Lachend tanzte sie durch die Straße. Die Sonne schien, der Himmel war herrlich blau und es war kein Wölkchen zu sehen. Sie sprühte über vor Glück. Ihr Inneres hüpfte, sprang und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie trällerte Accidentlaly in Love, den Song der alles für sie bedeutete, der sie mit ihrer großen Liebe zusammen gebracht hatte, sie durcheinander gebracht und ihr Innerstes zum explodieren gebracht hatte. Tausend Schmetterlinge flogen durch ihren Bauch und verursachten ein heftiges Kribbeln, das sich ausbreitete bis in die Fingerspitzen. Eine unglaubliche Wärme hatte sich um ihr Herz gelegt. Es war 12 Uhr mittags und sie war der glücklichste Mensch auf der ganzen, weiten Welt. Die Menschen, die ihr auf ihrem Weg begegneten, lächelten sie verwundert an.
Eine Fröhlichkeit und außergewöhnliche Glückseligkeit ging von ihr aus, dass sie förmlich strahlte. Ihre Gefühle waren unbeschreiblich, sie glaubte, jeden Moment vor Glück zu platzen.
Sie bog in eine Seitenstraße ab, noch eine, noch eine. Mit jedem Schritt wurde sie schneller, begann zu rennen, und da stand sie -ihre große Liebe. Tine.
Sie lachte laut auf, schrie ihr Glück hinaus und fiel ihr in die Arme. Sie genoß jeden Atemzug, den sie ihr nahe sein konnte. Jeder Augenblick zusammen war wie ein Besuch im Paradies, in dem alles möglich war. Einfach alles. Ihre Grübchen, wenn sie lachte, ihre großen blauen Augen, wenn sie sie ansah, ihr Lächeln, dass sie schmelzen ließ, wie ein Eis in der Sonne, ihre Haare, die ihr schimmernd und schwarz glänzend über die Schulter fielen, ihre Hände, wenn sie zärtlich über ihre Handrücken streichelten, bevor sie fest ihre Finger mit den ihren verhakten und sie festhielt.
Jede Sekunde mit ihr nahm ihr den Atem, machte sie willenlos und leicht, als würde sie jeden Moment abheben und fliegen. Feuerwerke explodierten auf ihren Lippen, wenn sie sie küsste, ihre Haut brannte unter ihren Berührungen und die Hitze zwischen ihnen verbrannte beide in dem Moment, in dem ihre Gefühle überschwenglich und besitzergreifend wurden und explodierten.
Es war immer gleich, und doch immer anders. Es war besonders. Wie in einem Film schien sich die Welt um sie zu drehen. Sie lebten auf der Sonnenseite des Lebens, leicht chaotisch und doch perfekt.
Wieder einmal lagen sie in der Sonne auf dem Rasen. Die wärmenden Strahlen verursachten ein angenehmes Prickeln auf der Haut. Tine hatte ihren Kopf auf Larissas Bauch abgelegt und blinzelte sie mit einem Auge an, da sie, um sie anzuschauen, direkt in die Sonne blicken musste. Schließlich hob sie die Hand, um die Sonne davon abzuhalten, ihr Tränen in die Augen zu treiben.
Bei ihnen brauchte es keine Worte, um sich zu verstehen. Es reichte ein Blick, um zu wissen, was die Andere sagen wollte. Schon seit dem ersten Tag, an dem sie sich gesehen hatten, hatte eine unbestimmte Magie zwischen ihnen gelegen, die keiner verstanden hatte. Sie hatten schon nach einigen Stunden gemeinsam einen Satz zu Ende führen können, den die Andere gerade angefangen hatte, einen Gedanken aussprechen können, den dier Andere gedacht hatte. Die beiden jungen Frauen waren sich unglaublich ähnlich in ihren Charakterzügen, ihrem Umfeld und ihres Lebens, so ähnlich, dass man hätte denken können, es stände ein Spiegel des anderen vor einem. Nur in einem waren sie sich nicht im geringsten ähnlich -ihrem Aussehen. Im Gegensatz zu Larissa, die blond gelockte Haare und grüne Augen besaß und 1,65 m groß war, maß Tine 1,73m , besaß eisblaue Augen und hatte schwarze Haare.
„Come on, Come on,...move a little closer, come on come on, I wanna hear you whisper...“ begann Larissa plötzlich aus vollem Hals zu singen. Nach einem kurzen Moment der völligen Verwirrung stieg Tine ein. Accidentally in Love drang aus den Kehlen der beiden jungen Frauen, die beide genau wussten, was das Lied angestellt hatte. Es hatte ihr Leben komplet umgekrempelt, sie Gefühle neu erleben lassen und ihnen den besten Sommer ihres Lebens beschert.
Tine sprang urplötzlich auf und sang Larissa an. Diese kicherte, sang weiter und begann, sich auszustrecken und lasziv mit ihrem Hinterteil zu wackeln. Tine verschkluckte sich, bei dem Versuch, singen und lachen unter einen Hut zu bringen und Larissa sprang nun auch auf, klopfte ihr auf den Rücken und Tine stieg wieder ein.
„Come on, come on, jump a little higher, Come on, come on, if you feel a little lighter..“
Die beide warfen sich verruchte Blicke zu, sprangen sich an, wackelten mit den Hüften und Tine legte einen Moonwalk hin. Irgendwann konnte sich keine der beiden Tänzerinnen mehr das Lachen verkneifen und sie sanken prustend auf den weichen Grasboden, wo sie vorerst liegen blieben und sich nicht rührten. Ihr Atem ging schnell, ihre Lungen pumpten in Sekunden das Doppelte der normalen Menge Sauerstoffs durch ihren Körper, ihr Adrenalin stieg massiv an. Sie sahen sich an, Larissa rollte sich herum, schaute in die blauen Augen der 21jährigen und wiedereinmal stockte ihr der Atem bei dem Blick dort hinein.Sie lächelte und ihr Herz schlug so laut, dass sie meinte jeder müsste es hören.
Tine grinste.
„Dein Herz mag mir gerade wieder mitteilen, wie lieb es mich hat.“
Das war es, was Larissa an ihr liebte. Die Kommentare zu Sachen, die kein Mensch bemerkte, nur sie. Unverfängliche Bemerkungen, Berührungen, Gesten wurden bei ihr eine völlig andere Bedeutung beigemessen. So konnte niemand es vor ihr verbergen, wenn es ihm schlecht ging. Sie bemerkte es, egal, wie gut es derjenige auch zu verstecken versuchte. Und sie brauchte nicht viele Worte, um anderen etwas mitzuteilen. Sie redete nicht um den heißen Brei herum, sagte, was sie dachte und ließ sich nicht beirren, wenn es um etwas ging, was ihr wichtig war.
Jedoch wusste Larissa um eine Schwäche, die sie hatte. Sie glaubte immer, alles alleine zu schaffen. Zwar war es Larissa nun schon gelungen, sie etwas „umzuerziehen“, jedoch war sie in manchen Sachen genauso stur wie vorher, was sie mit einem Augenzwinkern als „beratungsresistent“ bezeichnete.
„Hey -Wo bist du mit deinen Gedanken?“ lachte sie nun und begann Larissa zu kitzeln, bis ihr die Luft wegblieb und sie um Begnadigung bettelte.
„Du Biest“ keuchte sie lachend.
Sie wusste, dass Tine wusste, dass sie sich nicht wehren konnte, wenn man begann, sie zu kitzeln. Das hatte sie schon sehr früh herausgefunden und es immer dann genutzt, wenn sie sich nicht anhören wollte, wie Larissa sie wegen etwas schimpfte, sie aufmuntern wollte oder einfach nur um sie ein bisschen zu ärgern.
„Ich denke an einen besonderen Moment.“
„Ein besonderer Moment? Der da wäre?“ fragte Tine neugierig und kam ganz nah an das Gesicht Larissas heran, bis man jede einzelne Pore erkennen konnte und ihre Nasenspitzen sich fast berührten.
„Jaa... das wüsstest du wohl gerne.“ Larissa grinste.
„Mhh...Ja. Du weißt doch, ich will immer alles wissen.“
Keiner der beiden bewegte sich. Plötzlich schnellte Tine vor und drückte Larissa einen Kuss mitten auf den Mund.
„Sagst du es mir jetzt?“ grinste sie schelmisch.
„Hmm...na gut.“ Larissa lächelte träumerisch. „Ich hab an unseren ersten Kuss gedacht.“
„Ouu.. unser erster Kuss...!??“ Tine runzelte die Stirn und tat so, als müsste sie überlegen.
„Ey! Dumme Nuss.“ lachte Larissa und schlug sie leicht mit der Hand an den Oberarm.
„Okay, okay, schon gut!“ lachte Tine.
„Was hast du denn noch gedacht? Mhhh? Das war doch nicht das einzige, wenn ich deinen Blick so sehe...“
„Also, jetzt, wo du fragst.. ich weiß es selber nicht mehr.“ stichelte Larissa.
„Menno, du lügst..“ maulte Tine.
„Stimmt.“ lachte Larissa, bevor sie aufsprang und über die Schulter rief
„Und ich sags dir auch nicht.“
Tine tat es ihr nun gleich, indem auch sie aufsprang und die Verfolgung aufnahm.
Eine Weile ging die Jagd über die Wiese weiter, bis Larissa stolperte, hinfiel und Tine sich auf das zappelnde Bündel warf, um es einmal kräftig durchzukitzeln.
Larissa japste, schnappte nach Luft und ging zum Gegenangriff über. Nun war es an Tine, sich mehr oder weniger erfolglos zu wehren, da sie nicht weniger kitzelig war als Larissa.
„Nein, ah..“ keuchte sie. „Ich ...ich geb auf....du hast gewonnen...“
Larissa grinste nur, setzte sich auf sie, griff die Handgelenke und drückte so die Arme auf den Boden. Tine sah sie nur an, leicht lächelnd und mit klopfendem Herzen. Und Larissa konnte sie nur noch anschauen. Ihr Blick glitt über ihre feinen Gesichtzüge, ihren Oberkörper und ein anzügliches Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus, welches von Tine „Oh nein, ich weiß genau was du denkst, ich kenn das schon.“ herauslockte.
Larissa warf den Kopf in den Nacken und lachte laut heraus. Dann beugte sie sich über die Freundin, sah in ihre eisblauen Augen und die beiden konnten sich nicht zurückhalten. Tine hob den Kopf und Larissa senkte ihn etwas, bis ihre Lippen sich berührten und zu einem zärtlichen Kuss verschmolzen. So verharrten sie einige Minuten, bis Tine sich über Nackenschmerzen beschwerte und Larissa sie aufsetzen ließ, um dann im Sitzen mit der Prozedur fortzufahren.
Immer noch spürte die 19jährige dieses heftige Kribbeln im Bauch, wenn Tine ihr nahe war und wie am ersten Tag schlug ihr Herz, wenn sie sie nur ansah. Auch in diesem Augenblick verspürte sie es ganz deutlich. Mit geschlossenen Augen genoß sie diese Minuten in vollen Zügen, spürte nur die Berührungen und den warmen Atem auf ihrer Haut. Die Hände der 21jährigen lagen auf ihren Hüften und ihr kam es vor, als ob sie glühen würden. Tines Zunge spielte mit der ihren und ein bittersüßer Schmerz durchfuhr ihren Körper, elektrisierend und aufreibend bis in jeden Winkel.
Ein verleges Hüsteln in unmittelbarer Nähe unterbrach sie jäh und beide schauten, etwas erschrocken, auf.
„Ich ähm...störe ja nur ungern, aber....wissen Sie vielleicht, wie ich hier zur Bank komme?“ Entschuldigend schaute eine junge Fau von einer zu anderen, um dann hinzuzufügen
„Ich kenne mich hier leider nicht aus....“
Larissa war leicht rot gewoden und schaute verlegen zu Boden. Während Tine die Frau anstrahlte und ihr in kurzen Sätzen und einigen Stellen, nach denen sie Aussschau halten sollte, den Weg erklärte.
Die Frau bedankt sich freudig und verschwand mit einem Grinsen in die beschriebene Richtung.
Tine achtete schon nicht mehr darauf, sondern schickte ein Lächeln an Larissa. Ihr war aufgefallen, wie die 19jährige wiedereinmal reagiert hatte und zog sie nun damit auf.
„Soso...hast du dich wiedermal für mich geschämt?“
„Nein..du weißt genau, dass das so nicht ist!“ protestierte diese entrüstet, jedoch wischte die Freundin ihre Rechtfertigungsversuche mit einem Wisch der linken Hand durch die Luft einfach beiseite und sagte grinsend
„Schon gut Kleine, gehen wir nach Hause.“ grinste sie.
Hand in Hand liefen sie die Straße hinunter, die warmen Handflächen aneinander gelegt.
Auch Tine empfand heftige, tiefe Gefühle für Larissa, doch war sie ein Mensch, der es eher mit sich selbst ausmachte, wenn etwas passierte. Sie konnte nicht über alles reden, was sie beschäftigte. Larissa hingegen zeigte zwar schüchtern, aber dennoch offen, wie es um ihre Gefühle stand. Das allerdings auch nur, wenn sie wollte. Sie konnte sich genauso gut verschließen, dann bekam niemand etwas aus ihr heraus, egal, wie sehr man es versuchte. Das war bei beiden ähnlich.
Und selbst, wenn einer der beiden nicht über etwas sprechen wollten oder konnten, war die eine für die andere da. Es war egal, um was es ging. Die Hauptsache war die gegenseitige, oft bedingslose Unterstützung, der anderen eine Last abzunehmen oder sie wenigstens mitzutragen, sodass es bald wieder bergauf gehen konnte.
Natürlich blieben auch Streitigkeiten nicht aus, jedoch kamen diese seltener vor und hielten nie lange an. Beide litten unter solchen Situationen und meistens kamen sie schnell wieder zusammen, um sich zu entschuldigen und sich auszusprechen. Diese Aussprachen beinhalteten allerdings keine Vorwürfe á la „Du hast aber..“, sondern erklärten ihre Gefühle und was sie gerne ändern würden. Und falls eine Abmachung nicht eingehalten oder unbemerkt gebrochen wurde, wurde erst darüber hinweg gesehen, bis es überhand nahm und offen angesprochen wurde, sodass wieder mehr darauf geachtet werden konnte.
Meist jedoch stimmten die beiden jungen Frauen überein. Zwischen ihnen schwebte eine besondere Harmonie, die ihnen Kraft gab, wo sie sie brauchten, sie beruhigte und erfüllte, da sie um die Tatsache wussten, dass jemand da war, wenn er gebraucht wurde.
Es waren die kleinen Wunder, die geschahen, oft unbemerkt blieben und dennoch ihren Teil zu einem glücklichen, unbezahlbaren Moment gaben, ihre Seele berührten und in ihrem Herzen sitzen blieben, fest eingeschlossen zu einer Erinnerung.
Seit einiger Zeit schon suchte Tine vergeblich nach Larissa. Sie war nirgends aufzufinden und ging auch nicht an ihr Handy. Einen Zettel hatte sie ebenfalls nicht hinterlassen, was überhaupt nicht zu ihr passte, da sie sonst immer Bescheid sagte, wenn sie wegging. ine begann langsam, aber sicher, sich Sorgen zu machen. Als sie es schließlich nicht mehr aushielt, nahm sie ihre Jacke von Haken, schob sich Haustürschlüssel und Handy in die Hosentasche und verließ das Haus. Die Straße war nur schwach von einer Straßenlaterne auf der gegenüberliegenden Seite beleuchtet, der Rest war in völlge Dunkelheit getaucht. Ab und zu drangen Geräusche an Tines Ohr, denen sie keine besondere Beachtung zukommen ließ. Ihr Sorge galt einzig und allein ihrer Freundin, die sich weder gemeldet hatte, noch in irgendeiner anderen Art und Weise Kontakt aufnehmen zu wollen schien. Wieder wählte Tine ihre Nummer, zum wievielten Male, wusste sie nicht, und wieder ging die Mailbox dran.
Tine rannte nun mehr, als sie um die Ecke bog und stieß fast mit Larissa zusammen.
„Wah...was?? Du?? Sag mal spinnst du? Ich hab mir total Sorgen gemacht!!“ schnappte Tine, verstummte jedoch jäh, als sie Larissas müdes, abgespanntes Gesicht sah.
„Was ist los?“
„Nichts.“ wehrte Larissa ab. Bevor Tine etwas erwidern konnte, sprach sie weiter.
„Es tut mir leid, ich hatte kein Geld dabei und mein Akku ist leer. Ich wollte nur kurz einkaufen gehen und hab mir auch nur soviel mitgenommen, wie ich dafür brauchte.“
Sie hielt eine Tüte hoch, die augenscheinlich Tomaten und andere Lebensmittel enthielt.
„Dann hab ich den letzten Bus verpasst und bin bis hierher gelaufen.“
„Ou...dass du kaputt bist, wundert mich nicht.“ bemerkte Tine trocken, ehe sie Larissa die Einkäufe abnahm und sie langsam zurückliefen.
„Kann ich heute bei dir schlafen? Ich glaub, ich schaffs nicht mal mehr bis nach Hause.“
„Klar. Du weißt doch, dass das kein Problem ist. Nur zu gerne.“ grinste Tine und auch Larissa musste nun lachen.
„Ich kann mir denken was jetzt in deinem kranken Hirn abläuft...aber ich muss dich enttäuschen, ich bin froh, wenn ichs noch bis zum Bett schaffe.“
„Bähh.“ Tine streckte ihr die Zunge raus und grinste Larissa mit schief gelegtem Kopf schelmisch an.
„Nun mach schon, schließ auf, bevor ich hier noch zusammenbreche. Also echt, mich hier noch Ewigkeiten warten zu lassen, wo ich doch solche Strapazen hinter mich bringen musste...Normalerweise müsste ich als Held gefeiert werden.“
„Aha...dann pass mal gut auf dich auf, Helden sterben immer früher.“ kommentierte Tine diese ironische Ansage, während sie den Schlüssel im Schloss drehte und Larissa Einlass gewährte.
Diese ließ sich aufs Sofa fallen und seufzte erleichtert.
„Hach, wie schön. Ich kann sitzen.“
„Mh.“
Tine ging mit den Einkäufen in die Küche, um Kühlschrank und Küchenschränke sachgemäß einzuräumen.
Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, war Larissa nirgens aufzufinden.
„Wo ist sie denn jetzt schon wieder hin?“ fragte sie sich laut, als auch schon prompt die Antwort kam.
„Ich bin hier“ ertönte Larissas Stimme aus dem Bad.
Tine ging zum Ursprung der prasselnden Laute, die sich schließlich als Wasser, das aus dem Duschkopf spritze, entpuppten und lugte vorsichtig um die Ecke, als ihr auch schon ein Schwall warmen Wassers entgegenflog. Prustend zog sie sich zurück, legte ihre Kleider ab und sprang wieder ins Bad.
Das warme Wasser hatte mittlerweile das Glas der Dusche beschlagen und es waren nur noch verschwommene Umrisse einer weiblichen Person dahinter erkennbar.
Als Larissa erkannte, dass Tine im Begriff war, sich zu rächen, quietschte sie und versuchte, die Tür zuzuhalten. Jedoch vergebens, da Tine schon die Finger zwischen einen kleinen Spalt, der im Eifer des Gefechts entstanden war, geschoben hatte. Da Larissa sie nicht verletzen wollte, gab sie ihren Widerstand auf und lehnte sich an die kühle Wand hinter ihr. Tine sprang in die Dusche und noch während sie die Tür hinter sich zu zog, spritzte ihr ein weiterer Schwall entgegen.
„Hey. Gibst du immer noch nicht auf?“ lachte sie.
„Niemals.“ rief Larissa, ebenfalls lachend.
„Na gut, ich habe dich gewarnt.“ Mit diesen Worten stürtzte Tine auf Larissa zu, drückte sie gegen die Wand und hielt ihr Hände fest. So an die Wand gepresst, konnte Larissa sich nicht mehr bewegen.
„Und was machst du jetzt?“ fragte Tine, sah ihr tief in die Augen und wartete.
„Mhh...gute Frage.“ stellte diese fest.
„Hehe....Dann kommst du hier nicht mehr weg.“ grinste Tine. Die Antwort Larissas war sehr leise, jedoch eindeutig.
„Und was ist, wenn ich gar nicht weg will?“ Sie ließ keine Zeit, zu antworten. Zärtlich striffen ihre Lippen Tines, wanderten über ihre Wange, ihren Hals, bis zu ihrer Schulter, wo sie zärtlich saugend Halt machte.
„Das ist allerdings ein sehr überzeugendes Argument“ erwiderte Tine, ebenso leise.
Dicht neben ihrem Ohr ein leises Flüstern „Ich weiß“.
Schlaflos wanderten Tines Augen durch die Dunkelheit. Sie war zu aufgewühlt und ihre Gedanken ließen sie nicht los. Unkontrolliert irrten sie umher, ließen sie über viel zu vieles nachdenken ohne, dass etwas dabei herauskam.
Der warme Körper Larissas vor ihr atmete tief und ruhig. Das lockige blonde Haar fiel ihr über die nackten Schultern. Für einen kurzen Moment verspürte Tine das Bedürfnis, sie zu berühren.
Sie verdrängte das Gefühl und stand leise und mit größter Vorsicht auf, um ihre Freundin nicht zu wecken. Ein Schwindelgefühl überkam sie, und sie tapste etwas unbeholfen zum Fenster.
„Scheiße, zu schnell aufgestanden“ murmelte sie, während sie nach den Fenstergriff fingerte. Sie setzte sich auf den Fenstersims und schaffte schließlich, den Griff zu drehen und es zu öffnen.
Die kühle Nachtluft wehte herein und brachte den Geruch frischen Regens mit. Tatsächlich glitzerten an der Scheibe einige Tropfen im Mondlicht, bis sie hinunterliefen und eine feine Spur darauf hinterließen. Tine legte den Finger an die Scheibe und fuhr die Spur eines solchen Tropfens entlang. Seltsamerweise überkam sie der Gedanke, ob ein solcher Tropfen wohl starb, wenn er die Reise nach unten antrat und nur diese feine Spur hinterließ, wie eine verblaßende Erinnerung.
Es vergingen Minuten um Minuten. Die junge Frau hätte ewig dort sitzen können. Sie verspürte nicht im geringsten das Bedürfnis, wieder ins Bett zu gehen. Neonfarbene Schilder spiegelten sich auf der nassen Straße wieder, eigenartig verschwommen und verzerrt, ineinander fließend und wellenartige Figuren bildend. Trotz der späten Stunde hasteten noch Menschen durch die Straßen. Sie wirkten fremd und doch seltsam vertraut, wie bei einem Wiedersehen nach langer, sehr langer Trennung. Melancholisch blickte Tine hinauf zu den Sternen. Der dunkelblaue Nachthimmel hatte die letzten Wolkenfetzen des Regens besiegt. Er füllte den Raum, ohne dabei besitzergreifend zu wirken, er war einfach da, und mit ihm Millionen von Sternen, die nun zu den Menschen hinabblickten, so, als wollten sie ihnen die Nacht noch angenehmer machen durch ihre bloße Anwesenheit.
Die Magie des Augenblicks, der unendlich schien und doch vergänglich war, ergriff die junge Frau, raubte ihr den Atem und hüllte sie in eine angenehme Wärme. Mit den glänzenden Augen eines Kindes starrte sie zu den Sternen hinauf und auf die in Dunkelheit gehüllte Landschaft, roch den Geruch des frischen Regens, dessen Tropfen sich nun endgültig verflüchtigt hatten und ihre schmale Spur wie ein Denkmal hinterlassen hatten, spürte die kühle Nachtluft an ihren heißen, geröteten Wangen. Sie wollte diese Momente in sich aufsaugen, sie in ihrem Inneren eingeschlossen behalten. Zu schnell gingen sie vorbei, solch zeitlose Augenblicke, in denen die Welt still zu stehen schien.
Der Mond warf sein fahles Licht auf den hinter der Stadt gelegenen Fluss,der sein Licht spiegelte und wunderschöne Situationen schaffen konnte, wie Tine sehr genau wusste. In warmen Sommernächten lagen sie und Larissa stundenlang am Flussufer und schauten den Wellen zu, die regelmäßig vor und zurückschwappten und leise glucksende Geräusche dabei entstehen ließen. In diesen Nächten kamen sich die Menschen auch dann nah, wenn sie sich nicht berührten oder miteinander sprachen. Es war ein Gefühl, das sie verband und einen Augenblick zu einem der wichtigsten Kapitel im Buch des Lebens eines Menschen machen konnte. Nur zu gern dachte Tine daran zurück: Im noch warmen Sand am Fluss liegend, Dunkelheit um sie herum und nur die Sterne über sich, ein unendliches Meer von Sternen am dunkelblauen Nachthimmel.
Jäh wachte tine ausnihrem Tranceähnlichen Zustand auf.
Ein paar Arme legten sich um ihren Körper. Die Hände hatten sich unter ihr Oberteil geschoben und lagen an ihrem Bauch, Larissa begann, mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand Muster auf die nackte Haut zu zeichnen. Es kribbelte, doch Tine hielt still und genoß diese sanften, zärtlichen Berührungen. Der Moment war perfekt.
Minutenlang standen sie einfach nur da, eng umschlungen, die Wärme der Anderen genießend. Dann begannen Larissa Hände langsam nach oben zu wandern. Tine erstarrte. Die feinen Häärchen auf ihrem Körper stellten sich auf als sich das prickelnde Gefühl der Erregung in ihr ausbreitete und ihr Gänsehaut verursachte.
Langsam drehte Tine sich zu Larissa um und sah ihr tief in Augen. Larissas Fingernägel fuhren über ihren Bauch nach unten. Ihre Lippen näherten sich und verschmolzen schließlich in einem Kuss, der langsam begann und schnell fordernder wurde. Larissa musste lächeln, überspielte den Moment der freudigen Erregung allerdings gekonnt, indem sie um die Freundin herumging und sich nun an deren Rücken schmiegte, die das sanfte saugen an ihren Schultern mit den weichen Lippen der Freundin genoß, während sie die vom Schlüsselbein über den Bauch nach unten wandernden Hände unterbach und festhielt, mit den Fingern spielte, bis sie es nicht mehr aushielt und sich nochmals umdrehte, sodass sie wieder voreinander standen.Sie liebte es, zu berühren, zu riechen, zu schmecken. Langsam schob sie Larissa zurück, bis sie gegen das Bett stieß und sich fallen ließ, gefolgt von Tine. Ihre Zunge umkreiste ihren Bauchnabel, wanderte weiter und führte sie in eine Welle des Feuers, das die Welt um sie herum verzehrte und ihre Emotionen zum explodieren brachte.
In das Zimmer der beiden Liebenden schien die Morgensonne verstohlen herein, als wollte sie prüfen, ob sie nun gefahrlos hineinschauen dürfe. Die goldenen Strahlen schienen auf das nun völlig zerknautschte Bett, in dem zwei überaus glückliche Wesen lagen, eng aneinander geschmiegt und zufrieden mit sich und der Welt. Larissa war schon seit einiger Zeit wach, und sah zu, wie die Sonnenstrahlen Stück für Stück das Zimmer eroberten und die Wände in helles Licht tauchten. Die junge Frau hatte ein Dauergrinsen auf dem Gesicht und strahlte mit der Sonne, die über sie hinwegschien und sich scheinbar die Aufgabe gestellt hatte, ihnen gute Laune mitzubringen, um die Wette. Sie fühlte sich rundum wohl. Eng an Tine geschmiegt lag sie im Bett, spürend wie sich der Brustkorb der 21jährigen gleicfhmäßig hob und senkte. In ihrem Kopf hatten sich die Zeilen eines Liedes gefunden, dass nun unablässlich in ihr spielte.
I‘ll be your dream, I‘ll be your wish, I‘ll be your fantasy.
I‘ll be your hope, I‘ll be your love ,be everything that you need
I love you more with every breath truly madly deeply do...
I will be strong, I will be faithful ‘cause I‘m counting on a new beginning
A reason for living, a deeper meaning
I wanna stand with you on a mountain
I wanna bathe with you in the sea
I wanna lay like this forever
Until the sky falls down on me
Oh can‘t you see it baby
You don‘t have to close your eyes ‘cos it‘s standing right before you
All that you need will surely come...
I‘ll be your dream, I‘ll be your wish, I‘ll be your fantasy.
I‘ll be your hope, I‘ll be your love ,be everything that you need
I love you more with every breath truly madly deeply do...
Leise summte sie die Melodie vor sich hin. Das Lied spiegelte ihre Gefühle ziemlich treffend wieder. Sie würde alles für Tine und mit ihr tun. Von Anfang an hatte Larissa gespürt, dass etwas anders war, als sonst. Sie war unsicher gewesen in einfach allem, hatte sich zurückgezogen, doch es hatte alles nichts genützt: Tine war ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Sie hatte sie für sich eingenommen mit ihrer Art, ihrem Wesen und Sein. Sie hatte ihre Welt auf den Kopf gestellt. So durcheinander kannten sie selbst ihre Freunde nicht. Ihre beste Freundin, Maya, hatte sie nur angesehen und gespürt, dass da etwas war.
„So Kleene...spucks aus. Was ist denn los? Du bist ständig abwesend, noch verplanter als sonst und einfach nur völlig durch den Wind. Das kenn ich ja selbst von dir nicht.“
„Mh...ja. Ich weiß auch nicht.“
„Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst, oder!?“ Maya sah Larissa mit durchdringendem Blick an.
„Ja...ach Mensch, verdammt....Ich bin total durcheinander.“
„Ach nee. Hätt ich jetzt nicht gedacht.“ erklärte Maya ironisch.
„Ich bin nicht blöd. Du hast diesen gewissen Blick drauf...an wen denkst du?“
Etwas erschrocken schaute Larissa ihre beste Freundin an.
„Guck mich nicht so an, wie ne Kuh, wenns donnert! Ich bin deine beste Freundin, ich kenne dich!“
„Ja. also..du hast Recht,.. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Da gibt es diese Mädchen...Am anfang war alles normal,...Aber die hat mich verstanden, und ach mh. Sau hübsch ist sie auch noch. Verdammt, ich weiß nicht mehr, was ich denken soll, Maya!“ Es schien, als hätten die worte nur darauf gewartet, ausgesprochen zu werden. So schnell schlüpften sie aus ihr heraus und hinterließen nur Stille bis-
„Bist du in sie verliebt?“
„...Ich weiß es nicht.“
„Hör mal...Ich weiß ja nicht, wie das ist bei ihr ist, ist sie lesbisch?? Wenn nicht solltest du sie wahrscheinlich besser vergessen...“ erklärte Maya vorsichtig.
„Ich hab keine Ahnung und wenn ich frage, dann ist das auch doof, die ist ja nicht blöd. Außerdem bin ich mir selber nicht mal sicher...“ sagte Larissa unglücklich. Sie wollte sich nicht einmal im Entferntesten vorstellen, dass sie lesbisch oder bisexuell sein könnte. Was sollten ihre Freunde von ihr denken, ihre Verwandten und -noch schlimmer- ihre Eltern? Ihre Mutter hatte ihr oft genug gesagt, wie Ekelerregend sie das fand. Was würde sie sagen, wenn ihre eigene Tochter... Nein, daran wollte sie nicht denken. Sie wehrte sich gegen diesen Gedanken. Und doch beschlich sie die frage: Was wäre, wenn? Sie wusste, ihre Mutter würde es niemals akzeptieren. Ihr Vater? Dem wäre es vermutlich egal, doch so genau konnte sie das nicht einschätzen. Trotzdem sie seit vielen Jahren unter einem Dach wohnten, kannten sie sich praktisch nicht. Sie waren wie zwei entfernte Bekannte, die zufällig im gleichen Haus wohnten.
„Maya, was ist, wenn ich auf Frauen stehe?“
Die Worte waren ihr über die Lippen gesprungen, ehe sie nachdenken konnte. Larissa biss sich auf die Lippen. Am liebsten hätte sie sie zurückgeholt, doch dazu war es nun zu spät. Nun blieb ihr nur, auf die reaktion ihrer Freundin zu warten. Diese sah sie einen Moment lang verdutzt an und sagte dann
„Was? Ja, das ist doch cool. Wieso auch nicht? Ist doch voll normal.“
Verdutzt sah Larissa Maya an. Sie hatte mit allem gerechnet, nur damit nicht.
„Haha! Dachtest du, ich find das eklig? Wenns dir gefällt, an anderen rumzulecken“ lachte Maya frech.
„Ey! Boah, du bist doof!“ sagte Larissa, musste nun aber doch mitlachen. Maya zog sie auf, das wusste sie genau. Sie zwinkerte ihr nur zu und empfahl dann, einfach mal abzuchecken, wie die Angebetete denn so zu Frauen stand.
„Frag doch einfach mal, ob sie verliebt ist...und wie der Glückliche heißt. So Fangfragen und so...Ich denk mir da noch was aus. Bis dahin kannste es ja selber schonmal versuchen.“
„Und was ist, wenn sie was merkt? Und dann... Ich will sie doch auch als Freundin nich verlieren...wenn da wirklich was ist...was mach ich denn dann? Ich will sie doch behalten, dann muss ich ja schauspielern, aber ich will sie nicht anlügen. Und was mach ich, wenn wir uns treffen? Wie soll ich ihr dann begegnen? Und was wird sie denken, wenn ich sie umarm zur Begrüßung und was werd ICH dann denken?“ verzweifelt blickte Lairssa umher. Maya sah sie seltsam an, und dann begriff auch sie es. Sie machte sich solche Gedanken, weil bereits das eingetreten war, wovor sie sich gefürchtet und was sie zu verhindern gesucht hatte. Sie war verliebt.
„Mhhh..“ Eine Mischung aus leisem Ächzen und Seufzen kam Larissa zu Ohren, weshalb sie nun ihre volle Aufmerksamkeit auf Tine richtete, die gähnte und sie verschlafen angrinste.
„Morgen Süße...“
„Morgen...wie lange bist du schon wach?“
„Ich bin grad erst aufgewacht“murmelte Tine ins Kissen.
„Ey, dann kannst du jetzt auch aufstehen. Ich lieg hier schon ne Ewigkeit rum und hab nichts zu tun.“ stichelte Larissa.
„Bla. Tu bloß nicht so als hätts dir nich gefallen dich an meinen nackten, absolut tollen Körper zu schmiegen“ grinste Tine. Dann gähnte sie herzhaft und sagte“ Du kannst zuerst ins Bad...!“
„Jaajaa...und du pennst hier wieder ein. Das könnte dir so passen.“
Larissa schnappte sich eine Ecke der Bettdecke und zog sie mit einem Ruck weg. Mit einem Schlag wurde es Tine kalt.
„Brr. Du fieses, gemeines Stück! -Gut, dann geh eben ich zuerst.“ Mit diesen Worten sprang sie auf und lief aus dem Zimmer.
„Na toll. Jetzt sitz ich hier rum!“ rief Larissa ihr noch hinterher, doch Tine war schon im bad verschwunden.
Grinsend sammelte die zurückgebliebene ihre Sachen vom Boden, die quer durch das Zimmer verteilt lagen.
„Ohje, wie ist denn mein Pulli dahin gekommen?“ Sie angelte nach dem guten Stück, das zwischen Heizung und Wand unter dem Fensterbrett klemmte. Nach einigen Minuten hatte sie tatsächlich alles beisammen, und klopfte an die Badtür.
„Hallo? Beeil dich mal etwas, du bist nicht die Einzige hier. Ich bin in 2 Stunden mit meiner Mutter verabredet und würde gerne pünktlich kommen.“
„Momentchen noch.“ kam es zurück und Larissa blieb nichts anderes übrig, als tatsächlich noch ein „Momentchen“ zu warten, das sich zu 5 langen Minuten ausdehnte, bis Tine endlich aus dem Bad kam.
„Na endlich...“ Tine rollte mit den Augen und streckte Larissa die Zunge raus, wofür sie einen Schlag mit einem Handtuch einsteckte. Das Gesicht verziehend zog sie ab, um Frühstück zu machen.
Larissas Blick glitt durch das leere Bad. Das warme Wasser der Dusche lief über ihren Körper und vom angekippten Fenster zog ein kühler Windhauch durch das Zimmer, was ihr eine Gänsehaut verursachte. Die Duschwänder waren beschlagen vom wasserdampf und sie stand an die Wand gelehnt und spürte das Wasser in kleinen Bächen an sich hinunterlaufen. Sie liebte dieses Gefühl des laufenden Wassers auf der Haut, verbunden mit leichten Luftzügen, die ihr wohlige Schauer über den Rücken jagten. Es roch leicht nach Vanille und ihrem Lieblingsparfüm Rock´n´Rose. Von draußen tönte die CD von Within Temptation. Larissa dachte wieder einmal nach, über so vieles, dass sie die Hälfte vergessen haben würde, ehe sie aus dem Bad käme. Ihre Gedanken zogen wie ein ruheloser Wanderer von einem Ort zum anderen, scheinbar auf der Suche nach etwas, wovon sie keine Vorstellung hatten, es jedoch unbedingt finden wollten. Es war einfach da, in ihr, wollte gefunden werden und gab keine Ruhe. Es zog sie zu sich und sie folgte dem Ruf des Unbekannten, in ihrer welt versinkend und sich mehr und mehr von der realen Welt abkapselnd, in der sie es so oft nicht aushielt. Wie gut es tat, in seine eigene, kleineWelt einzutauchen, in den Gedanken zu versinken und durch sein von Gedanken erschaffenes Märchenland zu wandern. Larissa war eine sensible junge Frau und manchmal trat man ihr zu nahe, ohne es zu merken. Der Schmerz der Welt und ihr eigener, von Kindheit auf eingeprägter Schmerz, der zu tief saß und sich eingebrannt hatte in ihr Gehirn, ließ sie nicht los und die Narben, die er hinterlassen hatte in ihrer Seele erinnerten sie daran, was gewesen war. Lange Zeit hatte sie ihn in sich eingeschlossen, bis er mit aller Macht, die er hatte aufbringen könen, hinausgebrochen war und sich auf ihrem Körper, auf ihrer Haut eingebrannt hate wie zuvor in Herz und Gehirn.Er war wie langsam wirkendes Gift, dieser Schmerz. Man spürt, wie er in den Körper eindringt und ihn Stück für Stück zerstört, innerlich zersetzt, wie eine Säure, doch man ist unfähig, etwas zu unternehmen. Für nichts mehr empfänglich außer den bittersüßen Gefühlen, die er hervorruft, sieht man sich selbst beim sterben zu. Äußerlich war Larissa in bester Ordnung, strahlte und war wie jede andere junge Frau auf derWelt. Doch ihr Inneres war von dem Gift zerfressen, ein zerschlagener Spiegel, deren scherben sie vergeblich versuchte, immer und immer wieder zusammen zu setzen, ohne, dass es ihr ernsthaft gelang.
„Ich sterbe“ dachte sie. Das Gefühl von Einsamkeit ergriff sie. Es war keine Einsamkeit, wie ein Mensch hat, der weiß, dass er allein ist, sondern diese Art von Einsamkeit, bei der man weiß, dass um einen herum Menschen sind, die man liebt, mit denen man reden kann, die einem aber trotzdem fremd und unwirklich erscheinen.
Leise Töne eines Klaviers drangen durch die Wand an Larissas Ohr. Sie legte die Muschel an den kühlen Stein und lauschte. Eine einsame Träne lief über ihre Wange und sie musste schlucken. Warum sie weinte, wusste sie selbst nicht. Es war ein unbestimmtes Gefühl in ihr, was hervorgerufen wurde durch die wunderbaren Klänge des Instruments verbunden mit der klaren Stimme einer Sängerin
„Remember who you are“ sang sie voller Inbrunst und Eindringlichkeit und Larissa fragte sich, ob sie jemals gewusst hatte, wer sie war. Sie existierte, eine Hülle auf Erden mit einigen Eigenschaften, die mancher zu schätzen wusste, aber wusste sie tatsächlich, wer sie war? Es gab Tage, an denen sie sich vor sich selber fürchtete, sich selbst fremd war. Das wusste niemand von ihr, doch warum sich die Mühe machen, jemandem etwas zu erzählen? Es interessierte ohnehin niemanden wirklich, und wie sollte sie das jemandem klar machen? Keiner würde es verstehen, wenn man vom Desinteresse ihrer Mitmenschen absah, die mit eigenen Problemen beschäftigt waren und engstirnig in eine Richtung blickten ohne auf ihre Mitmenschen zu achten. Die Ich-bezogene Gesellschaft folgte ihrem eigenen Weg und würde sich an einem einzelnen Schicksal nicht stören. Außerdem wurde man gerne als Psycho bezeichnet, wenn man sensibel und feinfühlig für die Welt war. Die Welt -eine verdrehte, verkehrte Welt, die sie einengte, sie mit Verboten, Niederschlägen und Hass fast erdrückte, sodass sie von Zeit zu Zeit glaubte, keine Luft mehr zu bekommen.
„Könnte ich doch sterben....einfach aufhören zu atmen.“ Es war ein seltsamer Wunsch, den niemand verstehen würde, außer denen, denen es genauso ging.
„Alles Psychos“ hörte sie die Stimme ihrer Mutter, die nichts von den Gefühlen ihrer Tochter wusste. Nein, Larissa brauchte keinen Psychater, das wusste sie sehr genau. Was sie brauchte, konnte ihr niemand geben, und ein Psychater erst recht nicht. Es war ihr Wunsch nach innerem Frieden, durch Verständnis, Hoffnung und Träumen. Doch die Welt war hart, ungerecht und wies die Lebewesen auf ihr in ihre Schranken. So war sie zwar am Leben, lebte jedoch nicht wirklich. Und weil jeder Schritt in dieser Welt wie ein Tritt auf Scherben war, flüchtet sie sich in ihre Gedanken, die Musik und ihre eigene Welt, die auf dem basierte, was sie sich aus ganzem Herzen wünschte, was sie brauchte, und was sie nicht bekam. Ihre kleine, perfekte Welt, in der sie mehr lebte, als in der Wirklichen. Larissa wusste sehr genau, dass sie das so nicht weiterfühen durfte, weil die Rückkehr in die wirkliche Welt mit jedem mal mehr weh tat und irgendwann in einer sackgasse enden würde. Doch sie konnte sich nicht dazu durchringen, etwas an ihrer Flucht in ihr eigenes Reich zu ändern. Zu schön waren die Zeiten, in denen sie dort war und vollkommene Zufriedenheit verspüren durfte. Die Welt, die ihr als gestrandetem Flüchtling geholfen hatte, hielt sie jetzt gefangen.
Die leisen Tönen, hüllten sie ein wie eine Zaubemelodie.
In my hands
A legacy of memories
I can hear you say my name
I can almost see your smile
Feel the warmth of your embrace
But there is nothing but silence now
Around the one I loved
Is this our farewell?
sweet darling
you worry too much, my child
see the sadness in your eyes
you are not alone in life
although you might think that you are
Never thought
This day would come so soon
We had no time to say goodbye
How can the world just carry on?
I feel so lost when you are
Not by my side
There's nothing but silence now
Around the one I loved
Is this our farewell?
sweet darling
you worry too much, my child
see the sadness in your eyes
you are not alone in life
although you might think that you are
So sorry your world is tumbling down
I will watch you through these nights
Rest your head and go to sleep
Because my child,
This is not our farewell
This is not our farewell
Sie verstand nicht alles, was gesungen wurde, doch die Töne an sich hatten sie gefangen, ihr Herz berührt und lockten jetzt die Tränen der aufgestauten und zurückgehaltenen Emotionen hinaus. Die salzige Flüssigkeit vermischte sich mit dem warmen Wasser und verschwand im Abfluss, als wollte sie zeigen, mit den Tränen auch den Schmerz mitgenommen zu haben in das dunkle Grab der Kanalisation unter der Stadt. Dunkelheit. Kein Schmerz. Vielleicht Wärme. Was spürte man beim Tod? Schon lange beschäftigte sie der Gedanke. Was kam nach dem Tod? Und wie war es, zu wissen, dass es in wenigen Minuten für immer vorbei sein würde, der Schmerz, die Gefühle, dass alles gehen würde, außer ihr Körper? Sie würde ein Teil von allem werden. Von der Umwelt, der Atmosphäre, vom Meer. Sie wäre das Meer. Sie wäre nichts und doch ein Teil vom Ganzen. Ein atemberaubender Gedanke. Ein unsichtbares Denkmal ihrer Anwesenheit, ohne wirklich da zu sein.
Die Minuten rückten voran. Schritt fürSchritt. Die Zeit wurde von vielen als Feind gesehen, rückte sie doch so schnell voran bis irgendwann der Tag kam, an dem sie einen mitriss in ihrem Strudel. Doch konnte man sie nicht auch als Freund sehen? Sie nahm einen vielleicht irgendwann mit sich, doch hatte sie nicht einen Grund dazu? Manche wollten ihrem Leben einen Ende machen und sind froh, endlich die Welt verassen zu können in der festen Form, in der sie existieren. Manche wollen sie nicht verlassen, aber denken sie darüber nach, wovor sie vielleicht geschützt werden in der Zukunft? Die Zeit ist der beste Freund den man haben kan. Sie ist die einzige, die einen von Anfang bis Ende begleitet, oft unsichtbar, doch allgegenwärtig und manchmal spürt man sie sogar. Sie ist die erste, die bei den Menschen ist, wenn sie geboren werden und die Letzte, die sie verlässt wenn sie sterben. Sollte man sie wirklich als Feind sehen?
Larissa spürte trotz des warmen wassers Kälte in sich aufsteigen. Sie drehte den Hahn mit dem warmen Wasser weiter auf, und spürte wie das Wasser immer heißer wurde. Ihre Haut färbte sich rot, als es sie verbrannte, doch sie spürte es nicht einmal. Immer noch war diese unbestimmte Kälte in ihr, immer noch waren da viel zu viele Gefühle, immer noch hatte sie den Verstand ausgeschaltet, der ihr sagen sollte, was zu tun war und es dennoch nicht tat.
Lange zeit stand sie unter dem heißen Wasserstrahl, dann schallte von unten eine Stimme zu hoch:
„Kleine, kommst du?“
Tine weckte sie aus ihrem tarnceähnlichen Zustand und Larissa drehte das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Vor dem Spiegel erst sah sie, was das wasser angerichtet hatte. Ihre Haut war rot und bei leichtem Reiben, das sie nach kurzer Zeit bleiben ließ, weil sie brannte, als wäre sie in Brand gesetzt worden, löste sie sich ab und hinterließ rohes Fleisch.
„Scheiße“ dachte sie nur, stieg wieder unter die Dusche und ließ eiskaltes Wasser darüber laufen. Es tat gut, kühlte es doch für einen Moment den schmerzenden Körper. Der Strahl war über ihren Rücken hinunter gelaufen, über den Po und die Beine. Noch einmal schaute sie in den Spiegel und bemerkte zu ihrem Ärgernis, dass keine sichtbare Veränderung eingetreten war. Ihre Haut pochte, als hätte sie ein eigenes kleines Herz bekommen. Vorsichtig cremte Larissa die verbrannte Haut ein, die nun wirklich angefangen hatte zu schmerzen, und zog sich ein T-shirt über.
„20 Minuten unter der Dusche und so ein Scheiß.“murmelte sie vor sich hin, während sie vorsichtig das Shirt so zog, dass es nicht rieb.
Fertig angezogen ging sie nach unten, darauf bedacht, keine plötzliche Bewegung zu machen, denn dann hätte sie geschrieen.
„Hey!! na, du hast aber lange gebraucht jetzt.. musst du dich nicht mit deiner Mom treffen?“
„Ja, ich fahr jetzt auch gleich los. Muss mich beeilen. Am Betsen, ich nehm mir was mit oder?“ Larissa setzte ein schiefes Grinsen auf.
„Ist irgendwas?“
Nein, ich hab eben nur meinen Zeh Bekanntschaft mit der Türkante schlißen lassen.“ Die 19jährige war erstaunt darüber, wie müheos ihr dies lüge über die Lippen kam. Warum Tine informieren? Sie wüde sich nur unnötig Sorgen machen.
Sie schnappte sich Jacke, Schlüssel und mp3-player, gab ihrer Freundin einen flüchtigen Kuss auf den Mund und verschwand aus der Tür.
Als Larissa sich ind Auto setzte, den Schlüssel umdrehte und losfuhr, musste sie bei beinahe jeder Kurve die Zähne zusammenbeißen. Trotzdem sie langsamer und vorsichtiger fuhr als sonst, brannte die heiße Spur auf ihrer Haut. Normal hätte sie abbiegen müssen, um zu ihrer Mutter zu kommen, sie entschied sich jedoch anders und fuhr zu Maya. Ihr tat es leid, ihre Mutter zu versetzen, aber sie brauchte jemandem zum reden.
Eine sehr erstaunte Maya öffnete.
„Hi! Was machst du denn hier? Komm rein!“ Sie ließ die Tür offen und ging zurück in die Wohnung. Maya wohnte mit weiteren 3 jungen Frauen in einer WG.
„Mädels! Der Toaster brennt!!“ rief sie in den Raum und innerhalb von Sekunden waren alle Türen der WG geschlossen und im Wohnraum war es still.
„Was zum..“ begann Larissa, doch Maya fiel ihr ins Wort.
„Das ist unser Schlachtruf... Wenn eine von uns mit jemandem kommt, dem es nicht sonderlich gut bis echt beschissen geht, wird Bescheid gesagt. Und hier brennts wirklich -versuch nicht, mich anzulügen! Ich kenne dich, meine Liebe!“
„Mh, ja. Du hast Recht.“
„Ja, ich weiß. Was ist los Süße?“
„Ich... mir geht’s momentan einfach nicht so. Und ich war heute wieder so in Gedanken versunken, und hab nicht aufgepasst... Mir war so kalt.. da hab ich die Dusche noch wärmer eingestellt...“
„Worauf willst du hinaus?“ fragte Maya sie verwirrt.
„Naja,... du weißt ja, wenn ich in Gedanken versunken bin...Ich bin wie weggetreten. Und leider ist mir dabei etwas Blödes passiert.“
Sie drehte maya den Rücken zu und zog ihr Shirt ein Stück hoch.
„Oh mein Gott! Rissa, was hast du gemacht?“
Energisch schob sie die Hände der 19jährigen weg und zog ihr das Shirt aus.
Erschrocken blickte sie auf den Rücken.
„Das geht ja noch weiter nach unten. Komm mit.“ Sie nahm Larissa hand und zog sie mit sich ins Bad.
„Ausziehen!“ befahl sie.
Larissa schaute sie nur verdutzt an.
„Los, zieh dich aus verdammt. Das kannst du so nicht lassen! Mach hin, oder ich mach das für dich, so seltsam das auch klingen mag!“
Maya war kurz vor dem explodieren. Larissa folgte unter dem Wissen, dass Maya ihre Drohung wahr machen würde, deren Befehl und zog ihre Jeans aus.
Maya indessen kramte im Badschrank nach etwas, fand es recht schnell und und begann Larissas Rücken damit einzucremen.
„Das ist eine kühlende Salbe, die ist extra für Verbrennungen. Mensch, was hast du dir bloß dabei gedacht? Das musst du doch gemerkt haben.“ In ihrer Stimme schwangen Wut, Besorgtheit und Vorwurf mit. Larissa antwortet nicht und Maya schmierte sie weiter ein. Die Aussage, sie könne sich selber auch eincremen, wischte sie stumm beiseite und schmierte verbissen weiter,.
„Du findest sowieso nicht alles.“ war alles, was sie sagte. Als sie fertig war, wollte sich Larissa wieder anziehen, doch Mayas strafende Blicke blieben an ihr haften und sie gab es auf, eigenmächtig zu handeln.
„Leg dich hin. Ich hab heute erst gewischt.,...-nun mach schon, du musst das kühlen und ich hab leider nicht soviele Kühlakkus für deinen Nacken bis zu den Füßen!“
Larissa gehorchte. Der kühle Boden war herrlich auf der Haut. Er betäubte den Schmerz und für einen Moment hatte sie das Gefühl, überhaupt nichts mehr zu spüren.
„Und? Besser?“ fragte Maya jetzt lächelnd. „Wenn es wieder anfängt weh zu tun, rutschst du ein Stück zur Seite.“
„Ja, Mama.“ grinste Larissa.
Nun musste auch Maya lachen.
„Haha... wenn du nicht schon so geschunden hier liegen würdest...“ Sie zwinkerte.
„Und jetzt erzähl... worüber hast du nachgedacht?“
„Ach, über nichts Bestimmtes.“ wich die Angesprochene aus.
„Mh.“ Prüfende Blicke trafen sie, doch sie schaute auf die Decke und versuchte, sie weitgehend zu ignorieren.
Minutenlang sagte niemand ein Wort. Beide Frauen hingen ihren Gedanken nach.
Ein zaghaftest klopfen ertönte und gleich darauf die gedämpfte stimme einer Mayas Mitbewohnerinen.
„Maya? Bist du dadrin? Es tut mir ja echt leid, aber ich muss wirklich mal ganz, GANZ dringend aufs Klo.“
Das Schweigen im Raum wurde durch das Lachen der Beiden unterbrochen und Maya erklärte, dass gleich frei sein würde.
Als sie aufstand sah sie Larissa an und fragte dann leise
„Erzählst dus mir nachher?“
Zögernd nickte Larissa.
„Okay.“ Maya nickte und half Rissa auf. Diese zog sich an und verließ das Bad, mit einem entschuldigenden Lächeln in Richtung der Mitbewohnerin die sogleich hineinging, um sich zu erleichtern.
Im Zimmer von Maya setze sich Larissa auf den Sitzsack, der in einer Ecke stand und den sie liebte. Sie fand das leise Geraschel beim hineinsetzen in die Küglchen, die im Stoff eingeschlossen waren, lustig und genoß es, dass er sich sofort der Körperform angoß.
Maya sah sie durchdringend an.
„Also... mich hat mal wieder meine Vergangenheit eingeholt.“
Larissa stand an die Wand gedrängt, Schutz suchend. Vor ihr ein Mann, nicht viel größer als sie selbst, aber im Zorn umso gefährlicher. Sein Gesicht war wutverzerrt und rot angelaufen. Es wirkte wie eine fleischige Maske.
„Was bildest du dir ein, wer du bist? Ich glaub du spinnst!“ Mit jedem Wort warf er eineZeitung nach ihr. Sie trafen sie nicht, jedoch die Wand hinter ihr. An den Stellen, wo sie auftrafen, riss die Tapete ab und hinterließ freie weiße Stellen. Er schrie sie weiter an, doch sie achtete weniger auf die Worte, die sie verletzen sollten, als auf die Hände, die es tatsächlich taten. Ihre Arme legten sich über ihren Kopf, sie macht sch ganz klein, wollte verschwinden. Seine Hände trafen auf ihren Rücken, immer wieder, mit aller Kraft, die er aufbringen konnte. Ihre Arme schützten sie schlecht, er traf trotzdem. Sie bekam Kopfschmerzen. Das 14jährige Mädchen schaute ägnstlich zu ihm, als er sich, nach Atem ringend, aufstellte. Warum wirkte er nur so groß? War es die Wut, die ihm Größe verlieh? Macht? Er brüllte sie weiter an. Sie hörte es nicht. Es war, als würden die Worte in ihren Ohren verzerrt. Ein Teller fand den Weg in seine Hand. Einen Moment lang wirkte es als würde er ihn nach ihr schleudern, wie vorher die Zeitungen. Sie duckte sich nicht. Die Angst hatte sie erstarren lassen.
„Es wird jedes mal schlimmer.“ dachte sie.
Der teller zerschellte auf dem Holztisch und zersprang in 1000 kleine Sücken, die durch den Raum flogen. Er steigerte sich in seine Wut. Sie war sein Ventil, an dem er es auslassen konnte. Sie konnte nichts dagegn tun. Schon einmal war er im gefängnis gewesen, noch einmal wollte sie ihm das nicht antun. Damals war er unschuldig gewesen. Sie wollte ihn dennoch nicht hinter Gitter bringen. Wie konnte sie das tun -ihren eigenen Vater! Daran durfte sie nicht denken. Nur aushalten, lange konnte es nicht mehr dauern. Nur einen Moment noch, dann wäre alles vorbei, dann könnte sie in ihr Zimmer gehen. Ihre Mutter würde es ihr nie verzeihen, wenn er dorthin müsste. Sie wäre schuld, wie immer, wäre sie Schuld an allem. Sie würde die Familie zerstören. Niemand durfte etwas davon erfahren, wie er ausrasten konnte. Nur einen augenblick noch.... Wie in Zeitlupe sah sie, wie er einen Küchenstuhl packte, ihn hob.
„Jetzt bringt er mich um“ Der Gedanke schoß durch ihren Kopf und sie hatte zwar noch Angst, aber das war unwichtig. Es würde alles vrobei sein. Das Einzige, worum sie trauerte, war die Tatsache, ohne Musik zu sterben. Das hatte sie sich so sehr gewünscht, in ihrem tagebuch stand „wenn ich einmal sterbe, will ich nur mit Musik sterben“ daraus wurde jetzt wohl nichts.
Aber sie würde nicht die Augen schließen, er sollte ihr gefälligst in die Augen sehen, wenn er sie erschlug.
„Nein!“ Die zitternde Stimme ihrer Mutter hatte sich dazwischen geschoben. Fast hätte Larissa lachen müssen. Es war wie in einem Film, in dem die Rollen ziemlich schlecht besetzt waren. Der Stuhl senkte sich, wurde abgestellt. Die Luft war raus. Er schrie noch einen Moment, doch dann war es vorbei. Stille senkte sich über den Raum. Sie sah ihren Vater an, dann ihre Mutter, die hinter ihm stand. Sie ging nie dazwischen, doch das 14jährige Mädchen konnte ihr es nicht verdenken. Sie liebte ihren Mann, obwohl sie selber Angst vor ihm hatte. Er würde seine Frau nicht anfassen, niemals, denn er wusste, dass sie dann gehen würde. Dann würde sie ihn verlassen. Und er brauchte sie, er konnte nicht mal kochen.
Larissa ging die Treppe hoch in ihr Zimmer. Sie setzte sich aufs Bett und begann zu weinen. Es waren nicht die Schmerzen, die sie verletzten. Es war die wut in ihr. Wut darüber, dass sie ihn immer noch liebte, obwohl er sie nicht wie eine Tochter behandelte. Er fuhr sie zu Freunden, er redete mit ihr, aber er war für sie nicht mehr als ein guter Bekannter. Sie wollte nicht einmal das für ihn sein. Die Zeiten waren vorbei. Ihr Erzeuger... sie hätte sich am liebsten übergeben. Warum konnte sie nicht auch einen Vater haben wie andere? Andere Väter liefen nicht rum wie ein Penner oder Alkoholiker, andere Väter zeigten ihren Kindern, dass sie sie liebten, nahmen sie in den Arm, diskutierten mit ihnen, fragten, wie es in der Schule war. Ihren vater interessierte das nicht. Er war niemals auf einem Elternabend gewesen, er hatte sie das letzte mal in den Arm genommen, als sie 8 oder 9 Jahre alt gewesen war. Genau wusste sie das nicht mehr, es war zu lange her. Er konnte nur Verbote erteilen, sich in Streits zwichen ihr und ihrer Mutter einmischen und wenn er nicht weiter wusste, passierte das. Sie war wütend auf sich selbst. Warum konnte sie nicht einfach die Klappe halten? Aber warum mischte er sich überhaupt ein? Er hatte nicht einmal gewusst worum es ging. Und die Teller, die sie in den schrank gestellt hate, klapperten immer so laut. Sie hatte sich zusammen gerissen, weil sie gespürt hatte, dass er wieder kurz davor war, auszurasten. Aber er hatte wieder Stress auf der Arbeit gehabt, sein Ärger hatte sich angestaut und dies war der letzte Anstoß gewesen. Sie wollte tot sein. Tot. Warum ging das nicht? Sie dachte daran, wie schön es wäre. Sie könnte sic die Pulsadern aufschneiden, sich ins Bett legen und keiner würde es merken. Sie würden denken, sie wäre früher ins bett gegangen. Und am nächsten Morgen wäre sie all ihre Sorgen los und ihr vater konnte sehen was er davon hatte.
Der gedanken amchte sie ruhig. Sie holte eine Schere. Umbringen? Sie wollte nicht. Aber sie musste den Schmerz loswerden. Oft hatte sie gehört, dass es etwas gab, das einen von Gefühlen befreite, kurzzeitig vielleicht nur, aber doch für einen Moment den schmerz wegspülte.
Sie setzte an. Langsam schnitt sie an der außenseite ihres Handgelenks. Sie müsste nur die andere seite nehmen....Nur wenige Zentimeter würden die Situation komplett verändern. Sie wollte keinem die Blße zeigen. Sie wollte nicht davonlaufen. Larissa wollte stark sein. Der Welt bweisen, dass sie niemanden brauchte, egal, wenn jeder sie hasste. Wieder schnitt sie. Nicht tief genug, noch einmal. Und noch einmal. Immer tiefer wurden die Schnitte. Blut trat aus den Wunden. Sie wischte es ab, beobachtete, wie es aus den Wunden kam. Das Taschentuch saugte sich langsam voll. Sie würde es später verbrennen. Was sie tat, musste keiner wissen. Es war ihre Sache, ihr Weg, es ging niemanden etwas an, was sie tat. Sie wurde ruhiger, als sie beobachtet, wie das Blut autrat. Wie eine Befreiung schien es. Es tat gut, den Schmerz an die Oberfläche zu holen. Als es abebbte, ging sie ins Bad und rieb die Schnitte mit Desinfektionsmitel ein. Es brannte höllisch und sie biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. Es durfte sich nicht entzünden. Doch sie wusste, sie würde es wieder tun. Und wieder. Denn sie hatte erlebt, wie befreiend es war. Nur einen Moment. Aber dieser Moment reichte aus. Es war ihr Weg. Und wenn er irgendwannmit einem snekrechten Schnitt auf dem Unterarm enden würde, würde keiner etwas ändern könen. Es war ihre Sache. Ihr Weg.
Maya hatte lange Zeit nicht gesprochen. Sie bebachtet Larissa, die abwesend schien. Nur zu gern hätte sie Gedanken lesen können. Sie wusste, wie instabil sie war, und sie wusste, dass Larissa sich dessen ebenfalls bewusst war. Doch Maya wusste, dass sie nichts ändern konnte. Ihre freundin ließ niemanden an sich heran. Um sie herum war eine Schicht aus Eis, auf dem man ausrutschte, wenn man versuchte, etwas aus ihr herauszubekommen. Sie offenbarte sich niemandem. Außer Tine. Maya wusste, wieviel Tine über Larissa wusste. Rissa hatte es ihr erzählt, dass Tine tiefer in Larissa geschaut hatte, als jemals jemand vor ihr. Maya war sich nicht sicher, ob Tine sich dessen bewusst war. Sie hoffte nur, dass sie sorgsam mit dem umging, was sie wusste. Schon ganz zu Anfang war Larissa zu Maya gekommen, durcheinander und verwirrt, dass sie schon gedacht hatte, ihre beste Freundin wäre verrückt geworden. Sie hatte wirres Zeug geredet, zusammenhanglos, ein undurchdringlicher Wald aus zusammengewürfelten Wörtern. Auf die Frage, was denn los sei, hatte sie ihr gesagt, dass sie Tine so viel erzählt hatte, obwohl sie genau wusste, wie falsch das war. Niemand sollte soviel von ihr wissen, schon gar nicht, wenn sie die Person noch nicht lange kannte. Und wie dumm sie doch sei, wieder jemandem solch ein Vertrauen zu schenken, wo sie doch genau wusste, wie die meisten auf ihre Zugeständenisse reagierten. Maya hatte lange gebraucht, bis sie sie beruhigt hatte und die ganze Geschichte hören konnte. Noch immer klangen Larissas Worte in ihren Ohren
„Es ist doch egal, um was es geht. Aber ich hab ihr alles erzählt, das ist es, worum es geht.“ Nicht einmal ihr, Maya, hatte sie erzählen wollen, worum es ging. Tine hatte sie dieses Vertrauen geschenkt. Doch sie hatte Angst bekommen, Angst vor den folgenden Reaktionen der 21jährigen, Angst, was passieren könnte, Angst, dass es wäre wie immer. Dass sie verlassen würde. Sie wurde immer verlassen, ob kurz oder lang, jeder der Menschen, die ihr wichtig waren, ging irgendwann. Sie stand daneben und konnte ihnen nur dabei zusehen. Selbst bei dem Versprechen „Ich gehe nicht.“ das ihr gegeben worden war, gingen sie. Sie brachen ihr Versprechen. Warum versprachen sie etwas, bei dem sie sich nicht sicher sein konnten? Larissa hatte ihr Vertrauen in die Menschen verloren. Sie vertraute nur noch sehr, sehr wenigen Menschen -denen, die ihr immer wieder aufs Neue bewiesen, dass sie ihnen ihr Vertrauen schenken konnte. Das brauchte Kraft, aber Maya verstand sie gut. Sie würde nicht anders handeln.
Nun, da Tine soviel über sie wusste, zog sie sich zurück. Sie hatte Maya schließlich erzählt, dass sie sich in Tine verliebt hatte. Maya war zwar sehr überrascht gewesen, fand es aber nicht schlimm. Sie hatte so etwas geahnt, aber nichts gesagt, weil sie sehen wollte, ob Larissa es ihr sagen würde.
Larissa hatte es ihr gesagt, aber gleichzeitig den Rückzug bei Tine angetreten. Sie wollte nicht, dass sie etwas merkte, wollte sich nicht offenbaren. Anscheinend hatte sie es gemerkt, denn sie drängte Larissa zusehends darauf ihr zu sagen, in wen sie verliebt sei. Rissa hatte viel und lange mit Maya gesprochen, seit Tine das herausbekommen hatte. Rissa ärgerte sich schrecklich darüber, keine Ausrede erfunden zu haben, aber sie wollte Tine auch nicht anlügen. Schließlich hatte sie eine Mail geschrieben, abgeschickt und es tine gesagt. Danach hatte sie den Kontakt abbrechen wollen. Nicht noch weiter offenbaren. Das alles würde Fragen nach sich ziehen und sie wollte nicht gefragt werden, wollte sich nicht noch weiter öffnen. Aber sie hatte es nicht übers Herz gebracht. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch und das schlechte Gewissen hatten sie zurückgetrieben in Tines Arme.
Jedes weitere Treffen unterband Larissa danach. Sie wusste nicht, wie sie Tine begenen sollte, wie sie sich verhalten sollte. Sie hatte regelrechte Angst, ihr zu begegnen, obwohl sie sie im Herzen gerne sehen wollte. Ihre Noten in der Schule wurden schlechter, sie kapselte sich mehr denn je von der Außenwelt ab und flüchtete in die Welt ihrer Gedanken, in der Alles in Ordnung war. Maya schaffte es zwar, sie dort hinaus zu holen, machte sich aber dennoch Sorgen. Larissa war abwesend und geknickt, hatte sich wieder geritzt, was schon lange nicht vorgekommen war und war auch sonst volkomen nebe der Spur. Mayas Angst Larissa könnte eine Dummheit begehen, blieb unausgesprochen im Raum schweben.
Als Larissa aufstand, wurde auch Maya aus ihren Gedanken gerissen.
„Ich glaub, ich geh langsam. danke....du weißt schon, für was.“ Sie lächelte.
„Du willst schon gehen?“
„Ja. Ich werde meine Mutter anrufen und mich entschuldigen, ich habe sie vorhin versetzt. Ich konnte da einfach nicht hin.... Nicht jetzt. Nicht so.“
Maya nickte.
„Okay. Ruf mich an, okay?“
„Mach ich.“ Larissa umarmte Maya, die vorsichtig darauf bedacht war, ihr nicht weh zu tun, und verließ die Wohnung.
Als Larissa die Wohnung verließ, griff sie zum Handy. Sie schrieb ihrer Mutter eine sms
„Hy Mama, mir ist was dazwischen gekommen. Tut mir leid. Können wir unser Treffen auf Samstag verschieben? LG Larissa“
Sie schickte sie ab und schob das Handy zurück in die Hosentasche. Mit der linken Hand griff sie zeitgleich in de linke Tasche und zog ihren mp3 Player hervor. Sehr nachdenklich stieg sie ins Auto und fuhr los, quer durch die Stadt. Die Sonne hatte sich hinter einer dunklen Wolkendecke verborgen und es hatte begonenn zu regnen. Feine Tröpfen fielen auf die Scheibe.
Wie automatisch schaltete sie den Scheibenwischer ein. Das Gummi rutschte über die nasse Außenseite der Frontscheibe und formte einen Halbkreis, in den unmitelbar nachdem der Wischer zurück an seinen ursprünglichen Platz zurückgekehrt war, Regentropfen herunterliefen.
Das regelmäßige Klopfen der Tropfen machte die 19jährige schläfrig. Sie wusste, dass das nicht gut war, wenn man mit dem Auto unterwegs war, weshalb sie von den Hauptverkehrsstraßen in kleinere Nebenstraßen abbog. Nach einiger Zeit merkte sie, dass sie einen ihr nur zu gut bekannten Weg eingeschlagen hatte. In ihren nachdenklichsten Zeiten war sie ihn oft gelaufen, später, als sie 18 wurde, dann gefahren.
Der Weg führte zu einem Hochhaus. Sie blieb davor stehen, sah an der schmutziggrauen Fassade nach oben. Der Betonbau hatte 10 Stockwerke. Die Glasscheiben der Eingangstür war mit schwarzem Eddingstift verschmiert. „Elena ich liebe dich. Dein Domenico R.“, „Fick dich Alda“, „Nazis raus“ waren nur wenige der Sprüche, die sie jetzt zierten. Larissa drückte sie Tür auf und ging hinein in den dunklen Hausflur, der mit weiteren solcher Sätze, Beleidigungen, Liebeserklärungen und Wichtigtuerein geziert war.
Aus dem hinteren teil des Flurs drangen Stimmen. Einige Jugendliche nährten sich dem Eingang, starrten Rissa an. Es waren 7 Jungendliche, 3 Mädchen um die 16 und 4 Jungs, die schon etwas älter sein mussten. Sie musterten sie abschätzend um sich dann an ihr vorbeizudrücken. Besonders die männliche Fraktion kam ihr dabei unangenehm nahe.
Sie bleib stehen, sah ihnenn nach. Sie unterhielten sich auf schnellem türkisch. Einer drehte sich um, sah, dass larissa ihnen nachblickte und grölte ihr zu
„Ey Schnecke...was gukcst du misch an, bin ich geil oda was? Willstdu misch ficken, ich machs dir für nen Sonderpreis, man!“
Larissa ignorierte es. Der Junge drehte sich um, lief seiner Gang nach, die lachend schon voraus gegangen war. Rissa fühlte Ekel in sich aufsteigen, als sie sich vorstellte wie er...nein, soweit wollte sie nicht denken. Sie schütelte sich, drehte sich um und ging zügig den gang entang, bis sie zu einer treppe kam. Sie war eng und schlecht beleuchtet, doch die Dunkelheit konnte auch an den dreckigen Fenstern und den düsteren Wolken draußen liegen.
Langsam, zögerlich stieg sie die ersten Treppenstufen nach oben. Schritt für Schritt. Nach den ersten 5 Stockwerken gab sie es auf und fuhr mit dem Aufzug nach ganz oben. Der 10 Stock war nicht für jeden zugänglich, doch sie hatte schon vor Jahren das Versteck des Ersatzschlüssels gefunden. Wie selbstverständlich griff sie in eine kleine versteckte Mauernische und zog ihn hervor. Der kleine, silberne Schlüssel zur Freiheit, wie sie ihn ihn insgeheimen immer genannt hatte.
Der Wind blies kalt über das Gebäude. Larissa fröstelte. Ihr Blick fiel auf den von Sturmwolken zerfetzten Himmel über ihr. Von einer Sekunde auf die andere fühlte sie sich sehr klein und einsam. Die mächtigen Wolkenformationen über ihr drehten sich, wirbelten ineinander, formten bizarre Figruen und stoben in einer plötzlichen Laune wieder auseinander. Dieses Spiel zu beobachten hatte ihr schon damals gefallen. Es ließ sie vergessen. Vergessen, was zu Hause war, vergessen, was in ihrem Leben passierte, ohne dass sie es wollte, vergessen, was sie nie hatte erfahren wollen.
Wie konnte das leben einer 14jährigen eine solche Hölle sein? Larissa fühlte sich zurückversetzt in das junge Mädchen, das soviel mehr verstand, als es sollte und wollte. Das gefühl endloser trauer ergriff sie. Wo waren die jahre ihrer Kindheit? Wo waren das Lachen, die Sorglosigkeit, die Freude geblieben? Sie hatte schon als Kind erwachsen werden müssen. Damals war sie stolz gewesen, dass sie mehr verstand, als andere in ihrem Alter, dass sie erwachsener war. Doch genau das hatte sie schließlich zu einem Außenseiter gemacht, in der Schule, in ihrem Dorf. Sie war den anderen kindern unheimlich. Während diese noch mit Puppen spielten dachte Larissa schon über Sachen nach, über die sie sich niemals Gedanken machten. Wie oft hatte sie gedacht „Wo bin ich hier nur hingeraten?“, wenn wieder einmal deutlich geworden war, dass Larissa mehr Reife zeigte als ihre Mitschüler. Sie war unscheinbar und zog dennoch durch intelligente Gedanken immer wieder die Aufmerksamkeit aller Lehrer und Erwachsenen auf sich, obwohl sie es nicht einmal beabsichtigte. Dafür erntete sie Achtung, von den anderen Kindern jedoch nur Hass, Neid und Verachtung.
Damals hatte sie das stärkste Gefühl überhaupt kennengelernt, Gefühl, das zerfrisst, heftiger als alles andere, was sie bisher erlebt hatte. Hass. Sie wurde gehasst. Gehasst für das, was sie war. Aber was war sie? Einsamkeit wurde ihre ständige Begleitung in den Jahren, in denen sie zur Schule ging. Doch je einsamer sie war, desto mehr dachte sei nach. Und umso mehr sie nachdachte, reifte sie heran. Das verstärkte den Hass der anderern Schüler auf sie mehr und mehr.Ein Teufelskreis. Doch in all diesen Jahren verspürte sie keinen wirklichen Hass. Larissa wusste, dass keiner ihr das jetzt glauben würde, wenn sie das erzählen sollte deshalb behielt sie es vorsorglich für sich. Doch sie konnte nicht hassen. Sie war sauer, verletzte, fragte sich, was an ihr falsch war und war traurig darüber, keine freunde zu haben, sie empfand Mitleid. Jemand, der so von Hass zerfressen ist, muss einem leie tun, dachte sie bei sich. In späteren Jahren kam zunehmde Dankbarkeit hinzu.
„Das ist pervers“ ging ihr oftmals durch den Kopf, „Aber ich kann ihnen eigentlich dankbar sein. Ich habe gelernt allein zurechtzukommen, ich habe gerlernt, wie es ist keine Unterstützung zu haben und ich bin stark.“ Teilweise redetet sie sich Letzteres wohlweislich ein, jedoch wusste sie, dass es im Grunde genommen wahr war. Das Mobbing, das Außenseiterdasein, hatten sie stark gemacht.In gedanken mobbte sie zurück:
„Ha!! Ihr denkt also, ich bin schwach? Ich bin stärker als ihr alle zusammen. Und wisst ihr auch, wieso? Weil ihr mich zu dem gemacht habt, was ich heute bin. Ihr alle würdet nicht mal die Hälfte aushalten von dem, was ich alleine schaffe.“
Doch sie schwieg. Sie schwieg und schwieg. Nie sagte sie ein Wort, nie wehrte sie sich gegen tätliche Angriffe. Sie wurde still und stiller und zog sich ganz in sich zurück. Ihre eigene Welt, tief in ihr eingeschlossen, beschützte sie. Niemand außer ihr kam hinein. In ihrer Welt konnte sie tun, was sie wollte, in ihrer welt wurde sie akzeptiert, geliebt.
Die 19jährige Larissa sank an der Wand entlang auf den Boden. En kleines Dach war über ihr, welches sie vor dem Nieselregen schützte, der wie durch einen Zerstäuber geschickt, fein vom Himmel kam. Ihre Knie waren angezogen, nah an ihrem Körper. Sie hatte sich klein gemacht, unsichtbar. Doch diesmal war es ein anderer Grund als damals. Dieses Mal wollte sie nicht verschwinden, sondern die Kälte vertreiben, die sich durch ihre Gliedmaßen zog und Stück für Stück spürbar ihre Motorik einschränkte. Sie wollte nicht weg. Sie wollte dort sitzen bleiben, die Wolken beobachten, dem leisen Rauschen des Regens zuhören. Ihre Hände gruben sich in den Kies, der das Dach des Hochhauses bedeckte. Die runden weßen Steine waren feucht und kalt.
Larissa war lange nicht mehr dort gewesen, auf dem Dach. Die Erinnerungen taten zu weh.
Stunden vergingen. Die dunklen Sturmwolken hatten sich mittlerweile verzogen und einen sternenklaren Nachthimmel hinterlassen. Larissa lag auf dem Rücken, ein Brett aus dem Hausflur unter sich. Immer noch war es sehr kalt, doch sie spürte es schon nicht mehr. Ihr Körper war taub, starr. Die Kälte betäubte die Verbrennungen auf ihrer Haut. Sie spürte sie nicht mehr.
Ihre Konzentration lag auf dem Naturphänomen über ihr. Ein Wunder. Tausende leuchtende Punkte, einmeer von Sternen über ihr. Direkt über ihr. Sie war inmitten darin. Fasziniert blickte sie von einer Seite zur anderen. Larissa spürte, wie ihre Augenlider schwer wurden. Sie durfte nicht einschlafen, sie musste doch die sterne anschauen!
Dass jemand ihre Schulter rüttelte spürte sie kaum noch. Erst eine schmerzhafte Ohrfeige holte sie zurück in die Realität.
Es war dunkel. Die Sterne leuchteten gelb. Larissa, eine 18jährige junge Frau, stand auf dem Dach eines 10stöckigen Hochauses. In ihren Ohren steckten Kopfhörer, die leisen Klänge dudelten schwärmerisch, lockend vor sich hin. Tränen liefen über die leicht geröteten Wangen der Jugendlichen. Ihre Lippen schmeckten das Salz, das von ihnen ausging. Sie stand am Rand des Daches und blickte in die Tiefe. Zu ihren Füßen lag die Stadt, in gelbe, grüne, rote und blaue Lichter getaucht, die sich mischten und neue Farben erzeugten. Sie fühlte sich als Königin der Welt. Das Bild war überwältigend. Die vielen, kleinen Lichter, die sich über einen Hügel hinter ihr hinwegzogen. Sie drehte sich ein paar mal um die eigene Achse. Sie sah die Stadt um sich herum leicht verwischen, mit ihr die Lichter. Schließlich blieb sie stehen. Ihr war etwas schwindlig. Für einen Moment schoss sie die Augen. Lichtblitze durchzuckten die Dunkelheit. Sie öffnete sie wieder. Ihr Blick fiel auf den Fluss, der schimmernd vor ihr lag. Er ging durch die Stadt und war von beiden Seiten beleuchtet. Die gelben Lichter verursachten trotz der kühlen Temperaturen eine angenehme Wärme innerlich. Sie war nicht real, nicht wirklich da, jedoch spürte sie sie ganz deutlich.
Larisssa stellte sich vor, wie sie auf einem Schiff stand und einem Sonnenuntergang entgegenfuhr. Der Fluss mündete ins Meer und die Sonne tauchte die ebenmäßigen Wellen in glutrotes Licht. Sie fuhr der Sonne entgegen. Einem neuen Leben.
Sie hatte lange nachgedacht. Vielleicht zu lange. Hätte sie die chance, einem solchen Leben entgegenzufahren, würde4 sie es tun. Sofort. Doch diese chance hatte sie nicht. Sie würde sie nie bekommen. Und sie ertrug dieses Leben nicht mehr. Ein Leben in der Hölle konnte unmöglich schlimmer sein, als im Tod in der Hölle zu verweilen. Sie musste lächeln, als sie an einen Spruch dachte, den eine Freundin von ihr einmal losgelassen hatte zu dem Thema. „Ich komm in die Hölle. Im Himmel kenn ich eh keinen.“
Vielleicht würde sie sie dort treffen in späterern Jahren. Wer konnte es wissen? Die Toten konnten nicht reden. Jedoch glaubte sie es nicht Im Herzen glaubte sie an das Nichts. Ein reines schwarzes Nichts. Eigentlich nicht einmal schwarz. Farb- und formenlos, ein Vakuum. Selbst dies wöre noch zuviel für ein Nichts. Sie würde im Nichts sein, nichts fühlen, nichts denken, nichts wissen, nicht sein. Wie auch immer s war, sie würde es bald wissen.
Larissa wollte nicht gehen. Sie stand am Rand des Hochhauses und sah in die Tiefe. Sie wollte gern bleiben, aber sie hielt es nicht aus. Nicht so, wie es jetzt war.
„...und alles was jetzt ist, wird nie mehr so sein wie es war...“
Larissa ließ ihren tränen freien Lauf. Sie strömten ihre wangen hinunter, lautlos, wie diebe i der Nacht, stahlen sie sich davon, flohen in Richtung Kinn.
„....denn ich bleib für immer, und schreib dir mal von dort...“
Erlösung. Das war es, was sie wollte. Erlösung von Verantwortung, die schon viel zu lange und zu schwer auf ihr lag, Erlösung von ihren Gefühlenk Erlösung von ihrem Leben.
Sie stand jetzt ganz nah am Rand. Nur noch einen Augenblick die frischeLuft genießen, die um ihre nase wehte, mit ihrem Haar spielte, nur noch einmal die Regentropfen auf der Haut spüren, nur noch einmal das Salz der Tränen schmecken.
„Rissa.....“
Eine zitternde Stimme rief leise nach ihr. Das konnte doch nicht wahr sein. Ihr war wirklich nichts vergönnt. Nun wollte man ihr auch noch ihren Tod versauen. Wütenmd fuhr sie herum.
„Hör mir mal zu, egal was jetzt passiert, ich hab keine Lust mehr auf die ganze Scheiße hier, lasst mich doch wenigstens mal in Ruhe sterben!“
Erschrocken blickte sie in zwei blaue Augen, in denen sich reine Angst spiegelte. Tine zitterte am ganzen leib. Tränen liefen über ihr Gesicht.
„Nicht Rissa... Bitte.... ich brauch dich doch...“
„Was? Du brauchst mich? Niemand braucht mich. Ihr kommt alle echt gut ohne mich klar. Ich habs kapiert. Ich hab keine Lust mehr, mir reichts jetzt. Ich wusste, dass es soweit kommen würde, ich wusste es all die Jahre, tief in meinem Herzen. Es kann nich gut ausgehen, wir sind hier nicht im Märchen. Wilkommen in der Realität. Ich brauch das alles hier nich mehr.“ Larissa schrie Tine fst an. Sie war außer sich. Ausgerechnet Tine. Sie wollte nicht gehässig zu ihr sein. Sie hasste sich dafür. Noch ein Grund mehr, so schnell wie möglich den Löffel abzugeben. Dass sie in Tine verliebt war und ausgerechnet sie sie hier oben finden musste, machte alles nur noch schlimmer.
„Was brauchst du nicht mehr? Wir brauchen dich...“ Tine war verzweifelt. Es stach Larissa ins Herz, sie so zu sehen. Tine litt, das war ihr deutlich anzusehen. Liebe konnte grausam sein. Selbst kurz vor ihrem Tod ließ sie ihr keine Ruhe, wollte sie noch im letzten Moment daran erinnern, was Rissa so sehr wollte und nie bekommen könnte.
„Wozu braucht ihr mich? Ich werd nich gebraucht. In euren herzen existiere ich doch gar nicht. Jeder sagt mir, wie toll doch mein Charakter ist, wie lieb ich bin, wie wichtig ich doch bin. Zeigt mir das hier irgendwer? Nein!! Brauch ich Heuchler? Nein!! Ich bettel nich drum. Ich frag mich nur,was ich falsch gemaht habe, wenn ich doch angeblich so toll bin.“ Larissa stockte. Die Tränen wollten nicht stoppen. „Ich bin immer für alle da, aber es ist nie jemand für mich da. Nicht einmal dann, wenn ich jemanden so dringend brauche, nicht einmal in meinen einsamsten odeer schlimmsten Momenten. Nie. Das macht es nur allzu einfach zu gehen. Ich werd hier runterspringen und es ist alles okay, verstehst du? Ich bin all meine Sorgen los. Und meinen Schmerz auch. Und eigentlich sollten nur der Sternenhimmel und die Musik mich auf diesem Weg begleiten -und jetzt kommst du und verssaust mir meinen Tod. Ich kann nich mehr!!“
Larissa knickten die Beine weg. Wie in Zeitlupe sah Tine sie fallen. So nah, wie sie am Rand gestanden hate, konnte sie nur in eine Richtung fallen. Tine überlegte nicht lange. Wie automatisch schnellte sie nach vor und packte Larissa an den Beinen. Sie zog sie zurück aufs Dach.
Larissa lag unter ihr. Sie sah ihr in die augen.
„Das ist nich fair... ich kann nich mal in Ruhe sterben. Warum tust du das?“
„Weil du mir wichig bist. Und du kannst tausend mal sagen, das sagt jeder nur so daher. Dann sind das alles idioten. Ich meine es ernst. Und ich glaub du begreifst überhaupt nicht, wie wichtig du mir bist. Aber da du dich ja eh umbringen wilst kannich dir das ja gleich hier sagen, damit du es wenigstens weißt: ich hab mich in dich verliebt.“ Tine ließ ihren tränen freien Lauf. Sie schluchzte herzzerreissend, wähend sie Larissas Handgelenke fest umklammerte. Sie ließ sie nicht los.
„Was?“ Rissa konnte es nicht glauben.
„Du hast mich schon verstanden, verdammt nochmal. Irgendwann musste es ja raus, aber eigentlich wollte ich es dir nich auf diesem Weg sagen... Nich...so.“
„Warum hast du nichts gesagt?“ Larissa weinte und lachte auf einmal gleichzeitig.
„Mir geht es genauso. Aber ich wusste nich wie ich dir das sagen soll...und wie du reagierst.“
„Ehrlich?“
Larissa nickte.
Tine lachte nun auch, beugte sich hinab und küsste Larissa. In diesem Moment dankte Larissa wer-weiß-wem dafür, dass Tine aufgetaucht war. Ein rettender Engel in der Not. Ein Engel mit schwarzen Haaren, blauen Augen und Gefühlen, die ihre erwiederten. Und das spürte sie nun sehr deutlich.
„Warum wolltest du..“
„Woher wusstest du...“
Beide lachten.
„Du zuerst“.
„Okay.“ Larissa fragte leise.
„Woher wusstest du, wo ich bin?“
„ich hab mir Sorgen gemacht, weil du so lange weg warst...ich hab X-mal bei dir angerufen, aber dein Handy war aus und du kamst einfach nicht nach Hause. Dann hab ich Maya angerufen und die sagte mir, du wärst öfter hier oben, um nachzudenken und sonstwas.“
„Ach so..“ wieder herrschte Stille zwischen den beiden. Tine saß nun im Schneidersitz neben Rissa und hielt immer noch ihre Hand.
„Warum wolltest du springen?“
Larissa sah Tine an. Wieder einmal fiel ihr auf, was für schöne Augen die 20jährige hatte. Himmelblau mit kleinen, eisblauen Sprenkeln darin, die wie kleine Wattewölkchen inmitten eines strahlend blauen Himmles wirkten.
Doch im Moment sahen sie sie schmerzvoll an und sie konnte ihnen nicht stand halten, weshalb sie wegschaute über die Dächer der stadt.
„Ich kann nich mehr....Das wird mir alles zuviel. Mein ganzes Leben ist so..so...leer. Ich hab soviel erlebt und gesehen. Ich werde von jedem unterschätzt. Ich hab das gefühl, nach etwas zu suchen, aber ich find es nicht. Es ist in mir drin. Ich weiß nicht, wie ich es loswerden kann. -das hört sich echt bescheuert an oder?“
„Nein, tut es nicht.“ sagte Tine leise. „Aber das ist lange kein grund, sich das Leben zu nehmen.“
„Vielleicht. Das ist alles soviel... Ich glaube wir säßen morgen noch hier, wenn ich alles erzählen würde. Aber es versteht sowieso niemand. Die würden mich in ne anstalt stecken, wenn die es wüssten.“
„Wer sind die?“
„Alle. Jeder. Jeder, der es weiß. Wer kann schon Gefühle von anderen verstehen? Ich komm nicht mehr klar mit dem Leben hier.“
„Ich will nicht, dass du gehst. Ich hab schonmal ne Freundin verloren. Sie hat Tabletten geschluckt. Vorher hat sie gesagt, ich würde Ersatz finden und sie könnte so nicht weitermachen. Ich konnte nichts tun...Ich stand daneben und hab zugesehen, wie sie stirbt..innerlich. Aber man findet keinen Ersatz, verstehst du? Du beginnst, eine Person zu lieben, du willst sie behalten...und sie sagt dir, du würdest Ersatz finden. Das ist unerträglich schmerzhaft...Ich hab fast nur geheult in der Zeit, als sie sagte, sie will nicht mehr.. Davon wusste sie nichts bis zuletzt. Ich weiß, dass es ihr selbst auch weh getan hat. Sie hat keinen Sinn im Leben mehr gesehen. Aber ich war außer mir. Ich konnte mich auf gar nichts mehr konzentrieren und hab nur noch an sie gedacht. Wie ich helfen kann, damit sie bleibt.... und ich wusste nicht wie ich ihr helfen kann. Verdammt Larissa, hast du eigentlich eine Ahnung wie weh das tut, jemanden zu verlieren, der dir das wWichtigste in deinem Leben ist?? Du hast anscheined keine Ahnung. Man findet keinen Ersatz, verdammt nochmal!! Und man will auch keinen!! Wie weh du den Menschen, die dir nahestehen, damit tust, scheinst du auch nicht zu wissen! Du zerreisst mir das Herz..“ Tine hatte hemmungslos angefangen zu weinen. Die Tränen strömten über ihre Wangen und tropften vom Kinn hinunter auf Rissas Hose.
Noch immer hielt Tine Larissas hand fest, drückte sie, sodass ihre knochen weiß hervorstachen, sodass es schon fast weh tat. Doch Die 18jährige sagte nichts. Sie zog Tine zu sich heran und auch bei ihr liefen nun wieder Tränen.
Benommen schaute Larissa nach dem Grund der Schmerzen in ihrer Wange. Durch die Kälte war die Haut viel empfindlicher und der Schmerz ausgeprägter.
Ein paar blaue Augen schauten sie angsterfüllt an.
„Kleine?“ Tines Stimme klang zittrig.
Wieder hob sie die Hand zu einer neuen Ohrfeige.
„Ey..ne..bitte nich noch eine..“ murmelte Larissa tonlos.
Tine sah zwar, dass ihre Freundin etwas zu sagen versuchte, jedoch war sie noch nicht in der Lage, zu sprechen. Wieder holte sie aus und Larissa fing sich noch eine Ohrfeige ein. Tine gab insgeheim zu, dass es ihr nicht einmal richtig leid tat. Sie hatte schreckliche Angst um Rissa gehabt.
Langsam brannten die Wangen der Traktierten. Doch ihr Blick wurde langsam schärfer.
Tine nahm sie an den Schultern und schüttelte sie.
„Jetzt komm schon..!!“
Sie zog die 19jährige nah an sich heran. Bei Unterkühlung musste man man wärmen und das ging am besten mit Körperwärme. So saß sie einige Minuten da, Larissa eng an sich gedrückt, bis sie spürte wie sie sich langsam zu regen begann.
Larissas Gedanken rasten.
“Mein Kopf....“stöhnte sie und griff sich an die Schläfe.
Tine schwieg. Ihr Blick traf den Larissas Und mit einem schlag wurde dieser klar, was tine gedacht haben musste. Schließlich war es beim letzten Treffen an diesem Ort fast zu einem selbstmord gekommen. Ihre Freundin musste schreckliche Angst verspürt haben.
„Hey, es ist definitiv nicht so, wie es aussieht!“ versuchte sie hastig zu erklären.
„Sondern?“
„Ich musste nachdenken...“
„Und das tust du ausgerechnet hier, auf dem Dach, wo ich dich das letzte Mal gerade so zurückhalten konnte, da runterzuspringen? Weißt du eigentlich, was für eine verdammte Angst ich hatte?“
„Ich kanns mir vorstellen...“ sagte Larissa zerknirscht.
„Nein, kannst du nicht! Ich bin fast gestorben vor Angst, als ich die Stufen hier hoch gerannt bin. Dass es vielleicht zu spät kommen würde und ich dich stürzen sehe. Du hast keine Ahnung!“ Tine hielt inne, fasste sich ans Herz. Larissa machte sich Sorgen, denn wenn die 21jährige sich wirklich heftig aufregte, bekam sie Herzschmerzen und das konnte mitunter wirklich gefährlich werden.
Ein paar Mal atmete sie tief durch.Ihr Blick glitt über die Stadt, den schimmernden Fluss. Sie sah Larissa nicht an, als sie weitersprach.
„Schon damals hab ich dich geliebt...und wollte dich nich verlieren. Glaubst du, das ist im letzten Jahr weniger geworden? Denkst du, meine Liebe hat nachgelassen? Dann muss ich dich enttäuschen. Sie ist gewachsen, und sie wächst mit jedem Tag mehr, den ich mit dir erlebe. Sie wächst mit jedem Lächeln, mit jeder Berührung. Und ich hab schreckliche Angst, dich zu verlieren. Ich will dich in meinem Leben nicht mehr missen, nie mehr...Du hast dich in mein Herz gebrannt, und Spuren hinterlassen, vom ersten Tag, an dem ich dich zum ersten Mal sah. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass du das Gleiche für mich empfinden könntest. Ich hab mich zusammengenommen, um dich nicht zu verschrecken, ich wollte dich behalten... Und die Gefahr, das du gehst, wenn ich dir sage, was ich für dich fühle, war zu groß. Ich hab jede Minute an dich gedacht und bin vor sehnsucht fast vergangen... Nur einmal deine Lippen spüren, nur einmal dich berühren....Ich hab mich dafür gehasst, diese gedanken zu haben, es war Folter, aber gleichzeitig wollte ich sie behalten, damit ich dich wenigstens in meinen Träumen bei mir habe... Und dann irgendwann standst du hier, vor mir, dort am Abgrund. Ich hab geglaubt, dich zu verlieren. Und dieletzte Chance schien mir, dir zu sagen, was ich empfinde. Vielleicht hätte ich es dir nie gesagt. Und dann sagtest du, dass du das Gleiche fühlst... Ich war der glücklichste mensch auf der ganzen welt. Du hast meinem Leben einen wirklichen Sinn gegegben, für den es sich lohnt zu kämpfen. Und jetzt finde ich dich wieder obne.. wie das letzte mal. Diesmal bist du star vor Kälte, eiskalt und ohnmächtig. Du kannst dir nich vorstellen was ich für eine Angst hatte, dich nicht mehr zurückholen zu können.. Du warst fast 20 Minuten wie Öl, das durch meine Finger rinnt. Ich hab dich gesehen, aber du warst so weit weg in deinem Inneren.
Ich hab gedacht, wenn ich dich damals zurückhalten konnte, ist das ja toll, aber wenn du jetzt nicht mehr weitermachen willst, was kann dich dann noch aufhalten?“
Tränen liefen über das Gesicht der jungen Frau. Larissa verspürte Shmerz. Sie hatte Tine keine Angst machen wollen. Dafür war sie ihr zu wichtig. Zaghaft griff sie nach deren Schulter und zog sie zu sich heran. Sie ließ es geschehen, schmiegte sich an Rissa, als wollte fühlen, das ssie da war und blieb und sie nicht träumte.
„Ich habe mich so noch nie gefühlt....nie werde ich den Blick vergessen können. Sie hat mich nicht mal angesehen, aber ich habe gesehen, wieviel Schmerz darin lag. Nie werde ich mir verzeihen können, was ich ihr angetan habe, wie weh ich ihr getan habe. Was sie mir dort auf dem Dach gesagt hat...damals und jetzt...es ist zuviel. Zuviel, als ich verdiene. Sie liebt mich so bedingungslos, tut alles für mich, was sie kann, und ich?.... Ich verletze sie andauernd, stoße sie zurück. Was bin ich nur für ein Mensch....“
Larissa hielt inne. Der Kugelschreiber, der eben noch über das Papier geglitten und dort eine schwarze Spur hinterlassen hatte, von zitternder Hand geführt, fiel auf den Boden. Eine Träne tropfte auf das Blatt im Tagebuch der 19jährigen und verwischte die Schrift. Sie zerlief zu einem kleinen sternähnlichen Gebilde. Larissa war wütend. Wütend auf sich selbst, weil sie Tine so verletzte, auf Tine, weil sie sie liebte und alles ertrug, was Larissa ihr antat. Das machte Alles nur noch schlimmer. Wenn sie sie doch wenigstens angeschrieen hätte, sie fertig gemacht hätte. Aber sie zeigte Verständnis in jeder Lebenslage, sah über vieles hinweg und ließ sich nicht anmerken, wenn sie verletzt war, auch, wenn Larissa es sehr wohl wusste. Tine war ein Engel. Ihr Engel, der ihr helfen und sie beschützen wollte. Doch sie stieß jegliche Hilfe von sich. Sie zerbrach. Und ihr Engel konnte ihr nicht helfen, weil sie sich nichts anmerken ließ. Sie wollte es alleine schaffen. Doch sie merkte immer deutlicher, dass sie es nicht schaffte. Und dabei wollte sie doch niemandem Probleme machen, niemanden mit ihren Problemen belasten. Sie hatte sich stets allein durchs Leben gekämpft, sie gegen den Rest der Welt. Und sie war immer mit erhobenem Kopf herausstolziert, ob als Gewinner, oder als Verlierer. Dann war sie in ihr Leben gestolpert, sie, mit den blauen augen und den schwarzen Haaren, immer lachend, immer fröhlich, hatte sie mitgerissen in ihren Strudel aus Glück und ihr Leben auf den Kopf gestellt.
Larissa schlenderte über den Fußgängerweg im Herz der Stadt. Geschäftig eilten die Leute von Punkt A zu Punkt B. Die Jugendliche hatte zeit, eine Menge zeit. Maya, ihre beste Freundin, hatte ihr 10 Minuten zuvor abgesagt: Sie könne nicht kommen, da ihr kleiner Bruder Fieber hätte und ihre Eltern außer Haus wären. Nun müsse sie auf ihn acht geben und schauen, ob die Temperatur sich weiter erhöhen würde.
Es störte Larissa nicht, dass Maya nicht kommen würde. Es war herrliches Wetterund relativ warm für einen Frühlingstag. Es wehte ein leichter Wind, der mit dem Haaren der Menschen um sie herum spielte. Übermütig umflog er die Köpfe und nahm hie und da eine Strähne mit, die er dann neckisch vor die Augen oder auf die Lippen legte. Die Blätter wogen gelassen hin und her, wie sie es von ihrem Großvater kannte, wenn er ihr zu frührerer Zeit ein Schlaflied vorgesungen hatte.
Vergnügt setzte sie sich auf die Steinplatten des alten Brunnens, der in der Mitte der Fußgängerzone stand und somit den zentralen Kern bildete. Die beiden kleinen Kinder, die jauf dem Sockel in der Mitte standen und jeweils einen Fisch in der Hand hielten, grinsten sich verschämt zu, währned die Fische zueinander geneigt waren und aus ihren Mündern Strahlen des glitzernden Nass in das Becken unter sich beförderten.
Larissa beobachtete die Wasserstarahlen fasziniert. Sie fing die Schönheit der Millionen Tropfen ein, die sich im Sonnenlicht brachen und Farben in sich selbst erscheinen ließen, bevor sie mit leinem Plätschern auf die Menge im Becken trafen. Die sanften Wellenbewegungen des Wassers machten sie ruhig. Entspannt lehnte sie den Kopf zurück und reckte ihn gen Himmel, darauf bedacht, die Wärme der Sonne ihr Gesicht erreichen zu lassen. Fast schien sie mit dem Brunnen zu verschmelzen, wenn auch ihre beinahe erotische Körperhaltung nicht recht zum Rest des Bildes passte, so bewegungslos saß sie auf dem Stein. Doch jäh wurde das Bild dieser vollkommenen Harmonie und Zufriedeneheit gestört, als eine Stimme sie erreichte.
„Hiiiiii! Das ist ja cool, dich hier zu treffen“ Noch bevor Larissa die Augen aufschlug, wusste sie, wer sie nun mit seiner Anwesenheit beglückte.
„Hy Ryan.“ Wenig begeistert gab sie ihre Haltung auf und sah einem Jugendlichen in die Augen. Ryan war 18, etwas älter als sie, hatte dunkelbraune Augen und rabenschwarzes Haar, das ihm im verschnitt einer Mangafrisur über die Augen fiel.
„Auch cool, dich zu sehen. Was machsten hier?“ Rissa mochte ryan, darin bestand kein Zweifel, doch im Moment wollte sie nicts weiter, als Sonne tanken und anchdenken, einfach nur das allein-sein genießen. Ryan hatte die Angewohnheit, gerade solche philosophisch wichtigen Momente zu stören.
„Ich mach nich viel. Lauf bisschen durch die Stadt, muss noch ein Geschenk für Laura laufen... Du weißt doch, sie hat am Samstag Geburstag, da brauch ich noch was.“ Verlegen grinste er die 17jährige an.
Immer auf den letzten Drücker wie? Typisch.“ Larissa lachte. „Aber ich muss zugeben, ich hab mein Geschenk auch noch nicht.“
„Hast du schon was in Aussicht?“
„Ja, ich muss es nur noch abholen. Ich schenk ihr 2 Karten für das Die Happy Konzert. Sie will mit ihrem Freund hingehen und jammert, dass es keine Karten mehr gibt. Gut, dass ich sie schon vor 2 Monaten bestellt habe.“ grinste sie.
„Uhh.. Die Happy, mh? Ja, die sind schon geil...Mist, warum ist mir das nicht eingefallen?“ Er entbößte eine Reihe strahelnd weißer Zähne. Oft fragte sch Larissa, wie er es geschafft hatte, von Natur aus so weiße Zähne zu haben. Sein Lächeln hätte durchaus aus einer Dr. Best Werbung stammen können.
„Tja... Pech für dich -nun musst du dir was anderes suchen.“ Zwinkerte sie.
„Richtig. Hmm... Richtig!! Ich muss mal weiter, sonst find ich wieder nichts und ich hab nur noch 5 Tage Zeit. Alsdann- Ciao Bella, und sag Maya liebe Grüße!“
Damit wuselte er davon und wurde von der Menge verschluckt. Larissa grinste.Anders kannte sie ihn nicht. Flink wie ein Wiesel, immer unterwegs und so darauf bedacht, jedem etwas schönes zu schenken, sei es ein Lächeln zur Aufmunterung oder eine liebe Umarmung, wenn jemand Trost brauchte. Das einzige Makel seines Wesens schien auf den ersten Blick das auftauchen im immer falschen Moment zu sein.
Die Jugendliche riss sich aus ihren Gedanken und stand auf. Ryan hatte sie auf etwas aufmerksam gemacht, was sie sonst vergessen hätte. Schnell suchte sie ihre Sachen zusammen und machte sich auf den Weg, die Karten abzuholen.
Zufrieden trat sie aus dem Geschäft. Laura würde sich einen Ast freuen, soviel war sicher.
Doch allein die karten wollten Rissa noch nicht recht gefallen. Sie entschloss sich, eine süße Karte zu holen. Etwas mit Sheepworld würde am Besten passen, da Laura die kleinen Schafe über alles liebte und sich gern ihr „kleinen, runden, knuffigen Gesichtchen“ anschaute.
Grinsend nahm sie eine in die Hand auf der stand „Ich halte so lange die Luft an bis du mich küsst“.
Sie sah ein, dass das nicht ganz passte, aber schnell erregten auch andere Karten ihre Aufmerksamkeit.
„Ohh wie süß!“ Gleichzeitig griffen Larissa und eine weitere Hand nach einer Karte, auf der ein Schäfchen mit riesigen Augen und einem dicken Blumenstrauß abgebildet war.
Ihre Augen fingen den Blick eines Mädchens in ihrem Alter ein. Fasziniert glitt ihr Blick in Bruchteilen einer Sekunde über die Konkurrenz. Eine schmale, jedoch sehr weibliche Figur in dunkelblauen Jeans und rotem Longshirt streckte sich ihr entgegen. Schwarze Haare fielen über die Schultern bis auf den Rücken und lockten sich an verschiedenen Stellen, was der Frisur ein freches Aussehen verlieh. Am überwältigensten jedoch waren ihre großen Augen. Himmelblau, mit kleinen, eisblauen Sprenkeln. Larissa brauchte einen Moment, ehe sie sich von den Augen losreißen konnte.
„Wow..“
„Bitte?“
„Ähhh, ich meinte, wollen Sie, willst du...?“
Larissa hätte sich ohrfeigen können. Warum zum Teufel stotterte sie jetzt? Sie hatte doch keinen Grund! Die Unbekannte lachte sie fröhlich an.
„Ich glaube, wir wollen das Gleiche. Nämlich diese Karte hier kaufen. Jetzt bleibt die frage: für wen ist sie wichtiger?“
„Wi...wichtiger?“ Verwirrt blickte Larissa sie an, wandte aber recht schnell den Blick ab und ließ ihn über die weiteren Artikel im Angebot des Ladens schweifen, um nicht in diese hypnotischen Augen blicken zu müssen.
„Nunja.. für was willst du sie kaufren?“
„Ich.... für einen Geburtstag.“
„Aha. Okay, dann gehört sie dir.“ Lächelnd zog sie ihre Hand zurück.
„Hey, wenn du sie willst.. dann ist das auch okay..“ Larissa reagierte hastig.
„Nein, danke. Ich wollte sie einfach haben, weil ich sie süß fand. Aber ich finde sie bestimmt auch noch woanders.“ Damit drehte sich das Mädchen mit den blauen Augen um und verschwand wie vorher Ryan im Gedränge der Menschen.
Noch jetzt, fast 2 Jahre später musste Larissa lächeln, wenn sie daran dachte. Ein Blick und sie hatte sie verzaubert. Schon bei ihrem ersten Treffen hatte sie gestrahlt. Und auch bei jedem weiteren hatte sie Fröhlichkeit verbreitet. Kein anderer konnte das wie sie.
„Ahhhhh!“ Ein gellender Schrei und ein heftiger Schmerz schoss in Larissa Rücken.
Sie kippte nach vorne und fiel auf den Bauch. Noch bevor sie anstalten machen konnte, sich umzudrehen, stieg ihr etweas auf die schmerzende Stelle und feuchter, warmer Atem drang verbunden mit einem Hecheln an ihren Nacken.
„Ah non..... Gismo, non, aus, komm hierher!! Es tut mir so leid, es tut mir so leid... Kommen sie, ich helfe ihnen.“ Zwei zierliche, jedoch erstaundlich kräftige Hände packten sie und zogen sie hoch. Vor ihr standen ein Wolfshund der sie freundlich schwanzwedelnd aus zwei dunklen Augen anstarrte und die hübsche Schwarzhaarige aus dem Geschenkeladen.
Bestürtzt schaute auch sie nun auf Larissa, hatte sie sie doch in eben jenem Moment erkannt, als sie in ihre grünen Augen geblickt hatte.
„Es tut mir so leid....wirklich.“ Ihre blauen Augen waren aufgerissen und huschten verzweifelt von ihrem Gesciht über ihre nun nicht mehr ganz so sauberen Kleider.
Nachdem auch Larissa sich kurz betrachtet hatte, kam sie zu dem Schluss, das wäre nicht sonderlich schlimm.
„Hey, dasist in Ordnung. Ist das dein Hund? Er besitzt einen umwerfenden charme!“ Sie grinste die Unbekannte an und auch diese lächelte nun, offenbar froh, das Larissa nicht böse war.
„Ja, den hat er wirklich. Hör mal, es tut mir wirklich leid, hast du dir weh getan?“
„Nein, das geht schon, bis ich heirate ist es wieder weg“
Nun lachte die Jugendliche, wurde aber gleich wieder kleinlaut.
„Kann ich dich als Entschädigung wenigstens auf einen Kaffee einladen?“
Diese Frage kam unvermittelt nach sekundenlanger Pause und traf Larissa im ersten Moment wie ein plötzlich hereinbrechendes Gewitter.
„Wie?“ Oh Gott, für was für einen Trottel musste die sie halten?
„Ob ich dich auf einen kaffee einladen darf...Hey, schau nicht so, du siehst ja aus, als hättest du ein gespenst gesehen.“ lachte sie.
Larissa grinste.
„okay, ich denke mit einem kaffee kann man nicht viel falsch machen..“
„Richtig! Also los. Nur eine Frage hab ich noch“
„Ja?“
Verlegen blickte sie Larissa an.
„Wo ein Cafe ist, musst du mir sagen... ich bin neu hier in der Gegend und kenne mich noch nicht so aus.“
„Alles klar. Ich kenn ne ziemlich coole Bar um die Ecke. Kubanischer Stil, kennst du vielleicht sogar, aber die Bar ist ein echter Insider unter den Menschen, die hier leben. Dort treffen sich die meisten Jugendlichen aus der Stadt um zu quatschen oder einfach nur abzuhängen.“
„Ich kenne Kuba“ antwortete das Mädchen lächelnd, während sie Larissa mit ihren blauen Augen anschaute, „Ich komme aus Havanna.“
An diesem Tag in der Havana Bar hatten sie viele Gemeinsamkeiten festgetsellt. Christina Maria sollte bald auf Larissas Schule gehen und sie hatten sich ausgemacht, dass Rissa sie mit Schule und Stadt etwas vertrauter machte, als sie bisher war. Je besser sie sie kennengelernt hatten, desto besser hatten sie sich verstanden. Larissa erinnerte sich gern zurück, an das, was sich damals zwischen ihnen entwickelt hatte. Eine seltsame Vertrautheit hatte vom ersten Tag existiert und war mit der Zeit spürbarer geworden.
Larissa beruhigte sich langsam. Schon lange zehrte sie von diesen Erinnerungen, suchte, das Glück zurückzubekommen. Es war anders mit Tine, genauso schön wie damals, jedoch anders. Larissa wollte die Momente festhalten, bevor sie verschwinden und im Nebel der Zeit verschwinden konnten. Sie hielt sich an ihnen fest wie ein einsamer Schiffbrüchiger an einer Holzplanke.
Gedankenverloren wischte sie sich die Träne von der Wange und stand auf. Sie lief nach Hause, so schnell sie konnte. Ihre Sachen waren achtlos in die Tasche geworfen und fielen nun aufgrund des Laufschritts in einem bunten Durcheinander hin und her. Die Wohnung Tines war leer. Ein zettel lag auf dem Tisch.
„Muss nachdenken, komme später wieder. Ich liebe dich“
Na toll, nun war sie gerannt, ihre Lungen taten ihr jetzt noch weh, und Tine war nicht da.
Nachdenken.. Inwiefern wollte sie nachdenken? Sie konnte doch mit ihr über alles reden. Larissa ließ sich af das Sofa hinter ihr sinken, von dem sie jäh aufsprang als eine abgekämpfte Tine durch die Tür humpelte und sich auf den nächstbesten Küchenstuhl sinken ließ. Besorgt lief sie zu der offensichtlich Verletzten, die gerade dabei war, sich Blut aus dem Gesicht zu wischen.
„Gott, was hast du gemacht? Tine, schatz...Sag doch was.“
Diese wischte unwirsch die Fragen beiseite, indem sie mit der hand durch die Luft wedelte.
„Kannst du mir vielleicht ein Küchentuch und einen Eisbeutel holen bevor du mich fragst? Das wär echt nett...“ sie seufzte
Larissa rannte in die Küche, holte geforderte Sachen und brachte auch Desinfektionsmittel mit.
„Was ist passiert?“
„Ich hab mich aufgeregt und bin Eifer des Gefechts eine Treppe runtergefallen. Bah, wie sie mich aufregen,.... Können die einen nichtmal in Ruhe lassen?“
Tine wanderte langsam am Fluss entlang. Es war ruhig um sie herum, die einzigen Geräusche, die zu hören waren, kamen von ein paar Vögeln die mit ihren Lauten die Sinne der Menschen belebten und sie in eine Welle der vollkommenen Zufriedenheit führten.
Wie schön es hier war, am Wasser. Gerne beobachtete sie die Wellen, die in unwahrscheinlich präziser Zeitabständen aufs Neue das Gras berührten und wieder weg flossen. Aufs offene meer, in die unendliche freiheit. Denn was bedeutete für einen wassertrofen das Meer? Menschen konnten es übersegeln, aber für einen so winzigen Wassertropfen musste es Unendlichkeit bedeuten.
Langsam schlenderte die 21jährige am ufer entlang. Sie lief in die Stadt hinein, und selbst im künstlichen Licht der Straßenlaternen hatte der Fluss etwas Magisches, glitzerte er doch so vollkommen in den Wellenbewegungen. Tine ging langsam nach Hause. Ihre Gedanken rotierten nicht mehr so stark wie anfangs ihres laufes. Kopflos war sie losgerannt, in irgendeine Richtung, nur weg, weg von allem, was sie kannte. Nun war sie wieder klar und wollte zu Rissa. Sie musste sich sehr schlecht fühlen, soviel war sicher.
Auf dem Weg durch den dunklen Park fühlte Christina sich sehr unbehaglich, konnte jedoch nicht genau sagen, woran es lag. Sie glaubte, Blicke auf der Haut zu spüren -wurde sie beobachtet? Die Antwort auf diese Frage bekam sie schneller als erwartet. Ein paar Gestalten sprangen aus dem Dunkel vor sie. Tine wusste nur zu gut, dass sie ihr nur Angst machen wollten und blieb deshalb ruhig stehen, wo sie war.
„Soso.. ihr wiedermal? Gehört ihr um diese zeit nicht ins Bett?“ Amüsiert schaute sie von einem zum anderen. In ihr sah es anders aus, doch das wollte sie den Jugendlichen nicht zeigen. Vor ihr standen 6 männlcihe Wesen von 17 bis 20 Jahren und grinsten sie an. Man hätte meinen können, dass in diesem Alter der Verstand einsetzen sollte, jedoch schien dies bei einigen Exemplaren der männlichen Gattung nicht recht zu stimmen. Die hier auftretenden schinen noch unreifer als sie erwartet hatte und so beobachtete sie genau, ohne Miene zu verziehen und bemerkte, dass die Jüngeren sich eher im Hintergrund hielten, während die Älteren sie nun umkreisten. Sie drehte sich nicht mit, es wäre sinnlos, sich zu wehren, sollte einer auf sie losgehen, die anderen 5 wären sofort zur Stelle.
„Mhh.. Wen haben wir denn hier? Ich kenne dich.“ Ein ca 19jähriger Jüngling hatte sich aus der Gruppe gelöst und stand nun direkt vor ihr.
„Nun, ich denke, du wirst wissen, wen du vor dir hast. Oder ist es mittlerweile schon so weit mit euch gekommen, dass ihr wahllos Fremde angreift und zu demütigen sucht?“
„Nein, du hast völlig Recht.“ antwortet der vor ihr Stehende arrogant. Er lächelte hämisch in die runde.
„Wir alle kennen die kleine Leckschwester hier, oder?“ beifäliiges gemurmel der anderen verkündeten Zustimmung.
Tine rollte mit den Augen.
„Sorry, ich tu mir das nicht an, das wird mir hier echt zu blöd..“ Damit versuchte sie sich an den Jungen vorbeizudrängen. Diese ließen sie jedoch nicht durch und bildeten eine Wand.
„Jungs, was soll das? Könnt ihr mir verraten, was ihr von mir wollt?“ Wütend blitzten ihr blauen Augen die um sie Stehenden an, um dann wieder den Anführer zu fixieren. Ihr Blick war nun genauso eiskalt wie der des Jugendlichen, doch der Seinige drang mit einem ebenso kalten Lächeln an die Oberfläche.
„Wir wollen nur ein bisschen Spaß haben. Mit so einer schönen Halbspanierin wie dir doch kein Problem oder? -Ach, ich vergaß- du bist ja lesbisch! Macht es dir Spaß, sie zu lecken? Wie ist das? Ich würds gerne wissen...kenn das nämlich gar nicht. Wie fühlt sich das an, wenn es einem gemacht wird?...“
Seine Demütigungen trieben Tine Tränen der Wut in die Augen. Sie starrte ihn stumm an und ballte die Hände zu Fäusten.
Langsam rückten die Anderen näher. Teil schienen sie neugierig auf die Reaktion der 21jährigen, teils ängstlich, was als Nächstes passieren würde. Der junge Kerl fuhr unverschämt fort, ihr seine Worte entgegenzuschleudern. Mit ihnen kamen Hass und Ekel zum Vorschein.
„... Mich interessiert das, wirklich!! Macht ihr es auch mal mit den Händen, oder nehmt ihr ausschließlich die Zunge? Dann muss die ja ganz schön kräftig sein, zeig doch mal. Wie schmeckt es denn?“
Bevor er noch mehr sagen konnte, ergriff Tine lautstark das Wort. Sie schrie ihn wütend an.
Ihr Augen schossen Blitze auf die Umherstehenden ab.
„Stells dir vor wie Naturjoghurt..Süß-Sauer, gefällt dir das? Oder wie ein Glas Wein... Und es macht genauso besoffen, nur auf ne verdammt andere Art! Bist du zufrieden? Ist deine Neugier gestillt? Oder bist du vielleicht einfach nur eifersüchtig, weil du keine abkriegst? Oder kriegst du etwa keinen hoch? Das tut mir aber leid, es gibt da ja Mittel gegen! Vielleicht probierst du es mal mit denen, ehe du hier irgendwelche Frauen anlaberst, was ihnen wie im Bett gefällt!!!“
„Hey, reg dich doch nicht so auf, ich will es wirklich wissen!!“ Und an seine Gang gerichtet „Ist doch interessant, wie Lesben es treiben, oder?“
Er brachte das Fass zum Überlaufen. Tine holte aus. Das Resultat dessen waren weiße Streißen auf gerötetem Grund, die sich sichtbar auf seiner Wange abzeichneten.
Er schaute sie böse an.
„Dann geh doch. Ich hab es nich nötig, mir sowas bieten zu lassen -von einer Lesbe.“ Er spuckte ihr vor die Füße, schlug ihr grob gegen die Brust und drehte sich um.
„Kommt.“ Tine konnte sich nicht mehr halten. Sie fiel rückwärts die Stufen der Steintreppe hinunter, die hinter ihr lag.
Bei dem Geräusch des fallenden Körpers drehetn sich ein paar der Jungs um.
„Ey, Ralf, schau!“ Der Anführer der Bande sah über die Schulter.
„Scheiße. Los, weg hier.“ Innerhalb von Sekunden waren die Wege so verlassen wie zuvor und nichts deutete auf das hin, was sich dort Minuten zuvor zugetragen hatte.
Tine lag auf dem rasen, der ihr fall aufgehalten hatte, als die repe eine Kurve machte. Stöhnend richtete sie sich auf. Sie sah verschwommen, alles drehte sich. Von irgendwoher drang leise Jazzmusik. Etwas warmes, klebriges lief ihr Gesicht hinunter. Sie wischte es sich mit dem Handrücken weg.
„Scheiße... Ah.“ Ihr Bein tat weh. Sie tastete sich ab und kam zu dem Schluss, dass nichts gebrochen, jedoch ihr Fußknöchel verstaucht sein musste.
Mühsam stand sie auf und stand einen Moment ganz still. Dann setzte sie sich langsam in Bewegung.
„Was?? Diese Wi.....“
„Aaaach, Rissa, das bringt doch jetzt auch nichts... Ich hab Kopfschmerzen...“ seufzte Tine.
„Ja, aber trotzdem, mich regt das total auf, was bilden die sich ei-“
„Bitte! Nicht so laut. Ich hab echt heftige Kopfschmerzen. Ich glaub, ich leg mich hin.“
„Warte, ich bring dich ins Schlafzimmer.. Du läufst zu unsicher, ich will nicht, dass du jetzt die nächste Treppe runterfällst.“
Dankbar blickten die blauen Augen die Freundin an, wärhend sie mit deren Hilfe aufstand und zur Treppe hinkte. Die ersten Schritte nach oben auf den Stufen erwiesen sich als schwierig, jedoch bekam sie zusehends mehr Übung mit jeder weiteren Stufe, die sie erklomm. Angesichts ihrer Situation meisterte sie diese Hürde erstaunlich gut.
Im Zimmer angekommen ließ Tine sich vorsichtig auf das Bett herab und knurrte spanische Flüche zwischen ihren zusammengebissenen Zähnen, als Larissa ihr Schuhe und Socken auszog. Ihr Knöchel war geschwollen und offensichtlich verstaucht.
„Das sieht nich gut aus.“ teilte Rissa ihr leise mit.
„Hmm, das sehe ich. Mist, wie soll ich denn damit vernünftig irgendwas erledigen? Das ist doch ein Ding der Unmöglickeit. Wenn ich die in die Finger kriege..“
„Die musst du anzeigen! Das ist Körperverletzung. Wer war das überhaupt?“
„Ich weiß, darauf kannst du Gift nehmen. Nur ob die unreifen Kerle ihre Strafe bekommen, ist eine andere Sache. Ich weiß nur, dass der Dümmste, das heißt der Anführer der Truppe, Ralf hieß. Und die Gesichter konnte ich nur schwer erkennen, weil die tatsächlich schlau genug waren, an einem besonders dunklen Platz aufzutauchen.“ ärgerte sich Tine.
Larissa dachte nach. Sie kannte eine Gang, der es besonders Spaß machte, Homosexuelle anzugreifen und die ihre Opfer lange beobachteten.
„Du sagst, dieser Ralf hätte gesagt, er wüsste, dass du lesbisch bist. Woher hat er das gewusst? Du hängst es nicht an die große Glocke und eigentlich..“
„..und eigentlich kann er das nur wissen, wen er mich praktisch beschattet hat. Nun wissen wir auch, was das für Typen waren, die um meine Wohnung geschlichen sind. Ich wil nur für ihn hoffen, dass er uns nur in angezogenen Momenten beobachtet hat, sonst ist er tot.“
Larissa grinste.
“Hey, was ist daran so lustig?“ Ungläubig sah Tine sie an.
„Naja.. wenn ich mir vorstelle.. wie grad der Typ, der es eigentlich so hasst, uns beobachtet wie wir.... Tut mir leid...“ Ein leise Kichern entfuhr der 19jährigen. Tine grinste ebenfalls.
„Okay, damit hast du nicht ganz Unrecht. Trotzdem geht ihn das echt nichts an.“
„Nein, das bestreite ich ja auch gar nicht.“ Eine lange Pause entstand, in der jeder der beiden Frauen ihren Gedanken nachhing.
„Verdammt, ich will doch nicht, dass dir was passiert.. wegen mir.“
„Was?“
„Natürlich! Die haben dich mit mir gesehen. Anscheinend beobachten die uns schon ne ganze weile. Und? Was bringt uns das? Du siehst, was uns das gebracht hat. Scheiße, scheiße, scheiße,...ich kann das nicht mehr. Ich kann nicht mehr dafür verantwortlich sein, dass dir sowas passiert. Ich will nur, dass es dir gut geht.!“
„Hey, moment mal! Was soll das? Hör mir mal zu..“
„Nein, du hörst mir zu! Ich kann nicht mehr... Ich verletz dich andauernd und du nimmst alles still und gelassen hin, du sagst nie auch nur einen Ton, selbst wenn ich ganz genau weiß, dass es dir weh tut, was ich tue. Und eine Entschuldigung macht nicht alles wieder gut. Irgendwann ist es zuviel...“
Larissa griff sich in die Haare. Sie wanderte hin und her im Zimmer, wie ein Tiger im Käfig.
Tine konnte nicht glauben, was sie hörte.
„Ich vesteh das nicht.. ich hab mich doch nie beschwert...“
„Ja, eben genau das! Du hast dich nie beschwert! Selbst dann nicht, wenn es nötig gewesen wäre. Du willst nicht streiten, sondern du schluckst. Und ich weiß, dass ich schwierig bin, verdammt nochmal! Und ich weiß auch, dass ichs ändern muss! Aber ich muss auch mal in die Schranken gewiesen werden, das tust du nie, du schluckst alles runter, egal wie ich dich verletze, du schluckst es runter.. es macht dich kaputt, merkst du das nicht?“
Larissa spürte, wie ihr Tränen die Wangen herabliefen.
„Sag mal spinnst du? Ich liebe dich verdammt! Und ich will nicht, dass da irgendwas ist, was dich belastet, warum sagst du nichts, wenn so denkst? Warum kommst du erst jetzt damit? „
„Was sollte ich denn sagen? >Christina Maria, bitte sag mir doch, wenn ich dich verletzeSo she said what's the problem baby
What's the problem I don't know
Well maybe I'm in love (love)
Think about it every time
I think about it
Can't stop thinking 'bout it
How much longer will it take to cure this
Just to cure it cause I can't ignore it if it's love (love)
Makes me wanna turn around and face me but I don't know nothing 'bout love
Come on, come on
Turn a little faster
Come on, come on
The world will follow after
Come on, come on
Cause everybody's after love
„Bedeutet dir das überhaupt nichts mehr? Nein? Weißt du noch, wie das war? Als wir hier, genau hier, das erste Mal gespürt haben, was unsere Liebe bedeutet?? Wir waren in einer Art Trance und bekamen nur noch mit, was mit uns geschah, der Rest war uns egal, solange wir nur uns hatten!“
Ein verregneter Sonntagnachmittag. Dicke Tropfen liefen an Fensterscheiben hinunter und ließen das Grau hinter ihnen verschwimmen. Schon seit Tagen regnete es. Langsam kam Langeweile auf und Larissa und Tine lagen Arm in Arm vor dem Fenseher und schauten sich eine Liebeskomödie an. „Weißt du eigentlich, dass ich echt froh bin, dich zu haben?“
„Mh.. und ich erst.“ Tine lächelte, was Rissa nicht sehen konnte, da sie vor ihr lag und sich umdrehen musste um Tine anzusehen.
Tine begann mit Rissas Haarsträhnen zu spielen, die ihr locker ums Gesicht hingen und es einrahmten, was ihre Gesichtszüge noch weicher erschienen ließ.
„Ist dir langweilig?“ Larissa drehte sich um und lächelte schelmisch in Tines Richtung.
„Ja, etwas.. Ich kenn den Film schon.“ Ihre blauen Augen sahen in Larissas Grüne. Diese wandte schnell den Blick ab. Ihre Gedanken machten eine Reise, die sie beenden wollte, bevor sie richtig anfing, und ihr Herz schlug schnell und heftig gegen ihre Rippen.
Tine merkte dies und musste unwillkürlich lächeln. Natürlich wusste sie, dass sich gerade Larissas Kopfkino in Bewegung setzte und sie es abschalten wollte. Tine war sich nicht sicher, was sie tun wollte, ob sie überhaupt etwas tun wollte. Sie wusste nicht, wie weit sie gehen durfte, schließlich war ihr „Besuch“ auf dem Dach erst eine Woche her. Larissa drehte sich wieder um und gab vor, den Film weiterzuschauen, was sie jedoch nicht tat. Ihre Augen waren zwar auf den Monitor gerichtet, jedoch sah sie die Bilder nicht wirklich. Sie wurde abgelenkt, da Tines Lippen gerade dabei waren, zärtlich von ihrem Hals zum Nacken zu wandern. Ihre Finger strichen Larissas Haare weg und hielten sie fest, sodass Tine nun freie Fläche weicher Haut zur Verfügung hatte.
Ihre Lippen wanderte zum Ohr, wo sie ein leises
„Ich liebe dich“ hauchten. Larissa drehte sich langsam zu Tine um, ihre Lippen suchten einander, und als sie sich fanden, schien die Welt um sie herum zu verschwinden, spürten sie doch nur die Weiche und die Hingebung der anderen. Hände suchten Haut, Fingernägel glitten sanft über das Fleisch, zwei Körper, die sich suchten.
Sie brauchten keine Worte mehr, Taten sprachen, was sie mit Worten nicht hätten ausdrücken können. Taten, die in Wärme, Geborgenheit und Leidenschaft ahndelten und die Alltagsproleme in Wohlgefallen auflösten.
„....Art Trance und bekamen nur noch mit, was mit uns geschah, der Rest war uns egal, solange wir nur uns hatten! Zumindest mir war es das.“ Tine schrie Larissa an. Sie hatte eine unbändige Wut in sich und nun kam das spanische Temperament der 21jährigen zum Vorschein. Larissa sah sie scheinbar ungerührt an.
„Ich habe geglaubt, nichts auf der Welt könne unsere Liebe zerstören. Doch im Endeffekt scheinen wir es selbst gewesen zu sein, vielleicht sogar unsere Liebe ihrerseits, die sich selbst zerstört hat.“
Geschockt starrte Tine sie an.
„Wie ruhig du das sagen kannst... Glaubst du wirklich, ich liebe dich nicht? Denkst du das wirklich? Nachdem ich mit dir gemeinsam auf dem Dach war und dir gesagt habe, was ich fühle? Was ich schon früher gefühlt habe?“
„Ich glaube dir das alles. Aber es ist alles so...so....argh!“ Die Hände, die sich in ihr Haar gruben, rissen schmerzhaft an ihnen, zerrten daran, ließen nicht los. Es dauerte eine weile, bis ihr klar wurde, dass sie selber es war, die sich an den haaren riss.
„Was tust du? Lass das, red mit mir, verdammt nochmal!!“
„Ich kann das nich mehr, ich schaff das nich mehr Tine! Ich will nicht, dass es dir weiter so schlecht geht. Ich will, dass es dir besser geht. Ich.. es ist besser, wenn wir uns trennen.“
„Nein!! Das kannst du mir nicht antun.. Ich kann nicht ohne dich... Ich will nicht ohne dich... Das kannst du nicht ernst meinen!!“ Schockiert sah Tine Larissaan.
„Sieh mir in die Augen und sag das nochmal.“ sagte sie leise.
Larissa drehte ihr den Kopf zu.
„Es ist aus.“
„Was...“ sagte Tine tonlos.
„Du hast richtig gehört. Es ist vorbei. Wir haben zu spät gemerkt, was los ist.“
„Du.....du liebst mich nicht mehr?“
Larissa schwieg. Sie sah sie nur an.
„Schön, dann geh doch!“ schrie Tine. „Hau ab! Raus!! Raus!!“
Larissa ging ohne sich umzudrehen.
Einen Moment lang stand Tine wie eine Steinstatue im Zimmer. Erst, als die Wohnungstür ins Schloss fiel, begriff sie, was ihr gerade passiert war. Sie ignorierte die Schmerzen in ihrem Knöchel und lief zum Bett. Von hzemmungslosen Schluchzern geschüttelt fragte sie sich, was hier gerade passierte. Sie kam sich vor wie in einem Film mit schlechten Darstellern und ebenso schlechter Handlung. War es möglich, dass Larissa so gefühlskalt war? Unmöglich, nein, sie war sich sicher, in ihren augen schmerz gesehen zu haben. Aber warum tat sie dann so etwas? Wollte sie sich von ihr trennen, weil sie sie, absurderweise, nicht noch mehr verletzten wollte? Warum hate sie dann so reagiert? Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Am liebsten wäre sie ihr nachgelaufen, doch ihr Stolz hinderte sie daran.
Eine dunkle Gestalt huschte durch das Haus. Es war alles still um sie herum. Von Zeit zu Zeit schaute sie sich hastig um, ob jemand sich nähern würde. Doch es blieb still. Schubladen wurde durchwühlt, Schränke ausgeräumt und Unordnung zwischen der Wäsche veranstaltet. Im Badezimmerschrank fand sie, was sie suchte. Hastig steckte sie die Beute in die Tasche, schloss den schrank und huschte aus dem Badezimmer. Vorsichtig schob sie Schubladen wieder zu, stopfte die Schränke wieder voll und schloss sie, bis es in der Wohnung wieder so aussah, wie vorher. Unberührt. Dann floh der Eindringling aus der Tür ins Freie, wo er sich in sein Auto setzte und Gas gab. Zügig, fast halsbrecherisch fuhr er zur nächsten Tankstelle und tankte dort auf. Dann fuhr er weiter, die Autobahn entlang. Die roten Rücklichter der fahrenden Autos verschwommen im Tempo des Flüchtlings. Sein Ziel war nahe, jedoch wollte er es schnell erreichen.
Tine lag auf dem Rücken. Schlaf zu finden, war unmöglich. Es war jetzt 5 Stunden her, seit Larissa verschwunden war. Wahrscheinlich würde sie bald angekrochen kommen und um gnade winseln, dachte Tine wütend. Sie würde sie zappeln lassen. Diesmal hatte sie sie wirklich verletzt,stärker als jemals zuvor. Sie konnte und wollte nicht ohne sie sein, aber eine kleine Lektion würde ihr gut tun.
Das Telefon holte sie brutal aus ihren Gedankengängen. Nach einem orientierngslosem Moment griff tine nach dem Störenfried, der auf dem Nachtschrank neben dem Bet lag und meldete sich.
„Christine Albaricoque?“
„Tine, hier ist Rissas mom! Hast du sie gesehen? Sie ist um 6 völlig fertig hier aufgetaucht, hatte geschwollene Augen und hat gesagt se hat etwas getan, was sie sehr bereut, aber nicht ändern kann, weil es so sein muss. Dann ist sie in ihrem Zimmer verschwunden und als ich eben anch ihr schauen wollte, war sie weg!! Das Fenster steht offen und ihre Mp3 Player ist weg, aber ihr Handy liegt noch hier, sie hat es unter die Bettdecke geschoben.“
Verzweiflung klang aus der Stimme der Frau und Tine wurde von Angst ergriffen.
„Fehlt etwas?“
„Was?“
„Fehlt etwas in ihrer Wohnung? Medikamente, Messer, Kleidung, Geld? Haben sie schon nachgesehen?“
„Nein, Augenblick...“ Einen Moment später kam die Antwort.
„Die Schlaftabletten sind weg. Was soll ich denn jetzt tun? Hallo? Hallo???“
Doch Tine hatte schon aufgelegt. In Windeseile schnappte sie sich ihren Autoschlüssel und ihr Handy und stürzte aus der Wohnung.
Larissa lag auf dem Dach ihres Hochhauses. Leise kamen die Töne aus ihrem MP3 Player, welche sie langsam in Watte betteten. Sie hätte keine bessere Idee haben können. Nichts in ihrem Leben war so verlaufen, wie sie es wollte, nichts. Nun wollte sie wenigstens diese eine Sache selbst entscheiden, diese eine Sache, die sich am Meisten auswirken würde. Mit zitternden Händen griff sie nach der Flasche. Billiger Fusel, den sie an der Tankstelle ergattert hatte, aber er würde reichen. Ab und zu biss sie von dem Brot ab, dass sie als Verpflegung mitgenommen hatte. Es war nötig, zu essen, sonst würde sie alles erbrechen und es wäre umsonst gewesen. Alles, nur nicht in eine Nervenanstalt. Dort wurde man als kranker Idiot abgestempelt und so wollte sie nicht enden.
Innerlich war sie schon lange tot. Warum es also nicht gänzlich beenden? Ihr Körper war nichts mehr wert ohne seine Seele, er existierte nur noch als leere Hülle. Die Musik machte ihr das Ende nur noch angenehmer. Das war es, was sie sich gewünscht hatte. Sie saß auf dem Dach, starrte über die Stadt, sah, wie die Lichter unten verschwommen. Über ihr der Sternenhimmel, klar und deutlich zeichneten sich verschiedene Sternbilder vom Dunkel hinter ihnen ab. Sie lehnte sich zurück blickte über den Rand des Daches. Tief ging es dort hinunter, doch springen würde sie nicht. Damals hatte sie ein schnelles Ende gewollt, weg, nur weg, von dieser Welt, von all den Menschen, denen man nicht vertrauen konnte. Kein Mensch konnte glauben, dass Jemand so zerbrochen sein konnte, wie sie. Jeder sagte ihr, dass es besser würde, doch keiner tat etwas, um es besser zu machen. Allein, einsam, das war es, was sie war. Gewöhnungssache, allein sein war nicht schlecht, aber auf Dauer machte es blind. Blind für Liebe, blind für Zuneigung. Doch gleichzeitig öffnete die Einsamkeit die Augen für Hass, Traurigkeit, Angst. Es war ein Teufelskreis. Wer Angst hat, vertraut nicht, und wer nicht vertraut, verschließt sich. Wie sollte sie jemals ihre Angst loswerden, wieder verletzt zu werden, wenn sie nicht vertraute? Wie sollte sie vertrauen, wenn sie niemanden an sich heranließ? Sie wollte nicht sterben, sie hatte nie sterben wollen. Doch gab es einen anderen Weg aus der Einsamkeit? Wenn ja, warum zeigte ihn ihr niemand? Sie würde nun den letzten Weg gehen, allein -welch Ironie des Schicksals. Wärme legte sich um ihren Körper, trotz der Kälte fror sie nicht. Der Alkohol tat seinen Dienst, sollte er ihn auch weiterhin tun. Sie nahm einen weiteren Schluck. Über 120 Tabletten schwammen vereint mit ihm in ihrem Bauch herum, Gott, wenn sie jetzt einschlafen würde, wie gut sie schlafen würde. Mit der Gewissheit, dass all der Schmerz in ihrem Inneren zu Ende wäre. Sie legte sich auf den Rücken und starrte in die Sterne.
Langsam verschwammen die hellen Punkte vor ihren Augen. Noch setzte die Wirkung nicht recht ein, es waren Tränen, die über ihre Wangen liefen, als sie die Klänge vernahm, die sie einst so glücklich gemacht hatten. Ein Lied, das Tine einmal für sie gesungen hatte, als es ihr schlecht ging.
Ich will bei dir sein und denke nur an dich
aber habe das Gefühl du hörst mich nicht
Wenn ich meine Wünsche in die Sterne schreib
tu ich das doch nur um bei dir zu sein
Jede Sekunde will ich nur mit dir verbringen
Du gibst meinem Leben wieder einen Sinn
Es ist zu schön, um wahr zu sein
Ich darf mit dir, für immer mein Leben teil´n
Gott hat dich nur für mich gemacht.
Es ist so, als hätt er an meine Wünsche gedacht
Und jetzt sag ichs dir
Vergiss es nicht
Versprich es mir
Ich liebe dich so sehr,
wie es nur möglich ist
Es gibt kein Wort,
mit dem dies zu beschreiben ist
Ich liebe dich so sehr
Es wird nie mehr aufhör´n
Ich weiß, du liebst mich auch
Wir lassen unserer Liebe einfach den Lauf...
Die Tränen raubten Larissa den Atem.Sie keuchte, hustete, rang nach Luft. Eine paar Hände drehten sie um.
„Nein, Kleine, bitte.... spuck, los spuck.“ Panisch schüttelte Tine Larissa.
„Nicht mal in Ruhe sterben kann man hier.“ murmelte diese ihrerseits.
„Nein, du wirst nicht sterben. Ich versprechs dir, wir bekommen das hin... Komm schon, das muss raus.. bitte....-Warum hast du das nur gemacht?“ Die junge Fraue wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht, griff nach Larissa. Ihre Hand war kalt, es waren Minusgrade auf dem Dach, die Steinplatten waren eiskalt.
„Gott, du musst doch frieren..“
„Nein, mir ist ganz warm. Richtig schön warm..“ flüsterte Larissa leise. Sie lächelte Tine an.
Tine wählte den Notruf. Sie hatte Angst, furchtbare Angst um ihre Freundin.
„Hallo? Hallo? Bitte, Sie müssen kommen, schnell, hier ist ein Selbstmordversuch.“ Dann nannte sie die Adresse und dass sie bis aufs Dach müssten.
„Kleine, bitte, du darsft mich nicht verlassen, komm schon.....bleib wach, bleib wach.. Ich liebe dich doch!! Ich brauche dich, du darfst nicht gehen..“ schluchzte sie.
„Warum hast du das gemacht?“
„Ich komm nich mehr klar...Mein Leben und so. Ich.... wollte dich nie verletzen. Ich liebe dich Tine...“ Ihre Augen schlossen sich langsam, als die Ohnmacht einsetzte.
„Nein, nein!“ schrie Tine.
„Bleib wach, du musst wach bleiben!!“
Tine saß mit der schlaffen Larissa, deren Kopf reglos in ihrer Armbeuge ruhte, im Arm dort, bis der Notarzt kam und sie Platz machen musste. Er hörte ab, dann sah er zaghaft zu Tine hinüber, die aufgrund ihres Schockzustandes behandelt wurde. Er schüttelte bedauernd den Kopf. Das Herz der 19jährigen Larissa hatte aufgehört zu schlagen.
„Liebe Tine,
Ich weiß, was es bedeuten muss, jemanden zu verlieren. Es ging mir oft so, weißt du? Aber du verlierst mich nicht, ich bin immer bei dir... Ich werde von oben auf dich herab schauen, und auf dich aufpassen, damit dir nichts geschieht. Ich konnte nicht anders, das weißt du. Ich habe diese Leben gehasst, das ich hatte. Nichts lief so, wie es sollte, ich wurde überall bevormundet, aber von niemandem verstanden. Erst dieses Mobbing, in der Grundschule, dort, wo Kinder Freunde brauchen, dann das schnelle erwachsen werden. Ich musste immer alles verstehen, was meine Eltern sagten, aber ich war nie reif genug, um etwas selbst in die Hand zu nehmen. Ich konnte nicht den Beruf erlernen, den ich lernen wollte. Also habe ich gar keine Bewerbungen mehr geschrieben. Warum mich noch bewerben? Ich wusste, dass es so enden würde. Ich bin dankbar für die Zeit mit dir, ich ahhbe sie genossen wie keine andere. Ich dachte, ich könnte es uns beiden einfacher machen, wenn ich mich von dir trenne und du wütend auf mich bist. Das hat wahrscheinlich auch nicht gewirkt... Konnte ich überhaupt etwas bewirken auf der Erde? Konnte ich etwas bewegen? Ich wollte nie sterben, noch weniger, als ich dich kennengelernt hatte. Aber es war zuviel, ich kam nicht mehr klar. Es wuchs mir alles über den Kopf. Eigentlich möchte ich dir in diesem Brief nur sagen, wie sehr ich dich liebe, und wie leid es mir tut, dich zu verlassen. Ich kenne keinen Menschen außer dir, der es weniger verdient hätte, an jemanden wie mich geraten zu sein. Und doch bin ich unendlich dankbar für unsere gemeinsame Zeit. Ich habe erfahren, was Liebe ist...
Dafür danke ich dir, mein Schatz. Ein Schatz warst und bist du für mich, unendlich kostbar und unersetzlich. Durch dich scheint die Welt bunter, das Licht heller, die Gefühle intensiver als mit jeder anderen Person auf dieser Welt. Du warst mein Licht in der Dunkelheit, mein Fels in der Brandung, die Farben im Schwarz-Weiß-Film des Lebens. Du hast mir Wärme und Kraft gegeben, warst mein Ruhepol... Dir verdanke ich soviel und ich befürchte, nie hätte ich es wieder gut machen können. Ich freue mich jetzt schon darauf, dich irgendwnn wiederzusehen, sodass wir die Unendlichkeit teilen können, falls du dein Herz noch einmal an mich verschenken möchtest...Dann wird unserer Liebe Flügel verliehen und wir können gemeinsam dem Sonnenuntergang entgegenfliegen und nachts den Sternen...
Ich liebe dich.
Larissa“
Die Füße hingen über dem 70m tiefen Abgrund. Unter ihnen waren die Straßen der Großstadt in Licht getaucht, das von diversen Reklametafeln und Ampeln, sowie Laternen ausging. Trotzdem beinahe alle Sterneam Firmament von den Lichtquellen verschluckt wurden, saß Larissa auf dem dach.
So konnte sie loslassen, ihr altes Leben abstreifen und in ein neues eintauchen, das ihrem Alltag entfloh und sie von der Larissa befreite, die täglich schwerer zu halten zu sein schien. In den Stunden, die sie auf dem Hochausplateau verbrachte, verlr die welt ihre klaren, scharfen Linien und hinterließ eine verschwmmene, lichtdurchtränkte Zwischenwelt für Grenzgänger und solche, die vor der realität flohen. Unter ihr dröhnte der Lärm des Verkehrs, der sich mit scharfem Zischen im Nichts der Dunkelheit über ihr verlor. Ab udn an blitzte der Laserstrahl einer Disco in einem weiten Lichtkegel über den Himmel und zeigte ein stück der aneinandervorbeijagenden Wolkengebirge.
Die leisen Klänge der Musik ihrer In-Ear-Kopfhörer machten sie schläfrig, doch Larissa hielt ihre augen offen, bis sie vor Übermüdung grüne Punkte im Dunkeln tanzen sah.
Tine. Dort saß sie. Nur eine Armlänge entfernt. Larissa hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um sie zu berühren. Die 21jährige hatte sich verändert. Sie schien um Jahre gealtert, wie Larissa mit Schrecken bemerkte. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten udn außer ihrer körperlichen Anwesenheit schien sie an einem Ort zu sein, der für andere unerreichbar war. Ihr Blick ging in die Ferne, weit hinaus und durch alles hindurch ins Leere. Sie vernachlässigte sich, war sichtbar verkommen. Ihre Kleidng ließen ihr zuviel Bewegungsfreiheit, da sie sehr dünn geworden war, und hingen flatternd an ihrem Körper, als wollten sie Gebrochenheit der Trägerin verstecken.
Eine Träne lief Larissas Wange hinab.
Tine konnte nicht weinen. Ihre Augen blieben in trockenem Schmerz getaucht. Es waren alle Tränen geweint, die es zu weinen gab. Doch es war lange nicht alles gesagt, das gesagt hätte sein sollen. Die Worten hatten sich auf dem Weg hinaus verirrt oder waren auf ihren Lippen in einem stillen “Warum? gestorben.
Larissa gedachte ihrer Zeiten, den guten und schlechten. “Ich liebe dich” hauchte sie und strich mit der Hand über Tines wange.
Wie elektrisiert hob die junge Frau ihre Hand an die Wange. Von einem Luftzug gestreichelt begriff sie, das sie verloren hatte.
Tränen begannen aus dem Nichts über ihr glühendes Gesicht zu rollen strömten aus ihren rotgeränderten Augen hinab ins 70m tiefe Nichts.
“Ich liebe dich. Ich kann ohne dich nicht leben.” flüsterten die salznassen Lippen still in die Nacht. Dann rutschte sie nach vorn und ließ sich in das grelle Lichtmeer zu ihren Füßen fallen.
Larissa hielt sie nicht ab. Stille Tränen rannen ihre zu einer Maske erstarrten Gesichtszüge hinab.
Sie sah Tine fallen und versuchte durch nichts, sie zu halten.
Denn Engel können nicht schreien.
Texte: "Truly, madly, deeply" - by Cascada
"Accidentally in Love" - by Counting Crows
"Not a farewell" by Nightwish
"Letzte Bahn" by Silbermond
"Ich liebe dich" by Kyra
Tag der Veröffentlichung: 31.07.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Herz - Ohne dich wäre diese Geschichte nie möglich gewesen.
Danke.