Cover

Introduction und Inhalt

 

Carmen Sevilla

 

Barbara Zu tief in meiner Seele

Weißt du, Luca?

 

Erzählung

 

 

Ich fand so viel Charakter in allem, was sie sagte, ich sah mit jedem Wort neue Reize, neue Strahlen des Geistes aus ihren Gesichtszügen hervorbrechen, die sich nach und nach vergnügt zu entfalten schienen, weil sie an mir fühlte, daß ich sie verstand.

Johann Wolfgang von Goethe - Die Leiden des jungen Werther

Als ich mich auch bis auf Hemd und Slip ausgezogen hatte, saßen wir uns im Schneidersitz gegenüber auf dem Bett und smilten, bis Barbara etwas zu sagen begann: „Also ich fang mal an. Lieber Luca, es ist sehr schön, dass du es ermöglichen konntest, ...“ Weiter kam sie nicht, weil wir uns lachend um den Hals fielen. „Wollen wir denn die ganze Nacht jetzt weiter Quatsch machen?“ erkundigte ich mich vorsichtshalber, was wieder eine Lachsalve auslöste. „Ja, ich versteh' schon. Du hast Angst, die Nacht könnte zu kurz sein, weil wir hier nicht in Hamburg sind. Aber Luca, du bist doch hier, weil wir uns lieb haben wollen. Wir wollen glücklich miteinander sein und nicht mal kurz ficken. Wenn du das so willst, dann musst du wieder nach Hause fahren, aber ich weiß, dass du etwas anderes möchtest.“ sagte Barbara. Wie gut, dass sie es wusste. In dem Moment verdeutlichte sich mir schlagartig die Liebe mit meiner Frau. Barbara und ich waren eng zusammengerückt, so dass wir uns immer mühelos küssen, fühlen und streicheln konnten. Wie zwei Engelchen saßen wir uns Zärtlichkeiten austauschend gegenüber, obwohl wir ja beide schon über Dreißig waren. Ich bemerkte eine Spannung, die freudig ist und sich wie Kribbeln im Bauch anfühlt. Ich weiß es von mir selbst nicht mehr, aber vielleicht empfinden Kinder so, wenn sie auf's Christkind warteten, nur ich wartete ja nirgendwo drauf. Oder vielleicht doch? Immer auf unseren nächsten gemeinsamen Moment? Ich konnte Barbara immer nur anschauen und es vermittelte mir ein Empfinden von Wärme und Sonne. Vielleicht war sie doch meine Madonna. „Was hast du?“ fragte sie mich anlächelnd. „Barbara, du bist wunder, wunderschön.“ sagte ich. Barbara lachte auf: „Oh, Luca, Luca, Luca. In welchen Regionen schwebst du?“ „Ja, ich brauche dich nur anzuschauen, und ich fühle mich prächtig.“ antwortete ich. „Kann es sein, mein Liebster, dass dein Herz ganz warm vor Liebe ist? Wenn du ganz viel Wonne spürst, dann ist da immer Liebe mit im Spiel.“ meinte Barbara. Wir bereiteten uns gegenseitig noch ganz viel Wonne. Ob Barbara und Luca sich immer nur gegenseitig Wonne bereiteten, weiß die Geschichte.

 

Barbara Zu tief in meiner Seele - Inhalt

Barbara Zu tief in meiner Seele 4

Frauenbild 4

Barbara 4

Luka,ich mag dich 6

Übernacht 6

Wiederholungsfest 8

Ich mach das nicht mehr mit 8

Toi qui t en vas 9

Destruiertes Leben 10

 

 

Barbara Zu tief in meiner Seele - Frauenbild

 

Beschreibst du eine Frau, erwartet der Zuhörer immer, dass du auf jeden Fall etwas über ihr Aussehen sagst, und letztendlich erwartet der Hörer in der Re­gel auch Aussagen, die Rückschlüsse auf ihre (erotische) Attraktivität zulassen. Man bringt etwas vor, zum Beispiel, dass Frauen ja selbst gesteigerten Wert auf ihr Erscheinungsbild legen würden und der gleichen, aber die Basis ist und bleib, dass Frauen im Patriarchat primär als Sexualobjekt gesehen werden. Ich müsste mir bei Barbara dazu auch etwas zusammen faseln, trotzdem fallen mir derartige Beschreibungen bei ihr gar nicht ein. Gelbliche Haare mit einem ins Rötliche gehenden Schimmer hat sie. Natürlich ist es so, aber was hat das zu bedeuten, was hat das mit Barbara zu tun. Eigentlich hätte ich alles genau wis­sen müssen, ich kannte ja jede Pore ihrer Haut. Ein realistisches Bild müsste ich von ihr malen können, aber was sagt das über Barbara. Natürlich hatte ich Bilder von ihr im Gedächtnis, wie ihr von den Zotteln meiner Lammfelljacke umkränztes Gesicht mit vor Kälte roten Wangen in die Wintersonne lacht, wie wir uns zum ersten mal in Hemd und Höschen gegenübersitzend angrinsen, als ob wir beide nicht wüssten, wie's weiter ginge und tausend andere mehr. Aber was sagen die Bilder, wenn ich sie dir beschreibe oder als Foto zeigen könnte über Barbara, wer sie für mich war und was meine Gefühle mich empfinden ließen.

 

Es gibt auch andere Beschreibungen von Frauen, wenn es zum Beispiel um fachliche Qualifikationen geht. Bei der Frau, die in der Geschichte am häufigs­ten beschrieben worden ist, geht es aber weder um fachliche Qualifikationen noch um weibliche Attraktivität, aber um alle anderen wundervollen Eigen­schaften, die Menschen einer Frau und Mutter zuschreiben können. In stahle­numkränzten Glorienschein wird sie dargestellt, ist milde und gütig, schenkt je­dem Trost und hilft allen. Die Madonna ist ein von Menschenwünschen geschaf­fenes Idealbild einer Frau, die keiner gekannt und real beschrieben hat. Soll ich dir Barbara auch als meine Madonna beschreiben? Das Bild, das ich von ihr hatte, war ja mit meinen Farben gemalt, entstammte ja meinem Repertoire, versprach meinen, wenn auch unbewussten Bedürfnissen zu entsprechen. Lieb­te ich also gar nicht Barbara, sondern mein eigenes Bild, das ich von ihr hatte und verehrte? Abgesehen davon, dass sie nicht meine unfehlbare angebetete Göttin war, gab es auch kein starres Bild, keine Ikone bei mir, die ich hätte ver­ehren können. Ich bat sie nicht um ihre Huld, sondern setzte mich mit ihr aus­einander, wir tauschten uns aus, ich kommunizierte mit ihr.

 

Barbara


Wir waren umgezogen. In der Nähe gab es einen Kinderladen und wir fragten, ob noch Platz für unsere beiden Kleinen vorhanden sei. Alles schrecklich nette Eltern, die ja auch mit uns auf ähnlicher Wellenlänge liegen mussten, wenn sie damals schon, als man es noch für revolutionär hielt, ihr Kind in einen Kinder­laden schickten. Trotzdem ist es so, dass du beim ersten Kontakt die neuen Be­kannten unbewusst und unwillkürlich in mehr oder weniger sympathisch, dir nahestehend kate­gorisierst. Nichts ist dir bewusst, alle sind sie nett, aber dein Verhalten orien­tiert sich an deinen Kategorisierungen. Zu Barbara bekamen wir schnell nähe­ren Kontakt. Sie kam häufig nach dem Kinderladen zu uns und wir unternah­men etwas mit den Kindern. In der Regel war ich es, der mit Barbara und den Kindern raus ging, da ich noch studierte und meine Frau berufstätig war. Wahr­scheinlich wurden wir mitleidig betrachtet: „So ein junges Paar und schon vier Kinder.“ Mir gefiel es sehr und ich merkte, wie ich schon darauf wartete, dass Barbara kam. Auch wenn ich in den Kinderladen kam und hörte Barbaras Stim­me, ging bei mir die Sonne an. Sie hatte eine Altstimme, die ein ganz klein we­nig angeraut war, aber auch ihre Sprachmelodie klang wie Gesang in meinen Ohren. Mir gefiel es nicht, wie Ernst Bush die Hanna Cash sang. Man hörte zu sehr den Klassenkampfsänger durch. Barbara hätte sie meiner Ansicht nach ideal singen können. Ihr Stimme klang, als ob sie vom Absinth auch selbst schon ein Gläschen getrunken hätte, aber herb und hart war sie keineswegs. Herb und hart konnte sie auch gar nicht sein. Ich liebe Avocados, die weiche fast cremige Frucht und den äußerst milden Geschmack, den ich original spü­ren möchte und nicht durch Salz und Pfeffer verderbe. Eine Metapher für das Bild, das sich mir von Barbaras Psyche vermittelte. Sie konnte nicht ärgerlich und böse werden, wenn sie meinte, es tun zu müssen, war es immer Schau­spiel. Man würde sagen, Kinder merkten so etwas und würden es nicht ernst nehmen. Mit Sicherheit merkten ihre beiden es auch, nur sie reagierten, als ob sie es verstünden, wie Mami meinte, sich anstrengen zu müssen und waren besonders entgegenkommend. Bei Barbara hatte ich immer das Empfinden, dass sie sich ein wenig oberhalb der alltäglichen Realität bewegte. Nicht faktisch, sie war schon den Tatsachen verhaftet, aber ihre Aura schien sich in höheren, freundlicheren Regionen zu entwickeln. Ihre Sprache umspielte immer der Anflug eines Lächelns, be­sonders ihr „weist du?“, das bestimmt jeden zweiten Satz beschloss. Wie das „Gell“ oder „Woll“ oder „Nicht wahr“ benutzte sie es als Bestätigung suchenden Partikel, auf den sie natürlich keine Reaktion erwartete. Permanenter Partikel­gebrauch wirkt in der Regel störend und nervt Gesprächspartner, die nicht aus dem gleichen Sprachraum kommen. Aber das „Weiß du?“ war nur Barbaras ei­genem Sprachraum zuzuordnen. Ich hätte am liebsten jedes mal darauf geant­wortet und konnte es wegen der ganzen Komposition, in der sie es vorbrachte, gar nicht oft genug hören. Häufig war es von einem Lächeln begleitet und ich hätte sie am liebsten für jedes „Weißt du?“ geküsst. Barbara merkte wahrscheinlich an mei­ner Mimik, dass mich etwas bewegte, und dann konnten wir einfach so lachen. Keiner wusste warum. Nur wenn wir über etwas sehr Ernstes, zum Beispiel Wissenschaftliches redeten, kam kein „Weißt du?“ vor. Ebenso bei der Liebe nicht. In zärtlichen Gesprächen hatte das „Weißt du?“ nichts zu suchen.


Als es im Winter sehr kalt war, und Barbaras Jacke nicht genug Schutz zu bie­ten schien, bot ich ihr meine grobe Lammfelljacke mit langen Zottelhaaren an Kragen und Armstulpen aus Israel an. Die braunweiß gemusterten Haare über der weißen Jacke umrahmten ihren Hals wie gemalt zur Farbe von Gesicht und Haaren. Jetzt wirkte sie tatsächlich wie die Sonne und sie lachte bestimmt so häufig wie diese. Barbara war nicht immer lustig, aber wenn wir gemeinsam draußen waren, schien sie glücklich. Die Lammfelljacke war ein wenig auffällig. Barbara liebte sie und trug sie immer. Unsere Unterhaltungen waren nur selten noch völlig ernsthaft. Wir lachten viel und suchten Anlässe dazu.


Luca,ich mag dich


Als wir wieder mal im Zoo waren und nebeneinander auf einer Bank saßen, sagte Barbara plötzlich: „Luca,“ sie nannte mich immer nur Luca und ließ das „S“ am Ende weg, „Luca,ich mag dich sehr, sehr gern.“ In meiner Überra­schung fiel mir nichts Gescheiteres ein als zu fragen: „Und warum?“, obwohl ich ihr doch eigentlich hätte um den Hals fallen müssen. Barbara lachte auf. „Oh, Luca, das weiß man doch nicht. Ich könnte jetzt etwas Nettes von dir aufzählen, aber das macht es ja nicht. Sag mir doch, wie du es findest.“ reagierte Barbara. Wir blickten uns nur an. Unsere Gesichter verzogen sich zu einem Grinsen bevor wir uns um den Hals fielen. Umarmt hatten wir uns oft, das war freundschaft­lich, aber jetzt mussten wir uns natürlich küssen. Dass wir uns sehr mochten, hatte sich ja nicht dadurch ergeben, dass Barbara es gesagt hatte. Es war lan­ge in all unserem Verhalten unserer Kommunikation praktisch evident. Ver­leugnen hätte man es gar nicht können, und das brauchte man auch nicht. Wenn ich meine Frau liebte und Barbara auch mochte, durfte das nichts Beson­deres sein. Mit Polyamourie oder dergleichen hatte das nichts zu tun. Liebe hatte keinen Ausschließlichkeitsanspruch, Eifersucht war ein Produkt bürgerli­chen Besitzdenkens. Nette Sprüche, nur in der Realität hat's so gut wie nie funktioniert, da kam es in der Regel immer zu Streit und letztendlich zu Trennungen. Dass Barbara und ich uns auch bei uns zu Hause küssten, galt als ganz normal. Sie akzeptierte ja auch, dass ich meine Frau küsste und mit ihr schlief.


Unsere Körperkontakte und Liebkosungen nahmen zu und wurden intensiver, zumal es ja auch wärmer geworden war, und wir keine dicken Wintersachen mehr trugen. Warum sich das aber ausschließlich draußen und nicht auf der Couch bei uns in der Wohnung ereignete, wurde nicht hinterfragt. „Wann kommst du denn mal zu mir?“ fragte Barbara. Ich war ja schon oft bei ihr ge­wesen, aber dass dies „Übernacht“ bedeutete, brauchte nicht erklärt zu wer­den. Selbstverständlich sagte ich meiner Frau, dass ich heute Nacht bei Barba­ra bliebe.


Übernacht


Barbara war nur mit einem Camisole-Hemdchen und einem Slip bekleidet. „Dann braucht man nicht so viel auszuziehen, weißt du?“ meinte sie scherzend, „Nein ich laufe oft so rum. Hier bei mir im Arbeitszimmer ist es immer sehr warm.“ Ihr Arbeitszimmer war gleichzeitig ihr Schlafzimmer und nicht weit vom Schreibtisch entfernt befand sich ihr Bett, ein Futon auf dem Boden. Ich er­schrak leicht, weil ich ein Futon bei einem Bekannten erlebt hatte, und die Ma­tratze kaum dicker und weicher als eine Wolldecke war. „Werden wir morgen früh das Nirwana erreicht haben?“ fragte ich scherzhaft. Barbara schaute mich ahnungslos fragend an. „Liebe auf dem Futon. Ist man da nicht am nächsten Morgen übersät mit blauen Flecken?“ konkretisierte ich es. Mit einem „Kannst du gleich haben.“ warf sie mich einfach um, wodurch sich weitere Nachfragen erübrigten, und ich gelernt hatte, das es auch weiche, nicht für Asketen gedachte Futons gab. Als ich mich auch bis auf Hemd und Slip ausgezogen hatte, saßen wir uns im Schneidersitz gegenüber auf dem Bett und smilten bis Barbara etwas zu sagen begann: „Also ich fang mal an. Lieber Luca, es ist sehr schön, dass du es ermöglichen konntest, ...“ Weiter kam sie nicht, weil wir uns lachend um den Hals fielen. „Wollen wir denn die ganze Nacht jetzt weiter Quatsch machen?“ erkundigte ich mich vorsichtshalber, was wieder eine Lachsalve auslöste. „Ja, ich versteh' schon. Du hast Angst, die Nacht könnte zu kurz sein, weil wir hier nicht in Hamburg sind. Aber Luca, du bist doch hier, weil wir uns lieb haben wollen. Wir wollen glücklich miteinander sein und nicht mal kurz ficken. Wenn du das so willst, dann musst du wieder nach Hause fahren, aber ich weiß, das du etwas anderes möchtest.“ sagte Barbara. Wie gut, das sie es wusste. In dem Moment wurde mir schlagartig klar, wie sich Liebe zwischen meiner Frau und mir abspielte. Mit Liebe hatte das nicht viel zu tun, wir waren eher ein eingespieltes Team zur Befriedigung des Geschlechstriebes auf Gegenseitigkeit geworden. Das war auch mal ganz anders gewesen, nur da dachte ich gar nicht mehr dran. Barbara und ich waren eng zusammengerückt, so dass wir uns immer mühelos küssen, fühlen und streicheln konnten. Wie zwei Engelchen saßen wir uns Zärtlichkeiten austauschend gegenüber, obwohl wir ja beide schon über Dreißig waren. Ich bemerkte eine Spannung, die freudig ist und sich wie Kribbeln im Bauch anfühlt. Ich weiß es von mir selbst nicht mehr, aber vielleicht empfinden Kinder so, wenn sie auf's Christkind warteten, nur ich wartete ja nirgendwo drauf. Oder vielleicht doch? Immer auf unseren nächsten gemeinsamen Moment? Ich konnte Barbara immer nur anschauen und es vermittelte mir ein Empfinden von Wärme und Sonne. Vielleicht war sie doch meine Madonna. „Was hast du?“ fragte sie mich anlächelnd. „Barbara, du bist wunder, wunderschön.“ sagte ich. Barbara lachte auf: „Oh, Luca, Luca, Luca. In welchen Regionen schwebst du?“ „Ja, ich brauche dich nur anzuschauen, und ich fühle mich prächtig“ antwortete ich. „Kann es sein, mein Liebster, das dein Herz ganz warm vor Liebe ist? Wenn du ganz viel Wonne spürst, dann ist da immer Liebe mit im Spiel.“ meinte Barbara. Wir bereiteten uns gegenseitig noch ganz viel Wonne. Zum Sex kam es erst, als die Spannung durch das Hinauszögern nicht mehr erträglich war und gegenseitige Berührungen jetzt erregend wirken mussten. Beim zweiten mal verlief es ganz anders, weil unsere Körper seit der ersten Liebe fast aneinander klebten. „Heute Abend kommst du wieder, mein Liebster?“ fragte Barbara mit betont ernster Mine am nächsten Morgen. Ich wäre gern. Liebe so erfüllend und glücklich machend erlebt zu haben, daran konnte ich mich nicht erinnern, weil ich es auch wohl noch nie erfahren hatte. Neue Bilder von Barbara hatten sich hinzugefügt oder die alten waren mit zusätzlichen Farben versehen worden. Man sagt ja immer, dass Menschen über Energien verfügen, manche über heilende, andere über positiv oder negative, die sie ausstrahlen, demnach musste Barbara persönlich ein Energieproduzent sein. Ich hatte ihr öfter gesagt, sie sähe wie eine Sonne aus, jetzt wusste ich, dass sie es war. Barbara war eine Sonne, und diese Sonne wünschte für mich zu scheinen.


Wiederholungsfest


Dadurch, dass wir die Nacht zusammen verbracht hatten, schien es neue Ver­haltensusancen in unserer Liebe zu geben. Das ich zärtlich umarmt wurde, wenn wir uns begegneten, war längst nicht mehr gesichert. Barbaras Arm konnte, statt sich um meinen Hals zu legen, sich auch mit einer Faust auf mei­ne Magengegend zubewegen. Da bedurfte es nicht selten intensiven Nachden­kens, ob ich nun ihr Liebster oder doch eher ein Blutsbruder in ihrer Gang war. Unsere Liebe platzte vor Glück und besonders Barbara suchte immer wieder nach Ausdrucksformen ihres Übermuts. Warum ich nicht abwechsend zu Hause und bei Barbara schlief, oder doch wenigstens einmal in der Woche eine Nacht mit ihr verbrachte, wurde nicht gefragt und nicht beantwortet, obwohl es doch ganz selbstverständlich hätte sein müssen. Nur die eigene Verlogenheit ließ man sich damals nicht bewusst werden. „Es ist jetzt schon zwei Monate her, warum lässt du dich denn von mir drängeln?“ erkundigte sich Barbara nach un­serer nächsten gemeinsamen Nacht. Jetzt verlief alles ganz anders. „Ich hatte dich in Slip und Hemdchen erwartet und du empfängst mich im Abendkleid. Was ist los?“ fragte ich. „Einfach etwas Gewohntes rituell zu kopieren, das ist doch abgeschmackt. Da kann doch keine Liebe draus werden.“ antwortete Bar­bara. „Und was hast du geplant?“ erkundigte ich mich. „Liebe kann man nicht planen.“ lautete Barbaras Antwort, „Liebe ist ein prozessuales Geschehen, das sich im Akt des Liebens selbst entwickelt.“ „Das ist eine Tautologie, meine Süße. Aber außerhalb des prozessualen Geschehens hast du etwas gekocht, wie ich rieche.“ reagierte ich. „Das hat nicht außerhalb des prozessualen Ge­schehens stattgefunden, das war der Prozess, der Kern des Prozesses an sich.“ korrigierte mich Barbara. Nein, es wurde nicht verraten, ich bekam das Essen erst am Tisch zu sehen. Es gab Rouladen. Ich hatte mal davon erzählt, wie gut sie mir bei meiner Mutter geschmeckt hätten. Die Emphase, mit der ich berich­tet hatte, brachte Barbara auf die Idee, sie auch mal für mich zu kochen. Dass sie mir alles was ich vom Rezept, den Zutaten und der Zubereitung aus der Nase gezogen hatte, war mir gar nicht aufgefallen. Dazu gab es noch meinen Lieblingswein. „Habe ich Geburtstag heute?“ fragte ich erstaunt. „Na, ein gan­zes Jahr hat es ja nicht gedauert, aber beim Geburtstag feiert man doch auch immer eine Wiederholung.“ erklärte es Barbara. Wir saßen noch lange am Tisch und hatten uns so gut ernährt, dass wir für die neckischen Spielchen im Bett viel zu faul waren und uns sofort hinlegten. All zu volle Bäuche sind nicht geeignet, die Leichtigkeit des Liebesspiels zu beflügeln. Ebenso kann zuviel Akohol vielleicht das Bedürfnis zu Lachen steigern, aber der amourösen Fein­fühligkeit ist er eher abräglich. Trotz allem war es ein wunderschöner Abend und eine liebevolle Nacht.


Ich mach das nicht mehr mit


Am übernächsten Abend, nachdem ich die Nacht bei Barbara war, erklärte mei­ne Frau: „Ich mach das nicht mehr länger mit. Ich halte das nicht länger aus. Ich kann das so nicht ertragen. Die ganze Nacht tu ich kein Auge zu, wenn du bei Barbara bist. So geht das nicht. Ich kann das nicht. Meine Empfindungen kann ich mir nicht verbieten, gleichgültig wie du es bewertest. Ich will das so nicht mehr. Ich habe dir nicht empfohlen, dich mit Barbara zu befreunden, aber wenn sie dir inzwischen wichtiger sein sollte als die Kinder und ich, werde ich dich nicht zurückhalten können, nur beides mache ich nicht mehr mit. Das macht mich verrückt und bringt mich um. Du wirst dich entscheiden müssen zwischen ihr und deiner Familie, und zwar nicht in einem Jahr oder einem halben, sondern direkt.“ Ich war sprachlos. Konnte gar nicht darauf antworten, stand einfach auf und ging in mein Arbeitszimmer. Das war doch Erpressung. Dass ich auf die Kinder nicht verzichten würde, stand doch fest. Sie hätte einfach sagen können, mir passt es nicht, dass du mit Barbara zusammen bist, nur da wusste sie, dass so etwas konsequenzenlos blieb. Ich saß einfach dumm am Schreibtisch, starrte auf das Bücherregal und ließ das Wasser in meinen Augen steigen. Sie ließ mir gar keine Wahl, brach mir das Herz, so oder so. Ohne die Kinder oder ohne Barbara es war beides gleich schwer zu ertragen. Ich konnte nicht die Kinder für Barbara verlassen. Ich war ja ihr Vater und ich liebte sie nicht nur, ich hatte gegenüber ihnen auch Verantwortung. Viel brauchte ich nicht zu überlegen, meine Frau ließ mir im Grunde keine Wahl. Ich sah es so, dass ich keine andere Möglichkeit hatte, als meine Beziehung zu Barbara aufzugeben.


Toi qui t en vas


Wir vereinbarten uns Dienstagabend zu treffen. Nein nicht bei ihr oder bei mir sondern in einer Gaststätte. Ein äußert ungewöhnliches Szenario für uns beide. Im Hintergrund lief scheinbar in einer Schleife Nana Mouskouris „Toi qui t en vas“. Das passte ja gut. Als ich aufstehen wollte, um einen der Beschäftigen zu bitten, es abzustellen oder zu ändern, kam Bar­bara herein. „Was gibt es für einen Anlass, dass wir so etwas machen?“ erkun­digte sie sich sofort. Ich druckste rum. „Sag was los ist!“ forderte sie mich auf. „Ja also, meine Frau ist ziemlich ausgerastet. Sie erträgt das nicht mehr.“ konnte ich noch sagen bis Barbara mich unterbrach und es fortführte: „Und da hat sie dich vor die Alternative gestellt: Die oder ich, und da hast du dich für sie entschieden. Das wolltest du mir doch sagen, oder?“ schon im Aufstehen begriffen fuhr sie fort, „Das ist so schade, ich dachte, du wärst ganz anders ge­wesen. Aber ich kann und will auch jetzt nicht mehr darüber sagen.“ Ich be­kam keinen Kuss. Sie strich mir nur übers Haar, sagte „By“ und war ver­schwunden. Ich versuchte ganz ruhig und moderat zu atmen, um meine sich zusammenschnürende Kehle zu beruhigen, aber dann musste ich doch erst mal zur Toilette. Ich wäre ganz anders gewesen, hätte sie gedacht, hatte Barbara gesagt. Wie denn anders, ich hatte doch gar keine Wahl? Heulen, und Grübeln und Wut auf meine Frau, wechselten sich ab. Ich entwickelte richtigen Hass auf sie. Die Kinder hatte sie ausgenutzt, um sich ihrer Nebenbuhlerin zu entledi­gen. Dass sie allein keine Chance gehabt hätte, war ihr sicher klar. Vorgeblich liebte sie mich ja, aber was es für mich bedeuten würde, Barbara nicht mehr lieben zu dürfen, schien sie kein bisschen zu interessieren. Barbara nicht mehr lieben zu dürfen, wer wollte oder konnte mir das denn verbieten. Das konnte ich doch selbst nicht einmal. Das hatte ich aber getan. Hatte ihr gesagt es ist vorbei zwischen uns. Wenn ich ihr gesagt hätte: „Meine Frau will nicht mehr, das wir uns lieben, also liebe ich dich nicht mehr.“ Wäre mir der Unsinn meines Handelns natürlich offensichtlich gewesen. Nur hatte ich im Grunde genau das getan und nichts bemerkt. Was sollte der Unfug, die Liebe zu Barbara per Be­schluss zu beenden. Warum hatte ich meiner Frau nicht gesagt, es sei krank, was sie da rede. Sie fordere, dass ich Liebe rational beende. Warum hatte ich ihr nicht klar gemacht, welche hinterlistige Erpressung sie betreibe. Ob da die Kinder bei ihr blieben, sei noch lange nicht geklärt. Sie könne ja verschwinden, wenn ihr irgendetwas nicht passe. Mehr noch als meine Frau hasste ich mich selbst für meine Idiotie. War ich geschockt gewesen von ihren plötzlichen Erklärungen? Warum hatte ich das alles nicht sofort oder zumindest doch am folgenden Tag erkennen können.


Destruiertes Leben

 

Ich wollte mit Barbara sprechen, aber sie nicht mit mir. Ich traf sie ja öfter im Kinderladen. Über andere Angelegenheiten konnten wir reden, aber darüber nicht. Ich versuchte öfter zu betteln, einmal standen mir dabei sogar die Trä­nen in den Augen. „Bitte, lass es endlich, Luca,“ sagte sie, „du nervst mich. Ich will es nicht mehr hören. Du hast unsere Beziehung beendet, du wolltest es so. Das ist geschehen und lässt sich nicht rückgängig machen. Es kann nie wieder so werden wie vorher.“ Wie hatte ich so etwas Idiotisches nur tun können? Richtig, genauso ein Idiot wie alle andern auch war ich gewesen. Jetzt hatte ich ein völlig destruiertes Leben. Das mein Leben nicht ein Leben war, in dem un­ter anderem Barbara vorkam, sondern wie sehr mein Leben mit Barbara ver­woben war, merkte ich erst jetzt. Früher hatte ich darauf gewartet, dass meine Frau nach Hause kam, jetzt war ich froh um jede Minute, die sie später kam. Manchmal war es so schlimm, dass ich es nicht ertragen konnte, sie zu sehen. Ich war unhöflich und oft boshaft ihr gegenüber und mit ihr schlafen konnte ich sowieso nicht mehr. Ich war sicher, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis wir uns trennen würden, aber sie beschwerte sich nie. Im Nachhinein erscheint es mir, als ob sie meine Verärgerung einkalkuliert und gewusst hätte, dass sich der Hass und die Wut nicht lange aufrecht erhalten würden.

 

Ich hatte meine Frau gehasst. Das hatte sich gelegt. Wir vertrugen uns wieder, nur lieben würde ich sie nie mehr können. Ihr Bild hatte einen Schatten, der nicht fortzuwischen war, und der verhinderte, das es leuchten konnte. Barbaras Bild hatte sich nicht verändert, sie war und ist meine Liebe geblieben, auch wenn ich sie selbst für beendet erklärt hatte, und Barbara selbst im Laufe der Jahre aus den Augen verloren hatte. Einmal hatte ich sie auf der Straße getrof­fen. Sie hielt an und stieg vom Rad. Anscheinend wussten wir nicht, was wir sagen sollten. „Na, wie geht’s?“ fragte sie. „Ach ganz gut, und dir?“ fragte ich zurück. Dann sprachen noch zwei, drei völlig belanglose Sätze, sie stieg wieder aufs Rad und fuhr weiter. Das war meine geliebte Barbara. Welch perverse Si­tuation, fragen uns, wie's denn so geht. Warum tun wir so etwas? Waren da immer noch offene Wunden, vor deren Berührung man sich hüten musste. Ich suchte nach ihrer Telefonnummer und rief sie an. Ja, sie hatte die Situation un­seres Treffens auch als sehr kurios und unbefriedigend empfunden. „Nein, Luca, über unsere Beziehung kann und will ich nicht reden, das wühlt alles wie­der auf, und das möchte ich nicht. Du hast mir damals zu weh getan. Ich hatte dich zu tief in meine Seele gelassen.“ sagte sie. Ich wollte erklären, aber sie stoppte mich: „Es ist sehr schön, dass du angerufen hast, aber was wir ge­meinsam hatten ist lange, lange beendet und so soll es auch bleiben. Vergiss das bitte nicht.“ Zu tief in meiner Seele, und da war ich ein anderer gewesen. Luca, der zu ihr gehörte, und von dem sie sicher war, dass er, dass er mit unserer Liebe so niemals umgehen könne. Ich hatte nicht nur unsere Liebe, sondern auch Barbaras Vertrauen zutiefst zerstört. Natürlich musste ich akzeptieren, was sie sagte, aber glauben konnte ich es nicht. Erfahrene Liebe aus dem Herzen auslöschen? Ich konnte es nicht. Dass Barbara es konnte, glaubte ich nicht, auch wenn sie erfahren hatte, dass mir unsere Liebe offensichtlich nicht viel bedeutete.

 

FIN

 

Ich fand so viel Charakter in allem, was sie sagte, ich sah mit jedem Wort neue Reize, neue Strahlen des Geistes aus ihren Gesichtszügen hervorbrechen, die sich nach und nach vergnügt zu entfalten schienen, weil sie an mir fühlte, daß ich sie verstand.

Johann Wolfgang von Goethe
Die Leiden des jungen Werther

Als ich mich auch bis auf Hemd und Slip ausgezogen hatte, saßen wir uns im Schneidersitz gegenüber auf dem Bett und smilten, bis Barbara etwas zu sagen begann: „Also ich fang mal an. Lieber Luca, es ist sehr schön, dass du es ermöglichen konntest, ...“ Weiter kam sie nicht, weil wir uns lachend um den Hals fielen. „Wollen wir denn die ganze Nacht jetzt weiter Quatsch machen?“ erkundigte ich mich vorsichtshalber, was wieder eine Lachsalve auslöste. „Ja, ich versteh' schon. Du hast Angst, die Nacht könnte zu kurz sein, weil wir hier nicht in Hamburg sind. Aber Luca, du bist doch hier, weil wir uns lieb haben wollen. Wir wollen glücklich miteinander sein und nicht mal kurz ficken. Wenn du das so willst, dann musst du wieder nach Hause fahren, aber ich weiß, dass du etwas anderes möchtest.“ sagte Barbara. Wie gut, das sie es wusste. In dem Moment verdeutlichte sich mir schlagartig die Liebe mit meiner Frau. Barbara und ich waren eng zusammengerückt, so dass wir uns immer mühelos küssen, fühlen und streicheln konnten. Wie zwei Engelchen saßen wir uns Zärtlichkeiten austauschend gegenüber, obwohl wir ja beide schon über Dreißig waren. Ich bemerkte eine Spannung, die freudig ist und sich wie Kribbeln im Bauch anfühlt. Ich weiß es von mir selbst nicht mehr, aber vielleicht empfinden Kinder so, wenn sie auf's Christkind warteten, nur ich wartete ja nirgendwo drauf. Oder vielleicht doch? Immer auf unseren nächsten gemeinsamen Moment? Ich konnte Barbara immer nur anschauen und es vermittelte mir ein Empfinden von Wärme und Sonne. Vielleicht war sie doch meine Madonna. „Was hast du?“ fragte sie mich anlächelnd. „Barbara, du bist wunder, wunderschön.“ sagte ich. Barbara lachte auf: „Oh, Luca, Luca, Luca. In welchen Regionen schwebst du?“ „Ja, ich brauche dich nur anzuschauen, und ich fühle mich prächtig.“ antwortete ich. „Kann es sein, mein Liebster, dass dein Herz ganz warm vor Liebe ist? Wenn du ganz viel Wonne spürst, dann ist da immer Liebe mit im Spiel.“ meinte Barbara. Wir bereiteten uns gegenseitig noch ganz viel Wonne. Ob Barbara und Luca sich immer nur gegenseitig Wonne bereiteten, weiß die Geschichte.

 

Barbara Zu tief in meiner Seele – Seite 11 von 11

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.04.2013

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