I dedicate this book to lollinchen because she is my "Stammleser" and because she wanted to have a sequel of the series :D Here is your sequel! Cheers :D
Das Zimmer sah aus wie ein Aquarell, das man mit Wasser übergossen hatte. Alles war unscharf und verschwommen. Nur eines war deutlich zu sehen: Eine große, rechteckige Korkplatte in einem dunkelbraunen Holzrahmen. Auf der Korkplatte waren drei waagerechte Lederstreifen befestigt, und hinter diesen Lederstreifen klemmten allerlei Heftchen, Blätter, Steckbriefe, Skizzen, Bilder, Notizen… So etwas nannte man eine Briefwand, fiel es mir ein. So eine Briefwand hing auch im Zimmer meiner Mutter, mit dem Unterschied, dass dort wirklich nur Briefe geklemmt hatten. Auch ihr Schreibtisch war voller Briefe gewesen, begraben unter einer Flut aus Papier und rotem Siegellack. Ich hatte mich immer gefragt, wie sie es bewerkstelligte, all diese Briefe zu beantworten. Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass sie Tag und Nacht schreiben müsste, wenn sie wirklich jeden einzelnen durchnahm. Und als ich eines Nachts durch den Türspalt in ihr Zimmer lugte, brannte dort eine Kerze. Ihr weicher Schein fiel auf eine dünne blonde Frau, aus deren Dutt sich einige Strähnen gelöst hatten und ihr ins Gesicht fielen. Ihre müden Augen folgten den Bewegungen ihrer Feder, sodass es aussah, als wäre ihre Hand ein selbstständiges Wesen, das von alleine schrieb. Von Zeit zu Zeit setzte sie ab und legte den Kopf für einige Minuten in ihre freie Hand. Dann rappelte sie sich wieder auf und schrieb weiter. Ich weiß noch, dass mich dieser Anblick irgendwie erschreckt hatte. Meine Mutter, die mir sonst sowieso immer ein wenig fremd war, wirkte nun wie eine vollkommen Unbekannte. Eine Unbekannte, die nachts aufblieb, um Briefe zu schreiben. Um die Angelegenheiten ihres Herzogtums zu erledigen. Ich starrte die Unbekannte eine Weile an, bis irgendetwas in mir erzitterte. Mir war auf einmal kalt.
Und als die Frau dann plötzlich den Kopf wandte und mich erstaunt ansah, hatte ich das dringende Gefühl, wegrennen zu müssen. Ich drehte mich um und lief davon. Später, als ich wieder in meinem Zimmer war und zusammengerollt unter der Bettdecke lag, hörte ich die Tür aufgehen. Ich hatte ein wenig Angst, dass es meine Mutter war und dass sie auf mich schimpfen würde, obwohl sie das noch nie getan hatte. Und dann…
Ich musste kurz die Augen schließen, und auf einmal war die Erinnerung wieder weg. Stattdessen war da wieder die Briefwand mit all den Papieren. Eine Briefwand über einem Schreibtisch aus Ebenholz. Der Schreibtisch schien unter dem Gewicht der zahlreichen Briefe und Dokumente zusammenzubrechen. Wie bei meiner Mutter… Aber nein, das war nicht ihr Schreibtisch. Ihr Schreibtisch war nicht aus Ebenholz…Aber wo war ich dann hier?
Ich blinzelte, damit meine Sicht wieder klar wurde, aber alles blieb verschwommen. Vorsichtig richtete ich mich auf, und erst in diesem Moment fiel mir auf, dass ich die ganze Zeit gelegen hatte. Ich konnte nicht genau erkennen, worauf ich lag, aber der Härte nach war es eine Liege. Eine rote Liege. Die kräftige Farbe brannte mir in den Augen und passte so gar nicht zum schlichten Rest des Zimmers. Des Zimmers…In welchem Zimmer war ich eigentlich? Ein seltsames Angstgefühl überfiel mich. Ich blinzelte immer wieder gegen die Verschwommenheit an, aber es brachte nichts. Schließlich sank ich zurück auf die Liege und schloss die Augen. Das alles nutzte nichts. Ich konnte weder raus aus diesem Zimmer noch sonst irgendwohin, wenn ich so gut wie nichts sah. Ich tastete die Liege nach einem Kissen ab, fand etwas Weiches und legte es mir unter den Kopf. Stille herrschte im Zimmer, eine unwirkliche Stille, die meine Angst noch weiter schürte. Dann ertönte ein leises Trommeln, aus dem bald ein Rauschen wurde. Nach kurzer Zeit erkannte ich das Geräusch: Regen. Irgendwann gesellte sich noch ein weiteres Geräusch dazu, das mich aufschrecken ließ. Schritte. Schritte vor der Tür. Mit einiger Mühe setzte ich mich auf und blickte in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
Die Schritte kamen näher, dann schwang ein Rechteck weg und eine weiße Gestalt erschien. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass das Rechteck die Tür war und die Gestalt eine Frau. Die Frau hielt irgendetwas in den Händen, das sie fallen ließ, als sie mich sah. Es prallte dumpf auf dem Boden auf.
„Ich…wusste nicht, dass Sie schon wach sind“, brachte die Frau hervor.
Ich wollte ihr etwas antworten, aber plötzlich musste ich so heftig husten, dass ich keine Luft mehr bekam. Die Frau eilte zu mir und klopfte mir auf den Rücken. Es half nicht im geringsten, es wurde nur noch schlimmer. Schließlich langte sie nach hinten und drückte mir etwas Kühles an die Lippen.
„Trinken Sie!“, forderte sie mich auf.
Ein Glas, begriff ich. Es muss ein Glas sein.
Mit zitternden Händen hielt ich es fest und trank. Es war Wasser. Es rann meine Kehle hinab und war so wunderbar kühl, dass ich es förmlich herunterstürzte. Und als ich das Glas sinken ließ, konnte ich endlich wieder durchatmen.
„Geht es Ihnen jetzt besser?“, fragte die Frau und nahm mir das Glas ab. Sie klang eher ängstlich als besorgt.
Ich nickte, weil ich noch zu viel Angst hatte, etwas zu sagen. Langsam konnte ich wieder klar sehen. Ich blickte die Frau an, die sich nun herunterbeugte, um das aufzuheben, was sie fallengelassen hatte. Sie hatte sehr langes, braunes und welliges Haar, das sie nicht hochgesteckt hatte wie die meisten anderen Frauen. Das Dunkelbraun zeichnete sich deutlich gegen die vornehme Blässe ihrer Haut und das blendende Weiß ihres Seidenkleides ab. Als sie sich wieder aufrichtete, mit einem in Leder gebundenen Buch in der Hand, sah ich, was für ein schönes Gesicht sie hatte. Große, braune Augen, eine zarte kleine Nase und volle Lippen. Ihr Mann kann sich glücklich schätzen, schoss es mir durch den Kopf.
„Und…es ist wirklich alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte sie noch einmal und musterte mich unsicher.
„Ja, natürlich“, sagte ich. Kurz darauf fiel mir ein, dass man besser nicht so viel reden sollte, wenn man regelmäßig Blut hustete. Aber die Worte waren schon draußen, und es hatte nicht einmal besonders wehgetan. Dabei ging es mir ja eigentlich überhaupt nicht gut. Der Arzt, der damals an meinem Bett gestanden hatte, hatte gesagt: „So leid es mir auch tut, es aussprechen zu müssen: ich glaube nicht, dass Euer Sohn das noch überleben wird.“
Die Worte waren für meine Mutter bestimmt, und der Arzt hatte sehr leise gesprochen, aber ich hatte es trotzdem gehört. Dann war ich in Ohnmacht gefallen. Aber nicht etwa wegen seiner Worte, sondern einfach aus Schwäche. Ich wusste nicht, was danach passiert war. Danach hatte ich einfach die Augen aufgemacht und war plötzlich hier, in diesem grauen, spartanischen Arbeitszimmer. Mit einer Frau, die ganz bestimmt keine Krankenschwester war. Die ganze Situation war absurd. Wer brachte denn einen Schwerkranken in ein Arbeitszimmer? Das musste ein Traum sein. Das musste alles ein Traum sein.
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2011
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