Carmen Sevilla
Leo ohne Liebe
Botschaft des warmen Abendwinds
Erzählung
Les mains froides sont le symptôme d’un cœur chaude aimant, en proie à une passion.
Brigitta sollte Leo bewegen, wieder zu Ines, ihrer Freundin, zurückzukommen.
Zum Abendbrot war sie noch bei Leo geblieben. Brigitta trank auch Wein
und meinte, dann müsse sie eben mit dem Taxi nach Haus fahren. Wir lachten
viel und Brigitta blieb auch nach dem Abendbrot. „Jetzt ist sowieso alles zu
spät.“ meinte sie und bat mich, doch Musik aufzulegen. „Etwas Sanfteres,
etwas Getrageneres, dabei kann man sich doch nicht unterhalten.“ kritisierte
Brigitta meine Musikauswahl. Plötzlich bekam ich von ihr einen Kuss.
Schelmisch lächelnd meinte sie: „Ich mag dich auch, Leo.“ und küsste mich
nochmal. Jetzt war es allerdings nicht mehr oberflächlich, sondern sie küsste
mich intensiv mit der Zunge. Ich ließ alles geschehen und machte mit.
Gedanken an irgendwelche Folgen oder Konsequenzen kamen mir in dem
Moment nicht. Ich mochte Brigitta und es war schön mich mit ihr zu küssen,
c'est tout. Mehr war es nicht. Als wir uns gelöst hatten, schauten wir uns an
und smilten, als ob wir ein wenig überrascht und stolz wären. Stolz worauf?
Auf unseren Wagemut, auf unser kühnes verbotenes Unterfangen?
„Nochmal?“ fragte Brigitta, was weniger eine Frage
als eine Bekundung ihrer Lust dazu war.
Leo ohne Liebe – Inhalt
Leo ohne Liebe 4
Wärme 4
Streit 4
Wärme fehlt 5
Back to Ines? 6
Rons Besuch 8
Enttäuschung für Ines 9
Leos Beruf 10
Leos Werte 11
Brigittas Besuch 12
Bleib doch zum Abendbrot 12
Rätsel der Nacht 13
Soll ich hier bleiben? 14
Letzte Nacht im Paradis 16
Kontaktpläne 17
Regeltreffen 17
Freundin oder Sexpartnerin 18
Ich kann nicht. 19
Leo will's beenden 20
Ines und Brigittas Beziehung 21
Brigitta stark und abhängig 21
Freiheitsberaubung 22
Kleine Sklavin 22
Brigitta schweigt 23
Aufklärung 23
Leo, mein Freund 25
Andere Sicht 26
Juwel Brigitta 27
Hilf ihr Leo 27
Tapfere Brigitta 28
Angst 29
Besuch bei Herrn Markert 30
Brigittas Einzug 31
Die Nacht ist kurz. 31
Freundeskreis 32
Zarter Abendwind 33
Leo und seine Frau Ines haben sich getrennt. Leo möchte zu Ines zurück aber sie will nicht. Später möchte Ines zu Leo zurück, aber jetzt will Leo nicht mehr.
Du liebst es, frei zu sein. Möglichst wenig Einschränkungen beachten zu müssen, dich frei bewegen zu können. Ungezwungen frei zu sein, dich leicht, locker und beschwingt zu fühlen. Eine wesentliche Bedingung für Glücksempfindungen. Die warmen Tage im Sommer stehen wie eine Metapher für dieses Empfinden. Dass du ungezwungen in leichter Bekleidung bis spät abends draußen sitzen kannst, gefällt dir und gibt dir eine freudig, gelassene Grundstimmung. Du kannst dich frei bewegen, es ist angenehm. Manchmal kommen einige dieser schönen Tage sogar noch im Oktober vor, doch im November ist es endgültig vorbei. Dann ziehst du dich zurück in geschlossene, geheizte Raume, weil du die Wärme suchst. Sie ist dir das Wichtigste. Im Sommer gab es sie auch draußen und überall, aber jetzt musst du sie suchen. Sie kommt nicht zu dir, aber du brauchst sie. Sie bildet die Grundlage dafür, dass es angenehm sein kann, und du dich wohlfühlst. Das Antinom bildet die Kälte, unbequem bis schmerzhaft wird sie empfunden und löst nur unangenehme Emotionen aus. Kälte kann hart, unerbittlich und grausam sein, während Wärme sich sanft, versöhnend und milde gibt. Die Empfindungen für diese undifferenzierten Temperaturbezeichnungen und ihre Benennungen verwenden wir auch im übertragenen Sinne. Jemand kann eine warme Stimme haben, oder das Klima einer Gesellschaft ist dominiert von sozialer Kälte.
Gerade in Beziehungen von Personen untereinander spielt die menschliche Wärme eine entscheidende Rolle. Eine Liebe zwischen Mann und Frau kann es bei kühlem oder gar kaltem Verhältnis zueinander nicht geben. Liebe ist Wärme. Sie sorgt dafür, dass den beiden Partnern beim Gedanken an den anderen warm ums Herz wird. Wir bevorzugen die Wärme nicht nur in geschützten Räumen während der Wintermonate, wir lieben sie auch untereinander in unserem Sozialverhalten. Als Baby haben wir sie schon erfahren. Es war nicht nur die Geborgenheit, die uns der Schutz der mütterlichen Arme gewährte, es war auch der Kontakt mit der Wärme ihrer Haut, der uns wohlfühlen ließ. Das haben wir bis heute nicht vergessen, auch wenn es in unserem Bewusstsein nicht mehr vorhanden ist. Die warme Haut eines geliebten Menschen zu spüren, stellt immer noch ein sanftes, sinnlich warmes Erlebnis da, und ist für uns von besonderer Bedeutung.
Ich spüre, dass mir Wärme fehlt. Ich vermisse sie. Es muss sie doch wohl gegeben haben, denn jetzt ist es kühl. Niemand ist mehr da, der sie mir geben könnte. Wir haben uns getrennt, weil meine Frau und ich nicht sahen, dass uns unsere Beziehung noch irgendetwas Positives geben könnte. Über zwei Jahre lang haben wir uns ständig zunehmend gestritten. Warum? Jetzt weiß ich es erst recht nicht mehr. Die Anlässe waren in der Regel absolut banal. Meine Frau kauft anderes Waschpulver. Wieso das denn, das, was wir bislang hatten war doch gut. Das neue sei aber besser. Woher sie das denn wissen wolle, mir habe das bisherige völlig gereicht, weil damit alles sauber geworden sei. Was man denn da noch besser machen könne. Sie habe es von einer Freundin gehört. Ob denn jetzt ihre Freundin bestimme, was wir einzukaufen hätten. Diese Diskussion konnten wir zunehmend erregter werdend eine Stunde fortführen, bis jemand absolut genervt den Raum verließ. Oft wussten wir zum Schluss schon gar nicht mehr, worum sich der ganze Streit eigentlich gedreht hatte. Keiner wurde dabei ausfällig, grob oder laut, die Hauptsache war, dass man dem anderen widersprach. Zu Anfang hatten wir anschließend noch immer das Geschehen analysiert und uns versprochen, es nicht wieder dahin kommen zu lassen, aber es schien wie eine Sucht, die uns langsam immer stärker befiel. Was hätte mich früher interessiert, welches Waschpulver wir benutzten? Ich und meine Frau ebenso können auch zu Waschpulver überhaupt nichts sagen, haben nicht die geringste Ahnung davon, aber eine Stunde darüber streiten, das können wir. Über alles können wir streiten. Es braucht nur jemand etwas zu sagen, dem der andere widersprechen könnte. Ich war der Ansicht, dass es ein Ausdruck von Problemen in unserer Beziehung sei, die wir selber nicht direkt benennen konnten. Jedenfalls verschlechterte es unser Verhältnis rapide. Ich konnte es nur noch als stressig und belastend empfinden. Kontakten versuchte ich soweit wie möglich aus dem Weg zu gehen, weil sich aus allem ein Streit entwickeln konnte. Ich verstand mich ja hinterher meistens selber nicht mehr. Warum hatte ich mich auf so eine Belanglosigkeit eingelassen, und sie für so herausragend wichtig gehalten, mich hier zu behaupten? Es geschah etwas mit mir, dass ich aus rational übergeordneter Sicht nicht gewollt hätte. Es war fast zwanghaft, aber ich konnte es während eines Streits nicht erkennen und nicht ändern. Ich verhielt mich wie ein kleiner Junge, der sich gegenüber einem besserwisserischen Erwachsenen behaupten muss. Verhielt ich mich gegenüber meiner Frau vielleicht wie ein Besserwisser. Reizte mich etwas, ihr zu erklären, wie es sich tatsächlich verhielt. Brauchte ich das für mein Ego und konnte es nicht ertragen, wenn sie es nicht akzeptierte, sondern mir widersprach? Ich weiß es nicht, so sehen konnte ich mich jedenfalls nicht. Sehen konnte ich nur, dass es nach allen Versuchen keine Perspektive für eine Verbesserung mehr gab, und unsere Beziehung nur noch darin bestand, uns gegenseitig auf die Nerven zu gehen. Alle Erinnerungen an früher konnten keinen Einfluss darauf haben. Was half es jetzt, dass wir mal sehr verliebt gewesen waren und über viele Jahre glücklich zusammen gelebt hatten. Ich konnte dem wehmütig nachtrauern, aber die Situation jetzt beeinflusste es nicht. Es war nicht mehr früher und heute war es grässlich.
Jetzt bin ich allerdings der Ansicht, dass es außer den nervigen Streitereien doch noch etwas gegeben haben muss, das mir heute fehlt, und das ich vermisse. Es handelt sich nicht darum, dass ich mich einsam fühle, weil ich allein bin und niemanden hätte, mit dem ich reden könnte. Es geht nicht darum, dass irgendjemand da ist. Es ist etwas, das zwischen mir und meiner Frau bestand, immer bestanden hat trotz allen Streitens. Wir haben uns wegen unseren Streitens gegenseitig für unmöglich gehalten, aber gehasst haben wir uns nie. Wir müssen uns ja auch akzeptiert und für voll genommen haben, mit einem Fremden hätten wir uns nicht gestritten, allenfalls taktisch überlegt, wie wir mit unserer möglicherweise anderen Meinung umgehen. Lag in unserem Streiten vielleicht auch gegenseitige Akzeptanz und Anerkennung, obwohl es uns das Dringlichste zu sein schien, dem anderen zu widersprechen. Wir haben in der letzten Zeit nicht mehr miteinander geschlafen. Wenn wir uns vorher zwei- oder dreimal gestritten hatten, war bei mir jegliches Interesse an meiner Frau erloschen. Ich habe mich öfter gefragt, ob wir uns noch lieben würden oder unser Verhalten ein Zeichen dafür sei, dass es nicht mehr sein könne. Zu dieser Ansicht tendierte ich immer mehr, denn Anzeichen für eine andere Sicht der Lage konnte ich nicht erkennen. Wir waren zwei Menschen, die sich gegenseitig sehr gut kannten, eine lange gemeinsame Geschichte miteinander hatten, und für die der Partner zum Leben selbstverständlich dazugehörte. Das hatten wir auflösen wollen, weil wir uns gegenseitig das Leben unerträglich machten. In der Praxis hatten wir es durch unsere Trennung vollzogen, aber ich merkte, dass da noch mehr war. Etwas dass sich nicht einfach durch eine Entscheidung beenden lässt. Es schien in mir weiter zu leben, das Bedürfnis, von dieser Frau anerkannt und akzeptiert zu werden. Ich erkannte erst jetzt, was trotz allen Streitens immer fortbestanden hatte, eine Art von gegenseitiger Selbstverständlichkeit, einem emotionalen Verständnis untereinander. Das gibt es nicht mehr, und da wo es war, fehlt es mir, fehlt das Empfinden von Wärme, emotionaler Wärme, deren ich mir vorher nicht bewusst war, von der ich jetzt aber weiß, dass sie eine wichtige Grundlage bildet, um sich wohlfühlen zu können.
Ob meine Frau mir fehlte, ich wusste es nicht. Keinesfalls fehlten mir die Streitigkeiten, aber was die Grundlage unserer Beziehung gebildet hatte, vermisste ich sehr. So etwas konnte ich auch nicht von heute auf morgen in einer neuen Beziehung finden. Ich suchte es aber, dieses Empfinden von Wärme, Anerkennung und Vertrauen. Ob es nicht doch Wege geben könnte, mit meiner Frau ohne Streit zusammenzuleben? Mit einer Paartherapie hatten wir es schon mal versucht, sie aber nach wenigen Sitzungen abgebrochen, weil sie völlig ineffektiv war und wir sie nicht ernst nehmen konnten. Ich vertrat die Ansicht, wir sollten mal einen Psychotherapeuten aufsuchen, konnte mich damit aber nicht durchsetzen, sondern es wurde darüber gestritten. Vielleicht hatte meine Frau ja auch gemerkt, dass ihr etwas fehlte außer der Streiterei. Ich wollte noch ein wenig warten, vielleicht würde sie sich ja selber melden. Das tat sie aber nicht. Wir trafen uns öfter, um irgendetwas organisatorisches zu regeln oder auch einfach nur zu einer gemeinsamen Tasse Kaffee. Wir hatten uns ja nicht verfeindet, sondern waren in gegenseitigem Einvernehmen zu der Überzeugung gelangt, dass eine Trennung am sinnvollsten sei. Jetzt stritten wir uns nie mehr, wenn wir uns trafen, aber es schien ein unbenanntes Tabu in unseren Unterhaltungen zu geben: unsere Beziehung. Wir lebten seit etwa dreiviertel Jahren nicht mehr zusammen, und ich hatte vor, es mal anzusprechen, ob es keine Art und Weise für ein gemeinsames Leben ohne Streit gebe. Meine Frau war an diesem Tag außergewöhnlich gut aufgelegt, lachte und scherzte. Ich wollte wissen, ob es einen Grund für ihre gute Laune gebe. „Mir geht’s gut. Ich fühl mich wohl. Ich habe jemanden kennengelernt, der mich sehr mag und ich ihn auch.“ antwortete Ines, meine Frau. Gerade jetzt konfrontierte sie mich mit einer solchen Information. „Was schaust du, Leo, wir sind nicht mehr zusammen. Du wirst doch nicht eifersüchtig werden wollen.“ reagierte Ines auf mein wohl leicht erstauntes, erschrockenes oder enttäuschtes Gesicht und erklärte, „Ich bin nicht mehr die Jüngste und dann jemanden zu finden, der einem gefällt, kommt nicht ständig vor. Ich will nicht dauernd allein bleiben, und worauf soll ich da warten, wenn sich eine tolle Chance bietet, auf die nächste, die vielleicht nie kommen wird? Vor allem aber warum? Warum soll ich warten? Wir sind nicht mehr zusammen, gestern, heute und wir werden es morgen nicht sein. Ich muss ein neues Leben finden und das am besten so bald wie möglich.“ Meine Frau hatte für sich geklärt, dass ich in Zukunft vielleicht ein guter Bekannter sein werde, aber mehr nicht. Ihr schien nichts von dem zu fehlen, was ich als unsere Gemeinsamkeit trotz des Streitens empfunden hatte. Sie verspürte kein Bedürfnis danach, hatte nie etwas davon erwähnt. Ich hatte mich trotz unserer Trennung wohl immer noch mit ihr verbunden gewähnt. Ein Irrtum von mir, der bei Ines keine Entsprechung fand. Sie sah sich als eine freie alleinstehende Frau, die mit mir nur ein freundlicher Kontakt verband. Im Prinzip musste ich ihre Auffassung ja teilen, aber die Beziehung zwischen uns und unsere langjährigen gemeinsamen Erfahrungen hatten doch in jedem von uns etwas entstehen lassen, dass sich auf den anderen bezog. Das war durch einen Trennungsbeschluss nicht alles einfach aufgehoben, weggewischt, aus der Person verschwunden. Auch wenn wir uns getrennt hatten, lebte es immer noch in mir und war nicht durch die unangenehmen Streitereien verborgen und nicht mehr zu erkennen. Für Ines schien das nicht zu existieren, zumindest aber bedeutungslos zu sein. Ich musste versuchen, mich von meiner Vorstellung zu lösen, zu ihr immer noch ein besonderes Verhältnis zu haben, in ihr eine Frau zu sehen, die mir geben könnte, wonach ich mich sehnte, mit der mich so viel Angenehmes verbunden hatte, und mit der ich außer den Streitigkeiten, auch heute noch gern zusammen leben würde. Durch ihre kühle Erklärung zu ihrem Freund, hatte sie für mich den ersten Schritt dorthin erleichtert. Wie sie sich dabei gezeigt hatte, war sie nicht die Frau, von der ich träumen konnte, Wärme zu erwarten. Es viel mir äußert schwer. Die Erinnerungen an schöne gemeinsame Tage waren immer präsent und drängten sich in mein Denken. Immer musste ich mir vorhalten: „Ines gibt es nicht mehr. Das ist Geschichte und wird es bleiben. Versuche an die Zukunft zu denken und neue Perspektiven zu entwickeln.“ Erst dadurch war es mir möglich, überhaupt Interesse für andere Frauen zu entwickeln. Frau, das schien für mich bislang ausschließlich Ines gewesen zu sein. Sie hatte alles verkörpert, was Frau sein konnte. Alle anderen waren Frauen, die vielleicht über körperlich aufregende Attribute verfügten, aber persönlich für mich uninteressant waren. Langsam wurde es mir möglich, in ihnen auch etwas anderes sehen zu können, als das andere Geschlecht. Ich meinte bei mehreren mir sehr angenehme Wesenszüge erkennen zu können. Mit einer etwas jüngeren Kollegin verstand ich mich besonders gut. Ich hatte keine ausdrückliche Perspektive mit ihr im Blickfeld, nur möglich gewesen wäre es schon. Ines war emotional für mich gestorben. Sie kam nicht mehr vor in meinen Wünschen und Bedürfnissen. Ob sie einen Freund hatte oder nicht, heute tangierte es mich nicht mehr.
Mein alter Freund Ron hatte sich gemeldet und wollte mich besuchen kommen. Wir waren während der Schulzeit Austauschschüler gewesen. Er hatte ein Jahr bei uns gelebt und ich ein Jahr bei ihm in Seattle. Wir waren die dicksten Freunde gewesen, und grundsätzlich war es immer noch so, nur die weite Entfernung setzte den Kontakten natürliche Grenzen. Ich hatte ihm berichtet, dass ich mich von meiner Frau getrennt habe, und es war nicht ausgeschlossen, dass er mich deshalb besuchen wollte. Er hatte sich immer schon sehr feinfühlig und einfühlsam gezeigt, und konnte es nicht ertragen, wenn Freunde oder Bekannte leiden mussten. Meine Tante ist heute noch begeistert von ihm, weil er sie besuchte, als sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. Damals hätte sie ihn am liebsten geheiratet, wenn er ein wenig älter gewesen wäre, heute erkundigt sie sich immer noch jedes mal, wenn wir uns treffen, nach ihm. Ron hatte damals bei uns zum ersten Mal eine Freundin gehabt, jetzt hatte er endlich eine Frau gefunden, mit der zusammen leben, und die er heiraten wollte. Er fragte mich, ob er sie mitbringen dürfe. Wenn wir uns trafen, herrschte immer eine Stimmung wie während der Schulzeit, obwohl wir mittlerweile über 40 Jahre alt geworden waren. Ron hatte es damals außergewöhnlich gut gefallen. Er habe in seinem ganzen Leben zusammen noch nicht so viel gelacht, wie in diesem Jahr. Er wolle nicht über unsere Krise und Probleme mit mir reden, das könne und wolle er auch gar nicht, aber es sei ja doch immer eine schwierige Zeit, und da sei es immer hilfreich zu erfahren, dass man nicht allein sei, sondern Freunde habe. Mittlerweile hätte ich das Schlimmste wohl überwunden, meinte ich: „Ich habe schon wieder Lust, mich nach anderen Frauen umzuschauen.“ „Linda, du hast versprochen mich zu heiraten.“ ermahnte Ron seine Freundin, „vergiss das, bitte, nicht.“ und lachte. Linda schmunzelte nur, wollte aber wissen, warum wir uns denn getrennt hätten und war auch der Ansicht, dass unser Streiten eine vertrackte Form von Zuneigung gewesen sei. „Linda es ist gleichgültig, was es war. Die Angelegenheit ist Geschichte. Meine Frau führt ein anderes Leben, hat einen neuen Mann, und ich bin froh, dass ich sie aus meinen Alltagsgedanken streichen konnte. Es sind nur Erinnerungen, damit umzugehen habe ich heute nicht.“ antwortete ich ihr. Ron war Architekt, wir redeten viel darüber und schauten uns noch mehrere interessante Gebäude an. Natürlich musste er Linda auch seine früheren Wirkplätze zeigen, vor allem die als Café bezeichnete Gaststätte, in der er damals seine „wilden Nächte“ erlebt hatte. Ron hatte den Eindruck, dass ich es gut schaffen werde, und ich dürfe keinesfalls vergessen, ihn zu meiner neuen Hochzeit einzuladen. Ich müsse allerdings damit rechnen, dass es sich hinziehen könne. Bei ihm habe es ja auch einige Zeit gedauert, dass er die Trennung von Gaby seiner damaligen deutschen Freundin, überwunden und jetzt Linda gefunden habe. Wenn ich nicht bis zum Altersheim warten müsse, um dort jemanden kennen zu lernen, sei ich einverstanden, meinte ich. Rons Besuch tat mir gut. Es machte einen enormen Unterschied, ob man sich freundliche Mails schickte oder sich persönlich traf. Nur die direkte Begegnung konnte das vermitteln, was eine Freundschaft ausmacht, konnte es erleben und erfahren lassen. Mein Verhältnis zu Ron erinnerte mich an meine Beziehung zu Ines. Diese selbstverständliche gegenseitige Akzeptanz, die Verständnis, Zuneigung und Wärme signalisierte, die so war, wie wir Liebe gelernt hatten, sie bei unserer Mutter erfahren hatten, sie vermittelte uns auch heute noch in modifizierter Form ein Empfinden, das die Basis zum Wohlfühlen und Glücklichsein bildete.
Ich hatte zwar noch keine neue Beziehung, suchte sie auch nicht krampfhaft, war aber der Ansicht, alles gut überwunden zu haben. Ines hatte sich zum Kaffee angemeldet, ein gerngesehener Besuch war sie natürlich immer noch. Heute schien die freudige Ausgelassenheit sie nicht zu begleiten, sie war wortkarg und ernst. Ob es ihr nicht gut ginge, wollte ich wissen. Sie habe sich von ihrem Begleiter getrennt. Begleiter nannte sie ihn immer, das Wort Freund oder seinen Namen brachte sie nicht über ihre Lippen. Beim zweiten Satz fing sie an zu weinen und zu schimpfen und er ergoss sich in einer nicht enden wollenden Tirade über seine Unzulänglichkeiten und den Fehler ihrer eigenen grenzenlosen Blindheit. „Ich will ja nichts sagen, aber du musst dir mal vorstellen ...“ begann jeder zweite Satz von ihr. Nach ihrer Darstellung musste es sich alles in allem bei ihrem sogenannten Begleiter um einen absoluten Kretin gehandelt haben, und Ines geißelte sich für ihre Dummheit, dies nicht von Anfang an bemerkt zu haben. Warum erzählte sie mir das alles, wo wir doch jetzt seit fast eineinhalb Jahren getrennte Leute waren. In ihrer eigenen Not und Verzweiflung war ihr da eingefallen, das es einen Menschen Namens Leo gab, der mal ihr Freund gewesen war, und bei dem sie heute immer noch darauf vertraute, dass er Verständnis für sie aufbringen werde. Mich befiel eher ein leichtes Unbehagen. Im Grunde wollte ich damit nichts mehr zu tun haben. Hatte sie keine Freundin, bei der sie sich ausweinen konnte? Wir waren doch nicht mehr zusammen, wie sie gesagt hatte. Ich musste es begreifen und akzeptieren lernen. Wenn es mich nicht zu interessieren sollte, dass sie einen Freund hatte, warum sollte es mich jetzt interessieren, dass sie ihn verloren hatte. Ines redete weiter, kam auf Beziehungen im Allgemeinen zu sprechen und erklärte, dass wir beide uns doch über sehr viele Jahre wunderbar verstanden hätten. Sie sei nicht der Ansicht, dass sie so etwas noch einmal finden würde. Als Menschen gemocht hätten wir uns doch eigentlich immer. Das habe sich durch die vielen Streits nicht verändert und sei auch heute noch so. Und das Streitigkeiten zwischen uns nicht zwingend notwendig seien, habe sich ja jetzt gezeigt. Seit der Trennung hätten wir uns ja kein einziges Mal mehr gestritten. Wenn man wüsste, woran das läge, müssten wir doch eigentlich ganz gut so etwas auch im Zusammenleben erreichen können. „Nein Ines, das ist vorbei.“ hätte ich eigentlich sagen sollen, „Es ist kein Wunsch mehr von mir. Das Bedürfnis ist in meinem Kopf, meinem Herzen, meinem Bauch oder wo auch immer gestorben. Du hast mir klar gemacht, dass es keine Berechtigung mehr dafür gibt, hast die Grundlage dafür gelegt, dass ihm das Leben genommen wurde. Jetzt ist es nicht mehr da. Du hast mir selbst dabei geholfen, meinen Traum von dir zu zerstören, mir meine Lust auf dich zu nehmen. Du bist für mich nicht mehr die, die du warst, als wir uns getrennt haben. Ich denke nicht mehr, dass du mir geben könntest, was ich nach unserer Trennung so schmerzlich vermisste, das Vertrauen, die Anerkennung, die Wärme, ich suche sie nicht mehr und will sie nicht von dir.“ Tatsächlich wiegte ich aber nur lächelnd den Kopf hin hin und her und brummte ein ablehnendes. „Mh, mh.“. Ines hörte nicht auf, mir zu erklären, warum und wie es denn möglich sei. Wir könnten ja, und sollten doch, versuchen müssten wir es auf jeden Fall nochmal. Ich unterbrach sie: „Innes, ich will nicht. Als wir uns getrennt haben, hatten wir uns gestritten, jetzt sind wir seit langem geschiedene Leute, die ihre eigenen Wege gehen. Die Basis für eine engere Beziehung, für eine Liebe existiert nicht mehr. Uns verbindet nichts mehr außer unserer gemeinsamen Geschichte. Es ist vor bei, und zwar schon lange. “ „Wie kannst du so reden? Seit wann bist du so verständnislos, hartherzig und kalt? So habe ich dich nie gekannt. Das bist du nicht. Was spricht da aus dir? Du kannst doch nicht alles vergessen haben oder bist du ein anderer Mensch geworden?“ reagierte Ines auf die deutliche Ablehnung. Sie begann mir zu erklären, welch toller Typ ich doch gewesen sei, wurde immer vertraulicher, verstärkte ihre Schmeicheleien und hatte schon ihre Hand auf meinem Unterarm liegen. „Ines, bitte lass den Unfug. Du machst dich lächerlich und mich nervt es.“ erklärte ich. Wie ertappt grinste sie verlegen. Früher war ich immer sehr anfällig für so etwas gewesen. Ines brauchte mich nur ein wenig bezirzen und umgarnen und ich folgte ihren Wünschen, wie ein Vater der seiner kleinen Tochter nichts verwehren kann, wenn ihn die treuen Kinderaugen anblicken. Die Erwartung, mich durch so etwas jetzt in einer derartigen Entscheidung umstimmen zu können, war völlig deplatziert und gab Ines eine peinliche Blöße. Sie wollte es anscheinend mit allen Mitteln versuchen und schien auch wohl davon ausgegangen zu sein, dass es ihr sicher gelingen würde. Jetzt saß sie am Küchentisch mit einem betretenen Gesicht. Was hatte sie auf die Idee gebracht und es für sie so unabdingbar werden lassen? Hatte sie in der Auseinandersetzung mit ihrem Begleiter die Bedeutung unserer Beziehung erkannt, festgestellt wie exklusiv und wertvoll sie war und sie zu der Ansicht kommen lassen, dass es derartiges für sie nie wieder geben werde. Zu Beginn war sie wütend und traurig über ihre Fehler gewesen, jetzt umgab sie Perspektivlosigkeit, und ihr Blick sagte, dass sie traurig, enttäuscht und ratlos war. „Ines, ich möchte dir helfen, wo ich kann, nur musst du die Hoffnung auf unsere Liebe begraben. Zur Liebe gehören ja bekanntlich zwei, und dieser Zweite werde ich für dich mit Sicherheit nicht sein.“ bekräftigte ich noch einmal meine Ablehnung.
Wie es sich für mich selbst anders entwickeln sollte, war völlig offen. Die Kollegin, die ich ganz nett fand, war Juristin und meine Vorgesetzte. Sie lebte auch getrennt von ihrem früheren Mann. Ein wenig näher gekommen waren wir uns erst in letzter Zeit, obwohl wir schon einige Jahre zusammenarbeiteten. Vielleicht einfach dadurch, dass ich begonnen hatte, sie anders wahrzunehmen. Ansonsten gab es auch kaum Frauen bei uns im Polizeipräsidium. Ich war Kriminalbeamter, allerdings nicht in der Ermittlung beschäftigt, sondern vornehmlich mit der Entscheidungsfindung bei uns im Hause. Mein Tatort war mein Büro. Wenn jemand versuchen sollte, einen Sonntagsabendkrimi über meine Arbeit zu drehen, wären alle Zuschauer garantiert nach fünf Minuten eingeschlafen. Ich hatte mich schon früh mit Recht und Rechtsempfinden befasst, nur der Juristenbereich war mir vollkommen zuwider. Mein Vater war Rechteanwalt. Von seiner Arbeit erfuhren wir nur immer die kruden Storys, bei denen nicht nur Justitia blind ohne Ansehen der Person urteilte, sondern auch wohl der Richter blind ohne Ansehen der Gesetze geurteilt haben müsse. Die gesamte Jurisprudenz kannte ich nur als arrogant und verlogen. Damit wollte ich nichts zu tun haben. Die gepanzerten Jungs bei uns auf der Straße genießen bei mir auch keinen hohen Sympathierang, aber sie lassen sich wohl nicht vermeiden. Meine Arbeit empfinde ich keinesfalls als langweilig. Hauptsächlich bin ich mit Wirtschaftskriminalität befasst, die häufig in der allgemeinen Vorstellung nicht so große Beachtung findet. Das Gegenteil sollte der Fall sein, da hierdurch nicht nur oft immense Schäden für die Allgemeinheit entstehen, sondern auch Schicksale Unbeteiligter schwerstens betroffen sein können. Wenn bei hunderten von Familien die Hauptgeldverdiener durch die kriminellen Machenschaften Einzelner plötzlich arbeitslos werden, ist das keine Gaunerei oder ein Kavaliersdelikt mehr. Leider sind die Taten oft sehr schwer als Gesetzesverstöße zu beweisen und werden im Hinblick auf die Auswirkungen viel zu gering bestraft. Ob mir meine Arbeit mehr oder weniger Spaß macht, ist weniger vom einzelnen Fall als vom Druck abhängig, der auf mir lastet. Nicht dem in der Behörde, dort verspüre ich keinen, sondern die Luft ist in der Lage, durch ihre Menge mit der sie mich bedrückt, meine Stimmung zu beeinflussen. Ich brauche nicht nur Wärme sonder auch hohen Druck, um mich leicht und beschwingt zu fühlen.
Aber selbst höchster Luftdruck und angenehmste laue Sommerlüftchen konnten mich nicht beschwingt genug werden lassen, um eine Frau kennen zu lernen, von der ich mir hätte vorstellen können, das Liebe zwischen uns möglich sein würde. Ich überlegte schon, ob es mit mir zu tun haben könnte, fing an, bei mir nach Defiziten zu suchen. Mein Spiegel sagte mir, dass es vom Äußeren her für eine durchschnittliche Frau eigentlich reichen müsse, aber das sollte ja sowieso weniger entscheidend sein. Beim Nachdenken über meine inneren Werte kam ich so ins Lachen, dass ich die Erforschung einstellen musste. Ich war früher Messdiener gewesen und konnte sogar noch einige lateinischen Gebete aufsagen. War das ein innerer Wert, und wenn ja in welche Kategorie war er einzuordnen? Derartige Albernheiten vielen mir ein, und ich hielt die Bezeichnung 'innere Werte' für eine dumme Floskel. Natürlich war ich ein wertvolles Kunstwerk sowohl von meiner Physiologie als auch von meinem Denken und meiner Emotionalität her, wie jeder Mensch, nur bei mir gab es kein feminines Wesen unserer Spezies, das es auch so erkennen wollte. Drei Jahre war ich schon nicht mehr mit Ines zusammen, aber aus verzweifelndem Bedürfnis etwas Unbedachtes tun, wollte ich auf keinen Fall. Das Verhältnis zu meiner Kollegin verbesserte sich zwar laufend, aber es fehlte etwas, das man vielleicht als Funke, als emotionalen Kick hätte bezeichnen können. Eine Gebrauchsbeziehung, bei der man sich aus rationalen Gründen zusammen tat, das lag mir auch nicht, obwohl es ja früher so üblich war, und Liebe sich manchmal nachträglich entwickeln konnte.
Brigitta, Ines Freundin, kam mich besuchen. Ines gehe es gar nicht gut, sie fände keinen Weg für ein eigenes Leben, sei immer nur verzweifelt und sähe keine Hoffnung mehr. Manchmal könne man überhaupt nicht mit ihr reden. Sie versuche dann nur immer, Brigitta davon zu überzeugen, dass sie Recht habe und es keine Perspektive für sie geben könne. „Sie tut mir so entsetzlich leid. Ich weiß gar nicht, wie ich ihr helfen soll. Auf andere Gedanken und zu anderen Sichtweisen lässt sie sich von mir nicht bringen. Das ist alles seit dieser Geschichte mit dem absolut dämlichen Kleinert. Ich habe gedacht er müsse im Bett wohl etwas Besonderes zu bieten haben, denn sonst könne man doch absolut nichts Positives an ihm erkennen. Das hat Ines ja auch schnell kapiert, aber seitdem ist es aus mit ihr. Sie träumt immer davon, wie schön es wäre, wenn ihr beide wieder zusammen sein könntet. Du hast sie doch auch geliebt. Ist da denn gar nichts mehr von vorhanden?“ fragte Brigitta. Ich versuchte Brigitta alles zu erklären. Sie schien mich gut zu verstehen und stimmte meiner Sichtweise auch zu, meinte aber, ich würde es zu dichotomisch sehen. „Entweder sie liebt mich, oder sie liebt mich nicht. Das sind nicht zwei unberührbare Antipoden, es gibt eine unendliche Menge dazwischen. Ich sehe es eher so wie bei Temperaturen, bei denen auch nicht nur die Alternative heiß oder kalt gibt. Am angenehmsten ist es, wenn's warm ist, und das ist weder heiß noch kalt. Du hast gedacht, sie hat ihre Liebe zu dir beendet, vergessen. Sie wird ihren Freund an dir gemessen und festgestellt haben welche Katastrophe es mit ihm war. Eure Beziehung ist Ines heute immer noch Maßstab, um glücklich sein zu können, und das lässt sie verzweifeln.“ erläuterte Brigitta. Ich machte ihr deutlich, warum ich es trotzdem nicht mehr wolle und nicht mehr könne, und ein Zurück zu Ines, um sie zu trösten, schlösse sich ja wohl aus. Ich vertrat die Ansicht, dass es notwendig und am besten sei, wenn Ines einen Psychotherapeuten aufsuche, da wir beide ihr ja nicht helfen könnten. Brigitta und ich hatten uns auch sonst noch sehr viel zu erzählen. Wir hatten uns ja seit der Trennung von Ines nicht mehr gesehen. Ich mochte sie. Wenn sie früher bei uns war, kam es mir vor, als ob sie mit zur Familie gehörte. Sie war lebendig, intelligent und konnte Lachen.
„Bleib doch zum Abendbrot, dann habe ich mal Gesellschaft, oder hast du etwas vor?“ war mein Vorschlag. Brigitta war einverstanden. Sie trank auch Wein und meinte, dann müsse sie eben mit dem Taxi nach Haus fahren. Wir lachten viel und Brigitta blieb auch nach dem Abendbrot. „Jetzt ist sowieso alles zu spät.“ meinte sie und bat mich, doch Musik aufzulegen. „Etwas Sanfteres, etwas Getrageneres, dabei kann man sich doch nicht unterhalten.“ kritisierte Brigitta meine Musikauswahl. Plötzlich bekam ich von ihr einen Kuss. Schelmisch lächelnd meinte sie: „Ich mag dich auch, Leo.“ und küsste mich nochmal. Jetzt war es allerdings nicht mehr oberflächlich, sondern sie küsste mich intensiv mit der Zunge. Ich ließ alles geschehen und machte mit. Gedanken an irgendwelche Folgen oder Konsequenzen kamen mir in dem Moment nicht. Ich mochte Brigitta und es war schön mich mit ihr zu küssen, c'est tout. Mehr war es nicht. Als wir uns gelöst hatten, schauten wir uns an und smilten, als ob wir ein wenig überrascht und stolz wären. Stolz worauf? Auf unseren Wagemut, auf unser kühnes verbotenes Unterfangen? „Nochmal?“ fragte Brigitta, was weniger eine Frage als eine Bekundung ihrer Lust dazu war. Bei den nächsten Malen fragte niemand mehr. Wir verkraulten uns in den Haaren und begannen uns zu streicheln. Brigitta war näher zu mir gerückt, und es berührten sich nicht mehr nur unsere Münder. Auch unsere Hände blieben nicht mehr an Hals Nacken und Haaren. Als wir uns gegenseitig die Oberkörper fast entkleidet hatten, fragte Brigitta: „Hast du kein Bett?“ Ich bekam die ganz Zeit gar nicht richtig mit, was hier eigentlich geschah. Ich war nicht nur verstört, ich genoss es auch. Wie lange hatte ich das nicht mehr gehabt, aber mit Brigitta ins Bett gehen, mit ihr schlafen? Wollte sie das wirklich? Sie war ja schließlich verheiratet. „Brigitta!?“ reagierte ich nur fragend und leicht entrüstet auf ihre Absicht. Sie antwortete nur: „Auf der Couch ist das sehr unbequem. Lass uns doch ins Bett gehen.“ Ich wollte nicht fragen, was denn mit ihrem Mann wäre oder Ähnliches. Sie wollte es ja, und damit war es für mich o. k.. Seit über drei Jahren wieder eine liebe Frau nackt in den Armen zu halten, zärtlich zu ihr zu sein, sie zu küssen und mit ihr zu ficken, ein Wunder, so kam es mir jedenfalls vor. Brigitta schien es auch sehr zu genießen. „Ich mag dich. Ich mag dich ganz doll.“ sagte sie hinterher, anstatt, dass es ihr gut gefallen und ihr Spaß gemacht habe oder Ähnliches. Nach Hause brauche sie nicht, da sie in dieser Woche allein sei. Wir erzählten uns noch schmuselige Geschichten, Lachten und streichelten uns dabei. „Du könntest nochmal, nicht wahr?“ wollte Brigitta wissen, die durch Befummeln meinen Penis erneut zur Erektion gebracht hatte, „Hättest du denn auch Lust dazu? Ich schon.“ meinte sie. Anschließend schliefen wir beseelt erschöpft und wohlig aneinander gekuschelt ein.
Am anderen Morgen im Bad und bei der Frühstückszubereitung versuchte ich mir darüber klar zu werden, was sich eigentlich abgespielt hatte. Wir hatten uns nicht nur geküsst, dabei erregt und Sex miteinander gehabt, wir hatten die Nacht verbracht, als ob wir engste Freunde seien und unsere gemeinsamen Nächte öfter so verliefen. Ich hatte es einfach genossen und als wunderbar erlebt. Wir waren so selbstverständlich miteinander umgegangen, als ob es keinerlei Distanz zwischen uns gäbe. „Eine Hose, einen Slip brauchte ich. So etwas wirst du wohl nicht haben.“ meinte Brigitta als sie aus dem Bad kam. Ich meinte, das Männerslips auch zwei Löcher für die Beine hätten, genauso einen Po bedecken müssten, nur eben vorne ein wenig ausgebeulter seien. Brigitta führte einen vor und ließ uns lachen. „Ich bringe ihn dir heute Nachmittag zurück.“ erklärte sie. Beim Frühstück schauten wir uns sehr oft lächelnd an, und Brigitta schien sich sehr wohl zu fühlen. Sie hatte Lust auf Albernheiten und daran, mich durch kleine übermütige Scherze zu necken.
Im Büro musste ich immer wieder darüber nachdenken. Es war wunderschön gewesen. Ein bezauberndes Erlebnis, das sich einfach so ergeben hatte, nur etwas sonderbares hatte es auch. Die Atmosphäre war mir äußerst angenehm erschienen, nur dazu, dass man einmal mit einer fast Fremden Frau Sex hatte, passte sie nicht. Sie war wie selbstverständlich, familiär, vertraut. Mit Brigitta, die ich seit über drei Jahren nicht gesehen hatte, die zum ersten mal in meiner Wohnung war, mit der mich nichts verband, als dass sie die Freundin meiner früheren Frau war. Aber was sollte ich rätseln, lösen konnte ich durch Nachdenken nichts.
Nachmittags kam Brigitta, meinen Slip zurückbringen. „Ist zwar manchmal ein wenig gerutscht, aber hat alles zusammengehalten. Gewaschen habe ich ihn allerdings nicht. Mach ich diese Woche nicht mehr, und wenn Dirk in der nächsten Woche zufällig mitbekommen sollte, dass ein Slip in der Wäsche wäre, der ihm nicht gehörte, könnte das vielleicht nicht so gut sein.“ erklärte Brigitta. Wir tranken einen Kaffee zusammen, unterhielten uns und Brigitta fragte: „Soll ich hier bleiben?“ Ich musste lachen. Brigitta lachte auch und meinte: „Muss ich anders fragen? Darf ich hier bleiben?“ „Brigitta, meinetwegen kannst du jeden Tag und jede Nacht hier bleiben. Ob und wann du es möchtest, wirst du vordringlich mit dir selbst abklären müssen.“ kommentierte ich. Jetzt fiel es mir auf. Was hatte ich da für einen Unsinn geredet. Sie könne selbstverständlich immer zu mir kommen. Keinen Gedanken hatte ich je daran verschwendet. Die letzte Nacht war toll gewesen, die nächste würde es voraussichtlich wieder werden, aber ich mit Brigitta zusammen leben, jeden Tag und jede Nacht? Dazu müsste sie sich ja von ihrem Mann trennen. Niemand hatte je ein Wort über so etwas verloren. Wir mussten ganz früh ins Bett, weil wir Schlaf nachzuholen hatten, aber warum brauchten wir dabei Kerzen und Wein? Es kam mir vor, als ob wir seit Wochen oder Monaten ein verliebtes Paar wären. Es konnte belebend, lustig oder zärtlich sein, miteinander zu reden, und es war berauschend, sich gegenseitig zu erregen und miteinander zu schlafen. Wir begehrten einander nicht nur, sondern hatten auch Lust den anderen oder die andere zu erfreuen, uns gegenseitig glücklich zu machen und gemeinsam lachen zu können. Wir schienen uns zu verstehen, als ob wir langjährige Partner währen, obwohl wir uns kaum kannten. „Leo,“ sagte Brigitta, wobei sie das o fragend lang zog, als ob sie ein 'weißt du was' angefügt hätte, „du verwirrst mich. Ich mag dich, mochte dich immer ganz gut leiden. Erst durch unsere Gespräche gestern Nachmittag und Abend hat sich das ein wenig intensiviert. Unser Küssen und Streicheln hat in mir den Gedanken aufkommen lassen, dass es vielleicht ja auch gemeinsam im Bett ganz schön sein könnte. Dann war es zu schön. Da war noch etwas anderes, als dass wir uns sexuell befriedigt haben, da war mehr. Vielleicht etwas, das mir persönlich viel mehr bedeutet als der Orgasmus mit dir. Es betrifft dich. Als sich heute im Büro immer wieder die letzte Nacht vor meinen Augen abspielte, kam unser Ficken selbst kaum vor, aber alles andere, mir war jede Szene gegenwärtig und alles gefiel mir verdammt gut.“ Ich musste lachen, aber was sollte ich dazu sagen. Ich war ja selbst überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit wir uns gemocht und geliebt hatten, und heute schien es noch stärker üblich und natürlich zu sein, wie wir beide uns gegenseitig verhielten. Eine Zuneigung und Liebe, nicht auf den ersten Blick, aber in der ersten Nacht, war sie sichtbar geworden und hatte sich entwickelt. „Brigitta, mich lässt das auch nicht cool, mich wühlt es auch auf. Ob es mich verwirrt, weiß ich nicht, verstehen kann ich es aber auf keinen Fall. Ich kann vieles benennen, was mir gut gefallen hat, aber was soll es, das ist nicht das Bedeutsamste, es ist einfach so, dass ich dich mag, sehr mag und dass es mir außerordentlich gut gefällt mit und bei dir zu sein.“ antwortete ich ihr. Ob das eine kleine Liebeserklärung gewesen sei, wollte sie wissen, bei ihr müsste es sich auch wohl um Emotionen aus dieser Kategorie handeln. Sie wisse nur gar nicht, wie sie es bewerten und damit umgehen solle. „Kann ich denn nach einer Nacht sagen: 'Leo ich liebe dich', obwohl wir uns vorher kaum kannten? Werden das nicht eher Phantasmen sein, die meine Wunschproduktionswerkstatt angefertigt hat. Ja es ist schon so, dass ich empfinde, verknallt in dich zu sein, nur traue ich mir da selber nicht so ganz. Wie soll ich denn überhaupt damit umgehen. Wenn ich dich in der nächsten Woche zwei Tage lang nicht mehr gesehen habe, werde ich dich unbedingt sehen müssen, dessen bin ich mir sicher. Wir werden keine gemeinsamen Nächte mehr haben, werde ich mich dann jeden Abend vor Gram und Sehnsucht in den Schlaf heulen? Wenn es so ist, wie ich es jetzt empfinde, stellt sich die Zukunft für mich chaotisch dar.“ meinte Brigitta. Ich schlug vor, dass ich sie ja mal besuchen könne, wenn ihr Mann sie liebe, müsse es ihn doch erfreuen, seine Frau glücklich zu sehen. Wir alberten noch ein wenig weiter, dann begann Britta über ihre Beziehungslage zu berichten. Keine Klagen und Beschwerden, alles in Ordnung nur einfach tot sei alles. Kein Funke von Leben. Im Büro sei es wesentlich lebhafter und sie habe bedeutend mehr zu lachen als zu Hause. Es käme ihr manchmal vor, als ob sie nach Haus fahre, weil sie das ja immer getan hätte und nachmittags von der Behörde aus der Weg einfach nicht woanders hinführe. Sie könne sich nicht beschweren, jeder verrichte das, was er zu tun habe, kümmere sich ansonsten um seine eigenen Interessen, Beschwerden oder Streits seien undenkbar, und bei den Gesprächen handele es sich entweder um Nachfragen und Informationen oder belanglosen Smaltalk. Vorwerfen, dass er sich nicht für sie interessiere, könne sie ihrem Mann auch nicht, es beruhe ja absolut auf Gegenseitigkeit. Es komme ihr so vor, als ob ihr Mann alles für ganz normal halte und empfinde, dass das Leben so sei, während es sie oft zur Weißglut treibe oder ihr Anflüge von Resignation vermittele. „Weißt du, Leo, das ist nicht mein Leben, das ist überhaupt kein Leben, das ist Beziehungsagonie. Deshalb bin ich mir auch so unsicher, ob die Sicht der letzten Nacht und heute nicht ganz stark von dem beeinflusst ist, was ich mir wünschen würde. Vielleicht auch ein wenig unterstützt durch die Schilderung von Ines über ihre glorreiche Beziehung mit dir. Die Arme, du musst ihr wirklich helfen, wenn sie wüsste, was ich hier mache, brächte sie mich um. Ich bin zu dir gekommen, um zu eruieren, wie es denn mit einem Neubeginn für euch beide aussähe, statt dessen verliebe ich mich selbst in dich.“ erklärte Brigitta. Ich könne nicht verstehen, warum sie sich über ihre Beziehung so echauffiere. Nach dem Stress bei der Arbeit, habe es doch etwas Beruhigendes, Ausgleichendes, so etwas suche man doch eigentlich. Damit war das Thema abgeschlossen und meine Ruhe auch. Brigitta erklärte sich zur Tigerin, die jetzt ihre Krallen ganz lang ausfahren werde und ihre messerscharfen Zähne beabsichtige sie auch, in meinen Körper zu versenken. Was mir nur übrig ließ, sie zur Bloody Brigida zu erklären, und dadurch ihre Kampfeslust noch weiter zu provozieren. Anschließend begann sie zu weinen. „Leo, ich bleibe einfach bei dir.“ verkündete Brigitta mit weinender Stimme, „Hier bleiben will ich und nicht nach Hause. Leben will ich mit dir, nicht ersticken in einer Gruft. Es ist noch da, mein Leben, und will gelebt werden. Es will lachen, Freude haben und Tanzen, nicht begraben werden in einer kalten Beziehungen. Es will Liebe geben und geliebt werden. Mein Leben sucht Sonne und nicht die Tristesse.“ Mit dem Kopf auf meinerSchulter und den linken Arm und das linke Bein über meinen Körper gelegt schlief sie mit meinem tröstenden Streicheln ein.
Als wir uns am Morgen wach küssten, wies Brigitta darauf hin, dass heute Abend unsere letzte Nacht beginne. „Sollten wir es uns da nicht besonders schön machen. Ganz viele Kerzen, zum Beispiel. Vielleicht wird es ja durch jede zusätzliche Kerze ein kleines Stückchen schöner.“ vermutete sie ironisch und lachte. Ich ergänzte: „Und ganz viel Wein, vielleicht wird es ja mit jedem zusätzlichen Gläschen Wein ein kleines Stückchen schöner.“ Wir brauchten weder ganz viele Kerzen noch ganz viel Wein, wir wollten selber etwas tun und es dadurch Stückchen für Stückchen lustiger, gemütlicher und schöner werden lassen. Es wurde eine sinnlich, schmuselige Liebesnacht, in der wir uns bei Geschichten und Liedern träumen ließen oder auch zum Lachen brachten. Als ich eine Geschichte erzählen sollte, fiel mir ein, dass ich früher mal gut zu Erheiterung aller aus dem Stegreif Nonsensstories formulieren konnte. Brigitta hatte gerade etwas aus Tausendundeiner Nacht erzählt, und man vermutete, dass es wohl in diesem Genre weitergehen würde. Verträumt und andächtig lauschte Brigitta meinen Worten. Bei der Passage: „Da nahm der Schuster in einem Moment, als er gerade mal nichts über den Leisten zu schlagen hatte, seinen Dreschflegel bei der Hand, sprang aufs Dach und rief der versammelten Menschenmasse zu: „Leute, gehet nach Hause. Ihr seid voll des guten Weines.“ „Bier haben wir gesoffen, du dumme Sau.“ schallte es wie aus einer Kehle zurück.“ setzte sie sich auf, hielt sich den Bauch vor Lachen und erklärte entrüstet: „Das ist ja alles absoluter Quatsch, was du erzählst. Wo hast du denn so einen Unsinn her?“ Ich erklärte es ihr, und sollte noch eine weitere Story erzählen, wobei sie mich immer durch alberne und provozierende Zwischenfragen unterbrach. Die Nacht sei zu kurz gewesen, war unsere einhellige Erkenntnis, als wir uns aneinander kuschelten, um wenigstens noch zwei Stunden schlafen zu können.
Am Morgen verabschiedete sich Brigitta für unbestimmte Zeit. Es kamen keine Tränen. „Ich freue mich. Ich bin glücklich. Es waren die schönsten drei Tage und Nächte, von denen ich weiß. Soll ich da traurig sein? Sieh du es auch so. Denke oft daran und träume viel davon. Es macht mich glücklich, wenn ich weiß, das du es tun wirst.“ erklärte Brigitta. Ich versprach es und schaute ihr trauernd nach.
Ich konnte alles nicht fassen. Seit drei Jahren möchte ich eine Frau kennenlernen, mit der es zu einer Beziehung kommen könnte, anscheinend unmöglich. Dann besucht mich eine entfernte Bekannte, und in einer Nacht entsteht die große Liebe. Nur was aus der großen Liebe von drei Nächten werden würde, war völlig unklar. Wir würden uns E-Mails schicken, aber mehr stand nicht fest. Brigitta hatte sich zwar bitter beklagt über die Beziehung zwischen ihr und ihrem Mann, aber nicht mit einem Wort erwähnt, dass sie beabsichtige, etwas daran zu ändern. Nach drei gemeinsamen Tagen und Nächten wäre es auch sicher verfrüht, in dieser Richtung etwas zu erwarten. Am Nachmittag kam Brigitta doch noch mal kurz vorbei. „Ich habe nur ganz wenig Zeit. Ich bin gerade beim Einkaufen, und für 'nen Kaffee wird’s da schon reichen. Ich musste dich doch noch mal wenigstens eben kurz sehen.“ erklärte sie lächelnd, und nach einem Kaffee und einigen Küssen war sie wieder verschwunden. Brigitta hatte sich hier noch ein spezielles Liebes-E-Mail-Konto mit Password eingerichtet. Ich sollte der einzige sein, der die Adresse kannte. Zu Hause sollte ich sie nicht anrufen, nur eventuell während der Dienstzeiten. Alles war streng geheim. Ihre E-Mails erfreuten mich. Sie schrieb sie im Dienst. Als Regierungsoberrätin verfügte sie natürlich über einen eigenen Raum und brauchte nicht zu befürchten, dabei beobachtet zu werden. In ihren Mails träumte sie, malte Szenen, was sie mit mir machen werde, aber schrieb auch von dem was sie gerade tat und setzte es in Beziehung zu uns. Es war sehr poetisch, und manchmal bekam ich auch ein Gedicht von ihr. Montags, Mittwochs und Donnerstags gegen 16:30 Uhr wolle sie mich besuchen kommen. Sie sei dann bei ihrer Schwester oder einer Freundin. Sie hätte es mit beiden abgesprochen, falls ihr Mann mal bei ihnen persönlich anrufen sollte. Sie habe jeweils eine bis maximal zwei Stunden Zeit.
Am darauf folgenden Montag erschien Brigitta auch zu der angegebenen Zeit. Mir erschien diese Besuchsregelung ein wenig kurios, aber so konnten wir uns dreimal in der Woche sehen. Ich wollte einen Kaffe zubereiten, aber Brigitta drängelte: „Lass uns ins Bett gehen. Wenn wir anschließend noch Zeit haben und wollen, können wir ja dann einen Kaffee trinken.“ Natürlich war es schön, wieder mit ihr im Bett zu liegen, nur wir konnten nicht erst mal lange Schmusen und uns ausgiebig sonstige Zärtlichkeiten zukommen lassen. In eineinhalb Stunden musste die Bettangelegenheit abgeschlossen sein. Am Mittwoch redete Brigitta kaum, sie zog sich sofort aus und ging ins Bett. Wir wollten ja keine wertvolle Zeit verlieren. So verhielt es sich an jedem Nachmittag, wenn sie kam. Ob wir uns denn nicht mal ein wenig mehr unterhalten könnten, monierte ich. Das könnten wir ja im Bett. Wenn wir uns erst gemütlich lange beim Kaffee unterhalten würden, bliebe uns hinterher keine Zeit mehr für's Bett, erklärte Brigitta.
Nach drei Wochen reichte es mir. „Brigitta ich werde heute gar nicht mit dir ins Bett gehen. Ich werde hier sitzen bleiben und möchte, dass wir miteinander reden. Mir gefällt es nicht, was wir machen, und ich möchte es mit dir besprechen. Nach unseren drei traumhaften Tagen und Nächten und nach deinen herrlichen E-Mails, die du mir schreibst, bin ich der Ansicht, eine wundervolle Freundin zu haben. Bei unseren Treffen erlebe ich wenig von meiner Freundin. Es kommt dreimal die Woche eine Frau zum Ficken zu mir. Das soll zwar meine Freundin sein, und wir tun das ja auch, weil wir uns lieben, und wegen der knapp bemessenen Zeit sonst nicht dazu kämen, aber mich befriedigt das nicht. Ich komme mir nicht vor, als ob ich dreimal in der Woche meine Freundin treffen würde, sondern eher also ob ich bei dir ein Abo auf dreimal Ficken pro Woche hätte. Ich will das so nicht mehr, Brigitta. Ich möchte die Zeit mit dir erleben, mich mit dir unterhalten, etwas anderes machen. Wenn uns dann einfallen sollte, wir würden jetzt gern miteinander schlafen, und es ist zu spät, dann ist das nicht so ein großes Problem, als immer dieses sofortige zwanghafte ins Bett müssen. Lass es uns anders gestalten, so schön es ist, mit dir zu schlafen, nur lass es uns nicht länger darauf reduzieren.“ erläuterte ich meine Sichtweise. Brigitta überlegte und antwortete dann nachdenklich: „Ich meine dich zu verstehen. Den Nachmittag mit dir zusammen sein, den Abend und die Nacht, das ist am schönsten. Wenn wir Lust aufeinander bekommen, werden wir dann irgendwann miteinander Schlafen, wunderschön. Nur in anderthalb Stunden, was machen wir da von alledem? Was ist uns am liebsten, am wichtigsten, am bedeutsamsten? Was macht uns am meisten Freude, lässt uns unsere Nähe am intensivsten erfahren, verbindet uns am tiefsten? Es lässt sich vielleicht auch anderes denken, aber dass wir geschlechtlich zusammen sind gehört sicher dazu. Für mich bedeutet es auch mehr als sexuelle Befriedigung, es ist auch ein ganz starkes, enges, tiefes Erlebnis mit dir. Zu meinem Orgasmus gehörst du, ich bin glücklich mit dir und nicht isoliert entspannt durch meine Finger. Unser Sex ist für mich Gemeinsamkeit genauso wie Erregung. Aber ich muss dir zustimmen, wie wir es praktizieren wirkt es ein wenig stereotyp mechanistisch. Ich würde es sich auch viel lieber langsam sich von selbst entwickeln lassen, und dann machen, wenn wir absolute Lust darauf haben, aber wie soll das in anderthalb Stunden funktionieren?“ reagierte Britta darauf. Ich gab ihr Recht, ich fände unseren Sex auch wundervoll und liebe es sich gegenseitig zu verwöhnen, erregen und miteinander zu schlafen, aber ich könne es nicht ertragen, dass das alles sein solle, was ich von ihr erlebe. Ich möchte sie sprechen sehen, möchte ihr zuhören, sie besser kennen und verstehen lernen, andere Dinge möchte ich gemeinsam mit ihr machen und sie dabei erleben. Das sei mir sehr wichtig und darauf würde ich mich sehr freuen. Ich brauche nicht unbedingt Sex. „Aber ich.“ Brigitta darauf und lachte, „Leo, ich habe das nicht. Ich habe keinen warmen Körper, der mich liebevoll umarmt, der meine Haut streichelt, sie küsst, seine Arme und Beine um mich schlingt und den ich umschlingen kann. Du mit deinem Körper und deiner nackten Haut tust mir ungemein gut. Ich sehne mich danach, von dir berührt zu werden. Es macht mir einfach ein wohliges Gefühl, gibt mir Wärme, deine Wärme und macht mich glücklich. Das ist es, was für mich so bedeutsam ist. Ich möchte geliebt werden und so höre ich es nicht nur mit meinen Ohren aus deinen Worten, sondern erfahre es mit meinem ganzen Körper. Die Lust auf sexuelle Erregung kommt dann zwar immer schnell auf, aber sie steht nicht von Anfang an im Vordergrund.“ Wir schauten uns ein wenig ratlos lächelnd an. Jeder konnte den anderen verstehen, aber die Positionen waren konträr. Que faire? „Wir können es ja so machen,“ schlug Brigitta vor, „in Zukunft ist es nicht mehr selbstverständlich, dass wir immer ritsch-ratsch sofort ins Bett gehen, sondern es ist offen. Vielleicht überlegen wir uns vorher, was wir machen könnten. Eventuell gemeinsam einen Kuchen backen oder was weiß ich. Wenn ich mal ganz dringend möchte, oder du vielleicht auch, dass wir ins Bett gehen, dann sagen wir's uns und befolgen die Wünsche des anderen. Könnte dir das so gefallen? Dann wäre doch alles offen und locker. Wir könnten gemeinsam Spaß haben und auch ins Bett gehen.“ Wir küssten uns, waren d'accord und hatten keine Probleme mehr.
Die Probleme entstanden erst dadurch, dass Brigitta nie etwas zu einer Perspektive sagte, sich nie dazu äußerte, dass sie mehr wolle, als diese drei bis maximal sechs Stunden pro Woche mit mir. Als ob es ihr reiche und sie damit auf Dauer zufrieden sei. Wie hatte sie sich damals beklagt, hatte erklärt, dass sie nie wieder von mir fort gehen wolle, jetzt lebte sie das Leben, das sie leben wollte an den drei Tagen, an denen sie mich kurz besuchte? Ich war der Ansicht eine Freundin gefunden zu haben, die mich liebte und die ich liebte. So war es ja auch wohl, aber was war eine Fünfstundenbeziehung. Sie hielt mich davon ab, andere Kontakte zu suchen, aber eine Partnerschaft hatte ich nicht. Wir hatten fünf schöne Stunden pro Woche, aber ansonsten führte jeder ein völlig isoliertes Leben für sich. Eine Beziehung war das so für mich nicht. Ich mochte Brigitta und liebte sie, und wenn es bei ihr nicht anders war, warum hatten wir dann nicht mehr miteinander zu tun? Brigitta sagte von sich aus nichts dazu. Ich würde es ansprechen.
Brigitta hörte mir aufmerksam schweigend zu. Ihre Lippen hatte sie ein wenig in die Breite gezogen, als ob sie das Gehörte quäle, belästige oder unangenehm für sie sei. Nach einer Weile Schweigens brachte sie nur ein „Ich kann nicht.“ hervor. Ratlos fragte ich sie, was sie nicht könne. „Ich würde gern mit dir zusammenleben, Leo, das weißt du, sehr gerne. Nur so geht es ja nicht. Dazu müsste ich mich von meinem Mann trennen, müsste ihn verlassen, und das kann ich eben nicht.“ antwortete Brigitta. Warum sie es nicht könne, was es sei, das sie daran hindere. Sie sei doch tot unglücklich mit ihm, wie sie gesagt habe, erkundigte ich mich weiter. „Ich weiß nicht warum, ich kann es einfach nicht.“ war Brigittas knappe Antwort. „Du wirst doch etwas empfinden, wenn du daran denkst. Das kannst du doch benennen. Brächtest du es nicht über's Herz, ihm so weh zu tun, oder irgend so etwas, das kann man doch sagen.“ insistierte ich. „Du quälst mich, Leo. Ich habe dir doch gesagt, ich kann ihn nicht verlassen und warum das so ist, das weiß ich nicht. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Lass uns, bitte, das Thema beenden.“ antwortete sie darauf.
Mich beschäftige es natürlich weiter. Dass sie ihren Mann nicht verlassen kann und nicht weiß warum, stimmte nicht. Wenn ihre Beziehung so war, wie sie sie dargestellt hatte, dann musste sie sich doch schon mal überlegt haben, ihn zu verlassen und dann sagen ihre Gedanken und Emotionen doch etwas anderes als ich kann nicht und weiß nicht warum. Wahrscheinlicher war, dass sie es ganz genau wusste, mir aber keinesfalls sagen wollte. Sie hatte mir damit klar gemacht, dass es in unserer Beziehung keine Änderung geben könnte und würde. Was bedeutete es denn für mich für mein Leben, eine Freundin zu haben, die mir ihre Liebe beteuert, aber im gleichen Atemzug erklärt das sie mit ihrem ungeliebten Mann leben will. Ich liebte Brigitta, aber es gab ja keine Perspektive. So wie jetzt, wollte ich jedenfalls nicht alt werden, mit einer fünfstündigen Zugehfrau für die Liebe.
Nach einem Monat sprach ich es nochmal an. „Muss das sein?“ fragte Brigitta genervt. „Ja Brigitta, es geht um mein Leben. Das besteht aus mehr als fünf Stunden pro Woche. Unsere fünf Stunden dirigieren es aber. Für dich ist es etwas zusätzlich Schönes, für mich ist es das Einzige. Davon und damit allein kann ich nicht leben. Ich will eine Beziehung zu einer Frau, mit der ich morgens, nachmittags, abends und in der Nacht zusammenleben kann und dass sogar am Wochenende. Kurze Besuche sind keine Beziehung, auch nicht, wenn wir uns gegenseitig unsere Liebe erklären. Ich will es so nicht mehr, Brigitta, es blockiert mein Leben. So wie du apodiktisch erklärst, das du deinen Mann nicht verlassen wirst und nur diese fünf Stunden möglich sind, erkläre ich, dass ich davon nicht leben kann und eine andere Perspektive suchen werde.“ erläuterte ich ihr. Mit großen Augen schaute sie mich an und erklärte dann sarkastisch: „Ja, warte doch auf die Pflegekraft, die kommt jeden Tag, verlieb dich in sie. Entschuldigung, Entschuldigung, Leo, ich liebe dich doch. Das kannst du mir doch nicht einfach nehmen. Du liebst mich doch auch, und kannst sagen: „Ich will dich nicht mehr sehen.“? Wie soll das denn gehen? Wird denn einer von uns glücklicher dadurch werden? Vielleicht sind fünf Stunden Glück ja wenig, aber fünf Stunden Paradis sind wesentlich mehr als 168 Stunden Tristesse. Daran solltest du auch immer denken.“ „Brigitta, Tristesse kam in meinem Leben nicht nur deshalb nicht vor, weil wir das Glück hatten uns dreimal pro Woche treffen zu können, sie war vorher schon nicht da und wird es hinterher auch nicht sein. Natürlich werde ich sehr viel an dich denken und von uns träumen, ich werde uns nicht vergessen können und wollen, aber letztendlich hast du es in der Hand. Du bestimmst so und nicht anders, weil du dich nicht von deinem Mann trennen willst. Dass du nicht weiß warum, ist gelogen. Du musst es mir nicht sagen, aber du kannst damit nicht über mein Leben verfügen, dann musst du eben auch selbst die Konsequenzen deiner eigenen Festsetzung tragen.“ antwortete ich ihr. Brigitta widersprach dem nicht. Sie schaute zur Decke, schien nachzudenken und sich die Folgen auszumalen. Das meine Vermutung über die Verheimlichung ihrer Gründe zutreffend war, hatte ich in ihren Augen gesehen, als ich es sagte. Brigitta kniete sich auf meinen Schoß, stützte ihre Unterarme auf meine Brust und sagte: „Leo, wenn du wüsstest, was du mir antust, was du in mir zerstörst, welche Gebäude du zu Ruinen werden lässt, dann könntest du, so wie ich meine dich zu kennen, das nicht tun, du würdest es nicht tun. Aber es ist deine Entscheidung. Ich kann deine Gründe ja sogar verstehen. Versprich mir nur, dass du in Zukunft ganz oft an mich denken wirst.“ und dabei kamen ihr die Tränen. Nachdem sie an meiner Schulter ein wenig verschnauft und sich die Tränenreste aus den Augen gewischt hatte fuhr Brigitta fort: „Leo, weißt du was, für mich waren die fünf Stunden schon mein Leben. Davon und dafür habe ich gelebt. Es war kein zusätzliches Glück, nur das gab es. Unsere Nächte haben mich erkennen lassen, dass es ein anderes Leben geben kann, das wollte ich leben, und das ging nur in unserer kurzen gemeinsamen Zeit. Meine Mails waren immer die Träume davon. Bei mir ist auch nichts anderes, genauso wenig wie bei dir, auch ohne Perspektive. Und das mit Dirk, meinem Mann, kann ich einfach nicht erzählen. Bitte, du musst mir vertrauen, Leo.“ Wir trafen keine weiteren Entscheidungen, trotzdem wollte ich es so nicht weiter, auch wenn es Brigitta selbst nicht besser ging. Im Moment sah ich mich jedoch nicht in der Lage, sie zu bitten, mich nicht mehr zu besuchen.
Ich wollte mich um Ines kümmern, wollte mit ihr reden und schauen, ob ich sie nicht vielleicht doch an einen Therapeuten vermitteln könne. Sie machte einen aufgeweckten, gut aufgelegten Eindruck, von Niedergeschlagenheit und Perspektivlosigkeit keine Spur. Ich erklärte ihr, dass Brigitta mich schon vor längerer Zeit besucht habe, weil sie sich Sorgen um sie mache. „Ich glaube, ich werde es schaffen, Leo. Ich bin jetzt in einer Therapie, und da lerne ich, dich zu vergessen.“ erklärte sie und lachte, „Nein Quatsch, darüber ist außer bei dem Anfangsgespräch noch kein Wort gefallen. Ich muss meine eigene Psyche erkunden, gefällt mir gut, ist nicht schlecht. Übrigens die Brigitta scheint sich vor mir zu verstecken, ist nie zu Hause, treibt sich immer bei ihrer Schwester oder sonst wem rum.“ „Sag' mal, Ines, hat die Brigitta irgend ein komisches Verhältnis zu ihrem Mann? Weißt du da etwas? Es klang so leicht an, und als ich weiter nachfragen wollte, wurde sofort alles abgeblockt.“ fragte ich. Ines warf einen Blick zur Decke, blies die Luft zwischen ihren vorgewölbten Lippen aus und meinte: „Ich habe geschworen, kein Wort darüber zu erzählen, auch dir nicht. Das ist eine vertrackte Geschichte. Sie hat sich völlig abhängig machen lassen. Nein, nein, kein Wort mehr. Das war schon zuviel.“
Abhängig war sie also von ihrem Mann und konnte ihn deshalb nicht verlassen. Wie und wodurch kann ein Mensch so abhängig von einem anderen werden, dass er nicht mehr selbst über sein Leben bestimmen kann. Die Zeiten der Leibeigenen und Sklaven sind doch eigentlich vorbei. Verbieten kann es doch niemand, so zu leben, wie man es selber will. Dieser Dirk musste Brigitta irgendwo mit in der Hand haben. Vielleicht hatte sie etwas Schlimmes gemacht, ein Verbrechen, das nicht verjährt, vielleicht jemanden gekillt und er wusste es. So ein Schwachsinn, aber kurios und eigentlich auch unerträglich war es schon. Jetzt tat Brigitta mir leid. Von ihrem ganzen Auftreten und Erscheinungsbild her, wäre einem nie eingefallen, dass es etwas geben würde, weshalb man sie bedauern könnte. Brigitta war eine straighte Frau, die auch locker und lustig sein konnte. Das andere, dass sie zum Beispiel stark liebesbedürftig war, Spaß an kindlichen Balgereien hatte und vieles mehr, habe ich erst im Laufe der Nächte erfahren. Ihre Zärtlichkeiten, ihre feinsinnigen und sinnlichen Mails, alles waren Kostbarkeiten, die man bei Brigittas öffentlichem Auftreten nicht vermutete. Vielleicht war ich ja der einzige, dem sie das vermitteln konnte, der einzige von dem sie wusste, dass er es schätzen würde und sich darüber freute, der einzige, mit dem sie das kommunizieren konnte, was auch sie selbst für die Perlen ihrer Persönlichkeit hielt. Ihr wertvollstes Leben, das teile sie mit mir. Unsere Treffen waren daher für sie nicht nur Stunden der Freiheit, sondern sie kamen ihr vor, wie Zeiten im Paradis.
Dass dieser Mann sie 'gefangen' hielt, sie zwingen konnte mit ihm zu leben, obwohl Brigitta ihn nicht liebte und lieber bei mir gewesen wäre, ließ mich nicht in Ruhe. Was er auch immer von Brigitta wusste, oder womit er sie sonst in der Hand hatte, es war kriminell. Es war ein Verbrechen, dass er etwas ausnutzte und einsetzte, um Brigittas Rechte zu beschneiden, die ihr grundgesetzlich verbrieft waren. Dass die Freiheit der Person unverletzlich ist, kann nicht einmal durch Gesetze geändert werden, dieser Mann glaubte anscheinend das Recht zu haben, eigenmächtig über Brigittas Freiheit verfügen zu können. Ich konnte Brigitta nicht sagen, komm mich bitte nicht mehr besuchen. Ich glaubte, die Ruinen zu sehen, zu denen ich die kleinen Schlösser ihres Landes, der Freude und des Glücks, in ihrer Seele zertrümmern würde. Ich bemerkte, wie ich sie häufiger anschaute, leicht anstarrte, als ob ich dadurch ergründen könne, was sie zwang, möglicherweise auch einfach, weil ich es nicht fassen konnte, was man diesem Menschen, dieser Frau antun konnte. Ich wollte besonders aufmerksam und liebevoll zu ihr sein.
Gut einen Monat später, erklärte ich Brigitta, dass ich gern mit ihr ins Bett gehen würde. Ich wolle aber nur ganz lieb zu ihr sein, lieb freundlich und zärtlich, nicht mit ihr schlafen. Verwundert lächelnd schaute sie mich mit großen Frageaugen an. „Du magst es doch, hast es doch gern, zärtlich gestreichelt zu werden und zu schmusen, wobei man sich etwas erzählen kann oder sich seinen Träumereien hingibt? Antwortete ich darauf. „Ja, o. k., Sex also heute tabu. Und wenn sich zufällig doch mal etwas ergibt, müssen wir es dann stoppen?“ fragte Brigitta, die immer noch wohl ein wenig erstaunt war lächelnd. Unter gegenseitigen Liebkosungen erzählten wir uns Kleinigkeiten. Als ich nach einiger Zeit Brigittas Bauchnabel geküsst hatte, und sie sich wand und meinte es sei sehr kitzelig, reagierte ich: „Das wirst du schon ertragen müssen, meine geliebte kleine Sklavin.“ „Was soll dass?“ saß Brigitta mit einem Ruck im Bett. „Na ja, es gibt doch noch andere Spielarten beim Sex, so viel härtere wie BDSM zum Beispiel, und da könnte es ja sein, dass man als devote Sklavin einem dominanten Herrn gehorchen müsste. Hättest du Lust an so etwas?“ antwortete ich. „Was redest du für einen Schwachsinn? Was soll das heißen? Was willst du damit sagen?“ reagierte sie leicht erregt. Sie schien sehr wohl zu merken, worauf es anspielte und woran ich dachte. Ich erläuterte es näher: „Wenn man sich in sklavischer Abhängig halten lässt, muss man doch schon eine gewisse Lust dabei verspüren, sonst gehörte es ja zu einem der schwersten Verbrechen, die einem Menschen angetan werden können. Das wäre ja Freiheitsberaubung übelster Art.“ „Ich kann ja gehen und fahren wohin ich will.“ rutschte es Brigitta raus. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, als ob sie es nicht gesagt haben oder verhindern wollte, das ihm noch mehr Derartiges entfleuchen konnte. Ich versuchte Brigitta sanft und einfühlsam zu verdeutlichen, was dieser Mann täte. „Ich kenne ja keine Hintergründe, aber auch in Unkenntnis dessen und worum es sich auch immer handeln möge, sei es einfach hoch kriminell, wenn er irgendetwas ausnutzen könne, um ihr die Freiheit ihrer Person zu beschneiden. Sie müsse immer in der Lage sein, über ihre Person frei entscheiden zu können, da dürfe niemand durch irgendwelche Drohungen oder sonstige Einschüchterungen etwas zu beschneiden versuchen. Ein Menschenrecht sei die persönliche Freiheit. Man könne sie auch nicht zurückgeben und sagen ich brauche sie nicht. Wer immer es missachte müsse strafrechtlich verfolgt werden.“ erklärte ich. „Willst'e jetzt die Bullen schicken, damit die meinen Mann verhaften?“ erklärte Britta lachend, „Mein lieber, lieber Leo, das ist alles sehr kompliziert. Man kann nicht einfach sagen der hat Schuld und der andere ist schuldlos. Wenn es überhaupt irgendeine Schuld für irgendetwas gibt. Ich glaube, ich werde es dir doch noch mal erzählen, was ich eigentlich gar nicht weiß. Nur nicht heute. Du wolltest mich lieben und nicht quälen. Ich mag so etwas bei der Liebe überhaupt nicht, da muss es zärtlich und einfühlsam sein.“
Bei dem Wort Sklavin hatte Brigitta schon sofort allergisch reagiert. Sie hatte sich also eindeutig derartige Gedanken gemacht, musste sich als seine Sklavin, die von ihm abhängig war, gesehen haben. Vielleicht regte sie unser Gespräch ja zu weiteren Überlegungen an. Ich würde es ja erfahren, was sich zwischen Brigitta und ihrem Mann abspielte. Sie wollte es mir ja erzählen. Nur tat sie es nicht. Es verging Woche um Woche, ohne dass sie ein Wort davon erwähnte. Ich wollte sie ja nicht drängeln, aber es schien so, dass ihre Absicht mich zu informieren, wohl nur eine prinzipielle Bereitschaftserklärung gewesen war. Ich fragte sie danach. „Ja, ja ich werde es dir erzählen, nur es wird dauern. Ein ganzes Treffen werden wir dafür opfern müssen. Und es ist mir sehr unangenehm. Ich kann nichts daran ändern, ich schäme mich auch vor dir. Du musst mir versprechen, dass du dein Bild von mir nicht änderst. Ich, die Brigitta, die du liebst, das bin ich heute, und die musst du weiter lieben. Die Brigitta aus der Geschichte gibt es nicht mehr. Versprichst du mir das, ich bin mir bei dir auch ohne Versprechen sicher, Leo. Morgen, am Donnerstag werde ich dir alles erklären,ja?“ versprach Brigitta.
Am Donnerstagmorgen rief sie mich im Büro an, wir müssten unser Treffen heute ausfallen lassen, sie habe einen dringenden anderen Termin. „Brigitta, das ist doch albern. Ich glaube dir nicht, kein Wort. Noch nie ist eines unser Treffen wegen eines anderen wichtigen Termins ausgefallen, und ausgerechnet heute, wo etwas für dich Unangenehmeres zu erwarten ist, muss das Treffen ausfallen. Du hast versprochen, es mir zu erzählen. Du wirst nicht immer davor fortlaufen können. Du wirst es Montag erzählen, und wir haben den Termin heute verloren.“ reagierte ich. „Leo, es ist überhaupt nichts Schönes dabei, alles nur Kotze. Sei ganz lieb zu mir und versuche mich zu verstehen, bitte. Ja, ja ich werde kommen. Alles klar.“ antwortete Brigitta.
Ich hatte es besonders vertraulich gestaltet und natürlich ihren geliebten gedeckten Apfelkuchen aus unserem Café besorgt. Sie habe gedacht, sie müsse jetzt zur Beichte, aber wie es aussehe würde hier eher eine heilige Andacht zelebriert werde. „Ja, ja, ich wollte dir andächtig lauschen, und das sollte auch das Environment vermitteln.“ scherzte ich. „Also die Conclusio ist, ich bin als Studentin auf die schiefe Bahn, wie man damals sagte, geraten, und mein Mann hat mich da rausgeholt. Das war's. Jetzt weißt du alles.“ erklärte Brigitta und wir lachten. Dann erzählte sie, wie sie als Studentin nicht den vollen Satz nach dem Honnefer Modell erhalten habe, und ihre Eltern nichts bezahlt hätten. Sie habe in einer Kneipe als Kellnerin gearbeitet, und spät abends habe ein Gast anschließend mit ihr ins Bett gewollt. Als sie es ablehnte habe er ihr Geld angeboten, zweihundert Mark. Wie lange musste sie dafür arbeiten. Einen Freund hätte sie nicht gehabt, und warum sollte sie da nicht einmal so viel Geld mitnehmen. Es sei zwar unangenehm, aber erträglich gewesen. Sie sei wie in eine Starre gefallen und habe ihn agieren lassen. Sie habe zwar seine Bewegungen gespürt, aber es habe sie kein Bisschen erregt, sie sexuell völlig kalt gelassen. Einige Zeit später sei es wieder passiert, dass jemand mit ihr ins Bett gewollt hätte. Sie habe es nicht gewollt und im Scherz gefragt, wie viel er denn zahle und er habe ihr tatsächlich auch Geld angeboten. Sie habe ihn herauf gehandelt, und als er auch bereit gewesen sei zweihundert zu zahlen, sei sie auch mit ihm ins Bett gegangen. Es habe sich wohl herumgesprochen gehabt, dass man für zweihundert Mark mit ihr ficken könne. Das sei natürlich viel leicht verdientes Geld gewesen, nur immer eben sehr spät nach Kneipenschluss. Sie habe sich überlegt, warum sie die mühsame Arbeit für wenig Geld in der Kneipe überhaupt noch machen solle. Sie habe ihre Telefonnummer in der einschlägigen Rubrik veröffentlicht. Eine fatale Entscheidung sei das gewesen. Sie habe nur noch ans Geldverdienen gedacht und Arbeiten für die Uni fliegen lassen, bis es ihr schließlich unsinnig vorgekommen sei, sich überhaupt noch einzuschreiben. Dann hätte sie schließlich eine andere Wohnung gebraucht, in einem Haus, in dem man auch als Model agieren konnte. „Aus der Studentin Brigitta war eine richtiggehende Nutte geworden. Geplant hatte ich das natürlich nie, Spaß gemacht hat's auch nie. Ich konnte es ertragen und freute mich über das Geld. Auch wenn du dich einfach hinlegst, mit dir machen lässt und nichts dabei empfindest, hilft es dir natürlich, alles so weit wie möglich zu anonymisieren und als Geschäft zu betrachten. Da sitzen keine Männer, die man lieben wird, sondern Kunden die zum Samenerguss zu bringen sind. Und so ein Kunde war mein Mann. Ich weiß nicht warum, es war eigentlich völlig gegen mein Prinzip, und ich kann mich auch nicht daran erinnern ihn gemocht zu haben, aber ich habe ihm meine Vita erzählt. Und jetzt sei eben alles zu spät. Ein Zurück gäbe es nicht mehr, erklärte ich zum Schluss. Nichts sei zu spät. Andere würden viel mehr Semester verbummeln. Er wolle mir helfen, wolle mich finanziell unterstützen, würde mir den Rücken frei halten. Er fände mich sehr nett, und wenn ich ihn heiraten würde, mache er das alles für mich. Ich wollte es mir überlegen. Das war natürliche eine riesige Chance, die einzige, die es gab, um aus dieser ganzen Welt, mit der ich im Grunde nichts zu tun haben wollte, wieder heraus zu kommen. Wenn ich die nicht ergriff, würde ich hier verkommen. Und ihn heiraten, na ja, ich hatte eigentlich noch nie so richtig feste Freundschaften gehabt, mich noch nie so richtig verliebt. Ich würde schon irgendwie mit ihm klar kommen. Aber Leo, wie kann ich dir das beschreiben, er ist das ganze Leben für mich immer mein Kunde geblieben. Zuerst war es ja auch bestimmt so, dass er für das Geld mit dem er mich sponserte immer umsonst ficken hatte, so hab ich es empfunden und nie anders. Alles total kalt, eisig. Irgend eine Form von Zuneigung, irgendwelche positiven Empfindungen, etwas das gezeigt hätte, das man sich möchte hat es nie gegeben, außer dass ich ihm zu ungeheuren Dank verpflichtet bin. Ohne ihn wäre ich sicher heute als Puffmutter irgendwo verkommen.“ berichtete Brigitta. „Meine liebe Puffmutter, ich sehe da etwas Anderes, aber da können wir ja später drüber reden.“ wandte ich ein.
„Leo, du bist mit einundvierzig Jahren der erste Mann in meinem ganzen Leben, bei dem ich Liebe empfinden kann, der erste Mann bei dem ich Lust auf Sex habe, der erste Mann, der mich verstehen will, der Lust auf mich, meine Person hat und der mir Liebe schenkt. Kannst du dir das vorstellen? Kannst du empfinden, wie groß das Wunder ist, dass ich erlebe, was es für mich bedeutet. Obwohl ich überhaupt keine Ahnung von Liebe und Beziehung habe, bei dir war ich mir sofort sicher, vollkommen sicher. Vielleicht habe ich da etwas in der Seele, im Herzen oder der Psyche, das unverwüstlich ist, das mich ausmacht, das die wirkliche Brigitta ist, und nicht die, wie sie sich nach Tagesform und Gegebenheit gerade mal so einschätzt. Und die hat sofort erkannt, der Leo ist ideal für dich. Der schenkt dir etwas, wovon du bislang nicht mal träumen konntest. Fühlst du auch so etwas in dir, das mehr zu wissen scheint, als du selber?“ frage sie mich. „Ich weiß alles selber und das meiste davon sogar noch besser.“ scherzte ich, „Brigitta, was den Kern deines Wesens ausmacht, hat sich gebildet, als du noch ganz klein warst. Es hat sich mit der Entwicklung deines Gehirns dort verankert. Was es genau war, weißt du nicht. Du weißt nicht, wie deine Mutter dich in in ersten Tagen, Wochen und Monaten geliebt hat, trotzdem ist es in dir, nur nicht für dein Bewusstsein verfügbar. Es meldet sich über deine Emotionen, über deinen Bauch. Und ich glaube, dass ich die wirkliche Brigitta, die manchmal schlauer ist als sie selber, am aller liebsten von dir mag. Bei dem meisten, was du mich von dir erleben lässt, kann ich sie ganz deutlich heraushören. Ich weiß nicht mehr viel davon, obwohl ich es damals fasziniert verschlungen habe, aber an die Passage mit der Eischätzung und Zuneigung bezüglich anderer Menschen erinnere ich mich noch sehr gut. In der Brigitta hat Stifter erklärt, dass es das Herz es sei, das den anderen Menschen erkenne, und nicht die rationale Bewertung, die uns einen fast Fremden lieben und einen hochgeschätzten Kollegen ablehnen lasse. Vielleicht hatte er ja vor über 150 Jahren in Visionen auch schon dich erkannt.“ „Ich habe sie in meinem ganzen Leben noch nicht gelesen. Als Schülerin habe ich das Buch sogar geschenkt bekommen. Ich glaube, meine Eltern haben mich auch deshalb so genannt. Ich werde es jetzt bestimmt bald mal tun. Aber du wolltest noch sagen, was du anders siehst.“ erinnerte Brigitta.
„Brigitta, um es von Anfang an auf den Punkt zu bringen, es gibt nicht den geringsten Anlass zur Dankbarkeit. Dieser Mann ist ein absolutes Schwein, dass dich immer ausgenutzt hat und es noch heute tut. Zunächst mal dein Studium. Jeder Frau, die er kennengelernt und geheiratet hätte, hätte er den Lebensunterhalt und das Studium finanzieren müssen. Dafür besteht nicht der geringste Anlass zu Dankbarkeit, nur eine andere Freundin oder Frau von draußen, hätte vielleicht irgendwann die Nase von ihm voll haben können. Mit Dankbarkeit hätte er da nichts anfangen können, die hätte ihn ausgelacht. Dankbarkeit für etwas, zu dem er sowieso verpflichtet war, konnte er nur von dir bekommen, zudem musstest du ihn ja auch aus Dankbarkeit immer noch ficken lassen. Er spart sich das Geld und die Wege, hat ne kostenlose Privatnutte für sich zu Hause, die ihm ja so unendlich dankbar sein muss und nicht fliehen kann und das bis heute. Er hat dir nicht einen riesengroßen Gefallen getan, er hat dir für einmal Fickgeld dein Leben genommen. Wie du leben wolltest, hat ihn doch nie interessiert. Du warst ja aus Dankbarkeit an ihn gefesselt. Worum sollte er sich da bemühen, warum sich um dein Leben kümmern. Kannst du dir vorstellen, dass er das alles nicht mit einkalkuliert hatte, als der Nutte, die er ja gar nicht kannte, sein vermeintlich generöses Angebot unterbreitet hat. Wenn es ein großzügiges Angebot gewesen wäre, und ihm selber nicht die größten Vorteile versprochen hätte, würde er es dir bestimmt nicht gemacht haben. Er hat dir nicht eine einmalige Chance geboten, er hat dir dein Leben genommen, für sich, um darüber verfügen zu können. Brigitta, du musst mal Klarheit darüber bekommen, wie dieses Schwein dich an der Nase herum führt, dich ausnützt und dem man noch nicht einmal Freiheitsberaubung vorwerfen kann, weil du das, was er faselt, wie er es sich nicht besser wünschen kann, tatsächlich selber glaubst. Und auch diese Argumentation mit 'einziger Chance',das ist eine Behauptung von dir, die du einfach so festsetzt. Ich könnte genauso behaupten, du hättest am nächsten Tag im Café einen Mann, keinen Kunden, kennengelernt, ihr hättet euch verliebt, und er hätte gesagt: 'Komm mit'. Ohne jegliche Dankbarkeitserwartungen oder dergleichen, einfach weil er dich geliebt hätte. Du bist nur voreilig diesem Schwein von Mann auf den Leim gegangen.“ erläuterte ich meine Sicht der Lage. Brigitta schaute mich lange an, kam zu mir rüber und setzte sich breibeinig vor mir auf meinen Schoß. Sie schaute mir wieder tief in die Augen. „Ich kann gar nichts sagen. Danke, sollte ich vielleicht doch sagen, danke, Leo. Ich bin keinesfalls verwirrt, nur beschäftigt mich, was du gesagt hast total. Sollen wir am Montag weiter darüber reden, jetzt möchte ich es gern. Aber im Moment muss ich dich erst mal küssen und beschmuseln. Ich fühle mich nämlich absolut happy, weißt du?“ erklärte sie, lächelte und viel mir um den Hals.
Nachdem ich das gehört hatte, bedeutete mir diese Frau noch mehr. Wie war es möglich, dass sie nicht durch alles, was sie durchgemacht hatte, verhärmt war, dass sie trotz allem, was sie erlebt hatte, keine Anzeichen von Verbitterung oder Gram erkennen ließ, dass sie bei der völligen Perspektivlosigkeit ihrer Beziehung, lebenslustig und heiter wirkte. Sie schien tatsächlich etwas Unverwüstliches in ihrer Psyche zu beherbergen, das ihr unablässig Kraft spendete, emotionale Stabilität zu erzeugen, die sich nicht um die widrigen Tatbestände der sie umgebenden Alltagsrealität scherte. Ich liebte Brigitta nicht nur, ich bewunderte sie. Diese jugendliche Lebendigkeit, diese kindliche Freude, wird sie denn nicht zwangsläufig bei einer solchen Biographie zu Grunde gerichtet? Vielleicht hatte die wirkliche Brigitta eine Schatzkammer, in der sie alles Wichtige für ihr wirkliches Leben aufgespart hatte, und deren Tore sie in unseren drei Nächten geöffnet hatte. Ich konnte ja nichts dazu sagen, warum Brigittas Eltern ihr das Studium nicht finanziert hatten, jedenfalls die Blumen, die sie in ihrer Kindheit bei ihr gepflanzt hatten, waren wundervoll, und ich durfte sie jetzt in ihrer vollen Blütenpracht genießen. Dass ich mich von ihr hatte trennen wollen, weil mir ihre Anwesenheitszeiten nicht reichten, ich konnte es nicht mehr verstehen. Meine Gründe kannte ich noch, doch jetzt waren sie völlig unerheblich. Jetzt war mir jede Minute kostbar, in der das Juwel Brigitta mich durch seine Anwesenheit schmückte.
Ich besuchte öfter Ines. Es gefiel mir, mich mit ihr zu unterhalten. Sie war gut aufgelegt, und hatte Lust daran, locker und lustig zu plaudern. Natürlich unterhielten wir uns auch über Männer, Frauen und Beziehungen. Sie würde schon ganz gerne näheren Kontakt zu jemandem bekommen, aber wie. Verständlicherweise seien die brauchbaren Männer längst alle von anderen Frauen okkupiert, aber bei mir zum Beispiel, sei das doch auch nicht der Fall. Wieso noch keine alleinstehende Frau über mich hergefallen sei, könne sie nicht verstehen. Ich sei doch ein passabler Typ und habe keine Macken, das könne man doch erkennen. „Ihnes, ich glaube, das läuft ein wenig anders ab. Hast du mich geliebt, weil ich ein passabler Typ ohne Macken war, weil ich brauchbar war?“ wir lachten. „Aber sag mal,“ fuhr ich fort, „den Mann von der Brigitta, kennst du den eigentlich?“ Mit einem angewiderten „Oha,“beginnend fur sie fort, „ein widerlicher Typ ist das. Das heißt, ich weiß es eigentlich gar nicht, nur ich mag ihn nicht. Der ist mir so unsympathisch, dass ich erst zweimal bei Brigitta zu Hause war. Sie muss immer mich besuchen. Die arme, dabei ist sie eine so tolle Frau, so ein wunderbarer Mensch und muss da verkümmern. Aber sag mal, wieso interessierst du dich eigentlich dafür?“ wollte Ines wissen. „Aus rein kriminologischer Sicht.“ erklärte ich. „Wieso, hat er etwas angestellt? Zutrauen würde ich dem das immer. Was hat er denn gemacht? Erzähl mal.“ fragte Ines. Ich hatte sie neugierig gemacht. Wie sollte ich jetzt reagieren? Ich hätte alles abblocken können, mit einer anderen Reaktion wäre verbunden, dass Ines von meiner und Brigittas Beziehung erfahren würde. Ich wusste nicht, ob mir das jetzt opportun erschien. Trotzdem tat ich es. „Na, was der macht, ist doch wohl kriminell genug, da braucht er nicht extra noch etwas zusätzlich anzustellen.“ antwortete ich. Leicht konsterniert fragte Ines: „Woher weißt du das?“ Ich: „Von Brigitta.“ Ines: „Das glaube ich nicht.“ „Doch, Brigitta hat es mir persönlich erzählt. Woher sollte ich es sonst wissen. Du hast ja ein Schweigegelübde abgelegt, und wer weiß es denn sonst noch?“ bekräftigte ich meine Aussage. Ines dachte nach. Wie hing das alles zusammen? „Habt ihr etwas miteinander, Brigitta und du?“ fragte sie. „Brigitta mag mich sehr gut leiden, und ich sie wohl auch.“ bemerkte ich knapp zu unserem Verhältnis. Ines schaute mich an, verzog ihren Mund zu einem leicht grinsenden Lächeln und meinte dann ein wenig träumerisch: „Leo, das ist schön. Brigitta ist eine ganz tolle Frau, aber das wirst du ja wahrscheinlich besser wissen als ich. Es freut mich für dich. Hilf ihr Leo, bitte, wenn du es nicht kannst, kann es niemand. Wenn du ihr helfen würdest, machte mich das glücklich. Es ist unerträglich, was sie leiden muss. Wenn du es schafftest, sie da rauszuholen, liebte ich dich noch dreimal so viel.“ Ines streichelte mir über die Wange und lächelte mich ein wenig mütterlich an. „Leo, ich will dich nicht zurück. Das ist vorbei, aber dass ich dich sehr, sehr gern mag, das wird nie vorbei gehen. Für mich bleibst du immer mein Schatz. Vielleicht fällt es mir ja auch deshalb so schwer, einen neuen zu finden, weil für mich selbstverständlich ist, ein Mann ist nur brauchbar, wenn er wie Leo ist. Aber fast alle zeigen spätesten nach einer halben Stunde etwas, von dem ich denke, so etwas hätte Leo nie gemacht oder so einen Unfug hätte er nie geredet. Aber du musst erzählen, wie es zwischen euch beiden gefunkt hat. Das will ich ganz genau wissen.“ forderte Ines und lachte. Die Gräueltaten von Brigittas Mann waren vergessen. Ich berichtete alles ganz genau, Ines entfuhr öfter ein „Schön!,Wie schön!“ und ich bekam manchmal zwischendurch einen Kuss auf die Wange. „Hol' sie da raus, Leo. Sie wird deine allerbeste Freundin sein, dir den Himmel auf die Erde holen und sich niemals mit dir streiten.“ meinte Ines verschmitzt lächelnd. Es war sehr angenehm mit Ines. Meinen Intentionen war sie immer schon ein Stück voraus. Ich sah sie wieder als eine kluge, gefühlvolle, freundliche und warmherzige Frau. Warum es keinen anderen Mann gab, der das auch so sah und zu schätzen wusste, konnte ich nicht verstehen. Aber man verfügt in der Regel über wenig Kontakte, hat wenig Möglichkeiten andere Menschen kennenzulernen. Das Alltagsleben stellt sich ja gewöhnlich nicht wie der Besuch einer Partnerbörse dar.
„Leo, ich bin jetzt ganz kühn und tapfer.“ kündigte sich Brigitta bei ihrem Besuch am Montag spöttelnd an, „ich werde ihn einfach anrufen, und sagen, dass es später werden wird, und ich zum Abendbrot nicht zu Hause sein werde. Boing. Keine Diskussion. Das heißt, wir haben ganz viel Zeit. Bewundere mich, bitte, Leo.“ wobei sie lachte und mich auf die Couch warf. Wir rangelten, alberten und scherzten, ausgelassen vor Freude, als ob sich Ungeheuerliches ereignet habe. Es falle ihr schwer, meinte Brigitta, dieses Bild vom Retter aus der Verderbnis, sofort völlig auszulöschen und es durch eine widerliche, menschenverachtende Fratze zu ersetzen, aber jeden Hauch von Achtung habe sie schon abgelegt. Seine Erwartungshaltung würde sie nicht mehr interessieren. Ja, sie habe sich schon in gewisser weise ihm gegenüber devot verhalten, wie eine Sklavin. Er habe zwar keine Befehle und Anweisungen erteilt, aber auf seine Erwartungen und Wünsche habe sie so reagiert, aus Dankbarkeit. Sie habe dabei immer die Bilder von früher und jetzt vor Augen gehabt und empfunden: 'Alles nur ihm zu verdanken.'. Ich denke, er hat mich gar nicht aus meiner früheren Situation befreit und mir ein neues Leben verschaffen, er hat eher dafür gesorgt, dass ich es nicht los werden konnte, dass es immer gegenwärtig blieb, ständig präsent war. Wenn ich ihn sah, sah ich immer meinen Kunden, er blieb mein ganzes Leben da, und ich wusste und fühlte es, dass ich für ihn immer seine kleine dumme Hure geblieben war. Das war das Bild unserer Beziehung, das immer gegenwärtig blieb. Er hat es über die ganzen Jahre zu perpetuieren versucht. Draußen konnte ich ein normaler Mensch wie alle anderen auch sein. Da war meine Vergangenheit passé, aber zu Hause wurde mir immer das Bild meiner Vorgeschichte präsentiert. Vielleicht habe ich es ja sogar selbst noch gefördert und unterstütz durch mein Verhalten, meinen Glauben, dass ich alles was ich jetzt sei, nur ihm zu verdanken habe. „Das ist vorbei, Leo. Ich werde tun, was ich will. Ich werde nicht aggressiv sein, und Streit mit ihm provozieren, aber cool und strikt sein kann ich schon, mich zu behaupten, wird mir nicht schwer fallen. Ich bin gespannt auf seine Reaktionen und kann die Entwicklung gar nicht abwarten.“ erläuterte Brigitta ihre neue Vorgehensweise. Warum sagte sie ihm nicht einfach 'Du bist ein Verbrecher, ich will mit dir nichts mehr zu tun haben, du hast mir mein Leben genommen, ich verlasse dich.'? Meine Sichtweise schien Brigitta ja wohl zu teilen, aber so vorzugehen, wäre vielleicht zu viel verlangt. Sie schien es sich Schritt für Schritt entwickeln lassen zu wollen. Stolz berichtete sie immer wieder von kühnen Taten, die eigentlich lächerliche Selbstverständlichkeiten waren, nur für Brigitta eben nicht. Ihr Mann habe zwar öfter grimmig geschaut, aber noch nie ein Wort von Widerspruch oder Beschwerde geäußert.
Nach etwa vier Wochen Selbstbehauptungs- und Selbständigkeitsübungen gegenüber ihrem Mann rief Brigitta mich morgens in panischer Erregung im Büro an. Sie gehe dort nicht wieder hin zurück, sie habe entsetzliche Angst. Dann berichtete sie was gestern vorgefallen sei, und dass sie die Nacht über mit einem Küchenmesser in der Hand bei sich im Zimmer auf der Couch verbracht habe. Als sie etwas abgelehnt habe, was sie machen sollte, habe er reagiert: „Ist das der Dank für alles was ich für dich getan habe? Wie willst du so etwas vor dir selbst verantworten?“ Da sei sie ausgerastet und habe ihm mal erklärt, wer wem zu danken habe, und dass er sie ihr ganzes Leben mit dieser vermeintlichen Dankbarkeitsverpflichtung an der Nase herumgeführt habe. Darauf habe er überhaupt nicht reagiert. Am Abend im Bett habe er plötzlich gesagt: „Zieh das aus. Ich will dich ficken.“ Er habe ihren Slip gemeint. Seit Jahren brauche sie sich schon nicht mehr von ihm ficken zu lassen, und jetzt kam er plötzlich damit. Reine Demütigungsabsicht, um ihr klar zu machen, was für eine armselige, abhängige Figur sie sei. „Fass mich nicht an!“ habe sie ihn warnend angeschrienen. Er habe aber nach ihrem Arm gegriffen, und sie wohl vergewaltigen wollen. Sie habe sich losreißen können, sei aus dem Bett gesprungen und habe ihm mit der Polizei gedroht. Entsetzliche Angst habe sie gehabt. Er habe ihr zwar bislang noch nie körperlich etwas angetan, aber zutrauen, würde sie ihm alles. Dass er die Entwicklung einfach schlucken und hinnehmen werde, könne sie sich nicht vorstellen. „Ich habe solche entsetzliche Angst, Leo.“ schloss sie.
Als Brigitta am Nachmittag von der Behörde aus direkt zu mir kam, war sie immer noch ganz aufgebracht. Wir würden überlegen, was wir machen könnten, und sonst bliebe sie zunächst einfach mal so lange bei mir. Bei unseren Überlegungen kamen wir zu dem Schluss, dass Brigitta sich nicht mehr der Situation aussetzen könne, mit diesem Mann allein zu sein. Aber wie dann. Wir wollten gemeinsam zu ihm fahren, und ich wollte ihm ein paar klare Worte sagen.
Der Kriminaloberrat Flensburger kam nicht in offizieller amtsmäßiger Funktion, sondern als Bekannter seiner Frau, die sich überlege, ob sie Anzeige gegen ihn erstatten solle. Seine Frage nach dem Warum, und wessen er sich denn schuldig gemacht habe, ließ mich in schallendes Gelächter ausbrechen. Dann machte ich ihm mal deutlich, was er eigentlich getan hatte, und wo seine Verbrechen lagen. Am erstauntesten schien er darüber zu sein, dass ich alles wusste, war er doch davon ausgegangen, seine Frau würde wegen ihrer eigenen unangenehmen Vergangenheit nie jemandem etwas davon erzählen. „Herr Markert, bis jetzt ist noch alles unter uns. Ob das so bleiben wird, kann ich ihnen nicht versprechen. Das werde ich noch prüfen müssen. Nur wenn ich erkennen kann, dass es sich tatsächlich um eine Straftat handelt, was eher meiner derzeitigen Einschätzung entspricht, bin ich verpflichtet es der Strafverfolgung zukommen zu lassen.“ machte ich Brigittas Mann klar. Der saß wie angewurzelt mit versteinertem Blick auf seiner Couch. Ich konnte Ines gut verstehen, dass sie ihn nicht mochte. In seinem Blick lag etwas von verschlagener Hinterhältigkeit. Mit Sicherheit hatte er das, was er Brigitta angetan hatte vom ersten Moment an mit voller Berechnung durchgeführt. Auch sein Versuch sie zu demütigen, war nicht aus dem Affekt entstanden. Das Brigitta Angst vor ihm hatte, konnte ich gut nachempfinden. „Wenn ihre Frau die Polzei rufen würde, könnte sie verlangen, dass sie die gemeinsame Wohnung nicht mehr betreten dürften. Haben sie denn etwas, wo sie unterkommen könnten.“ überzog ich ein wenig. Er schien schon Angst bekommen zu haben, musste befürchten, dass er angeklagt würde. Sein ganzes Gebäude, in dem er bislang zu agieren gewohnt war, hatte keine Basis mehr und war heftigst ins Wanken geraten, ja eigentlich schon völlig zusammengestürzt. Auf meine Frage schüttelte er nur den Kopf. „Brigitta bei einer Bekannten von mir könntest du vorübergehend wohnen. Das wäre sicher das Beste für dich. Hier kannst du allein ja so nicht bleiben.“ sprach ich ernst zu Brigitta gewandt und fuhr fort, „Du solltest dir einige Sachen zusammenlegen, die du dringend benötigst. Weiteres kannst du ja später holen.“ Ihrem Mann erklärte ich, dass er von der Polizeidirektion Nachricht bekäme, wenn sein Fall verfolgt werden würde. Er solle keinesfalls auf die Idee kommen, seine Angelegenheit noch durch eventuelle weitere Aktivitäten zu verschlimmern und vor allem: „Lassen sie ihre Frau in Ruhe, völlig in Ruhe, in jeder Hinsicht. Ich hoffe, ich habe mich deutlich und klar genug ausgedrückt, und sie haben mich exakt verstanden.“ warnte ich ihn noch mal zum Schluss. Ob er das alles einfach so würde ertragen können, ohne Pläne auszuhecken, wie er Brigitta diese Demütigung würde heimzahlen können? So ein Mensch schien er mir nicht zu sein. Allenfalls die Einschüchterung mit der Strafverfolgung und die Ungewissheit darüber, würden ihn bremsen können, sich an Brigitta zu rächen.
Brigittas notwendige Kleinigkeiten ergaben zwei vollgepackte Autos. Sie hatte auch alles mitgenommen, was sie vor eventueller Zerstörung durch ihren Mann retten wollte. Nicht nur das Einpacken bei ihr sondern auch der Einzug bei mir nahmen geraume Zeit in Anspruch, zumal wir bei mir nicht konzentriert arbeiten konnten, sondern uns immer wieder zwischendurch lachend und freudestrahlend in die Arme fallen mussten. Mit einem Berg von Klamotten für die wir noch keine Plätze gefunden hatten, saßen wir bei Essen und Wein am Abendbrottisch und feierten Brigittas Einzug. Dass ich unbedingt sofort Ines darüber informieren musste, erstaunte Brigitta ein wenig. Als Ines davon erfuhr, brach sie in Jubelchöre und Bewunderungsgesänge aus. Sie müsse unser Glück unbedingt kurz stören, da sie ohne es mit eigenen Augen gesehen zu haben, nicht einschlafen könne. In zwanzig Minuten war sie da. Die beiden Frauen vielen sich immer wieder erneut in die Arme, konnten sich gar nicht lösen und Brigitta begann zu weinen, vor Glück, zum ersten mal in ihrem Leben kamen ihr vor Freude Tränen, weil ihr Glückszustand auch ihren ganzen Körper durchfuhr und erfasste. Für die beiden war es ein Wunder, und ich der große Magier, der es ermöglicht hatte. Ines sagte immer: „Ich will euch aber jetzt nicht länger stören.“ blieb aber sitzen und ließ sich neuen Wein einschenken. Nachdem wir vereinbart hatten, eine Freuden-Fète zu Brigittas Freiheit und Einzug bei mir mit mit mehreren Freunden zu veranstalten, fuhr sie doch wieder unter besten Wünschen für die Hochzeitsnacht nach Hause.
„Lass uns keine Zeit verlieren. Die Nacht ist kurz.“ verkündete Brigitta lächelnd. Erst im Bett wurde uns völlig bewusst, was sich heute ereignet hatte. Die letzte Nacht hatte Brigitta noch mit einem Brotmesser bewaffnet auf der Couch in ihrem Zimmer verbracht, jetzt lebten wir beide zusammen. Tage und Nächte, heute und morgen, Samstage und Sonntage, würden wir gemeinsam verbringen. Wir würden gemeinsam Weihnachten feiern und zusammen in Urlaub fahren jeder in Begleitung seines meist geliebten Menschen. Alles würde für uns anders werden, ohne dass wir je etwas dazu entschieden oder beschlossen hätten. Letztlich war es durch die Attacke von Brigittas Mann ausgelöst worden. Sollte sie ihm jetzt vielleicht doch ein wenig dankbar sei? Denn er hatte ja bewirkt, das unser beider Traum, der uns so lange nicht realisierbar erschien, doch so plötzlich Wirklichkeit werden konnte.
Wir saßen uns im Schneidersitz gegenüber auf dem Bett. Zusammen im Bett gewesen waren wir ja häufig, aber es war die erste gemeinsame Nacht seit unseren drei Nächten und die erste gemeinsame Nacht für immer. Wir schauten uns nur leicht lächelnd an, als ob wir uns gegenseitig und unser Gemeinsames bewunderten, wie ehrfürchtig ergriffen, diesen anderen Menschen, diese andere Person jetzt in sein Leben aufnehmen zu dürfen und von ihm aufgenommen zu werden. Uns beiden schien das Besondere dieser Situation bewusst zu sein. Wir legten unsere Hände aufeinander und mir schien es wie ein andächtiger Moment in dem wir uns unserer gegenseitigen Hochachtung und Verbundenheit bewusst wurden. Eine Verbundenheit von zwei Wunderwerken, bei der wir uns sicher waren, dass sie unser Glück vermehren und neues Glück gebären würde, die uns nicht nur Freude empfinden ließ, sondern auch etwas Ernstes, Erhabenes charakterisierte, in die wir das, was wir für unser Leben hielten legten und von der wir ein gemeinsames neues erwarteten. Wie eine unbeabsichtigte zufällige kleine Zeremonie hatte ich und auch Brigitta es erlebt. Als wir uns hinlegten unterhielten wir uns auch zunächst ziemlich getragen, wie noch beeindruckt von dem Erfahrenen. Wir malten Bilder zukünftiger Situationen und Erlebnisse, die von anfänglichen Traumerlebnissen allerdings zunehmend skurriler wurden und bis zu ironischen Karikaturen eines unangenehmen Ehealltags führten. „Am Sternenhimmel unserer Liebe, werde ich zunehmend schwarze Löcher und braune Zwerge entdecken, die ich in der funkelnd illuminierten Glitzerpracht am Paradishimmel unserer Liebesnächte nicht erkennen konnte, ich werde die harschen, schrägen Töne in deiner beim Liebesgesäusel so warmen, sanften, melodischen Stimme hören und du wirst mich fragen, ob mein Po eigentlich so schlaff herunter hängen muss.“ Brigitta malte solche Zukunftsimpressionen unserer Beziehung und ich verdeutlichte, wie Streitigkeiten unter uns ausgetragen werden würden. Da wir uns eindeutig liebten, würden wir natürlich jeden Widerspruch mit einem „Ja, aber schau mal Schatz,“ beginnen, bis es einem von uns zu viel würde, dass er sagte: „Ja, aber schau mal Schatz, wie bescheuert wir sind.“ woraufhin der angesprochene Schatz sich nicht in der Lage sähe, dem zu widersprechen. Der Unsinn vertrieb die anfängliche Würde der Nacht, stimmte uns leicht und glücklich und ließ uns die erste Liebesnacht unseres neuen gemeinsamen Lebens erfahren und glücklich genießen.
Es gab in den folgenden Tagen und Wochen unendlich viel zu regulieren und organisieren und perspektivisch würden wir auch wohl eine größere Wohnung benötigen. Es war nämlich auch sehr lebhaft geworden in unserer Wohnung. Ines, Brittas Schwester und eine andere Freundin kamen uns sehr häufig besuchen. Früher war mal ab und zu ein Kollege von mir vorbei gekommen, jetzt schienen sie lieber zu kommen, und natürlich mit Frau Gemahlin beziehungsweise Freundin und manchmal brachte man sogar die Kinder mit. Unsere Sitzmöbel schienen auch sehr gesäßfreundlich zu sein, denn wer zum Kaffeetrinken kam, saß nicht selten auch am Abendbrottisch. Den meisten Freunden und Bekannten schien es bei uns sehr gut zu gefallen, und sowohl für Brigitta als auch für mich, waren dies völlig neue Erfahrungen, die wir nicht beabsichtigt und nicht geplant hatten, mit unserem Zusammenleben hatte es sich entwickelt. Wir empfanden es als belebend und amüsant, obwohl wir beide weniger 'Big-Society-Fetischisten' waren, sondern unser Glück und unsere Bedürfnisbefriedigung ehr in Kleingruppen suchten, und da speziell in der Zweiergruppe „Leo-Brigitta“. Mit Brigitta hatte sich eine andere Atmosphäre entwickelt. Wir waren jetzt nicht nur zu zweit, es war auch bunter und lebendiger geworden. Darüber hinaus war Brigitta recht eloquent, vor allem aber ließ sie sich intensiv auf ihre Gesprächspartner ein, und Smaltalkgewäsch war von ihr nicht zu hören. Es war interessant bei uns, man fühlte sich verstanden und das alles in herzlicher, warmer Atmosphäre. Wer nach Hause ging, nahm das Empfinden mit, sich wohlgefühlt zu haben und kam gern wieder. Im Präsidium verbreitete man, dass ich eine ganz tolle Frau habe, und natürlich musste man sie bei nächster Gelegenheit kennenlernen. Brigitta wollte das nicht. Freunde im Haus waren angenehm und gern gesehen, aber ihre öffentlichen Auftritte sollten sich auf Theater-, Konzert- und Ausstellungsbesuche mit mir beschränken. Sie wollte sich nicht ins Gespräch bringen oder bringen lassen. Es gehe ihr darum meine Liebe zu erfahren, das sei für sie sehr wertvoll, Anerkennung in der Öffentlichkeit sei Tand und bedeutete ihr nichts.
Nicht nur für Brigitta waren alle Tage zu warmen Sommertagen geworden, zu Tagen an an denen sie sich ungezwungen frei, leicht, locker und beschwingt fühlen konnte auch für mich war die Wärme der vergoldeten Tage und lauen Abende zurückgekehrt. Laut und geräuschvoll äußern viele Menschen ihre Freude über die glücklich stimmenden Empfindungen in solchen Situationen, man trifft sich zu Grillpartys und in Biergärten, und auf Jahrmärkten und Sommerfesten gibt man in lärmend buntem Treiben seinem Wohlgefühl einen Ausdruck. Natürlich kann man sein Hochgefühl und seine Begeisterung so ausagieren, aber charakteristisch für die Wärme ist das nicht. Sie kommt nicht polternd, laut und bunt daher. Lebhaft ist sie schon, nicht lahm oder verschlafen, aber sie kommt eher mit Sanftheit und und Milde behutsam zu dir. Zartfühlend nicht grob und ungestüm tritt sie mit dir in Kontakt, umspielt dich leicht und gefühlvoll und lässt dich ihr friedliches Wesen spüren. Mit sanften Lüften zeigt sie dir ein Bild ihrer feingliedrigen Differenziertheit. Vom zarten Abendwind unserer warmer Tage ließen wir uns am liebsten umspielen. Doch den kannst du nur genießen in der Beschaulichkeit einer weiten offenen Landschaft deiner Seele, in der es still genug ist seine gehauchten Botschaften zu vernehmen.
FIN
Les mains froides sont le symptôme d’un cœur chaude aimant, en proie à une passion.
Brigitta sollte Leo bewegen, wieder zu Ines, ihrer Freundin, zurückzukommen. Zum Abendbrot war sie noch bei Leo geblieben. Brigitta trank auch Wein und meinte, dann müsse sie eben mit dem Taxi nach Haus fahren. Wir lachten viel und Brigitta blieb auch nach dem Abendbrot. „Jetzt ist sowieso alles zu spät.“ meinte sie und bat mich, doch Musik aufzulegen. „Etwas Sanfteres, etwas Getrageneres, dabei kann man sich doch nicht unterhalten.“ kritisierte Brigitta meine Musikauswahl. Plötzlich bekam ich von ihr einen Kuss. Schelmisch lächelnd meinte sie: „Ich mag dich auch, Leo.“ und küsste mich nochmal. Jetzt war es allerdings nicht mehr oberflächlich, sondern sie küsste mich intensiv mit der Zunge. Ich ließ alles geschehen und machte mit. Gedanken an irgendwelche Folgen oder Konsequenzen kamen mir in dem Moment nicht. Ich mochte Brigitta und es war schön mich mit ihr zu küssen, c'est tout. Mehr war es nicht. Als wir uns gelöst hatten, schauten wir uns an und smilten, als ob wir ein wenig überrascht und stolz wären. Stolz worauf? Auf unseren Wagemut, auf unser kühnes verbotenes Unterfangen? „Nochmal?“ fragte Brigitta, was weniger eine Frage als eine Bekundung ihrer Lust dazu war.
Leo ohne Liebe – Seite 33 von 33
Tag der Veröffentlichung: 27.04.2013
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