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Schwanger in dem Alter?

Gebannt starrte Lena auf das Schwarz-Weiß Bild in ihrer Hand. Am Morgen war sie zum Arzt gegangen, weil Mario, ihr Freund, sie dazu gedrängt hatte.

In letzter Zeit fuhren ihre Gefühle Achterbahn und ihre Stimmung schwankte von Himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt. Oft brach sie ohne Grund in Tränen aus, um sich im nächsten Augenblick in einen Lachanfall aufzulösen. Dann blieb vor drei Monaten ihre Regel aus. Wechseljahre, dachte sie nur, Menopause. Statt der berühmten Hitzewallungen war sie immer noch eine Frostbeule, die ständig mit kalten Füßen zu tun hatte.

An Verhütung hatten sie nie einen Gedanken verschwendet, da immer gesagt wurde: Frauen in ihrem Alter würden nie auf natürlichem Wege schwanger werden. Und Mario war sowieso der Ansicht, wenn es passierte, dann ist es eben so. Doch Lena war damit durch. Als Mutter zweier erwachsener Kinder genoss sie ihre Unabhängigkeit und Freiheit. Ihr Sohn Jeremy lebte in Hamburg und studierte dort Grafikdesign, während ihre Tochter Nina in Bonn Jura studierte. Sie dachte noch an die Zeit, als beide klein waren, und schüttelte sich, Nina war elf Monate älter als Jeremy und das erste Jahr war für Lena die Hölle. Nun waren sie 23 und 24 Jahre alt und gingen ihrer Wege. Lena hatte wieder Zeit für sich. Nina lebte in Bonn mit Markus zusammen und hatte vor kurzem für mächtigen Wirbel gesorgt, als sie verkündete schwanger zu sein. Lena fiel aus allen Wolken, sorgte sich wegen des Studiums und befürchtet Schlimmes. Doch Markus und Nina hatten an alles gedacht, ein Semester Pause und dann würde Nina ihr Studium fortsetzen. Markus wäre dann fertig und könnte zu Hause bleiben, oder Teilzeit arbeiten.  Lena ließ sich nur schwer beruhigen, doch Nina ließ nicht locker. Und schließlich schenkte Lena ihrer Tochter Vertrauen. Vor allem wegen des bohrenden Ehrgeizes, den Nina schon in der Schule hatte.

Und jetzt,  ja jetzt starrte Lena auf das Ultraschallbild mit den winzigen Wesen in der Mitte.  Zwillinge, doppelter Spaß, hatte der Arzt gesagt.

»Scheiße, Scheiße, Scheiße! Was mach ich denn jetzt?«

Am liebsten hätte sie laut losgeheult. Ihr Leben verlief perfekt, bis heute.

Vor einem halben Jashr hatte sie den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. Schmiss ihren Job hin, kratzte ihr erspartes zusammen und nahm eine Kredit auf. Es war immer schon ein Traum von ihr, einen Laden mit Dekoartikeln zu führen. Und Mario bestärkte sie zu dem Schritt. Sie war glücklich mit sich, ihrem Leben und vor allem mit Mario.

Aller anfänglichen Zweifel, Ängste und Befürchtungen zum Trotz, waren sie seit fünf Jahren immer noch zusammen. Lena erinnerte sich an den Anfang, als sie ihn in dem Chatroom kennenlernte und sich die Nächte mit ihm um die Ohren schlug. Sie erzählte ihm alles über sich, ihre gescheiterte Ehe und über ihr Leben. Instinktiv wusste sie, dass sie ihm alles anvertrauen konnte. Obwohl er 21 Jahre jünger war, verhielt er sich sehr reif. Das machte bei ihr Eindruck. Zudem hatte er eine sensible Art, die sie tief berührte.

Sie fanden heraus, dass sie in der gleichen Stadt lebten und beschlossen sich real zu treffen. In einer Eisdiele sah sie ihn zum ersten Mal.  Ab dem Tag sahen sie sich regelmäßig. Für Lena war er der beste Freund den man haben konnte, bis zu dem Abend, als sie zu viel Wein trank und alles aus dem Ruder lief. Sie landete schließlich bei Mario im Bett und wäre am nächsten Morgen am liebsten gestorben. War sie denn völlig verrückt. Theoretisch könnte er ihr Sohn sein. Hatte sie eine komplex von dem sie nichts wusste? Mario tat so, als sei alles in Ordnung, während sie an sich zweifelte. Doch irgendwas war da, denn es blieb nicht bei dem einen Mal. Ihr Nein-sag-Zentrum versagte bei ihm völlig. Es war wie ein Rausch. Irritiert stellte sie fest, dass sie sich ihrer Weiblichkeit bei ihm mehr als bewusst wurde. Nachdem ihr Exmann ihr ständig einredete, dass sie frigide sei, gab Mario ihr das Gefühl begehrenswert zu sein. Und als Mario ihr seine Gefühle vor die Füße warf, reagierte sie panisch. Ein so junger Mann sie lieben? Nein das durfte man nicht, das konnte nicht sein.  Das war verrückt, ja krank. Und sie floh meldete sich nicht mehr bei ihm und buchte das erst Beste, was der last minute Schalter am Flughafen bot: zwei Wochen Ibiza.

Doch nach drei Tagen vermisste sie ihn und mit eiserner Wucht traf sie die Erkenntnis, dass sie ihn ebenfalls liebte. Was sollte sie tun? Ihre Gefühle für ihn leben? Die Welt außen vor lassen? Was würden ihre Kinder sagen? Was ihre Mutter, oh Gott, an die durfte sie gar nicht erst denken.  Hin und hergerissen, wählte sie Marios Nummer auf ihrem Handy und legte auf. Mist, sie konnte doch keinen Rat bei ihm Suchen, denn er war doch der Auslöser für das Dilemma.

Und dann klingelte kurz danach auch ihr Handy und sie ging aus Gewohnheit ran.

»Wo bist du?« Marios Stimme klang gepresst. Ob er wütend war?

»Ibiza.« Antwortete Lena knapp.

Und jetzt? Was passierte jetzt? Egal, dachte sie und sprudelte los. Schüttete ihm ihr Herz aus und beichtete ihm all ihre Ängste, Zweifel und Gefühle.

»In welchem Hotel bist du?«

Sie nannte ihm das Hotel und versuchte sich aufs ein- und ausatmen zu konzentrieren. 

»Ich versuche meinen Urlaub vorzuziehen, und das gleiche Hotel zu buchen. Wenn es klappt, bin ich morgen da. Dann reden wir. Aber erst wasche ich dir dein hübsches Köpfchen: du hast mir einen Mörder Schrecken eingejagt.«

»Bist du böse auf mich?«

»Ein wenig, aber auch erleichtert. Ich lege nun auf und vergiss nicht ich liebe dich, alles andere ist egal.«

»Ich weiß.« Mehr konnte sie nicht sagen. Ich dich auch oder ein ich liebe dich auch, wollte ihr nicht über die Lippen.

Die Nacht, die nun folgte, war schrecklich. Sie heulte wie ein Schlosshund und vermisste ihn um so mehr.

Mario kam dann nicht nach Ibiza, da er seinen Urlaub doch nicht verschieben konnte.  Doch er holte sie am Flughafen ab mit einem Strauss Blumen. Das Gespräch, welches sie dann führten, war lang, und irgendwie schaffte er es, ihre Zweifel und Ängste zu zerstreuen. Und er behielt Recht, weder ihre Kinder, noch ihre Mutter, reagierten ablehnend. Zwar war ihre Mutter skeptisch, doch sie meinte nur das es ihr Leben sei. Ab da waren sie ein Paar und Lena blühte auf, konnte sich fallen lassen und wurde von seinemn Armen aufgefangen.

Selbst jetzt nach fünf Jahren waren sie immer noch glücklich. Ja noch. Doch die Neuigkeiten, die sie hatte, konnten alles verändern.

Schwanger, schoss es ihr zum x-ten Mal durch den Kopf. Schwanger mit 48.

Sie blickte sich im Laden um. Eine junge Frau stand vor dem Regal mit den Blechfiguren und schien etwas zu suchen. Raus, dachte Lena ich muss jetzt hier raus.

»Entschuldigung brauchen sie noch lange? Ich muss den Laden jetzt schließen.«

Das war sonst nie ihre Art, doch sie musste mit Mario reden.

»Ich suche eigentlich ein Geschenk für einen Freund. Aber ich kann auch morgen wiederkommen.«

»Ja das wäre wirklich nett, danke« Lenas Stimme klang brüchig.

»Geht es ihnen nicht gut, sie sind weiß wie die Wand?«

»Nein es geht schon. Ich hab nur eine schlimme Nachricht erhalten, das ist alles.«

»Oh das tut mir leid. Dann bis morgen. Sie haben sehr schöne Sachen hier.« Mit diesen Worten ging die Kundin, und Lena schloss erleichtert hinter ihr ab.

Dann holte sie ihr Handy und schreib eine SMS an Mario: Bitte komm nach Hause. Es ist wichtig.

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten:

Schlecht, bei uns brennt die Hütte.

Mist und jetzt? Egal, er musste es möglich machen.

Es ist verdammt wichtig. Ich war beim Arzt.

Okay das war etwas gemein, da er nun eine Katastrophe befürchten musste.

Ich versuch´s, geb dir Bescheid.

Eilige verließ die den Laden und fuhr nach Hause. Dort fand sie keine Ruhe, lief erst auf und ab, danach rückte sie an den Kissen auf dem Sofa rum, schob Zeitschriften zusammen und verstand zum ersten Mal, warum manchen Menschen rauchten.

Und endlich nach gefühlten mehreren Stunden ging die Haustüre auf.

Mario kam ins Wohnzimmer gestürmt und riss sie in seine Arme.

»Was ist los mein Herz? Bitte sag nicht das es Krebs oder sowas ist. Bitte ich will dich nicht verlieren.«

Geschockt blickte sie ihn an. Er war kreidebleich und völlig außer sich. Das wollte sie nun wirklich nicht.

»Nein, doch es sind auch nicht die Wechseljahre. Ich ... na ja ich bin schwanger im vierten Monat so wie es aussieht.«

Sie war mit jedem Wort leiser geworden.

»Oh Mann Lena, ich sah dich schon im Krankenhaus an Schläuche und so ein Zeugs angeschlossen. Jag mir nie wieder so ein Schreck ein. Und wie heißt die Krankheit nun... ähm ... Moment, sagtest du schwanger?«

Ungläubig blickte er sie an und Lena nickte nur.,

»Aber Schatz, Liebling, Herzallerliebste, das ist großartig, wow einfach toll, irre fantastisch. Setz dich sofort und leg die Beine hoch. Und wissen es die Kinder schon oder deine Mutter. Was wird es? Junge oder Mädchen?«

Lena musste lachen, das war ihr Mario, so impulsiv und überschwänglich.

»Was er wird, weiß ich nicht. Und du solltest schon der Erste sein, der es erfährt. Aber soviel kann ich verraten es sind zwei Babys. Wir bekommen Zwillinge.«

Stürmisch küsste er sie auf den Mund.

»Zwei? Na das muss doppelt gefeiert werden, und ich hab mich schon gewundert, warum deine Taille sich so ausdehnt.«

»Taille ausdehnt? Willst du damit andeuten ich bin fett?«

Lena rollten Tränen übers Gesicht. Wenn er sie nicht mehr attraktiv fand, dann dauerte es nicht lange, bis er sich anderweitig umsah.

»Nein natürlich nicht. Du bist immer noch die schönste aller Frauen für mich. Selbst mit drei Tonnen Gewicht liebe ich dich noch.«

»Oh, Mario hör auf. Ehrlich meinst du, ich sehe nicht, wie du manchen Frauen nachschaust.«

»Schatz komm mal wieder runter. Das hat überhaupt nichts zu bedeuten. Denn du bist alles, was ich will. Andere Frauen nerven meist und wenn ich mal einer nachseh, nur um festzustellen, die beste an meiner Seite zu haben.«

»Schmeichler.« Nun musste Lena doch lächeln. Es war sonst gar nicht ihre Art so auszuticken. Hormone, dachte sie genervt.

»Tschuldige. Müssen die Hormone sein.«, presste sie hervor.

Mario zog sie an sich. Er streichelte über ihren Bauch, der ja mittlerweile eine erklärbare Wölbung aufwies. Aber er hatte es ernst gemeint, egal wie Lena aussah, er liebte sie.

»Geht es dir gut? Und es ist besser, du setzt dich. Weißt du was? Heute koche ich und du ruhst dich aus.« Mario dirigierte sie zum Sofa und drückte sie auf die Sitzfläche. Fürsorglich hob er ihre Beine an und schob ihr den Hocker unter.

»Hey ich bin schwanger, nicht dem Tode nahe.« Gereizt fuhr Lena ihn an, doch sie erntete nur ein wohlwollendes Lächeln, was sie mit einem Augenrollen quittierte.

»Tu einfach was ich sage, dann ist alles gut.«

Lena stieß ein mürrisches Knurren aus, aber sie ergab sich. Eigentlich genoss sie diese Art Zuwendung ja, aber sie würde den Teufel tun und es eingestehen.

»Auf was hast du Hunger? Eis mit sauren Gurken, oder Leberwurst mit Nutella?« Sein Grinsen löste ihre Anspannung und sie musste nun doch lachen.

»Willst du, das ich kotze? Hmm Hunger habe ich schon. Hähnchen wäre toll. Die von der Grillbude am Supermarkt.«

»Natürlich meine Königin, für dich ist mit kein Weg zu weit. Dann sollst du ein Hähnchen bekommen.«

Mit einem Kuss verabschiedete er sich. Lena schloss die Augen. Oh Mann wie sollte das alles nur weiter gehen? Was wurde aus ihrem Laden? Mit einem Kind, wäre das schon logistisch eine Meisterleistung, aber mit zweien? Wieder schossen ihr Tränen in die Augen. Plötzlich vibrierte ihr Handy. Mit der einen Hand fuhr sie über ihre Augen, mit der anderen fischte sie ihr Smartphone vom Tisch.

Oh nein bitte, dachte sie nachdem sie erkannt wer sie anrief. Seufzend nahm sie das Gespräch an.

»Hey Nina, wie geht es dir?«

»Huhu Mama, du ich hab ne tolle Nachricht. Markus und ich ziehen um. Und dreimal darfst du raten wohin.«

Lena hasste diese dreimal- darfst-du-raten Spiele.

»Zum Mond?«, fragte sie deshalb ungehalten.

»Quatsch, sag mal hast du miese Laune?«

»Ich bin ein wenig genervt Nina. Hab eine nicht so tolle Nachricht bekommen.« Hart schluckte sie. Am Telefon konnte sie es Nina vielleicht besser sagen. Doch sie fühlte, wie ihre Knie weich wurden, und war dankbar für das Sofa unter ihr.

 

Impressum

Texte: Thabita Waters
Bildmaterialien: © sognolucido - Fotolia.com
Lektorat: noch unlektoriert
Tag der Veröffentlichung: 22.12.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Mathias, du weißt warum.

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