Schon von weitem siehst Du ihn. Er steht einfach nur da und schaut unauffällig in der Gegend herum. Es wäre nichts Merkwürdiges an dieser Pose, wenn sie nicht so lange anhalten würde. Eigentlich hat er gehofft, früher auf Dich zu treffen. Seine ganze Taktik war auf eine plötzliche Begegnung ausgerichtet. Entfernung und die vergehende Zeit hatte er nicht einkalkuliert. Seine Nervosität erwacht. Allein die Hände begrüßen das Warten und nutzen die Gelegenheit zum Feuchtwerden. Er versteckt sie in den Arschtaschen. 'Das sieht eh cooler aus und trocknet auch noch!' denkt er sich und irrt.
Nun stehst Du vor ihm. Er starrt Dich an. Du wartest. Was will er nur? Irgendwie erinnert Dich sein Gesichtsausdruck an einen kleinen Jungen, der gerade die Windschutzscheibe von Vaters Zweiergolf zur Hölle geschickt hat. Allein mit Deinem Blick formst Du die Frage, was er wohl auf dem Herzen hat. Statt zu antworten rudert er panisch mit den Augen hin und her. Wären beide Hände nicht so bescheuert in den Arschtaschen vergraben, würden wohl auch die Arme wie wild durch die Luft paddeln. Er atmet tief durch und scheint sich zu fangen. Dann verliert er sich wieder, atmet erneut, fängt sich, verliert sich, atmet, fängt, verliert. Irgendwann platzt es aus ihm heraus. „Hi! Na!?“
'Auch schon nettere Einleitungen gehört!' findest Du.
„Gleichfalls Hi! Kann ich was für Dich tun?“
Es folgt eine endlos anmutende Pause. Imaginäre Grillen zirpen. Irgendwo im wilden Westen weht ein Strohballen von einer Straßenseite auf die andere. Plötzlich die Reaktion – verspätet, aber dafür um so drastischer. Sein Nervenapparat ist eine Katze im Karton, die man fortwährend schüttelt und anschreit. „Waaaaaaaahhaaaa!“ macht er, bevor ein blutroter Sturzbach aus seiner Nase jeglichen Gedanken und jede einzelne Formulierung ersäuft. Interessante Wendung! Du begutachtest das Schauspiel etwas und entscheidest Dich schließlich relativ angewidert, dem Strohballen auf die andere Seite zu folgen. Hinter dem Rücken hörst Du noch sein Raunen: „Kacke!“
Du drehst Dich ein letztes Mal um und siehst ihn im eigens für ihn erdachten Sonnenuntergang verschwinden. Schade, irgendwie war er ja doch ganz süß.
Tag der Veröffentlichung: 08.04.2010
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