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Die kühle Nachtluft verursachte Gänsehaut auf Noras Haut. Die Restwärme des Tages hatte sich schnell in der Dunkelheit der Nacht verloren und die junge Frau rieb sich fröstelnd über die Arme, während sie verträumt gen Himmel schaute. Das glitzern der Sterne brachte etwas beruhigendes und tröstliches mit sich, das ihren Schmerz linderte und ihr die Sinne raubte. Sie suchte die Tränen wegzublinzeln, die ihren Blick verschleierten, doch sie liefen unaufhaltsam ihre geröteten Wangen hinab, um auf ihren Lippen einen einsamen Tod zu sterben. Das Salz in den Tropfen zeichneten eine feine Spur auf der Haut, die ihre Trauer dokumentierte. Der Schmerz wühlte still in ihr, denn Herzen brechen bekanntlich leise. In ihren ernsten Augen spiegelten sich neben dem Meer aus Sternen große Träume, die in weite Ferne gerückt und doch greifbar nah schienen. Ein liebendes Herz sieht durch rosarote Gläser und keinen Fehler des Geliebten. Die einsetzende, über rosarot gewinnende, Klarheit raubt einem den Verstand. So stand sie, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, am Brückengeländer. Ihre Hände umklammerten nunmehr den kalten Stahl auf Hüfthöhe. Die Kälte drang durch die Haut und schien sich langsam kriechend, wie eine Schlange, fortzubewegen und Stück für Stück ihres Körpers in Besitz zu nehmen, sie zu lähmen und dann schließlich, bis auf das unaufhaltsame, durch die Kälte ausgelöste Zittern, komplett erstarren zu lassen. Nora unternahm keinen Versuch, sich aus dieser Erstarrung zu lösen. Trotzdem sich am ganzen Körper Gänsehaut bildete und sich Nadelstichähnliche Schmerzsymptome ausbreiteten, blieb sie, wo sie war...

Nora senkte ihren Blick. Unter ihr verlief die Autobahn. Fahrgeräusche der vierrädrigen Fortbewegungsmittel, die in allen möglichen Farben und Formen vertreten waren, drangen an ihr Ohr, während sie, geblendet von den Scheinwerfern, ihre Lider zusammenkniff. Das Bild verschwamm vor ihren Augen zu einem bunten Strom verlaufener Lichter, die sich gegenseitig verdrängten, um kurz darauf wieder neuen Platz zu machen.
Langsam und unter Anstrengung hob sie eine vor Kälte gelähmte Hand und wischte sich über die Augen, um einige Tränen am hinabrinnen zu hindern.
Er hatte nichts gesagt. Hatte sie nur angesehen, mit diesem mitleidigen Blick, der nichts anderes sagte, als, dass er hinter ihrem Rücken schon lange eine Nacht nach der anderen mit ständig wechselnden Frauen verbrachte. Dass er seit langem schon abends nicht mehr nur wegging, um zu feiern. Dass er sie schon lange betrog.
Wortlos hatte er die Wohnung verlassen, in der einen Hand die nun in der Mitte gebrochene Rose, die er ihr mitgebracht hatte, in der anderen eine Reisetasche.
Nora hatte keinen Augenblick gezögert. Sie hatte ihn weder angeschrieen, noch im Vorhaltungen gemacht, ihn nur gebeten, seine Sachen zusammenzusucehn und aus ihrem Leben zu verschwinden.
Wenige Stunden zuvor hatten sie sich noch geliebt, ganz klischeehaft, auf dem Teppich vor dem Kamin. Danach war er eingeschlafen; er schlief immer nach dem Sex ein. Nora mochte laut auflachen, wenn sie daran dachte, wie die paar Minuten ihn wohl immer so hatten fertig machen mögen.
Sie hatte es zufällig herausgefunden. Auf ihre Bitte hatte er ihr ein paar Akkus für ihren mp3-Player mitgebracht, die sie dann, wenngleich mitten in der Nacht, gesucht hatte, da sie nicht schlafen konnte. An den Akkus blieb etwas hängen, das, ehe sie es greifen konnte, lautlos zu Boden flatterte. Nora hatte es aufgehoben, ohne sich etwas dabei zu denken, da fiel ihr Blick auf einen Lippenabdruck am Rand. Beim lesen war sie vor Wut und Enttäuschung blass geworden, hatte den Zettel mitsamt der Rose auf ihr Nachtschränkchen gelegt und leise begonnen, seine Sachen zusammzuräumen und die vollständig gepackte Reisetasche mitsamt der Rose und dem Zettel in den Flur gestellt.
Erst am nächsten Morgen, als er sie verschlafen lächelnd von hinten umarmte und ihr „Ich liebe dich“ ins Ohr flüsterte, entwand sie sich seinen Armen, drehte sich zu ihm um und sagte mit kühler Stimme, das glaube sie nicht, wobei sie auf die Tasche deutete, auf der der Zettel und die von ihr zerbrochene Rose lagen. Er hatte sofort verstanden, die Tasche an sich genommen und sich, nach einem letzten Blick, umgedreht, um die Wohnung zu verlassen.

Nora zitterte vor Wut und Schmerz, wenn sie an die gemeinsame Zeit der Beziehung dachte.
Sie hatte ihm vertraut und er hatte dieses Vertrauen schamlos ausgenutzt. Sie hatte sich viel von ihm gefallen lassen, weil sie ihn liebte, hatte sich an kurzer Leine halten lassen, weil er schnell eifersüchtig wurde, hatte bei ihren Wünschen und Träumen zurückgesteckt, damit er mehr Zeit mit ihr verbringen konnte. Dies tat er umgedreht allerdings nicht. Er kam und ging, wie er wollte, schwor ihr immer wieder aufs Neue, nicht zu spät zu kommen, tat es dennoch und entschuldigte sich mit einem kleinen Geschenk oder Blumen bei ihr. Oft blieb er nächtelang unerreichbar, wenn sie eigentlich verabredet gewesen waren, doch er fand immer wieder neue, intelligente Ausreden, die sie ihm glaubte, weil sie sie glauben wollte. Umso schlimmer war es, als das unterdrückte Gefühl, dass etwas nicht stimmte, durch diese eindeutige Nachricht bestätigt worden war.
Nora war nicht sauer. Sie war rasend vor Wut und enttäuscht. Die Männer waren alle so. Erst lernten sie sie kennen, hüllten sie in eine Wolke aus Charme und Flirterei, bis sie sie soweit hatten, dass sie mit ihnen zusammensein wollte und eine Beziehung einging. Dann, nach der ersten Verliebtheit, änderten sie ihre Strategie, änderten alles langsam, aber bestimmt, zu ihren Gunsten und begannen letztendlich, sie zu belügen und zu betrügen. Sie hatte genug davon. Ihr Vertrauen war erschöpft.
Ihre Hände umschlossen das Geländer fester, so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. In der Dunkelheit waren sie nur noch schemenhaft zu erkennen. Sie stieg vorsichtig nach oben, kletterte über das Geländer und setzte sich auf das kalte Stahlrohr. Dann sah sie nach unten zur Autobahn.
Ihr entgegen kommend war die Rotation schwer tragender Räder zu hören, die sich in atemberaubendem Tempo vorwärts schoben. Sie sah eine Lastwagenkolonne auf sich zukommen.
Ihre Hände klammerten sich an das Geländer hinter ihr und sie ließ sich nach vorne sinken, immernoch das kühle Metall an die Handflächen gepresst.
Langsam atmete sie tief ein und wieder aus. Nie wieder, dachte sie.
Dann ließ sie los.

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Tag der Veröffentlichung: 14.05.2010

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