In meinem Leben treffe ich situationsbedingt immer wieder auf neue Menschen, und stelle dann immer wieder fest, dass manch neuer Mensch eigentlich ein alter ist. Das ist allerdings nicht auf das tatsaechliche Alter bezogen, sondern einfach nur darauf, dass die meisten Menschen aehnliche Wesenszuege haben und man so immer wieder mehr oder weniger auf die gleichen Charaktere stoesst, nur mit verschiedenen Details.
Frueher, als man nur mit dem Haustelefon, den eigenen Fuessen, und im Gluecksfall noch einem fahrbaren Untersatz ausgestattet war, fiel einem das gar nicht so sehr auf. Man war ja doch ein wenig eingeschraenkt in seinem Umfeld und traf entsprechend weniger Menschen. Heutzutage jedoch ist es soviel einfacher, neuen Leuten zu begegnen. Man muss dafuer nicht einmal sein Haus verlassen, und im absoluten Gluecksfall kann man sogar im eigenen Bett bleiben, waehrend man mal eben Ingrid aus Norwegen, Manon aus Frankreich, Lan aus Vietnam, oder Betty aus den USA kennenlernt. Vorausgesetzt, man hat einen Computer und den dazugehoerigen Internetanschluss.
Das Internet. Wunderwerk der Technik und Einfachheit von Reinsten, Segen und Fluch der Moderne, Medium, mit dem man gleichzeitig lernen und verdummen kann, das
absolute Kommunikationsmittel, mit dessen Hilfe man ganz den Umgang mit Menschen verlernt. Nirgendwo ist es offensichtlicher , dass wir im Grunde alle Menschen sind als in der virtuellen Welt. Auf einmal merkt man, dass alle Menschen die man trifft, egal wo und egal wie, mehr oder weniger ueber die gleichen Charakterzuege verfuegen. So ist es nicht verwunderlich, wenn einem jemand als bester Freund erscheint, obwohl man ihn oder sie gerade mal ein paar Wochen kennt. Und es ist auch nicht verwunderlich, wenn einem jemand anderes unglaublich unsympatisch ist, obwohl man ihn oder sie noch nie persoenlich kennengelernt hat (und das dann wohl auch gar nicht erst will.) Man sieht geliebte und gehasste Merkmale am anderen und macht sich so in Nullkommanichts ein Bild von seinem virtuellen Gegenueber, in welche Richtung dieses dann lehnt ist im Endeffekt egal.
So wandere ich dann durch diese endlichen Weiten des www und lese, lerne, staune, und natuerlich schreibe. Gerade ueber das Schreiben lernt man ja heutzutage Gleichgesinnte kennen, andere Menschen, die ebenso mitteilungsbeduerftig sind wie man selbst. Meistens trifft man dann auf Menschen, die ebenso mitteilungsbeduerftig sind wie man selbst. Man stoesst auf Menschen, die gerne lesen und gelesen werden. Und manchmal - zum Glueck nur manchmal - trifft man dann auf Menschen, die weder noch koennen, und statt dessen nur sammeln. Solche Sammler gibt es ueberall. Ob es nun der Hausmeister ist, der sich ganz genau merkt, welcher Mieter denn nun immer die Muelltonne offen stehen laesst, oder der Nachbar, der staendig Beschwerden einreicht ueber uneinsichtige Falschparker, schreiende Babys und laermende Voegel, oder gar die aeltere Dame im Park, die da die Kinder vertreibt weil diese sie beim Entenfuettern stoeren koennten. Was diese Menschen sammeln? Andere Menschen. Sie sammeln das Machtgefuehl, das sich einstellt, wenn sie wieder einmal jemandem eine reingewuergt haben. Sie sammeln die Genugtuung, dass sie sich selber die Wohnung zwar nur aufgrund ihrer Hausmeisteranstellung leisten koennen, aber der vergessliche Mieter aus 3A eine saftige Mieterhoehung bekam wegen Umsetzung der neuen Muellgebuehren (irgendjemand muss ja den weggewehten Muell wieder einlesen, und das kostet.) Sie sammeln das Gefuehl der Schadenfreude, wenn sie selber nicht mehr Auto fahren koennen, aber der falschparkende Nachbar nun fuer einen Monat auch laufen muss, dank der Vielzahl von Strafzetteln. Und man sammelt die Aufmerksamkeit, denn wenn man schon die eigenen Enkel nicht miterziehen kann, kann man zumindest seinen Teil dazu leisten, dass fremde Kinder keine Enten scheuchen.
Pure Bosheit ist das bei den wenigsten, im Zweifelsfalle ist es doch nur die Suche nach einer Aufgabe, nach Aufmerksamkeit, nach menschlicher Naehe, irgendwie, mit allen Mitteln. Wen kuemmert es, wenn die Mieter einen nicht moegen, solange die adrette Dame von der Wohnungsverwaltung einen lobt ob der tatkraeftigen Hilfe. Was stoert es, wenn die Nachbarschaft nicht mehr gruesst, wenn nur der nette Polizist einen beim Namen nennt. Und was macht es schon, wenn Kinder hinter einem herschreien man sei eine Hexe, solange nur der Parkwaechter einen nett anlaechelt bei jedem Besuch...
Solchen Menschen nun vermehrt im Internet zu begegnen ist zwar mitunter recht deprimierend, jedoch gibt es zum Glueck doch noch eine groessere Anzahl derer, mit denen man gute Zeiten verleben kann, und mit denen man sich dann irgendwann, irgendwie, auch mal im realen Leben trifft und mit denen man sich im Cafe um die Ecke ebenso hervorragend versteht wie im virtuellen Raum. Doch die wahrhaft Gluecklichen unter uns? Die finden, wenn der Bildschirm erloschen und der Schreibtisch verlassen ist, tatsaechlich einen Menschen ganz in der Naehe, real, zum Anfassen, der ihnen die ganze Aufmerksamkeit schenkt. Und meinen geh ich jetzt mal zudecken.
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Tag der Veröffentlichung: 28.10.2008
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Widmung:
Meinen realen Freunden, egal wo und wie ich sie kennengelernt habe.