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Prolog



Mein Leben lang hatte ich stets einen Wunsch: Ruhe. Einmal in meinem Leben wollte ich nicht mit dem Tod konfrontiert werden. Einmal nicht der Dreh – und Angelpunkt derjeniger sein, die ihre Mitleidsheuchelei irgendwo auslassen mussten.
Ich habe immer geweint, gefleht und auch gehofft es möge sich bessern. Aber es folgten nur noch Schlimmere Momente. Ich brauchte lange, um zu verstehen, was und vor allem, wer ich bin. Und nun, da ich es weiß, will ich nur noch zurück. Will unwissend zu Hause sitzen und mich selbst betrauern, um mein altes Leben flehen und verschwinden. Klammheimlich und unentdeckt meine Wege ziehen, bis ich von Dannen ziehe.
Aber nun, da habe ich keine Wahl. Ich muss Aufgaben erfüllen. Sehe unerträgliches Leid und vielleicht auch einmal Hoffnung. Und das alles nur, weil Tod mich in sein Herz schloss.


1



Bis zu einem Stichtag hatte man mein Leben als völlig normal bezeichnen können. Ich war naiv, fröhlich und hatte Angst vor dem Tod. Wie jeder andere auch.

Doch dann fing ich an zu denken. Ich wollte doch nur die Grenzen meines Seins bestimmen, als ein Schicksalsschlag nach dem anderen meine kleine heile Welt erschütterte. Und jedes davon war ein Beben, was mich zu Boden zwang. Es war schwer nach jedem einzelnen wieder aufzustehen. Am Anfang war ich dafür noch Feuer und Flamme. Kämpfte gegen mein inneres Wirrwarr an, versuchte die Gefühlte, vor allem die Trauer zu besiegen, doch ich vergaß allmählich. Nach mehreren Jahren, wie es ging.

Es gab so viel Trauer in mir, so viel Wut, geteilt mit Angst. Jeder Schritt wurde zu einer Qual, denn stets hatte ich Angst, von dem verfolgt und verraten zu werden, was mit alles nahm. Ich wollte, dass es aufhörte, irgendwann sich änderte und ich nicht dauernd befürchten musste, erneut einen zu verlieren. So viel Tod, Leid und Schmerz um eine Person war doch zu viel? Oder nicht?

Was bei den ältesten Personen in meinen Bekanntenkreis anfing hörte bei der jüngsten auf. Meiner Mutter. Und gerade eben diese, hatte mir den letzten Halt gegeben und mir versprochen, dass alles gut werden würde. Sie hatte mich gehalten und getröstet, als mein Vater starb. Versucht mir ein kleines Stückchen heile Welt zurückzugeben, doch auch das war vergebens. Denn am Ende ließ sie mehr fallen, als mir zu geben. Sie verlor ihr Leben, wie viele andere auch.

Nun sitze ich im Krankenhaus. In dem Flur. Vor dem Zimmer, indem sie gerade die Leiche meiner Mutter verpacken, als wäre sie ein Gegenstand. Ich versuche mich zu beruhigen, versuche, zu verstehen, wieso sie jetzt auch noch ging, wieso man mir nicht das Letzte ließ, was ich gehabt habe.

Ich kann nicht weinen. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie ist der Schmerz zu groß, als sich zu bewegen, oder gar zu denken. Ich sitze einfach nur da und schaue zu, wie sie das Bett ganz langsam an mir vorbei schieben. Ich senke den Blick und atme tief durch, doch diese Schnur, die sich um mein Brustkorb gelegt hat und erbarmungslos zudrückt verschwindet nicht. Sie bleibt und lässt mich mein Bewusstsein verlieren.

***


Mein Bewusstsein kehrte fließend zurück und nach und nach folgte der Schmerz. Ich stöhnte auf und bemerkte zu meinem Erstaunen, dass ich in einem Bett lag. Es war dunkel, nur ein schmaler Schein drang zwischen den Vorhängen hindurch auf den Boden vor meiner Liege.

Ich blinzelte mit den Augen und versuchte mich zu orientieren. Wo war ich?

Während ich nachdachte und zu dem Ergebnis kam, dass ich wohl immer noch im Krankenhaus war, schaute ich den Fusseln zu, wie sie vergnügt im Lichtstrahl des Mondes tanzten. Wehmütig versuchte ich Anteilnahme an dem Gefühl der Schwerelosigkeit zu nehmen, aber es gelang mir nicht. Meine Augenlieder senkten sich herab und ich wollte nur noch schlafen. Die schwere meiner Glieder zog mich zurück ins Kissen.

Meine Augen fühlten sich trocken an und brannten, als hätte ich etwas im Auge gehabt. Eine Wimper oder so etwas in der Art. Das jedoch konnte ich ausschließen. Es war die Uhrzeit, die seelische Erschöpfung und die Trauer, die auf ihnen lastete. Und nicht nur auf meinen Augen, sondern auch auf meinem Brustkorb. Atmen schmerzte höllisch, als wäre es falsch. So unendlich falsch, dass ich wirklich mit dem Gedanken spielte, die Luft anzuhalten, bis meine inneren Alarmglocken schrillten und ich unter Schmerzen nach Luft schnappte, nur um den Vorgang zu wiederholen.

Ich wollte keine Schmerzen. Nimmermehr!

Ein Schatten rechts neben meinem Bett ließ mich zusammenzucken. Es war ein Mensch, der dort stand. Wahrscheinlich ein Krankenpfleger. Ich drehte mich weg und murmelte unverständlich, dass er doch bitte gehen möge. Doch ich hörte keine Schritte, ich hörte gar nicht, weder sein Atem, noch Schritte. Wobei ich doch spürte, dass er neben mir stand.

„Ich gehe nicht, dazu sehe ich dich zu selten.“

Eine Hand lag kalt und schwer auf meiner Hand. Für einen Moment dachte ich alles Glück der Welt sei verloren oder nicht mehr existent. Auch wenn dieses Gefühl komisch wirken sollte, so war es doch angenehmer, als mein jetziger Zustand. Ich drehte mich langsam um und sah die Umrisse eines jungen Mannes.

So sehr ich mich auch bemühte, näheres von ihm zu erkenne, so sehr wurde ich enttäuscht, es war zu dunkel und meine Augen zu überreizt.

„Ich muss wieder gehen. Es tut mir leid.“ Er strich über meine Stirn. „Um es zu verstehen, musst du in deine Vergangenheit gehen.“

Kurz nachdem er seine merkwürdige Aussage gemacht hatte, ging das Licht an und ein Arzt und eine Krankenschwester stürmte herein. Der Mann neben mir hatte seine Hand auf einmal an meinem Handgelenk und fühlte den Puls.

„Alles gut soweit, aber ich denke, wir sollten sie da behalten“, sagte er und klang so ganz anders, als eben gerade noch. Ich kniff die Augen zusammen und musterte ihn von oben bis unten. Er schien jedoch nicht verändert.

„Sie haben hier Wache gehalten?“, fragte der alte Arzt und schaute zu mir. „Na da haben sie ja einen guten Praktikanten erwischt. Und zu ihnen!“ Er deutete auf den Mann neben mir. Ich hatte mittlerweile meine Augen geschlossen.

„Sie sorgen dafür, dass sie sich nichts antut, bis sie ihre Medikamente bekommt. Und dann sprechen wir uns noch. Im Dunkeln, was muss sie für einen Schreck bekommen haben!“

Ich fühlte mich gar nicht, als hätte ich einen Schreck bekommen. Ich fühlte mich einfach nur mies und wollte alleine sein. Mich in der Decke vergraben und nicht mehr darüber nachdenken, was ich jemals wieder tun würde.

Und wer war dieser Mann, der so merkwürdig gesprochen hatte.

„Dr. Rench, Zimmer 5, Herzstillstand!“ Eine andere Schwester trat in den Raum und verließ ihn auch ebenso schnell wieder, wie sie gekommen war.

2.

14 Jahre zuvor


„Mama! Guck mal, das Bild!“ Das Mädchen hüpfte schnell die Treppenstufen zu der Terrasse herauf. Katzenaugen fixieren sie. Sie sind verwundert, dass das Mädchen lächelt. Ihre Mutter weint und hält die Hand ihres Vaters, der als gebrochener Mann in seinem Liegestuhl liegt und stur auf den gedeckten Tisch schaut. Es sieht nicht annähernd so aus, wie zuvor.

„Was ist das?“

„Das hab ich eben am Steg gemalt, ich will es Oma geben! Vielleicht geht es ihr dann besser.“

Sie lächelt, kleine Grübchen bilden sich. Die Katze kauert sich tiefer ins Unterholz und bewegt ihren Schwanz hektisch hin und her, ohne auch nur einen Ast oder gar ein Blatt zu berühren.

„Dann geh zu ihr, aber nur, wenn sie wach ist.“

Die Mutter legte eine Hand auf ihren Kopf. Das Mädchen hüpfte aufgeregt vor Freude einmal auf der Stelle. Und als sie in das Haus rannte, sprintete die schwarze Katze ebenfalls los und glitt hinter den beiden Erwachsenen vorbei, dem Mädchen hinterher. Sie wollte wissen, was sie dort tat. Einem sterbenden noch etwas lebendiges, wie ein Bild zu schenken, war durchaus untypisch. Vor allem mit einer solchen Freude. Ohne Trauer oder Schmerz wandelte sie durch die Zimmer, die Treppe hoch.

Sie bemerkte nicht, dass der kleine schwarze Schatten ihr unbemerkt folgte. Hinter sich ließ sie nur eine Spur von Kälte. Blumen vertrockneten und ließen ihre Köpfe hängen. Die Katze schaute kurz hoch und schnurrte kurz. Die Blumen blieben aber verwelkt. Es war nicht im Sinn des Tieres, eine Spur zu hinterlassen.
„Oma!“, das Kind lachte auf.

Die Katze folgte allein dem Geräusch und betrat ein dunkles Schlafzimmer. Alle Vorhänge waren zugezogen, nur eine matte Lampe leuchtete an der Wand und spendete etwas Licht.

Die Katze setzte sich in den Türrahmen und schaute zu, wie das Mädchen sich auf den Bett setzte. Neben seine Großmutter und ihr das Bild reichte. Die alte Frau griff mit schwerer Hand danach und schaute kurz auf das Bild.

„Oma, sieh, das ist der Steg. Und das Boot, mit dem du mir versprochen hast zu fahren, wenn du wieder laufen kannst. Geht es dir denn schon besser? Können wir das morgen machen?“

Fasziniert beobachtete die, doch noch vom Spieltrieb, angetriebene Katze dem wippen der Zöpfe als das Mädchen ihren Kopf energisch umwandelte.

„Ja, ich denke schon“, log die Großmutter. Sie legte auch eine Hand auf den Kopf des Mädchens und lächelte sie an. Das kannte er nun gar nicht. Niemand machte noch Hoffnungen in seinen letzten Momenten. Wütend und verletzt sprang der auf das Bett. Und schmiegte sich an das Kind. Es sollte seine Kälte fühlen und endlich nicht mehr lachen und Freude verteilen.

„Hey, Amy. Meine Kleine.“ Die Großmutter lächelte. „Wir haben Besuch.“ Dabei schaute sie die Katze wissend an und lächelte gutmütig. Aber sie machte nicht die Anstalten, sie zu berühren, wie das Mädchen, sondern ließ ihre Hand neben sich auf dem Laken liegen. „Ich schenke dir das Boot. Okay, dann kannst du immer, wenn du damit fährst an mich denken. Aber bitte weine nicht.“

Das Mädchen schaute fasziniert auf ihn herab und vergrub ihre Finger in dem dichten Fell.“Oh Oma, das ist toll. Aber ich weine doch nicht, nicht einmal wenn ich mir das Knie blutig schlage!“ Sie kraulte ihn, was ihm gar nicht passte, doch dann sagte sie etwas zu ihm. „Och du bist ja ganz kalt, komm her ich wärme dich.“

Ehe er sich versehen konnte war er auf dem Arm von Amy, wehrte sich aber nicht, sondern fixierte sein Opfer. Die Frau. Ihre Zeit war um, er würde sie mitnehmen. Er würde sie erlösen, aber er musste dieses Spiel beenden. Solange durfte er nicht verweilen, sonst würden zu viele Menschen überleben. Er hatte zu arbeiten.

Als er die Wange von dem Mädchen an seinem Kopf spürte, fauchte er auf und bohrte seine Krallen in ihren Unterarm. Amy schrie auf und ließ ihn endlich los. Wütend schaute er zu der Frau, die ihre Augen auf ihn gerichtet hatte und immer noch lächelte. Noch einmal schaute sie zu dem Mädchen. „Versprich nicht traurig zu sein.“

Dann schaute sie wieder zu dem Kater, der sich in ihren glasigen Augen spiegelte. Und als er ging, spürte er, wie er etwas von der Frau mitnahm.

Das Mädchen schrie. Aber er würde ihre Wärme nicht vergessen.




Impressum

Texte: (c) bei Nesszara Oklyvonkowyck
Tag der Veröffentlichung: 09.08.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Sasy und Sas... irgendwie lass ich euch schleifen .__.

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