Special zu »Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith«
Für Louisa
»Durch jeden Sturm und gegen jede Brandung ...
Bleib furchtlos!«
M.E. Lee Jonas
Kuriose Weihnachten bei Oma Vettel
- Alles andere wäre verrückt -
Über dieses Buch:
Diese Geschichte erzählt aus dem Alltag zweier der aufregendsten Charaktere der »J.J. Smith - Reihe«.
Gewidmet der Freundschaft, Loyalität und Liebe, soll sie eine letzte Lücke schließen …
Welchen inneren Kampf führten Oma Vettel und Broaf ungeachtet der großen, äußeren Rebellionen, nachdem sie Jezabel unter dem Schleier des Vergessenszaubers nach Marton schickten?
Es beleuchtet die intimen und privaten Gedanken der beiden Hauptcharaktere, die sie durch die darauffolgenden Aufgaben vorerst beiseiteschieben mussten.
Für Neu-Entdecker dieses kuriosen »Universums«:
Etliche Fragen werden im Glossar beantwortet, der Rest in den Folge-Bänden »Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith«!
Inhalt:
Kuriose Weihnachten bei Oma Vettel
Über dieses Buch:
#BlöderRasensprenger
#BlödeMarcy
#BlödeDarania
#BlöderRum
#BlöderVergessenszauber
#DerEinzigRichtigeEntschluss
#DerWeihnachtsmorgen
Glossar
Infos zur Autorin (Bücher, Projekte & Kontakt):
Copyright & Impressum
#BlöderRasensprenger
Es ist ein Dezembertag, wie er im Buche steht.
Die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel. Vom Hafen aus kann man über das azurblaue Meer beinahe bis ans Ufer der Nordinsel sehen.
Ungeachtet der Rekordtemperaturen könnte man diesen Tag als Motiv für eine Postkarte nehmen und darunter schreiben: Ein perfekter Weihnachtstag.
Doch die Einwohner Havelocks, der kleinen Hafengemeinde auf der Südinsel Neuseelands, trotzen der Hitze. Inbrünstig geben sie sich ihrem jährlichen Weihnachtsfieber hin. Emsig werden Häuser und Straßen in solch kräftigen Farben geschmückt, dass man das Gefühl hat, mitten in einem Disney-Film gelandet zu sein. Die Magie, die diesem Ort zugeschrieben wird, ist nun greifbar. Alles scheint wie elektrisiert.
Schneebedeckte Vorgärten und von Glockengeläut begleitete Rentiere sucht man hier vergebens. Doch der Duft nach Sonnencreme und frischen Muscheln mindert das Festgefühl nicht, sondern macht sichtbar, dass es außer Schneestürmen und vereisten Wegen auch andere Probleme an den Weihnachtsfeiertagen geben kann.
Der Gelassenheit, die den Neuseeländern nachgesagt wird, tut dies jedoch keinen Abbruch. Am sogenannten Ende der Welt verehrt man die Natur und arrangiert sich mit all ihren Extremen. Hier lässt sich niemand die Vorfreude nehmen.
Die Fähre macht heute extra eine Sonderfahrt, damit alle Familien zusammen feiern können. Mit wehenden, bunten Wimpelgirlanden bringt sie jubelnde Menschen an das Ufer.
Es herrscht ein ungewohnter Trubel in Havelock, das von außen betrachtet ein Dorf wie jedes andere zu sein scheint.
Gäbe es da nicht das sagenumwobene Anwesen einer mysteriösen alten Frau, Oma Vettel genannt, könnte man es sogar als langweilig bezeichnen. Eingezäunt von riesigen Kauri-Bäumen, abgegrenzt durch ein undurchdringliches Tor, wohnt die kauzige Dame außerhalb der Siedlungen auf einer Anhöhe in den Wäldern. Und jedes Jahr, wenn der Wettstreit um das bestgeschmückte Haus beginnt, werden gleichzeitig die Spekulationen über ihre außergewöhnliche Familie angeheizt.
In den letzten vierzig Jahren ist es nämlich noch keinem Einwohner gelungen, einen Fuß auf das Anwesen zu setzen - obwohl Oma Vettel alle Dorfbewohner kennt und einige davon als Freunde bezeichnet. Hunderte spannende und tollkühne Geschichten erzählt man sich deshalb, die mit jedem Punsch abenteuerlicher werden.
Doch die wahren Hintergründe für ihr abgeschiedenes Leben weiß niemand.
»Wenn sich nur einer trauen würde, mich um die ganze Wahrheit zu bitten«, vertraute sie Broaf, ihrem Diener, an.
Etwa in Oma Vettels Alter, legt dieser sehr viel Wert auf höfliche Umgangsformen. Seinen Respekt vor ihr unterstreicht er durch einen tadellosen Frack nebst polierten Schuhen. Selbst sein exakter Scheitel ist legendär, ebenso wie die Tatsache, dass er sich immer leicht verbeugt, wenn er grüßt.
»Vielleicht haben sie Angst vor der Antwort, meine Liebe«, antwortete er, worauf sie traurig seufzte.
»Iris hatte doch auch den Mut mich zu fragen.«
»Weil sie weiß, dass du nicht schweigst, um etwas zu verbergen, sondern um zu schützen«, ist er sicher.
»Sie entstammt einer uralten Adelsfamilie und redet ungern über ihre Vergangenheit. Wer hätte nicht gern so einen Diener?«, erklärt Vettels beste Freundin immer, sobald jemand versucht sie auszuhorchen.
Niemand hat dies bisher angezweifelt, auch wenn es wie ein Kapitel aus alten Zeiten klingen mag. Die exzentrische Dame polarisiert, ohne es zu wollen. Stets gut gelaunt, einem eigenen, auffällig bunten Kleidungsstil treu, belebt sie auf unerklärliche Weise. Die einen beschreiben sie als tough, lustig und aufrichtig, während andere sie als seltsam, jedoch überaus intelligent benennen.
Also irgendwie kann sie kein Einwohner wirklich einschätzen. Trotzdem bleibt der Zauber, den sie vom ersten Moment an versprüht, ungebrochen.
Dass sie tatsächlich einem adligen Clan entstammt und über Fähigkeiten verfügt, die sich die Menschen selbst in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können, merkt man ihr eben nicht sofort an.
Doch hinter der Fassade der seltsamen alten Dame verbirgt sich ein schweres Schicksal.
Ophelia Vettel Penelopé Utherina Gräfin von Winterhardt, so ihr eigentlicher Name, stammt aus einem hoch angesehenen und gefürchteten Clan des dunklen Phads aus dem Zauberreich, das parallel zu unserer Welt existiert. Dort enthüllen die Spiegel der Tore die Namen der Neugeborenen Hexen. In ihrem Fall: Vettel.
Nachdem sie sich als junges Mädchen, entgegen den Gesetzmäßigkeiten, in einen Rosaryer, ein Jüngling des weisen Phads, verliebte, wurde sie in die reale Welt verbannt. Zuvor wurden die beiden tagelang gefoltert, bis sie sich aus Liebe opferte und dem Hexenrat vorerst untergab. Dieser schickte sie als Spionin nach Havelock, ohne dass sie Konrad, so sein Name, wiedersehen durfte. Nur Broaf, ein Seelenwanderer und zugleich ihr Schützer, blieb als Diener an ihrer Seite.
Ihr abgeschiedenes Dasein ist also keineswegs das Ergebnis angedichteter Allüren, sondern die bittere Konsequenz für Mut, Selbstlosigkeit, Rebellion und bedingungslose Liebe.
Da diese letzte Eigenschaft im dunklen Zauberreich, das uns technisch weit überlegen ist, als Schwäche gilt, verbannte man sie in die Welt der Menschen. Was zu jenem Zeitpunkt niemand ahnte, war der Umstand, dass während dieser ungeduldeten Liaison ein Kind entstand. Da Vettel und Konrad jedoch getrennt wurden, zog sie Timothey allein auf. Gefangen zwischen zwei Reichen, die an Gesinnung nicht unterschiedlicher sein könnten, musste der Junge die wahre Herkunft seiner Mutter verschweigen. Er rebellierte gegen die Machenschaften des dunklen Phads und verließ sein Elternhaus kurz nach dem Schulabschluss.
Vor knapp zwölf Jahren verunglückten er und seine Frau bei einem Autounfall, den nur ihre einjährige Tochter Jezabel überlebte.
»Er war etwas Besonderes. Er war das einzige Kind, das unsere Reiche verband«, erklärt sie immer, wenn dieses Thema zur Sprache kommt. »Doch der Preis war sehr hoch. Für uns beide ...«, fügt sie traurig hinzu, worauf Broaf ihr meist sanft über die Wangen streicht.
Um jedoch ein grundsätzliches Missverständnis aus dem Weg zu räumen: Oma Vettel ist mit Abstand die gastfreundlichste und gutmütigste dunkle Hexe des gesamten Universums!
Sie nutzt ihr eigenes Schicksal, um sich im Geheimen gegen die Grausamkeiten des Hexenrats aufzulehnen. Dafür pflegt sie nach wie vor, streng vertraulich, Kontakte zu anderen ihresgleichen.
Der wahre Grund ihres abgeschiedenen Daseins ist also lediglich die Tatsache, dass sie aus der Welt der Magie stammt. Und in ihrem Haus, das ebenso voller wunderschöner Kuriositäten steckt, noch andere, sehr besondere Wesen leben. Um diese zu schützen, sowohl vor den Menschen als auch den dunkelsten aller Seelen, den fiesen Hexenratmitgliedern, wählte sie die Isolation.
»Es wäre interessant, was gewisse Ladys sagen würden, wenn sie die Wahrheit wüssten«, spöttelt sie gern. »Es ist schon merkwürdig, auf was für Ideen sie kommen, sobald ihre Neugier unbefriedigt bleibt.«
Doch ihr Gram über diese Unart ist in den letzten Jahren verblasst, denn zum überwiegenden Teil freuen sich die Einwohner über ihre seltenen Auftritte im Dorf.
Wenden wir uns damit den Wundern dieser zauberhaften Dame zu.
Vettels Haus wirkt von außen nicht sonderlich magisch. Im üblich viktorianischen Stil mit großzügiger Veranda verbirgt es im Inneren so einige Überraschungen.
Sobald man die knarrenden Stufen erklommen und die Eingangstür hinter sich verschlossen hat, offenbart sich eine Welt wundersamer Magie, geprägt durch Schönheit und ein Maß an Familiensinn, der seinesgleichen sucht. Wie viele Zimmer es aktuell gibt, weiß niemand genau. Das hängt nämlich jeweils von der Anzahl der Bewohner und deren Bedürfnissen ab. Und diese, sagen wir, regelmäßigen Umbaumaßnahmen übernimmt das Gebäude eigenständig. Das ist nicht gruselig, sondern ein wundervoller Zauber, den Vivellia, eine befreundete Magierin während eines Besuches erschaffen hat.
Die geheimnisvollsten Bewohner sind die Halfies: Wesen, die durch einen misslungenen Zauber, dessen Umkehrung unmöglich ist, geschädigt wurden. Da die eitlen, bösen Hexen jedoch nicht wollen, dass ihre Perfektion infrage gestellt wird, werden die Magie-Opfer im dunklen Teil des Zauberreichs, am äußersten Ende, auf einer Deponie versteckt. Auch wenn alle von diesem grauenhaften Ort wissen, wird er in der dortigen Öffentlichkeit verschwiegen.
Doch Vettel, für ihre rebellische Art bekannt, machte sich nach ihrer Verbannung zur Aufgabe, einige der zauberhaften Geschöpfe vor diesem traurigen Schicksal zu bewahren. Also erschuf sie in einer waghalsigen Aktion eine Art Transportmittel zwischen der Deponie und der realen Welt, das jedoch, um unentdeckt zu bleiben, seine Position ständig ändern muss. So fanden in den letzten Jahren zumindest ein paar Halfies bei Vettel ein neues Zuhause. Jeder hat einen eigenen Raum, der exakt auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Zum Beispiel lebt Yeta, die Eisfrau, in einem Iglu mitten in einer Winterlandschaft. Wogegen sich Stifios, eine riesige Spinne, in einem gigantischen Höhlenlabyrinth heimisch fühlt.
Aber keine Angst, Oma Vettel und Broaf leben wie wir in gemütlichen Zimmern. Neben ihren separaten Schlafräumen teilen sie sich den Esssalon und die Küche mit dem Halbtagshund Lincoln, dem Werschwein Diggler und Flick, einem hüpfenden Teppich.
Lincoln, dessen vordere Hälfte nur tagsüber sichtbar ist, könnte man als Chef der Halfies bezeichnen. Er kennt sich am besten mit den Gepflogenheiten beider Welten aus und hat damit schon so manchen neuen Bewohner vor großem Schaden bewahrt.
»In der Welt der Menschen gibt es andere Gefahren«, mahnt er stets.
Diggler sieht aus wie ein normales Hausschwein. Jede Nacht plündert er die Speisekammer und besteht jedoch darauf, sich vorab in eine alles verschlingende Kreatur zu verwandeln. Bis zum heutigen Tag konnte niemand beweisen, dass er sich diesen Vorgang nur ausdenkt. Er und Lincoln sind trotzdem beste Freunde und toben am liebsten mit Flick durch das Anwesen.
Es gibt noch mehr solcher illustren Wesen im Haus, doch in dieser Geschichte beschränken wir uns auf den Halbtagshund und das Werschwein.
Das einzige, das mit den Theorien der Menschen über Hexen übereinstimmt, ist Vettels hitziges Temperament. Sie hat weder eine krumme Nase mit Warzen noch einen Buckel. Im Groben amüsieren sie die menschlichen Ansichten über ihresgleichen, aber es gab auch schon einen Beinahe-Skandal. Nachdem sie auf eine fehlerhafte Darstellung von magischen Wesen hingewiesen hatte, kam es zu einem handfesten Streit mit Marcy, einer eher unbeliebten Dame aus dem Dorf. Diese hatte sich während eines Tratschmarathons darüber belustigt, dass Vettel den Kindern erklärt hatte, dass sie keine Zauberstäbe benötigen, um ihre innere Magie zu entfesseln.
Marcys Arroganz und abwertende Haltung gegenüber Zauberwesen hatte Vettel derart verärgert, dass der Diener mehrere Stunden brauchte, um sie zu beruhigen.
»Ich mag diese Person nicht, Broaf! Sie geht mit Unwissenheit hausieren und stellt uns magische Wesen als Trottel dar! Sie hat keinerlei Feingefühl für Ästhetik oder Ehrlichkeit. Und dann hat sie mich immer nachgeäfft und den Begleitsatz Dreimal schwarzer Kater! rausgebrüllt. Wer hat nur das Gerücht in die Welt gesetzt, dass wir große Zauber mit solch fahlen Worten bannen? Hast du schon mal eine Hexe gesehen, die ihrem Zepter so einen Schwachsinn zuflüstert? Nein? Ich auch nicht!«, echauffierte sie sich, worauf der Diener sich das Lachen verkneifen musste.
»Sie wissen es nicht besser«, versuchte er zu beschwichtigen.
»Und dann dieses Gute-Fee-Geplänkel! Da könnte ich jedes Mal zum Uhu werden. Wie kommen die darauf, dass alle guten Taten Feen vollbringen? Hauptsache hellhaarig, weiße Haut, spitze Ohren, Flügel ... Ich habe Marla mal gefragt, was sie davon hält. Die war nicht amüsiert«, steigerte sie sich rein.
»Elfen. Ich denke, du meinst jetzt die Elfen«, korrigierte er, worauf sie mit hochrotem Kopf provozierend nickte.
»Natürlich! Wenn die Feentheorie nicht mehr greift, nennen wir sie einfach Elfen«, zischte sie.
Da konnten auch Broaf und die Halfies das Lachen nicht mehr zurückhalten.
Im Grunde geht Oma Vettel sehr entspannt mit solchen Dingen um, aber es gibt Zeiten im Jahr, wo ihre Emotionen überfließen.
Erst gestern, als der Diener aus dem Dorf zurückkam und von den geschmückten Wagen für die Weihnachtsparade schwärmte, gab es solch einen Vettel-Eklat. Er hatte wohl zu lang von dem mit dem Weihnachtsmann und Elfen geredet.
»Seht ihr! Die widersprechen sich doch selbst. Seit wann ist ein dickbauchiger, weißhaariger Bartträger der Chef von Elfen? Und warum tragen sie dann keine wallenden Gewänder, sondern Ringelsocken?«, wollte sie wissen.
»Um einer erneuten Diskussion über menschliche Fantasie aus dem Weg zu gehen: Du hast recht! Und bitte, bewirf den Wagen dieses Jahr nicht wieder mit Karamellbonbons. Das sind Menschen, Vettel. Die brauchen ihre Geschichten«, bat er.
»Diese Karamellbonbons mag sowieso kein Mensch! Zudem ist das eine Art physikalischer Menschenzauber. Zucker schmilzt bei hohen Temperaturen und bleibt an gestrichenen Festwagen mit grün-rot gestreiften Elfen hängen! Ende«, polterte sie, worauf Broaf lachen musste.
»Wenn du das so für dich rechtfertigst, werde ich natürlich schweigen und wie immer so tun, als wüsste ich von nichts«, gab er klein bei.
»Du meinst also, ich wäre im Unrecht?«, fragte sie provozierend nach.
Der Diener sah sich in einer Zwickmühle. »Niemand wagt es, dir zu widersprechen, meine Liebe. Aber wenn wir uns morgen mit Plakaten an den Straßenrand stellen: Elfen tragen keine Ringelsocken! Hört auf magische Wesen zu verunstalten!, würde es nichts ändern! Natürlich kann ich deine Anspannung verstehen, doch wir dürfen nicht vergessen, dass sie keinen Einblick in ein magisches Ding namens Große Wahrheit haben. Wenn sie glauben, dass Elfen, Engel, Hexen oder andere Wesen so oder so aussehen und handeln, müssen wir das akzeptieren«, erklärte er, worauf sie impulsiv schnaubte.
»Wenn die wüssten, dass unser Oberboss eine Frau ist!«
»Dann würden sie es ebenso anzweifeln. Es ist nicht deine Aufgabe aufzuklären, dass sie nur ein geringer Teil dieses Universums sind. Magie ist etwas außergewöhnliches, weil es eben nicht alltäglich ist. Zudem wäre es langweilig, wenn wir uns morgen nur Festwagen mit normal gekleideten Menschen ansehen müssten«, versuchte er das Gespräch zu entspannen.
»Du hast recht, Broaf«, schnaubte sie.
»Ich habe recht. Nichts weiter?«, fragte er verunsichert, da diese Aussage meist bedeutet, dass sie sehr aufgewühlt ist.
»Was erwartest du denn für einen Gegenkommentar? Du hast recht! Es wäre langweilig, wenn wir uns nur Menschen ansehen müssten. Punkt!«, schloss sie ab und trampelte aus der Küche.
»Ich weiß nicht, wie es dir geht, Broaf. Immer wenn Oma Vettel sagt, du hättest recht, bekomme ich eine Gänsehaut«, flüsterte Lincoln, worauf der Diener rot anlief.
»Geht mir genauso«, antwortete er und folgte ihr, um den Streit zu schlichten.
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Beenden wir damit die verzwickten Erklärungen, wer oder was, wie oder wo oder gar wann diese Geschichte passiert. Wichtig ist nur, dass dies der Beginn einer fantastischen, wenn auch nervenaufreibenden Reise mit außergewöhnlichen Helden ist:
Heute ist der 24. Dezember …
Und wie in jeder normalen Familie sollte der Zauber der Weihnachtsfeiertage den Schleier jeglicher Anspannungen vertreiben. Aber nicht im Hause Winterhardt!
Mal abgesehen davon, dass die Vorbereitungen ganz andere sind, als bei gewöhnlichen Menschen, gilt die Hausherrin als sehr penibel, was die Versorgung der Bewohner betrifft. Deshalb müsste Broaf eigentlich schon längst in der Küche rotieren, um das Festmahl gemäß der unterschiedlichen Bedürfnisse vorzubereiten. Doch entgegen der Hoffnung, dass er diese Festtage mit besinnlichem Gesang und kulinarischen Highlights einläuten kann, muss er sich mit dem Rasensprenger rumplagen.
Da auf dem Anwesen alles anderen Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist, findet man im Garten natürlich nicht nur gewöhnliche Pflanzen aus der realen Welt. Blumen von außergewöhnlicher Farbenpracht und Größe wachsen hier. Auch solche, die sprechen können, wie das Sonnenblumenorakel Florence. Es gilt als extrem engstirnig, da es sich gern länger bitten lässt, bis es antwortet. Das hat Vettel manches Mal derart zur Weißglut getrieben, dass der Diener, um das zu umgehen, Florence die meiste Aufmerksamkeit schenkt. Mitten in dieser wundersamen Umgebung gibt es aber auch ein sehr ätherisches Wesen. Die Blütenschaukel ist das empfindsamste Geschöpf aus dem Zauberreich, auch wenn sie enorm belastbar ist. Oma Vettel besteht darauf, dass sie nur mit reinem Quellwasser benässt wird, um sie nicht zu verunreinigen. Normalerweise regelt dies ein handelsüblicher Rasensprenger.
Doch heute Morgen ist es wie verhext. Über eine Stunde versucht Broaf nun schon das Gerät zu ermutigen, den Garten zu bewässern. Verschwitzt und leicht gereizt läuft er durch die Blumenreihen und sucht nach der Ursache. »Man könnte meinen, dass sich Vettels Sturheit auf das Haus überträgt. Es gab noch nie Probleme mit dem Rasensprenger. Warum ausgerechnet heute?«, flucht er leise.
Diggler, der das Spektakel schon eine Weile beobachtet, holt eilig Hilfe. Er fürchtet nämlich, dass der Diener sich sonst nicht der Zubereitung des Weihnachtsessens widmen kann.
»Hast du alle Schläuche nachgesehen?«, brüllt Vettel von Weitem.
Broaf, dessen Gesicht von der Sonne erhitzt ist, schnaubt. »Ich habe sie zehn Mal überprüft. Sie sind in einwandfreiem Zustand«, antwortet er und rennt zum Wasserhahn.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: M.E. Lee Jonas
Cover: M.E. Lee Jonas
Tag der Veröffentlichung: 17.01.2020
ISBN: 978-3-7487-2646-3
Alle Rechte vorbehalten