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Kapitel 1

„Blut! Großmutter! Blut!“, schrie Johanna. Die Tür zu dem niedrigen Hühnerstall stand zwar nur ein wenig offen, aber auf dem trockenen Sandboden lief ein kleines rotes Rinnsal heraus, das nur langsam in den Boden sickerte.
„Großmutter, ein Fuchs!“, schrie sie noch einmal. Johanna umklammerte einen Ast aus dem Brennholzstapel so fest, dass die Knöchel weiß wurden. Sie wagte es nicht in den Stall zu gehen. Vielleicht war sogar ein Wolf oder ein Bär bei den Hühnern. Ohne den Blick vom Eingang des kleinen Stalls abzuwenden bewegte sie sich rückwärts. Einige Schritte hinter ihr befand sich in der Ringmauer Kaysenheims ein mannhohes Loch. Johanna rief hindurch.
„Komm! Großmutter, schnell!“
„Oh Gott, Kind, hast du etwa die Tür aufgelassen ?“
Die Großmutter kam angerannt, hob ihren Rock hoch und stieg durch das Loch in der Mauer. Sie wollte Johanna gerade eine Kopfnuss geben, als ein heftiger Windstoß die Tür des kleinen Hühnerstalls aufriss. Großmutter stockte der Atem als Hunderte von blutigen Federn, wie roter Schnee herausgewirbelt wurden und langsam zu Boden segelten.

Anna nahm ihrer Enkelin den Knüppel aus der Hand und beugte sich vor, damit sie besser einen Blick in den Stall werfen konnte.
Der leicht metallische Geruch von frischem Blut schlug ihr entgegen. Hühnerköpfe und herausgerissene Gedärme lagen noch feucht glänzend im Blut. Anna fiel auf die Knie.
„Herrgott, hilf uns, das geht nicht mit rechten Dingen zu!“
„Warum, Großmutter? Das war doch nur ein Fuchs, ein Marder oder sonst ein Tier!“
Anna schüttelte den Kopf und deutete auf den Türrahmen. Dort steckte ein abgerissenes Hühnerbein mit den Krallen im Holz.
„Das Huhn muss die Krallen vor lauter Angst so tief ins Holz gegraben haben, dass sie darin stecken blieben. Dann hat er dem armen Tier das ganze Bein abgerissen“, flüsterte Anna. Die Vorstellung davon ließ Johanna einen kalten Schauer über den Rücken laufen.
„Ich habe schon viel erlebt, Johanna. Das war kein Fuchs, das war der Leibhaftige! Wir...“, sie zögerte einen kurzen Moment, „wir sind verflucht.

Johanna wusste, was dieses Zögern bedeutete. Eigentlich befürchtete Großmutter Anna, dass sie, Johanna, verflucht war, denn bei ihrer Geburt war ihre Mutter Maria gestorben und ein seltsamer Stern hatte mit seinem hellen Schweif den Himmel überspannt. Im gleichen Jahr war auch der Krieg ausgebrochen, der nun schon Johannas ganzes dreizehnjähriges Leben dauerte. Johannas Vater war schon lange mit den kaiserlichen Truppen in diesen Krieg fortgezogen.
Die Großmutter las wohl in ihren Augen. Sie stand auf und nahm Johanna in den Arm.
„Großmutter, ich muss es doch am besten wissen. Ich bin nicht verflucht. Anderen geht es genauso schlecht, wie uns. Im letzten Frühjahr haben die Truppen, wo immer sie hergekommen sein mögen, auf den einzigen Feldern gelagert, die noch eine ordentliche Ernte bringen. Sie sind plündernd durch Kaysenheim gezogen, aber unser Haus haben sie verschont. Gut, wir haben das wenige, das wir an wertvollen Sachen hatten herausgegeben müssen. Aber das haben andere auch getan und trotzdem wurden ihre Häuser verwüstet, den Frauen und Mädchen Gewalt angetan.“
„Den Silberkamm deiner Mutter habe ich dir aufgehoben, Johanna.“
„Das war unvorsichtig, denn es hätten Landsknechte zur Kontrolle vorbeikommen können. Wir hatten Glück, dass das nicht geschah. Soviel Glück kann keiner haben, der verflucht ist, oder?“
Großmutter Anna nickte.
„Wir wollen aufräumen, so lange es noch etwas hell ist.“
„Vielleicht haben wir ja Glück im Unglück. Ich schaue mal, ob wir noch etwas retten können?“, versuchte Johanna ihre Großmutter aufzumuntern.
„Ein oder zwei Eier sind vielleicht nicht kaputt. Ich werde danach suchen!“
Sie schluckte und beugte sich hinunter. Das Blut war mittlerweile in dem sandigen Boden versickert, der dadurch eine dunkelbraune Farbe angenommen hatte. Zwischen den Strohnestern fühlte sie nach Eiern, fand aber nur feuchte Schalen. Sie wünschte sich so sehr, ihrer Großmutter ein Ei als Zeichen der Hoffnung zeigen zu können. Endlich im letzten Nest ertastete sie ein unversehrtes Ei, vielleicht sogar ein bißchen größer als üblich.
„Ich habe eins gefunden, das ist noch ganz!“, rief sie und hielt das Ei in die Abendsonne.
„Oh, Gott“, seufzte Anna nur und brach zusammen. Jetzt erst warf Johanna selbst eine Blick darauf. Es war pechschwarz. ...

Impressum

Texte: Erschienen im Twilightline Verlag im Mai 2009. ISBN: 978-3-941122-32-1 Preisempfehlung: 13,90 ¤
Tag der Veröffentlichung: 14.05.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Bestellmöglichkeiten - im Buchhandel oder online über http://www.kaysenheim.de

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