Hope Was Born This Night
Mit einem aufgesetzen Lächeln setzte ich den größten Stern auf die Spitze des kleinen Weihnachtsbaums, und schaltete die Lichterkette mit einem sanftem „Klack“ ein.
Warmes Licht erfüllte den Raum; rot und golden und tiefgrün leuchtete alles, spiegelte sich in unzähligen glänzenden Kugeln und glitzerndem Lametta.
Tief sog ich die nach Plastikbaum und billigem Weihnachtsparfüm stinkende Luft in meine vom Dauerrauchen zugeteerten Lungen ein.
Nur einen Moment noch
-- ich verlor. Konnte das Lächeln, das so oder so genauso künstlich war wie der Scheißbaum, nicht mehr aufrecht erhalten, spürte wie stattdessen Tränen in meine Augen traten.
Ich ging in die Knie, konnte mich nicht länger auf meinen Beinen halten. Schützend zog ich meine Knie an die Brust, schlang die Arme um mich selber, verbarg das geschwollene Gesicht zwischen Armen und Knien.
Wieso ich? Gottverdammt!
Wieso waren sie alle weg, wieso liebte mich niemand genug als das ich mit diesem dieses Fest feiern konnte?
Von wegen Fest der Liebe, das einzige was ich spürte war Einsamkeit und Hass!
Wütend hob ich meinen Blick. Direkt vor meinem Gesicht stand die elendige Krippe.
Ich starrte auf die Plastikfigur des Jesuskindes in der Krippe, umgeben von seiner Mutter Maria und Joseph, die ihren kleinen Gottessohn bestimmt geliebt hatten. Und die blöden Hirten die einem albernen Engel zu dem Stall gefolgt waren. Ja, selbst die Schafe wirkten, als wären sie von Liebe zu dem Kind erfüllt.
Sah eigentlich niemand außer mri wie bescheuert, unrealistisch nicht zu sagen albern diese Geschichte war?!
Plötzlich riss mich ein heftiges Poltern und Krachen aus meinen Gedanken.
Als ich merkte dass die Ursache meine eigene Faust war, die das dünne Sperrholz der Krippe zerschlagen hatte und jetzt das unschuldige Jesuskind hielt, war es bereits zu spät.
Einen Moment noch starrte ich es wie einen ekelhaften Wurm an, der unerwartet vor mir aus der Erde kroch. Dann schlug ich den kleinen Körper auf den Boden, zerrte an ihm bis er zerbrach.
Mit wütend stierendem Blick riss ich die ganze Krippe auseinander, und ging dann zu dem Plastikbaum über.
Erkannte mich selber nicht mehr wieder, ohnmächtig gegenüber der eigenen Zerstörungswut.
Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, ob es Minuten oder Stunden waren als ich langsam wieder zu mir kam.
Scharfe Glassplitter von den Kugeln gruben sich schmerzhaft in meine Hände und Arme.
In der Luft vermischte sich nun der kupferartige Geruch von Blut und wütendem Testosteron mit dem billigem Weihnachtsparfüm.
Langsam sah ich mich um, der Plastikweihnachtsbaum lag zerstückelt durch das ganze Zimmer, der Schmuck war zertrümmert. Die Krippe war darunter kaum mehr zu erkennen.
Mein Blick blieb an einem einzigen, kleinen Glasengel hängen, der wundersamer weise heil geblieben war. Mit langsamen Schritten ging ich auf das empfindliche Gebilde zu, das Knirschen der Splitter seiner Freunde unter meinen Füßen klang wie das Wehleiden gebrochenen Armeen.
Mit hölzernen Bewegungen ging ich in die Knie und hob den kleinen Engel hoch. Eine kleine Gestalt in einem weißen Kleid und mit Flügeln die in Form von zwei Federn an ihren Rücken geklebt waren.
Sanft, fast liebkosend strich über die goldenen Locken.
In der Ferne klingelten Kirchenglocken.
Eine einzelne Träne löste sich von meinen Wimpern, rann über meine Wange, sprang von meinem Kinn und landete auf dem billigen Laminat.
Ein Kristall der Hoffnungslosigkeit.
Entschlossen riss ich meinen Blick von dem Salzwassertropfen, ging mit festem Schritt ins Bad und wusch Gesicht und Hände. Präzise entfernte ich jeden einzelnen Glassplitter, cremte die Schnittewunden ein und verband alles.
Daraufhin zog ich mich warm an und ging raus, in die eisige Kälte, auf dem Weg zur Kirche.
***
Die Thore waren groß und aus dunklem, schwerem Eichenholz mit Eisenbeschlägen.
Aber noch waren sie offen, luden ein zu Wärme und Geborgenheit.
Einer Einladung der hunderte von Menschen, mit vor Vorfreude auf Speisen und Geschenken glänzenden Augen, folgten.
Doch ich blieb draußen, traute mich nicht mehr diese letzten Schritte zu gehen.
Hatte ich nicht grade nicht noch voller Abscheu von diesem Schauspiel gedacht?
Und überhaupt, ich sah nur Familien, Paare und Freunde über die Schwelle treten.
Hatte ich überhaupt ein Recht diese Einladung anzunehmen?
Ich lehnte mich an die Kirchenmauer, zog meine Zigaretten hervor und schüttelte eine aus der Pappschachtel, die ich daraufhin wieder zurücksteckte. Es waren nur noch drei übrig. Langsam hob ich den Sargnagel zu meinen Lippen und zündete sie mit meinem Zippo an, wobei ich die Flamme mit einer Hand vor dem kalten Wind schützte.
Tief zog ich den ersten, bitteren Zug in meine Lungen und blies ihn in einer grauen Rauchwolke wieder aus.
Langsam nahm der Schwall an Kirchgängern ab, nur noch wenige Nachzügler hetzten über den schneebedeckten Weg.
Ich schmiss den Zigarettenstummel in den Schnee und zertrat diesen bis nur noch unbestimmte Schlieren übrig waren.
Erst als ich wieder auf sah, bemerkte ich den Bettler der neben mir an der Kirchenaußenwand saß und mich mit hoffnungsvollen Augen anblickte.
Ich zückte erneut die Zigaretten, nahm mir eine heraus und hielt sie dann dem Fremden hin.
„Möchten sie eine?“
„Bitte“, antwortete er und zündete die Zigarette umständlich mit dem dazu gereichtem Zippo an.
Ungemütliches Schweigen breitete sich aus, kroch wie schwarzer Rauch in unsere Kehlen. Beide starrten wir auf den zertrampelten Schnee zu unseren Füßen, als plötzlich Kinderfüße in unser Sichtfeld kamen:
„Wieso steht ihr denn hier draußen? Kommt mit rein, da ist es warm und wir können alle zusammen feiern.“
Langsam sah ich auf. Die Füße gehörtem zu einem kleinen Kind mit goldenen Locken, leuchtenden Augen und einer weißen Plüschweste auf die Pappflügel aufgeklebt waren.
Ich lächelte - mein kleiner Glasengel hatte Gestalt angenommen um mich ein zweites Mal zu retten!
„Dann lass uns gehen.“
Uns so betraten wir alle zusammen die hellerleuchtete, warme Kirche.
Hinter uns viel das schwere Thor zu.
Tag der Veröffentlichung: 25.12.2013
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Widmung:
Für meine beste Freundin Ivonne, danke.t