Mit dem Erwachen kam der Brummschädel. Noch ehe Evan die Augen aufschlug, verriet ihm ein dezentes Schnarchen, dass er nicht allein im Bett lag. Eher ungewöhnlich – genauso wie die Tatsache, dass er keinen Schimmer hatte, was in der letzten Nacht passiert war …
Normalerweise liefen seine Wochenenden immer gleich ab. Samstags Abends ging auf Tour durch die Clubs, riss einen Kerl für ein schnelles Abenteuer auf und setzte diesen vor die Tür, sobald er bekommen hatte, was er wollte. Nur sehr selten blieb sein Gast bis zum nächsten Morgen – was auf die Tatsache zurückzuführen war, dass Evan die Qualitäten seines Bettgefährten etwas länger auskosten wollte. Dieses Mal allerdings hatte er keine Ahnung, wer da neben ihm lag und was zwischen ihnen abgelaufen war.
Langsam öffnete er die Augen und die Strahlen der Sonne, die durch die Lamellen in den Raum fielen, blendeten ihn. Stöhnend rieb er sich über die Stirn. Was um Himmels Willen hatte er gestern alles getrunken? Seinem Kopf nach zu urteilen eine ganze Menge.
Als sich seine Augen an das helle Licht gewöhnt hatten, blickte er neugierig auf den Kerl, der neben ihm schnarchte. Aber außer einem blonden Schopf, breiten Schultern und einem muskulösen Rücken bekam er nicht viel zu sehen.
Evan schloss die Augen und versuchte, sich an irgendetwas zu erinnern. Doch in seiner Birne herrschte gähnende Leere. Er hatte keine Ahnung, wie der Typ hieß; er wusste nicht, wann sie hier aufgeschlagen waren und warum Blondie seelenruhig neben ihm schlief. Im Augenblick war das auch nicht wichtig. Viel wichtiger war, dass er ins Bad kam, seine übervolle Blase leerte und den widerlichen Geschmack in seinem Mund mit einer ordentlichen Portion Zahnpasta beseitigte. Also schälte er sich aus dem Laken, trat beim Aufstehen beinahe auf das offensichtlich benutzte Kondom am Boden und schleppte seine müden Knochen zum Klo. Er fühlte sich schrecklich und schwankte leicht, was dafür sprach, dass er noch ordentlich Restalkohol im Blut hatte. Den Blick in den Spiegel sparte er sich, denn wenn er so aussah, wie er sich fühlte, gab er ein beschissenes Bild ab.
Nachdem die Blase leer und seine Zähne sauber waren, fühlte er sich etwas besser. Er vermied es, zurück ins Schlafzimmer zu gehen und band sich ein Handtuch um. Keine gute Idee, splitternackt in die Küche zu laufen, deren großes Fenster weder Rollladen noch Vorhang besaß. Dort angekommen schlug er sich selbst auf die Schulter für diesen Einfall, denn seine Nachbarin tat nichts lieber, als ihn mit den Augen auszuziehen. Dabei wusste sie, dass er nur Interesse am eigenen Geschlecht hatte. Was sie nicht daran hinderte, so oft es ging zu ihm herüber zu sehen – wie im Moment.
Evan tat so, als habe er sie nicht gesehen und startete den Vollautomaten. Was er jetzt brauchte, war ein doppelter Espresso, wenn nicht gar ein dreifacher. Vielleicht kamen mit dem Wachmacher die fehlenden Stunden zurück. Die Wanduhr sagte ihm, dass es schon halb eins am Mittag war. Er konnte sich nicht erinnern, jemals einen kompletten Filmriss gehabt zu haben. Ab und an kam es vor, dass ihm Bruchstücke fehlten – aber so wie an diesem Morgen? Nein. Selbst nicht, als er sich vor Jahren mit seinem Vater gezofft hatte und aus Frust über dessen Reaktion auf sein Outing so viel getrunken hatte, dass ihm anschließend drei Tage lang schlecht war. Sein Vater … Evan grunzte und schob den Gedanken weit von sich. Über das wollte er sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen! Wäre auch nutzlos, denn die Meinung seines alten Herrn war unumstößlich. Erst wenn Evan wieder Vernunft angenommen hätte und eine Ehefrau an seiner Seite wäre, würde er wieder der Sohn werden, den sein Vater sich wünschte. Also niemals.
Er lehnte sich an der Arbeitsplatte an und nippte an dem heißen Gebräu. Espresso mit Pfefferminzaroma war nicht gerade die Krönung des guten Geschmacks – ohne Zucker erst recht nicht. Während er die kleine Tasse leerte, versuchte er krampfhaft, Einzelheiten der vergangenen Nacht herauf zu beschwören. Aber es kam nichts, nada. Alles weg. Blackout, Hangover, Filmriss. Er schnaubte belustigt. Als ob es helfen würde, sich die Synonyme für seinen Zustand in den Sinn zu rufen!
Evan füllte seine Tasse erneut. Während die Maschine ihre Arbeit tat nahm er sich ein Glas Wasser und warf eine Brausetablette Aspirin hinein. Anschließend setzte er sich auf den Barhocker und stütze den Kopf auf die Hand. Der Brummschädel fühlte sich an, als habe er sein Volumen verdoppelt.
Der Kopfschmerztabletten-Espresso-Cocktail war nicht der Bringer für seinen Magen, doch er verfehlte seine Wirkung nicht. Die Minuten verstrichen und langsam ließ das Dröhnen in seiner Birne nach. Die Leere darin blieb allerdings. Er wusste noch, dass er im ‚Staxxton‘ gewesen war. Aber er konnte sich nicht erinnern, wann er auf Blondie getroffen war.
Evan mochte seine Lebensart, die bei einigen seiner Freunde nicht gut ankam. Er war ein Egoist, nahm sich was er wollte, was ihm sein Job auch ermöglichte. Er verdiente sehr gut, hatte keine Lust auf Beziehungskisten und genoss sein Singledasein mit allem was dazugehörte. Die Typen, die er abschleppte, ließ er fallen wie eine heiße Kartoffel. Für seine Freunde war er allerdings immer zur Stelle, wenn sie ihn brauchten. Er überlegte, ob er Tom anrufen sollte, denn mit dem war er gestern losgezogen. Doch ob sein bester Freund wüsste, wie der Abend gelaufen war, stand in den Sternen. In der Regel verloren sie sich nach einiger Zeit aus den Augen – spätestens, wenn Evans Aufmerksamkeit von einem heißen Kerl beschlagnahmt wurde.
Er würde den Teufel tun und seine schlafende Eroberung nach der Nacht fragen. Wenn er nicht so schlapp wäre, hätte er den Kerl längst geweckt und vor die Tür gesetzt. Es spielte nicht wirklich eine Rolle, was abgelaufen war. Das benutze Kondom beruhigte Evan und das zählte. Er gab das Grübeln auf, auch wenn ihn der Filmriss ärgerte, und rutschte vom Hocker. Er fröstelte und eine heiße Dusche wäre genau das richtige, um wieder in Schwung zu kommen. Er griff Glas und Tasse, trat ans Spülbecken und stellte beides hinein.
„Guten Morgen“, erklang eine tiefe Stimme hinter ihm.
Langsam drehte Evan sich um und sah seinen Gast an.
„Ebenso“, wünschte er und blinzelte.
dachte er erstaunt, als er erkannte, wer da vor ihm stand.
„Du siehst aus, als wärest du überrascht.“
Evan fehlten für einen Moment die Worte. Dann räusperte er sich. „Ist das so offensichtlich?“
Sein Gegenüber nickte und ein belustigtes Grinsen lag auf den Lippen, von denen Evan als Teenager so oft geträumt hatte. Vor ihm stand Dirk. Nur mit dem Laken um die Hüften. Und er sah bei Weitem besser aus, als Evan es in Erinnerung hatte. Wann waren sie sich zuletzt begegnet? Vor fünf Jahren? In etwa …
„Hast du nen Kaffee für mich?“
„Sicher“, murmelte Evan und würde sich am liebsten in den Hintern treten, weil er diesen bescheuerten Filmriss hatte.
Während die Maschine die Bohnen durch das Mahlwerk zog, starrte er auf die Tasse. Er konnte Dirk einfach nicht ansehen. Monatelang hatte er heimlich für diesen Kerl geschwärmt; hatte sich ausgemalt, wie es wäre, ihn zu küssen. Hatte davon geträumt, diesen Körper zu erkunden. Sicher, zu dieser Zeit waren sie Teenies gewesen. Schüler. Nach der zehnten Klasse hatten sich ihre Wege getrennt, ohne dass je etwas zwischen ihnen gewesen wäre. Nie und nimmer wäre er auf die Idee gekommen, dass Dirk schwul sein könnte! Er war die Sportskanone gewesen. Ein super Handballer und umschwärmt von den Mädchen.
Als sich eine warme Hand auf seine Schulter legte, erschauderte Evan.
„Du hast ein Blackout, stimmt‘s?“, raunte Dirk ihm zu und der warme Atem nah an seinem Ohr ließ Evan neuerlich einen Schauer über den Rücken laufen. Er schluckte. „Ertappt.“
„Kein Wunder, bei dem, was du dir hinter die Binde gekippt hast.“
Dirks Hand strich von der Schulter den Arm entlang, übte leichten Druck aus und brachte Evan dazu, sich umzudrehen. Ihre Blicke trafen sich.
„Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass dir das peinlich ist?“
„Fasche Wortwahl. Ärgerlich trifft es eher.“ Evan zog eine Grimasse.
„Warum? Weil ich weiß, wie geil es war und du nicht?“
„Hm, du kannst es mir ja erzählen“, hielt Evan dagegen.
„Nein.“ Dirk schnellte vor, presste Evan einen Kuss auf und trat anschließend zurück – mit der Tasse in der Hand.
Evan blinzelte. Was war das denn?
Dirk setzte sich an die Küchentheke und trank schweigend seinen Kaffee. Evan blieb etwas unschlüssig an der Arbeitsplatte stehen und rang mit sich. Sollte er mit offenen Karten spielen? Er entschied sich dafür. Seine Hände zitterten und mit einer fahrigen Bewegung strich er sich die Haare zurück, ehe er Dirk gegenüber trat.
„Soll ich dir sagen, warum es mich aufregt, dass ich von der letzen Nacht nichts mehr weiß?“ Er wartete keine Antwort ab und sprach einfach weiter. „Weil ich früher total verschossen in dich war. Du warst immer der Supertyp, auf den die Weiber abgefahren sind. Der Unerreichbare. Ich fand dich so heiß und jetzt bist du tatsächlich in meinem Bett gelandet …“
„Und dummerweise ist da drin nichts mehr“, fiel Dirk ihm ins Wort und tippte mit dem Finger auf Evans Stirn. Das selbstgefällige Lächeln auf Dirks Lippen machte Evan wahnsinnig.
„Gar nichts. Ich weiß nicht mal, wo wir uns getroffen haben.“
- ENDE DER LESEPROBE - eBook erhältlich bei amazon und beam-ebooks.
Texte: Nik S. Martin
Bildmaterialien: Coverbild: strecht, Brasil – sxc.hu Coverdesign: Nik S. Martin
Lektorat: Noch unkorrigiert - wer einen Fehler findet, darf ihn behalten.
Tag der Veröffentlichung: 20.03.2013
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