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Smartphone Pilger Paradies - Hunde, wollt ihr ewig surfen?

Zwingli Town, im Herbst 2020

 

"Konn I a Stückerl mitsurfen?"... fragte die kleine, ältere und braunhaarige Pilgerin einen aus der riesigen Menschenmenge, die hier vor dem Gebäude des Marpple Zentrums versammelt war. Aber der Angesprochene, ein vollgefressener Gamer mit einem zotteligen Hipsterbart, unter dem ein verschmierter, nasser Mundschutz hing, winkte mampfend ab:

"Mmmpf. Du siehst aus, als ob du aus der Mottenkiste stammst. Mmmpf. Eine richtige alte Vogelscheuche. Geh, oder besser, flieg dorthin, wo der Pfeffer wächst!"

Doch die Abgewiesene ließ nicht locker: "Nur, bittschön a bisserl mitsurfen auf Foolbook mit deinem Light-Phone ..."

Der fette Bärtige wurde jetzt erst richtig wütend:

"Warum kaufst du dir nicht selber eines, du abgetakelte Schmarotzerin? Zieh dir gefälligst eine Maske an, und zieh endlich Leine, verdammt noch mal!" Dabei rutschte ihm der angebissene Kebab ein Stück aus der rechten Hand und vor Schreck ließ er sein Light-Phone, das er in der Linken gehalten hatte, auf das Straßenpflaster fallen.

Die kleine Pilgerin fing an zu grinsen und meinte: "Des g'schiet dir gonz recht. Dein Light-Phone scheint dir wohl weniger wichtig zu sein als deine Stinkrolle, mit der konnst jetzt surfen und telefonieren. Du feister Stinkstiefel, mit däner giftig'n Gosch'n, du. Höhöhöhöh!"

Völlig geschockt hob der Fette sein Gerät von der Straße auf. Zu seinem Glück war dieses unversehrt geblieben.

Als er sich wutentbrannt nach der älteren Frau umblickte, war diese verschwunden. "So ein elendes Miststück", fluchte er und bemerkte, dass seine Jacke nun ganz verschmiert war, von den Innereien seiner über alles geliebten Fressrolle.

 

Er war einer von den fast fünftausend Smartphone-Pilgern, welche bereits seit zehn Tagen voller Ungeduld auf das neue Light-Phone-20 warteten. Der ganze Marpple Mob steckte zwischen mehreren meterhohen, stählernen Absperrungen, die zudem noch von gut zwei Dutzend hier anwesenden Polizisten bewacht wurden. Wer sich nicht an die Regeln hielt, die obligatorische Corona-Maske absetzte, den vorgeschriebenen Zwei-Meter-Abstand nicht einhielt, und besonders wenn einer auf die Idee kam, über eine der Absperrungen zu klettern, der kriegte mit dem Gummiknüppel zünftig eins hinter die Ohren verpasst. Innerhalb dieser Umzäunungen hatten mehrere geschäftstüchtige Fast-Food-Stand Besitzer ihre Stände aufgestellt und verzeichneten fettere Umsätze als die ständig rotierenden Kuriere vom McAmmonia Burger Laden ganz in der Nähe. 

 

Das zehnstöckige Marpple Zentrum lag an der Bahnhofstraße in Zwingli Town. An diesem Oktober Abend regnete es Bindfäden. Doch das schien wohl niemandem etwas auszumachen; das neue Phone war schließlich alle Entbehrungen wert. Die meisten hatten Rucksäcke mit Schlafsäcken mitgebracht. In circa drei Stunden sollte es so weit sein: Dann würden die Tore geöffnet werden ...

 

Ein gut aussehender Jüngling mit einer schlampig aufgesetzten Corona-Maske, Kappe, Designer Mantel und Schlabberhosen näherte sich dem Gamer, der jetzt, sichtlich angewidert, mit Taschentücher versuchte, seine mit Kebab Soße verschmierte Windjacke zu reinigen.

"Hey Mann! Ich habe dich vorhin beobachtet. Dein Missgeschick von vorhin könnte mir NIE passieren ..."

"Was meinst du?", fragte der schmuddelbärtige Gamer verwundert.

"Schau her", forderte der Jüngling den anderen auf und zeigte ihm den entblößten, linken und aufgeschwollenen Unterarm, in dem das Light-Phone-19 implantiert war.

Der Gamer staunte nicht schlecht, aber das war beileibe noch nicht alles: Der andere präsentierte ihm den rechten Zeigefinger, dessen Kuppe lediglich die Dicke einer Bleistiftspitze aufwies.

"Habe ich mir vor drei Monaten zusätzlich operieren lassen. Damit kann ich perfekt E-Mails, SMS' schreiben, surfen, foolbooken und andere Funktionen ausüben", meinte dieser stolz.

"Und was ist mit dem neuen Modell 20, das du hier in Kürze zu erwerben gedenkst? Da musst du dir ja vorher das Alte wieder operativ herausnehmen lassen", wunderte sich der Gamer, wobei er eine ganz in der Nähe befindliche Gestalt mit dunkler Sonnenbrille ausmachte, die eine pechschwarze Corona-Maske trug. Diese unheimlich wirkende Gestalt schien sie beide zu beobachten.

"Na und? Ist doch kein Problem ... Hauptsache mein Ding, ist echt. Nicht wie diese Idioten, die sich's nicht leisten können, und sich das Display des Phones nur auftätowieren lassen, um damit anzugeben. In ein paar Jahren wird man sowieso das ganze Light-Phone Programm auf die Augennetzhaut verpflanzen können. Oder das Ding wird direkt ins Hirn reingestanzt. Nanotechnologie, verstehste? Oder in Form eines Chips. Die nächste Impfung kommt bestimmt! Mann ist das geil! Hahaha ... vielleicht gibt es bald auch ein Modell mit integriertem Baby Doll für die Männer und für die Frauen mit Dildo oder Vibrator."

"... ja, gute Idee: Dann kannst du dieses in deinen Designer Arsch stecken. Aber am besten, du lässt dir an dieser Stelle gleich ein entsprechendes  'Gates of Hell-Marpp' herunterladen. 'Anal-digital' sozusagen. So hat man wenigstens alles bei sich. Wenn es die Medien verkünden würden, man muss sich jetzt anstatt einen Maullappen bereits getragene Windeln oder Pampers über die Visage ziehen, würdest du es voll in die Tat umsetzen. Mann, ich glaube, du bist lobotomiert worden. Pass nur auf, dass dir dein Rest an Hirnsuppe nicht auch noch aus deinem Schädel schwappt“, meinte der Gamer zynisch, als aus dem Lautsprecher seines Phones ein synthetisches Gerülpse ertönte.

"Ja, hallo ...?"

"Mann, du hast einfach kein Gefühl fürs Praktische und schon gar keinen Sinn für Humor", meinte der Jüngling mit der implantieren Hard- und Software enttäuscht und quetschte sich weiter durch die Menschenmenge.

"Hör auf, mich dauernd anzurufen. Du blöde Kuh von einer Schwester!", rief der Gamer, hängte auf und stöpselte sich seine Ohren zu mit den mitgebrachten Kopfhörern.

 

Die unheimliche Gestalt mit der dunklen Sonnenbrille und der schwarzen Corona-Maske beobachtete nun gespannt das ganze Szenario. War er etwa ein Spitzel vom Staat? Oder nur ein bürgerlicher Blockwart, der irgendwelche Leute denunzierte, weil sie die von der Regierung beschlossenen rigorosen Corona-Maßnahmen nicht befolgten?

Menschen dieses Schlages traf man jetzt praktisch überall an:

Der nette aber sehr hellhörige Nachbar, der oder die kleine Angestellte im Supermarkt, der Geschäftsführer in der Boutique, Sowohl männliche als auch weibliche Mitreisende im Zug, der Besitzer im Restaurant, der Wächter von irgend einer Eingangshalle, der Bademeister im Hallenbad.

Ja, jetzt kamen sie plötzlich unter den Steinen hervorgekrochen; Menschen oder besser:

Frustrierte, jämmerliche Kreaturen, die es in ihrem kleingeistigen und beschissenen Leben zu nichts gebracht hatten und die sich ansonsten nie um ihre Mitmenschen kümmerten, nicht mal beachteten.

Selbsternannte Polizisten und Polizistinnen, vor denen man sich früher zwischen 1933 und 1945 im nationalsozialistischen Deutschland ganz besonders in acht nehmen musste:

 

Ein junger Bursche sitzt zusammen mit seiner Freundin im Kino, die Wochenschau läuft gerade, wobei ein exklusiver Beitrag über den Reichsparteitag in Nürnberg gezeigt wird ...

Der Bursche gähnt demonstrativ und meint scherzhaft zu seiner Freundin:

Oh nicht schon wieder! Ich mach' jetzt erst mal ein Nickerchen. Weckst mich dann, wenn der Film anfängt, gell!?“

Da schlägt ihm ein Mann von hinten fest auf die Schulter und schreit:

Während der Wochenschau wird NICHT geschlafen! Nach der Vorstellung kommen Sie mit mir mit!“

Keine fünf Minuten später nahm das zu Recht verängstigte junge Paar Reißaus.

 

 

 

Noch zwei Stunden ...

 

Die Stimmung unter der begierigen Meute vor dem Gebäude wurde zusehends unruhiger. Im dritten Stock des Marpple Zentrums öffnete jemand die Balkontür und die meisten der Anwesenden ruckten ihre Köpfe gespannt nach oben. Und sie sollten nicht enttäuscht werden; vor allem das überwiegend männliche Publikum, das jetzt einiges geboten bekam: Eine junge, vermutlich attraktive Lady mit einer aufgesetzten, pinkfarbenen Corona-Maske hatte jetzt den kleinen Balkon betreten, dies mit nacktem Oberkörper. Ihre gigantischen Brüste baumelten über das Balkon Geländer, die langen blonden Haare wehten im Wind. Sie hielt ein Mikrofon in der rechten Hand.

"Hi, meine lieben, süßen, männlichen und weiblichen 'Phonies'! Ich bin Miss Marpple und werde euch ein paar neue Funktionen vom neuen Modell 20 demonstrieren. Richtet doch bitte eure gierigen Glubschaugen drüben auf die andere Straßenseite ...".

Damit zeigte sie auf das gleich gegenüberliegende Gebäude, an dessen Hausmauer eine Leinwand von beeindruckender Größe installiert war. Gleich darauf stellte jemand auf dem Balkon einen Projektor auf und projizierte das Display des brandneuen Light-Phones zwecks Demonstration auf die Leinwand.

Ohhhhh! Ahhhhh! Das is' ja der Hammer, Mann! Das is' mega...! Eine super geile Sache!

 

Ja, das Publikum kam aus dem Staunen über diese sensationelle Präsentation nicht mehr raus. Vor lauter Begeisterung tobte die ganze Menge. Und Letztere wurde noch zusätzlich weiter aufgeheizt von Miss Marpple: "Waaaaas höre ich da? 'Mega'?... Nein, meine zukünftigen Light-Phone-20 Besitzerinnen- und Besitzer. Das ist GIGA, nein: TERRA Geil ...!!!"

Viele aus dem männlichen Publikum konnten sich nicht entscheiden, welcher Plattform sie mehr Aufmerksamkeit schenken sollten: der auf der Leinwand oder der des mörderischen Vorbaus der marpple'schen Maid. Die meisten männlichen sowie weiblichen 'Phonies' zückten ihre entsprechenden Geräte, um das phänomale, doppelte Spektakel auf die mobilen Kameras zu bannen.

Das Einzige, was hier extrem störend und zugleich furchterregend wirkte, waren diese zwei Drohnen, die ständig auffällig und bedrohlich um die Gebäude kreisten; zur Überwachung der Bevölkerung.

 

Dem nicht weniger erstaunten Gamer waren jetzt die Kopfhörer aus den Ohren gefallen. Seine beschmutzte und stinkende Windjacke war ihm nun gleichgültig geworden. Seine Zunge hing ihm geifernd über die feuchte Unterlippe und der verrutschten, verschmierten Maske. 

 

"Viking Met Bull! Viking Met Bull!", rief ein umherwuselnder Getränkehändler. Der Gamer winkte ihn heran. "Wie viel kostet eine Büchse?"

"Dreißig Fränkle", antwortete der dürre, deutsche Immigrant schwäbelnd. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und stachen blitzend aus seinem eingefallenen Gesicht.

"Krass: Hölvötische Wucher Preise, made in Jörmany. ... Das ist ja noch um Längen teurer als an der jährlichen Meat Parade. Hau wieder ab, du teutonischer Abzocker!"

"Was schwätzt du denn daher? Wenn du net bezahle kannst, sauf doch versauerte Buttermilch. Die passt besser zu deiner Fresse."

"Du verdammter Mongo von einem Goebbelsverschnitt."

"Pass auf, oder du fängscht glei Eine. Du Schofseckel!", erwiderte der Händler drohend und zeigte dem anderen den Stinkefinger.

 

Neben dem Projektor wurden zwei riesige Speaker aufgestellt. Und einige Minuten später betrat kein anderer als DJ Disgusting den Balkon, begleitet vom tosenden Applaus des Publikums. Miss Marpple begrüsste den Star DJ:

"Meine lieben 'Phonies'. Jetzt gibt's neben den visuellen Genüssen auch etwas fürs Gemüt: Stellt eure schon halbtauben Lauscher auf und werft euch genügend Hipstasy Pillen rein. DJ Disgusting, here we go!"

 

Kurz darauf erklangen stampfend die ersten Techno Fanfaren. Die ganze Bahnhofstraße bebte förmlich und die Zuhörer gerieten vollends aus dem Häuschen.

Der Jüngling in den Designer Klamotten hatte endlich seine Kumpels ausgemacht und wollte sich freudig zu ihnen gesellen. Da quatschte ihn von der Seite jemand an: "Konn I a Stückerl mitsurfen?"

Der etwas verdutzte Bursche schaute auf die kleine, ältliche Pilgerin. Sie sah erbärmlich und mitleiderregend aus in ihren etwas zerlumpten Kleidern. Mit ihrem zerfurchten Gesicht und den strähnigen, braunen Haaren erinnerte sie ihn an eine kleine, verängstigte Maus. Er zeigte Erbarmen und streckte ihr seinen linken Unterarm mit dem implantierten Phone hin.

"Dankschön. Du bist a Netter, woast. A GANZ Netter. Übrigens, I bün die Huber-Resi aus Wien."

"Freut mich. Und ich bin der Meier-Markus aus Zwingli Town."

"Ja, aber ... des is' ja nur a Phone TATTOO", wunderte sich die Pilgerin.

"Nein, natürlich nicht. Es ist ein echtes und perfekt funktionierendes Implantat", erklärte er.

"Jo, schau'der was an ...!", meinte die Huber-Resi ganz erstaunt.

"Das ist die ZUKUNFT!", sagte der Bursche voller Stolz, wobei er hinter einer anderen Absperrung einen maskierten Mann mit dunkler Sonnenbrille ausmachte, der ihn zu beobachten schien.

 

Nur noch eine Stunde ...

 

"Hört bitte auf zu drängeln, Leute! An alle: Haltet den Zwei-Meter-Abstand wieder ein und setzt die verdammten Corona-Masken wieder auf! ALLE!!! Sonst gibt's mit dem Knüppel eins auf die Kacheln! Es sind weit mehr als fünftausend Light-Phone-20 Geräte geliefert worden. Jeder wird bedient werden. Also kein Grund, sich irgendwelche Sorgen zu machen!", sprach ein Polizist in das Megafon.

"Ihr miesen, feigen Dreckspolypen ... Gegen friedlich demonstrierende Bürger, Rentner, schwangere Frauen, Kinder und Behinderte, da habt ihr Mut, aber gegen gewalttätige Verbrecher habt ihr die Hosen gestrichen voll! Ihr Scheißkegel-Polizisten!" rief einer der Anwesenden aufgebracht.

 

Ja, der ganze Mob war wütend, in dem es brodelte voll des glühenden Hasses, der sich über Monate und Monate immer mehr aufgestaut hatte, aufgrund der ewigen Kontrollen und ausgesetzten Schikanen von faschistischen Polizeibeamten. Letztere verkörperten die üblen Schergen eines helvetischen, scheindemokratischen Stasistaates, dessen Politiker - die in Wahrheit nichts anderes als Lobbyisten waren - innerhalb nur weniger Wochen anhand eines verheerenden Lockdowns willkürlich fast die vollständige Wirtschaft an die Wand gefahren hatten. Ein einziges Desaster, auf das sie noch stolz waren. Eigentlich wurde es höchste Zeit, dass ein paar Köpfe rollten ... 

 

Es hatte mittlerweile strömender Regen eingesetzt. Tausende von aufgespannten Regenschirme bildeten eine vielfarbige Kulisse über den Köpfen der hungrigen Meute. Zehn Tage und neun Nächte lang eingepfercht wie in einem Stall, aber ohne Dach, bei Wind und Wetter. Doch die Zeit des mühseligen Wartens neigte sich langsam aber sicher dem Ende zu.

Miss Marpple und DJ Digusting hatten sich inzwischen von ihrem Phonie Publikum verabschiedet und ließen sich von ihren Fahrern ins Hotel Filou au Lac chauffieren, das direkt am Zwingli Lake lag.

 

"Warum hast du eigentlich kein eigenes Light-Phone?", wollte Markus, der Jüngling von der Huber-Resi, seiner Mitsurferin zu wissen.

"I hob män's vor zirka zwä Woch'n in Wien verlor'n. Besser g'sogt: Es ist mir g'stohl'n worden. Herst: I suech' meine zehnjährige Enkelin. I hob sie lange, lange Zeit nimmer g'sehn. Sie ist verschollen, wie vom Erdboden verschluckt."

Dabei kamen der älteren Frau die Tränen. Sie erzählte ihm, sie sei hier nach Zwingli Town gepilgert, um eine nahe Verwandte zu besuchen und sie hätte noch genau eintausend Euro, um heute Abend das neue Light-Phone zu erstehen.

"Hahahah! Da bin ich ja an eine richtige 'Phone Pilgerin' geraten", lachte der Meier-Markus.

 

 

Die letzte Stunde war vorüber und die Tore des Marpple Zentrums öffneten sich jetzt. Die Spannung steigerte sich nun ins Unermessliche. Endlich, endlich war es so weit!

Drei schwer bewaffnete Bullen auf der linken und drei auf der rechten Seite des Eingangs sorgten für Ruhe und Ordnung.

"Schön der Reihe nach, Leute. Es kommt jeder an die Reihe!", ließ einer von ihnen übers Megafon verlauten.

Der Geschäftsführer, der von seinem Büro aus im zweiten Stock des Marpple Zentrums das Gedränge durch eine Videokamera beobachtete, hatte keine sehr gute Laune. Dabei hätte er sich doch weiß Gott über das kommende lukrative Geschäft freuen müssen ...

 

... dreieinviertel Stunde später verkündete man den angehenden Käufern die Hiobsbotschaft, dass von den insgesamt fünftausenddreihundert Light-Phone-20 Geräten, welche man vorher bestellt hatte, nur zweitausend Stück geliefert worden seien. Die restlichen Dreitausenddreihundert waren einfach verschwunden, wie vom Winde verweht.

 

... eine Viertelstunde später war der erste Tumult bereits im Gange. Die Maskenpflicht und der Zwei-Meter-Abstand hatten jetzt keine Bedeutung mehr. 

Die sechs Bullen am Eingang wurden, trotz ihrer Bewaffnung, gnadenlos über den Haufen gerannt von einem guten Dutzend aufgebrachter Kunden. Diese stürmten durch die Lobby.

... ein paar Minuten später wurden die ersten Schaufenster zertrümmert. In der Verkaufslobby herrschte jetzt ein großes Tohuwabohu. Die fünf Verkäufer mussten um ihr Leben bangen. Die angehenden Käufer hatten sich in gewalttätige Chaoten verwandelt und stürzten sich auf zwei Verkäufer. Die anderen Drei konnten sich gerade noch in allerletzter Minute durch den Hinterausgang retten.

Jemand zog eine geladene Pistole und feuerte mehrere Male auf die Vitrinen, in denen ausgestellte Light-Phones lagen. Von draußen ertönten die ersten Polizeisirenen. Die Verstärkung war bereits unterwegs. Draußen eskalierte die Szene ebenfalls: Die restlichen Polizisten konnten der Lage nicht mehr Herr werden und warteten verzweifelt auf die Verstärkung, die in wenigen Minuten eintreffen sollte. Die stählernen Absperrungen kippten gleich Dominosteinen der Reihe nach um. Unter den Tausenden von Anwesenden brach Panik aus, während die mittlerweile angerückte polizeiliche Verstärkung schon ihre Wasserwerfer in Position brachte. Es wurde allmählich Zeit, denn schon flogen die ersten Pflastersteine.

Viele stießen sich gegenseitig zu Boden und kletterten, krauchten über andere. Schmetterlings Messer, Stahlruten blitzten auf. Wütende Schreie erfüllten das albtraumhafte Szenarium. Molotow Cocktails zerschlugen jetzt auch die Schaufenster von anderen, ganz in der Nähe gelegenen Geschäften. Das Zwingli'sche Inferno war entfacht. Die Stampede an der Bahnhofstraße wütete weiter und nahm ihren verhängnisvollen Lauf.

Es passierte alles viel zu schnell: Der maskierte Mann mit der dunklen Sonnenbrille, der vorhin noch als stiller Beobachter fungiert hatte, versperrte dem Jüngling im Designer Mantel plötzlich den Weg. Die Huber-Resi, die Pilgerin stand wie angewurzelt vor Angst daneben und musste zusehen, wie der sonnenbebrillte Fremde den jungen Markus zu Boden schleuderte und mit seinem linken Stiefel auf den Kopf trat. Der Angreifer zückte ein Messer von immenser Länge mit gezackter Klinge und begann seinem Opfer den linken Unterarm abzuschneiden. Der Jüngling schrie wie am Spieß ... Die Pilgerin war geschockt bis auf die Knochen. "Nääää, mein Gott!".

Ein paar schreckliche Sekunden später hatte der Fremde seinem schreienden Opfer den ganzen Unterarm abgetrennt und steckte das mit Blut besudelte Rambo Messer wieder ein. Doch anstatt schleunigst Reißaus zu nehmen, hielt er den abgetrennten Körperteil vor sich hin und wischte das Blut ab. Dann registrierte er voller Freude: "Hohohoh. Das Ding funktioniert noch. Es funktioniert. Das implantierte Light-Phone-19. Fantastisch!" Dann wandte er sich an seine zu Tode erschrockene Zeugin:

"Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben. Ich tue Ihnen bestimmt nichts. Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen das nicht ersparen konnte, meine Dame. Aber ich bin freischaffender Geldeintreiber und arbeite auch im Auftrag für die Miss-no-Credit-Bank, und es gehört halt zu meinen Aufgaben, die Schulden einzutreiben. Und wenn es auf legalem Weg nicht mehr möglich ist, zieh' ich gewisse Wertgegenstände eben mittels Gewalt ein. Dieser Kerl hier hat vor einem Jahr von der betreffenden Bank einen Kredit von 20'000 Franken aufgenommen. Er hatte lange genug Gelegenheit, diesen in Raten zu 30 % zurückzuzahlen. Aber nein, was macht dieser verdammte - und jetzt einarmige Pisser? Er leistet sich diese teure Operationen, um sich sein Phone in den linken Unterarm implantieren zu lassen und zusätzlich seinen rechten Zeigefinger zu deformieren ... vielleicht sollte ich ihm diesen auch noch abschneiden. Was meinen Sie dazu, meine Dame? ... Aber schließlich bin ich ja kein Unmensch, oder? Er kaufte noch teure Designer Klamotten, wie man sieht. Aber damit nicht genug: Heute wollte er sogar noch ein 1000-fränkiges Light-Phone 20 erwerben ... Ja, das hätte ihm so gepasst. Jetzt kann er in Zukunft per Rauchzeichen kommunizieren oder als einarmiger Bandit hier im Zwingli Downtown Kasino auftreten. Hohohoh!"

 

Keine zehn Meter entfernt nahm ein Reporter der Boulevard Zeitung Klick diese blutige Szene mit einer Filmkamera auf. "Das erinnert mich an eine makabre Illustration aus einem früheren Hustler Heft: Im Hintergrund sieht man die unzähligen Leichen von einem Flugzeugabsturz. Im Vordergrund steht ein Reporter und hält völlig erstaunt einen abgerissenen Arm mit einer Armbanduhr von einem Opfer in der Hand. "Hey listen Folks: The Timex is still ticking!"

Sein Kollega von der Neuen Zwingli Zeitung, der nur ein paar Meter weiter entfernt ebenfalls die Szene auf Kamera bannte, konnte diesem Galgenhumor nichts abgewinnen: "Du bist echt pervers, weißt du das!?"

"Ha, du hast's g'rad nötig. Du filmst ja die Szene auch. Denkst du vom ach so renommierten und noblen Zwingliblatt, du seihst was Besseres? Ruf lieber einen Krankenwagen als hier rumzulabern, du Blödmann!", meinte der Klick Reporter.

„Mit eurem Schmierantenblatt würde sich nicht mal eine Kakerlake den Arsch abwischen ... Ihr Kriegstreiber-Pressefritzen vom Dienst und dann die ständigen Hetztiraden gegen Corona-Kritiker, dann die üble Pandemie-Panikmache. Ihr korrupten Säue! Ihr helvetischen Hofschranzen! Euch allen sollte man mit glühenden Zangen eine eiserne Maske aufsetzen; die braucht ihr dann nie mehr abzusetzen ...!“, entgegnete der Andere.

 

Der Geldeintreiber mit der schwarzen Maske und der Sonnenbrille packte seine Trophäe in einen mitgebrachten Gefrierbeutel und steckte diesen in seine Jacke. Er starrte auf die immer noch unter Schock stehende Huber-Resi. Aber in Sekundenschnelle hatte sie sich wieder einigermaßen im Griff. Sie schrie aus Leibeskräften: "Hilfeee! Polizei!!!"

"Na, na, wer wird denn gleich anfangen zu kreischen! Immer schön cool bleiben."

 

Der fettleibige Gamer stand keine zwanzig Meter vom Tatort entfernt und steckte gerade sein Light-Phone ein. Er zählte zwar nicht zu den wenigen glücklichen zweitausend neuen Besitzern vom Light-Phone-20. Aber er hatte gefilmt, und nicht nur soeben das grausige Geschehen, sondern auch die ebenfalls filmenden Reporter. Filmen und gefilmt werden, so lautete wohl die heutige, nächtliche Devise.

 

Der Geldeintreiber entschloss, endlich Leine zu ziehen. Schließlich hatte er seine Mission erfüllt. "Meine Dame, ich empfehle mich. Vielleicht benötigen auch Sie eines Tage mal meine Hilfe. Man weiß so etwas ja nie ... Oh, wie schade: Leider habe ich jetzt keine Visitenkarte bei mir."

Auf dem Weg traf er auf den deutschen Viking-Met-Bull Verkäufer, den er gut kannte. "Hey! ... Hallo Molke. Hast heut' sicher 'nen Riesen Reibach gemacht, was? Jetzt brauch' ich aber 'nen Drink!"

"Bischte jetzt B'sitzer vom Modell 20?", fragte der schwäbische Verkäufer und übergab seinem Kunden die eisgekühlte Büchse.

Der Andere bezahlte, zog seine Maske nach unten, nahm einen kräftigen Schluck und grinste.

"Nö, aber ich hab' was Bess'res ergattert. Wie hat ein junger Spund noch vor wenigen Stunden gesagt: Das ist die ZUKUNFT! Jawoll: Sieh dir nur mal diese Kretins an, diese Smartphone-Freaks sind im wahren Paradies. HEY, IHR HUNDE, WOLLT IHR DENN EWIG SURFEN? Hohoh!!! ... Also, noch weiterhin gute Geschäfte. Tschüss."

Dann zerknüllte der fiese Geldeintreiber die ausgesoffene Büchse, warf sie auf das Straßenpflaster, zog seine Maske wieder nach oben und machte sich auf den Weg. Er sah irgendwie aus wie ein Mann, der später noch ein Meeting mit einem Chirurgen hatte ...

 

Stunden später saß die kleine Pilgerin beim polizeilichen Verhör. Die Ambulanz hatte den Meier-Markus, den armen Jüngling auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus gebracht, wie sie zu ihrer Beruhigung vernahm. Einer der anwesenden Beamten surfte gerade in seinem Light-Phone herum. Ganz zaghaft fragte die Huber-Resi: "Bittschön: Konn I a Stückerl mitsurfen?"

Der nette Beamte gewährte der kleinen, mausgesichtigen Pilgerin aus Austria den Wunsch. So ließ sie sich mit tragen, wie auf einer winzigen aber hoffnungsvollen Welle, jenseits des Zwingli Lakes und der sieben Weltmeere.

 

Wer weiß: Möglicherweise würde sie eines Tages ihre schon seit zwei Jahren vermisste Enkelin ausfindig machen können; sofern das zehnjährige Mädchen nicht in den mächtigen Klauen irgendeines eines pädophilen Clans steckte. 

Wohlbemerkt, an einem schönen Tag. Nicht wie an einem heutigen, bitter-bösen- und blutigen Tag, voller destruktiver Begierde, Gewalt und Chaos. Auch ein Tag, an dem dreitausenddreihundert Light-Phone-20 Geräte gefehlt hatten. Ein schlechter Tag, der inzwischen zu Ende gegangen war. Aber wenigstens hatte es inzwischen aufgehört zu regnen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Text & Cover by Carl Isangard Copyright © 2017

Bild: Autor Carl Isangard

 

 CARL ISANGARD

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 25.09.2013

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