Cover

1.

"Wie ist denn die Kleiderordnung?", wollte ich von Jack wissen als ich mit einem Stirnrunzeln vor dem Kleiderschrank stand. Mein Freund verdreht nur die Augen. "Mir ist es komplett egal was du anziehst, das weißt du doch."
Er hatet gut reden. Als Junge hatte er es ohnehin total leicht, musste doch nur ein schwarzes t-shirt zu Jeans anziehen und schon konnte er problemlos zu jeder Veranstaltung und brauchte nichts weiter um mit seinen braunen Augen und ebenso braunen verwuschelten Haar alle Mädchenaugen auf sich zu zu ziehen.
"Wäre es dir denn auch egal, wenn ich nackt gehe?", fragte ich mit einem Augenaufschlag. Er zuckt nur mit den Schultern. "Du weißt ich unterstützte dich bei allem, Lizzie." Eifersucht ist Jack total fremd, das war nur eins der Dinge die ich an ihm schätzte.
"Außerdem setzt du deinen sturkopf sowieso immer durch", lachte er und gab mir einen Kuss auf meine Stirn. Sofort breitete sich eine angenehme Wärme in mir aus. Jack fühlte sich an wie Zuhause.
Schließlich entschied ich mich für einen schlichtes, schwarzes Skaterkleid. Jetzt wo ich endlich Jacks Freunde kennenlerne wollte ich nicht direkt einen schlechten Eindruck machen, meine langen roten Haare band ich nur zu einem pferdeschwanz zusammen und folgte dann Jack die Treppe hinunter aus meiner WG.
Meine Mitbewohnerin Amy, die wir auf dem weg zur Tür in der Küche trafen wünschte uns einen schönen abend, vergrub sich aber nur Sekunden später wieder in ihrem Politikbuch. Sie war die Musterschülerin hier in unserer WG, was mich daran erinnerte, dass ich definitiv auch mal mehr machen sollte, aber ich schob den Gedanken sehr schnell sehr weit weg.

Ich musste zugeben, dass ich ein bisschen nervös war. Jack hatte ich vor etwa einem Jahr aufgesammelt, als ich ihn in der Bibliothek ins Leere starrende getroffen hatte. Mit zwei älteren Brüdern erkannte ich ein unglückliches männliches Wesen, das sich vor seinen Gefühlen versteckte und etwas in seinen Gesichtszügen war mir so sympathisch vorgekommen, dass ich ihn mir als Projekt vorgeknöpft hatte.

Seinen anfänglichen Unglauben darüber, dass ich ihn partout nicht mehr in Ruhe ließ, konnte ich langsam aus dem Weg räumen. Er war sehr reserviert gewesen anfangs, es war ihm anzusehen, dass er gerade einen Verlust verarbeitete. Oder eher gesagt verdrängte. Ich brauchte elf Monate voller Geduld um die Worte aus ihm zu bekommen und vor drei Wochen hatte er es mir schließlich gesagt, nachdem ich mehr oder weniger gestanden hatte, dass ich mir mehr als Freundschaft wünschte.

Er hatte seinen Mate verloren, seine Gefährtin. Für ein Werwolf ein ziemlich sicheres Todesurteil, der Wolf in ihm litt schreckliche Qualen und die Trauer war beinahe unerträglich. Etwas ungläubig zunächst, hatte ich ihm die Existenz von Werwolfen tatsächlich abgekauft. Jack vertraute ich mir als mir selbst und so einen Witz hätte er sich niemals erlaubt. Das hatte ihn widerum in Erstaunen versetzt.

„Du glaubst mir das einfach so und akzeptierst es?", fragte er mich damals ungläubig. Ich zuckte nur mit den Achseln. „Du hattest schon genug Gelegenheiten mich anzulügen und mir wehzutun. Warum solltest du es jetzt tun?"

Dieses Problem aus dem Weg geschafft, hatte er es langsam geschafft sich mir auch einer mehr als freundschaftlichen Art zu öffnen, auch wenn ihm die schwere Last manchmal noch anzusehen war. Seine Gefährtin mit zwanzig zu verlieren, das war so viel Pech wie man als Werwolf haben konnte, den eigenen Tod vielleicht abgesehen.

Und jetzt nahm er mich mit zu seinem Rudel, einfach so.

„Meine Schwester will dich gerne kennenlernen", hatte er es achselzuckend begründet, was mich sehr neugierig machte. Ich brannte schon lange darauf seine Familie kennenlernen, aber etwas Restangst konnte ich nicht loswerden.

Abgesehen von meiner Eskapade bei der ich mir Jack geschnappt hatte, war ich was neue Menschen betraf immer erst mal vorsichtig.

„Wo fahren wir eigentlich hin?", erkundigte ich mich, nachdem wir in seinen schwarzen Volvo eingestiegen waren.

„Wir fahren nicht allzu weit, etwa fünfzehn Minuten. Einen Ort kann man das allerdings nicht nennen", er lachte. „Eher ein Plätzchen im Wald."

Etwas unruhig tippte ich mit meinen Nägeln an die Fensterscheibe und beobachtete wie die Dunkelheit an uns vorbeiflog.

„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. In der Regel sind alle sehr nett bei uns", behauptete er. „Und Sienna liebt dich jetzt schon ohne dich zu kennen."

Als wir also am Ziel angekommen aus dem Wagen ausstiegen standen wir vor einem großen Haus aus Ziegelsteinen mit riesigen Fenstern, über und über bewachsen mit Efeu. Es war ein starker Kontrast.

„Das Packhaus", informierte er mich und machte sich auf den Weg Richtung Tür, für einen Moment abgelenkt eilte ich ihm hinterher und schnappte mir seine Hand.

„Hey, warte", in dem Moment öffnete sich die Tür und eine kleine, drahtige Blonde stand lächelnd an der Tür.

„Du bist Elizabeth, ja? Es ist so toll dich endlich zu treffen!", ihre ebenfalls braunen Augen, wie die ihres Bruders strahlten warm.

„Sienna? Hi!", und das war es. So schnell entschied ich ob mir Menschen sympathisch waren, Sienna hatte mich schon gewonnen. Aber Jacks Schwester hätte ich ohnehin jemals nicht mögen können.

„Kommt doch rein", und als ich hinter Jack ins Haus eintrat lag ich auch schon abrupt in ihren Armen. Etwas überrumpelt, aber positiv überrascht erwiderte ich die Umarmung.

Also wenn hier alle waren wie Sienna, dann hatte Jack Recht gehabt.

„Ach du bist ja so hübsch", seufzte sie, „kein Wunder, dass du meinen Bruder um den Finger gewickelt hast." Ich lachte nur. „Ich fürchte das hat weniger mit meinem Äußeren zu tun, als damit, dass ich ihn sehr ausdauernd gestalkt habe. Irgendwann verliert jeder die Kraft sich gegen mich zu wehren", grinste ich und gab Jack einen spielerischen Knuff gegen die Schulter.

„Da ihr euch ja direkt wie Herz und Seele versteht gehe ich einmal nach Phil suchen, ich muss noch was mit ihm klären." Ich holte mir noch einen kleinen Kuss, Jack strubbelte mir einmal über die Haare und verschwand dann.

„Magst du was trinken?", fragte mich Sienna, die nun wirklich strahlte, nachdem sie es gesehen hatte.

„Einfach Wasser, gerne.", nahm ich das Angebot an und sie führte mich mit in die Küche.

„Wie lange seid ihr jetzt eigentlich zusammen?", fragte sie mich schließlich nachdem sie mir ein Glas Wasser in die Hand gedrückt hatte. „Das ist einfach typisch Jack. Er erzählt mir immer viel zu wenig von dir."

Ich ließ mich bereitwillig ausfragen und Sienna wurde mir zusehends sympathischer.

„Komm wir gehen dich mal den anderen vorstellen, ich habe dich jetzt genug für mich beansprucht", zwinkerte sie.

Das Wohnzimmer in das sie mich führte war wirklich schön, es gab mehrere riesige Sofas, und alles war so offen und hell. „Wirklich ein schönes Haus hier", kommentierte ich und drehte mich dann zu den Personen um die gerade ebenfalls ins Zimmer kamen. Neben Jack kamen dort ein sehr großer schwarzhaariger mit eisblauen Augen und ein braunhaariger der Jack gewissermaßen ähnlich sah, aber ganz andere Gesichtszüge besaß. Ich lächelte Jack zu und auf einmal ging alles sehr schnell, viel zu schnell.

Der schwarzhaarige guckte zwischen mir und Jack einmal hin und her und nur eine Millisekunde später stürzte er sich mit einem lauten Knurren auf ihn.

„Jack!", ich war zu Tode erschrocken. „Sienna, mach was!"

Und wie durch meine Worte erst erweckt löste diese sich neben mir aus ihrer Schockstarre.

„Ich kann nichts machen!", fauchte sie. „Will ist der Alpha. Phil, tu du was!"

Noch während sie es aussprach hatte der Braunhaarige sich schon zwischen die beiden geschmissen und einen Schlag von Will abbekommen.

„Komm runter!", rief er, als er sich die blutende Wange hielt. „Du hast mich getroffen." Aber dieser scheinbar komplett unkontrollierte Will knurrte weiterhin, auch wenn er nun nicht mehr an Jack rankam.

Jack hatte also doch falsch gelegen. Das hier war ein absolutes Irrenhaus. Da stürzte sich einfach irgendein Idiot auf ihn.

Es war vielleicht nicht die beste Idee die ich je hatte, aber das wusste ich in dem Moment noch nicht, besorgt rannte ich zu meinem Freund und legte eine Hand an sein verschrammtes Gesicht. „Gehts dir gut?", erkundigte ich mich. Nur im Hintergrund hörte ich wie Will wieder anfing zu knurren und Phil ihn versuchte von Jack fernzuhalten.

„Lizzie, geh weg von mir", flüsterte er und ich starrte ihn entsetzt an, fragend.

„Geh weg!"

Verletzt stolperte ich ein paar Schritte zurück, direkt in Siennas Arme.

„Ich erkläre dir alles gleich", versuchte sie mich zu beruhigen, und lotste mich zum Sofa. Es erschien mir alles so surreal, was war das hier für ein Albtraum.

„Du wirst sie nicht mehr anfassen!", knurrte Will, während er mit glühenden Augen versuchte an Phil vorbeizukommen. Mein Herz pochte, ich hatte Angst um Jack, was, wenn dieser Irre Phil überwältigte?

Jack hob nur die Hände. „Ich habe sie schon gehen lassen", keuchte er, er sah schlimm zugerichtet aus. Sprachen die über mich?

„Er hat doch nachgegeben, Kumpel", schaltete Phil sich wieder ein. „Fahr deine Krallen ein und beruhig dich." Dem Angesprochenen schien es viel Kraft zu kosten sich runterzufahren, aber schließlich atmete er ein paar Mal tief durch und machte einen Schritt zurück und sein Blick ging suchend durch den Raum und fand mich.

Es traf mich bis ins Mark, er sah direkt in mich, in mein tiefstes inneres.

Als er Anstalten machte sich zu mir zu bewegen, war Schluss mit meiner Geduld.

„Wage es nicht mir zu Nahe zu kommen!", giftete ich.

Er lachte nur. „Sonst, Kleines?", und seine blauen Augen funkelten wie in Freude an einem neuen Spiel.

„Will, hau ab. Jetzt.", versetzte Phil noch einmal. Waren Phil und ich die Einzigen die etwas gegen diesen Blödmann sagten. Warum hatten Sienna und Jack plötzlich ihre Sprache verloren?

Wills Körperhaltung wurde wieder drohender und ich gebe es zu, nun mischte sich auch ein wenig Angst um mich selbst in diesen Gefühlscocktail.

„Du bist nicht du selbst, lass mich nichts tun was ich bereue.", warnte ihn Phil, Will allerdings reagierte überhaupt nicht darauf. In dem Moment hörte ich Phils Kleidung reißen, sah einen verschwommenen Wirbel an Bewegung und plötzlich stand da ein grauer Wolf im Wohnzimmer. Wobei stand nicht richtig ist, er stürzte sich in einer flüssigen Bewegung auf Will, dessen Instinkte noch einen Moment schneller reagierten als mein Verstand und sich ebenfalls in einen wirklich monströsen schwarzen Wolf verwandelte.

Den Kampf würde Phil verlieren, aber nicht so schnell, das hoffte ich jedenfalls, als er Will aus dem Haus kämpfte.

„Was ist hier los?", verlangte ich zu wissen, als die beiden endlich verschwunden waren. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, meine Hände waren schmerzhaft ineinander gekrallt.

Während Sienna mir sanft über den Rücken strich und offensichtlich nach Worten suchte stand Jack endlich auf. Mit brennenden Augen verfolgte ich seine Bewegungen, aber er wollte ja nicht, dass ich zu ihm ging. Das hatte er sehr klar ausgedrückt.

„Also, Lizzie. Jack hat dir ja von dem Mechanismus bei Werwölfen erzählt. Er hatte ja bereits einen Mate." Ich starrte sie an, voller Unverständnis. „Nun ja, gerade hat sich herausgestellt, dass Will dein Mate ist." Mit wachsendem Entsetzen hörte ich zu.

„Will wird kein männliches Wesen mehr an dich heranlassen. Und wenn du nicht willst, dass viele hier verletzt werden, dann solltest du das besser nicht passieren lassen."

„Ich bin aber mit Jack zusammen", erwiderte ich tonlos.

„Liebes, ich weiß, dass ist hart – du weißt ja, Jack hat seinen Mate schon verloren. Er kann nicht jemand anderen seine Gefährtin wegnehmen. Abgesehen davon, dass Will als Alpha ohnehin stärker ist als er."

„Das heißt ich habe da kein Wort mitzureden? Ich bin wie ein Objekt, dass hier von Person zu Person geschoben wird?", ich versuchte nicht so angeekelt zu klingen wie ich war, aber es gelang mir nicht allzu gut.

Sienna guckte unglücklich. „Wenn du es so formulieren möchtest. Ein Teil davon ein Wolf zu sein, ist es, strenge Regelungen einzugehen. Aber es hat nicht nur Nachteile."

Ungläubig starrte ich sie an.

„Das Gefühl in einem Rudel zu sein, ist einfach unglaublich. Und du wirst glücklich sein mit Will. Du bist sein Gegenstück. Früher oder später werdet ihr euch finden, wenn einer von euch Sturköpfen sich allzu sehr dagegen wehrt.", dabei lächelte sie etwas gequält.

„Geht es Jack gut?", ignorierte ich ihre vorherige Aussage.

„Ach", Sienna zuckte mit den Schultern. „Der hat schonmal schlimmeres abbekommen. Will ist eigentlich sehr selbstbeherrscht, sonst hätte das hier sehr viel hässlicher geendet."

„Das ist für dich selbstbeherrscht?", entfuhr es mir entsetzt.

„Glaub mir, wenn Will sich nicht zurückgehalten hätte, hätte Phil Jack nicht vor ihm schützen können."

Ich war mir nicht so sicher ob mich das wirklich beruhigen sollte.

„Genug für heute abend, komm, ich fahr dich nach Hause." Sie half mir dabei aufzustehen und schob mich Richtung Auto.

„Kommt Jack mit?" Sie schüttelte nur entschuldigend den Kopf.

Ich konnte nicht anders, als wir schließlich in ihrem Auto saßen und schwiegen rollten kleine Tränen meine Wangen herunter. So hätte das nicht laufen sollen. Jetzt durfte Jack mich nicht mal mehr anfassen, alles wegen diesem blöden Will. Unglücklich vergrub ich meinen Kopf in den Händen.

Zuhause angekommen war das erste was ich tat, nachdem Sienna verschwunden war, die Tür abzuschließen. Ich duschte, einfach um meine angestrengten Muskeln etwas zu lösen und kuschelte mich dann in meinen flauschigsten Pyjama. Einer unbestimmten Ahnung folgend spähte ich einige Minuten später aus dem Fenster zur Straße und entdeckte Siennas Auto, welches dort immer noch stand.

Na super, wurde ich dann jetzt auch noch bewacht damit ich ja nicht weglief.

Es dauerte Stunden bis ich endlich schlief, was allein pragmatisch betrachtet sehr unpraktisch war. Morgen war Schule. 

 

2.

Der nächste Morgen begrüßte mich mit Sonne und für einen Moment hatte ich tatsächlich gute Laune nach dem Aufstehen, so lange, bis ich mich an gestern erinnerte.

Unmotiviert suchte ich mir meine Jeans und einen schlichten Pullover zusammen, meine Haare ließ ich einfach offen über meine Schultern fallen.

Mit meiner Tasche über der Schulter versuchte ich mir mehr oder weniger verzweifelt einen Kaffee aus der Kaffeemaschine zu bekommen, die mir je nach Tagesform dafür unterschiedlich viel Gewalt abverlangte.

Als ich den Kampf gewonnen hatte, schneite Anna hinein, im Schlepptau Amy.

„Guten Morgen", verkündete Anna, mit ihrer wie üblichen guten Laune.

„Morgen", versetzte ich knapp und verbrannte mir prompt meine Zunge am brühend heißen Kaffee. Classic Lizzie, das tat ich jedesmal.

„Na? Wie war dein Abend?", wollte Anna weiter wissen, und auch Amy spitzte gespannt die Ohren. Die Klatschtante in dieser WG war definitiv Anna, aber auch Amy war dem nicht unbedingt abgeneigt.

„Och", murmelte ich, „war ganz okay." Ich konnte ja schlecht sagen, dass Jack von einem bescheuerten Alpha-Werwolf angegriffen wurde und mir der Umgang mit ihm verboten wurde.

Anna zog eine Augenbraue hoch, und tauschte einen Blick mit Amy.

„Wir reden da später noch mal drüber, Herzchen", verkündete sie und ich wusste, dass ich Schonfrist bis nach der Schule hatte.

Ich war mit sechzehn, vor etwa einem Jahr also, in der WG eingezogen, als meine Oberstufe begonnen hatte. Da ich das Glück hatte an der Hale-High-School angenommen zu werden, die allerdings mehrere Stunden entfernt von meinem Heimatsort entfernt lag, hatte ich auf einer Plattform Anna und Amy gefunden. Es hatte sofort gefunden, Annas Vater, sehr reich, hatte ihr das Apartment in direkter Schulnhähe geschenkt. Diese hatte aber keine Lust hier alleine zu leben und hatte nach Mitbewohnern gesucht, ein seltenes Glück für mich. Wunderschönes Zimmer und bezahlbare Miete.

„Kommt Leute, wir müssen los", kam Amy also ihrer Rolle nach. Zu spät kommen, war eine Horrorvorstellung für sie.

Wir kamen, wie immer, dank ihr zehn Minuten zu früh und verstreuten uns recht schnell einzeln über das Gelände, wir hatten sehr unterschiedliche Kurse.

Als ich heute also in langsamen Tempo mit Kaffee in der Hand Richtung Mathebau schlenderte schoben sich plötzlich mehrere Mitschüler neben mich und stürzten sich förmlich auf mich voller Begrüßungen.

Etwas unvorbereitet stammelte ich irgendetwas zurück und hatte auf einmal die Schüler aus Wills Rudel kennengelernt.

Die Zwillinge, zwei quirlige Mädchen mit strohblonden Haaren stellten sich mir zuerst vor, Lia und Lou. Jared war der große mit den grünen Augen, Shaunee die kleine dunkelhäutige mit der Traummähne schlechthin und Evan war der typische blonde Sportler, vollbepackt mit Muskeln.

„Elizabeth, aber nennt mich ruhig Lizzie", fühlte ich dann auch die Verpflichtung meinen Namen zu nennen.

„Das wissen wir doch", lachte Lia, oder war es Lou? Ich konnte die zwei wirklich nicht auseinanderhalten. „Du bist Wills Mate. Wir haben alle schreckliches Mitleid mit dir." Beim letzten Satz zwinkerte sie mir zu.

Man konnte nicht anders, als bei diesem Sonnenschein nicht wenigstens ein bisschen zurückzulächeln.

„Ich weiß", seufzte ich theatralisch. „Ist er wirklich so ein hormongesteuerter Rohling wie das gestern wirkte?" Lou und Lia fingen an zu kichern.

„Mach dir keine Sorgen", wand Shaunee ein, ihrer braunen Augen blickten mich ernst an. „Will ist wirklich sehr kontrolliert, kein Vergleich zu den anderen hier, wenn sie ihren Mate finden." Bei ihren letzten Worten stieß sie Evan freundschaftlich in die Schulter, der daraufhin nur die Augen verdrehte.

„Also ich fand das sehr romantisch", grinste Lou, oder eben Lia, und lehnte sich zu Evan um ihn zu küssen.

„Ja, Lia, im Nachhinein", seufzte Shaunee.

„Und ich meine, Will hat schon unglaubliche Augen, oder?", zwinkerte Lou mir zu. Etwas überfordert lief ich rot an, es stimmte schon, ich fand Will jetzt nicht gerade unattraktiv.

„Jetzt vergrault sie doch nicht gleich, Leute!", jammerte Shaunee. „Komm ich bringe dich zu Mathe", und zog mich hinter sich her.

„Bis später in der Mittagspause!", rief mir Lou noch hinterher.

„Tut mir Leid wegen den Chaoten", entschuldigte sich Shaunee bei mir, „eigentlich sind sie alle sehr nett. Aber es zieht Wölfe einfach zu der Gefährtin des Packleaders, du wirst nicht mehr so oft deine Ruhe haben."

„Ich komme damit einfach nicht klar", flüsterte ich schließlich. „Ich kann nicht einfach so was mit Will anfangen. Ich bin, oder war, ach, keine Ahnung doch mit Jack zusammen."

Shaunee guckte mitleidig. „Das Gerücht habe ich gehört, aber ich hatte gehofft es wäre nur eben das, ein Gerücht." Sie schaute mir ernst in die Augen. „Liebst du Jack?" Ich wollte ansetzen und sie unterbrach mich „Ich meine, wirklich?"

Das brachte mich zum Nachdenken. Liebte ich Jack? War ich verliebt, das bestimmt. Aber liebte ich ihn? Wenn ich ehrlich war, wusste ich das nicht wirklich.

„Das meine ich", sie lächelte mir schief zu. „Es ist schwer, für eine Gefährtin jemand anderes wirklich zu lieben, der nicht ihr Gefährte ist."

„Das ist mir egal.", behauptete ich stur. „Ich lasse mir von Will nicht verbieten mit Jack zusammen zu sein."

Dazu schwieg sie nur, legte mir aber sanft einen Arm um die Schulter. Ich mochte Shaunee. Sie hatte so eine zuneigungsvolle Art an ihr, die mich dazu brachte ihr schon jetzt zu vertrauen.

Mathe mit Shaunee verging wie im Flug, einmal von dem für mich schwer verdaubarem Will-Thema weg, war es wirklich amüsant neben ihr zu sitzen und mit ihr zu plauschen.

In der Cafeteria saß ich also mit den Leuten aus dem Pack zusammen an einem Tisch und ich musste zugeben, das es wirklich ein netter Haufen war.

Evan und Lia klebten förmlich aneinander und ich konnte nicht anders, als mich zu fragen, ob das mit Will und mir auch so werden würde, schob den Gedanken dann aber schnell wieder davon. Was sollte das? Wie schnell war mein Gehirn denn schon infiltriert?

Jared war sehr schweigsam, aber ab und an warf er mir ein paar nette Blicke zu, hielt sich ansonsten aber an Shaunee. Lou, die man wie ich jetzt kapierte, vor allem daran erkannte, dass sie eben nicht an Evan hing, brachte Leben in die ganze Runde.

„Und?", wollte sie von mir wissen,"Kommst du morgen Abend auch zum Packmeeting?" und ich verschluckte mich fast an meinem Essen.

„Was passiert da denn genau?", erkundigte ich mich und sah dabei in Richtung Shaunee.

„Alle Rudelmitglieder kommen zusammen und es werden Packthemen besprochen", sie zuckte mit den Schultern. „Das ist nichts großes, du kannst gerne kommen." Ohoh, ein Zusammentreffen von Will, Jack und ich war auch noch dabei. Aber ich musste zugeben, eine gewisse Zugehörigkeit zum Rudel verspürte ich schon, ich hatte das Bedürfnis dabei zu sein.

„Ich schaue mal", murmelte ich.

„Schade", grinste Lou, „ein bisschen Action hätte ich mal ganz cool gefunden." Zum Glück erlöste mich die Schulklingel in dem Moment von einer Antwort und ich machte mich gemeinsam mit Jared auf den Weg zu Kunst.

Keiner von uns beiden sagte etwas, aber es war eine angenehme Stille. In einem Anflug von Mut setzte ich mich im Kunstsaal neben ihn, obwohl wir uns nur anschwiegen.

Die Lehrerin, Professorin Reuter, eine exzentrische Person von oben bis unten, ließ uns heute ein bisschen mit surrealistischen Motiven herumspielen, was mir ausgesprochen schwerfiel. Jared neben mir hingegen, wie ich feststellte, als ich auf seinen Skizzenblock spähte, zeichnete wie ein Gott. Unübertrieben, seine Finger glitten nur so über das Papier und hinterließen makellose Formen.

Professorin Reuter war wirklich begeistert von Jared, aber der schien das eher nervig als schmeichelhaft zu finden. Zu meiner unbeholfenen Skizze tätschelte sie mir nur mütterlich den Kopf und kommentierte es freundlicherweise nicht.

„Wo hast du denn gelernt so zu zeichnen?", traute ich mich ihn zu fragen, was er nur mit einem gegrummelten „Meine Mutter." beantwortete.

Das waren auch die Einzigen Worte, die wir in der ganzen Stunde miteinander wechselten. Vor dem Saal wartete dann auch wieder direkt die ganze Gruppe auf mich und mich beschlich da langsam ein ungutes Gefühl.

Das konnte unmöglich sein, nur weil sie mich alle nett fanden.

„Sag mal," begann ich unhöflich „kann es sein, dass ihr mich alle babysitten müsst?"

Sofort schwiegen alle betreten, auch Lia und Lou die vorher noch ein bisschen miteinander herumgekabbelt hatten.

Es war scheinbar nicht genug, dass ich jetzt nachts jemanden Wache vor meinem Fenster schieben hatte, nein, jetzt musste ich auch noch in der Schule betreut werden. Dieser verdammte Hund. Entsetzt drehte ich mich um und versuchte mich möglichst schnell von der ganzen Gruppe zu entfernen, aber natürlich mussten sie mich verfolgen. Will hatte es ihnen ja befohlen.

Shaunee schloss zuerst zu mir auf „Es tut mir leid! Ich habe ihm gleich gesagt, dass es eine schlechte Idee ist, aber er wollte ja nicht hören."

„Ganz schlechte Idee", giftete ich. „So bekommt er mich bestimmt nicht dazu, dass ich tue was er von mir will."

Sie verzog das Gesicht. „Wo gehst du hin?", fragte sie unglücklich.

„Ach, das will der Herr jetzt auch noch wissen? Richte ihm aus, dass ihn das überhaupt nichts angeht!"

„Ich muss dich zu ihm bringen, Sorry, Lizzie." Und nun sah sie wütend aus, allerdings nicht auf mich.

„Tja", schnappte ich. „Pech gehabt. Ich komme ganz bestimmt nicht mit."

„Bitte", und nun klang sie etwas flehentlich „ich will dich nicht zwingen müssen."

„Das brauchst du nicht", ertönte eine laute Stimme hinter uns, überrascht stellte ich fest, dass es Jared war. „Ich kann sie beschützen. Da ist er zu weit gegangen."

„Ach ja? Und du stellst dich gegen deinen Alpha?", fragte Shaunee spitz.

Jared lachte. „Mein Bruder kann überhaupt wenig gegen mich machen." Das war es also? Erst jetzt begriff ich, was mir viel früher hätte auffallen sollen. Jared war Wills Bruder.

„Oh, du meinst, außer dich angreifen und zerfleischen?"

„Soll er doch versuchen", zuckte Jared mit den Schultern. Dann wandte er sich an mich. „Willst du, dass ich dich wegbringe?" Und etwas in seiner Art beruhigte mich einfach total.

„Ja, bitte", seufzte ich erleichtert. Die wütenden Rufe der anderen einfach ignorierend, brachte er mich zu seinem Auto und ließ mich einsteigen.

„Wo fahren wir denn hin?", wollte ich wissen und fing langsam an mich zu entspannen. Ich vertraute Jared, er schien nicht vor seinem großen Bruder zu kuschen, wie all die anderen hier.

„Nach Atlanta", gab er bereitwillig Auskunft, „im Wald kann er dich gut aufspüren, aber in einer großen Stadt wird es schwierig."

Nun außerhalb der Schule war er ganz anders, seine wortkarge Art blieb ihm zwar erhalten, aber er schien sich ebenfalls etwas zu lösen.

„Was ist das bitte mit deinem Bruder? Was ist das für ein Kontrollfreak?"

Ich sah ein kleines Lächeln über seine Gesichtszüge huschen. „Die Kontrollversessenheit liegt in der Familie."

„Und warum zur Hölle hört dann jeder auf ihn?"

Jared zuckte nur mit den Schultern.

„Er ist der Alpha, die anderen haben keine andere Wahl als auf seine Befehle zu hören."

„Und was ist mit dir?" Dem musste man aber auch alles aus der Nase ziehen.

„Familienbonus."

„Und was passiert genau, wenn Will erfährt, dass wir getürmt sind?"

Sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass das genau das war, auf das er sich freute. Schien so, als wäre Lou nicht die Einzige, die sich über ein wenig mehr Action freute.

Mir sollte es recht sein, ich wollte einfach mal weg von all diesen Leuten, die meinten mir einreden zu müssen, dass ich für Will bestimmt war.

„Und was ist deine Meinung dazu, dass Will Jack von mir fernhält?", setzte ich die Fragestunde fort. Er zuckte erneut nur wieder mit den Schultern. So richtig schien es ihn nicht zu interessieren, aber ich wollte mich nicht beklagen. Es war schön in Ruhe gelassen zu werden.

Als wir also in der Stille so vor uns hinfuhren bemerkte ich wie ich müde wurde, ich hatte einfach viel zu wenig geschlafen und der Tag war schrecklich anstrengend gewesen. Das gleichmäßige Brummen des Motors führte dazu, dass ich langsam einnickte.

„Wir sind da", weckte mich eine ziemlich gelangweilte Stimme, nachdem ich eine Weile geschlafen hatte. Blinzelnd öffnete ich die Augen und sah, wie Jared aus seinem Auto stieg. Mit einem Gähnen schnallte ich mich ab und beeilte mich ihm hinterherzukommen, er hatte vor einer eher heruntergekommenen Kneipe mit dem passenden Namen Devils Den geparkt und ging in Richtung Eingang.

Von innen, war sie nicht ganz so heruntergekommen, aber dunkel und die Luft war stickig. Ich war selten in solchen Läden und ich konnte nicht anders, als mich etwas hinter Jared zu verstecken, der zielstrebig auf einen Tisch mit drei ziemlich riesigen, deutlich älteren Männern zuging.

„Hey, Parks", begrüßte Jared einen der drei, mit einem Handschlag,ließ sich auf der Bank nieder und nickte den beiden anderen zu.

„Jared", brummte der. „Auch mal wieder hier." Erst jetzt schien ich ihm aufzufallen. „Sogar mit Damenbesuch."

Etwas ahnungslos stand ich da und ließ mich dann ebenfalls auf der Bank nieder, etwas hilflos Parks anlächelnd.

„Was hast du denn schon wieder verbrochen, Jared?"

„Ach", brummte er, „nur das Übliche."

„Ärger mit dem Brüderchen?", lachte einer der anderen zwei.

In dem Moment kam die Bedienung an den Tisch und fragte ihn ob er was trinken wollte. Jared bestellte ein Bier und mit einem leichten Herzklopfen bestellte ich prompt dasselbe, auch wenn Jared dabei eine Augenbraue hochzog. Aber er sagte nichts.

Ich wollte hier dazugehören, wenn sie mich vor Will beschützten.

„Und wer ist die Kleine?", fragte Parks und deutete auf mich.

„Genau das was du denkst", erwiderte Jared und grinste dabei.

„Hast du Glück, dass dein alter Mann das nicht mehr erlebt.", versetzte Parks, lachte dabei aber dröhnend.

„Und? Wie ist dein Name?", wollte er von mir wissen. Ich konnte nicht anders, als einfach zurückzugrinsen.

„Lizzie," stellte ich mich bereitwillig vor.

In dem Moment brachte die Bedienung die Getränke und ab da lief es einfach. Es überraschte mich am Meisten, aber es entstand ein gemütliches Gespräch mit den vieren, wobei Jared die wenigsten Worte hervorbrachte.

Wobei ich zugeben musste, dass durchaus auch der Alkohol seinen Anteil daran hatte. Meine Erfahrungen mit dieser Substanz tendierten gegen null und ich hatte eine Weile nichts mehr gegessen. Nach kurzer Zeit schon wurde ich sehr redselig, unbeschwert und meine Wange glühten.

Parks, erfuhr ich, war mitsamt den anderen beiden Teil des Rudels in dem Jareds Eltern gewesen waren. Sie kannten Jared und Will von Kindesbeinen an und gerade als ich sie soweit hatte mir von den peinlichen Kindheitsgeschichten zu erzählen, meine Schüchternheit nun wirklich komplett verschwunden, da stürzte eine riesige Person, muskulös und mit blitzenden blauen Augen in das Devils Den. Ich brauchte nicht aufzugucken um zu wissen, wer da reingekommen war und verdrehte nur die Augen.

„Hört nicht auf ihn", warnte ich die Runde vor und drehte mich dann mit einem strahlenden Lächeln zu Will um.

Der allerdings, ohne Alkohol im Blut, schien gerade schon die Grenze seiner Geduld überquert zu haben. So wie jedes Mal, wenn ich ihn sah. Mein angetrunkenes Ich schien das reichlich nervig zu finden und verdrehte nur die Augen als er loslegte.

„Jared, nach Hause, jetzt." Er schrie noch nicht mal, aber es schien noch viel gefährlicher, als er es in dieser eiskalten, schneidenden Stimme aussprach. Es lag so viel Autorität darin, dass ich für einen Moment zurückzuckte, und auch auf Parks und seine Kumpel schien es eine Auswirkung zu haben.

„Du nervst", schnaubte ich, und das schien mein unvernünftiges Gehirn für eine gute Idee zu halten. Sein Kopf drehte sich zu mir und seine Augen bohrten sich in meine.

„Immer, eigentlich", setzte ich meine mutige Aussage fort. „Kannst du das nicht einfach mal lassen?"

Hinter mir hörte ich ein leises Kichern, was ich Parks zuordnete.

„Sie ist betrunken?", fragte er Jared und jetzt sah er wirklich, ernsthaft gefährlich aus.

„Wir reden heute Nacht.", sagte er samtweich, und sogar mein nicht mehr zurechnungsfähiges Ich war froh, dort nicht anwesend sein zu müssen.

„Liz, wir gehen." Als er mich ansprach, wurde seine Stimme ein wenig sanfter, doch wäre ich ein wenig intelligenter gewesen, dann hätte ich mich dem gefügt.

„Du kannst nicht immer so ... bestimmend sein! Du bist so ein blödes Kontrollfreak!", fauchte ich. „Geh weg." Und dann drehte ich mich weg von ihm, beleidigt, und guckte gegen die Wand.

Nur Sekunden später schwebte ich plötzlich in der Luft und lag in seinen Armen, dieser Idiot hatte mich einfach hochgehoben. Als wir so das Den verließen, ich mit meiner im Vergleich schwächlichen Kraft versuchend mich zu befreien, hörteich gedämpftes Gelächter hinter uns.

Relativ schnell kapierte ich, dass ich ohnehin keine Chance hatte mich von ihm zu befreien und gab es schließlich auf. Schweigend verfrachtete er mich in seinen Wagen, war ja klar, dass sein Auto so ein blöder protziger SUV sein muss.

„Bist du sauer?", fragte ich nach einer Weile trotzig. Er warf mir einen Blick zu, plötzlich viel wärmer, und ich musste mich zurückhalten nicht in seinen wirklich schönen Augen zu versinken, da hatte Lou recht gehabt.

„Ja", sagte er.

„Gut", schnappte ich. „Es läuft nicht immer alles so, wie du das haben willst."

Er wollte es verstecken, aber ein Mundwinkel zuckte verdächtig. Er machte sich über mich lustig.

„Ich hasse dich und deine überhebliche Art", versuchte ich mich weiter daran ihn zu provozieren, aber er lachte nur leise.

„Du schmollst doch nur. Außerdem spricht dein erhöhter Puls, wenn ich dich angucke eine andere Sprache."

Ich warf ihm einen giftigen Blick zu und schwieg dann eingeschnappt, er lächelte nur.

Und zum zweiten Mal an diesem Tag schlief ich im Auto ein, diesmal jedoch lag es am Alkohol, der meine Augen wie von selbst zufallen ließ. Das sollte ich mir echt abgewöhnen.

 

3.

 

Wie in Trance nahm ich war, dass mich jemand abschnallte und hochhob, ganz automatisch kuschelte ich mich an die warmen Arme, und den vertrauten Geruch.

Ich weiß nicht wie viel Zeit verstrich bis ich aufwachte, aber als ich dann blinzelnd meine Augen aufschlug hatte sich ein kleiner pochender Schmerz in meinen Schädel geschlichen.

Von dem bisschen Bier, ich war entsetzt. Allerdings musste ich mir zu meiner Ehrenrettung noch dazu gestehen, dass es auf leeren Magen war. Trotzdem, Alkohol schien bei mir wohl eine durschlagende Wirkung zu haben.

Dann erst nahm ich wahr wo ich überhaupt lag. In einem himmlisch weichen Bett, komplett in schwarz. Und dann sah ich ihn. Er stand dort, den Blick auf mich gerichtet, die Arme verschränkt, so dass man viel zu gut, die Muskelstränge an seinem Oberkörper sehen konnte. Beobachtete der mich etwa beim Schlafen. Erinnerungen an gestern abend tauchten wieder in meinem Kopf auf und ich schloss die Augen wieder. Da waren definitiv Stellen, die ich gerne streichen würde.

“Und? Bereust du den Alkohol?”, ich schwöre, ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. In dem Moment fiel mir auf, dass sich meine Kleidung nicht mehr nach Jeans und Pullover anfühlte. Etwas panisch schaute ich an mir herab, und entdeckte, dass ich ein sehr großes graues Männertshirt anhatte und da Will nicht dabei war auszurasten ging ich davon aus, dass es ihm gehörte. Das hieß er musste mich umgezogen haben, ich vergrub meinen Kopf in meinen Arm und schwor mir erst mal kein Alkohol anzufassen.

“Ich hoffe du hast wenigstens nicht hingeguckt”, bemerkte ich spitz. Immerhin guckte er jetzt reuevoll.
“Das kann ich dir leider nicht versprechen, aber ich kann dir sagen, dass es mir gefallen hat was ich gesehen habe”, er lächelte schief.

Ogott, ich wurde rot, und versuchte mich zu erinnern, was für Unterwäsche ich heute angehabt hatte.

Um möglichst schnell dieses unangenehme Thema zu wechseln fragte ich ihn nach der Uhrzeit.
“Kurz nach zehn”, erwiderte er, entsetzt setzte ich mich auf und hielt mir dabei eine Hand an meine Stirn, als stechender Schmerz in meinen Kopf fuhr.

“Ich muss nach Hause! Ich habe Amy nicht Bescheid gesagt!”

Er machte keine Anstalten sich zu bewegen.
“Hast du Kopfschmerzen?”, überging er einfach meinen Einwurf und obwohl er offensichtlich amüsiert davon war, dass ich nach meiner Mikroportion Alkohol einen kleinen Kater hatte, schwang auch etwas Sorge mit darin.

“Nicht der Rede Wert”, muffelte ich, fühlte mich dabei allerdings ziemlich schrecklich, “Ich fange nicht an rumzujammern, dass du mich erst eingesammelt hast nachdem ich schon zwei Bier getrunken hatte, wenn du mich jetzt direkt nach Hause fährst.”

Ups, war das noch der Restalkohol?
Er fing an zu lachen.

“Um deine Erinnerung aufzufrischen: du wolltest unbedingt mit meinem kleinen Bruder, der das ganze jetzt sicherlich auch bereut, nach Atlanta fahren. Hättest du dich von Shaunee nach Hause fahren lassen, dann hätte ich dich gar nicht erst retten müssen.”

“Nach Hause?”, fragte ich misstrauisch. “Shaunee sagte, du würdest sie zwingen mich zu dir zu bringen.”
“Dein Zuhause ist jetzt wo ich bin. Also hier.”
“Und genau das ist mein Problem mit dir!”, murrte ich. “Du bist viel zu autoritär!”

In einer plötzlichen Anwandlung von Entschlossenheit schlug ich die Decke zurück und stand aus dem Bett auf und ein kleiner Teil von mir genoss wie es seine Augen auf meine nackten Beine zog.

“Wo willst du denn hin?”, erkundigte er sich belustigt.

“Oh, ich will nur zu Jack”, lächelte ich und wurde im selben Moment herumgewirbelt und festgehalten und starrte in seine blauen Augen.
Für einen Moment vergaß ich zu atmen, meine blöden Hormone, mein Körper verriet mich, seine Hände an meiner Hüfte hinterließen ein leichtes Kribbeln. Er war so groß und seine perfekten Gesichtszüge, ich musst mich zurückhalten um nicht fasziniert mit meiner Hand über sie zu fahren.

“Du willst nicht zu Jack”, als er seinen Namen aussprach wurde seine Stimme härter “du willst einfach nur die Machtkarte ausspielen.”
Ich konnte kein Wort sprechen und hasste es, wie seine Nähe mich einschüchterte.

“Aber ich kann meine Machtkarte auch ausspielen, Liz”, und mit diesen Worten lehnte er sich noch ein Stück weiter nach vorne, ich bekam eine Gänsehaut und musste schlucken. Was im nächsten Moment passiert wäre, möchte ich mir gar nicht ausmalen, aber glücklicherweise platzte in dem Moment Lia in den Raum, die sofort anfing zu grinsen, als sie sah wie wir dastanden.

“Shaunee hat gesagt ich soll Lizzie etwas von meiner Kleidung bringen”, flötete sie “müsste dir passsen. Aber lasst euch bloß nicht stören bei äh was auch immer ihr da gerade macht.”

“Hände weg, jetzt”, schnappte ich und er kam der Bitte nach, auch wenn er dabei die Augen verdrehte.

“Super Timing, Lia”, kommentierte er, ihm schien es allerdings im Gegensatz zu mir überhaupt nicht peinlich zu sein.

“Raus”, verlangte ich, “ich möchte mich umziehen.”
“Ich habe dich sowieso schon in Unterwäsche gesehen, du erinnerst dich?”, amüsierte er sich, verließ dann aber tatsächlich den Raum.

Garantiert würde er nicht vor der Tür verschwinden, bis ich aus dem Raum ging, da war nichts mit abhauen.

Lia hatte mir einen blauen Rock und ein weißes halbtransparentes T-Shirt dagelassen, was mir tatsächlich recht gut passte. Erst jetzt wo ich eine Weile alleine war, konnte ich mich wirklich im Raum umsehen. Eine Seite des Zimmers bestand beinahe nur aus Fenster, während eine andere aus einem riesigen Bücherregal bestand. Das Möbilar bestand aus dem riesigen Bett komplett aus Schwarz. Die Wand war der selbe rote Backstein wie die Hausfassade. Sehr spartanisch eingerichtet, aber es hatte einen überraschend gemütlichen Charme.

Ich gestattete mir ein paar Mal tief durchzuatmen, dann öffnete ich die Tür und stellte mich Will. Ich konnte nur erahnen, dass mein Haar sich vermutlich selbstständig gemacht hatte und wie wild in alle Richtungen stand, daher entschuldigte ich mich ins Bad und versuchte dessen Herr zu werden.

Im Spiegel starrte mich eine blasse Lizzie an, Alkohol schien wirklich eine ganz schlechte Idee für meinen blassen Teint zu sein. Meine grünen Augen verlieh der Kontrast noch mehr Ausdrucksstärke und sie wirkten riesig in meinem Gesicht. Meine Haare waren, da hatte ich ins Schwarze getroffen, verwildert und mein Versuch sie mit in einem Kamm, den ich gefunden hatte, zu bändigen war eher von mäßigen Erfolg gekrönt. Frustriert flocht ich mir also nur einen seitlichen Zopf.

Den Moment nutzend, da Wills Nähe mich nun endlich nicht mehr durcheinander bringen konnte, versuchte ich mir eine Strategie zu überlegen wie ich ihn dazu bringen konnte mich nach Hause zu bringen. In meinem seltenen Moment der Klarheit wurde mir nämlich bewusst, dass ich irgendwie in seiner Gegenwart ständig kippte von giftsprühend und mich in seinen Augen verlierend. Und manchmal beides.
Ich war enttäuscht von mir selbst, wenn Will den gebührenden Abstand hielt, dann konnte ich mir super einreden, dass ich eigentlich nur Jack wollte. Verdammt, wie konnte ich das denn immer so ausblenden?

Dummes Ding, schalt ich mir selbst, hatte Jack die Loyalität nicht verdient, nach all dieser Zeit?
Ohne Lösung aber darüber nachgrübelnd trat ich Will wieder unter die Augen.

“Dir ist schon bewusst, dass du dich strafbar machst, wenn du mich gegen meinen Willen zwingst hier zu bleiben?”
“Du bist wirklich ausdauernd dafür, dass du offensichtlich keine Chance hast.” Bemerkte er nur.

“Bekomme ich dafür wenigstens was zu Essen?”, fragte ich spitz, und versuchte dabei möglichst viel Abstand zu ihm zu halten. Halt deine Finger bei dir, Lizzie.

 

In der Küche angekommen brauchte ich eine Sekunde um mich an die Gesprächslautstärke zu gewöhnen und es schien mir als würde Will in einem Anflug von Protektivismus halb vor mich schob.

Am Tisch versammelt und tratschend saßen dort Shaunee und Lou, ein Stück weiter Sienna mit einem Blondschopf und Jared, der in der hintersten Ecke lehnte und dem ein kleines Lächeln über die Züge huschte als er mich sah.

Leider war ich mir nicht ganz sicher ob das Lächeln mir galt, oder den Anblick, den ich mit meinem Mini-Kater bot.

“Was möchtest du denn haben?”, fragte Will, dem die unangenehme Situation offensichtlich komplett egal.

“Was habt ihr denn da?”, ich konnte nicht anders, aber ein Hauch von Genervtheit konnte ich nicht aus meiner Stimme heraushalten, immerhin wurde ich hier festgehalten und im selben Moment bohrten sich die Blicke der Blonden in mich.
Erst jetzt musterte ich sie genauer und sie war einfach perfekt. Ihr langes blondes Haar fiel in weichen Wellen über ihre Schulter und ihre Augen waren von einem tiefen Blau. Von ihrer Figur wollte ich gar nicht anfangen, es war einfach unfair wie gut manche Menschen aussehen konnten, das weibliche Gegenstück zu Will.

“Das ist sie also?”, sie klang ungläubig und ich bildete mir ein auch ein wenig Hohn heraushören zu könnnen.
“Jap, das ist sie”, antwortet Lou und grinste mir zu.

Ich wollte gerade irgendetwas pampiges erwidern, ich wusste auch nicht so ganz wo das herkam, da begann Jared plötzlich zu knurren und alle anderen im Raum wirkten augenblicklich wie nicht mehr anwesend, in sich gekehrt.

Will wurde auf einmal viel größer und strahlte so eine Authorität aus, sodass ich automatisch einen Schritt zurück machen wollte.

“Alle Tracker mit mir”, befahl er, und als er es so aussprach, da hätte sich niemals jemand gewagt zu widersetzen, er sah so gefährlich aus, “Caroline, du bleibst bei hier.” Dann blickte er noch einmal zu mir und sein Augen waren nicht mehr sanft, sondern hart und kalt. “Lass sie nicht gehen.”

Und mit den Worten verließen alle anderen den Raum, ließen mich allein mit Caroline und nur Sekunden später hörte man von draußen ein lautes Heulen. Für eine Sekunde war ich besorgt, aber nur um Shaunee, nicht um Will. Das redete ich mir zumindest ein.

“Na super”, schnaubte sie und sah alles andere als begeistert aus “jetzt muss ich auch noch Babysitter spielen.”

Um ehrlich zu sein war ich ebenfalls nicht erpicht darauf, weitere Zeit mit ihr zu verbringen.
“Du könntest mich auch einfach nach Hause fahren”, schlug ich hoffnungsvoll vor. Das war doch ein Gewinn für uns beide. Sie sah mich an als wäre ich wirklich blöd.
“Er ist Alpha. Ich könnte dich noch nicht mal nach Hause fahren, wenn ich es wollte.”

Sekunden später wurde die Tür aufgestoßen und ein bulliges Muskelpaket stürmte herein, die grauen Augen voller Energie.

“Zeit für eine Wette”, grinste er, “was meinst du wer darf ihn zur Strecke bringen?”
Erst dann bemerkte er mich.

“Damenbesuch?”, er zog eine Augenbraue hoch.
Caroline war offensichtlich genervt von ihm.

“Letztes Mal durftest du, dieses Mal darf ich! Und das da”, sie deutet zu mir, “ist Wills Mate.”

Sein Grinsen wurde noch breiter.
“Ich darf immer, weil ich einfach stärker bin als du”, provozierte er sie und in dem Moment wurde mir klar, dass sie sich gerade darüber stritten, wer jemanden erlegen durfte. Mir wurde schlecht und das Bedürfnis etwas zu essen verschwand sehr plötzlich.
“Glaubst du aber nur”, zischte sie “wenn du dich erinnerst, wer sich damals von dem Rogue hat erwischen lassen hat?”
Der Typ zuckte nur unbeschwert mit den Schultern. “Das war früher! Heute würde ich dich jedes Mal besiegen.” Caroline schnaubte nur.
“Du bist also das Mädchen um den hier der ganze Trubel passiert”, wandte sich der Schrank jetzt vergnügt hier.

“Und du bist?”, wollte ich wissen, skeptisch, die Arme verschränkt.

“James”, grinste er. Ich nickte nur knapp, mit jemandem, der sich darum riß jemanden umzubringen musste ich nicht mehr Worte als nötig wechseln.

“Verrätst du mir dein Geheimnis?”, er wackelte spielerisch mit seinen Augenbrauen als er sich zu mir lehnte.

“Welches?”, erwiderte ich knapp und scannte meine Fluchtwege. Zugegeben, eine Chance wegzurennen hatte ich ohnehin nicht, die waren locker dreimal so schnell wie ich, aber es war ein Reflex, als dieser Muskelprotz auf mich zukam.

“Wie kommt es, dass du gleich zwei Werwölfe dazu gebracht hast, dich jemanden aus dem Rudel vorzuziehen?”
Für einen Moment war ich verwirrt und starrte ihn nur stumm an.

“Klar, du bist schon irgendwie niedlich, aber dafür einen Wolf verlassen?”, sinnierte er und ich hörte erneut ein lautes Schnauben von Caroline.

“Guck sie dir doch an, da ist nichts. Weder übermäßige Intelligenz noch Aussehen.”
Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet, eine unbestimmte Wut breitete sich in mir aus. Eigentlich hielt ich relativ viel aus, aber das war dann doch einen Tick zu weit.

“Oh was ist das denn? Verletzte Gefühle?”, versetzte ich, war mir allerdings nicht so ganz sicher, warum ich das gesagt hatte. Caroline sah eigentlich so aus, als wäre es für sie kein schweres unterfangen sich jemanden zu Angeln.

“Genau so ist es, Herzchen”, kicherte James und Carolines Augen sprühten voller Hass.

Da stellte meine Kopf eine Verbindung her, Will und Caroline? Das würde erklären, weshalb sie mich offensichtlich so verabscheute. Ich konnte nicht anders, aber ich spürte wie sich Eifersucht in mir ausbreitete und nach mir griff. Das war ja klar, Wills Ex-Freundin musst verdammt nochmal aussehen wie ein Model. Wieder biss ich die Zähne zusammen und drängte den Gedanken zur Seite, das konnte mir doch völlig egal sein. Es war doch umso besser, wenn sie ihn wieder auf ihre Seite zog. Aber irgendwie war es das nicht.

“Ganz bestimmt nicht”, lächelte sie dann. “Ich habe eher Mitleid mit der Kleinen. Immerhin scheinen menschliche Mates hier eine geringe Lebenserwartung zu haben.” Bei ihrem letzten Satz leuchtete ihr Gesicht triumphierend auf.

Das war doch nicht war, James stand, scheinbar köstlich amüsiert, daneben, während Caroline mir doch tatsächlich mitteilte es würde wohl nicht mehr lange dauern würde, bis ich starb. So wie Jenna, das wollte sie doch sagen, Jacks Gefährtin. Und bis zu einem gewissen Grad traute ich ihr auch direkt zu, dem Schicksal unter die Arme zu greifen.
Leider fiel meinem nutzlosen Gehirn in dem Moment keine geeignete Äußerug ein, aber James rettete mich vor einer Erwiderung.

“Ihr zwei seid ja ein Pärchen”, lachte er. “Nur Schade, dass wir kein Popcorn hier haben.” Kurz später, mit dem Kopf im Kühlschrank fügte er noch ein “Na, immerhin gibt es neues Bier.” Und holte daraufhin kurzerhand drei Flaschen heraus.

Ohje, mein Kopf schummerte mir immer noch von dem Ausflug mit Jared.

“Na komm, setz dich, Kleines”, zwinkerte er mir zu und klopfte auf einen der Küchenstühle.

“Ich glaube ich sollte lieber”, wollte ich gerade ablehnen, da sah ich Carolines Blick. Etwas wie Triumph blitzte darin auf - und das konnte mein Dickkopf nicht hinnehmen. Blöd wie ich war grinste ich also zurück, schauspielern konnte ich ja dank meiner Mom super, und ließ mich nieder.

Das würde in einer Katastrophe enden.

4.

Als ich mit Jared im Devils Den war, war es eine ganz andere Situation gewesen, ich hatte nicht wirklich viel gegessen - aber ich war nicht hungrig gewesen, so wie jetzt. Und die Flasche die mir James in die Hand gedrückt hatte, schmeckte noch viel stärker. Dumme Lizzie, schimpfte ich mit mir.
Carolines direkte Nähe half auch nicht, von Näherem sah sie genauso makellos aus wie aus Entfernung. Alle meine entsetzten Vorstellungen von ihr zusammen mit Will verbot ich mir schnell.

Es dauerte nicht lange, bis meine Hemmschwelle schon wieder über alle Berge verschwunden war.
“Was ist eigentlich passiert?”, traute ich mich zu fragen, meine Gedanken noch einigermaßen beieinander.
“Ach, stimmt ja”, lachte Caroline. “Du bist ja nicht im Pack-Link.”

Aus einem absolut unerfindlichen Grund fand ich das überhaupt nicht lustig, ich wollte doch kein Teil von diesem Chaotenhaufen hier sein. Oder eben doch?
“Phil hat an der Grenze frische, fremde Spuren gefunden. Deshalb sind jetzt alle Tracker dahin gerannt, wie die Idioten, die sie eben sind.”
Antwortete mir James stattdessen. Tracker, das hatte Will vorhin gesagt.
“Was sind Tracker?”, hakte ich also nach. Ich hasste diese selbstzufriedene Lächeln von Caroline, zufrieden darüber, dass ich offensichtlich keine Ahnung hatte.
“Es gibt zwei Typen von Wölfen im Rudel. Warrior und Tracker, erstere, also die coolen”, er grinste dabei breit,”sind die, die alle Arbeit machen. Kämpfen und alle nervigen Leute zur Strecke bringen. Tracker rennen nur idiotisch irgendwelchen Spuren hinterher.”

Das ergab erstaunlichen Sinn. Vielleicht konnte ich Shaunee dann verzeihen, dass sie mich mit Caroline alleine gelassen hatte.

“Und was ist Jack?”, fragte ich schließlich, neugierig.
“Erbärmlich”, kicherte James, was ihm allerdings auch ein anblitzen von Caroline bescherte, “ach komm, der Typ ist seitdem seine Gefährtin gestorben ist so langweilig. Der will überhaupt nicht mehr Kämpfen. Wenn ich eins hasse, dann gewaltverabscheuende Idioten.”
“Kann ja nicht jeder einen IQ haben der einem nicht mal erlaubt Probleme ohne Gewalt zu lösen.” Entgegnete ich, das starke Bedürfnis verspürend Jack zu verteidigen.
“Jetzt verstehe ich es”, seufzte er theatralisch, “das ist dein Einfluss.”

Nicht so ganz sicher was ich darauf erwidern sollte, nahm ich noch einen Schluck von dem Bier. Verdammt, ganz super, jetzt füllte ich mich auch noch selber ab, obwohl ich nicht mal wollte.

Ein winzig kleiner Teil von mir freute sich darüber, dass ich Jack so zum Positiven verändern konnte. Anfangs war da so viel Trauer gewesen – und so viel Wut. Es hatte Momente gegeben in denen ich wirklich um seinen Verstand gefürchtet hatte, so schnell war er zwischen Rage und Tränen geschwankt. Und nun – ein lupenreiner Pazifist, ich war doch ein wenig Stolz.

Caroline und James begannen nun darüber zu kabbeln, wer wohl bis jetzt die meisten Eindringlinge zur Strecke gelegt hatte.

„Ach, du vergisst die kleine Rothaarige, Caro! Damit liege ich eins vor dir!“, triumphierte James.

„Oh bitte“, höhnte diese, und ich konnte nicht anders, wenn ich sie sah, dann konnte ich mir niemals vorstellen wie sie jemanden umbringen konnte. Aber nur für den Fall, ich würde mich sehr freuen, wenn Shaunee und der Rest endlich mal wiederkommen würde. Es schien als hätten sie mich extra mit den Psychos sitzen lassen. „Die Rothaarige war doch fast taub, so schlecht wie du dich angeschlichen hast! Dafür gibt es doch keine Punkte.“

Fassungslos trank ich weiter. Meine Prinzipien hatten sich mittlerweile nämlich auch schon verkrümmelt. Und langsam, mit steigendem Alkoholpegel, hörte dieses blöde Kater-Gefühl auf.

„Was meint ihr?“, unterbrach ich die beiden, philosophisch vor mich hin sinnierend, „Ist das jetzt homöopathisch, wenn ich meinen Kater mit einem neuen Kater bekämpfe? Kann man das Patentieren?“ Als ich ihre Gesichter sah konnte ich mich nicht mehr halten und begann wie wild zu Kichern, die betrunkene Lizzie war wieder da.

Caroline tauschte einen Blick mit James.

„Ich bin ein bisschen enttäuscht, sogar betrunken klingst du noch wie ein Nerd.“, kritisierte er und ich streckte ihm nur die Zunge heraus.

„Sagt der Höhlenmensch!“

„Bitteschön,“ er drückte mir die nun dritte Flasche in die Hand, und während mein mittlerweile weggedämmerter vernünftiger Teil langsam noch misstrauischer wurde, öffnete ich mit breitem Grinsen die Flasche.

„Es ist langweilig.“, kommentierte Caroline, die mir mit ausdruckslosem Gesicht beim Trinken zusah.

„Wahrheit oder Pflicht“, freute sich James, wobei bei ihm definitiv auch schon der Alkohol aus ihm sprach.

„Oh bitte,“ schnaubte diese, „Wie alt seid ihr? Fünf?“

Trotz war bei mir offensichtlich im hemmungslosen Zustand eine ganz große Emotion. Ich war für alles, wo Caroline dagegen war.

Außerdem hatte ich mich früher nie getraut, immer das schüchterne kleine Mädchen. Jetzt, da war sich meine mutige Ausgabe meiner selbst ganz sicher, war die perfekte Gelegenheit.

„Also ich bin dabei“, zwitscherte ich also und James hielt mir grinsend die Hand zum einschlagen hin. Ich traf. Aber es war eng.

„Na, Bitteschön“, gab Caroline genervt von sich. „Aber ich fange an!“

 

Wir hatten auf dem kuschligen Sofa im Wohnzimmer Platz genommen und ich war mehr gestolpert, als anmutig aus der Küche dorthin gelaufen. Glücklicherweise hatte mich James gnädig gestützt, als ich mit etwas zuviel Schwung aufgestanden hatte und dabei nur beinahe Bekanntschaft mit dem Boden gemacht hat.

„Runde 1!“, verkündete James mit seinem so typischen vergnügt und sorgenfreien Gesichtsausdruck. „Caro beginnt.“

„James!“, Caro drehte sich selbstzufrieden zu ihm. „Wahrheit oder Pflicht?“

„Pflicht“, entschied sich James und schaffte es dabei gleichzeitig nachdenklich und dümmlich auszusehen.

An Caros Gesicht war abzulesen, dass sie darauf gehofft hatte.

„Du musst ein Mädchen in diesem Raum küssen, dass ich nicht bin.“, befiehl sie und verzog ihren Mund zu einem, ich schwöre, sadistischem Grinsen.

Das war jetzt eher unpraktisch. Dieses Wohnzimmer strotzte nicht gerade an Auswahl, ich hatte da ein ungutes Gefühl.

„Na komm, Süße. Da kneifst du jetzt doch nicht, oder?“, amüsierte sich James.

Mir war mulmig und mir fehlten die Worte, hemmungslos oder nicht. Es widerstrebte mir Jack zu hintergehen.

„War ja klar,“ Caros Blick bohrte sich in mich „kann sich noch nicht mal an ihr eigenes Wort halten.“

In dem Moment fiel mir ein, dass es Will bestimmt ärgern würde. So wie er auf die ganze Jared-Angelegenheit geärgert hat. Super Gelegenheit um ihm zu zeigen, dass ich nicht so leicht zu beherrschen war wie er sich das dachte.

„Natürlich halte ich mich an mein Wort“, brachte ich also trotzig hervor, starrte dabei allerdings mit einem unruhigen Gefühl auf James, der nun immer näher kam.

Meine Gedanken begannen zu rasen. So schlecht sah er ja gar nicht aus, mit seinen blonden Haaren und den grauen Augen. Aber kein Vergleich zu Will, korrigierte mich mein Kopf. Er roch nach Alkohol, das ließ mich loskichern, der Arme. Ich musst wohl auch riechen wie eine Schnapsleiche.

Und dann trafen seine Lippen auf meine, seine Hände glitten an mir herunter, für meinen Geschmack eindeutig zu tief, aber er küsste gar nicht so schlecht, wie ich das befürchtet hatte. Anders als Jack, stellte ich fest und wollte mich dafür schlagen. Weniger nachdenken, mehr Will ärgern, zwang ich mich also und vertiefte den Kuss, James überraschend.

Dieser schien das allerdings nicht schlecht zu finden und – Caroline unterbrach uns räuspernd.

„Ich sagte Küssen, nicht meinen Mageninhalt wieder herausbefördern“, kommentierte sie säuerlich als James sich schweratmend wieder von mir löste.

Zu sagen, dass ich unzufrieden war mit der Wirkung unseres Kusses auf James wäre gelogen.

„Du bist dran!“, grinste ich, wieder bester Laune und piekste ihn in die Seite, auch wenn ich das Bedürfnis hatte den Geschmack in meinem Mund irgendwie wieder los zu werden.

Er warf mir einen amüsierten Seitenblick zu.

„Caroline“, entschied er sich. „Wahrheit oder Pflicht?“

„Wahrheit“, seufzte diese und erweckte dabei den Eindruck dieses Spiel würde sie absolut unterfordern.

„Feigling“, plapperte ich großmäulig heraus womit ich mir ein verschwörerisches Grinsen von James verdiente.

„Also Caroline, erzähl uns doch, wie weit du mit Will gegangen bist?“, und er zwinkerte ihr dabei zu.

Auf einmal wurde mir sehr schlecht. Lag bestimmt am Alkahol.

„Oh“, lachte sie und meine Handflächen brannten von dem unbestimmten Gefühl mich auf sie stürzen zu wollen, betrunken schien ich nicht nur Mut sondern auch Gewaltbereitschaft zu besitzen, „das willst du wissen! Was denkst du denn? Sehe ich aus wie Mutter Theresa?“, da war wieder ihr typisches Schnauben.

„Also stimmt es, dass ihr es in deinem Auto …?“ James Augen glänzten in einer eigenartigen Art und Weise. Jungs.

„Das Gerücht ist wahr“, gab sie bereitwillig Auskunft. „Tja, Will kann die Finger einfach nicht von mir lassen.“ Und sie klang verdammt selbstzufrieden dabei.

In dem Moment hasste ich sie. Abgrundtief. Die Eifersucht die sowieso schon in mir gesteckt hatte, ich aber noch weggesteckt hatte, sie loderte auf, nagte an mir von innen egal wie sehr ich versuchte mir einzureden, dass mir Will doch total egal war. Zu allem Überfluss fühlte ich auch noch wie sich meine Augen mit Tränen füllten. James Lachen ausblendend stürzte ich Richtung Tür, und diesmal war es wirklich etwas schwer mich zu koordinieren.

„Hey, Warte!“, hörte ich James noch rufen, und dachte für einen Moment er würde mir folgen. Tat er allerdings nicht, Caroline zischte etwas was ich nicht mehr genau ausmachen konnte, mein Gehirn war zu beschäftigt damit eine Krise zu bekommen und damit verstummten seine Schritte hinter mir.

Endlich draußen angekommen schnappte ich nach Luft und der kühle, frische Abendwind ließ mich wieder etwas zu Verstand kommen. Tja, Lizzie, da hattest du damals nichts verpasst als du auf das Wahrheit und Pflicht verzichtet hast.

Da ich sehr unsicher stand, meine Knie zitterten, ließ ich mich auf den Rasen im Garten fallen und zog meine Beine an, himmelwärts starrend. Hier draußen waren etliche Sterne zu sehen und in diesem Moment machten sie mich nur unglücklich.

Na toll. Jack durfte ich nicht sehen wegen dem herrischen Will, der aber vermutlich eigentlich immer noch einem verdammten blonden Model hinterhertrauerte, und ich saß hier und durfte nicht nach Hause.

Es begann zu rascheln im Gebüsch vor mir, aber mir fehlte in dem Moment schlichtweg die Energie um mich jetzt auch noch in eine panische Angst hineinzusteigern. Und in der Sekunde sprang ein riesige Gestalt aus dem Dunkeln, ein gigantischer rotbrauner Wolf, mein Herz blieb für einen Moment stehen, als ich in seine dunklen Augen starrte.

Das war die Stelle, an der ich den Fehler begang.

Mein erster Reflex war zu schreien, wegzurennen, zu kämpfen, einfach irgendwas, als ich da so hilflos vor ihm stand. Aber in meinem berauschten, erbämlichen Zustand war alles was mein Gehirn dachte war „Dieses Fell sieht wirklich flauschig aus, vielleicht kann man ja gut mit ihm Kuscheln?“.

Ja, so unzuverlässig war mein Selbsterhaltungstrieb.

Da ich den Absprung ohnehin verpasst hatte blieb ich stehen und starrte ihn regungslos an, abwartend. Es schien, als wäre ein Wolf in dieser Dimension nichts wirklich anderes, als jeder andere Hund auch, den er streckte sich nach vorne, leise winselnd und stupste mich auffordernd an.

Ja, ich war so dämlich. Mit einem glücklichen Grinsen unterdrückte ich also weiterhin meinen Drang zu Leben und fuhr mit meinen Fingerspitzen über das weiche Fell des Kopfes des großen Wolfs, der mich vermutlich innerhalb von Sekunden zerfetzen konnte.

Für einen Moment blieb es dabei, er schloss die Augen und ließ sich von mir Kraulen und dann knackte es von irgendwo her aus dem Wald – seine Zähne schnappten auf einmal mit angelegten Ohren nur knapp an meiner Hand vorbei und da klickte endlich etwas in mir.

Da war sie ja wieder, meine Vernunft. So laut ich konnte begann ich zu schreien und gerade als James aus dem Haus gestürzt kam, in einer fließenden Bewegung in die Wolfsgestalt wechselnd, da begann der Wolf an meiner Seite zu rennen. Verdammt schnell, musste ich anmerken. Und James, ein breiter weißgrauer Wolf stürzte ihm hinterher.

Ups. Das verlief anders als geplant. 

5.

 

Hatte ich vorher schon einmal Respekt vor Will gehabt, dann war es nichts zu dem Gefühl was mich jetzt beherrschte.

Shaunee hatte Recht behalten, er hatte sich wirklich zurückgehalten letztes Mal, wenn er wirklich einmal all seine komplette Autorität ausbreitete, dann hatte man das unbedingte Bedürfnis wegzurennen.

Er war zurückgekommen zum Packhaus und als er die Situation geblickt hatte, da war es auch schon zu spät gewesen. Caroline und James waren jetzt also in einem Raum allein mit ihm, nachdem er sich versichert hatte, dass mit mir alles okay war. Ich hatte die ganze Zeit nur gekichert.

Zwar war ich etwas angenüchtert, aber der Restalkohol tat sein übriges und ließ mich die Situation doch noch ziemlich lustig finden. Shaunee hatte die ruhmreiche Aufgabe mich zu betreuen.

„Na?“, flötete ich, „wie war die Jagd?“

Shaunee verzog das Gesicht,  einen auch einen Tick Humor sah ich allerdings auch in ihren Zügen.

„Du bist wirklich ein ganz schöner Haufen Chaos, Lizzie.“ Aber es klang freundlich und nicht so beleidigend wie alles, was Caroline zu mir sagte.

Während sie mir also erzählte, wieso dieser fremde rotbraune Wolf zum Packhouse und damit zu mir durchgekommen war – er musste unsere Patroullienroutine sehr gut kennen, da starrte ich neugierig über ihre Schulter und betrachtete die anderen Rudelmitglieder die ich noch nicht kennen gelernt hatte.

Sie standen in der Tür zum Wohnzimmer wo ich, nicht wirklich in der Lage zu stehen, zusammen mit Shaunee auf dem Sofa saß.

Shaunee fuhr fort mir zu schildern, wie sie ihn nicht mehr erwischt hatten, als er geflohen war, aber meine Aufmerksamkeit war auf die Rudelmitgliederexkursion gerichtet.

Einer fiel mir dabei besonders auf, er war auch sehr groß, allerdings deutlich schlacksiger als Will. Sein langes braunes Haar fiel ihm ins Gesicht und er hatte wirklich dunkle Auge, die an ein Schwarz grenzten. Er wirkte älter als die Anderen hier.

Dann war da noch einer mit einer einigermaßen normalen Korpergröße, das war ja zur Abwechslung beruhigend, sonst schienen hier immer alle beunruhigende Ausmaße zu haben. Hinter ihm erspähte ich noch ein Mädchen, die die beneidenswertesten Haare besaß, schwarz, leicht gelockt und einen olivfarbenen Teint. Im Gegensatz zu den Anderen hier grinste sie mich breit an und ich erwiderte diese Geste. Endlich mal jemand, der nicht so ernst war.

Gerade wollte ich fragen, wer sie war, da kam Will wieder in den Raum und eine unangenehme Stille breitete sich augenblicklich aus. Bis auf den riesigen Typ mit den dunklen Augen verschwanden alle aus dem Wohnzimmer, mit einem schlecht gelaunten Will wollte es hier offensichtlich niemand aufnehmen.

„Hast du irgendetwas zu deiner Verteidigung hervorzubringen?“, fragte mich Will und ich konnte sein Gesicht nicht ganz lesen. Die blauen Augen von ihm drangen wie immer sofort durch all meine Barrikaden, für eine Sekunde versank ich komplett in ihnen. Ich war müde, enttäuscht und ich hatte Angst.

Da hatte ich allerdings die Rechnung ohne meine Eifersucht und meine Betrunkenheit gemacht.

„Du hast es verdient! Du kannst mich doch nicht einfach mit Miss-Menschen-Sterben-Schnell alleine lassen“, funkelte ich also und hörte den großen Typen kichern, woraufhin ich ihm einen bösen Blick zuwarf.

„Du lässt dich also abfüllen, nur um mich zu ärgern?“, knurrte Will und für eine Sekunde setzte wieder mal kurz mein Selbstschutzprogramm ein und ich zuckte zurück. Dann fiel es allerdings wieder aus und ich verschränkte nur trotzig die Arme.

„Sehe ich nüchtern für dich aus, oder was?“

Will fluchte nur und ich war sehr zufrieden, da hatte ich doch gute Arbeit geleistet.

„Dylan, geh raus“, befahl er, und kam mir immer näher. Das war jetzt nicht

ganz so gut.

„Warum denn?“, schmollte dieser, „Ich finde sie genial unterhaltsam.“ Aber folgte der Aufforderung trotzdem.

„Nenn mir einen guten Grund, dich jetzt nicht sofort rauszuwerfen?“

„Oh“, zwitscherte ich. „Damit könnte ich gut leben, ich wollte sowieso nach Hause.“

Das war mittlerweile allerdings leider nicht mehr ganz wahr. Keinesfalls wollte ich Caroline das Feld kampflos überlassen, auch wenn ich mir noch nicht so ganz sicher worum wir kämpften.

„Verdammt! Du bist so stur und unvernünftig!“, warf er mir vor und ich zuckte nur mit den Schultern. Er war mir nun gefährlich nahe und ich unterdrückte den viel zu starken Drang mich an ihn zu kuscheln und mich trösten zu lassen. Stimmungsschwankungen waren schon immer meine Spezialität.

„Wie kannst du so naiv sein? Du kannst dich ihm doch nicht einfach in die Arme werfen! Ein Wolf ist kein Spielzeug!“, und da sprach zu gleichen Anteilen Wut und Sorge aus ihm, ich sah es.

„Ach komm“, seufzte ich, demonstrativ gelangweilt – Will provozieren war wirklich eine lustige Angelegenheit „es war nur ein Kuss.“

Die Zeit stand für einen Moment still.

„Welcher Kuss?“, seine Stimme hatte auf einmal alle Emotion verloren, war eisig und tödlich. Ups, da hatte er wohl von der ganzen Lizzie-muss-mit-dem-bösen-Wolf-kuscheln-Sache gesprochen. Dann wusste er wohl noch nichts von der ganzen Wahrheit oder Pflicht Eskapade.

Dann machte es Klick bei ihm, schließlich war das einzige männliche Wesen, welches sich im Haus aufgehalten hatte James gewesen. Er sah immer noch komplett kalt und unbeeindruckt aus, aber ich spürte da etwas unter der Oberfläche brodeln.

Für eine winzige Sekunde sah ich etwas in ihm aufblitzen, ich war mir nicht so sicher, ob ich es ohne meine Vergangenheit erkannt hatte, aber da sah ich es – er würde sich auf ihn stürzen. Und darüber ob er sich diesmal zurückhalten würde war ich mir gar nicht sicher.

In einer viel zu schnellen Bewegung wollte er sich gerade bewegen, ganz sicher zu James um ihm den Kopf abzureißen, da konnte ich ihn einer erstaunlich flinken Reaktion am Arm erwischen.

Ich spürte das Kribbeln an meiner Hand, es reichte schon, wenn ich ihn berührte, dann wollte ich mehr und mein Verstand schaltete sich fast komplett aus.

Er erstarrte für einen Moment, hatte er dieses Prickeln auch gespürt?, aber dann wollte er sich entziehen. Im Schnellmodus ging ich alle Möglichkeiten um ihn hierzubehalten durch. Auf der einen Seite erfüllte es mich ein bisschen mit Freude, nicht viel!, dass er so besitzergreifend reagierte, aber meine gewaltverabscheuende Seit schlug glücklicherweise durch.

Ein Vorschlag wäre ihn zu küssen, damit konnte ich ihn bestimmt ablenken. Allerdings roch ich immer noch wie eine ganze Kneipe, davon ging ich zumindest aus, also strich ich den ganz schnell. Außerdem mochte ich ihn ja sowieso nicht in dem Maße, richtig?

Ich konnte ihn einfach bitten es nicht zu tun, aber ich war mir relativ sicher, dass ich da nicht die richtigen Druckmittel in der Hand hatte. Wieso sollte er?

„Will“, sprach ich seinen Namen aus, ein wenig heiser „bleib hier. Ich habe Angst.“ Und aus diesen Worten sprach die reine Wahrheit. Innerlich zitterte ich immer noch, nachdem diese messerscharfen Zähne nur gerade so meine Hand heil gelassen hatte. In seinen blauen Augen wütete Chaos und diesmal konnte ich meinen Blick nicht abwenden.

Ohne ein weiteres Wort zog er mich an sich, und es fühlte sich himmlisch an. War ja klar, er roch einfach perfekt, tief einatmend genoss ich es und schloss für einen Moment die Augen.

„Da hat er Glück gehabt“, brachte er hervor und die Wut darin war beängstigend. „Er wird dafür noch bezahlen.“

Leise Unruhe breitete sich in mir aus, aber das was ich bis jetzt von ihm kannte sagte mir, dass es besser war, wenn es an der Oberfläche brodelte, als diese verdammt gefährliche Gefühlskälte. Die war tödlich, dessen war ich mir sicher.

Nachdem ich eine Weile einfach seinem Herzschlag gelauscht hatte beruhigte ich mich. Meine Hormone betrogen mich, es reichte schon, dass er bereit war jemanden für mich zusammenzuschlagen und sein Oberkörper zum Anbeißen war, dass ich bereit war mich ihm an den Hals zu schmeißen. Aber mir fehlte schlicht und ergreifend die Willenskraft um mich aus seinen Armen zu lösen.

„Du riechst nach Wald“, murmelte ich gedankenlos, schien so, als wäre mein Taktgefühl noch nicht wieder anwesend. Aber es stimmte, er roch himmlisch nach Moos und der frischen Luft im Wald, nachdem es geregnet hatte. Damit war der Moment zu Ende, der Frieden.

„Du riechst nach einem Alkoholiker“, kommentierte er und als ich ihn wütend anblitzte zog er amüsiert einen Mundwinkel nach oben. Dieser Mund war einfach viel zu perfekt, seufzte ich innerlich.

Aber es war eine gute Erinnerung, ich musste definitiv mal unter die Dusche springen. Und es war spät – der Schule war meine verrückten Erlebnisse komplett egal, hingehen musste ich wohl trotzdem.

Will ließ es sich nicht nehmen mich auf Schritt und Tritt zu begleiten, was mich gleichermaßen beunruhigte und erleichterte. So konnte er keinesfalls auf James losgehen, ich musste dafür allerdings meine Finger bei mir behalten, die ja heute Abend offensichtlich außer Kontrolle geraten waren.

Sehr bestimmt sperrte ich ihn aus dem Badezimmer aus und er sah tatsächlich ein wenig enttäuscht aus. Ein wirklich großartiges Badezimmer bei genauerer Betrachtung, eine gute Dusche war wirklich eine geniale Sache. Ich ließ mir alle Zeit der Welt als ich das warme Wasser über meinen Körper laufen ließ, mein Kopf schwirrte von diesem ganzen emotionalen Wirrwarr in mir. Ganz stark, das musste ich leider zugeben, steckte noch diese verdammte Eifersucht in mir. Dieses Bedürfnis Caroline von Will fernzuhalten, sie sollte sich gefälligst jemand anderen Suchen.

Dann war da noch dieses schwache, aber nicht weniger schmerzhafte Gefühl, dass ich Jack vermisste. Wo steckte er denn überhaupt? Es war Wochen her, dass ich ihn einen ganzen Tag nicht gesehen hatte. Mir fehlte seine warme, entspannte Präsenz. Und ein schlechtes Gewissen hatte ich dazu auch noch. An der Selbstkontrolle musste ich eindeutig arbeiten.

In Gedanken verloren stieg ich aus der Dusche, zog meine Unterwäsche an und suchte dann nach etwas Schlaftauglichen, die Hoffnung, dass Will mich nach Hause bringen würde hatte ich ohnehin aufgegeben.

Im Bad lag noch das graue T-Shirt von vorhin, welches ich getragen hatte, als ich aufgewacht war. Besser als dieses halbtransparente war es ohnehin. Und gerade als ich es über meinen Kopf gezogen hatte, hörte ich Carolines Stimme. Das wars schon, das reichte. Mein hormongeladenes ich fühlte sich im Stolz angegriffen und ich entwickelte einen Plan, ich wollte jetzt wissen ob er auf mich auch so reagierte.

Entschlossen schüttelte ich mein Haar aus, starrte mir noch einmal bestätigend im Spiegel in die grauen Augen und stürmte aus dem Bad.

Natürlich, da stand Caroline und sprach mit Will, ganz unschuldig drehte sie ihr Haar um den Finger. Was mich dann ritt, konnte ich nicht ganz benennen, aber ich war mir in dem Augenblick sehr sicher, dass das eine super Idee war.

„Kommst du jetzt endlich schlafen?“, hauchte ich, in meinem etwas erbärmliche Versuch attraktiv zu klingen und der Alkohol bewirkte, dass meine Stimme dabei ganz rau klang. In Überraschung drehte er sich zu mir und seine Augen glitten auf und ab an meinem Körper. Diese Reaktion gefiel mir und ich fühlte mich mit einem Mal unschlagbar, mein Selbstbewusstsein reichte locker bis zum Mond.

Ha! Diesen Kampf hatte ich gewonnen, Caroline. Ohne nachzudenken zog ich ihn mit mir, verpasste dabei allerdings nicht die Gelegenheit sie noch einmal triumphierend anzulächeln, und knallte die Tür vor ihr zu.

Nimm das, Miss-er-kann-die-Finger-einfach-nicht-von-mir-lassen.

Dann erst wurde mir bewusst, dass ich von Will gegen die Tür gedrückt wurde, seine Hände seitlich von mir abgestützt, die blauen Augen nun dunkel und bewölkt.

Was jetzt? Atmen fiel mir schwer, sein Gesicht viel zu nah an mir, diese himmlischen Züge lenkten mich zu sehr ab. Nein, Lizzie, jetzt ist nicht der richtige Moment ihn anzufassen, schalt ich mich.

Leider war mein Unterbewusstsein nicht so überzeugt davon, dass ich die Klasse bewahren musste, wie ich das war. Ich verlor mich absolut darin ihn weiter zu mustern.

„Was wird das, Kleines?“, seine Stimme war tief und träge, setzte etwas in mir in Bewegung.

Oh das meinst du, ich wollte mal schnell schauen ob ich dieselbe Macht über dich habe wie Caroline, mein Gehirn war mal wieder am überhitzen, aber ich brachte nichts hervor, konnte ihn nur anstarren.

Er legte den Kopf schief und ich verfluchte mich selbst, bitte lass dir mal ein wenig Rückgrat wachsen.

„Nichts“, nuschelte ich und blinzelte zu ihm auf. Geplant gewesen war eine Aufforderung, dass er mich loslassen sollte, aber eine unbestimmte Macht hatte mich übernommen, ich hatte mich überhaupt nicht mehr unter Kontrolle.

„Fühlt sich nicht an wie nichts“, wisperte er und Gänsehaut breitete sich in meinem Nacken aus, dabei hatte er mich noch nicht mal angefasst. Was für eine Wirkung hatte er bitteschön auf mich? Und nun beugte er sich vor, ich konnte meinen Blick nicht von seinen Lippen lösen und ich spürte wie ich begann schneller zu atmen…, - meine Knie gaben nach, die Beine fühlte sich an wie Gummi, ich konnte mich nicht mehr halten, die Erschöpfung war einfach zu viel und kniete auf einmal auf dem Boden.

Die Atmosphäre war verflogen, er begann lauthals zu lachen und ich funkelte ihn böse an.

„Hilf mir gefälligst aufzustehen, das ist immerhin deine Schuld!“, fauchte ich, meine Wangen brennend, und mit einem immer noch sehr amüsierten Grinsen hob er mich einfach hoch als wöge ich überhaupt nichts, seine Hände an meinen Hüften.

Auch wenn ich jetzt dank meines Abgangs wieder klar denken konnte, diese Hände an meiner Seite, sie fühlten sich einfach so gut an.

„Bitteschön, Prinzessin“, unverschämt gut gelaunt zwinkerte er mir zu.

„Pfoten weg!“, verlangte ich und in dem Moment schwemmte die Scham über mich. Ich hatte nicht gerade …, oder? Bitte lass das einen Alptraum sein. Und das war alles Wills Schuld, dessen war ich mir ganz sicher. Immerhin hatte dieses Chaos begonnen, als ich ihn kennengelernt hatte. Davor war mein Leben so geordnet und behaglich normal gewesen. Es war dieser Idiot der die Dinge komplizierte.

„Steht dir gut, wenn du Rot wirst“, komplimentierte er mich in einem koketten Tonfall. Ich hielt mir die Hände vor das Gesicht, das war einfach zu viel, jetzt machte er sich auch noch lustig über mich.

„Hey, Kleines?“, fragte er sanft, und strich mir über das Haar.

„Sagte ich nicht Finger weg?“, schnappte ich, nun wirklich am Ende mit meiner Geduld.

Ich hörte ihn sanft seufzen, dann ignorierte er meinen Vorwand von vorhin komplett und hob mich erneut an um mich auf dem riesigen Bett abzusetzen.

„Sag mal spinnst du?! Kannst du mich nicht“, wollte ich gerade loslegen, da legte er mir einen Finger an meine Lippen.

„Ich habe schon genug verletzte Wildkatzen gesehen um zu wissen, dass deine Verteidigung nur halbherzig ist“, begann er in einem beruhigenden Tonfall. „Komm her, Kleines, ich behalte auch meine Finger bei mir, du kannst mir vertrauen.“

Da brach es alles aus mir raus, der riesige Knoten an Gefühlen in mir, denen ich einfach nicht Herr werden konnte, ein paar Tränen lösten sich aus meinen Augenwinkeln und suchten sich ihren Weg über meine Wangen als er mich an sich zog. Wieder schein sein Herzschlag diese Wirkung auf mich zu haben, er holte mich auf den Boden auf der Tatsachen.

Wills lange Finger spielten mit meinem Haar und das hatte etwas ungemein tröstendes an sich, sein Geruch tat sein übriges und ich begann langsam schläfrig zu werden, mein Gesicht an ihn gedrückt.

„Dein Haar ist einfach unwiderstehlich, ich kann meine Finger nicht davon fernhalten“, hörte ich ihn noch flüstern, aber ich konnte mir das auch eingebildet werden, denn mich hatte es schon erschöpft ins Reich der Träume befördert.

6.

 

6.
Das war jetzt das zweite Mal, dass ich mich einem Kater in diesem Bett aufwachte, kein gutes Omen. Auch wenn es wirklich gemütlich war, wie ich anfügen musste. Blöde Alkoholunverträglichkeit.

Shaunee weckte mich, es schien ihr etwas unangenehm zu sein – ich konnte mir denken wie ich aussah – verkatert und verheult. Will war verschwunden und ich war mir nicht ganz sicher ob ich darüber froh oder verletzt sein sollte.

„Wir fahren gleich los zur Schule, du willst doch mit?“, erkundigte sie sich.

Und zum zweiten Mal ebenfalls in diesem Bett kamen die Flashbacks, das Blut schoss mir in den Kopf. Ich hatte doch nicht wirklich …?
„Ja,“ konnte ich noch brummen, mit dem starken Bedürfnis mich zu verbuddeln. Alkohol und ich schienen keine Freunde zu werden.

„Du kannst was von mir zum Anziehen haben“, bot sie mir und ich nahm dankend an. Ich hatte nicht geplant hier länger festgehalten zu werden, jemand musste Gnade mit mir haben und mich nach Hause gehen lassen. Dann konnte ich endlich einmal Jack anrufen, der nun die ganze Zeit in meinem Kopf auftauchte. Und der schwirrte, es wechselte stets von Scham wenn ich an Will dachte, Sorge um Jack und mein eigener Unglauben, dass ich mich so abgeschossen hatte.
Es war doch zum verrückt werden. Mein Leben war so ordinär und entspannt gewesen, klar, ich hatte durchaus Talent zu Chaos, aber eigentlich war es für mich keine Alltäglichkeit gewesen fast von einem Wolf gebissen zu werden. Angefangen hatte es doch mit genauerer Betrachtung seit Jack mir auf einmal die Welt der Werwölfe eröffnet hatte. Mit einem mehr als theatralischen Seufzen stand ich auf und ignorierte soweit möglich meinen bleischweren Kopf.

In der Küche angekommen konnte ich mich überhaupt nicht dazu bringen etwas zu essen, unangenehm klingelte mir das Gekicher der Zwillinge in die Ohren. Die Beiden schienen so etwas wie schlechte Laune nur vom Hörensagen zu kennen.

Weder James noch Caroline tauchten auf, zumindest das war wirklich ein Geschenk des Himmels, ich wurde immer noch rot wenn ich nur daran dachte.
„Trink wenigstens etwas Wasser“, bat mich Shaunee und ich kam nicht umhin mich zu fragen, ob sie das jetzt für mich ausgesprochen hatte, sondern weil Will sie angewiesen hatte mich zu betreuen.

Da wir nicht alle in ein Auto passten fuhr ich mit einem kleinen Lächeln bei Jared mit, ich war mir relativ sicher, dass Will das nicht gefallen würde. Jared allerdings schien heute keine gute Laune zu haben, die Fahrt verstrich ohne, dass wir ein Wort wechselten, aber darüber war ich mehr als froh. Ich musste nicht so tun, als wäre ich sozial und höflich – mit Jared konnte ich einfach unglücklich aus dem Fenster schauen und niemand störte mich.

Ohnehin war da eine kleine, unausgesprochene Verbundenheit zwischen uns, er wollte einfach nur seinen großen Bruder ärgern, - und okay, ich gab zu, ich wollte auch nur seinen großen Bruder ärgern.

Die Schule verging in einem großen, unwirklichen Strudel. Shaunee, wohl nun meine ernannte Babysitterin brachte mich von Raum zu Raum obwohl sie teilweise andere Kurse hatte. Es hatte sich so schnell so vieles verändert, vor drei Tagen war ich noch komplett normal zur Schule gegangen, ich hatte gelernt, wenn auch viel zu wenig, und nach der Schule ging es dann auf zu Jack. Ich vermisste ihn, ich vermisste meine Normalität. Daran änderte es auch nichts, dass die Gruppe wirklich bemühte mich aufzunehmen. Nein, ich hatte neben meinen Mitbewohnern nie viele Freunde hier, als sich Jack den Platz in meinem Leben geschnappt hatte, hatte meine Abschlussklasse gerade erst angefangen und als er dann da war, da war nicht mehr viel Zeit für Andere gewesen.

Deshalb war es durchaus ein angenehmes Gefühl einen Tisch zu sitzen an den ich offensichtlich gehörte, noch dazu ein noch so unterhaltsamer dank Lia und Lou.

Die Situation nach der Schule erinnerte mich stark an die von gestern, Shaunee sollte mich eigentlich zum Packhouse fahren, aber ich war sehr unwillig und schaute mich nach Möglichkeiten um hier wegzukommen. Sie tat mir durchaus leid, immerhin war es Wills Anweisung und sie hatte da nichts zu sagen. Schließlich handelte ich mit ihr den Deal aus, dass ich ihr ausgebüxt war, sie hatte mich erst an meinem Haus gefangen und dann hätte ich abgeschlossen. Leider ein sehr unrealistisches Szenario zu meiner Schande aufgrund meines Lauftempos und der Kondition, aber das Mitleid war scheinbar gegenseitig, den sie war ja gnädigerweise einverstanden.
Zuhause angekommen, wobei ich tatsächlich gerannt war, ich wusste ja nicht wie lange er brauchen würde um mich einfangen zu kommen, schlüpfte ich endllich wieder in meine eigene Kleidung, was für eine Erleichterung, etwas was mir wirklich passte. Das nächste Hindernis war mal wieder ich selber, unsere Wohnung lag nur im zweiten Stock, was auf der Hausrückseite vom Balkon zu springen nicht zu einem absoluten Selbstmordkommando. Die letzten Tage schienen mich wirklich verändert zu haben, denn trotz meinem absoluten Problem mit Höhen biss ich einfach die Zähne zusammen und sprang. Alles andere als elegant, aber heil, prallte ich auf dem Boden auf und begann in Richtung des Waldes, der hinter unserem Haus begann zu laufen.

Shaunee hatte mir wirklich geglaubt ich würde wieder mit ihr mitkommen, nachdem ich Sachen gepackt hatte und wartete im Auto vor dem Gebäude. Schlechtes Gewissen wegstecken, befahl ich mir, vielleicht würde Will dann merken, dass es nichts brachte und Shaunee wäre ihre lächerliche Aufgabe endlich los.

Nach geraumer Zeit, die ich nun durch den Wald stapfte, fand ich einen Platz der sich meiner Meinung nach eignete um einen Moment alleine zu sein und Frieden zu finden. Es war am Rande eines Felsenmeers, übersäht mit grauen Steinen, bewachsen mit dunkelgrünen Moos. Um die Szenerie zu komplettieren, plätscherte auch ein kleiner Bach vorbei, etwas ruhiger ließ ich mich auf einen großen Stein fallen und schlang meine Arme um die Knie.

 

Ich saß dort für eine Weile alle Gedanken durch mich strömend, immer wieder im Kreis, konfus. Es gab keine Sache der ich mir sicher war, alles war ein Rätsel für mich. Dazu noch schien sich nicht einmal mein Unterbewusstsein entscheiden zu können, wenn ich die Augen schloss blitzte immer wieder ein anderes Gesicht vor mir auf.

Ich begann nachzudenken, dachte an meinen älteren Bruder von dem ich ewig nichts gehört hatte, meinen richtigen Bruder, meine ich. Nicht meinen Falschen, der mich einfach verlassen hatte. Dachte an meine Mutter, mit der ich gefühlte Jahre nicht telefoniert hatte.

Als ich die Augen wieder aufschlug konnte ich ihn spüren, seine Anwesenheit. Langsam und unwillig drehte ich mich zu ihm um, ich hatte auf ihn gewartet. Er würde sowieso immer auftauchen, wann es ihm passte, wo es ihm passte. Da hatte ich nicht viel mitzureden, in Ruhe lassen würde er mich ohnehin auch nicht mehr.
Er stand dort, die Augen bewölkt, ohne es zu wollen faszinierten sie mich doch immer wieder aufs Neue, die Arme verschränkt und beobachtete mich einfach nur.

„Das war dein letzter Versuch abzuhauen“, er klang noch nicht mal wütend. Er stellte nur eine Tatsache fest, aber in dem Moment reichte mir das schon.

„Falls du es noch nicht mitbekommen hast – du hast mir gar nichts zu sagen.“
Hatte er wohl, aber das wollte ich mir selbst nicht eingestehen.

Er seufzte nur, fuhr sich durch das Haar und sah mich lange an.
„Doch, wenn du dir damit nur selbst schadest, dann habe ich da etwas zu sagen. Ich bin nicht bereit dich zu verlieren.“

Ich schnaubte nur, bis jetzt war ich doch problemlos durch das Leben gekommen, immerhin atmete ich doch noch.
Er kam näher.
„Ich sehe es doch“, sagte er sanft und kam näher. Es machte mir gleichermaßen Angst, wie es meinen Körper freute. Ich hatte Angst vor mir selbst, den Entscheidungen die ich in seiner Präsenz immer traf.

„Du wechselst immer von wütend zu glücklich; es wäre mir fast lieber wenn du deinen Groll einfach an mir ausleben würdest.“ Er legte seine Hand unter mein Kinn und zwang mich ihn anzuschauen. „Das könnten wir aus dem Weg räumen. Es einfach herauslassen, schreien und mich schlagen.“ Beim letzten Wort wirkte er ein wenig amüsiert. „Aber so – immer wenn ich das Gefühl habe dich zu verstehen, dann schwingen deine Gefühle um und es verwirrt mich.“
Da war er nicht der Einzige.

Ruckartig entzog ich mich ihm.

„Das glaubst du auch nur, weil du so ein Kontrollmensch bist, dich verwirrt alles, was du nicht geplant hast“, schnappte ich.

„Das meine ich“, er lächelte schwach. “Dabei hat dein Herz vorhin einen Tick schneller geschlagen, als du mich gesehen hast.“

„Was macht dich so sicher, dass ich nicht einfach Angst vor dir habe?“, versuchte ich weiter mich zu behaupten, aber es war halbherzig. Er hatte Recht.

„Du hast keine Angst vor mir“, entgegnete er mir und nun lächelte er wirklich, es war ein kleines Lächeln aber für eine Sekunde schlug mein Herz wieder ein wenig schneller. „Immerhin hast du versucht mich zu treten.“

Ich starrte zu Boden, nachdem ich mich endlich von seinem Gesicht fortreißen konnte.

Ich konnte fühlen wie sein Körper sich anspannte, als seine Gedanken ein unangenehmes Thema streiften.
„Erzähl mir von ihm“, bat er, aber die Spannung dahinter war förmlich mit den Händen zu greifen.

„Jack?“, für einen winzigen Moment flackerte da etwas Dunkles in seinem Auge auf, aber er nickte.

„Das wird dir helfen.“ Und obwohl es mich in diesem Moment wieder ärgerte, wie er das sagen musste, so als wüsste er genau was das Beste für mich wäre, antwortete ich ihm. Meine Intuition redete mir ein, dass es richtig war Will meine Gedanken anzuvertrauen.

„Mein Bruder, Josh, er ist von zu Hause weggelaufen, als er sechzehn war.“ Bei der Erinnerung wurde ich wieder unruhig und seine Augen beobachteten mich aufmerksam, als würde er versuchen jede winzigste Emotion von mir zu verstehen. „Allerdings nicht ohne vorher seine Freundin mit einem Messer so oft in den Rücken zu stechen, dass sie verblutete.“ Will reagierte nicht wie andere Menschen, denen ich es erzählt hatte. Nicht angeekelt, nicht geschockt, er hörte mir zu. „Natürlich haben sie ihn nie erwischt, er ist einfach davongekommen.“

Für eine Weile konnte ich nicht weitersprechen, aber er drängte mich auch nicht, er war geduldig.

„Ich hätte ihn aufhalten können. Er kam nach Hause, heute weiß ich, dass es war, nachdem er Tess abgestochen hatte. Er wollte mich überreden mit ihm abzuhauen, er wirkte komplett irre.

Noch nicht mal Reue, da war nur so eine rasende Wut in ihm. Ich habe mich nicht getraut, ich war ein totaler Feigling. Das schien ihn nur noch mehr in Rage zu versetzen, danach verschwand er einfach. Er hat sich nie wieder bei mir gemeldet.
Aber ich war so blöd – ich habe meine Mutter nicht angerufen. Sie hätten ihn schnappen können, aber ich habe ihm einen Tag Vorsprung gegeben.“

Beim Gedanken daran wurde mir schlecht. „Wer weiß was er seitdem Menschen angetan hat?“
„Das ist nicht deine Schuld“, wandte Will sanft ein und ich zuckte zusammen. Ich hätte es besser machen müssen.

„Jedenfalls“, fuhr ich fort, nachdem ich mich einmal geräuspert hatte „als ich Jack sah – bis heute weiß ich nicht warum er da überhaupt war – da habe ich es gesehen. Sein Blick, es war genau dieselbe Verzweiflung die ich bei Josh sah, den Tag bevor er, ich meine, als er Tess umgebracht hat.

Warum ich nicht schreiend, weggerannt bin dabei? Keine Ahnung, man hat ja gesehen, dass mein Selbsterhaltungsreflex nicht so stark ist, wie er eigentlich sein sollte.“ Will nickte nur zustimmend. „Ich denke es war, weil ich das Gefühl hatte, dass bei ihm da nur unter dieser riesigen Lage Wut eigentlich Trauer versteckt war.“

Ich zog meine Arme enger um meine Beine und lehnte meinen Kopf in einem plötzlichen Anflug von Körperkontaktbedürfnis an seine Brust.
„Die Wunde war zu diesem Zeitpunkt noch so frisch, dass ich denselben Fehler auf keinen Fall noch nicht einmal begehen wollte. Nicht noch einmal überhaupt nichts tun. Und dann habe ich das erstbeste getan, ich habe mich an ihn rangeschmissen.“
Trotz der Bitterkeit, die ich mit der Zeit verband, musste ich ein wenig Lächeln bei der Erinnerung. Er hatte es überhaupt nicht verstanden was ich von ihm wollte. Um seine Ehre zu retten - es war schwer zu erraten gewesen, da ich es ja selber noch nicht wusste.

Bei der Wortwahl grollte Will ein wenig, aber er hatte sich wirklich gut unter Kontrolle.
Das war der Beginn einer der der bittersüßesten, chaosbeladensten Abschnitte meines bisherigen Leben gewesen.

„Zuerst habe ich ihn mit mir ins Kino geschleppt und ich finde es bis heute verrückt, aber obwohl er mehrfach versucht hat sich rauszureden, am Ende ist er mit mir gegangen. Auch wenn er dann erst einmal nur stur geschwiegen hat, als ich ihn endlich mit mir hatte und ich die ganze Zeit nur geplappert habe.
Ich habe ihn überredet mit mir die Nacht durchzumachen, das war wohl das verrückteste was ich bis jetzt in meinem Leben gemacht habe. Ich habe eine Wildfremde Person aufgesammelt und direkt gezwungen bei mir zu bleiben“, ich musste ein wenig lachen „mit der Begründung, dass ich Angst vor dem Dunkeln habe. Irgendwie konnte er einfach nicht nein sagen. Und nach dieser Nacht, in der ich ihn auch eigentlich nur die ganze Zeit versucht habe abzulenken, mit den aberwitzigsten Dingen, da hat es irgendwie nicht mehr aufgehört.

Er hat mir verraten wo er wohnt und ab da bin ich jeden Nachmittag nach der Schule vor seiner Tür aufgetaucht. Es gab Tage da war nur Wut in ihm, da habe ich ihn um Hilfe gebeten in belanglosen Dingen, nachdem ich gemerkt hatte, dass es ihm half. Er musste sich gebraucht fühlen. Und an den Tagen, als da diese tiefe Trauer war, da habe ich ihn einfach gezwungen mit mir rauszugehen, sich zu bewegen, mit mir Wandern zu gehen.“ Dabei hasste ich Wandern, aber das hatte ich ihm nie erzählt, natürlich nicht.

„Mir hat er auch geholfen, er war mein Projekt, ich konnte etwas wieder gut machen. Etwas wieder zurückgeben.“

Ich war am Ende meiner Erzählung, unsicher blinzelte ich zu Will hoch.
„Ich kämpfe gerade“, teilte er mir mit und seinen Augen loderten in einer Intensität, die direkt in mich drang, ich konnte meinen Blick nicht mehr abwenden. „Ich möchte deinen Bruder aufspüren und dafür zusammenschlagen, was er dir angetan hat, als er dich mitnehmen wollte.“ Ich bekam eine Gänsehaut und schüttelte nur heftig den Kopf, er seufzte nur leise.
„Das ist dir wichtiger, als dass er ein Mädchen umgebracht hat?“

Er legt den Kopf schief. „Liz, ich will ehrlich sein – ich habe schon viele Tote Menschen gesehen, auch selber schon getötet, ja. Du bist meine erste Priorität, nicht irgendein Mädchen. Wenn du sie gern hattest, ja, dann ist es mir wichtig. Wenn nicht, dann nicht.“

Ich starrte ihn, mit weiten Augen, entsetzt. Das klang erschreckend psychopathisch.

„Du verstehst es nicht.“, stellte er fest. „Ich bin kein Mensch. Menschen, dich ausgenommen, sind mir egal. Ich bin ein Wolf, für mich zählt ausschließlich mein Rudel.“
Mir fehlten die Worte angesichts dieser Ignoranz.
„Ein anderes Rätsel kann ich lösen,“ wechselte er das Thema als ich nicht antwortete, “obwohl ich mir noch nicht so ganz sicher bin, ob es mich glücklich macht. Jack hat dich getroffen, weil ich ihm irgendeinen lächerlichen Befehl gegeben hatte. Ich bin der Alpha, ich kann spüren, wenn ein Rudelmitglied eine tickende Zeitbombe ist, ich wollte ihn beschäftigen. Es war vier Tage nachdem er das erste Mal seine Gefährtin getroffen hat und zwei Tage nach ihrem Tod. Heute weiß ich, es hat ihn gerettet, dich zu treffen hat ihn gerettet.“
„Aber?“, fragte ich tonlos, da war noch etwas.

„Meinen Wolf macht es verrückt, er will dich nicht teilen.“ Und nun war etwas Wildes an ihm, er wirkte mit einem Mal gefährlich.

Und genau das war die Stelle, als sich der Trotz wieder in mir regte.
„Dann halt ihn gefälligst im Griff“, zischte ich, obwohl ich mich doch eben noch wohl in seinen Armen gefühlt hatte.
„Du wirst nicht noch einmal versuchen wegzurennen.“, und nun sprach ebendieser Wolf aus ihm, ich sah es. Es war grollend, einschüchternd und besitzergreifend. Er atmete einmal tief durch. „Deine Vergangenheit kann ich akzeptieren. Aber du siehst Jack nicht mehr. Sieh dein Projekt als beendet an, du wirst nichts mehr mit ihm zu tun haben.“

Wütend funkelte ich ihn an. „Und du wunderst dich über meine Stimmungsschwankungen? Genau das ist es doch, du lässt mich nichts entscheiden! Ich bin nur eine Puppe in deinen Händen!“

„Du kannst alles entscheiden was du willst. Du kannst machen was auch immer du willst, solange du dabei bei mir bist und Abstand zu Jack hältst. Es ist mir alles egal - wenn es um dich geht, geht Sicherheit vor!“ Das war unanfechtbar, ich wusste es. Er würde nicht mit sich diskutieren lassen, zumindest in diesem Zustand, wenn seine Instinkte so stark waren.
„Ich rede nicht mehr mit dir, bis du dieses Verhalten da abgestellt hast!“, fauchte ich, ging auf Abstand und errechnete mir mal wieder wie winzig die Wahrscheinlichkeit war, dass ich vor ihm wegrennen konnte und er mich nicht fing.

„Du kommst jetzt einmal runter.“, knurrte er. „Wieder das. Ich kann jetzt auf die Uhr schauen und in weniger als drei Minuten, bist du wieder unglücklich und ich soll dich trösten.“

Ich fand keine Worte, das passierte mir in letzter Zeit besorgniserregend oft, also stand ich nur da und starrte ihn wütend an. Das schien ihn merkwürdigerweise wieder zu beruhigen und er kam mir wieder näher.

„Siehst du?“, flüsterte er, und auf einmal war seine Stimme wieder wie ganz weich und warm. Etwas hilflos und komplett verwirrt stolperte ich in seine Arme, er fing mich auf ohne eine Sekunde zu zögern.
„Es ist immer ein Wechselbad der Gefühle mit dir. Wovor hast du so schreckliche Angst, dass du alles das nur hast, um sie zu verdecken?“, wisperte er in mein Ohr, und ich kannte die Antwort auf seine Frage selber nicht. Alles was ich wusste war, dass ich mich endlich wieder komplett fühlte, wenn er mich hielt. Dass obwohl ich ihm Sekunden zuvor noch anschreien wollte, seine Arme um mich, dass himmlischste Gefühl war, das ich kannte.

7.

 

7.

 

Er hatte mich zu mir nach Hause begleitet, seine Hand ganz natürlich meine haltend. Es war schon beinahe egal was wir uns an den Kopf geworfen hatten, ich fühlte mich ein wenig wohler neben ihm, er kannte meine Geschichte.

Obwohl er sich tatsächlich ein wenig wie ein Wachhund verhielt nahm ich es einfach hin, dass er wie selbstverständlich bei uns hereinspazierte und natürlich sofort Amy und Anna auf seine Seite zog, die mittlerweile ebenfalls aus der Schule gekommen waren.

Während ich also in meinem Zimmer einige Kleidungsstücke in eine große Tasche schmiss, stand er in der Küche und war charmant zu meinen Mitbewohnerin. Wenn er wollte, konnte er wirklich seine angenehmen Seiten haben.
Fertig mit meinem Packen gesellte ich mich also zu, gerade als Anna ihn mit einem Augenaufschlag über sein Leben ausfragte. Sie konnte nichts dafür, sie dachte ja, ich wäre mit Jack zusammen, somit musste Will frei sein. Ein Teil von mir allerdings, leider viel größer als ich mir das vorgestellt hatte, war verdammt eifersüchtig, als sie so ihre Niedlichkeit und die großen Augen ausspielte.

„Ich bin Arzt, seit sechs Monaten arbeite ich im Atlanta Town Hospital“, nahm ich nur nebenbei seine Antwort wahr und hielt einen Moment inne. Er war Arzt? Wieso wusste ich das nicht? Eine Stimme in meinem Kopf wies mich darauf hin, dass ich mir nie wirklich Mühe gegeben hatte ihn kennenzulernen, aber trotzdem.
„Schön dagewesen zu sein, wir müssen dann los“, plapperte ich also los, ohne nachzudenken, ich wollte ihn aus Annas Schusslinie zu ziehen. Ja, das war auf dem geistigen Niveau einer Siebenjährigen, aber davon wollte mein Reflex nichts hören.

„Müssen wir?“, grinste Will, „Das ist ja mal was Neues. Sonst willst du doch immer gar nicht in mein Haus.“

Ich warf ihm einen meiner warnenden Blicke zu und er hob lachend, sich gespielt ergebend, die Arme.

„War nett euch kennenzulernen, Amy, Anna“, er verabschiedete sich mit einem wirklich überzeugenden Lächeln und ich sah Amy rot anlaufen.
„Was sollte das denn?“, grummelte ich, als wir in sein Auto stiegen, das hatte nicht ganz geklappt mit dem sich nicht anmerken lassen.
„Willst du denn nicht, dass deine Freunde mich mögen?“, ich schnaubte nur, als er mich von der Seite amüsiert betrachtete.
„Bist du etwa eifersüchtig?“, seine Augen leuchteten auf, der Gedanke schien ihm wirklich zu gefallen, ich starrte nur demonstrativ aus dem Fenster.

„Du bist also Arzt?“, erkundigte ich mich nach einer Weile, die Neugier brachte mich sonst fast um.

„So ist es.“

„Bist du nicht ein bisschen zu, ich weiß nicht, jung?“ Er wirkte natürlich älter als ich, aber ein komplett abgeschlossenes Medizinstudium?

„Ich bin Fünfundzwanzig“, informierte er mich. „Ich habe es vor einem Jahr abgeschlossen. Du erinnerst dich doch an Parks?“

Ich nickte, auch wenn mir bei der Erinnerung ein bisschen Röte in die Wangen schoss. Ja, da war etwas.
„Er ist Chefarzt der Chirurgie in Atlanta“, mein Gesicht musste mich verraten, den er ergänzte. „Ja, er wirkt nicht wie ein Chirurg, aber er ist wirklich gut. Er war einer der besten Freunde meines Vaters.“

Nein, diesen grobschlächtigen Mann hätte ich niemals für einen Chirurgen gehalten. Aber diese Seite von Will machte mich neugierig, sie war so persönlich und ich wollte sie erkunden. Die Vergangenheitsform, die er bei seinem Vater verwandte fiel mir durchaus auf, aber ich wollte den Frieden waren, nichts allzu provokantes fragen.

„Wie funktioniert das denn mit dem Geld vom Rudel?“

„Es gibt viele Werwölfe, eigentlich überall. Es ist ein bisschen wie eine riesige Brüderschaft, man kommt wenn man möchte problemlos an hohe Stellen in der Politik, ohne großen Aufwand. Finanziell sind wir daher auch gut versorgt, Wölfe die wollen können problemlos die Karriereleiter hinaufklettern und in der Regel kommt auch immer einiges zurück.“

Das klang erstaunlich geregelt und vernünftig.

Wir bekamen es also überraschenderweise hin auf der Fahrt ein zivilisiertes Gespräch zu führen. Ich erzählte von meinem ältesten Bruder Martin, der mittlerweile in Minnesota studierte und wie ich nach der Geschichte Josh weggezogen war und im Gegenzug erzählte er mir wirklich niedliche Kindheitsgeschichten von Jared.
Als wir am Packhouse ankamen war immer noch nichts entgleist, das musste ein Rekord sein. Dumm nur, dass es vorerst unser letzter Moment Frieden sein sollte.

Sienna riss die Tür auf, als wir gerade hereinkommen wollten, sie wirkte etwas zwischen wütend und verzweifelt.

„Jack, er reagiert nicht mehr auf das Pack-Link! Er ist einfach weg!“, ihre Stimme war schrill und es spülte mich weg wie eine Welle. Was hieß das? Jack konnte nicht weg sein. Will neben mir verwandelte sich mit einem Schlag von dem wirklich charmanten Wesen wieder in einen Alpha.

„Warum ist dir das erst jetzt aufgefallen?“, knurrte er und wirkte nun wieder angsteinflößend autoritär.

In dem Moment sah ich es, wie sie Will anblickte, mit dieser Abscheu.

„Er hat mich ausgesperrt“, jammerte sie und nun traten Tränen in ihre Augen. „Da habe ich ihn in Ruhe gelassen, ich dachte er müsste einfach nur seine Trauer verarbeiten. Aber … er ist weg.“

„Was bedeutet das?“, verlangte ich zu wissen, mit aufgerissenen Augen, Horrorszenarien durch meinen Kopf rasend.

„Entweder er ist einem anderem Rudel beigetreten, …oder tot.“ Gab Will mir knapp Auskunft und ich braucht einen Moment um die Bedeutung seiner Worte zu verstehen. Und um zu verstehen weshalb Sienna ihn so hasserfüllt anstarrte.

„Lass mich los!“, fuhr ich ihn entsetzt an, als seine Hand meine immer noch hielt,
„Warst du das? Hast du ihm etwas angetan?“, ich riss mich los.

Mein Gewissen arbeitete auf Hochtouren, alptraumhafte Panik zuckte durch mich. Hatte ich mich so in Will täuschen können? Ich kannte ihn überhaupt nicht, es war diese genetische Verbindung die mir immer das fälschliche Gefühl gab ihn schon immer an meiner Seite zu haben. Schuldgefühle schlimmer als je zuvor überrannten mich.

„Geht das jetzt von vorne los?“, stöhnte er und sah nun wirklich einen Hauch genervt aus., „Ich habe dafür jetzt keine Zeit, Sienna, komm mit mir.“ Hatte er das ausgesprochen, da begann er auch schon sich zu wandeln, verschwommen sah ich vereinzelt Hautfetzen und stücke tiefschwarzen Fells, da war er auch schon in einer fließenden Bewegung losgerannt. Für einen Moment stand ich da, gefangen von dem Anblick dieses riesigen schwarzen Wolfs mit den Eisaugen, dann hatte ich mich wieder im Griff und ging ins Haus.

Jack ist weg. Jack ist weg, das wiederholte sich immer wieder in meinem Kopf. Und Sienna, ein Mitglied seines eigenen Rudels, sie war der Meinung, dass Will Schuld daran war.
Jack konnte nicht tot sein, nein, das war nicht wahr. Das kann nicht wahr sein. Mich zu beruhigen versuchend ging ich mit mechanischen Bewegungen in die Küche und lief in, na wer hätte es gedacht, es war einfach mein Glückstag heute – Caroline.

„Wir haben die Ehre“, verkündete sie mit einem eindeutig nicht echten Lächeln, aber heute schien auch bei ihr etwas angekratzt bei all dieser künstlichen Oberfläche.

Ohne zu verstehen stand ich nur stumm da und musterte sie.
„Die Prinzessin ist sich also auch noch zu gut um zu reden. Als wäre es nicht genug, dass wir alle Doppelschichten schieben müssen, nein, jetzt braucht das Herzblatt auch noch einen Leibwächter.“
Caroline sollte? Nein, das war doch ein Scherz. Sie schien meinen Gedanken zu erraten, denn sie zog eine Grimasse.
„Genau, du darfst keinen Schritt mehr tun, ohne, dass ich dir folge. Während alle anderen suchen dürfen. Nach deiner Eskapade mit dem großen bösen Wolf musst du jetzt um jeden Preis von der Außenwelt abgeschirmt werden.“, sie schnaubte. „Meiner Meinung nach total übertrieben. Du hältst sowieso nicht lange durch.“

Aber ihre Worte drangen nur wie Watte zu mir durch.

„Glaubst du er hat es getan?“, flüsterte ich. „Will, meine ich.“ Ich wusste nicht was für eine Antwort ich von ihr erwartete, es war ohnehin nicht so, dass ich ihr vertraute, aber es kam einfach aus mir raus, als mein ganzes Gedankenkarussell ins rasen geriet.

„Werwölfe gehen über Längen, wenn es darum geht Konkurrenz auszuschalten“, wenn ich aufmerksamer gewesen wäre, dann hätte ich merken können, dass etwas an ihrer Erwiderung anders kling. Nicht so gehässig, bitter.

„Was habe ich getan?“, die Tränen begannen meine Wangen hinunter zu rollen. Wie hatte ich so blöd sein können. Ich hatte mich nicht mehr nach ihm erkundigt, ich hatte nicht versucht ihn anzurufen. Nach alldem was er mir gegeben hatte, wie hatte ich ihn einfach im Stich lassen können?
„Hörst du bitte auf damit?“, verlangte Caroline, „Sonst bekomme ich gleich noch den Befehl dich zu trösten – und glaub mir, das wollen wir beide nicht.“

Ich hörte sie gar nicht mehr, innerlich ging ich nur noch auf und ab, verzweifelt überlegend was ich tun könnte, wo er sich aufhielt, ob er am Leben war.
Ich konnte hier nicht einfach tatenlos sitzen, aber immerhin hatte ich eine blonde Wächterin neben mir, die, wenn Will mich ihr anvertraut hatte, zumindest kampfmäßig wirklich etwas draufhaben musste.

„Hast du vielleicht schon mal in Erwägung gezogen, dass er uns alle hier nur verlassen hat, weil er weg von dir wollte?“, bemerkte sie spitz und in diesem Moment machte es Klick bei mir. Wie sie es sagte - uns alle hier. Es klang so verletzt. Es klang wie die Aussage, die sie gemacht hatte als ich geraten hatte, dass sie Wills Ex war. Denn was sie eigentlich meinte war, er hatte nicht das Rudel verlassen, sondern Caroline.

„Du und Will?“, ich riss meine Augen auf um daraufhin mein Gesicht in den Händen zu vergraben. Was war das für ein Haufen Chaos.

Sie antwortete nicht, also schaute ich auf. Ihre Maske war verschwunden für eine Sekunde und ich sah wirklich tiefe Verletzung, bevor sie ihre Züge wieder geordnet hatte. Aber es reichte schon.

Es war wie als hätte jemand mein braves, langweiliges Leben geschüttelt wie eine Schneekugel und dabei alles auf den Kopf gestellt und großzügig Schmerz ausgeteilt an jeden der nicht bei drei auf dem Baum war – ich war auf einmal das Mädchen, dass einer anderen gleich zwei Freunde ausgespannt hatte. Und das noch nicht mal extra.

„Umso besser“, sprach ich es schließlich aus, tief durchatmend. „dann willst du Jack genauso sehr finden wie ich.“

Sie nickte, aber sie hatte wieder ihr normales Verhalten adaptiert, alle echten Emotionen sorgsam weggesperrt.

„Wie genau lautet dein Befehl, bezogen auf mich?“, fragte ich und wurde langsam ungeduldig. Wir verschwendeten hier Zeit, wertvolle Zeit von Jack.
„Ich muss dir hinterherlaufen wie ein gehirnamputiertes Hündchen“, grummelte sie und in dem Moment war ich schon aus dem Haus gelaufen.
„Caroline, denk gut nach!“, forderte ich sie auf. „Wenn Will daran Schuld ist“, beim bloßen Gedanken daran stand ich vor einem kompletten Zusammenbruch, „dann wird er ihn nicht finden. Deshalb müssen wir selber schauen gehen.“

„Und wo?“, fragte sie, diesmal immerhin ohne eine unpassende Bemerkung oder Beleidigung die gegen mich zielte.

„Es hat gestern geregnet, ich kann keine Fährten mehr lesen“, stellte sie fest.
„Was hatte es mit diesem Wolf auf sich?“, versuchte ich verzweifelt möglichst schnell auf einen hilfreichen Gedanken zu kommen. Sollte sie nicht besser mit all diesem Kram sein als ich?

„Das war nur ein Rogue“, sie zuckte mit den Schultern.

„Was ist ein Rogue?“, fragte ich eilig, jetzt war nicht die Gelegenheit zu schwätzen.
„Das sind Wölfe ohne Rudel, verstoßen oder einfach Einzelgänger. Nicht gefährlich, wenn sie nicht gerade Gruppen bilden.“ Endlich sah sie so aus, als würde sie eine Idee entwickeln.
„Es könnte sein, dass sich eine Roguegruppe im Westen von Atlanta eingenistet hat. Mein Vater hat mir erzählt, dass es schon einmal passiert ist. Das dortige Rudel ist nicht wirklich stark, sie verteidigen ihre Grenzen nicht so, wie wir das tun.“

„Na dann los!“, ich schaute sie auffordernd an und sie schnappte sich auch direkt die Schlüssel und wir rannten zu ihrem Wagen, einem kleinen, niedlichen Pick-Up.

„Aber was wollen sie von Jack? Oder Jack von Ihnen?“, dachte ich den Gedanken also weiter, als wir schon längst im Höchsttempo des kleinen Wagens die Landstraße entlang brausten.

Sie machte ein säuerliches Gesicht.

„So sehr es mir missfällt, dein Ego auch noch weiter zu füttern.“ Ich verdrehte nur noch die Augen. Um ehrlich zu sein, tat mir Caro Leid, sie konnte auch nichts dafür, dass ich ihr gleich zwei Typen wegschnappen musste. Auch wenn ich nichts bereute.
„Wenn er dich nicht umgebracht hat, dann hat er deinen Geruch aufgenommen. Vielleicht wollen sie dich aufspüren können. Und das wirklich sehr verzweifelt, wenn sie sich dafür auf Wills Gebiet trauen. Es kommt beinahe niemand durch die Grenzen unseres Rudels, Will hat das eigentlich perfekt im Griff. Wenn da jemand durchkam muss er wirklich viel Energie hineingesteckt haben.“

„Aber es war nicht Jack“, flüsterte ich und stöhnte. „Das ergibt doch alles keinen Sinn! Was wollen die denn mit mir?“
Nein, ich verspürte keine Angst. Die kam bei mir ja nur stets in unpassenden Augenblicken und nicht dann, wenn sie wirklich einmal nötig war.

Meine Kampferfahrung beschränkte sich darauf, dass ich einmal einem Jungen aus meiner Grundschule eine Ohrfeige verpasst hatte, nachdem er meine beste Freundin beleidigt hatte. Ich war eine Niete was Sport anging und bei genauerer Betrachtung war die Idee ziemlich unvorbereitet mit einer einzigen Kämpferin an meiner Seite schnurstracks in das Lager von verrückten, aggressiven Typen zu rennen ziemlich hirnrissig.
Aber gab es andere Vorschläge? Der verräterische Teil meines Gehirns wollte gerne Will zur Hilfe rufen, mich retten lassen. Es war der Anteil von mir, der sich sicher fühlte bei ihm, geborgen. Um ehrlich zu sein, man wollte Will nichts als Feind, sogar ich als absolut ahnungslose Person konnte erkennen, dass er Gefahr und rohe Kraft ausströmte in einem beängstigenden Maße. Der vernünftige Teil in mir allerdings war gerade im Berserker-Modus. Irgendwer musste hier ja Schuld sein und Will bot sich da gerade an, es war die offensichtliche Antwort und es lenkte mich ab von meinen eigenen Gewissensbissen.
„Wir sind bald an der Grenze“, verkündete Caroline knapp als aus dem Fenster nur noch Baum hinter Baum zu sehen war, die Augen nun unnatürlich glühend, das Gesicht hart. „Im Fach ist noch ein Messer, ich würde dir empfehlen es mitzunehmen.“ Sie klang wieder wie immer, überheblich und drohend. „Ich habe es immer gesagt, Menschlein sterben schnell.“
Meine Hand zuckte in Richtung der provisorischen Waffe im Handschuhfach, da sprang ein riesiges Monstrum so schnell auf uns zu, dass die Bewegung kaum verfolgbar war, mein Herz stockte. Carolines Reflexe waren gut, zu gut, sie bremste abrupt, die Reifen schlitternd – und uns um einen Baum wickelnd.
Unpraktisch.

 

8.

 

Es hätte mich nicht wundern sollen und das tat es auch nicht ehrlich gesagt. Auch das beste Messer wird nicht zu einer Waffe, wenn die Person die es führt absolut keinen Plan hat. Und den hatte ich nicht.
Mit einem lautlosen Quietschen hatte ich es fest an mich gepresst als ich plötzlich von Caroline aus dem Auto geschleudert im Wald zum Stehen kam, die Kämpferin Wolfsform vor mir aufgebaut. An diese Geschwindigkeit würde ich mich schwer gewöhnen, aber in diesem Fall half mir das Adrenalin.

Es dauerte ein wenig bis ich verstanden hatte, sie stand schützend vor mir Stellung eingenommen, die Zähne gefletscht und das sandfarbene Fell warnend aufgestellt.

Die beste Kämpferin des Rudels, so war es doch oder. Jetzt im Ernstfall konnte ich nur hoffen, dass es stimmte als die Reue über meinen idiotischen Plan über mich kam. Was war das denn? Ich sollte mich mal zusammenreißen, hier ging es um Jack. Den Jack, den ich bei genauerer Betrachtung überhaupt nicht verdiente.

Langsam dämmerte mir sowie Caroline, was ich nur vermuten konnte, dass die Situation denkbar schlecht aussah. Das Monstrum, welches sich uns entgegen geschmissen hatte, riesig und von einem fleckigen braun mit den glühendsten Augen besaß deutlich zu viele Kameraden.

Während sich dieses Exemplar sich uns langsam mit einem tiefen Knurren näherte, tauchten zu seiner Linken zwei Weitere auf und zu seiner Rechten gleich drei.

Mein Atem wurde unregelmäßig und viel zu schnell, ja, manchmal konnte ich dann die Gefahr doch erkennen, wenn sie mir wie gerade förmlich ins Gesicht spuckte. Es half nicht wirklich, dass ich unter den Neuankömmlingen nun auch noch den Wolf entdeckte, den ich damals in einem Anfall von ahnungloser Arglosigkeit gekrault hatte. Von der Flauschigkeit die ich zu dieser Gelegenheit geglaubt hatte zu sehen war nicht mehr sichtbar.

Als der letzte im Bunde dazugetreten hatte zuckte Caroline, kaum sichtbar, aber ich hatte es erwischt. War das Erkennen? Alle Möglichkeiten durchgehend, irgendwie musste ich diese pure Energie, eigentlich dazu gedacht zu fliehen, in mir beschäftigen sonst würde ich sehr dumme Dinge tun. Noch dummere als zuvor.

Konnte es sein, war es wirklich Jack? Der letzte Wolf war kleiner und hatte silbrigglänzendes Fell.

Die zwei Wölfe an der linken Seite waren übersät von großen, fleischigen Narben, fiel meinen hyperventilierenden Gehirn auf. Es verlieh in ein groteskes Äußeres, Wölfe hatten in all ihrer rohen Stärke eine Schönheit, eine Eleganz und diese Vertreter wirkten einfach nur verzerrt. So zugerichtet wirkte es viel animalischer, gewalttätiger.

Eine neue Welle von Schuldgefühlen überrollte mich, ich hatte Angst, Angst um Caroline in Stücke reißen.

„Was wollt ihr von uns?“, folgte ich meinem ersten Impuls, mit erstaunlich fester Stimme. Vielleicht war doch noch ein wenig Autorität an mir verloren gegangen.

Keine Antwort, nur ein lauteres Knurren, er war nur noch wenige Schritte von Caroline entfernt und ich hatte das unbestimmte Gefühle er würde sie in Stücke reißen, erst recht mit Unterstützung der Anderen.

Die nächste Impulshandlung von meiner Seite war schwer zu verstehen, um ehrlich zu sein verstand ich sie selber nicht. Ich war kein Held, nicht selbstlos oder wirklich mutig – aber in Angesicht von Gefahr stillhalten das konnte ich nicht.

Ohne Nachzudenken hechtete ich also vor Caroline, irgendetwas mussten sie doch wollen und es war besser, wenn sie das bekamen bevor die Blonde ernsthafte Schäden davontrug. Wollten sie uns nur umbringen dann wären sie ohnehin erfolgreich, wo war der Punkt darin sich hinter Caro zu verstecken?

Caroline schien überhaupt nicht begeistert, denn ich hörte etwas von hinten nach mir Schnappen, als ich allerdings schon an meinem Oberteil nach vorne gezogen wurde, die Zähne des großen grauen Biests darin versunken. Für einen Moment meinte ich diese Augen würden meinen Blick erwidern, als er auf ihn fiel, aber das konnte genauso gut meine Einbildung sein.
Klar war nur, dass ich gerade ziemlich in der Klemme steckte.

Caroline, nun offensichtlich gerade Wills Befehl folgend stürzte sich auf ihn, aber er war schneller, ihre Reißzähne erwischten nur einen Fetzen seines Ohrs.

Er grollte wütend, schon in Bewegung, mich mitschleifend und ich spürte seinen warmen Atem an meinem Gesicht. Es überraschte mich selbst wie schmerzhaft es sein konnte, wenn man über einen Waldboden voller spitzer Steine und dicker Wurzeln gezogen wurde. Die Zähne zusammenbeißend um nicht zu schreien riss ich mich zusammen.

Caroline würde zu diesem Zeitpunkt hoffentlich das einzig Vernünftige tun und Will rufen. Er würde wütend sein, zu recht, aber ich war einfach doch noch nicht bereit von diesem Grauen hier erledigt zu werden.

Sie rasten durch den Wald, die Gruppe, die Anderen Caroline vor sich herscheuchend, die immer wieder versuchte kleine Angriffe zu starten. Das war vermutlich der Grund, weshalb ich in der Lage gewesen war sie ohne große Überredung mit mir auf diesen Selbstmordtrip zu bringen – sie fühlte sich unbesiegbar. Leider waren diese Bestien anderer Meinung, immer wieder erwischte sie einer ein wenig, in der Gruppe waren sie stark und sie blutete schon an verschiedenen Stellen. Nur der kleine Wolf am Ende hielt sich raus, den Blick in sich gekehrt folgte er still der Karavane.

Meine Beine waren aufgeschürft und alles an mir schmerzte, ganz langsam begann mein Sichtfeld an den Rändern zu flimmern, wurde immer kleiner, bis mich Dunkelheit umgab. Es war ein willkommener Frieden.

 

Es war auch ein kurzer Frieden, nur Minuten später riss ich meine Augen auf als ich schmerzhaft mit dem Hinterkopf auf einen Felsen knallte. Alles was ich wahrnahm war verschwommen, nebenbei hielt ich das was ich sah auch für eine Hallizunation. In all diesem fiesen Stechen in meinem Kopf hatte ich mir eingebildet es waren Joshs Augen gewesen die sich starrend in meine gebohrt hatten. Meinem Bruder, dem Mörder. Er war der graue Wolf gewesen.

Eigentlich war es nahe liegend, sprach eine ganz ruhige Stimme in mir, schließlich war ein Wiedersehen ein großer Alptraum und die jetzige Lage kam einem Alptraum ziemlich nahe, das konnte man mal verwechseln.
„Aufwachen, El.“, verlangte eine forsche Stimme, und meine Instinkte drehten mit mir durch. Mit mehr Kraft und Schnelligkeit als ich mir jemals zugetraut hatte sprang ich auf und versuchte vor ihm zu fliehen, das Herz hammernd.

„Warum so eilig, Schwesterherz?“, hörte ich ihn amüsiert fragen als ich verzweifelt davonstürmte. Er hatte mich innerhalb von Sekunden.

Wie verdammt klein war denn die Wahrscheinlichkeit, dass mein Bruder, von allen Personen dieser Welt, dieses Pack anführen musste?
„Wir sind noch nicht fertig“, nun war alle Emotion aus ihm wie weggewaschen.

„Lass mich gehen, Josh!“ verlangte ich, aber ich zitterte. Das hier war mein Bruder, mein Psychopath von Geschwister, der mich zersplittert hatte.

„Du gehst nicht mehr“, informierte er mich entspannt und zwang mich ihn anzusehen, bei seiner Berührung zuckte ich zurück. Diese Augen, sie verbrannten mich förmlich, ich kannte sie von Jack, aber bei diesem war es noch schwach gewesen – der Wahnsinn der hingegen aus den Augen meines Bruders strahlte, er war maßlos. „Wir warten bis deiner edelmütiger Mate kommt und wenn er dann endlich aus dem Weg ist, dann können wir uns gegenseitig widmen. Du brauchst nicht mehr viel Geduld haben, ich werde ihn schnell erledigen“, beim letzten Satz strich er sanft mit seiner Hand meine Wange entlang und es löste Übelkeit in mir aus: Ich wollte ihn beißen.
„Was willst du?“, wiederholte ich mit mühsamer Selbstbeherrschung meine Frage von vorhin, in dieser Situation konnte ich es niemals mit ihm aufnehmen.
„Bist du denn gar nicht überrascht, Schwesterchen?“, lachte er sanft, aber es klang falsch in meinen Ohren. Es klang als wäre kein einziges Stück mehr übrig von dem Josh, der einst mit mir gespielt hatte, als ich im Kindergarten war, mit strahlenden Augen.
„Dass ich ein Wolf bin? Obwohl du keiner bist? Dabei ist es doch zu einfach zu erklären, wenn man sich unsere erbärmliche Mutter anschaut.“

Ein unerklärliches Bedürfnis zu lachen grub sich aus meinem Inneren nach Außen. Es war so Klischee, mein Bruder – er legte jetzt einen Schurkenmonolog hin? Man sollte Wahnsinnige nie unterbrechen, also schwieg ich, alles in mir verkrampft.

„Ich war der Unfall. Sie hatte eine Affäre mit dem Alpha des Rudels aus Denver.“ Aus ihm sprach dasselbe Selbstmitleid was normalerweise aus jedem Wort Carolines triefte. Als meine Gedanken sie strichen versuchte ich sie auszumachen und sah sie blutend zusammengerollt bewacht von den zwei Vernarbten am Rand der Lichtung auf der wir standen.

„Jedes Mal wenn sie mich angeguckt hat war es wie ein Schlag ins Gesicht, die Erinnerung, dass sie ihren Ehemann hintergangen hatte. Ich habe es nicht verstanden früher, aber heute, heute will ich sie dafür bezahlen lassen. Und du, Schwesterchen, du bist der Preis.“
Er fuhr fort und es schien fast nebensächlich, dass ich ihm kaum Aufmerksamkeit schenkte, mein Blick war auf Caro gerichtet während ich versuchte auszumachen wie ernst sie verletzt war.

„Dein Angebeteter Jack hat es mir erzählt“, als er seinen Namen aussprach schnappte mein Kopf herum und ich riss die Augen auf. Er war wirklich hier? „dass du jetzt einen Gefährten gefunden hast, einen Alpha.“

Starke Gefühle nagten an mir und schrieen danach, dass ich endlich etwas tat. Konnte er bitte seine Show beenden, ich musste zu Jack, nach ihm schauen.
„Aber ich finde das nicht fair“, fuhr er geduldig fort, langsam aber sicher beschlich mich der Verdacht, dass hier psychopathische Tendenzen existierten.

„Du kannst nicht glücklich sein, mit deinem Mate. Nicht, wenn ich es nicht kann mit meinem Mate.“
War das ein kruder Rachefeldzug gegen das Schicksal? Ich wusste nicht was mit seiner Gefährtin geschehen war. Das Eine was ich ihm auf jeden Fall erklären konnte, denn ich hatte schmerzvoll gelernt, dass man dagegen nicht ankämpfen konnte – es machte alles nur noch viel schlimmer.

Es überfiel mich, die Erkenntnis, dass ich Will brauchte. Ich war schwach, da hatte Caro recht gehabt und sie hatte dafür bezahlt, für meine eigene Schwäche. Allein kam ich hier nicht mehr raus, der Schmerz in meinem Inneren darüber meinen Bruder wiederzusehen, mir einzugestehen, dass ich Jack vermisst hatte, es machte die Dinge nicht leichter.

Caro brauchte schnelle Hilfe und ich hatte das Gefühl ich schuldete ihr etwas, dafür, dass ich ihr sowohl Jack als auch Will genommen hatte.

„Du wirst spüren wie es ist, wenn ein Teil von dir aus dir gerissen wird, ausblutet.“, Joshs graue Augen, meinen eigentlich so ähnlich, wurden dunkel und hart. „Es ist nicht fair, wieso solltest du Fröhlichkeit verdienen – mir stand es zu. Mir und ihr.“
So sehr es in mir tobte und zeriss, in ihm war kein Teil von dem Bruder, den ich einst gekannt hatte mehr übrig. Da war nur noch Wut und Rage. Diese Situation war zu viel, Angst beherrschte mein Denken. Angst um Caro, Angst um Jack und ja, auch Angst um Will.

„Ich weiß nicht was passiert ist“, flüsterte ich und Verzweiflung klang daraus, „aber das hier bringt sie nicht zurück. Lass Jack gehen, lass mich gehen, du kannst es nicht erzwingen, dass es aufhört wehzutun.“

„Jack gehen lassen?“, er lachte humorlos, „Er ist zu mir gekommen, Schwesterherz. Er hat mich um Hilfe angefleht. Und da ist mir die Idee gekommen, die wunderbare Idee.“
Das sagte er nur um mich aufzuwühlen, redete ich mir zu, aber der Zweifel war längst gesäht. Jack, der meinen Bruder auf mich gehetzt hatte? Der ein Mädchen zerfleischt hatte?

„Ich glaube dir nicht“, brachte ich hervor. „Es ändert nichts. Wie denkst du denn überhaupt, dass du Will erledigen könntest? Er ist stärker als du.“
„Da hast du leider recht, aber deshalb habe ich ja Hilfe.“, er grinste mich breit an. „Wir sind ein wunderbares Team – du wirst ihn für mich in eine Falle locken. Nicht wahr?“
„Niemals!“, spie ich aus, entsetzt.

„Keine Sorge, ich habe das richtige Druckmittel“, sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er das Ganze hier genoss. Ich wollte ihn schlagen.
„Bringt ihn her“, bellte er in einem Befehlston, der mir fremd war. Alles an ihm war mir fremd.

Mein Atem wurde unkontrolliert schneller, als die zwei verbliebenen Wölfe den kleinen grauen vor sich hertreibend zu Josh kamen. Jack? Das musste er sein.
„Verwandele dich“, knurrte er ungeduldig.

Für einen Moment blieb alles stehen, diese braunen, warmen Augen, sie hatten mir gefehlt. Endlich sah ich ihn wieder, nachdem er sich in einem Wirbel von Bewegung wieder in seiner menschlichen Form befand. Meine Knie wurden weich, so überwältigt war ich.
„Es ist ganz einfach, du machst was ich sage, El, oder das wars mit deinem teuren Jack.“ Josh wirkte ekstatisch, aufgeregt, er hatte sein Machtspielchen wunderbar am Laufen.

War es das, was er wollte? Ich sollte die Entscheidung treffen? Will oder Jack, Übelkeit breitete sich in mir aus. Ich hatte noch nicht mal irgendetwas getan. Was ein Alptraum.

Jack suchte meinen Blick und alles an ihm flehte um Verzeihung. Es tat ihm Leid, es stimmte, was Josh behauptet hatte.

„Lass Caro gehen“, ich zitterte, „ich mache was du sagst, aber du lässt sie gehen.“

Das Blut was ich jetzt schon an meinen Händen kleben hatte sollte nicht mehr werden.

„Du wirst vernünftig!“, verkündete Josh mit einem freudigen Lächeln, er wedelte mit der Hand Richtung Caroline. „Lasst sie fliehen“, dann wandte er sich wieder zu mir mit offensichtlichem Vergnügen. „Für die Blonde überlege ich mir auch noch einen schönen Ausgleich, schließlich muss ich ja etwas davon haben.“

„Sie kommen, Alpha, sie haben gerade die Grenze passiert“, informierte einer der beiden bulligen Wölfe meinen Bruder.

„Es beginnt“, er freute sich wie ein kleines Kind an Weihnachten. Ja, da hatte ich recht gehabt mit meiner Vermutung einer psychopathischen Tendenz.“

„Weißt du, anders als Jack hatte ich nicht das Glück meine Gefährtin vom Tod weggenommen zu bekommen. Mein Mate, sie hat mir versprochen, dass wir zusammen sind, wenn ich Tess erledige.“, ich sog scharf die Luft ein aufgrund der Tatsache, dass ihn Tess Tod so wenig mitnahm. „Ich habe es getan. Ich habe sie aus dem Weg geschaffen, aber meine Gefährtin sie hat mich verlassen. Obwohl ich für sie getötet habe, sie hat mich zurückgelassen, nur weil ich kein Rudel hatte.“ Ein Schatten von Selbstmitleid schlich sich in seine Erzählung.
„Das Gefühl von deinem Gefährten abgewiesen zu werden, der einen Person die dazu bestimmt ist, dich zu verstehen, dass ist das schlimmste der Welt. Schlimmer als vom Tod entzweit zu werden.“
Diesen Punkt, den glaubte ich ihm. Die Vorstellung, dass Will mich abweisen würde, sie war der pure Horror

„Ich will, dass er es auch erfährt, diesen Schmerz. Du hast Glück gehabt“, tief in Gedanken verloren strich mir Josh beinahe zärtlich über mein Haar, „du musst nur seinen Tod verkraften, nicht seinen Verrat.“

Ich zuckte zurück von seiner Berührung, er hatte alle Loyalität von meiner Seite verloren, er wollte die beiden wichtigsten Personen in meinem Leben zur Strecke bringen.

„Ich vertraue auf deine schauspielerischen Fähigkeiten oder eher gesagt Jack vertraut auf sie.“ Mein Blick zuckte zur besagten Person, die wirklich verzweifelt aussah. Ich würde ihn gerne in den Arm nehmen. Er war am Ende gewesen, als er Wills Rudel verraten hatte und meinen Bruder aufgesucht hatte. Das hoffte ich zumindest, denn so konnte ich mir am ehesten einreden, dass ich ihm das hier vergeben konnte. Sollte Will allerdings wirklich sterben, dann war ich mir da nicht mehr so sicher. Jack für ihn opfern, dass löste riesigen Widerstand in mir aus.
„Du wirst ihm sagen, dass du seine Hilfe brauchst, dass Jack verletzt ist, er dir folgen soll und wenn er nicht sofort mitkommt du ihn niemals verzeihen wirst. Das sollte doch Druckmittel genug sind. Wenn dein Gefährte einmal in der Schlucht ist, dann ist das Spiel zu Ende.“ Er kicherte beinahe und ich konnte ihn nur entsetzt beobachten.

Krank, absolut krank.
Schwer atmend, alles in mir fühlte sich steif und kalt an, folgte ich Josh, eine andere Wahl blieb mir ohnehin nicht.
Ich sollte ihn in diese Falle locken, die mir Josh zeigte. Die Gruppe meines Bruders hielt sich hinter einem Felsen versteckt, der ihnen ermöglichte sich direkt auf meinen Gefährten zu stürzen, ohne, dass er damit rechnete. Normalerweise würde Will niemals unvorbereitet in so eine ungünstige Situation geraten, aber dafür war ich ja da.
„Das Spiel beginnt – denk daran, wer für deine Fehler bezahlen muss“, Josh schnappte sich Jack und suchte ebenfalls Zuflucht hinter dem riesigen Stein.

Mit klopfenden Herzen, ich wollte mittlerweile einfach nur noch in Wills Arme, so wie er mich heute abend noch gehalten hatte und alles vergessen. Der Welt entfliehen, ihn endlich auf mich aufpassen lassen. Er wäre immer für mich da, aber ich war einfach zu stur.

Mich selbst verfluchend, innerlich betend, dass es Caro gut ging und alles hier ein lebenswertes Ende nehmen würde, wartete ich auf Wills Ankunft.

Er kam in einem atemberaubenden Tempo, die riesige schwarze Gestalt mit den Eisaugen furchteinflößend, die Rudelmitglieder in einer strengen Formation hinter ihm.

Wachsam kam die Gruppe vor dem Eingang zur Felsschlucht zum Stehen. Will war ein bedachter Anführer, er sah eine Falle wenn sie vor ihm stand.

Die Kraft ging mir aus. „Will.“, flüsterte ich, die Stimme brechend.

 

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Tag der Veröffentlichung: 03.10.2015

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