Cover

Finanztod

Kein Geld mehr in der Tasche. Der Magen knurrt, meine Hände und Füße sind schon blau vor Kälte angelaufen, weil ich meine letzte Stromrechnung nicht bezahlen kann.

Draußen ist es minus zwanzig Grad. In meiner kleinen Speisekammer, in der noch vor knapp hundert Jahren Kohlebriketts gelagert wurden, gibt es nicht mal ein Brotkrümel zu essen.

Der Schnaps, den mir ein Bekannter noch vor ein paar Tagen überlassen hatte, ist auch schon gesoffen. Ich fühle mich so schlapp, dass ich mich nicht mal waschen mag, davon mal abgesehen, nicht mal Lust habe, meine zerzausten Haare zu kämmen. Wozu sollte ich das noch machen.

Es interessiert sich doch niemand mehr dafür, ob ich eine Arbeit bekomme oder gar eine Frau kennen lernen werde. Bin ja schon ewig alleine, kann mir eh keine Frau leisten, die ist zu teuer, kostet mich ein Vermögen, so eine Frau zu verhalten und an Kinder will ich gar nicht denken.

Erst kürzlich hatte eine Nachbarin hier im Hause ihre zwei Kinder umgebracht. Ihr Ehemann hatte sie jahrelang misshandelt. Es heißt ja, der Prolet ist kein Verstandsmensch, sondern ein Gefühlsmensch.

Der Mann machte seine Frau gefügig. Dabei sind zwei Bastarde gezeugt worden, die ihm sein Verhalten alle Ehre machten. Ach was rede ich da nur. Dieser missratene Nichtsnutz hatte seine Familie ausgerottet und ich habe schweigend zu geschaut.

Ich wusste es, was da vor sich ging. Jeden Tag hörte man das Geschrei und dann donnerte es, anschließend drang das Gejammer in meine Wohnung. Ich konnte es nicht mehr ertragen.

Morgens kam sie dann, die Straßenhure, aus dem Haus raus mit blau geprügelten Augen, den Kopf nach unten geneigt. Ihre Alkoholfahne konnte man schon meilenweit vernehmen, nach dem sie aus der Stammkneipe kam, während ihre Bälger zu Hause verwahrlosten. Das Amt hatte sich nie eingemischt.

Warum sollte ich also ein schlechtes Gewissen haben, wenn doch das Amt es offiziell duldete, dass die Tussi eine verkommene Tochter dieser Gesellschaft ist.

Sehen wir nicht alle zu, was das Geld mit uns macht, ohne Arbeit zu sein, abnorm zu sein, sobald wir unsere Miete nicht mehr bezahlen können.

Was noch viel schlimmer ist, unsere Kinder sind armselig, wie es sich keine Mutter wünschen mag.
Ist das der Preis, nicht hinzuschauen. Schauen wir nicht alle hin, wie die verarmten Menschen ins unrechte Licht gestellt werden.

In diesem Fall, also meine Nachbarin, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich hier eine Tragödie abspielen würde. Der Anfang war doch wie bei mir, als ihr der Strom abgestellt wurde. Die Frau konnte sich keinen Stoff mehr kaufen, auch nichts mehr zu Essen.

Selbst das Anschaffen als leichtfertiges Freudenmädchen ist in der heutigen Zeit kein einfaches Leben. Die Konkurrenz schläft nicht, selbst bei fünf Euro für einen Freier bleibt nichts zum Leben übrig.

Wie weit muss man da runterkommen, um seine eigenen Bastarde verhungern zu lassen, sie anschließend in den Gefrierschrank zu stecken, damit sie von der Stütze das Kindergeld kassieren konnte.

Was muss denn alles geschehen, damit die Öffentlichkeit davon erfährt oder erst das Amt die Augen öffnet, bevor unschuldige Menschenkinder verhungern, elendig an der Habgier unserer gehobenen Gesellschaft verrecken müssen.

Also schaute ich zu, weil es mir auch schon langsam an den Kragen ging.

Nach dem nun das ganze Haus nach verfaultem Fleisch roch, kam die Schandtat ans Tageslicht. Das Ausmaß dieser zerfallenen Familie, das größte Übel hatte wohl die Frau zu leiden, die wahrhaftig am Allerwenigstens dafür konnte, denn jeder wusste, dass dies irgendwann geschehen würde. Sie wurde ins Frauengefängnis verdammt für ewige Zeiten.

Fraglich ist doch am Ende, ob hier nicht andere Täter hätten verurteilt werden müssen. Wir schauen doch alle zu, wie das tägliche Elend in allen Kreisen zu schlägt, niemand will etwas sehen, gar hören, was nebenan geschieht. Das Geld ist eben faulig. Es stinkt gewaltig.

Allerdings ist es einfacher wegzuschauen. Dennoch, der Finanztod schlägt sowieso unscheinbar zu. Die Wirtschaft verwandelt sich zu Hyänen, die auf das verdorbene Fleisch nur so abfliegen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /