Cover



E

in typischer Abend. Die junge Frau war gerade die Treppe des alten Pubs hinuntergestiegen, in dem sie wohnte. Sie selbst war hier die Wirtin und bediente die Gäste immer höflich und gut gelaunt.
Wie jeden Abend bereitete sie auch heute alles vor. Tische und Stühle wurden zurechtgerückt, der Tresen wurde geputzt, die Gläser polierte sie auf, kontrollierte die Getränke hinter der Theke, damit sie nicht extra zwischendurch in den Keller rennen musste. Langsam wurde es warm in der rustikalen, noch dunklen Gaststube. Der große Kamin auf der rechten Seite des Raumes heizte gut auf. Aber er gab nicht allzu viel Licht ab, weshalb sich die Frau noch schnell daran machte, ein paar Lichter anzuschalten und Kerzen anzuzünden. Im Freien war es bereits stockfinster. Es schneite und die Fenster knarrten, weil der Wind draußen tobte und sein gewaltiges Wehklagen in die Nacht hinein schrie. Bald sechs Uhr, dann konnte sie das Schloss der großen, knochigen Eingangstür entriegeln und ihren Gästen den Weg freimachen, die sich trotz des Unwetters immer wieder hierher verirrten. Heute würde außer ihr nur der Koch da sein, in der Kneipe, die „Das Herz von Sarin“ hieß. Woher der Name kam, wusste sie nicht, denn der kleine Laden hieß schon vor ihrer Zeit so und auch die Vorbesitzer konnten ihr das nicht erklären.
Der Frau machte es jedenfalls nichts aus, hier in diesem Dorf zu leben und zu arbeiten, auch wenn ihr Beruf für eine Frau nicht immer ganz ungefährlich war, denn wenn es auch selten vorkam, gab es trotzdem Situationen, in denen sie die Nerven behalten und handeln musste. Manchmal waren die Gäste, unter denen sich selten mal eine Frau befand, so betrunken, dass es zu Pöbeleien kam, oder manch Anderer hatte sich nicht unter Kontrolle und fand es lustig, die junge Wirtin anzugrabschen. Aber sie kannte sich aus und wusste genau, wie sie mit solchen Kerlen umzugehen hatte. Außerdem war meistens der alte Thomser da, ein bärtiger, uriger Mann, er in den Wäldern lebte und vor dem so ziemlich Jeder hier im Dorf Respekt hatte, weil alle fürchteten, dass er sie im Schlaf heimsuchen könnte, um sie zu erdrosseln. Natürlich war das totaler Quatsch, er war ein wirklich lieber Kerl, aber außer ihm und der Wirtin wusste das Keiner. Trotzdem war der Job nicht immer ganz einfach. Letzten Monat erst hatte es ein Handgemenge gegeben, bei dem ein Mann ein Messer zückte und durchdrehte, woraufhin sich die anderen Gäste auf ihn stürzten und ihn unsanft rausschmissen.
Doch die junge Frau konnte sich gar nicht vorstellen, etwas Anderes zu machen, denn sie arbeitete inzwischen schon seit vier Jahren hier, seit sie damals von ihrem Heimatort, während einer Pilgerreise hier ankam und sich so wohl fühlte, dass sie in dem kleinen Ort geblieben war. Die Arbeit hatte ja nicht nur schlechte, sondern auch ihre guten Seiten, sie lernte immer wieder neue, interessante Menschen kennen, manche kamen regelmäßig, andere seltener, manche nie wieder, aber sie konnte sagen, sie hatte sie getroffen. Es gab immer viel zu lachen und zu erzählen und sie liebte es, fremden Menschen zuzuhören, wenn sie von ihrem Leben und ihren Erinnerungen sprachen, die sie durchlebt hatten, oder die noch vor ihnen standen.
Sie ging zur Tür und drehte den kleinen, silbernen Schlüssel im Schloss herum. Das leise, klickende Geräusch verriet ihr, dass die Tür nun offen war. Sie ging zurück hinter die Theke und wartete. Fünf Minuten nach sechs kam der Koch herein, er kam generell immer etwas zu spät.
„Hey May“, rief er der Frau zu, hob die Hand im Vorbeigehen und verschwand in der Küche. „Hey Gliff“, rief sie ihm hinterher. Kurze Zeit nach ihm folgten auch schon die ersten Gäste, zwei alte Männer, die irgendwo hier in der Straße wohnten und die immer zusammen herkamen. Sie stießen die Tür auf und Schneeflocken wirbelten vor ihnen her in den Raum. Sie setzen sich an einen Tisch und May machte sich direkt daran, sie zu bedienen, während sie ein Schwätzchen mit den beiden hielt. Langsam füllte sich der Raum mit Menschen, Gesprächen und Gesang.
Sie lief umher, sammelte leere Krüge ein, schenkte volle aus, verteilte das Essen aus der Küche, kassierte und rannte hin und her. Langsam wurde es hektisch, doch auch daran war sie gewöhnt, schließlich besaß sie die beliebteste Kneipe von ganz Tallas. Hier war es immer voll. Und in der Hektik war es nicht ganz leicht, alles um sie herum mitzubekommen. Es kam auch schon mal vor, dass sie einen Gast übersah. So auch heute, in der ganzen Eile und dem Trubel, der herrschte, übersah sie völlig den Mann der in der hinteren Ecke des Raumes, direkt neben dem Kamin Platz genommen hatte. Doch es war auch nicht besonders schwierig, ihn zu übersehen. Er war in einen langen, dunklen Umhang gehüllt. Seine Kapuze hatte er sich tief ins Gesicht gezogen und er war so leise, dass man glauben könnte, er würde nicht atmen. Er passte mit seiner Erscheinung nicht wirklich in das Bild. Mehr wie eine Figur eines alten Buches. Erst als der alte Thomser May darauf aufmerksam machte, dass dort noch ein fremder Gast saß, bemerkte sie ihn und erschrak ein wenig. Der Mann hatte eine unheimliche Ausstrahlung und wirkte in dem belebten Raum vollkommen surreal. Langsam ging sie auf ihn zu, räusperte sich, begrüßte ihn und wartete auf eine Reaktion. Langsam hob der Mann seinen Kopf, aber nur soweit, dass sie seinen Mund sehen konnte. „Guten Abend“, eine tiefe, aber sanfte Stimme drang an ihr Ohr, seltsam nah und doch fern, fast als wären es zwei Stimmen, die übereinanderlagen, oder zwei Menschen, die Ein und Dasselbe sagen würden. Sie spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufrichteten und sich langsam eine Gänsehaut über ihren Rücken legte. „Wärt Ihr so freundlich, mir einen Becher von Eurem besten Elfentau zu bringen und wenn es möglich ist, nehme ich auch noch etwas Brot.“ „Aber natürlich, dauert n kleinen Moment.“ „Seltsamer Typ“, dachte May. Sie war ein bißchen erstaunt, als er nach Elfentau fragte und es war wohl eher ein Zufall, dass sie sowas kannte und deshalb immer etwas von dem Honigwein parat stehen hatte. Obwohl seine Stimme so sanft und beruhigend auf sie wirkte, war May dieser Kerl nicht ganz koscher. Sie ging in die Küche und brachte dem Koch die Bestellung. Während der sich schnell daran machte, das Brot im offenen Feuer zu backen, denn das Brot machte man hier noch selbst, ließ die zierliche Frau eine goldene Flüssigkeit aus einer gläsernen Karaffe in einen kleinen Tonbecher fließen und brachte diesen dem Mann. Den ganzen restlichen Abend über beobachtete sie ihn aus den Augenwinkeln immer wieder und hatte das Gefühl, dass er zurück sah, auch wenn sie das wegen der Kapuze ja nicht erkennen konnte. Aber selbst, wenn sie mit dem Rücken zu ihm stand, glaubte sie seinen brennenden Blick auf ihrer Haut zu spüren. Sie fühlte sich unwohl und war trotzdem neugierig. Wer war dieser Typ, wo kam er wohl her? Nur allzu gerne wäre sie zu ihm rüber gegangen und hätte ihn gefragt, aber sie war einfach zu feige und sie wollte nicht zugeben, dass er eine solche Wirkung auf sie ausübte. Durchgehend war sie in dieser Spannung gefangen. Als sie sich irgendwann die Frage stellte, wie der Fremde wohl aussehen würde, zog dieser plötzlich seine Kapuze vom Kopf. Er hatte jetzt stundenlang dort gesessen, ohne sich großartig zu regen und auf einmal lüftete er sein Geheimnis, als hätte er ihre Gedanken gelesen. May erschrak, sie musste sich eingestehen, dass sie damit nicht gerechnet hatte. Sie bekam es langsam mit der Angst zu tun, doch trotzdem schaute sie ihn immer wieder prüfend an. Seine schwarzen Haare waren etwa kinnlang und fielen ihm ins Gesicht, seine Wangenknochen waren markant, aber trotzdem weich und fein geschnitten. Er hatte eine schmale Nase und eine dünne Narbe auf der rechten Wange. Während sie ihn musterte, fiel ihr nicht auf, dass er sie tatsächlich beobachtete. Erst, als sie mit ihren Augen die seinen berühren wollte, trafen sich ihre Blicke und klebten aneinander fest, wie zwei Magnete. Sie zuckte zusammen, noch nie in ihrem Leben hatte sie solche Augen gesehen. Sie waren nicht einfach blau, oder braun. Was sie sah, war eine Harmonie aus den verschiedensten Blau-und Grüntönen, durch die ein silberner Faden, wie flüssige Farbe hindurch schwamm und wild umherwirbelte, wie die schillernden Reflexe einer Seifenblase. Sie konnte nicht begreifen, was sie sah, aber sie konnte auch nicht wegschauen. Minuten lang starrten sich die beiden an, bis May schließlich von einem Gast angestoßen wurde, der fragte, ob sie eingeschlafen sei, denn er wollte gern bezahlen und sie hätte nicht auf ihn reagiert. Also rechnete sie den Gast ab und ging zu dessen Tisch, um ihn gleich zu säubern. Während sie das tat, fing sie immer wieder den Blickkontakt zu dem seltsamen Gast auf. Ihre Gedanken verfingen sich ineinander. Es war nicht ganz leicht, noch klare Fetzen davon festzuhalten. Aber ein Gedanke ließ sich irgendwann nicht mehr aufhalten. Sie hatte Angst, sie wollte, dass der Gast verschwindet, er war ihr unheimlich, auch wenn er sie ja irgendwie anzog. Sie hatte das Gefühl, festgehalten und eingeengt zu werden. Kaum hatte sie diesen Gedanken innerlich verfasst, stand dieser seltsame Kerl auf, ging auf sie zu, reichte ihr ein paar Scheine und ging wortlos zur Tür hinaus. Sie war wie versteinert. Das konnte doch nicht sein. Wie war das möglich? Konnte dieser Typ wohl doch ihre Gedanken lesen? Langsam kam sie wieder zu sich und sah in ihre Hand. Der Mann hatte ihr viel zu viel Geld gegeben. Jetzt setzte ihr Verstand wieder ein.
Sie lief raus, aus der Tür, um ihn aufzuhalten und ihm den Rest seines Geldes zurück zu geben, doch er war spurlos verschwunden, obwohl er doch gerade erst gegangen war. Wie vom Erdboden verschluckt. Sie ging zurück. Das war eine ziemlich seltsame Begegnung gewesen. Inzwischen war es schon spät und langsam leerte sich der Raum wieder. Völlig in Gedanken versunken, begann sie damit, schon mal die ersten Aufräumarbeiten durchzuführen. Bald darauf läutete sie die letzte Runde ein. Der Koch hatte in seiner Küche bereits selbst schon alles beseitigt, was zu beseitigen war und ging kurze Zeit später auch nach Hause. Die letzten Gäste verabschiedeten sich. Thomser war der Letzte von ihnen, der zur Tür hinaus in die Kälte ging. May verabschiedete sich. Eine drehende Handbewegung, ein vertrautes Klicken. Sie überprüfte noch einmal, ob die Tür auch sicher zu war. Dann sackte sie langsam in sich zusammen. So etwas Seltsames, wie heute Abend hatte sie noch nicht erlebt. Wer war dieser Mann und was hatte er hier im Sarin eigentlich gesucht? Und vor Allem, warum hatte er sie mit diesen magischen, durchdringenden Augen so bohrend angestarrt. Eine kleine Ewigkeit blieb sie so sitzen und grübelte vor sich hin, ohne Ergebnis natürlich. Doch irgendwann raffte sie sich auf, erledigte die restlichen Arbeiten und schleifte sich dann die Treppe wieder hoch in ihre Wohnstube, die sie über der Taverne hatte. Sie betrat den Raum, sorgte dafür, dass es etwas heller wurde und begab sich in das kleine Badezimmer. Sie legte die Seife und ein Tuch zum Trocknen bereit und schlurfte dann etwas geschafft an ihren Herd. Die Rohre im Haus waren alt und warmes Wasser gabs nicht immer. Sie erhitzte den ersten Topf mit Wasser (der Herd war ja, Gott sei dank, nicht so alt und machte sich bezahlt). Nach und nach goss sie die heiße Flüssigkeit in ihre winzige Badewanne. Als diese gefüllt war, befreite sich May von ihrer Kleidung und stieg vorsichtig ein. Das Wasser auf ihrer Haut tat unendlich gut. Es hatte genau die richtige Temperatur, was May eigentlich selten gelang. Langsam kam sie zur Ruhe und ihre Muskeln lockerten sich. Doch sich ganz fallen zu lassen, war ihr nicht möglich. Sie kriegte die Bilder des heutigen Abends nicht mehr aus ihrem Kopf. Dieser mysteriöse Gast ließ sie einfach nicht los, er hielt sie immer noch gefangen. Sie hatte schon so viele Menschen gesehen, der eine seltsamer als der andere, aber einem solchen Mann mit so seltsamen Augen war sie noch nie begegnet. Sie grübelte noch eine ganze Weile hin und her, als suchte sie selbst nach einer Lösung für ihre Fragen, auch wenn das Unsinn war. Recht spät fiel ihr erst auf, dass das Badewasser bereits schon wieder kalt geworden war und sie viel zu lange hier drin gesessen hatte, was ihre verrunzelten Fingerkuppen letztendlich auch bestätigten. Also versuchte sie sich zu sammeln und stieg langsam aus. Sie wickelte sich in das Tuch ein, was sie sich bereit gelegt hatte und lief durch den Raum auf den Spiegel zu, der an der Wand hing. Sie schaute hinein, nahm ihre Bürste zur Hand und kämmte sich durch das blonde, lange, nasse Haar. Plötzlich flutschte ihre Bürste weg und fiel auf den Boden. Sie bückte sich, griff danach und richtete sich wieder auf. Ein brennender Schmerz durchfuhr ihren Körper. Es fühlte sich an, als würde sie von innen zerrissen werden. Sie wollte schreien, doch ihr fehlt der Atem. Um sie herum verschwand die Realität. Alles was sie noch sah, waren zwei grüne, schillernde Augen, die sie aus dem Spiegel heraus anstarrten.

**********

Nichts. Nicht mal Dunkelheit oder Licht, keine Farbe. Sie konnte nichts erkennen. Ihr war ziemlich kalt. Hörte sie etwas? Nein, nichts, absolute Stille. Sie tastete den Boden ab. Gras und Steinchen, sie lag irgendwo im Freien. Jetzt wehte ihr auch der süßlich, modrige Geruch von Wald entgegen, auf den sie sich vorher garnicht konzentriert hatte. Warum sah sie nichts? War sie blind? May bekam Panik. Was war passiert, wieso war sie hier? Sie versuchte sich aufzurichten, aber das war nicht so einfach, sie hatte ziemlich starke Schmerzen, so als wäre sie gefallen, oder verprügelt worden. Nur mit Mühe und ner ordentlichen Portion Willensstärke schaffte, sie es, sich zu hinzusetzen. Sie horchte weiter in die Stille, doch es kostete sie nur unnötig verbrauchte Kräfte und hätte ihr eh nicht viel weiter geholfen denn sehen war immernoch nicht möglich. Sie war verzweifelt, umschloss ihre Knie und fing an zu weinen. Die heißen Tränen fühlten sich gut an auf ihrer Haut. Sie blieb eine ganze Weile so sitzen, es war ein angenehmes Gefühl, sich gehen zu lassen. Ihr fiel plötzlich auf dass sie Schuhe trug. Was hatte sie noch an? Es war unfassbar, sie wusste tatsächlich garnichts mehr und fing an sich abzutasten. Zuerst die Füße, May spürte die lederne Oberfläche des Schuhs, er war knöchelhoch, geschnürt. Ein Stück weiter oben an der linken Wade fühlte sie ein breites Lederband, mit einer Art Halfter. Sie fummelte daran rum und hatte plötzlich ein kleines Messer in der Hand. Oh mann, was war hier los? Sie steckte das Messer wieder weg und fühlte weiter. Eine kurze, zerrissene Hose hatte sie an, ein dünnes Oberteil. Etwas drückte ihr leicht gegen die Kehle, sie trug einen Umhang, der von einer Brosche zusammengehalten wurde. Die Brosche war recht breit. May streifte mit dem Finger von links nach rechts darüber. Das Ding musste was Besonderes sein, denn es war schwer und vereinzelt streifte sie die glatten Oberflächen, kleiner Edelsteine. Auf einmal durchzuckten sie viele einzelne Bilder. Sie sah sich. Nackt, nur in ein Tuch gewickelt. Ein Bad. Ein Bürste, sie fiel zu Boden. Der Spiegel, sie schaute hinein. Sie sah sich selbst, wie sie auf einer von Bäumen umrandeten Lichtung lag, angezogen wie eine Kriegerin. Pfeil und Bogen auf dem Rücken, einen schweren Umhang auf den Schultern tragend. Sie sah wieder an sich herunter und war nackt! Sie blickte erneut in den Spiegel und da waren sie , diese grünen, leuchtenden Augen, gefolgt von dem unerträglichen Schmerz. Dann war es wieder vorbei, jetzt erinnerte sie sich wieder an alles, der Mann, das Lokal, das Badezimmer und diese unbeschreiblichen Augen. Hatte er sie getötet?



Nein, das konnte nicht sein. So konnte sich der Tod nicht anfühlen. Als Kriegerin war sie sich selbst erschienen, mit Waffen. Der Bogen hing tatsächlich über ihrer Schulter. Ihr kam das alles ziemlich unreal vor, aber hier auf irgendetwas zu warten, konnte ihr nicht helfen. Sie stand auf, langsam, unbeholfen und noch ziemlich schwankend, erst fiel sie fast wieder um, aber sie stützt sich rechtzeitig mit der Hand ab und kam wieder hoch. Konzentration. Das half. Sie senkte den Kopf. Als sie sich gerade vorgenommen hatte, einen Schritt vorwärts zu gehen, wo auch immer vorwärts war, fiel ihr ein Glühen auf. Ein violettes Leuchten, dass von der Brosche ausging, schwebte vor ihr her. Erst war es schwach, aber je mehr sie dieses Lichtspiel fixierte, desto intensiver war es. Das Glühen dehnte sich aus, pulsierend wie ein Wasserring. Und je weiter es kam, desto deutlicher zeichnete sich vor May etwas ab. Waren das ihre Füße, die sie da sah? Aus dem Licht formten sich leicht ihre Schuhe ab, aber sie konnte sie sehen. Ihre Umrisse zeichneten sich immer klarer ab.
Und sie sah auch immer mehr. Vor ihr zeichnete sich langsam der Boden ab. Sie konnte ihren Blick nicht davon abwenden. Was sie sah, war ihr so unbegreiflich und sah so wundervoll aus, dass sie es richtig genoss. Und je mehr sie sah, desto freier fühlte sie sich. Es war, als würde jegliche Schwere von ihr fallen, als verließe sie ihren Körper, und ihre Seele machte einen Spaziergang, um sich überall zu auszubreiten.
Es ging ihr wieder richtig gut. Inzwischen hatte sich die ganze Lichtung abgemalt. Sie erkannte die Bäume um sie herum und den kleinen Hohlraum, der zwischen ihnen hindurch in den Wald führte. Sie wagte es, einen Schritt nach vorne zu gehen und noch einen und noch einen. Die violetten Umrisse ihrer Umgebung blieben. Der Blick wurde sogar immer schärfer. Sie sah jetzt sogar hohe Berge über die Baumwipfel hinüber schauen. Sie ging gerade wegs auf die Öffnung des Waldes, zwischen zwei alten Tannen zu. Vor ihr formten sich Laub und Zweige ab. May war unheimlich erleichtert. Auch, wenn sie überhaupt nicht verstand, was hier vor sich ging, war sie froh, dass sich überhaupt etwas geändert hatte.Je weiter sie kam, desto feiner wurden ihre Sinne. Ihre Ohren vernahmen langsam wieder Geräusche. Sie hörte eine Krähe krächzen und das Rauschen des Windes im Blätterdach. Die brechenden Zweige auf dem Boden wurden auch lauter. May dachte darüber nach, was sie jetzt tun sollte. Da sie sich überhaupt keine Reim darauf machen konnte, wo sie war, konnte sie auch nicht wissen, was auf sie zukam.
Es ging ihr wieder richtig gut. Inzwischen hatte sich die ganze Lichtung abgemalt. Sie erkannte die Bäume um sie herum und den kleinen Hohlraum, der zwischen ihnen hindurch in den Wald führte. Sie wagte es, einen Schritt nach vorne zu gehen und noch einen und noch einen. Die violetten Umrisse ihrer Umgebung blieben. Der Blick wurde sogar immer schärfer. Sie sah jetzt sogar hohe Berge über die Baumwipfel hinüber schauen. Sie ging geradewegs auf die Öffnung des Waldes, zwischen zwei alten Tannen zu. Vor ihr formten sich Laub und Zweige ab. May war unheimlich erleichtert. Auch, wenn sie überhaupt nicht verstand, was hier vor sich ging, war sie froh, dass sich überhaupt etwas geändert hatte.Je weiter sie kam, desto feiner wurden ihre Sinne. Ihre Ohren vernahmen langsam wieder Geräusche. Sie hörte eine Krähe krächzen und das Rauschen des Windes im Blätterdach. Die brechenden Zweige auf dem Boden wurden auch lauter. May dachte darüber nach, was sie jetzt tun sollte. Da sie sich überhaupt keine Reim darauf machen konnte, wo sie war, konnte sie auch nicht wissen, was auf sie zukam. Was sollte sie tun, wenn sie auf Jemanden, oder etwas traf, was ihr nicht wohlgesonnen war? Sie wurde vorsichtig und langsamer. Jeden Schritt, den sie tat, beobachtete sie genau und sie wich allem aus, was laut sein konnte, sofern das denn möglich war.
Vor ihren Augen tat sich ein riesiger, alter Wald auf. Die Bäume waren knöchrig und sehr hoch. Ihre Äste wuchsen wild in alle Richtungen. Immer wieder musste sie sich ducken, oder ausweichen, damit sie nicht erschlagen wurde. Welche Richtung sollte sie jetzt einschlagen? Erstmal geradeaus, dachte sie sich. Irgendwann musste ja mal ein Ende kommen. Dass diese Theorie sich nicht umsetzten würde, kam ihr nicht in den Sinn.
Immer weiter lief sie in den Wald, sie vernahm etwas, was sich wie Vogelgesang anhörte, aber irgendwie doch fremd klang. Sie suchte in den Baumwipfeln nach dem Geräusch, aber zuerst viel ihr nichts auf. Doch irgendwann erkannte sie in der violett strahlenden Umgebung einen blauen Fleck, der sich zuerst langsam, aber bald immer flinker bewegte, je näher sie darauf zukam.
Sie erkannte ein Tier. Na, ja, sie glaubte, dass es ein Tier war. Es sah aus, wie ein Vogel, aber so einer war ihr vorher noch nie aufgefallen. Er hatte einen kleinen Kopf mit riesigen Federn, sein Schnabel, war viel zu groß und hatte eine Art Fächer, der immer wieder aufflatterte. Er hatte einen schuppigen Körper und nicht besonders viele Federn für einen Vogel. Aber die Wenigen, die ihm wuchsen, oder geblieben waren, hingen weit herunter. So, dass es fast aussah, als trüge er einen Vorhang auf dem Rücken. Und er war nicht allzu groß, weshalb May auch relativ zuversichtlich, wenn auch weiterhin nicht ganz unvorsichtig auf ihn zuging. Was war das für ein Tier? Es sah wirklich seltsam aus, eine Mischung aus Pfau und Echse dachte sie sich. Aber immerhin wusste sie jetzt, dass sie noch andere Farben sehen konnte, auch, wenn ihr nich ganz klar war, welche Bedeutung das hatte.
Sie hatte mit Tieren an sich keine Probleme, aber einen freilebenden „Vogel“ kann man beobachten und dann auch weiter Vogel sein lassen. Also ging sie weiter, denn irgendwie hatte er an ihr kein sehr großes Interesse. Er drehte den Kopf zu seinen Flügeln und schwang mit den langen Federn. May musste lächeln, das sah schon lustig aus.
Lächeln, gutes Gefühl. Dieser Gedankengang brachte sie in ihre Situation zurück. Sie hoffte, dass sie weiterhin geradeaus ging, war sich aber nicht so sicher, ob der Vogel sie nicht davon abgebracht hätte. Und ihr war immernoch nicht ganz klar, warum sie die Dinge auf so seltsame Weise sah, warum sie aussah, wie eine gewisse Archäologin aus Computerspielen im Mittelalter. Dieses Licht und diese Brosche hingen irgendwie zusammen. Sie hatte sie berührt und diese Bilder gesehen und danach kam das Leuchten. Sie überlegte. Die Brosche nochmals anzufassen, war für sie jetzt eigentlich die beste Option. Wenn sie es nicht täte, würde sie noch ne ganze Weile umher irren und rätseln, wie sie weitermachen sollte. Aber sie ging auf Nr. sicher und setzte sich vorsichtshalber an einen Baum, für alle Fälle. Sie sah sich noch einmal um und atmete durch. Los gings! Sie berührte die Brosche und Blitze zuckten vor ihren Augen. Schnell formte sich ein Bild in ihrem Kopf. Sie sah ein kleines Mädchen, das einsam auf einer Straße saß. Es trug alte Lumpen, hatte dreckiges, schwarzes Haar und war auch im Gesicht nicht viel sauberer. Sie hockte auf ihren Knien, starrte auf den Boden und war mucksmäuschenstill, während ihr kleine Glasperlen über die Wangen tropften.

Impressum

Texte: Alle Illustrationen sind selbstgezeichnet.
Tag der Veröffentlichung: 06.11.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Diese Zeilen gilt es noch zu füllen.

Nächste Seite
Seite 1 /