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Kapitel 1


Es war Frühling. Ein Schmetterling flog an meinem Zimmerfenster vorbei. Unten sah ich die Katze unseres Nachbars herumlaufen. Die Sonne schien auf die Blumen und Grashalme, die unten auf der kleinen Wiese wuchsen. Ich liebte diese Zeit. Man konnte draußen sein, ohne eine Jacke anziehen zu müssen. T-Shirt und kurze Hose, das war alles, was man brauchte. Doch auch zu warm war es nicht, sodass man keine Sonnencreme brauchte. Das war das Negative am Sommer. Der Frühling war einfach perfekt. Ich öffnete lautlos das Fenster und beugte mich leicht über die Kante. Frische Luft kam mir entgegen. Ich strich meine Haare aus dem Gesicht. Meine Mutter sagte ständig, ich sollte endlich wieder einmal zum Friseur, weil mein Pony schon so lang war, ich fand ihn jedoch nicht nervig. So fühlte ich mich besser. Schließlich ob ich meinen Kopf zum Himmel. Ein paar Wolken tummelten sich dort, aber nicht viele. Vier oder fünf vielleicht.
„Pa-haul?“, hörte ich dann die Stimme meiner Mutter meinen Namen rufen. Leicht genervt drehte ich mich um, zog den Kopf zurück und schloss das Fenster. Dann erhob ich mich von der Fensterbank und lief langsam aus meinem Zimmer. Nachdem ich die Treppe heruntergestolpert war, betrat ich das Wohnzimmer, aus dem ich Mums Stimme vernommen hatte. Sie saß auf dem Sofa und streichelte gerade Staub, unsere Katze. Anscheinend hatte sie mich gehört, denn sie hob den Kopf und lächelte mich an.
„Was ist los?“, murrte ich ungeduldig. Sie wusste, dass ich es nicht mochte, aus meinem Zimmer geholt zu werden und trotzdem machte sie es ständig. „Du weißt doch, dass Lucy morgen Geburtstag hat“, fing sie an. Ich unterdrückte ein leises Stöhnen. Doch offensichtlich hatte Mum das gehört, denn ihre Stimme wurde herrschender. „EG dich nicht auf. Sie ist deine kleine Schwester. An deinem 12. Geburtstag haben wir auch mehr unternommen als nur eine kleine Feier.“ Glücklicherweise brachte ich ein kleines Lächeln zustande. „Gut. Was hast du vor?“, fragte ich dann, jedoch rutschte mir ein forscher Unterton heraus. Mum ignorierte den Ton in meiner Stimme. „Dein Dad, Lucy und ich haben uns überlegt, dass wir ins Kino gehen könnten. Wir vier und Natalie.”
Mir entglitt ein leises Stöhnen. Natalie war Lucys beste Freundin. Die beiden ärgerten mich andauernd. Wirklich, das ist ätzend. “Sehr begeistert scheinst du ja nicht zu sein”, sagte Mum kühl. Ich schüttelte den Kopf. “Wenn Kail mit darf bin ich ganz brav und tue so, als würde es mir Spaß machen”, forderte ich dann. Kail war ein sehr guter Freund – nein, eigentlich war er mein bester Freund. Seine Anwesenheit würde die Stunden im Kino bestimmt erträglicher machen. “Na schön. Aber dann will ich nicht das kleinste Widerwort hören!”, sagte Mum. “Jaah ...”, stöhnte ich. “Was schauen wir eigentlich?” Staub schnurrte, als Mum sie hinter den Ohren kraulte. “Lucy will unbedingt in dieses ‘Salbei, Liebe und Kamille’ rein”, erklärte meine Mutter und sah auf Staub hinab. “Mhm ...”, machte ich genervt. ‘Salbei, Liebe und Kamille’, davon hatten die Mädchen in unserer Klasse schon öfters geredet. Das ‘Liebe’ im Titel hörte sich ja besonders spannend an. “Und wann gehen wir?”, fragte ich weiter. “Samstag”, antwortete Mum knapp. “15:00 Uhr fängt er an.” Ich nickte. “Ich geh wieder hoch und sag Kail Bescheid”, nuschelte ich, drehte mich um und rauschte aus dem Zimmer.

Ich lag auf meinem Bett und las. Seit 20 Minuten war ich schon in dieses Buch vertieft. Ich mochte es. Eines der wenigen, mit denen ich mich mindestens eine Woche lang beschäftige. Ich hatte sogar schon überlegt, ob ich es mitnahm, ins Kino. Nachdem ich dann enttäuscht festgestellt hatte, das es dort unmöglich war, zu lesen, hatte ich mich gefragt, was nur mit mir los war. Nein, ehrlich. Sonst war ich anders. Für ein Buch hätte ich niemans einen so teuren Gedanken verschwendet. Seufzend klappte ich das Buch zu und legte es auf meinen Nachttisch. Die Schrift auf dem Buchdeckel war deutlich zu sehen. ‘Das Wunder der Nuss’ stand darauf geschrieben stand in schwarzen Buchstaben darauf geschrieben. Das Buch war aber viel spannender, als der Titel vielleicht vermuten ließ. Es ging um Nanu, einen 14-jährigen Jungen (er war genauso alt wie ich), der von seinem Großvater eines Tages erfährt, dass seine verstorbene Mutter die Königin von Suravon war, dem Land der Elfen, Feen, Kobolden und anderen magischen Wesen. Ich rieb mir kurz die Augen. Dann erinnerte ich mich daran, dass ich noch Kail anrufen sollte, wegen dem Kinobesuch am Samstag. Kurzerhand griff ich nach meinem Handy, suchte in meinen Kontakten nach Kails Nummer und wählte. Nach einigen Sekunden ertönte die Stimme meines Freundes.
“Ja?”
“Hey Kail, ich bin’s.”
“Ach, Paul! Was gibt’s denn? Beeil dich aber, ich hab’ nicht lange Zeit, Mum will mit mir Kuchen backen.” In seiner Stimme hörte ich einen genervten Unterton.
“Lucys Geburtstagsfeier ist am Samstag. Wir gehen ins Kino. Irgend'so ein komischer Film”, erklärte ich. “Aber wenn ich alleine mitgehe, verliere ich höchstwahrscheinlich den Verstand.”
“Also willst du, dass ich mitgehe?”, fragte Kail und lachte. “Ich denke schon, dass Mum da nichts vorhat. Oje, sie ruft mich. Ich schick dir später ‘ne SMS, okay?”
“Alles klar”, sagte ich, “bis dann” und legte auf.
Kail war zuverlässig. Solche Sachen vergaß er normalerweise nicht. Schließlich tippte ich nocht etwas auf meinem Handy herum, bis ich im Internet landete. Da kam mir die Idee, dass ich doch einmal schauen könnte, worum es in diesem Kinofilm ging. Ich gab also ‘Salbei, Liebe und Kamille’ in Google ein und wenig später entdeckte ich einen kleinen Text.
Susi Eastnew reist über die Pfingstferien zu ihrem Vater nach Neuseeland. Dort freundet sie sich mit einem Jungen an. Dieser hat eine besondere Eigenschaft: Er kennt sich sehr gut mit Tee aus und hat schon öfters neue Sorten erfunden. Doch dann kommt es zu einem Unfall, bei dem Tim schwer verletzt wird. Susi sucht also Hilfe bei Dr. Aralota, einer schwedischen Wahrsagerin ...
Erstaunt hob ich den Kopf. So langweilig, wie ich gedacht hatte, schien es gar nicht. “Vielleicht wird es ja doch ganz interessant”, murmelte ich und und legte mein Handy zur Seite. Wenige Minuten später war ich auch schon wieder in mein Buch vertieft.

Der Mond schien auf die schneeweiße Landschaft. Der Wind bliß in unsere Richtung, ein Schauder lief mir über den Rücken. Nanu legte seine Hand auf meine Schulter. Sie fühlte sich warm an. Ich wollte mich zu ihm drehen, doch ich konnte meinen Körper nicht bewegen. “Paul”, flüsterte Nanus Stimme in mein Ohr. “Glaub an dich. Denk daran, du bist ein Mann des Nebels.” Ohne nur einen Mucks zu machen wartete ich. Erst jetzt fiel mir auf, dass hier etwas nicht stimmte. Doch ich ignorierte es und lauschte weiter Nanus Worten. “Sravn brt dix, ik brt dix, mihi mrts brt dix, di mri hif ut.” Plötzlich näherte sich Dunkelheit, große Dunkelheit, sie umhüllte Nanu und mich, sogar der Schnee verschwand. Bis ich in meinem Bett hochschreckte.
Verschlafen strich ich mir durch die Haare. Die Erinnerung an meinen Traum fing bereits an, mich zu verlassen. So ging es mir meistens. Wenn ich nachts etwas träumte, wusste ich am nächsten Morgen meist nicht mehr, was ich geträumt hatte. Müde ließ ich mich zurück in mein Kissen fallen. Einige Minuten später war ich wieder eingeschlummert.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, ging die Sonne gerade auf. Mein Fenster zeigte gen Osten, so musste sich mich nur im Bett aufsetzen, um den Sonnenaufgang zu betrachten. Doch ich war noch zu müde, um mich zu bewegen. Also döste ich noch ein paar Minuten vor mich hin, bis ich endlich aufstand. Ich warf einen Blick auf meinen Wecker. 6:07 Uhr. Und ich Wahnsinniger stand bereits auf. Stöhnend erhob ich mich und schleppte mich geräuschlos, um meine Eltern oder Lucy nicht aufzuwecken, ins Badezimmer. Nachdem ich geduscht und angezogen war, schlich ich mit lautlos die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Dort legte ich mich erschöpft auf das Sofa. “Warum bin ich so kraftlos?”, dachte ich genervt und tastete den Tisch nach meinem Buch ab, von dem ich wusste, dass ich es gestern hier hingelegt hatte. Als ich es jedoch nicht fand, setzte ich mich verwirrt auf. “Dann hat Mum es aufgeräumt”, dachte ich entschlossen. Auch in der Küche war es nicht. In meinem Zimmer war es nicht. Ich suchte alle möglichen Orte ab, wo es hätte sein können, aber nirgends entdeckte ich es. Schließlich gab ich auf und ging zurück ins Wohnzimmer. Naja. IN ist das falsche Wort. Ich blieb auf auf der Türschwelle stehen. Dort lag mein Buch. Auf dem Wohnzimmertisch lag mein Buch. Ein leiser Verdacht ergriff mich. “Lucy ..”, murmelte ich kühl. Dann sah ich mich nach meiner kleinen Schwester um. Sie war nirgendwo zu sehen. Da zuckte ich mit den Schultern, legte mich zurück auf die Couch, klappte mein buch auf – und hielt inne. Über die erste Seite hatte jemand mit Filzstiften einen Strich gemalt. Einen schwarzen Strich. “Lucy”, flüsterte ich nun lauter und strich wütend über die beschädigte Seite. Schließlich beschloss ich, mir Lucy später einmal vorzuknüpfen, dann las ich und war in mein Buch vertieft. Die Rufe der Vögel draußen hörte ich nicht, auch die Fliegen, die um meinen Kopf herum schwirrten beachtete ich nicht. Nur das Buch, das interessierte mich.
Ich sah auf, als ich ein dumpfes Geräusch hörte. Es kam aus Richtung Fenster. Verwundert legte ich das Buch weg und stand auf. Langsam näherte ich mich dem Fenster und klebte dann meine Nase an die Glasscheibe. Was ich dann sah, ließ mich einen Schritt zurückstolpern. Auf dem Boden ... im Gras ... da lag ein ... Storch.

Kapitel 2


Nachdem einige Sekunden verstrichen waren, trat ich vorsichtig wieder zum Fenster und öffnete es. Kühle Frühlingsluft kam mir entgegen. Im Osten ging gerade die Sonne auf. Sie schien auf das Grün unseres Gartens. Ich beugte mich aus dem Fenster und wandte den Blick nach unten, auf das Gras, wo der Storch liegen müsste. Doch da war nichts. Es war so, als wäre an dieser Stelle, wo ich doch einen großen, ja majestätischen Vogel gesehen hatte, noch nie je ein Käfer gewesen. Kein Grashalm war verbogen, keine Feder lag dort. Aber doch roch ich etwas. Ich sog die Luft in meine Nase ein. Tatsächlich, es roch nach Wasser, Wellen, Strand. Ich schüttelte verwirrt den Kopf. Das konnte nicht sein. Wieso sollte es mitten in London nach Meer riechen? Ich schloss das Fenster wieder und drehte mich um. Schon hörte ich Schritte die Treppe hinunterhüpfen. Wenige Sekunden später erschien Lucy auf der Türschwelle. Ihre nussbraunen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Ich fand das seltsam. Normalerweise ließ sie ihre Haare glatt hinunterhängen. Aber irgendwie sah sie so schöner aus. “Guten Morgen Nebelhirn”, sagte Lucy und grinste frech. Nebelhirn – ich hatte es aufgegeben, ihr zu sagen, sie solle mich nicht so nennen. “Hallo Lucy”, begrüßte ich sie und knirschte genervt mit den Zähnen. Das merkwürdige Geschehen von vorhin hatte ich bereits wieder vergessen.
,,Warum bist du eigentlich schon wach?”, fragte Lucy und sah mich mit gespielten Misstrauen an. “Normalerweise schlummerst du um diese Zeit doch noch.” Ich grinste. Mir fiel ein, dass Lucy, als sie noch kleiner war, immer frühestens um 10:00 Uhr aufgestanden war – in den Ferien. Schließlich wandte sich Lucy von mir ab (Ich denke, weil sie festgestellt hat, dass sie mich nicht mehr ärgern konnte.) und ich verzog mich wieder auf das Sofa, wo ich mein Buch auf der ersten Seite aufschlug. Ich hielt inne. Hatte ich mir den Strich etwa auch nur eingebildet? Denn nirgends war die Katastrophe, die ich vor ungefähr 20 Minuten entdeckt hatte, zu sehen. Nach einigen Sekunden zuckte ich mit den Schultern und blätterte zu der Stelle, wo mein Lesezeichen war.
Nach einem Blick ans Ende des Buches stellte ich fest, dass ich nur noch 12 Seiten zu lesen hatte. Ungefähr 15 Minuten später (jetzt waren es nur noch 3 Seiten) ertönten weitere Schritte auf der Treppe, Mum kam. ,,Oh, Lucy, das ist aber nett!”, hörte ich ihre Stimme aus der Küche. Ich runzelte die Stirn. Was hatte Lucy denn so Bewundernswertes getan?
Ich legte das Buch zur Seite, stand auf und schlurfte in die Küche. ,,Habe ich doch gerne getan, Mum”, sagte meine Schwester gerade und stellte die Butter auf den Esstisch. Dort lagen auch schon drei Teller, Messer und die restlichen Dinge, die man zum Frühstücken benötigt. Als Mum mich entdeckte lächelte sie mich freundlich an. ,,Guten Morgen Paul. Deine Schwester hat den Tisch gedeckt. Das könntest du auch ausnahmsweise einmal machen.” Ich atmete einmal tief ein und aus. ,,Ich hä-“, fing ich an, wurde dann jedoch vom Klingen der Mikrowelle unterbrochen. “Oh, Tee ist fertig!”, rief Lucy erfreut und eilte an die Theke. Mum sah mich schmunzelnd an, dann setzte sie sich auf die Bank und wartete. Auch ich ließ mich widerstrebend auf meinem Platz fallen. Wenig später kam Lucy mit zwei Tassen Tee zurück, in der anderen Hand hatte sie einen Kaffee für Mum. Nachdem sie die Tassen entsprechend verteilt hatte, lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück. ,,Esst gut”, sagte sie übertrieben freundlich und nahm sich ein Brötchen. Ein wenig wunderte ich mich schon über ihre gute Laune. Ich meine, wann deckte sie schon freiwillig den Tisch? Normalerweise blieb das immer an mir hängen. Vielleicht wollte sie sich ja bei Mum einschleimen. Dann, plötzlich, traf es mich wie ein heftiger Schlag und mir wurde bewusst, dass heute der 26. Mai war – Lucys 12. Geburtstag. Aber wieso hatte Mum ihr noch nicht gratuliert? Den Geburtstag ihres Lieblingskindes würde sie wohl kaum vergessen.
Etwas irritiert sah ich von Mum zu Lucy und wieder zurück. Meine kleine Schwester grinste mich fies an. ,,Weißt du denn nicht, welcher Tag heute ist?”, fragte sie und ihr Grinsen verwandelte sich in ein gemeines Lächeln, dass jedoch nur ich als solches indentifizierte. Mum fand, dass es das süßeste Lächeln auf der ganzen Welt war. ,,Nein. Was ist denn so besonders heute?”, fragte ich mit gespielten Unwissen. Dafür sackte ich einen strafenden Blick von Mum ein, der mich sofort ,,Alles Gute, Schwesterchen”, murmeln ließ. Dann wandte ich mich doch an unsere Mutter. ,,Hast du ihr schon gratuliert?”, fragte ich und hob eine Augenbraue. Ich fand es lustig, das zu können. Augenbrauen zu heben, meine ich. ,,Ja, natürlich!”, antwortete Mum, leichte Empörung war in ihrer Stimme zu hören. ,,Als Lucy heute aufgestanden ist, bin ich kurz aufgewacht und habe die Chance sofort genutzt”, erklärte sie weiter.
10 Minuten später hatten wir alle fertig gegessen und verteilten uns alle wieder an unsere Beschäftigungen. Natalie wollte um 10:00 Uhr (in 30 min) kommen, daher kümmerten sich Lucy und Mum um die Dekoration des Hauses. Gelangweilt zog ich mich nach oben zurück. Als ich die Tür meines Zimmers öffnete, hörte ich einen Knall von unten, worauf ich zusammenzuckte und Lucys Lachen ertönte. Ein Ballon war anscheindend geplatzt. Wie konnte Lucy das nur lustig finden? Während ich mein Zimmer betrat, dachte ich darüber nach, wann Kail kommen würde. Dann sah ich, dass mein Handy blinkte. Eine SMS! Ich setzte mich auf meinen Sessel, der vor dem Fenster stand und griff nach meinem Handy. ,,1 neue Nachricht” stand auf dem Display. Ich öffnete die Nachricht (die übrigens von Kail stammte) und las sie mir durch.
Hey Paul,
sorry, ich konnte gestern nicht mehr zurückschreiben. Aber dafür hab ich ‘ne gute nachricht, aber auch ne nicht so gute. Die gute ist, ich darf heute mit zu dir, aber die weniger gute ist, dass Mum mich nicht fahren kann. Also muss ich mit’m Rad fahren, und bei dem Wetter, das grade ist könnte ich etwas nass heimkommen. Ich weiß, wie sehr deine Mum auf Ordnung und Sauberkeit abfährt, deswegen wollte ich dich vorwarnen. Ich komm so um halb elf. Also bis dann,
Kail
Ich warf einen Blick auf meinen Wecker. Es war 9:54 Uhr, Kail würde also in einer halben Stunde kommen. Solange würde ich mit Natalie und Lucy schon noch überleben. Lautlos stand ich auf, öffnete das Fenster und setzte mich auf die Fensterbank, meine Füße ließ ich auf der Sessellehne zurück. Ich sog die frische Luft ein, die in einer Brise zu mir kam. Auch hier roch es nach Wasser. Komischerweise gefiel mir dieser Geruch. Anstatt misstrauisch oder verwirrt auf ihn zu reagieren, atmete ich immer mehr davon ein. Eigentlich war ich schon immer eine richtige Wasserratte gewesen. Mum nannte mich immer “Wasserhüpfer”, wenn ich im Schwimmbad gerade von irgendeinem Brett gesprungen war.
Doch plötzlich wurde mein Blick verschwommen, und wenige Sekunden später fand ich mich auf einer Wiese wieder, die mir bekannt vor kam. Ein Junge, ungefähr in meinem Alter, stand dort, seine Augen vor Angst verzerrt. In der Hand hielt er einen braunen Stab, etwa 30 cm lang und aus Rosenholz. Erst jetzt sah ich, was ihn so erschreckte. Ein mindestens 3 Meter großes (und ebenso breites) Wesen in der Form eines Drachens stand vor ihm und speite Feuer in seine Richtung. Falls ihr denkt, ich meine einen Drachen, den man im Herbst steigen lässt, täuscht ihr euch. Diese Sorte von Drachen war viel gewaltiger. An seinen Füßen wuchsen riesige, spitze Krallen, ebenso an seinen, wenn man sie so nennen konnte, Händen. Doch das Maul war eindeutig das Schlimmste. Birnengroße, grünliche Zähne ragten dort heraus, eine Zunge, so lang wie ein Fuß, sprühte gelben Saft in die Richtung des Jungen. Dieser trug nur eine weiße Tunika und braune Sandalen, aber er kam mir sehr bekannt vor. Ich wollte zu ihm eilen und ihm helfen, doch ich konnte mich nicht bewegen. Einen kurzen Augenblick lang begegnete ich seinem von Angst und Verzweiflung gefüllten Blick, dann wurde alles schwarz und ich war wieder in meinem Zimmer.

Kapitel 3


Irritiert rutschte ich zurück auf den Sessel, das Fenster ließ ich in meiner Verwirrung geöffnet. Ich starrte in den ersten Sekunden nur auf den von Staub bedeckten Boden meines Zimmers, dann wandte ich den Kopf und sah aus dem Fenster. Ich hatte einen Windzug gespürt. Leises Flügelschlagen folgte darauf. Entsetzt stellte ich fest, das vor meinen Zimmerfenster ein riesiger Flügel zu sehen war. Ich stieß einen leisen Schrei aus und wich zurück, doch blöderweise saß ich noch immer auf dem Sessel, sodass ich auf den Boden plumpste. Verwirrt tastete ich mich rückwärts, möglichst weit entfernt von diesem Ungetüm, das langsam, aber doch auf irgendeine Weise schnell, seinen Kopf durch den Rahmen meines Fensters quetschte. Ein riesiger Schnabel kam mir entgegen. Eigentlich war er gar nicht so groß, aber im Gegensatz zu den anderen Schnäbeln, die ich je gesehen hatte, kam er mir doch gewaltig vor.
Jetzt erkannte ich, was dieses Wesen war. Ich identifizierte es als Storch, Flügelspannweite etwa 2 Meter, roter Schnabel und weiße Federn.
Mit einem lauten Krachen flutschte der Vogel durch das Fenster. Habt ihr je schon einmal einen Storch in eurem Zimmer gehabt? Ich hoffe für euch, ihr müsst das nie erleben, denn es ist schrecklich. Als er seinen rechten Flügel ausbreitete, warum auch immer, traf er meine Schreibtischlampe, die natürlich sofort vom Schreibtisch fiel. Glücklicherweise wurde sie nicht groß beschädigt. Dann schüttelte dieser Tollpatsch auch noch seinen Kopf, worauf sich mindestens 20 seiner Federn lösten und in meinem Zimmer umherschwirrten. Und jetzt das Schlimmste:
Dieses Ungetüm legte sich auf mich drauf.
Nachdem der Storch sich etwas beruhigt hatte, schlug er mit den Flügeln (wobei er selbstverständlich noch mehr meiner Sachen auf den Boden warf) und kam näher zu mir. Natürlich wich ich darauf ein paar Schritte zurück, zugegeben ... ich hatte Angst, große Angst sogar. Doch dann ertönte erneut das Platzen eines Luftballons von unten, der Storch erschrak, stolperte (nach noch mehr Flügelschlägen) und plötzlich lag ich auf dem Boden und sah den großen Vogel von unten an. Verzweifelt wand ich mich aus den unabsichtlichen Fängen des Storches heraus (was mir nur gelang, weil er sich wieder erhoben hatte) und krabbelte noch weiter zurück, bis ich mit dem Rücken am Schrank saß.
Der Storch beugte sich zu mir hinab. Ich spürte, wie Schweiß an meiner Schläfe hinunter floss, auch an meinem restlichen Körper fühlte ich die leichte Nässe. Doch als ich die freundlichen, blauen Augen des weißen Vogels sah, vergaß ich für einen Augenblick meine Angst, und rappelte mich auf. ,,Wer bist du?”, fragte ich ihn, wenn ich auch wusste, dass ich keine Antwort zu erwarten brauchte. Der Storch lächelte mich nur an. Ja, ihr habt richtig gelesen, er lächelte. Dann stupste er mich an der Schulter an, in seinen Augen lagen Hoffnung und ein erwartungsvoller Ausdruck.
,,Was willst du?”, fragte ich und strich dem Vogel über den Schnabel. Und dann, urplötzlich, durchfuhr mich ein Schlag. Coconia.

,,Bist du Coconia?”, fragte ich und sah dem Storch in die Augen. Dieser hob und senkte den Kopf, was ich als ,,ja” verstand. Immer noch staunte ich über die Größe des Vogels. Ich hatte noch nie ein solch großes und anmutiges Tier gesehen. Erneut erreichte mich ein solcher Gedankenblitz, wie gerade, als Coconia mir seinen Namen gesagt hatte. Komm mit.

Ich verstand, Coconia kommunizierte so mit mir. ,,Wohin?”, fragte ich leise. Langsam kam ich wieder zu mir. Denn die Tatsache, dass gerade ein Storch mit 2 Meter Flügelspannweite vor mir in meinem Zimmer stand, erschreckte mich nun nicht mehr. Vielleicht war das ja alles nur ein Traum, dann wäre die Erklärung einfach. Oder aber das war real. Vertrau mir. Ich bringe dich an einen Ort, wo du gebraucht wirst.

hörte ich Coconias Gedanken.
Ich war schon drauf und dran, ,,ja” zu sagen, und mit Coconia zu gehen, als ich Schritte auf der Treppe hörte. Langsame, schwere Schritte, die immer näher kamen. Überleg es dir.

sagte Coconia knapp, dann war er verschwunden. Ja, wirklich verschwunden. Er war nicht mehr da. Nur seine Spuren sah ich noch. Rasch sprang ich zu der umgefallenen Lampe und stellte sie wieder auf den Schreibtisch. Auch die restlichen Dinge, die mein neuer Freund umgeschmissen hatte hob ich auf und versuchte sie sie gut wie möglich zu ordnen. Gerade noch rechtzeitig legte ich ein Buch auf mein Bett, denn eine Sekunde später betrat mein Dad das Zimmer. ,,Paul!”, begrüßte er mich und lächelte. Er trug ein schlichtes Hawaiihemd und kurze Hosen, dazu Sandalen. Seine blonden Haare waren verwuschelt und die blauen Augen leuchteten, als sie meinen Blick trafen. Auch ich brachte ein Lächeln zustande und eilte zu meinem Vater. Er war Angestellter in einer Firma, die Bleistifte herstellte. Seit Montag hatte ich ihn nicht mehr gesehen, da er die Schicht eines Kollegen, der krank geworden war, übernehmen hatte müssen. ,,Kail ist da, er wartet unten”, erzählte Dad grinsend. Meine Verbindung mit ihm war besser, als die mit Mum. Mit ihm konnte man Späße machen, Cola trinken, so viel man mochte, und er bezahlte fast alles, was ich brauchte oder mir wünschte. ,,Super!”, sagte ich und strahlte. Ich hatte Coconia zwar noch nicht vergessen, aber ich war mir sicher, dass er noch einmal auftauchen würde, während Kail bei mir war.
Ich ging zusammen mit Dad die Treppe herunter, wo mich Kail auch schon empfing. ,,Hey!”, rief er grinsend. Ich sah an seinem Gesichtsausdruck, dass er erkannt hatte, dass mich etwas beunruhigte, doch er ging nicht darauf ein. Auch Natalie war schon da. Sie stand neben Lucy und überreichte ihr gerade ein Geschenk. ,,Mach’s auf, mach’s auf, mach’s auf!”, drängte sie ihre Freundin, und hüpfte auf und ab. Ihr brauner Pferdeschwanz wippte hin und her, während Lucy aufgeregt die Schleife und das Geschenkpapier entfernte und es mir in die Hand drückte.
Ich rollte mit den Augen. Mich interessierte es kein bisschen, was Lucy zum Geburtstag bekam. Auch ihren Mülleimer wollte ich nicht spielen. Aber nach Mums Blick schlenderte ich doch zum Papiermüll und warf das Papier hinein. Kail stand hinter mir. ,,Komm gehen wir raus”, sagte ich und wir rauschten aus dem Haus.
Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, sah ich zu Kail. Immernoch lag ein wissender Ausdruck auf seinem Gesicht, doch sein Mund war geschlossen. Ich lief los. Wir gingen immer, wenn Kail da war, raus und schlenderten irgendwo herum. Als wir an einem der großen Apfelbäume vorbei kamen, blieb Kail stehen. ,,Wir könnten uns hier hinsetzen”, schlug er vor und sah mich an. Nachdem ich bejaht hatte ließen wir uns im Schatten des Baumes nieder. Hier fuhren kaum Autos vorbei. Generell war hier viel weniger Verkehr als in den restlichen Teilen Londons. ,,Paul ... dich bedrückt doch etwas”, sagte Kail dann schließlich und sah mich besorgt an. Ich seufzte – damit hatte ich gerechnet.
,,Versprichst du mir, dass du mich nicht für verrückt hältst?”, fragte ich und sah Kail hoffnungsvoll an. Dieser schüttelte empört den Kopf. Für einen Augenblick dachte ich schon, er würde verneinen, doch – ,,Natürlich, ich halte dich nicht für verrückt, egal wie du dich verhältst!”, entgegnete er und sah mich mit einem treuen Glitzern in den Augen an. Erleichtert erzählte ich ihm von meinem Erlebnis. Von dem, dass ich zuvor diesen Drachen mit diesem Jungen kämpfen gesehen hatte, bis zum Verschwinden des Storches. Als ich meine Geschichte beendet hatte, sah Kail mich nachdenklich an. ,,Vielleicht bist du ja ein verschollener Prinz oder so was!”, schlug er vor, ohne auch nur einen Funken Sarkasmus in der Stimme. ,,Nein, nein ...”, entgegnete ich nachdenklich, immer noch erleichtert darüber, dass Kail mir glaubte. ,,Vielleicht gibt’s so ‘ne Prophezeihung, die besagt ...”, spekulierte mein Freund weiter, wurde jedoch von heftigem, lauten Flügelschlagen abgebrochen. Ein leichter Hoffnungsfunken durchfuhr mich, und ich hob den Kopf. Ich blickte direkt in Coconias Gesicht, der zum Landen ansetzte. ,,Wow ..”, hörte ich Kail raunen, während Coconia seine mit Krallen besetzten Füße (naja, eher Klauen) auf dem Boden absetzte und die Flügel anlegte. Dann blickte er Kail skeptisch an. Er krähte. Ich hatte ihn noch nie auch nur einen Laut machen hören, aber das war eindeutig ein Krähen, das Kail galt. ,,Oh, nein, nein”, fing ich an und stellte mich zwischen die beiden. ,,Das ist Kail, mein Freund, ähm ... er kann schon hier bleiben”,erklärte ich und lächelte unsicher. Coconia blickte Kail weiterhin misstrauisch an, schloss jedoch den großen Schnabel, was mich beruhigte. Willst du nun wissen, wer ich bin, woher ich komme und weshalb ich jetzt hier bin?

fragte Coconia in meinem Kopf. Ich erstarrte. Das Wichtigste hatte ich vergessen. ,,Oh, äh, ja, klar”, stotterte ich. Kail sah erwartungsvoll zu mir. ,,Was ist, was hat er gesagt?’, fragte er ungeduldig. Mir fiel ein, dass Kail den Storch ja gar nicht verstehen konnte. ,,Er hat gefragt, ob ich wissen will warum er hier ist und so”, erklärte ich meinem Freund.
Coconia warf Kail einen genervten Blick zu, dann fing er an zu erzählen.
Ich komme aus Suravon. Das Land der Elfen, Hexen und Kobolde.


,,Warte, warte. Suravon? Das Land, von dem ich in meinem Buch gelesen habe? Das gibt es doch gar nicht!”, unterbrach ich ihn dann jedoch.
Coconia schüttelte den Kopf. Hast du denn nicht bemerkt, dass das Buch keinen Autor hat? Es wurde dir geschickt, damit du einen Eindruck von Suravon hast. Nur du hast es je gelesen.


Jetzt war ich sprachlos. Ich wusste, das Coconia die Wahrheit sagte, aber trotzdem konnte ich es nicht glauben. Mir war tatsächlich aufgefallen, dass kein Autorname auf dem Buch zu finden gewesen war, doch das hatte mich nicht weiter gestört.
Der Rest davon ist natürlich vollkommen erfunden. Nur die Personen, die darin vorkommen, existieren. Ich sage sie dir einmal: Nanu, der Sohn von Königin Mayana, der,wie ihr sagen würdet, ,,Prinz” von Suravon. Dann Mayana, die Königin, Flosia, ihre Schwester, Sinavo, Nanus verstorbener Vater.


,,Also ist die Königin, Mayana, noch am Leben?” Coconia bejahte. Kail sah mich weiterhin ungeduldig an. ,Oh, tut mir leid, hab ich vergessen”, sagte ich verlegen und übersetzte meinem Freund Coconias Worte. Kail nickte verständnisvoll., gleichzeitig aber war er ziemlich verwirrt.
Ich halte es jedoch für besser, den Rest klären wir in Suravon.

sagte der Storch dann und blickte mich erwartungsvoll an. Steig auf meinen Rücken.

forderte er mich auf. ,,Und Kail? Was wird mit ihm?”, fragte ich und blickte zu Coconia auf. ,,Ohne ihn gehe ich nicht.” Kails Augen leuchteten dankbar. Coconia stöhnte, ich war mir sicher, dass auch mein Menschenfreund dieses Stöhnen gehört hatte. Na schön.

knurrte Coconia dann. Ich war etwas irritiert, als ich den Ton seiner Stimme hörte, sah dann aber zu Kail und nickte ihm zu. ,,Komm, wir sollen auf seinen Rücken steigen, er bringt uns dann nach Suravon”, erklärte ich. Komischerweise protestierte Kail nicht.
Ich hätte jetzt von ihm erwartet, dass er erst sorgevoll fragen würde, was dann aus seinen Eltern werden würde, und so. Aber das tat er nicht.
Vorsichtig trat ich näher zu Coconia. Ich spürte Wärme von ihm ausgehen, was mir ein Gefühl der Geborgenheit gab. Der große Storch kauerte sich nieder, und ließ mich aufsteigen. Als ich mit dem rechten Fuß langsam auf das Gefieder des Vogels stieg und mich an den Nackenfedern festhielt, zuckte Coconia kurz zusammen, blieb jedoch ruhig. Ich schwang mein linkes Bein über Coconias Körper und saß nun da. Hinter mir spürte ich Kail, der gerade aufgestiegen war. ,,Wow ...”, raunte er mir leise zu und hielt sich an meinem Körper fest. Nun stellte sich Coconia wieder auf. Ich hatte das Gefühl, dass er das schon öfters gemacht hätte, Menschen auf sich reiten lassen, meine ich.
Mein Herz fing an, schneller zu pochen, als Coconia die Flügel ausbreitete und schließlich, nach längerem Auf- und Abschlagen der Flügel, abhob. ,,Fällt das nicht auf, wenn ein riesiger Storch über London fliegt?”, fragte ich den Vogel laut. Nein. Für die Sterblichen bin ich, und die, die auf mir reiten, unsichtbar. Die Sterblichen sehen einfach zu wenig. Ich wundere mich schon, warum dein Menschenfreund mich sehen kann.

Kail warf mir einen unsicheren Blick zu.
Ich genoss es ,wie die frische Luft uns über London segeln ließ. Es war ein wunderschönes Gefühl, auf Coconia dahinzugleiten. Ich verspürte keinerlei Angst, vor dieser Höhe oder davor, hinunterzufallen. Ich vertraute dem Storch, meinem neuen Freund.

Kapitel 4


Wie flogen gerade an unserem Haus vorbei, als Kail mich in den Rücke piekste. Leicht verärgert drehte ich mich zu ihm um. ,,Was ist los?”, fragte ich ungeduldig. Kail deutete mit dem Zeigefinger nach unten auf unseren Garten. Ich wand den Blick und sah hinab. Unten stand Dad, sein leuchtendes, orangenes Hawaiihemd war kaum zu übersehen. Coconia folgte meinem Blick. Ich bringe sie zu ihrer Mutter. Paul wird erwartet.

hörte ich seine Stimme, doch dann wurde mir bewusst, dass es nicht mir galt. Die kleine Figur da unten, die ich als mein Dad indifizierte, hatte anscheinend gehört, was Coconia gesagt hatte, denn ich sah, wie er nickte.
Mir war es ein Rätsel, wie mein Vater das aus dieser Höhe verstehen konnte.
Ich verschob die Frage, was das gerade gewesen war, auf später und klammerte mich mehr an Coconias Rückengefieder fest. Langsam wurde es kalt, da der Storch immer höher und auch schneller flog. Hinter mir hörte ich Kail anfangen zu zittern.
,,Coconia. Wann sind wir da? Hier ist es kalt”, sprach ich schließlich meine Gedanken aus. Der Vogel zögerte. Ich weiß nicht ...

sagte er nachdenklich. Etwas ist komisch ...

Ich hörte Nervosität in seiner, wenn man es so nennen konnte, Stimme. Mit jedem Flügelschlag flog Coconia schneller, seine Sorgen trieben ihn an, und so musste ich meine erfrierenden Finger tiefer in das Gefieder des Storches krallen.
Nach weiteren, qualvoll kalten Minuten senkte Coconia endlich seinen gewaltigen Körper in Richtung Boden. Hm. Dieser Boden war eindeutig von meinem Geschmack. Dieser ,,Boden” war genauer gesagt eine Wiese, hellgrünes Gras und ab und zu ein paar Löwenzähne (ich meine die Pflanzen), Tulpen oder andere Blumen, die ich nicht kannte. Wenig später war Coconia gelandet und wir, Kail und ich, stiegen von ihm ab.
,,Wo sind wir?”, fragte ich sofort und blickte mich genau um. Einige Bäume standen in der Nähe.
,,Suravon.”
Ich sah, wie Kai blinzelte. ,,Das ist ... wow”, presste er hervor und ließ seinen Blick über die grüne Ebene schweigen. Auch mir gefiel es hier. Sauberes Gras, schöne Blumen und ein Duft, in dem ich Pferdeäpfel erkannte. ,,Kommt, mir müssen weiter.” Coconia trat unruhig auf der Stelle.
Wir liefen lange Zeit durch die grüne Landschaft. Coconia wechselte zwischen fliegen und laufen, auch er schien mit der Sonne zu kämpfen.
Die glühende Hitze wurde stärker, je näher wir unserem Ziel kamen. Immer wieder musste ich mir den Schweiß von meiner heißen Stirn abwischen. Auch Kail schien der Marsch anzustrengen. Ich hörte sein Keuchen und immer wieder fragte er “Sind wir bald da?”. Ich musste grinsen. Manchmal war er wirklich wie ein Grundschüler.
Nach vielen Minuten und unendlichen “Wann sind wir endlich da?”s, erreichten wir endlich unser Ziel.
Da ich jedoch so erschöpft war, dass meine Hände fast den Boden berührten, bemerkte ich es erst, als Coconia mich darauf hinwies. Dann riss ich die Augen auf und starrte auf das, was da vor mir war.
Das ganze ähnelte keineswegs einer altertümlichen Stadt, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Nein.
Ja, das muss ich jetzt mal genau erklären.
Als erstes fiel mir ein großer weißer Turm auf, der sicher um die 7 Meter groß war. Dieser war gar nicht so weit von uns entfernt, höchstens 50m, wodurch er noch größer wirkte. Etwas weiter entfernt ragte derselbe Turm noch einmal aus der Erde. Dazwischen stand ein 4-5m hoher Holzzaun, der überraschend fest wirkte. Ich konnte zwar nicht hinter den Zaun sehen, aber ich ahnte, dass dort eine kleine Standt auf uns wartete. Umgeben von einem Holzzaun. Naja. Das hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt.
Coconia trat neben mich. ,,Lass uns gehen” flüsterte er mir zu und ging voran. Gut, ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich ging. Seine Füße berührten den Boden nämlich nicht, sondern schleiften nur hinter ihm her. Das große Tor, das man kaum als solches erkennen konnte, öffnete sich. Zuvor nahm ich noch eine Bewegung aus einem der Türme wahr, weshalb ich annahm, jemand hätte uns aus dem Wachturm heraus gesehen.
Mit Kail im Schlepptau betrat ich hinter Coconia die ... Stadt? Nein, Stadt konnte man es keineswegs nennen.
Wir standen auf frisch gemähten Gras. Ein Weg aus Pflastersteinen führte zu verschiedenen Zelten oder Hütten, die allesamt ziemlich heruntergekommen aussahen. Ein Mann mit spitzen Ohren und dunkel gebräunter Haut stürmte gerade aus einem Zelt, direkt auf uns zu. Er hatte Kleidung an, die hauptsächlich aus Blättern bestand.
,,Coconia!”, begrüßte er den Storch hektisch. Uns beachtete er erst gar nicht. ,,Wo warst du? Wir wurden angegriffen!” Ich sah, wie Coconia die Augen aufriss und den Schnabel öffnete. ,,Du weißt, ich war- was? Angegriffen? Wer?!”, fragte er alarmiert. Die Art, wie er es sagte, verwirrte mich, doch ich kam nicht drauf, weshalb.
,,Kobolde. Pembaris muss sie auf seine Seite gebracht haben. Es werden immer mehr. Mayana wurde übrigens schon benachrichtigt.” Jetzt fiel sein Blick auf uns. ,,Und wen hast du da mitgebracht? Die sehen aus wie ... Menschen! Und riechen auch so”, er rümpfte angeekelt die Nase.
Coconia machte eine einladende Flügelbewegung und stellte uns vor. ,,Oxalion, darf ich vorstellen, Fenrill und sein Menschenfreund Kail.” Oxalion stockte. ,,Fe-Fenrill? Oh. Du hast ihn also gefunden?” Erfürchtig blickte der Elf zu mir hinüber. Zumindest ahnte ich, dass es ein Elf war. ,,Ja..”, Coconia senkte die Stimme. ,,Kannst du arrangieren, dass wir Mayana sprechen können? Es ist wichtig. Aber das verstehst du ja sicher.” Erst jetzt dämmerte es bei mir. Coconia sprach. Er sprach

. Bevor ich den Storch jedoch darauf ansprechen konnte, eilte Oxalion schon davon und lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich, da ich jetzt noch verwirrter war, als zuvor. Warum sollten wir mit der Königin von Suravon sprechen dürfen?
Während ich noch darüber nachdachte, kam Oxalion auch wieder zurück, mit einem Mann mit langem, weißen Bart, der mich an Professor Dumbledore aus Harry Potter erinnerte, nur, dass der hier viel älter aussah und außerdem auf einem Gehstock gebügt ging.
,,Fenrill, Coconia, du, Menschenkind, stellt euch bitte in einer Reihe auf”, wies Oxalion an. Wir gehorchten und stellten uns nebeneinander, wenn auch Coconia nicht sehr begeistert aussah. Das brach mein Schweigen.
,,Äh, was habt ihr vor?”, fragte ich unsicher.
,,Ach ja, das ist Mendin, ein Zauberer. Er wird euch ganz sicher ins Königreich befördern”, sagte Oxalion rasch und nickte Mendin zu.
Uns blieb keine Zeit, uns zu verabschieden, denn schon sprach der Zauberer einige Worte, die ich nicht verstand (hörte sich an wie “murrus akibus pippus” oder so was), und mich ergriff ein merkwürdiges Gefühl. Eher gesagt mehrere. Schwindel, Übelkeit, der Boden unter meinen Füßen verschwand. Alles war schwarz vor meinen Augen, hilflos suchte ich nach einer Öffnung, wo ich raus kam, doch ich fand nichts.
So schnell es gekommen war, verschwand es auch. Wenige Zeit später fand ich mich auf gepflastertem Boden wieder. Der Aufprall war nicht hart gewesen, nein, ich war mir nicht einmal sicher, ob es überhaupt einen Aufprall gegeben hatte. Jedenfalls lag ich jetzt hier auf dem Pflasterboden und starrte kurz erst einmal nur den Boden an, bis ich mich aufrappelte und mich umsah. Als erstes fielen mir Häuser auf. Komische Häuser. Manche ähnelten Pilzen, andere sahen aus, wie Kuchen. Naja, mit viel Fantasie zumindest.
Mit runden Wänden und ebenso runden Dächern erinnerten sie mich an Pilze.
Rund aber ohne Dach, so ähnelten sie einem Kuchen.
,,Paul? Alles klar?”, hörte ich die Stimme meines Freundes. ,,Jaja..”, murmelte ich zurück, erleichtert darüber, dass es Kail gut ging. Er war nervös, das hörte ich an seiner Stimme. Aber es ging ihm gut.
,,Los..”, zischte uns Coconia fast zu, drückte seine Flügel eng an seinen Körper, und lief voran.
Wir beeilten uns, ihm zu folgen. Man sah es ihm zwar nicht an, aber dieser Storch war verdammt schnell, wenn er es eilig hatte.
So liefen wir also durch die Häuserreihen aus Pilzen und Kuchen. Ab und zu entdeckte ich auch normale Hütten, welche meist aber ziemlich heruntergekommen aussahen und mit Abstand zu den anderen Häusern standen. Die Wesen, denen wir begegneten, begutachteten uns nur neugierig, manche begrüßten Coconia aber auch freudig, andere wunderten sich anscheinend über Kail und mich. Wussten sie etwa, dass wir Menschen waren?
Ach ja, noch etwas. Ich sah die verschiedensten Arten von magischen Wesen. Weitere Elfen, Pegasi, sogar Feen!
Als Coconia nun endlich hielt, musste ich schon wieder staunen. Vor mir war ein breiter Fluss, über den eine ebenfalls große Brücke führte. Dahinter stand ein gewaltiges, helles Schloss, bestückt mit Fenstern und Balkonen, Efeu wuchs an manchen Stellen die Schlosswand hinauf.. Also mir gefiel es allemal.
,,Kommt.” Coconias Stimmte (kann man das Stimme nennen?) weckte mich aus meinen Gedanken. Nachdem ich mich versicherte, dass Kail noch da war, lief ich hinter dem Storch her, über die Brücke, die im Übrigen weiß und mit goldenen und silbernen, elegant wirkenden Mustern verziert war. Als wir näher kamen, öffnete sich das große Tor, dass uns vom Eintreten in das prächtige Gebäude hinderte, und wenig später waren wir durch den hellen Bogen gelaufen, dann durch das Tor, und schon waren wir im Schloss.

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Tag der Veröffentlichung: 23.10.2012

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