Kapitel 4, Donnerstag 18.12.09
Am nächsten Morgen erwachte ich so ausgeschlafen und munter wie schon lange nicht mehr. Als ich den Kopf drehte, bemerkte ich, dass sich Greeneye auf meinem Kopfkissen zusammen gerollt hatte und mich nun schläfrig anblinzelte. Ich grinste und dachte mir, dass dieser Kater perfekt zu mir passte. Er mochte mich, obwohl ich ihn angefahren hatte, er hatte Dad von sich überzeugt, war eindeutig nicht ganz normal und ein Langschläfer. Was wollte man mehr?
Gut gelaunt schwang ich mich aus dem Bett und erinnerte mich an gestern Abend. Ich hatte es mir auf meinem Sitzsack mit Greeneye gemütlich gemacht und begonnen, ihm von meinem Problem mit Kate zu erzählen. Irgendwie ging es mir danach viel besser, und ich konnte zum ersten Mal, seit Kate weg war, wieder normal einschlafen. Hatte ich schon erwähnt, dass ich diesen Kater liebte?
Immer noch bei bester Laune ging ich die Treppe hinunter wo ich Dad antraf und runzelte die Stirn, als ich auf die grosse Küchenuhr sah. „Dad, ich will dir ja nicht deinen Tag verderben, aber müsstest du nicht schon bei der Arbeit sein?“ Dad sah mich erstaunt an. „Cassie, ich habe mir heute frei genommen, weil Carry an einer Weiterbildung teilnimmt. Schon vergessen?“, fragte er mich. „Ah ja, stimmt. Dad“, sagte ich gedehnt, „Weisst du, wir haben jetzt einen Kater und du weisst sicher auch, dass ein Kater ein Katzenklo braucht und etwas zu fressen… Und wie gesagt, du hast doch heute frei, und Greeneye hat bestimmt schon Hunger…“
Wie auf Kommando stand Greeneye plötzlich am Fuss der Treppe und miaute herzzerreissend und schaute Dad aus grossen, unschuldigen Augen an.
Dad seufzte und gab sich geschlagen. „Jaja, der Wink mit dem Zaunpfahl ist angekommen“, brummte er. „Aber das Katzenklo machst du sauber, und die Katzenstreu bezahlst du auch. Sonst treibt mich dieser Kater noch in den Ruin.“
„Ja Dad, wird gemacht!“, flötete ich brav und setzte mich, um zu Frühstücken.
Nachdem ich meine Cornflakes verdrückt hatte, ging ich wieder nach oben und blieb vor Dylans Zimmertür stehen, als ich ein leises Schnarchen hörte. Ich linste ins Zimmer und sah, wie Dylans Brust sich hob und senkte, begleitet von einem steten Schnarchen. Ich hab es doch gewusst!! Aber nein, glaubte mir je irgendjemand?? Nein, und deshalb hätte ich es auch mit Tonband aufnehmen können; weder Dad noch Dylan selbst würde mir jemals glauben, dass er schnarcht. Also schlich ich weiter in mein Zimmer und machte mich bereit für die Schule und freute mich darauf, Tamara wieder zu sehen. Ich wusste noch nicht, ob diese Freundschaft halten würde, aber ich wusste, dass ich sie mochte.
Beschwingt schnappte ich mir meinen Mantel und die Stiefel und fuhr immer noch gut gelaunt in die Schule. Heute war ja so ein schöner Tag!
Als ich zum Parkplatz fuhr, war sogar mein Stammplatz leer! Was wünschte man sich mehr? Ich schwebte schon fast vor lauter gute Laune in Biologie, als plötzlich eine grosse Gestalt in mein Sichtfeld schob und mir den Weg zum Schulhaus versperrte.
„Was soll das?!“, fuhr ich den Schatten an. Aber als ich das Gesicht der Person erkennen konnte, war die ganze gute Laune für den Rest des Monats aufgebraucht. Ben. Schon wieder hatte er es geschafft, mir einen wertvollen Tag meines Lebens zu zerstören.
„Ben was soll die Scheisse? Lass mich durch und nerv mich nicht“, fuhr ich ihn an und versuchte ihn zur Seite zu schieben. Ich war ja sonst nur selten so zickig, aber Ben brachte mich immer auf die Palme, ausser er war krank oder kam mir aus sonst irgendeinem Grund nicht in die Quere.
„Du hast immer noch nicht auf meinen Brief geantwortet“, antwortete er und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. Ich seufzte, so wie es im Moment aussah, würde er nicht aufgeben bevor er eine Antwort hatte.
„Hör mal“, begann ich zögerlich - nicht dass ich Angst davor hätte, seine Gefühle zu verletzen, aber er war beinahe zwei Köpfe grösser als ich und mindestens 40 Kilogramm schwerer - , „ich finde es ganz niedlich von dir, mich zum Ball einzuladen, aber…“
„Aber?“, fragte er bedrohlich nach und knackte mit den Fingern. Entweder würde mir gleich eine verdammt gute Antwort einfallen oder ich müsste mich in Zukunft wohl künstlich ernähren lassen.
„Öhm… Also naja..“ Ich druckste ein wenig herum und hoffte, so Zeit gewinnen zu können. „Ja?“ Immer noch ragte er vor mir auf wie ein bedrohlicher Fels. Hatte ich schon erwähnt, dass er richtig profimässig war im Tage versauen?
„Eben, ähm, es gibt da diesen einen Jungen…“ Mein Hirn lief schon auf Hochtouren, aber es fiel mir einfach kein geeigneter Kandidat ein, dem ich im Nachhinein erzählen konnte, dass er mich unbedingt auf den Ball begleiten müsse, weil mich Ben sonst aufhängen würde. „Die Sache ist die“, platzte ich heraus, „Ich gehe mit Dean, dem Neuen, hin. Tut mir leid“, fügte ich hinzu, aber ich überlegte schon, wie ich Dean davon überzeugen könnte, mich zu begleiten. Der Vorteil war, dass er nichts von meinem Feuerunfall wusste – zumindest hoffte ich das – der Nachteil war, dass ich überhaupt nicht wusste, auf was ich mich da einliess.
„Aha. Und warum hast du mir das nicht früher gesagt?“, wollte er wissen. „Weil… Weil ich so lange darüber nachgedacht habe, wie ich es dir am schonendsten beibringen könnte…“ Irgendwie fand ich selbst, dass meine Antwort unglaubwürdig schien, aber sie stellte Ben anscheinend zufrieden und mein Tag war voraussichtlich gerettet.
Erleichtert setzte ich den eingeschlagenen Weg fort und setzte mich neben Tamara, die bereits auf mich wartete. „Na, verpennt?“, fragte sie und grinste breit. „Nein, viel schlimmer. Ben“, antwortete ich düster. „Tja, das ist eben ein echt tragisches Schicksal“, meinte sie, „Es hätte so eine romantische Liebesgeschichte entstehen können, aber das Leben hat es anders gemeint mit euch…“ „Tamara, halt einfach die Klappe, ja?“ Ich hätte nie gedacht, diesen Satz bei Tamara mal gebrauchen zu müssen. Aber okay, ich habe auch nie damit gerechnet, dass Kate wegziehen würde, dass ich eine Katze anfahren und sie behalten dürfte, dass ich mit Tamara überhaupt redete… In den letzten Tagen lief einiges anders als vorhergesehen.
„Bens Schicksal hatte ein paar kleine Bens und Cassies geplant, aber dein Schicksal hatte gerade keine Lust dazu und gab Bens Zukunft einen Tritt in den Allerwertesten…“, fuhr Tamara fort, ganz die Dramaqueen, die sie hinter ihrer steinernen Maske war.
„Tam! Welchen Teil von ‚Halt die Klappe‘ hast du eigentlich nicht verstanden?“ Ich stand kurz vor eine Kollaps: Ben wollte mit mir zum Ball, und ich hatte ihm gesagt, ich würde mit dem Neuen hingehen, der von seinem Glück noch gar nichts wusste und seit zwei Tagen nichts mehr von sich hatte hören lassen… Ja, das würde lustig werden.
Während Mr. Holeman an der Tafel vorne irgendetwas über Gentechnik - oder war es Genetik? - erzählte, befahl ich meinem Hirn, sich gefälligst Lösungen einfallen zu lassen. Das konnte doch nicht unmöglich sein! Hmm, wenn ich zumindest Deans Adresse noch wüsste…
„Miss Hope! Würden Sie uns bitte nochmal erklären, was das Spezielle an einem Allel ist?“ Mr. Holeman stand vor meinem Pult und hatte sich triumphierend davor aufgebaut. Mist! Er ertappte immer nur mich, wenn ich nicht voll dabei war…
„Ähm, könnte es sein, dass…“ „Ja, Miss Hope? Wir warten gespannt auf Ihre Erklärung“, sagte er widerlich süss. Ich hatte doch diesen Artikel gelesen… Über Erbkrankheiten und Mutationen…
„Ha! Ein Allel ist eine Kopie eines Genes, dass sich an derselben Stelle auf dem Chromosomensatz befindet, einfach auf dem anderen X!“, sagte ich triumphierend. Holeman verzog enttäuscht das Gesicht. Dieser Punkt ging eindeutig an mich! Den Rest der Stunde liess er mich in Ruhe, und so konnte ich mich wieder meinen Problemen widmen.
Auch nach einer Doppellektion Biologie war ich immer noch nicht auf eine Lösung gestossen. Alle Möglichkeiten setzten voraus, dass ich es Dean erzählte, aber wie sollte das gehen? Ich meine, irgendwann musste ich es ihm sagen, aber wann? Ich hatte ihn seit dem ersten Tag nicht mehr gesehen…
„Ach ja, bevor ich es noch vergesse: Ihr habt heute kein Englisch, da Mrs Aster krank ist.“ Es erhob sich schon erfreutes Getuschel im Klassenzimmer, als Holeman uns den ganzen Spass wieder verdarb: „Deswegen erhaltet ihr einen Arbeitsauftrag, den ihr bis morgen erledigen solltet! Ich verteile euch nun die Blätter mit den genauen Anweisungen!“
Das Klassenzimmer leerte sich langsam; auch Tamara und ich verliessen den Raum und schlenderten gemütlich zu unserer Bank.
„Was machst du nachher?“, wollte sie wisse, als ich gerade mein Pausenbrot auspacken wollte. „Hmm… Ich glaube, ich mache was mit Dylan. Ich habe es ihm ja schon gestern versprochen gehabt…“ Sie winkte ab. „Kein Problem, ich verstehe. Geschwister gehen vor… Meistens“, fügte Tam mit einem Augenzwinkern hinzu. Ich lächelte sie an, dankbar dafür, dass sie mich verstand. „Bis morgen in dem Fall. Ich lass heute noch von mir hören!“, rief ich ihr zu, als ich mich schon auf dem Weg zu meinem Wagen befand. Wie ich mich auf meinen freien Nachmittag freute!
Er kratzte sich am Ohr und sehnte sich nach einer warmen Dusche. Nicht, dass er das Katzendasein nicht mochte, aber eine Katzenwäsche war nichts im Vergleich zu einer richtigen Dusche. Reichte wohl die Zeit dafür, bis jemand nach Hause kam?
Neugierig schlüpfte er durch Cassies Tür hindurch in ihr Zimmer und sprang auf ihr Pult. Dort lag, neben säuberlich aufgereihten Stiften, ihr Stundenplan ausgebreitet. Er blickte rasch auf die Uhr. Ja, er hatte mehr als genug Zeit; zwei Englischlektionen sollten ihm schon reichen. Danach hatte sie den ganzen Nachmittag frei.
Mr. Hope kam sowieso erst nach sechs Uhr zurück, er war schliesslich doch noch in seine Praxis gefahren, und Dylan musste auch erst noch abgeholt werden.
Nachdem er sich verwandelt hatte, schlang er sich ein altes Badetuch um, welches er im Schrank gefunden hatte, und ging ins Bad. Schliesslich konnte er nicht in sein eigenes Haus; Cassies Vater überprüfte jedes Mal gewissenhaft alle Fenster und Türen, bevor er das Haus verliess. Folglich konnte er nicht hinaus, ohne eine Spur zu hinterlassen, und er wollte die Hopes nicht unnötig beunruhigen.
Jedenfalls redete er sich das liebend gerne ein. Denn er hatte daran Gefallen gefunden, neben Cassie aufzuwachen und gekrault zu werden. Er war hoffnungslos verloren; aber er wollte sich das noch nicht eingestehen, auch wenn er es schon tief in sich spürte, dass er sie nicht mehr verlassen konnte.
Er versuchte seinen Kopf von all diesen Gedanken zu befreien und liess einfach das Wasser rauschen, bis er nichts mehr hörte, ausser seinem Klang.
Ich dachte gerade darüber nach, wie ich am besten Dylan abholte; Dad hatte mir eine SMS geschrieben, als ich an der Unfallstelle von gestern vorbeifuhr. Irgendwie war es schon komisch, ich hatte Greeneye gerade eben erst gefunden, aber es kam mir vor, als würde ich ihn schon ein Leben lang kennen. Ich beschloss, nicht mehr weiter darüber zu philosophieren, als ich die Einfahrt erblickte.
Ich summte fröhlich vor mich hin, glücklich darüber, unsere Englischlehrerin zwei Stunden weniger ertragen zu müssen. Als ich, immer noch fröhlich summend, ins Haus eintrat; die Stiefel in die Ecken schleudernd, und genoss das Geräusch fliessenden Wassers… Halt! Fliessendes Wasser?! Irgendwas stimmte da nicht! Dad war nicht zu Hause, ausser er hätte die Grippefälle heute im Eiltempo erledigt, und Dylan war auch noch bei Carry… Wieso floss also das verdammte Wasser? Hatte ein Einbrecher eine Dusche genommen? Oder waren Greeneye Hände gewachsen?
Vorsichtig lief ich auf den Zehenspitzen die Treppe hinauf und stellte mich vor die Tür. Dort hielt ich mein Ohr daran und lauschte: Mir war, als ob ich jemanden leise singen hörte, meinen neuen Lieblingssong. Die Stimme hatte mich so in ihren Bann geschlagen, dass ich fast vergessen hatte, weshalb ich eigentlich an der Tür stand.
Egal; wer oder was auch immer da drin war, hatte vielleicht einen guten Musikgeschmack, aber das erlaubte ihm keineswegs, einfach in meinem Haus eine Dusch zu nehmen. Ich machte mich auf alles gefasst, als ich die Tür öffnete, um dem unbekannten Eindringling mal gehörig die Meinung zu sagen. Also drückte ich die Klinke hinunter und öffnete die Tür.
„Wer auch immer du bist: RAUS AUS DEM BAD!!! Das hier ist nicht dein Haus!!“, schrie ich in den Dampf hinein. Das leise, bisher melodiöse Singen verstummte augenblicklich. Ich spähte durch den Dampf und erhaschte einen Blick auf eine gross gewachsene, schlanke Silhouette hinter dem Duschvorhang.
„Cassie?“, fragte eine mir nur zu bekannte Stimme hinter all dem Nebel. Ich verschränkte die Arme und bemühte mich, eine nicht allzu erschrockene Miene aufzusetzen. Gleichzeitig versuchte ich, meine Fassung wiederzugewinnen.
„Dean Ashton, was zum Teufel machst du in meiner Dusche?“
Lies weiter in Plursha -5-!
Tag der Veröffentlichung: 31.01.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Migih, ohne Dich und Oli gäbe es dieses Buch nicht. Danke.