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Kapitel I

Ich atmete ein. Und ein offen gebliebenes Fenster stieß gegen die Wand. Meine Augenlider hingen mir über das ganze Gesicht. Das Gefühl der Erfüllung bewirkte, dass sich mein Brustkorb maschinell in der rhythmischen Bewegung meines Herzens von unten nach oben hob. Beim Ausatmen pfiff ich ein Lied. Es gibt Lieder und Lieder. Es gibt Menschen und Menschen. Du warst ein Mensch wie ein Lied. Mit geschlossenen Augen streiftest du die Atmosphäre. Mit offenen Augen durchdrangst du die Regenbögen, bliebst in der Welt der Wunder stecken. Je nachdem, wie tief deine Gedanken gingen, zeichnetest du Blumen auf Tapeten und Bäume auf Betten.
„Wohin willst du gehen?“ fragtest du.
„Wohin nun? Zu dir.“
In deiner Wohnung roch es nach geschälten Äpfeln. Ein Körbchen mit Bananen lag auf einer gehäkelten Tischdecke auf einem Holztisch. Ich rührte die Tischdecke mit den Fingerspitzen an und fühlte deine Fingerabdrücke darin verewigt; - deine Einsamkeit damit verbracht; Lichtjahre von mir entfernt.
„Hast du etwa die Tischdecke gehäkelt?“
Du lachtest. Deine heisere Stimme nagelte mich am Boden fest. Ich machte die Augen zu, und Projektionen deines Lachens tanzten wie Handpuppen hinter dem Licht, geschmolzen mit den Schatten deiner eigenen Projektion. Ich atmete dein Lachen ein und spürte deinen Duft um meine Hüften.
„Nein, nein, die hat meine Oma gehäkelt.“
Vorhin warst du nicht hier. Jetzt standest du mir gegenüber. Ich ging mit der Hand den Umriss deines Gesichts entlang. Du keuchtest leise, und ich fieberte. In meinem Unterleib pochten Sehnsüchte, in meiner Hand liefen Flüsse von Nässe, und deine Stirn war die Wand, an der ich hingerichtet sein wollte. Ich drückte mir die Lippen dagegen. Du seufztest. Ich fing an zu summen. Ich summte irgendwas, einen Walzer mit den Lippen an deinen versenkt, mit dem Herzen auf deinem liegend und den Brüsten straff und schmerzhaft.
Deine Arme stiegen wie Äste empor, wie glimmende Flammen krabbelten die Schreie meiner Leidenschaft die Wände hoch. Doch hinter jeder Berührung versteckte sich die Unsicherheit, die Verlegenheit, die uns heute Abend begleitete.
„Hab keine Angst, ich tu’ dir nichts!“
Natürlich streckte ich mich in die Länge, betatschte somit deinen Körper mit meinem gesamten Hautumfang. Jede Hautpartie und jede Pore nahm mit der Zunge die leichte Kost deiner Erregung auf, sich nach mehr sehnend. Nach dir verlangend.
„Ich liebe dich!“
Doch wir hatten noch nichts als diese eine Nacht. Ich hatte es eilig, wie üblich, doch ich wollte dich nicht erschrecken. Ich wollte dich behalten. Ich wollte dich aufhalten. Du durftest mich nicht umarmen, um mich dann wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen! Das durftest du nicht! Hänge mich, bitte, an deine Halskette an! Lass mich wie einen Diamanten in deinem Dekolleté schimmern! Lass mich in dein Dekolleté hineinschauen!
„Nimm deine Hände von dir weg, ich will dich anfassen!“
Dir zitterte eine Brust in meiner Hand wie ein Vogel. Ich schaute dich verwirrt an.
„Wie weich du bist!“
Aus mir kam die Stimme wie ein Keuchen raus. Das Verlangen band meinen Mund an deine milchige Rundung. Und deine braune Knospe blühte schnell auf.

Die Augenblicke waren wie im Flug vergangen. Ich erzählte dir scherzend eine Geschichte:
„Wenn was Wahres dran ist, wenn ich eine Wahrheit in mir trage, dann ist diese die Tatsache, dass ich eine Schöpferin habe. Was ich weitergeben kann, ist das, was ich jeden Tag von ihr gekriegt habe - die Liebe, das Verständnis - Geschenke eines Menschen, der zu mir hält. So viele Gedanken, wie ich nur tragen kann, gehen mir durch den schweren Kopf. Wie viele Fragen, Unsicherheiten, wie viel Angst habe ich in meinem Leben gehabt.. Manchmal scheint mir der Kampf bereits verloren. Doch aus dem Nichts erscheint dann diese Hand, diese Stimme, dieser Geist meiner Schöpferin.. Es liegt an ihr, dass ich nicht mehr alleine bin. Der Weg, den sie mir zeigt, ist der Grund meines Seins. Ich bin die Schöpfung meiner Schöpferin, ich bin dein Werk!“
Du schautest mich lächelnd an und nipptest an deinem Glas.
„Was meinst du damit?“
„Das habe ich irgendwo gelesen. Es ist ein Zitat aus einem Buch. Ich habe mir selbst versprochen, es irgendwann mal der Richtigen zu sagen. Natürlich, wenn du die Richtige sein willst…“
Du zerrtest an meinem Leib. Ich war betrunken. Du kamst mir näher. Ich atmete schwer und unregelmäßig. Du schautest auf meine Lippen mit gierigem Kussmund. Meine Wangen brannten unter der Klinge deines Blicks. Du küsstest mich. Du küsstest meinen Mund auf die Lippen. Küsstest meinen Geist auf den Mund. Du küsstest mein Leben mit deinem Atem. Du atmetest schwer und unregelmäßig.
Wir lagen immer noch miteinander eng umschlungen. Du küsstest mich. In den Abständen zwischen deinen Küssen küsste ich dich. Es wurde hell. Die Nacht war vorüber. Du ranntest zur Tür hinaus, aus deiner eigenen Wohnung.
„Ich komme heute Abend wieder! Bleib hier, bleib ruhig hier und mach’ s dir bequem! Ich muss leider arbeiten… “
Aber mir wässerten die Augäpfel. Mir kullerten die Tränen über die Wangen wie einem Kind.
„Wieso musst du gehen?“
Ich fasste mich an und schloss die Augen. Aus meiner Hand sprach deine Hand. Meine Berührung sollte deine sein, sollte deine werden! Meine Berührung war nun deine Berührung. Überall, wo du gewesen bist, ging ich mir mit meiner Hand nach. Und in dem leisen Keuchen rief ich deinen Namen.

Als Erstes hatte ich deinen Schrank durchwühlt. Dein Parfüm umfasste mich wie ein Schleier. Ich hatte an deinen Hemden geschnuppert, an deinen blauen und an deinen schwarzen Jeans, und dann hatte ich an meinen Händen gerochen. Sie rochen nach dir.
Auf deinem Bett war das Laken zerknittert und die Kissen unordentlich. Ich hatte sie aufgezählt: eins, zwei, drei…
„Du schläfst ja mit fünf Kissen!“
Das verlegene Lächeln zog meine Lippen nach oben, bis meine Backen sich meldeten, ich sei zu verloren in dem Grinsen. Mir tat das Gesicht fast weh.
Neben dem Schrank und dem Bett posierte ein Mann in Uniform auf deinem Schreibtisch für mich. Das Foto schien alt zu sein. Der Mann, ein junger Mann mit glatt gekämmten Haaren, ein schwarz-weißer Mann oder eine schwarz-weiße Aufnahme eines Mannes sah dir sehr ähnlich. Er hatte genau deine Augen. Und deine freche schmale Nase.
Ich hatte mich auf deinem Bett niedergelassen. Ich hatte mit deinen Kissen gespielt, jedes einzelne umarmt, berührt und unter meinen Körper gelegt, mit meinem ganzen Körper zerdrückt, um die Weichheit der Füllung zu testen. Die Kissen waren alle gut ausgestopft.
„Du magst es auf die harte Art und Weise, oder?“

Später nahm ich eine zweite Dusche. Ich hatte mir die Zähne mit deiner Zahnbürste geputzt. Meine Zunge glitt unruhig über ihre Haare - stellte ich mir es nur vor oder tatest du dasselbe? Weil die Zahnbürste, im Vergleich zu den Kissen, sehr weich war.
Auf dem Fensterbrett war dein Kaktus ausgetrocknet.
„Wie konntest du ihn sterben lassen?“
Es war komisch der armen Pflanze zuzugucken. Wie lange hatte sie wohl ohne Wasser aushalten müssen? Ein ausgetrockneter Kaktus – das sieht man nicht alle Tage. Ein Schauer lief mir über den Rücken – und was, wenn du nicht so fürsorglich bist, wie du mir letzte Nacht vorkamst? Was bewegte mich zu glauben, ich würde dich kennen? Ich kannte dich nicht - wollte ich dich kennen lernen oder rannte ich nur vor meiner Einsamkeit weg?
Die Lider fielen mir über die müden Augen. Ich war mit diesem bitteren Geschmack auf der Couch eingeschlafen. Die Schafe in meinem Traum fragten sich, wer du warst.

Das Flaumige an deine Lippen hatte mir einen Kuss gestohlen. Aus dem Schlaf aufgewacht, erkannte ich dich für eine Sekunde nicht wieder. Als würde ich dir zum ersten Mal begegnen, traute ich meine Augen nicht, wie schön du warst. Instinktiv strich ich mit einem Finger über deine Lachfalte, die sich um deinen Mund herum gebildet hatte. Und über deine Wange, die noch kalt von draußen war.
„Schläfst du schon?“ hattest du mich leise gefragt.
„Nein, ich warte bloß auf dich… Seit einer Ewigkeit…“
Du schrittest Richtung Küche, zogst deinen weißen Pullover im Gehen aus und griffst nach der Wasserflasche. Deine Bewegungen gefielen mir.
„Was arbeitest du?“
Du schautest mich still an. Im Zimmer war es dunkel. Die Schatten auf den Wänden und die wenigen Möbelstücke hatten etwas Stilles an sich. So wie du.
„Ich bin Busfahrerin.“
„Du bist was?“ stürmte ich. „Wow, es ist nicht dein Ernst, oder?“
„Wieso denn? Was ist so schlimm daran?“ stauntest du, und ein Schatten hing an deinen Mundwinkeln, ein Lichtschimmer hingegen verwöhnte dein hellbraunes Haar.
„Schlimm? Es ist großartig! Du bist Busfahrerin, also… Welche Buslinie?“
„73. Gröpelingen - Marßeler Feld.“
Du lächeltest und bewegtest dich kein Stück weiter. Zwischen uns waren gute drei Meter Abstand.
Ich hatte mich gefragt, ob ich dir Angst machte. Doch meine Couch war zu bequem, um aufzustehen, und die Schatten versetzten mich in einen außergewöhnlichen Erregungszustand. Ich machte mir selbst Angst. Wie schwiegen beide lächelnd.
Als du dich entschieden hattest auf mich zuzukommen, kochte mein Blut in meinen Adern. Ich hatte, einfach so, die Beine auseinander gemacht. Du knietest zwischen meinen Beinen und begrubst deinen Kopf unter meiner Brust. Ich streichelte dein weiches Haar. Das Haar bedeckte deine beiden Ohren und fiel dir unverschämt über die Augenbrauen. Ich umfasste dich mit meinen Oberschenkeln und drückte sie gegeneinander. Die Klemme um dich herum spürend, keuchtest du leise und bissest auf meine bedeckte Brust.
Ich zog dich ungeduldig und ganz aus. Meine Augen schwammen in meinen eigenen Tränen, ich wusste nicht wieso… Ich wusste nicht wieso… Es war zu lange her… Vielleicht. Als du mich zu begrabschen angefangen hattest, spürte ich zuerst die Starre in meinen Muskeln. Die Erinnerung an den letzten, der mich angefasst hatte, lähmte mich für einen Augenblick. Zum Glück hattest du es nicht mitbekommen. Als ich meinen Namen aus deinem Mund hörte, fiel ich schwer über dich her, wir wälzten uns auf dem Boden, du unten, ich oben. Über dir. Du machtest deine Hände zur Faust, in deine Fäuste schlossest du Partien meines Fleisches. Ich rieb meinen Bauch an deinen Bauchnabel, und die Anspannung in deinen Oberschenkeln ließ es mich kommen. Du umarmtest mich, als würdest du mich beschützen wollen. Vielleicht trieften meine Tränen auf deine Schulter oder du umarmtest mich bloß, um selbst zu kommen. Doch in dieser Umarmung fühlte ich mich geborgen. Ich suchte deine Scham mit meiner rechten Hand. Du lockertest deine Arme nicht. Die Falten deines Unterleibs verführten mich. Kribbelig tauchte ich in deine Nässe ein. Du fielst schwer auf den Boden. Ich schwer über dich. Und in den Rhythmus meines Herzens bewegte ich meine Finger, die dein Ganzes bewegten. Schweißperlen bildeten ein Netz auf deiner Haut. Ich leckte dich hin und wieder und verdurstete gleich wieder. Der Durst meines Unterleibs wurde stärker. Ich bat dich, mich zu erlösen. Deine Zärtlichkeit, deine vorsichtige Umgangsweise war mir fremd. Wo hatte ich bislang gelebt? In welcher Welt? Und wieso nicht bei dir?
„Hab keine Angst, du tust mir nicht weh!“
Aber gerade deine Vorsicht erweckte diese barbarische Lust in mir. Und deine Geduld.

Später lagen wir beide auf dem Boden, zwischen deiner Couch und deinem Tisch. Ich starrte müde die Decke an. Ein seltsames Gefühl spukte in meinem Kopf. „Wie viele hattest du vor mir gehabt? Welche Nummer bin ich?“ Ein tiefer Schmerz in meinen Unterkiefer ließ mich zusammenkauern.
„Was hast du?“
Es war zu spät. Ich weinte bereits. Und ich steigerte mich widerwillig in dieses Weinen.
„Hab ich dir wehgetan?“ versuchtest du mit mir zu sprechen.
Ich schüttelte den Kopf, versuchte verzweifelt meine Gedanken los zu werden. Deine Streicheleien und deine warme Stimme wogen mich hin und her. Ich hatte aufgehört zu weinen und warf mich dir um den Hals. Ich küsste dich gierig. Und du machtest mit.

Impressum

Texte: AAVAA Verlag. Alle Rechte vorbehalten.
Bildmaterialien: AAVAA Verlag
Tag der Veröffentlichung: 03.10.2012

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Widmung:
Reika und Michiru gewidmet

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