Cover

Das Affenhaus

Bei uns in der Straße, da wohnt eine Familie, die ist schon besonders nett. Man könnte ihre Nachbarn beneiden, die in den Genuss von Fußbällen im Gemüsebeet, lauter Musik bis spät in die Nacht und Geschrei spielender Kinder im Sommer kommen. Die Bernsteins sind wirklich vortreffliche Nachbarn. Rücksicht auf andere, Ruhe am Sonntag sowie in Mittagsstunden und Hilfsbereitschaft stehen ganz oben auf ihrer Abschussliste.
Dass dieses Bild nicht trügt sieht man, wenn man die Bernsteins einmal zu einem gepflegten Nachmittagstee besucht.
Schon die Begrüßung ist herzlich: Sobald die Klingel ertönt, gellt ein Schrei durchs Haus, der den Boden zittern lässt, denn SIE ist rund um die Uhr mit wichtiger Arbeit beschäftigt, weshalb sie dezent ihre Kleinen darauf aufmerksam macht, dass die Tür vielleicht geöffnet werden sollte.
Die Kinderchen nun sehen dies zwar ein, doch haben sie keine rechte Lust. Die Klinke wird von innen kurz „Hinunter gehauen“ , sodass man die Tür selber öffnen muss.
Würde einem nicht sofort beim Öffnen der Tür wildes Kindergeschrei, schriller Gitarrensound und der gedämpfte Ton des laufenden Fernsehers entgegen schallen, könnte man vermuten das Haus stünde leer. Der muffige Geruch dringt einem durch die Kleider, sobald man auch nur den schmalen Flur betritt.
Hat man sich erst einmal halb durch den Dschungel aus herum liegenden Spielsachen, Kleidungsstücken und verdorrten Zimmerpflanzen gekämpft, schallt einem schon IHR Ruf entgegen, der den Kleinen gilt: „Wer is´n da?“
Während man sich also nun durch diesen Urwald kämpft, sollte man darauf achten nicht von den Kleinen um gerannt zu werden, die sich im gewohnten Gelände blitzschnell bewegen. Hat man etwas Glück, kann man sogar einen Nager auf Verfolgungsjagd sichten. Kommt man dann schließlich auf der Lichtung Wohnzimmer an, steht man IHR gegenüber. Sie sitzt, mit einem blauen, einem pinken Pantoffel an den Füßen, auf dem Sofa, um sich zwischendurch mal eine Pause zu gönnen. Eingehüllt von einer Rauchwolke starrt Sie auf den Fernseher, flüchtet sich in eine andere Welt.
Die Jalousien sind halb herunter gelassen und schummriges Sonnenlicht sickert durch die Ritzen. „Tach´auch.“ Ist die ganze Begrüßung, dann wendet Sie sich wieder dem Fernseher zu, die Kleinen ignorierend, die in der Küche fangen spielen, auf Tischen wie auf Schränken sitzen und klettern oder den Hamster in den schon lange kalten Ofen sperren. Die Kleinen sind nicht zu zählen, wie sie so wild durcheinander laufen und rennen.
ER wird wie meistens nicht da sein, denn zu Hause ist der „Herr des Hauses“ fast nie. Die Kinder und die Hausarbeit überlässt er lieber ihr. Frauensache eben. Ab und zu lässt er sich blicken, macht einen Streifzug durch sein Territorium, guckt was in „seinem“ Haus so vor sich geht, redet sich ein, Herr der Lage zu sein.
Doch einen Herrn des Hauses gibt es schon lange nicht mehr.
Es ist ein Affenhaus und es regiert sich selbst.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /