckige Indus­triestadt?“ „Ja schon,“ meinte ich, „aber es liegt in der Provence, im Départe­ment Bouches-du-Rhône, zwischen Camargue und Marseille, und man wird ja nicht gerade neben dem Werk wohnen müssen.“ erläuterte ich. Lennie sagte nichts. „Ich habe zwar kaum mehr als mein Schulfranzösisch, aber das würde sich ja wohl schnell ändern.“ meinte Ulrike, fiel mir um den Hals, und ergänzte sich, „Du hast es für aussichtslos gehalten, und jetzt sorgst du dafür, das ich auf meine alten Tage noch in der Provence leben kann. Ellis du bist ein unbe­schreiblicher Schatz.“ Für Ulrike hatte ich die Stelle schon bekommen, und sie genoss schon die Strahlen der südfranzösischen Sonne. „Stop, stop, stop, Ulri­ke, soweit ist es noch nicht.“ bremste ich sie, „Hier, ohne diesen Mann,“ wobei ich Lennie am Arm zupfte, „werde ich nirgendwo hingehen. Was soll ich in Fos sur Mer ohne Leonard? Etwas Wichtigeres gibt es für mich nicht, Ulrike, das wirst du verstehen.“ Lennies Gesichtszüge, die bislang sehr ernst und besorgt waren, hellten sich auf, und bildeten ein leichtes, fast erlöstes Lächeln. „Alles gut und schön,“ meinte er, „aber dann wäre es ja sowieso für euch gestorben. Ich bin kaufmännischer Angestellter mit mittlerer Reife und höherer Handels­schule, und spreche außer Madame und Monsieur kein Wort Französisch, was soll ich da in Frankreich machen? Auf der Straße deutsche Klagelieder singen? Es gibt keine Chance für mich in Frankreich. Ich möchte auch nicht mit euch hier leben als jemand, der euch eueren Traum zerstört hat. Ellis, ich möchte, dass deine Träume für dich Wirklichkeit werden, und sie nicht zerstören. Damit wäre ich nicht glücklich.“ Seine Augen begannen sich mit Tränen zu füllen. „Nein, nein, nein, Lennie,“ versicherte ich ihm, „ohne dich wird es das nicht ge­ben. Du bist mein Traum, den ich für keinen anderen aufgeben werde. Ich werde nicht das Gefühl haben, dass du mir meinen Traum zerstört hast. Völlig traumhaft wird es für mich auch nicht sein. Ich werde wieder im Labor arbeiten müssen und nicht am Schreibtisch Gutachten verfassen. Mit einer völlig neuen Umgebung werde ich konfrontiert sein, in der ich mich erst werde zurecht fin­den müssen. Ich nehme das alles nur auf mich, weil wir beide festgestellt ha­ben, dass wir im Grunde nichts von der Welt erlebt haben, dass wir mal raus­kommen möchten, hungrig darauf sind, neue Erfahrungen zu machen, bevor es wirklich zu spät ist. Kannst du das nachempfinden? Verspürst du denn nicht selbst auch mal Lust darauf?“ Lennie lächelt wieder, und gab mir einen Kuss, und reagierte: „Wundervoll, Ellis, ich möchte das gern mit dir erleben, nur wie soll das denn möglich sein?“ Wir beschlossen, dass Lennie jetzt auf jeden Fall und sowieso ganz schnell Französisch lernen müsse. Ich wollte nochmal Mög­lichkeiten mit der Personalabteilung eruieren, und Ulrike erforschte das ganze Département Bouches-du-Rhône.


Heiraten?


Personalabteilung: keine Chance für Lennie, das Werk bestimmte selbständig über sein Personal, auch über meine potentielle Bewerbung. Lennie war trotz­dem gut gelaunt, als ob er sich darüber freue, nach Frankreich zu kommen. Nur er würde keine Beschäftigung haben. Ulrike meinte, Lennie solle doch ein­fach so mitkommen, weiter französisch lernen, bis er dort eine Beschäftigung finden würde. „So lange werden wir ihn schon durchfüttern können ohne zu verhungern. Warum heiratet ihr nicht einfach, da hättet ihr doch auch noch mal Vorteile durch?“ schlug sie vor. Ich musste Lachen. Heiraten, das lag mir so fern. Wenn man Kinder haben wollte, könnte man es eventuell in Erwägung ziehen, aber ich für mich, einfach so, niemals. Ich brauchte keine amtliche Be­scheinigung, dass ich einen Mann sehr liebte. Es reichte mir, dass ich es selbst wusste, solange es dauerte. Das wollte ich nicht von Ämtern verwalten lassen. Ich war nicht Lennies Frau, seine Geliebte wollte ich sein. Ich sagte nichts zu Ulrikes Vorschlag, weil er mir für mich abstrus erschien. Daran denken musste ich aber trotzdem immer wieder. Natürlich konnte man nie ausschließen, dass es auch zwischen uns zu Ende gehen könnte, nur ich wüsste nicht, dass ich mir je so intensiv gewünscht hätte, dass sich das nie ereignen würde. In allen mei­nen früheren Beziehungen war es immer etwas viel näher Liegendes gewesen. In gewisser weise hatten sie immer schon von Anfang an einen temporären Aspekt. Mit Lennie war das anders. Ich lebte mit meiner vollen Person in unse­rer Beziehung, sie war mein Leben, ich war unsere Beziehung. Dass ich das je beenden wollte, war für mich unvorstellbar. Und Leonard? Ich erlebte ja nicht seine Empfindungen, ich hörte ja nur was er sagte, und sah, wie er sich ver­hielt. Dass er je etwas anderes suchen, sich etwas anderes wünschen würde, ich hielt es für nicht denkbar. Wenn es faktisch so war, dass wir uns niemals wieder verlassen wollten, warum sollten wir es dann nicht bescheinigen lassen, wenn es uns Vorteile brachte. Eigentlich war es mir schon klar, aber es sträub­te sich doch immer noch mein Empfinden gegen die Vorstellung, verheiratet zu sein.

Am Samstagmorgen beim Frühstück forderte ich Ulrike auf, jetzt gut zuzuhö­ren, sie sei nämlich Zeugin. Beide warteten gespannt darauf, was jetzt wohl kämme. „Herr Leonard Dykhoff, dies ist ein Heiratsantrag, ich möchte sie bit­ten, mich, Elisabeth Lohberg, zur Frau zu nehmen. Wäre ihnen das Recht?“ de­klamierte ich. Die beiden lachten sich halb tot. „Was ist das? Was soll das? Was hat das zu bedeuten, Ellis?“ suchte Lennie nach Erklärungen. Die gab ich dann, und Lennie schaute vor sich hin. „Du musst mir sagen, ob du meinen Antrag annimmst, oder zurückweist.“ forderte ich ihn auf. „Ja, ja, natürlich,“ erklärte er als ob es das Selbstverständlichste der Welt sei, „mir fällt nur gerade alles wieder ein, mir geht alles wieder durch den Kopf, Ellis.“ und dabei kamen ihm die Tränen. „Ja, auch wenn es ja eigentlich nichts bedeutet für uns persönlich, ob es auf dem Papier steht oder nicht, es ist doch irgendwie ganz bewegend, Ellis, ich kann einfach nicht anders.“ erklärte er immer noch unter Tränen. Ich sprang auf seinen Schoß, und küsste sie ihm ab. „So viel Rührung kann ich gar nicht ertragen,“ meinte Ulrike, „mir kommen ja selbst schon die Tränen.“ stand auf, und ging in ihr Zimmer.


Auf in die Provence


Jetzt war alles klar. Ich würde mich auf die Stelle in Fos sur Mer bewerben. In zwei Monaten würde ich anfangen müssen, wenn es klappte. Im Laufe des nächsten Monats würde die Entscheidung über die Bewerbung fallen. So schnell würden wir nicht alles organisiert bekommen. Ich musste ja auch noch verheiratet werden. Mit Hochzeitsfeier? Ja, mussten wir schon wegen der El­tern und Verwandten machen, aber möglichst in begrenztem Rahmen, und wir wollten keinen Aufwand damit haben. Alles viel Geld, das wir eigentlich in Frankreich gut würden gebrauchen können. Ich bekam die Stelle, in der Firma, die Ergebnisse aus meiner Forschung geklaut hatte, und sie sich hatte paten­tieren lassen, und dort sollte ich jetzt im Labor arbeiten. Ich erhielt sogar ein wenig mehr Geld als zu Hause, und hatte kürzere Arbeitszeiten. Ich fuhr nach der Zusage sofort runter, wohnte im Hotel und besorgte eine Übergangswoh­nung für uns alle. Bei der Personalabteilung erkundigte ich mich nach Hilfen bei der Wohnungsbeschaffung. Man meinte, das ich ja wohl sicher keine Werks­wohnung wünsche, erhielt aber persönliche Hinweise, wo und wie man gut wohnen, und auch Häuser kaufen könne. Wichtig war, dass unser Haus sofort verkauft wurde, damit wir möglichst schnell hier etwas kaufen konnten. Bei Lennie sah der Personalchef keine Möglichkeiten. Er könne ja nicht jemanden einstellen, der kein Französisch beherrsche. Er ließ sich genau beschreiben, welche Ausbildung er denn habe, und womit er zur Zeit beschäftigt sei, und meinte, wenn mein Mann Französisch beherrsche, sehe er sehr gute Chancen. Er sei ja dann in gewisser weise besonders qualifiziert, da er eben auch in bei­den Sprachen agieren könne. Ich solle ihn doch dann noch mal wieder anspre­chen.

Jeden Abend wurde alles ausgetauscht, und über Fortschritte berichtet. Beson­ders freute es mich, meinen Liebsten Herrn Gemahl am Telefon lachen zu hö­ren. Ich hatte ihn gleich schon an einer Sprachschule angemeldet. Qualifizierte gab es nur in Istres, dort sollte er einen Intensivkurs belegen mit sehr guten Kenntnissen schon nach einem halben Jahr. Nachdem ich alles geregelt hatte, flog ich wieder zurück, und hatte noch knapp einen Monat bis zu meinem Ar­beitsbeginn. Ich wollte gern schon früher fahren. Lennie und ich hatten noch Urlaubsgutschriften, nur unser Haus war noch nicht verkauft. In der Provence wäre es sicher eine kapitale Residenz gewesen, aber hier fanden sich keine Käufer dafür. Verschleudern wollten wir es ja auch nicht, das Geld würde uns ja unten sehr fehlen. Ulrike bot sich an, so lange hier zu bleiben, und zu war­ten. Der Makler meinte, sie müsse nur zur notariellen Vertragsunterzeichnung anwesend sein. Alles Übrige regele er ja sowieso. Bei Nachfragen könne er doch anrufen. „Ulrike komm mit, es ist alles wunderschön dort, wenn du nicht gerade in den Raffinerien oder sonstigen Firmen steckst. Jeder Tag, den du hier geblieben bist, wird dir leid tun.“ forderte ich sie auf. Unsere Autos hatten wir bis auf das letzte Eckchen vollgestopft, und bei drei Wagen, musste das zu­nächst mal für unsere Wohnung zum Überleben reichen. Wir wollten einmal zwischendurch übernachten, aber Ulrike meinte, das sei doch überflüssig. 1.100 Kilometer könne man doch mit entsprechenden Pausen ganz gut schaf­fen. Wir waren uns nicht ganz sicher. aber meinten, man könne ja dann ad hoc entscheiden. Nachdem wir um vier Uhr losgefahren waren, kamen wir 16 Stun­den später völlig erschöpft bei unserer neuen Behausung an. Jetzt wohnten wir in Frankreich. Unsere Wohnung befand sich in Martigues. Eine sehr schöne Stadt, die von der Industrie in Fos nichts erkennen ließ. Sie lag zirka 10 Kilo­meter von Fos sur Mer entfernt, zu meinem Werk am Hafen, würde ich aller­dings ein wenig weiter fahren müssen. Wir waren einfach happy, und konnten trotz der ermattenden Fahrt noch lange nicht schlafen gehen. „C'est le pied“ wandte Lennie seine Französischkenntnisse an, „Das ist der Hammer,“ erklärte er Ulrike.


Neue Heimat – Neue Arbeit


Die nächste Zeit war's ziemlich busy. Ständig suchten wir nach Häusern, die unserer Preislage entsprechen würden, in Martigues direkt würde es für uns mit ziemlicher Sicherheit nichts Adäquates geben, hier dominierte der Touris­mus den Markt. Unsere Wohnung wurde ja normalerweise auch als Ferienwoh­nung vermietet. Da sie nicht so ausgesprochen günstig lag, und ich der Ver­mieterin die Vorteile durch Dauervermietung an uns plausibel gemacht hatte, ließ sie sich auf meine Preisvorstellungen ein. Am Rande von Saint-Mitre-les-Remparts fanden wir schließlich etwas, das wegen fehlenden Swimmingpools relativ billig war, und von uns zu bezahlen gewesen wäre. Es wurde erst in ei­nem halben Jahr frei, also hatten wir noch ein wenig Zeit, auf das Geld für Ul­rikes Haus zu warten. Aber Saint-Mitre war kein attraktives Städtchen am Meer. Es hatte zwar alte Befestigungsbauwerke, und zum Meer konnte man auch beinahe laufen, aber dem Wunschtaum von Provence entsprach es nicht gerade. Andererseits lag es direkt an der D5 zwischen Istres und Martigues, und beides war in wenigen Minuten zu erreichen. Wenn das funktionieren soll­te, würden wir hier schon glücklich werden. Es funktionierte. Unser Haus fand einen Käufer, Ulrike flog zurück zur Vertragsunterzeichnung, und organisierte eine Spedition für unsere Möbel. Die Firma zahlte zwar nicht den ganzen Um­zug, zeigte sich aber bei der Kostenbeteiligung relativ großzügig. Jetzt waren wir tatsächlich voll und ganz hier, nur meine Arbeit war der absolute Schwein­kram. Kleine Labors und minimale Verwaltung mitten in der stinkenden vollen Produktion. Rundherum alles Petro und Stahl und gegenüber am anderen Hafenkai alles voller Container und Frachtschiffe. Das war ich nicht mehr gewohnt, eigentlich nie gewohnt. Ich hatte immer unter sauberen Bedingungen in Labors oder im Büro gearbeitet. Natürlich sah man auch die Produktion, aber ein Werk. Hier schien sich halb Europas Drecksindustrie versammelt zu haben. Ich liebte das nicht, auch wenn man mir erklärte, früher sei es noch viel schlimmer gewesen. Aber ein Zurück gab es nicht mehr. Das wollte ich auch nicht, nur freute ich mich jetzt noch viel mehr auf den Weg von der Arbeit zurück, als zu ihr hin.


Alltagsleben


Zu Hause lief aber auch immer volles Programm. Lennie musste viel, viel ler­nen, war aber immer ganz glücklich dabei, er kontrollierte sein Können immer mit mir, und wir konnten uns schon bald auf Französisch unterhalten. Für ihn war ich nur noch 'mon amour' oder 'ma chérie', und er versuchte, mir seine Liebe auf französisch zu erklären. Ich erzählte ihm von vielen wunderschönen französischen Liebesgedichten- und Liedern, ich würde mich riesig freuen, sie von ihm zu hören. Wenig später flüsterte er mir auf Französisch zu:


„Viens, mon beau chat, sur mon coeur amoureux;
Retiens les griffes de ta patte,
Et laisse-moi plonger dans tes beaux yeux,
Mêlés de métal et d'agate.“


Baudelaires „Komm an mein zärtlich Herz, du schöne Katze.“, er hatte es aus­wendig gelernt. Er las aber nicht nur französische Liebesgedichte, sondern sie hatten bei ihm ein allgemeines Interesse an französischer Literatur geweckt. Oft fragte er mich, wenn er etwas nicht verstand, aber manchmal musste ich fest­stellen, dass auch meine Kenntnisse ihre Grenzen hatten. Alle möglichen CDs mit irgendwelchen chansons d'amour oder chants d'eros wurden beschafft, und ich sollte sagen, wie sie mir gefielen, und welche ich am liebsten mochte. Lei­der gefielen mir meistens die traurig-wehmütigen, die von enttäuschter und verlassener Liebe klagten besser als die lieblich verträumt beglückten. Sie ver­mittelten meistens stärker ein Gefühl der Sehnsucht nach Liebe, für mich ein herrliches Empfinden, dass ich am liebsten immer am Leben erhalten würde. Jacques Brels von Nana Mouskouri gesungenes 'Toi qui t'en vas' ergriff mich eben tiefer als Edith Piafs 'Parlez moi d'amour'. Wenn es bei uns durch die Villa halte, konnte es mich erfassen, dass mir manchmal fast die Tränen kamen. Trotz al­lem war es sehr angenehm und auch lustig, eine zeitlang sich stets in die Klän­ge aller bekannten und unbekannten gesun­genen Liebeshymnen einge­bettet zu fühlen. Lennie lernte durch das Verstehen der gesungenen Texte, und mir kam es vor, dass die Chansons bewirkten, un­ser Verhalten untereinander noch zärt­licher und empfindsamer zu gestalten. Manchmal sangen wir sogar gemeinsam, auch abends im Bett.

Ulrike hatte Lennie längst überholt. Sie war neidisch, und wollte jetzt auch einen Kurs machen. Dafür kannte Ulrike jedes Dorf in der Provence, und hatte sich eine Liste aufgestellt mit Sightsee­ings und Events, die sie unbedingt besu­chen wollte. Zwischendurch mussten wir immer noch das Haus unseren Be­dürfnissen anpassen, soweit die Kohle reichte. Wir hatten noch gar keine Ein­weihungsfète gemacht, aber wen sollten wir denn einladen? Wir waren ja au­ßer uns selbst völlig beziehungslos hier un­ten. Im Moment störte uns das nicht, aber auf die Dauer wäre das nicht richtig. Wir wollten uns schon um Kontakte bemühen. Die Einweihungsfeier fand also unter uns dreien statt.


Uli allein


Es tat mir immer weh, zu sehen, wie Ulrike anschließend allein ins Bett gehen musste. Das war ja jetzt schon lange so, und die gemeinsamen Bettgespräche unter uns gab es auch nicht mehr. Als ich sie mal darauf ansprach, bestätigte sie es auch direkt: „Ja meinst du das ist einfach, zu erleben wie ihr beide jetzt eure Freude haben werdet, und ich bin allein, und habe das nicht. Manchmal sind das die Momente, in denen ich mich am einsamsten fühle, obwohl ich weiß, ihr seid hier, und ich werde von euch geliebt. Nicht selten muss ich dann heulen, aber am nächsten Morgen ist alles wieder vorbei.“ Ich nahm sie in den Arm und fragte, was man denn tun könne, ich bekäme ja ein schlechtes Gewis­sen, wenn ich mit Lennie ins Bett ginge. Ulrike lachte, vielleicht sollten wir ab­wechselnd mit Lennie ins Bett gehen, eine Nacht du, die nächste Nacht ich. „Du kannst da gar nichts tun, Ellis.“ meinte sie, „Das ist ganz allein mein Pro­blem. Ich beneide dich ja nicht um dein Glück, ich freue mich ja darüber, nur ich habe meine Probleme. Aber ich will auch nicht jemanden neben mir im Bett liegen haben, weil er mir halbwegs sympathisch ist. Ich muss jetzt erst mal ganz dringend besser Französisch lernen. Vielleicht lerne ich ja dann einen französischen Liebhaber kennen.“


Ulrike auf dem Markt


So lange sollte es nicht dauern. Ulrike lernte zwar fleißig Französisch, aber einen französischen Liebhaber hatte sie noch nicht gefunden. Sonntags fuhren wir immer zum Markt in Martigues. Am Käsestand fiel ihr ein älterer Herr auf, der nicht richtig französisch sprach. Sie fragte ihn, ob er von hier komme? Ja schon, aber er sei kein Franzose sondern Deutscher. Dann hätten sie sich kurz scherzend weiter unterhalten, und beschlossen gemeinsam einen Kaffee zu trinken. Er sei auch wohl ganz froh gewesen, dass er sich ganz normal auf Deutsch hätte unterhalten können. Er hatte seine Firma dem Sohn überlassen, und sich abgesetzt, da er sich sonst wahrscheinlich doch immer wieder einge­mischt hätte. Es sei wunderschön hier, und es gefalle ihm auch gut, aber manchmal fühle er sich doch recht einsam. Er hätte gedacht, ganz gut franzö­sisch sprechen zu können, aber so sei es wohl nicht. Er empfände sich immer als Fremder, jemand der außen vor steht. Warum er denn keinen Sprachkurs besuche, habe Ulrike ihn gefragt. Dafür sei er doch zu alt, habe er gemeint. Darauf habe Ulrike ihm mal erklärt, wann man wofür zu alt sei. Sie hätten noch ein wenig weiter geredet. Als sie sich verabschieden wollten, habe er ge­sagt: „Sie gefallen mir sehr gut, Frau … ich kenne ihren Namen ja gar nicht, sie gefallen mir sehr gut Frau Lohberg, unser Gespräch hat mir viel gegeben, kön­nen wir das nicht fortsetzen?“ Am nächsten Sonntag, gleiche Zeit gleicher Ort. Ab jetzt ging Ulrike nicht mehr nur wegen des Marktes Sonntags nach Marti­gues, sondern auch wegen Heiner Poth. Als ich sie fragte, ob es mit ihm denn eine Perspektive habe, meinte sie: „Keinesfalls, der ist mir viel zu konservativ und lahm. Der lebt ja gar nicht mehr richtig.“ Und warum sie sich dann immer mit ihm träfe? „Um ihm mal klar zu machen, dass er noch nicht im Grabe liegt.“ klärte mich Ulrike auf. Herrn Poth schienen Ulrikes Instruktionen jedoch mehr und mehr zu gefallen. Er machte ihr Komplimente über Komplimente, und meinte, sie habe die Kraft, ganz neue Lebensfreude in ihm zu wecken, eine wundervolle Frau sei sie. Zum Sprachkurs hatte er sich auch schon ange­meldet und wollte mit Ulrike einen Segeltörn machen, auf seinem Boot, das er schon sehr lange hatte schlafen lassen. Ulrike stritt es immer ab, dass sich eine Beziehung ergeben würde, aber sie machte alles mit, und nicht ohne Ge­fallen daran zu finden. Natürlich duzten sie sich auch längst, und Ulrike hatte sich sein Haus in der Nähe von Martigues zeigen lassen. „Oh Ellis,“ schwärmte sie, „wie ungerecht. Der Heiner wohnt da ganz alleine, und wir müssen zusam­men in einem Haus leben, das nicht halb so groß ist.“ Wenn sie sich unterhiel­ten stritten sie sich meistens, beziehungsweise Ulrike versuchte ihm klar zu machen, dass er mit seiner Einschätzung daneben liege, aber er fand sie im­mer nur noch bewundernswerter. So eine großartige Frau wie Ulrike sei ihm in seinem ganzen Leben noch nicht begegnet. Es dauerte nicht lange, und es kam eine Liebeserklärung. Ulrike hatte ihm geantwortet: „Ich weiß nicht Heiner, ich mag dich ja auch sehr, du bist mir ein liebenswerter guter Freund geworden, aber ob es Liebe ist, was ich für dich empfinde, das weiß ich nicht so richtig.“


Zu Haus bei Heiner


Als sie dann noch mal bei ihm zu Hause war, hätten sie sich umarmt und es sei zum Kuss gekommen. Sie hätten sich angeschaut, und Ulrike habe ihm das Gesicht gestreichelt. Darauf hätten sie sich noch einmal geküsst, sehr leiden­schaftlich und immer wieder. Heiner habe ihr unters Kleid gefasst und in die Bluse, sie habe nur immer gesagt „Heiner, was machst du?“ habe sich aber al­les gefallen lassen. Er habe sie angeschaut und gesagt: „Komm, Ulrike, wir ge­hen ins Bett.“ Eigentlich hätte sie das ja nicht gewollt, sie habe aber nichts ge­sagt, und sei mit ins Schlafzimmer gegangen. „Ich weiß nicht, Ellis, was sich da in mir abgespielt hat. Von mir aus hätte ich's nicht gewollt, aber bereuen kann ich's auch nicht. Heiner, der gerade, mein erster Mann nach so vielen Jahren. Weißt du wie sich das anfühlt, Ellis? Eigentlich möchte ich es jetzt immer wie­der, aber mit Heiner?“ erklärte Ulrike ihre Stimmungslage.


Heiners Unverschämtheiten


Trotzdem war sie jetzt häufig bei Heiner und blieb auch über Nacht dort. Len­nie und ich waren oft allein. Ein sonderbares Gefühl für uns, wir wollten Ulrike auch. Wir trafen uns auch öfter alle Vier und unternahmen gemeinsam etwas. Heiner erschien uns aufgeschlossen und lustig, vielleicht war er das ja durch Ulrike geworden. Wir mochten ihn, und er uns auch. Eines Tages bat er Ulrike, doch ganz zu ihm zu ziehen. Ulrike lehnte das ab. Eine Trennung von uns käme für sie nicht in Frage. Er liebe aber sie, und wolle mit ihr zusammen sein, und nicht mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn. Ulrike habe ihm darauf­hin klar gemacht, dass sie ihn zwar liebe und gern habe, ihre Tochter ihr aber noch mehr bedeute. „Dann geh doch zu deiner Tochter und vögel mit ihr.“ habe er wütend gerufen. Ulrike war aus dem Bett aufgestanden und sofort nach Hause gefahren. Sie kam heulend zu uns ins Zimmer, berichtete was sich zugetragen hatte, und verfluchte unablässig Heiner und sich selbst, dass sie sich darauf eingelassen hatte. In den nächsten Tagen rief Heiner ständig an. Wenn Ulrike seinen Namen oder seine Stimme hörte, legte sie sofort auf. Er wolle sich bei ihr entschuldigen, es täte ihm so schrecklich leid. Er könne sich selber nicht verzeihen, dass er so ausgerastet sei. Er habe Ulrike sehr tief ver­letzt, meinte ich zu ihm. Ich wisse nicht, ob er je wieder eine Chance bei ihr haben könne. Im Moment sei das jedenfalls wohl aussichtslos, eine Entschuldi­gung könne das nicht aus der Welt schaffen. Heiner rief auch dann nicht mehr an. Arme Ulrike.


Beschäftigung für Lennie


Lennie war mittlerweile ziemlich perfekt geworden. Mit seinen neununddreißig Jahren spielte er noch in Istres Handball, und hatte darüber auch Freunde ge­wonnen. Ich wollte es jetzt nochmal versuchen mit seiner Anstellung in unserer Firma, wenn es da nicht funktionieren sollte, würden wir uns nach etwas Ande­rem umschauen. Aber der Personalchef meinte, in einem halben Jahr könne er ihn einstellen, er müsse sich aber natürlich erst mal vorstellen. Das machte Lennie, und erhielt die Zusage für die Stelle. Wieder große Freude im Hause Lohberg – Dykhoff. Party war angesagt, aber jetzt nicht mehr allein. Mit mei­ner Kollegin Christine hatte ich mich angefreundet, sie war auch noch nicht lange hier beschäftigt. Wir verstanden uns sehr gut und konnten viel gemein­sam lachen. Sie hatten in der Nähe von Montpellier gewohnt, und waren jetzt nach Istres gezogen. Ihr stanken die Arbeitsbedingungen genauso wie mir. Sie hatte die Stelle angenommen, weil sie befürchte in ihrem Alter nichts Adäqua­tes mit dem Gehalt mehr zu bekommen. Wegen ihrer beiden Kinder hatte sie längere Zeit ausgesetzt, und war jetzt wieder voll eingestiegen. Lennie kannte sie auch, weil sie schon öfter bei uns gewesen war, und wir zusammen etwas unternommen hatten. Ihr Mann war auch Chemiker bei Esso und brauchte jetzt nicht mehr so weit zur Arbeit zu fahren. Lennies Freunde waren beide Lehrer in Istres, einer am Collège und einer am Lycée. Sie sollten auch ihre Frauen/Freundinnen mitbringen. Wir waren also zu neun Leuten bei Lennies Arbeitsbeschaffungsfète. Die Zeit reichte nicht, um alles zu besprechen, was eigentlich unbedingt untereinander hätte geklärt werden müssen. Die Erklä­rung, dass wir überhaupt hier seien, weil Ulrike so abenteuerlustig sei, und Lennie deshalb ungeheure Strapazen auf sich genommen habe. Trug gleich zur Erheiterung aller bei. Wir lachten viel, und versprachen uns, im übernächsten Monat zu meinem Geburtstag wieder zusammenzukommen. Aber wir hatten darüber hinaus auch Kontakte untereinander, gaben uns Tips oder unternah­men gemeinsam etwas. Nur der Sonntagsmarkt in Martigues war 'No go Area', zumindest ging Ulrike nicht mit. Unser Haus war lebhaft geworden, wir hatten viel mit unseren Freunden und Bekannten zu tun, und alle Bekannten und Ver­wandten aus Deutschland kamen uns natürlich auch besuchen. Vom Empfin­den, einsam zu drei deutschen in der Provence zu sein, war nicht einmal die Erinnerung geblieben.


Heiners Brief


Etwa ein Jahr nach dem Eklat kam ein langer Brief von Heiner. Er halte es nicht aus ohne Ulrike, sie sei seine Lebensfreude gewesen und er denke per­manent an sie. Er wolle sich nicht entschuldigen, denn ungeschehen könne er ja nicht machen, was er einmal gesagt habe. Er habe aber viel über sich selbst und Ulrikes Haltung nachgedacht, und sei dadurch fast ein anderer Mensch ge­worden. Er habe sein Leben lang immer nur sich und sein Glück gesehen, und nicht das Glück in der Gemeinschaft, und wie altruistischeres Verhalten Glück vermitteln könne. Er sei der Ansicht, sich dadurch selbst vieler Chancen be­raubt zu haben. Vielleicht sei auch dies der wesentliche Punkt, und nicht seine mangelnden Französischkenntnisse, weshalb er sich hier so isoliert gefühlt habe. Es gebe für ihn keinen sehnlicheren Wunsch, als wenigstens einmal noch mit Ulrike darüber sprechen zu können, und er bitte sie, ihm trotz aller zuge­fügter Verletzungen, dies nicht abzuschlagen. Ulrike wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Sie könne sein Gesicht nicht sehen. Wir bearbeiteten sie aber, weil wir der Ansicht seien, dass er sehr ehrlich und verständnisvoll sei, und be­reuen würde er es eh allemal. Was es denn bringen solle, ins Bett gehen könne sie mit diesem Typen, von dem sie solche Worte gesagt bekommen hätte, so­wieso nicht mehr. „Hör' ihm zu und sag dann was du meinst. Du vergibst dir doch nichts dadurch.“ meinten wir, und so machte sie es dann auch.


Meeting Ulrike - Heiner


Heiner erklärte Ulrike seine Selbsteinsichten und seinen Wandlungsprozess, und dass er heute ein Mensch sei, dem so etwas niemals mehr passieren kön­ne. „Wie schön für dich, Heiner, nur diese Veränderungen hättest du vorher machen sollen. Was nützen sie mir jetzt, wenn ich, deine Geliebte, sich von dir in menschenverachtender, frauenverachtender Weise beschimpfen lassen musste. Kannst du dir vorstellen, dass ich diese Lippen je wieder zärtlich strei­cheln, diesen Mund aus dem das gekommen ist je wieder leidenschaftlich küs­sen könnte? Wohl kaum.“ erklärte ihm Ulrike „Ich gebe dir ja Recht Ulrike, ich kann meine Seele ändern, aber die Worte, die über meine Lippen gekommen sind, bleiben wie ein ewiges Kainsmal haften? Wenn jemand einmal etwas mit einer falschen Einstellung gesagt hat, kann er seine Einstellung ändern, wie er will, die Strafe für das einmal Gesagte gilt lebenslänglich. Ulrike, es geht mir nicht darum, dass wir wieder zusammen ins Bett gehen, ich kann nicht damit leben, wenn du diese Bild von mir hast und behältst, dieses Bild bin ich nicht mehr, das ist ein anderer, den es nicht mehr gibt.“ argumentierte Heiner. Es stimmte Ulrike nachdenklich, und sie meinte: „Wir sprechen noch mal darüber, Heiner.“ Die beiden, die so viele Nächte gemeinsam im Bett verbracht hatten, verabschiedeten sich mit Handschlag.


Abgewischtes Kainsmal


Ulrike war verwirrt. „Eigentlich hat er ja recht, aber ich muss ihn doch lieben können, ich kann das doch nicht vergessen, auch wenn man sagt, du wirst so etwas nie wieder tun.“ quälte sie sich. Wenn er wirklich ein anderer Mensch ge­worden sei, dann sei er ja nicht mehr der, der das gesagt habe, dann würde sie ja gegebenenfalls den neuen, den anderen Menschen lieben. Dass ich theo­retisch Recht habe, gestand mir Ulrike zu, aber in der Praxis läge es doch dar­an, was man empfänden. Sie traf sich weiter mit Heiner und ließ sich den neu­en Menschen näher erklären. Sie gingen zwar nicht wieder miteinander ins ins Bett, aber ihre Gespräche verloren die Angespanntheit. Sie trafen sich gern und konnten wieder miteinander scherzen. Heiner erklärte ihr eines Tages, dass er Ulrike gut verstanden habe, und er sich heute in einer Situation befin­de, in der er viel lieber mit allen zusammen wohnen würde, als mit Ulrike al­lein. „Ja aber dann müssten wir beide ja wieder zusammen ins Bett gehen, Heiner, das wolltest du doch gar nicht.“ fragte Ulrike lächelnd. Heiner druckste, und meinte das sei ja nur eine Erläuterung seiner heutigen Einstellung gewe­sen. „Möchtest du denn gar nicht wieder mit mir ins Bett?“ fragte Ulrike ihn. „Heiner, mein kleiner Junge, traust du dich nicht zu sagen, dass du es schön fändest, wenn wir beide miteinander ficken würden, oder hast du wirklich keine Lust? Warum sagst du nichts?“ fuhr sie fort zu fragen. Der dreiundsechzigjähri­ge Mann fiel Ulrike um den Hals, und weinte. „Meine allerliebste Ulrike, nie wieder werden über meine Lippen Worte kommen, die dich in irgendeiner wei­se beleidigen oder unzufrieden machen könnten. Diese Lippen wollen nichts sehnsüchtiger, als dich nach deinen Wünschen fragen, um sie dir erfüllen zu können. Seit wir uns kennen halte ich es einfach nicht mehr aus ohne dich, dein Bild ist wie ein Teil von mir. Ich werde es nur pflegen und bewundern und lieben.“ Ulrike war ganz ergriffen. „Hör mal mein Süßer,“ antwortete sie ihm, „ich glaube das Kainsmal ist jetzt ganz abgewischt, ist nichts mehr zu sehen. Ich glaube, du bist jetzt wieder ein ganz Braver. Verstehst du das?“ „Ich kann nicht in allen Einzelheiten erkennen, was es bedeutet.“ erwiderte Heiner lächelnd. „Ich liebe dich.“ sagte Ulrike nur. Diesmal verabschiedeten sie sich leidenschaftlich küssend.


Heiners Pläne


„Ich weiß nicht was es ist.“ rang Ulrike nach Erklärungen suchend,“man kann das doch nicht vergessen, und ich habe es ja auch nicht vergessen, nur jetzt spielt es plötzlich keine Rolle mehr. Ob er für mich auch ein anderer Mensch geworden ist? Ob ich jetzt einen anderen liebe? Ich glaube schon. So wie jetzt hat er noch nie zu mir gesprochen. Sonst haben wir uns immer nett unterhal­ten, und er hat mich bewundert. Jetzt hat er mir seine Liebe erklärt. Ich glaube das hätte er damals gar nicht so gekonnt.“ Zunächst lud sie Heiner zu uns ein, aber sie konnte auch wieder zu ihm gehen. Ich riet ihr, ihn doch lieber öfter zu uns mitzubringen, dann werde ihm doch viel deutlicher, dass er sie nicht für sich allein haben könne. Heiner schien es auch richtig gut zu gefallen bei uns. Sein Haus war ja tot, bei uns war Leben, und Heiner gehörte dazu. „Wisst ihr was,“ meinte er eines Abends beim Abendbrot, „das ist doch verrückt. Ich bin am meisten und am liebsten hier bei euch, und die große Villa steht leer. Sol­len wir die nicht verkaufen, und für uns alle zusammen etwas anschaffen? Ich meine, wenn ihr mich haben wollt natürlich.“ Wir schauten uns an. Nicht weil wir überlegten ob wir mit Heiner zusammen wohnen wollten. Das war ja fak­tisch schon längst der Fall, und außerdem käme uns ja gar nicht die Idee, Ul­rikes Lover abzulehnen, nur Heiner meinte ja wohl nicht ein Haus, wie wir es jetzt hatten in etwas größerer Ausführung. „Heiner, wie sollen wir das den an­nehmen, dir schwebt doch sicher nicht so etwas Kleines, Billiges vor?“ fragt ich ihn. „Einfach so,“ war seine Antwort, „ihr braucht euch nicht bei mir zu bedan­ken, ich muss mich bei euch bedanken. Was ihr, und besonders Ulrike, mir ge­schenkt habt, ist mit Geld gar nicht aufzuwiegen. Eigentlich möchte ich mein Leben, so wie ich heute bin, noch einmal neu beginnen. Dieses Leben habt ihr mir vermittelt. Ich glaube, mir ist es noch nie in meinem Leben so gut gegan­gen wie heute. Ich wüsste keine Phase, in der ich mich so glücklich empfunden hätte. Wir suchen uns etwas aus, das schön und groß genug für uns alle ist, und wenn es mit dem Geld kapp wird, muss die Firma noch etwas zuschießen. Ich hab' ja schließlich jetzt Familie.“


New Home und Ulrikes Gedanken


Nach einigen Monaten wohnten wir in einer wunderschönen Villa bei Martigues, mit Blick aufs Meer und riesengroßem Garten, diesmal natürlich mit Swim­mingpool. Was sie gekostet hatte, wurde nicht verraten. Unser kleines Haus hatten wir vermietet. Wir sollten es behalten, für den Fall, das Heiner mal et­was zustoßen sollte. Heiner war ein wundervoller Mensch. Nicht weil er uns die Villa geschenkt hatte, sondern in seinem Leben mit uns. Jedes Mal wenn er lustige Sachen erzählte oder machte, musste ich an Ulrikes Beschreibung ihres ersten Eindrucks denken: 'lahm' 'konservativ'. Ulrike, wie konnte man sich nur so täuschen, aber ich glaube eher, dass sie diesem anderen Menschen in ihm das Leben eingehaucht hatte. Jetzt schien er ihr total hörig, und Ulrike schwebte auf der Wolke, die die Ziffer sieben trägt durch den Palast und durch ihr Leben.

„Was ist aus uns geworden, Liebes? Wir wollten nur in Duisburg mit Partneran­zeigen einen Mann suchen. Und jetzt? Für mich waren das die wildesten Jahre meines Lebens. Alles hat sich verändert. Völlig verändert. Jetzt wie vor zwei Jahren noch in Duisburg leben, das könnte ich nicht mehr. Ich würde jeden Tag ausreißen. Ich habe Angst davor, ganz alt zu werden. Ich möchte das Le­ben genießen können so lange ich lebe. Dann könnte ja jemand kommen und sagen: 'So jetzt ist es mit dem Genießen vorbei' und abschalten, aber dieses Gequäle und Geleide bis es endgültig nicht mehr geht, das will ich nicht, das macht mir Angst. Jetzt fühl ich mich besser als mit dreißig, auch wenn ich fast fünfundsechzig bin. Ich möchte das behalten. Ellis, ich glaube ich war noch nie so glücklich in meinem Leben. Doch, als du geboren bist. Ich hätte mich vor Freude totlachen können, als du endlich da warst, obwohl das ja alles so furchtbar weh tat. Was das für ein Gefühl war, kann ich heute selber gar nicht mehr richtig verstehen. Mark wollte immer noch mehr oder wenigstens noch ein Kind. Ich wollte keine Serie, das hätte meinem Glücksgefühl mit dir die Ein­maligkeit genommen. Du bist mir immer seit deiner Geburt das Allerwichtigste gewesen, bist es heute noch und hast mich nie enttäuscht. Dir habe ich das Glück deiner Geburt zu verdanken und mein Glück heute.“ schilderte Ulrike ihre Empfindungen. „Ulrike, ich habe doch gar nichts gemacht. Wir beide mö­gen uns einfach, haben Lust aufeinander und dann ergibt sich das eben so. Na ja, bei meiner Geburt da war das vielleicht ein wenig anders, aber da konnte ich nun wirklich nichts zu beitragen. Ich glaube schon, dass jeder sein Ding pri­mär selber machen muss, nur wenn du nicht allein bist, und dich eingebettet fühlst, dann gibt dir das ungeheuer viel an Sicherheit, an Vertrauen, an Stärke, dann kannst du ein Anderer sein, als du alleine vielleicht wärest.“ antwortete ich ihr darauf. „Sollen wir uns jetzt mal um unsere Männer kümmern, Alte?“ meinte Ulrike juxig zu mir. Ich musste sie aber erst noch in die Arme schlie­ßen, fest drücken, um sie meine Liebe spüren lassen.


Heiner will heiraten


„Heiner will mich heiraten.“ erklärte mir Ulrike eines Morgens im Bad. Ich musste schrecklich lachen, und dann erzählte Ulrike mir, dass sie fast die gan­ze Nacht darüber geredet hätten. Sie habe das zunächst auch eindeutig zurück gewiesen, aber Heiner habe ihr immer wieder klar zu machen versucht, wie viel sie ihm bedeute, und dass sie das Wertvollste in seinem ganzen Leben sei, sie ihm dieses Leben eigentlich geschenkt habe. Er könne die Vorstellung nicht ertragen, wenn ihm mal etwas zustoßen sollte, sein Sohn und seine Tochter unser Haus unter sich aufteilen würden, und ich mit nichts auf der Straße stün­de. Es gehe ihm nicht um Ehe und glückliche Familie, er könne es nur nicht er­tragen, für mich nicht gesorgt zu haben, wo ich ihm doch so unendlich viel be­deute. Und zu heiraten sei eben der einzige Weg. „Na ja, sicher, dass du ihn nicht mehr verlassen wirst, bist du ja auch, sonst hätten wir das mit der Villa doch nicht gemacht. Bei Lennie und mir war es ja so ähnlich. Wir haben ja auch gesagt, wenn's tatsächlich so ist, warum sollen wir's nicht bescheinigen lassen, wenn es Vorteile bringt.“ reagierte ich auf ihre Darstellung. „Ich, in meinem Alter heiraten. Außerdem bin ich verheiratet, wir sind ja nicht geschie­den.“ Ulrike darauf. „Ach, erklär mir doch noch mal, wann man in welchem Al­ter wofür zu alt ist, oder erklär's dir besser selber. Und Scheidung ist doch kein Problem, wenn ihr seit fast fünfzehn Jahren getrennt lebt. Wahrscheinlich muss Mark noch für deine Teilzeitbeschäftigung Rentenausgleichszahlungen leisten. Da brauchst du nur einmal zu einem Termin zum Gericht, vielleicht das noch nicht mal. Ich würde das machen, Ulrike. Stell dir mal vor, er bekommt mor­gen einen Herzinfarkt, dann hast du nichts mehr, gehört alles seinen Kindern.“ riet ich ihr.

Am Frühstückstisch erklärte Ulrike dann launig: „Dieser Herr Poth hier hat mir heute Nacht einen Heiratsantrag gemacht, was meint ihr dazu, kann man so etwas annehmen?“ Lennie, der von allem ja nichts wusste, blickte erstaunt. „Dieser Heiner macht einfach Heiratsanträge, ohne bei uns um deine Hand an­zuhalten. Lebt er denn überhaupt in geordneten Verhältnissen, wird er dich er­nähren und sich um dein Wohlergehen kümmern können?“ wollte Lennie wis­sen. „Tscha,“ meinte Ulrike, „das weiß ich auch nicht. Danach hab' ich ihn gar nicht gefragt. Heiner kannst du das?“ Worauf Heiner meinte, dass es da even­tuell zu Engpässen kommen könne, die aber die Liebe zu überwinden helfe. So war durch dieses launische Geplänkel schnell klar, dass Ulrike sich dafür ent­schieden hatte.


Christine


Am Abend sollte es gefeiert werden, eigentlich nur unter uns, aber die anderen hatten nichts dagegen, wenn ich Christine fragte, ob sie nicht kommen könne. Christine war mir sehr ans Herz gewachsen, wir hatten jeden Tag bei der Ar­beit miteinander zu tun,und ich glaube, ich war für sie ihre beste Freundin, und sie meine wohl auch. Sie hatte mich immer bewegen wollen, doch noch Kinder zu bekommen, und mir von sich vorgeschwärmt, was es ihr bedeute, und be­deutet habe. Ich war tatsächlich fast so weit, das ich mit Lennie darüber ge­sprochen hätte. Leider war durch unser neues Zuhause die Entfernung zwi­schen uns weiter geworden und wir trafen uns seltener privat. Auch wenn es nur eine halbe Stunde dauerte, aber früher waren es eben nur gut zehn Minu­ten. Wir verbrachten auch öfter Wochenenden zusammen und Heiner machte mit den Jungs Segeltörns. Ich hätte mir gar nicht vorstellen können, zu einer Arbeitskollegin in Deutschland ein so inniges Verhältnis zu bekommen. Christi­ne war eine sensible, zartfühlende, elegante, schöne Frau, deren Anwesenheit mich nicht nur erfreute, sondern auch unsere Unterhaltungen waren von Hu­mor und gegenseitigem Verständnis dominiert. Meine früheren deutschen Kol­leginnen, die ich damals gar nicht so wahrgenommen hatte, erschienen mir ge­genüber Christine derb und rustikal. Christine war nicht nur die Sonne, die mir meinen rüden Arbeitsplatz ein wenig vergoldete, sie trug auch entscheidend dazu bei, dass ich mich hier so wohl, richtig zu Hause fühlte.


Heiners Kinder


Durch Ulrike und Heiners Hochzeitspläne hatten wir wieder Vollbeschäftigung. Ulrike machte alles ganz schnell per Telefon und Fax. Sie wollte keine Ansprü­che an Mark geltend machen, und ihm eventuell die Rente kürzen, wenn sie hier von Max Kapital und in seiner Villa lebte. Zum Gerichtstermin sollte sie aber dann doch besser erscheinen. Viel komplizierter war die Entscheidung über die Hochzeit. Heiner meinte eigentlich kein schlechtes Verhältnis zu sei­nem Sohn und seiner Tochter zu haben, aber sie interessierten sich nicht für ihn. Sein Sohn hatte ihn erst einmal, ganz zu Anfang als er hier gewesen sei besucht, und seine Tochter sei zweimal da gewesen. Sie riefen auch nicht an, nahmen keinen Kontakt zu ihm auf, er meldete sich bei ihnen. Sein Sohn habe zu unserem Zusammenleben gesagt, sein Vater lebe jetzt in einer Anar­cho-WG, habe er von anderer Seite erfahren. Ulrike galt wahrscheinlich als die Schuldige für die veränderten Einstellungen ihres Vaters. Seine Heirat würde ihnen bestimmt nicht gefallen, denn Heiner gehörte ja schließlich noch alles, nicht nur seine Villa in Martigues. Sie hatten auch am Telefon öfter gefragt, ob er Ulrike denn weniger lieben würde, wenn er nicht verheiratet sei. Sollten wir denn seine Kinder nicht zur Hochzeit ihres Vaters einladen? Heiner hatte seinen Sohn gefragt, er wolle an dem Termin heiraten, ob er dann kommen könne. Er werde keinesfalls kommen, hatte er brüsk erklärt. Seine Tochter hatte er gleich gefragt, ob sie auch nicht kommen würde, was sie bestätigt habe.

Einerseits waren wir jetzt frei, und konnten unter uns Franzosen und unseren Freunden aus Deutschland heiraten, Heiner stürzte es aber in tiefe Grübeleien über seine Kinder, sein früheres Leben mit ihnen und ihr heutiges Verhalten. Dieses unmenschliche Verhalten könne man doch nicht noch belohnen, weil sie eventuell ein paar Euro weniger bekommen würden, sei ihnen das Glück ihres eigenen Vaters völlig gleichgültig. „Ulrike du hast mir mein glückliches Leben gegeben, und meine Kinder gönnen es mir wegen ein wenig Geld nicht.“ er­klärte Heiner. „Nichts werden sie bekommen, keinen Cent mehr als ihnen pflichtgemäß zusteht. Was gibt es denn, für dass ich sie belohnen könnte. Für seine Arbeit in der Firma wird mein Sohn übermäßig belohnt, er kann sich nicht beklagen, aber mein Testament werde ich sofort nach unserer Heirat ändern.“ fügte Heiner dem hinzu. Ulrike schaute verwirrt. Wollte sie das denn? Dieses Haus war ja o. k., aber was hatte sie mit der Firma zu tun. „Ulrike mach dir keine Gedanken.“ beruhigte sie Heiner, „Es ändert sich ja jetzt nichts. Nur für den Fall dass. Du würdest ja als meine Frau auch mehr bekommen als nur das Haus, und jetzt wird es eben noch ein wenig mehr.“


Hochzeit mit Folgen


Das Heiraten in Frankreich war ein für uns relativ komplizierter Prozess, weil sich viele Bestimmungen von den deutschen gravierend unterschieden. Beim Generalkonsulat in Marseille erhielten die beiden umfassende Auskünfte. Hei­ner wollte auch nicht die im Französischen übliche Communauté légale, die Ul­rike benachteiligen würde. Also musste auch noch vorm Notar ein Ehevertrag aufgesetzt werden. Heiner wollte Ulrike nicht drängen, aber er meinte es könne sich eventuell günstiger auswirken, wenn sie auch Poth hieße. Ulrike hatte nichts dagegen, denn Lohberg war ja auch der Name ihres geschiedenen Ehe­mannes gewesen. Jetzt konnte gehochzeitet werden. Ulrike erhielt das elegan­teste und teuerste Kleid ihres Lebens von einem Couturier aus Montpellier und einen neuen Ehering, den sie sich von Heiner aufstecken ließ. Sie lächelte stän­dig, als ob sie sich zwischen den Gefühlen, alles für kurios zu halten und nicht zu wissen, was mit ihr geschah, nicht entscheiden konnte. Bei der Hochzeitsfei­er im Garten unserer Villa erklärte Heiner immer, dass er nicht nur seine Heirat mit Ulrike, sondern auch den Beginn seines zweiten Lebens feiere. Viele Freund aus Deutschland waren gekommen, obwohl die meisten wenig mit Ulrike direkt zu tun gehabt hatten, sondern mehr mit Lennie oder mir. Lennie war für seine ehemaligen Freunde aus Mettmann zum bewunderten absoluten Glücksritter geworden, und Gerd Lehmann hatte sich einige Tage Urlaub nehmen müssen, weil Julie, die mittlerweile studierte, und Renate ihn unerbittlich gedrängt hat­ten. „Ulrike, ich glaub' der Heiner ist viel besser als unser Deutsch-Pauker da­mals.“ flüsterte Julie ihr ins Ohr, und beide lachten ausgiebig. Julie war zum ersten Mal hier, und war völlig fasziniert. Hier wollte sie auch leben, und da sie Semesterferien hatte, erkundigte sie sich, ob sie auch noch ein wenig länger bleiben könne. Aus dem wenig wurden drei Wochen, und Julie hatte mit Ulrike und Heiner fast die ganze Provence erkundet. Ihr Wunsch, hier leben zu wollen hatte sich dabei immer mehr verfestigt, und in Montpellier hatte sie sich erkun­digt, ob und unter welchen Bedingungen sie schon im kommenden Semester hier studieren könne. Sie war der Ansicht, dass sie keine Zeit vergeuden solle, fuhr nach Hause, drängte Gerd, ihr ein kleines Auto zu kaufen, und war vier­zehn Tage später wieder bei uns, um ihr Biologiestudium an der UM2 in Mont­pellier fortzusetzen. In den ersten Tagen fuhr sie täglich nach Montpellier, um die Formalitäten zu regeln, aber auch um sich ein Zimmer zu besorgen, denn eine tägliche Fahrt von Martigues war doch zu weit. Ihrem Freund in Deutsch­land hatte sie klipp und klar gesagt, es handele sich um ihr Leben, er könne ja auch in Montpellier studieren. Uns sagte sie, sie habe ihn schon gemocht, aber er sei eben auch ein Teil dessen, der für sie das Leben zu Hause habe so zäh erscheinen lassen. „Ich habe Lust daran, intensiv zu arbeiten, aber die Umge­bung, das Leben drum herum will ich doch auch genießen können, und darauf habe ich mich zu Hause nur selten freuen können. Ich suche keine Belustigun­gen und tolle Events, ich wüsche mir ein offeneres und freieres Leben insge­samt, und das sehe ich hier. Und außerdem will ich doch mit Heiner mal gern Bötchen fahren.“ schloss Julie mit einer launigen Bemerkung. Ulrike meinte auch, dass sie eine gute Entscheidung getroffen habe. Wir hätten auch alle noch keinen Tag bereut, und Sehnsucht nach zu Hause gehabt. Duisburg sei überhaupt nicht mehr unser Zuhause, das sei hier und sonst nirgendwo.


Ulrikes Sorge


Heiner hatte tatsächlich am Tag nach der Hochzeit sofort bei einem Notar an­gerufen und einen Termin wegen des Testaments gemacht. Ulrike war jetzt nicht nur Madame Poth sondern auch Haupterbin der Poth GmbH. Heiner war glücklich und Ulrike wusste gar nicht wie sie damit umgehen sollte. Allgemein lebten wir unser normales Leben weiter, ich als Chemikerin und Lennie als kaufmännischer Angestellter, der allerdings mittlerweile zum stellvertretenden Leiter aufgestiegen war, nur dass wir in einem für unsere Verhältnisse völlig überdimensionierten Haus wohnten, und von unserem Geld viel mehr übrig blieb, weil Heiner vieles bezahlte. Ulrike sorgte sich sehr um Julie, sie mochten sich nicht nur, Ulrike hatte auch Sorge, dass Julie eventuell Umstellungs­schwierigkeiten bekommen könne. An den Wochenenden war sie immer bei uns, und schon fast zu unserer in Montpellier studierenden Tochter geworden, aber die viereinhalb Tage zwischendurch hockte sie allein in ihrem Zimmer oder an der Uni in Montpellier. Ulrike telefonierte ständig mit ihr, und meinte, sie müsse in Montpellier Freunde finden. Grundsätzlich wäre das für Julie kein Problem, nur ihr Französisch war zwar nicht schlecht, aber um der schnell ge­nuschelten Konversation unter Freunden abends in der Kneipe folgen zu kön­nen, reichte es nicht. Ulrike meinte, Julie müsse dringend einen Intensiv-Sprachkurs besuchen. „Das kann ich doch gar nicht bezahlen.“ erklärte Julie. „Heiner, ich in der Person von Julie muss dringend einen Sprachkurs besuchen, kannst du mir das bezahlen?“ feixte Ulrike mit Heiner. Heiner, der sich über Ju­lies Anwesenheit auch immer sehr freute, meinte: „Julie, warum sagst du denn nichts, das regeln wir doch, gib mir mal deine Kontonummer.“ „Nein Heiner, das ist viel zu viel. Soviel kostet der Sprachkurs doch gar nicht.“ erklärte sie am nächsten Wochenende. Heiner meinte nur, dass sie ja durch die vielen Fahrten auch zusätzliche Ausgaben habe, und das Leben in Montpellier auch teurer sei, als anderswo. Ab jetzt erhielt Julie von Heiner eine monatliche Apa­nage, die über dem Betrag, den ihre Eltern ihr überwiesen, lag.


Julies Bekanntschaft


Donnerstagabend rief Julie an, und fragte, ob sie morgen jemanden mitbringen dürfe, sie habe jemanden kennengelernt, und wolle gern wissen, was wir von ihm hielten. „Aber Julie, so etwas musst du doch für dich entscheiden. Wir kön­nen doch nicht sagen, wen du zum Freund nehmen sollst.“ erklärte ich ihr. „Ja, ich meine ja nur, ich finde ihn im Prinzip ganz nett, und da wollte ich ihn einfach mal mitbringen.“ „Natürlich, das ist doch klar, selbstverständlich kannst du jeden mitbringen.“ reagierte ich.

Freitag kam Eric, Julies Sprachlehrer. Er war selber noch Student in fortge­schrittenem Semester. Nach dem Sprachkurs hatte er sich mit Julie unterhal­ten, und sie zu einem Kaffee eingeladen. Das Gespräch war sehr angenehm, und Eric hatte Julie nach einem weiteren Date, außerhalb des Sprachkurses gefragt. Dabei hatten sie sich sehr viel über sich erzählt, und Eric habe sie gern am Wochenende wiedersehen wollen. Sie habe ihm erklärt, wo sie am Wochenende sei, und ihm angeboten, mitzufahren. Eric war ein junger gut aussehender Intellektueller. Ulrike schien ihn zu mögen, aber bei der Kaffeeta­fel auf der Terrasse sprudelte Julie völlig über. Sie musste Eric zu allen lustige Geschichten erzählen, und schien völlig happy. Eric, der Martigues überhaupt nicht kannte, war fasziniert und unterhielt sich oft mit Ulrike über die soge­nannten 68er Jahre und über die Grünen, Julie, die ja auch mit dem Schwer­punkt Ecologie et Biodiversité studierte, beteiligte sich eifrig daran. Sie kamen auf den Bedeutungswandel von Biologie in der Wissenschaft zu sprechen, und verloren sich in Diskussionen über erkenntnistheoretische Fragen. Eric schien sich sehr wohl zu fühlen, und wollte Julie am Sonntagabend vorm Zubettgehen küssen. Nein, nein, habe sie abgewehrt, „ich mag dich sehr gut leiden, Eric, aber so weit ist es noch nicht. Vielleicht später, ich wollte dir jetzt nur zeigen, wo ich meine Wochenenden verbringe.“ Eric verbrachte ab jetzt seine Wochenenden auch bei uns. Julie hatte durch Eric in Montpellier auch viele Leute kennengelernt, hauptsachlich Literaten und philosophisch interessierte Menschen. Es gefiel ihr sehr gut, von Einsamkeit in Montpellier war nichts mehr zu spüren. Manchmal blieb sie auch über's Wochenende, weil es eine Fète oder eine wichtige Veranstaltung gab, meistens waren die beiden aber bei uns. Julie zeigte Eric jetzt nicht nur, wie schön Martigues war, sondern auch wie schön sie küssen konnte, und bald darauf auch, was Eric mit ihr im Bett zu erleben hatte. Die beiden waren verliebt, wie verspielte Kinder. Wo sie sich trafen, mussten sie sich küssen und befummeln.


Liebesberatungen


„Ulrike, ich bin so happy wie nie zuvor in meinem Leben, aber ich habe das nicht vergessen, was du damals gesagt hast von der Zeit nach den erfüllten Wünsch und Sehnsüchten, ich habe Angst davor, dass es zwischen Eric und mir einmal anders werden könnte. Weißt du wie man das verhindern könnte?“ er­klärte Julie ihre Befürchtungen. „Julie, ich glaube es gibt keine allgemeinen Ratschläge, was man tun muss, um immer verliebt zu bleiben. Ich meine nur, wenn der Rausch abnimmt, kommt es darauf an, wie wertvoll ihr euch gegen­seitig seid. Du wirst von Eric etwas erwarten, und er muss Lust daran haben, es dir zu erfüllen. Du musst dafür sorgen, dass du für ihn das Wichtigste auf dieser Welt bist, und umgekehrt genauso. Ihr beide seid es, die sich gegensei­tig die Welt schön machen. Ich würde viel über Liebe und Beziehung gemein­sam reden, immer auch wenn alles toll ist. Keine kleinen Irritationen einfach wegstecken, alles kann sich ausweiten. Bei mir haben sich unsere Welten zum Beispiel langsam auseinander entwickelt, bis wir überhaupt nicht mehr wuss­ten, was diese verschiedenen Menschen miteinander anfangen sollten. Es gab nichts Gemeinsames mehr außer Essen und Schlafen. Stell dir vor Eric lebt nur noch in irgendwelchen Literatenwelten, und du hast dich ausschließlich in die Ökologie vertieft, alles andere interessiert dich nicht mehr, ihr seid geschiede­ne Leute. Das Bett hält euch nicht zusammen, das Bett wird immer uninter­essanter, je mehr ihr euch auseinander lebt. Je näher ihr euch mit euren Per­sönlichkeiten seid, um so mehr Spaß macht's im Bett. So seh' ich das.“ meinte Ulrike dazu. „Ja, ja,“ kommentierte Julie, „ich glaube, ich bin ein wenig zu leicht zu haben für ihn. Ich muss mich mal etwas wertvoller machen. Aber Ulri­ke, es macht mir doch auch so unheimlichen Spaß.“


Elterntreffen


Julie war unsere junge dritte Frau in der WG geworden, und Eric gehörte selbstverständlich mit dazu. Er hatte Julie schon seinen Eltern vorgestellt, und weil wir so etwas ähnliches für Julie waren, fragte er, ob er nicht mal seine El­tern mitbringen könne. Der Vater war Professor an der Universitè Montpellier III und seine Mutter war freie Journalistin. Ulrike war am versiertesten mit ih­nen interessante Gespräche zu führen. Natürlich konnte ich nicht nur etwas über Polyole erzählen, aber ich merkte doch, wie relativ begrenzt mein allge­meiner intellektueller Horizont war. Sie hatten gedacht, sie würden Julies El­tern besuchen, und waren ganz erstaunt über unsere Lebensbedingungen und Biographien. Erics Mutter fand es so interessant, dass sie einen Artikel darüber schreiben wollte, und in den Augen seines Vaters hatte Julie stark an Ansehen gewonnen. Es schien ihnen gut zu gefallen, auch wenn wir nicht Julies Eltern waren. Wir versprachen sie wieder einzuladen, wenn uns Julies Eltern besu­chen würden, und sie sollten dann bei uns über Nacht bleiben. Erics Mutter be­merkte noch zu Ulrike, dass Eric ja völlig vernarrt in Julie sei, und sie sich sehr freuen würde, wenn die Beziehung dauerhaft bleiben könne. Natürlich wurden Gerd und Renate sofort informiert. Sie wollten sobald wie möglich kommen, um den Freund ihres Töchterleins kennenzulernen inclusive seiner Eltern, im späteren Herbst könne es ja auch bei uns manchmal sehr unangenehm sein. Die Eltern verstanden sich hervorragend und Gerd musste sich belehren las­sen, dass Chartier, so hieß Eric mit Nachnamen, ein berühmter französischer Schriftsteller zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts gewesen sei. „Ja wenn ich nicht Lehmann sondern Lachmann heißen würde, wäre ich vielleicht auch Professor für Literatur geworden.“ erwiderte Gerd. Den kannte wiederum Mon­sieur Chartier nicht. Auch Renate legte Madame Chartier ans Herz, wie sehr sie es wünsche, dass die beiden zusammen blieben. Renate meinte, dass sie die beiden auch für ein bezauberndes Paar hielte, aber wie dauerhaft ihre Bezie­hung sei, das hätten die beiden schließlich ganz allein zu verantworten. Mada­me Chartier lobte Julie als überaus kluge, intelligente, charmante Frau, die nicht nur Eric verzaubert, sondern auch ihr Herz erobert habe. Nichts würde sie lieber sehen, als wenn sie ihre Schwiegertochter würde. Das könnten wir nicht entscheiden, da müsse man die beiden jungen erwachsenen Mensch schon sel­ber befinden lassen, was sie wollten. Es sei ja schließlich ihr Leben, über das sie zu entscheiden hätten.


Erics Heiratspläne


Eric bekam eine eigene Wohnung in einem Dorf in der Nähe von Montpellier. Er lebte dort die Woche über zusammen mit Julie, aber die Wochenenden ver­brachten sie trotzdem immer lieber bei uns, und uns freute es auch. Wir woll­ten Julie ja nicht verlieren, auch nicht an Eric. Er wollte mit Julie besprechen, ob sie nicht heiraten sollten. Sie habe ihn dafür ganz lieb gehabt, aber gefragt, was sich dadurch für sie denn ändern würde. Er liebe sie so sehr, und wolle sie nie wieder verlieren. „Eric das lässt sich doch nicht durch einen Trauschein be­wirken, ob du mich verlierst oder nicht, liegt ganz allein daran, wie sehr du mich liebst. Da kannst du noch so viele Trauscheine besitzen, die werden dar­auf keinen Einfluss haben. Wenn man Kinder haben will, sieht das anders aus. Oder möchtest du, dass ich jetzt Mama werde?“ habe Julie ihm geantwortet, und Eric habe gelacht. Wir meinten, dass es bei uns ja auch so eine Vorstel­lung gebe, dass man erst richtig zusammengehöre, wenn man verheiratet sei. Früher habe man ja auch von 'wilder Ehe' gesprochen, einer sündigen Lebens­weise. Das spiele zwar heute keine direkte Rolle mehr, aber Relikte dieser al­ten Einstellungen schwängen sicher immer noch mit. Julie habe Eric daraufhin angesprochen, und ihm erklärt sie wolle ihn jetzt doch heiraten, aber sie wolle eine wilde Ehe, eine Mariage sauvage. Wenn sie dann mal älter und bürgerli­cher geworden seien, könnten sie die ja vielleicht umwandeln in eine Mariage bourgeoise. Juilie habe es erklären müssen, da in der französischen Bezeich­nung dafür nichts mit wild vorkomme. Eric habe dem zugestimmt, so wolle er das auch, und erzähle jetzt überall lustig, dass er in einer Mariage sauvage lebe. Ulrike meinte, Julie sei wirklich eine kluge Frau. Sie habe Erics Wunsch nicht einfach zurückgewiesen und ihn enttäuscht, sondern sei auf ihn einge­gangen, und habe ihn zu einer anderen Vorstellung kommen lassen. „Wenn ihr beide das immer so macht, dann wird euch so schnell nichts auseinander brin­gen.“ beurteilte sie Julies Verhalten.


Keine Reminiszenzen

 

Bei unserem Leben wurde das Unangenehme meiner Arbeitsbedingungen fast völlig unerheblich. Christines Anwesenheit erleichterte es, und da ich immer mit Lennie zusammen fuhr, vielen mir die hässlichen Wegstrecken auch kaum noch auf. Den Schwerpunkt meines Lebens bildete aber eindeutig, was sich au­ßerhalb der Arbeit ereignete. Hier war meine Welt. Durch Eric und Julie hatte sich die Atmosphäre in unserem Zusammenleben sehr verändert. Literarische, politische und künstlerische Themen dominierten jetzt allmählich die Diskussio­nen im Haus, unsere Bibliothek wuchs schnell, und in besonderem Maße glück­lich war Ulrike über diese Entwicklung. Aus Chemikern und Kaufleuten schie­nen Intellektuelle zu werden, die auch außerhalb des Hauses andere Veranstal­tungen besuchten und andere Kontakte fanden. Eine neue Zeit war angebro­chen, langsam aber deutlich.

Alle Veränderungen, die ich zusammen mit Ulrike erlebt hatte, waren nie mit dem Traum von früheren, schöneren Tagen behaftet. Ich brauchte mich nicht zu erinnern, an glücklichere Zeiten. Die gab es nicht. Wir schienen wie selbst­verständlich unaufhörlich an unserem Glück zu arbeiten, und waren darin nach eigenen Empfinden sehr erfolgreich. Wenn ich an das Glück denke, das Ulrike und ich empfanden, wieder zusammen sein zu können, hatte es sich immer nur erweitert und gesteigert. Das war die Basis, auf der sich alles Weitere ent­wickelt hatte, und die immer als Grundlage erhalten blieb. Wir hatten immer mehr erreicht, und waren glücklich darüber, aber befriedigt und satt zurückge­lehnt haben wir uns nie. Das tötet und macht das Glück zunichte. Glück­lichsein kann nur im aktiven Prozess erfahren werden, und nicht durch Konser­vierung und Reminiszenzen an schöne Tage. Wir schliefen nicht, und träumten nicht, wir lebten; jeden Tag intensiv und aufregend.

 

 

FIN

 

 

Les hommes sont comme des drogues – si les femmes commencent avec eux, les femmes ne peuvent pas vivre sans elle, mais pas avec eux.

Eines Tages bat Heiner Ulrike, doch ganz zu ihm zu ziehen. Ulrike lehnte das ab. Eine Trennung von uns käme für sie nicht in Frage. Er liebe aber sie, und wolle mit ihr zusammen sein, und nicht mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn. Ulrike habe ihm darauf­hin klar gemacht, dass sie ihn zwar liebe und gern habe, ihre Tochter ihr aber noch mehr bedeute. „Dann geh doch zu deiner Tochter und vögel mit ihr.“ habe er wütend gerufen. Ulrike war aus dem Bett aufgestanden und sofort nach Hause gefahren. Sie kam heulend zu uns ins Zimmer, berichtete was sich zugetragen hatte, und verfluchte unablässig Heiner und sich selbst, dass sie sich darauf eingelassen hatte. In den nächsten Tagen rief Heiner ständig an. Wenn Ulrike seinen Namen oder seine Stimme hörte, legte sie sofort auf. Er wolle sich bei ihr entschuldigen, es täte ihm so schrecklich leid. Er könne sich selber nicht verzeihen, dass er so ausgerastet sei. Er habe Ulrike sehr tief ver­letzt, meinte ich zu ihm. Ich wisse nicht, ob er je wieder eine Chance bei ihr haben könne. Im Moment sei das jedenfalls wohl aussichtslos, eine Entschuldi­gung könne das nicht aus der Welt schaffen. Heiner rief auch dann nicht mehr an. Arme Ulrike.

 

 

Männer und Glück – Seite 39 von 39

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Tag der Veröffentlichung: 28.04.2013

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