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Der Herbst hat sich zurückerobert, was Frühling und Sommer zärtlich umspielten.
Häuserschluchten, welche noch Wochen zuvor von der ausgelassenen Freizeit-Gesellschaft verteidigt wurden, werden wieder vom Wind beherrscht. Wie Stiere in den Gassen Pamplonas jagen die Böen uns Menschen. Wer getroffen wird, verwandelt sich. Aus kontakfreudigen Straßenbewohnern werden anonyme Masken, die regungslos vorüberziehen. Gesichter gibt es nur hinter Türen.
Es ist die Zeit, wo das wechselhafte Gemüt zurück in den Wolfsmensch-Modus verfällt. Eine vertraute Misantrophie erstarkt, obwohl man doch eigentlich nur nicht allein sein möchte.
Man zieht einsam durch sein Revier. Man steckt es ab, patrolliert. Die Maske dabei fest über das Innere gezogen und tief hinter dem Kragen versteckt. Alle Entgegenkommenden tun es so, doch nur man selbst trägt eine Seele dahinter. Die Anderen sind leer. Man weiß es, doch man irrt. Hinter Jedem lodert ein wärmendes Feuer. Man will es nicht sehen. Urbaner Wolf sein, heißt Egozentriker sein. Kein Platz für Rudel!
Und doch sucht man. Wieso durch die Dunkelheit streifen, wenn es keine Aussicht auf Beute gibt?
Wonach sucht der Wolf?
Er jagt sich selbst. Dazu stellt er sich dem großen menschlichen Nichts der Herbst-Stadt. Er nimmt die Unwirtlichkeit gezielt wahr. Keine Störfaktoren! Im Nirgendwo muss er einfach leichter zu finden sein! Vielleicht entdeckt ihn endlich sein Jäger, die eine Gestalt ohne Maske. Hinter jeder Ecke könnte sie lauern, aufmerksam durch das Zielvisier blickend.
Der Wolf ist müde. Er hat viele Herbste erlebt, viele Winter gehasst. Er sehnt sich danach, mit dem sterbenden Sommer nicht erneut wiedergeboren zu werden. Er möchte Mensch bleiben, sein Gesicht behalten!
Er weiß, dass es irgendwann passiert. Doch bis es so weit ist, zieht er unermütlich weiter, nimmt Grau und Kälte mit jedem Meter in sich auf, staut sie an und zehrt davon. Er labt sich an oberflächlichem Hass. Beleuchtete Schaufenster passierend, fallen ihm dutzende Verabscheuungswürdigkeiten auf. Kleinigkeiten meist, doch schnell im Kopf zur Bedeutung aufgetürmt.
Es kotzt ihn an!
Anfang-Dreißiger Modesklaven, die in durchgestylten Szeneläden Retro-Hosen mit indischen Schals kombinieren, Latte Macchiato saufende Yuppie-Gruppen in angesagten Cafés, und alternative Jungfamilien, die ihrem Adam Maurice Hanfjäckchen aus Kinder-Second-Hand-Läden anprobieren. All das wünscht er zu Teufel weil es nicht seiner Vorstellung der Welt entspricht und weil er davon abhängig ist. Eine einengende Abhängigkeit.
Ein wildes Tier würde kämpfen, doch dieser Wolf ist in Gefangenschaft geboren. Er hat die Verteidigung nie gelernt.
So bewegt er sich weiter durch sein Gefängnis, das längst zu seinem Territorium geworden ist, streift weiter umher, wartet auf junge Sonnenstrahlen und auf die Rückverwandlung in einen Menschen

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Tag der Veröffentlichung: 18.05.2009

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