Erste Fassung der geschichte - überarbeitete Version bei beam und amazon zu finden!
Es hat alles angefangen, als ich noch ein Kind war. Schon früh wurde mir eingebläut, mit wem ich mich abzugeben hatte, und mit wem nicht. Ich bin schließlich nicht irgendwer, sondern ein Kraus. Christian Kraus, um genau zu sein. Seit vier Generationen ist meine Familie im Besitz eines Weinguts, dass sich zu einem gut gehenden Unternehmen entwickelt hat. Das Anwesen unserer Familie befindet sich außerhalb eines idyllisch gelegenen Weinortes. Wir sind jedoch nicht die einzige Familie im Ort, die hervorragenden und weltweit bekannten Wein abfüllt. Zu Zeiten, als mein Großvater noch ein junger Mann war, wurde ein kleines Gut im Ort von einem italienischen Gastarbeiter aufgekauft und aufgebaut. Inzwischen ist das Weingut Conti ein ebenso renommiertes Haus, wie das unsere. Damit aber auch ein erbitterter Konkurrent. Mein Großvater und Paolo Conti hatten sich wegen einer Rebsorte zerstritten und seitdem sind unsere Familien nicht nur Konkurrenten, sondern Feinde.
Mit der Zeit stiegen Qualität und Anspruch immer höher, sodass ich von Anfang an in etwas hineinwuchs, dass mit meinen persönlichen Wünschen nichts gemein hatte. Als Erstgeborener war es keine Frage, dass die Leitung des Weinguts an mich übergehen würde. Etikette wurde bei uns zu Hause groß geschrieben.
Während der Grundschule war es noch nicht sonderlich bedeutend, mit wem ich spielte. Mit dem Übergang auf das Gymnasium änderte sich alles. Sehr zum Entsetzen meiner Eltern kam Enrico Conti mit mir in eine Klasse. Enricos Vater, Giacomo, erhob ebenso schnell wie mein Vater Einspruch. Doch die Schulleitung war weder interessiert an dem Zerwürfnis unserer Familien noch war sie bereit, die Klasseneinteilung zu ändern. Den Satz, den der Oberstudienrat damals sagte, vergesse ich nie: Herr Kraus, das Leben ist kein Wunschkonzert!
So kam es, dass Enrico und ich in einer Klasse saßen und von zu Hause aus die Anweisung hatten, nicht mal ein Wort miteinander zu wechseln. Unvorstellbar! Wir wussten, wir dürfen nicht befreundet sein, arbeiteten aber zusammen und hatten mehrfach gemeinsame Projekte. Uns war dieser blöde Familienstreit schon im Alter von elf Jahren zu dumm und vor allem verstanden wir ihn nicht. So war es nicht weiter verwunderlich, dass wir entgegen aller Verbote Freunde wurden.
Bis zur elften Klasse funktionierte unsere verbotene Freundschaft bestens. Mit allen Tricks schafften wir es, uns auch nach Schulschluss zu treffen, miteinander zu lernen und heimlich die ersten Zigaretten zu rauchen. Wein war bei vielen dieser Gelegenheiten mit von der Partie – unetikettierter Hauswein stand uns schließlich genügend zur Verfügung. Die Veränderung war schleichend gekommen, doch irgendwann musste ich mir eingestehen, dass ich für Enrico mehr empfand, als reine Freundschaft. Der dunkelhaarige Junge war zu einem ansehnlichen Kerl gereift, so wie ich auch. Wir waren beide sportlich, hochgewachsen und keine Kinder mehr. Als ich bemerkte, dass ich ihn zu oft ansah; mir sein Lachen gefiel, ich den Blick seiner haselnussbraunen Augen mochte und den sanft geschwungenen Mund anstarrte, wusste ich, dass ich ein Problem hatte. Nicht im wirklichen Sinne – doch ich würde niemals zugeben dürfen, dass ich so empfand. Meine Eltern, die mir und meiner Schwester Perfektion vorlebten, würden nie akzeptieren, dass ich anders war, als andere Jungs. Für mich stand jedoch fest, ein Mädchen wäre nichts für mich. Die Erkenntnis, dass ich mich in einen Jungen verliebt hatte, brachte mich Anfangs durcheinander. Die stetigen Fragen meiner Eltern, ob ich nicht mal mit Elena ausgehen wollte oder was Elena denn machte, ließen mich innerlich kochen. Elena ging wie Enrico ebenfalls in meine Klasse. Sie war die Wunschschwiegertochter meiner Eltern, die dezent aber nervtötend versuchten, mich mit ihr zu verkuppeln. Elenas Eltern besaßen ein Weingut drei Ortschaften weiter. Auch ihre Familie lebte sehr gut von den Erträgen. Ich muss dazu sagen, bei uns gibt es unzählige Weinberge und ebenso viele Weingüter. Dass sich da immer wieder mal zwei Stück durch eine Heirat zusammenlegen, war normal. Ist es heute noch. Wie dem auch sei. Ich blockte jeden Versuch meiner Eltern ab, der darauf abzielte, mich mit meiner Klassenkameradin näher anzufreunden. So drückte es meine Mutter auf dezente Weise aus.
„Ich habe keine Zeit für eine Freundin“, wiederholte ich meine Standardantwort, als beim Abendessen zum hundertsten Mal das Thema Elena auf den Tisch kam.
„Christian, du musst doch an die Zukunft denken!“, mahnte meine Mutter.
„Das tue ich, indem ich lerne.“
„Das weiß ich zu schätzen“, warf mein Vater ein und blickte dabei strafend zu meiner zwei Jahre jüngeren Schwester. Die verdrehte nur die Augen. Ihre Noten waren bei Weitem nicht so gut, wie meine und wie meine Eltern gerne gesehen hätten.
Sie zog einen Schmollmund und stand auf. Nachdem sie beleidigt das antik eingerichtete Esszimmer verlassen hatte, war das Tischgespräch beendet. Die einzigen Geräusche, die nun den Raum erfüllten, waren einstudiertes dezentes Klappern von Besteck auf Porzellan. Die Perfektion meiner Eltern, die sich gerne in den gehobenen Kreisen der Gesellschaft bewegten, machte mich wahnsinnig. Dieses feine Getue, dass sich verlor, wenn auf diversen Feierlichkeiten der Wein in Strömen floss. Ich wollte weder so leben, noch mich so benehmen und doch kam ich nicht drum herum. Mit siebzehn blieb mir keine Wahl.
Nach dem Essen fing mich meine Schwester ab, als ich durch den Flur zu meinem Zimmer lief.
„Kannst du mir bei Mathe helfen?“
„Klar“, erwiderte ich und folgte ihr.
Nachdem die Tür hinter uns zugefallen war, seufzte sie. „Ich wünschte, ich wäre wie du.“
Ich schnaubte bloß. „Sei froh, dass du es nicht bist …“
„Warum? Du bist super in der Schule, bekommst später das Gut und hast für dein Leben ausgesorgt, noch ehe du richtig erwachsen bist.“
Ihre Worte rangen mir ein müdes Lächeln ab.
„Hast du nicht bemerkt, dass ich mit Elena verkuppelt werden soll? Dass ich gar kein Mitspracherecht habe, was meine Zukunft angeht? Glaub mir, diese Art von Leben willst du nicht!“
„Was stimmt den nicht mit Elena? Sie ist hübsch und beliebt …“
„Hübsch bist du auch, Kathi – aber das ist doch nicht alles. Aber würdest du mit jemandem zusammen sein wollen, für den dein Herz sich nicht erweichen kann? Klar, Elena ist nett. Sie ist okay, wirklich. Aber ich will sie nicht als Freundin und schon gar nicht als Frau!“
Sie legte den Kopf schief und musterte mich. Eine kleine Falte lag auf ihrer Stirn.
„Was ist?“
„Naja, jetzt, wo dus sagst … du hattest noch nie eine Freundin.“
„Ich hab keine Zeit für ein Mädchen und keine Lust auf den Stress“, wich ich aus.
„Wenn du meinst“, schloss sie achselzuckend und griff nach dem Mathebuch.
Ich half Kathrin wie schon so oft bei den Hausaufgaben und erklärte ihr geduldig das aktuelle Thema.
Eine Woche später saß ich mit Enrico auf dem Hochsitz. Das kleine Waldstück, in dem dieser stand, war zwei Kilometer vom Ort entfernt und mit dem Rad gut zu erreichen. Wir rauchten und tranken Wein. Eine herrliche Beschäftigung für einen Freitagnachmittag im Frühsommer.
„Wenn mein Alter wüsste“, amüsierte sich Enrico und zwinkerte mir zu.
„Jepp! Ich scheiß drauf – mir egal, dass unsere Familien sich nicht mit dem Arsch begucken. Du bist mein Freund und das ändert sich nie!“, schwor ich.
Enrico sah mich fragend an. „Nie? Sicher?“
„Klar, warum auch nicht? Ich mein, was soll sich denn groß ändern?“
„Naja“, begann er und nahm einen großzügigen Schluck direkt aus der Flasche. „Ich denke, es gibt einen Grund, weshalb du nicht mehr mein Freund sein würdest.“
Nun war ich an der Reihe, ihn fragend anzusehen. Während er noch mit sich rang, ob er mir eine Antwort gab, drückte ich meine Kippe auf dem Holzboden aus.
„Also was jetzt?“, bohrte ich.
„Weißt du Chris, ich bin gerne dein Freund. Aber … ich wäre gerne mehr“, flüsterte er, sodass ich ihn kaum verstehen konnte.
Ich starrte ihn an. „Sag das noch mal!“
Enrico blickte mich verschreckt an, so fassungslos hatte meine Stimme geklungen.
„Bitte, sag das noch mal und beweis mir, dass ich mich nicht verhört habe.“
„Du hast dich nicht verhört“, gab er zu und ließ den Kopf hängen.
Seine Hände waren locker vor den angewinkelten Beinen verschränkt und er blickte auf den Holzboden, auf dem wir saßen. Ich rutschte auf ihn zu, hockte mich auf die Fersen, griff mit der Hand unter sein Kinn und hob seinen Kopf an.
„Sieh mich an“, bat ich leise.
„Hätte ich bloß nichts gesagt, das macht alles kaputt“, gab er matt zurück.
„Es war genau richtig.“ Ich versank in seinen Augen, die mich traurig ansahen.
Die Traurigkeit wich Unglaube, als ich mich ihm langsam näherte.
„Rico, ich bin schon lange in dich verliebt“, gestand ich, bevor mein Mund seinen verschloss.
Dieser erste Kuss dauerte nicht lange. Kaum hatte ich die weichen Lippen berührt, zuckte Enrico zurück.
„Was?“
Ich lächelte ihn an. Wir gaben uns die Klinke in die Hand und wechselten uns damit ab, den anderen ungläubig anzustarren.
„Ich weiß schon seit Wochen, dass du mehr für mich bist, als nur mein Kumpel.“
„Ist das zu fassen! Und ich dachte, wenn ich endlich die Klappe aufmache, verschwindest du und willst nix mehr mit mir zu tun haben“, erklärte er.
„Ganz im Gegenteil …“
Ich hatte keine Gelegenheit, weiter zu reden, denn Enrico zog mich schwungvoll zu sich. Ich fiel halb auf ihn drauf, während meine Knie zwischen seinen Schenkeln auf das Holz schlugen. Unsere Lippen trafen sich, während seine Hand in meinem Nacken lag. Sein Mund auf meinem – es kam mir vor, wie ein Traum.
Als sich seine Zunge in meinen Mund schob, entwich mir ein leichter Seufzer. Ein heftiges Kribbeln schoss durch meinen Körper. Blut schoss mir in die unteren Regionen, während ich mit Lippen und Zunge mit dem Mund verbunden war, der so oft meinen Blick auf sich gezogen hatte.
Ich weiß gar nicht mehr, wie lange wir auf dem Hochsitz geblieben sind und knutschten, was das Zeug hielt. Ich weiß nur, dass wir uns am nächsten Tag wieder dort trafen.
Kaum war ich die Leiter hochgestiegen, stellte ich den Rucksack ab und fiel in Ricos Arme. Wir sprachen nicht einmal eine Begrüßung aus. Ein wilder Kuss sagte alles. Ich fühlte mich endlich wohl – vergaß alles um mich herum. Unsere Lippen hingen aneinander, die Hände erkundeten den Körper des anderen. So oft hatte ich mir des Nachts ausgemalt, wie es sein würde. Die Realität übertraf meine Träume bei Weitem.
Solange wir zusammen waren, schien meine Welt in Ordnung. Doch das war sie nicht. In der Schule verhielten wir uns normal, damit niemand einen Verdacht schöpfen konnte. Als es draußen Herbst und schließlich Winter wurde, musste ein neuer Ort gefunden werden, wo wir uns treffen konnten. Dass aus unserer verbotenen Freundschaft Liebe geworden war, wusste niemand. Es war uns beiden klar, dass es auch so bleiben musste.
Wir konnten uns weder bei ihm zu Hause, noch bei mir treffen. Hin und wider schlichen wir uns in den Heizungskeller der Schule, nutzten jede Freistunde, um die Nähe des anderen zu genießen. Dort fielen wir uns sofort in die Arme, küssten uns, bis wir atemlos waren und ließen unserer Lust freien Lauf. Die Angst, ertappt zu werden, war jedes Mal mit dabei. Im Keller der Schule Sex zu haben, war ein Risiko, dass wir eingingen.
„Es wird nie anders sein, hab ich recht?“, sagte Rico einmal zu mir.
„Nein, nicht, solange unsere Eltern noch das Sagen haben.“
Die Heimlichtuerei belastete uns. Meine Noten wurden schlechter, egal wie viel ich lernte. Ich hatte Sehnsucht nach Rico, wenn ich nachts allein im Bett lag. Ich wollte ihn neben mir – Haut an Haut. Ich wollte mein Leben mit ihm teilen, doch es würde mir nie möglich sein. Wir stahlen uns Zeit, so oft es ging. Wir nutzten jede noch so kleine Möglichkeit, um einen raschen Kuss zu stehlen oder miteinander zu schlafen. Das allein wäre schon Grund genug gewesen, dass meine Eltern mich aus dem Haus und vom Grundstück gejagt hätten. Dass ich nicht auf Mädchen, sondern auf Jungs stehe. Der eigene Sohn schwul – das hätte ihren Perfektionismus ganz schön erschüttert. So hielt ich die Klappe und litt. Ricardo nicht weniger. Sein Vater, streng gläubiger Katholik, würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um seinen sündigen Sohn von dem Makel zu befreien.
Zwei Jahre lang liebten und quälten wir uns, genossen unsere Zweisamkeit, um uns anschließend schweren Herzens wieder zu trennen. Unsere nichts ahnenden Eltern planten mit absoluter Selbstverständlichkeit unsere Zukunft. Rico sollte wie ich das elterliche Gut übernehmen.
Ein halbes Jahr vor dem Abitur ließ mein Vater dann die Bombe platzen.
„Christian, ich habe sehr gute Neuigkeiten“, verkündete er strahlend. „Du bist an der besten Wirtschaftsuniversität Europas angenommen worden.“
Entgeistert sah ich meinen Vater an. „Was?“, fragte ich laut.
Vermutlich eine Spur zu laut, denn meine Mutter zuckte zusammen.
„Ich habe dich in St. Gallen eingeschrieben“, erklärte er mit einer Ruhe, als würden wir über das Wetter plaudern.
Mir fiel die Gabel aus der Hand. Es schepperte, als sie auf dem Teller aufschlug.
„Du hast was?“, fragte ich scharf.
„Sagte ich das nicht gerade?“, erwiderte er genervt.
„Ich werde nicht auf diese Uni gehen. Es ist mein Leben, meine Zukunft und außerdem bin ich volljährig. Ich kann sehr wohl selbst entscheiden, was für mich richtig ist!“
Mein Vater schnappte nach Luft. Er warf empört die Serviette auf den Tisch und sah mich finster an.
„Wenn ich es für richtig halte, dass du an dieser und keiner anderen Uni studierst, wirst du das tun. Es geht um das Weingut, falls du das vergessen haben solltest, mein Sohn“, sagte er kalt.
„Als wenn ich das je vergessen könnte. Es geht immer nur um das Gut, um den besten Jahrgang und darum, die Contis auszubooten! Ich hab die Schnauze voll davon“, schrie ich ihn an.
Meine Mutter war so blass wie das perfekte Tischtuch vor uns. Meine Schwester saß staunend da und sah zwischen uns hin und her.
Mein Vater verengte die Lider und blickte mich böse an. „Was haben die Spaghettifresser mit deiner Schulbildung zu tun?“
„Gar nichts. Aber weißt du was? Euer Streit ist mir scheißegal und ich werde nicht auf diese Uni gehen. Ich suche mir selbst eine“, erwiderte ich und stand auf.
„Noch bin ich der Herr im Haus und ich sage, wo es lang geht!“, schrie er mir hinterher.
An diesem Abend reifte in mir der Entschluss, dass es so nicht weiter gehen könnte. Aufgebracht und fassungslos ließ ich mich auf mein Bett fallen und starrte an die Decke. Einige Zeit später klopfte es zaghaft an meiner Tür.
„Kann ich reinkommen?“, fragte Kathrin.
„Ja.“
„Die sind richtig sauer auf dich“, bekannte sie.
„Weiß ich. Es ist mir egal. Ich lasse mir nichts mehr diktieren.“
„Was ist eigentlich passiert?“
Ihr Blick, der mich bohrend traf, verriet, dass sie etwas bemerkt hatte.
„Glaub mir, das willst du nicht wissen“, wich ich aus.
„Du bist mein Bruder, natürlich will ich wissen, was mit dir los ist!“, empörte sie sich.
„Heute nicht. Lass mich erst nachdenken, dann erzähle ich es dir. Okay?“
„Du hast die Contis erwähnt, was hier normalerweise gar nicht geht. Was ist da im Busch?“, bohrte sie ungerührt weiter.
„Kathi, lass es.“
„Nein!“ Sie setzte sich zu mir, packte mich an den Schultern und sah mich eindringlich an. „Was auch immer in dir vorgeht, rede mit mir. Ich bin nicht wie sie – ich bin deine Schwester. Ich bin für dich da.“
Ich schlug die Augen nieder. Ihrem Blick konnte ich einfach nicht standhalten. Meine kleine Schwester. Sie wusste zwar, dass ich gegen alle Verbote mit Ricardo befreundet war – mehr wusste sie jedoch nicht. Ich vertraute ihr bedingungslos, weshalb ich ihr die Wahrheit sagte.
„Kathi, ich bin verliebt, schon lange. Und bevor du fragst, du kennst sie nicht – weil es keine sie ist.“
Sie zog eine Braue nach oben. „Heißt das, du bist …“
„Schwul“, nahm ich ihr das Wort aus dem Mund. „Ja. Ich bin schwul.“
„Wer ist es?“
„Was glaubst du?“, stieß ich die Gegenfrage aus.
„Oh nein, nicht er. Nicht …“
„Oh doch. Mein Herz gehört Ricardo und nicht nur das. Wir sind zusammen, heimlich natürlich.“
Kathrin schloss die Augen und nahm einen tiefen Atemzug. „Wie lange schon?“, fragte sie tonlos.
„Zwei Jahre.“
Sie sog überrascht die Luft ein. „Es ist also was ernstes … kein Wunder, dass du nicht nach St. Gallen willst.“
„Mir ist es sehr ernst und langsam habe ich keine Lust mehr darauf, dass wir unsere Liebe verstecken müssen.“
„Das glaube ich dir aufs Wort.“ Kathi sah mich mitleidig an. „Was willst du machen?“
„Das weiß ich noch nicht. Zuerst muss ich mit Ric reden.“
„Darf ich dich etwas fragen?“
„Ja, sicher.“
„Wie ist das, wenn man so richtig liebt?“
Ich lächelte. Eine gute Frage. „Wie ist das? Hm, man möchte nicht ohne den anderen sein, alle Dinge des Lebens miteinander teilen, sich nahe sein. Ich würde dieses Leben sofort tauschen, wenn ich dafür eines bekäme, in dem wir frei und offen miteinander leben können. Ohne das Versteckspiel.“
Kathi antwortete nicht gleich. Sie grübelte, das sah ich ihr an.
„Mach dir keine Gedanken. Es gibt keine Lösung. Frei sind Rico und ich erst, wenn unsere Eltern nicht mehr da sind. Und damit meine ich auch seine.“
„Ach, Chris. Es tut mir so leid für euch.“
„Macht es dir eigentlich nichts aus?“
„Was?“
„Na, dass ich schwul bin.“
Sie sah mich empört an. „Na hör mal. Du bist mein Bruder – egal, wen du liebst.“
„Danke.“ Ich war erleichtert und fühlte mich etwas freier, da ich mein Geheimnis mit ihr geteilt hatte. Weiter brachte mich das jedoch nicht. In der Realität gab es kaum eine Chance für unsere Liebe. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder, wir machten so weiter, wie bisher oder wir mussten alles auf eine Karte setzen. Alles stand auf dem Spiel, wenn wir die Wahrheit sagen und uns outen würden. Mein Herz schrie nach der zweiten Variante.
Der Rest gibt es nur noch in der Kaufversion, da der Inhalt überarbeitet und etwas erweitert wurde.
Texte: Nik S. Martin
Tag der Veröffentlichung: 01.09.2012
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