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Der weg zu Bungalow 13 war wohl der ungepflegteste Weg von allen. Er war weder geteert noch gepflastert und meine Füße versanken bei jedem Schritt fast knöcheltief im Morast, bevor ich sie mit einem schmatzenden Geräusch wieder herauszog.
Zum Glück hatte ich mich von meiner Mutter schließlich doch noch dazu überreden lassen können, meine knallgelben, ziemlich uncoolen, Gummistiefel anzuziehen. Ich war nur noch eineinhalb Schritte von der Haustür entfernt, als mein rechter Gummistiefel so tief in dem aufgeweichten Weg einsank, dass ich ihn unter Aufbietung all meiner Kräfte nicht mehr herausbekam.
Plötzlich wurde ich abgelenkt, als die Tür aufging und ein großer schlaksiger Junge mit dunkelblonden, ungekämmten Haaren barfuß in der Tür stand und mich überrascht anschaute. Oh Gott, war das peinlich! Ich zog noch einmal so fest ich konnte an dem Stiefel, mit dem Erfolg, dass mein Fuß wie eine Kanonenkugel daraus hervorgeschossen kam und mich derart aus dem Gleichgewicht brachte, dass ich der Länge nach in den Matsch viel, direkt vor die Füße des Fremden. Mein Gummistiefel steckte nach wie vor in dem braunen, zähflüssigen Weg fest und schien, wie um mich zu verhöhnen, noch etwas tiefer einzusinken. Nun ja, der erste Tag an einer neuen Schule und schon habe ich meine Tollpatschigkeit unzweifelhaft unter Beweis gestellt. Der Junge vor mir bemühte sich um ein ernstes Gesicht, während er mir wortlos aufhalf, aber ich bemerkte, dass seine Schultern vor unterdrücktem Lachen bebten.
„Hey, du musst Lena sein, oder?“, fragte er und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Hmmm“, grummelte ich verlegen und merkte, wie ich unter dem Schlamm, der mein Gesicht bedeckte rot anlief.
„Ähm, naja, tut mir leid um deinen Gummistiefel, aber den wirst du so bald wohl nicht mehr wiedersehen. Im Sommer graben wir wieder den Weg um, da von Lea und Inga auch noch fünf Stück da drin rumgammeln und ich glaub Paul hat auch mal einen seiner Lieblingsfußballschuhe verloren.“
Er sagte dies ganz sachlich, als ob es das normalste der Welt wäre, dass dem Weg zu der eigenen Haustür regelmäßig ein paar Schuhe zum Opfer fielen. Angesichts meines verwirrten Gesichtsausdruck, wenn er den überhaupt unter all dem Matsch hatte erkennen können, musste er abermals grinsen.
„Ich heiße übrigens Samuel, aber nenn mich Sam. Und übrigens die zweite Tür links führt zum Bad und deine Sachen stehen schon im Zimmer, dritte Tür von rechts. Im Moment wohnst du da noch allein.“
Ich nickte nur stumm, murmelte ein verlegenes „Danke“ und huschte erst in mein Zimmer, um ein paar saubere Klamotten zu holen, bevor ich mich unter die Dusche stellen würde. Das Zimmer war durchschnittlich groß, es gab zwei Betten, zwei Stühle, einen kleinen Tisch, zwei eher kleine Kleiderschränke und auf dem Boden lag ein flauschiger, pastellgelber Teppich, der so gar nicht zu dem Himmelblau passte, in dem die Wände gestrichen waren. Kurz gesagt, das Zimmer gefiel mir sofort.
Ich entschied mich für das rechte Bett, schmiss meinen Koffer darauf und wühlte nach einer bequemen Jeans und einem Pulli. Beinahe hätte ich die Socken vergessen, denn die die ich derzeit Trug waren nicht mehr schwarz-weiß geringelt, sondern fleckig braun und feucht. Zu guter Letzt schnappte ich mir noch ein Handtuch.
Mit meinen Sachen unter dem Arm verließ ich das Zimmer wieder und machte mich auf zum Bad.
Hier roch es nach diesen Putzmitteln mit Zitronengeruch, die auch meine Mutter so gerne verwendete. Sowohl Wände als auch Fußboden waren mit weißen Fliesen bedeckt, nur die Decke war mit hellbraunem Holz verkleidet. An der einen Seite befand sich das Waschbecken, mit einem übergroßen Spiegel darüber und einem Schrank daneben. An der nächsten Wand erblickte ich die Toilette, auf deren Deckel unzählige Sticker von irgendwelchen Gothicbands klebten und in einer Ecke stand die Dusche, eine der besten Erfindungen der Menschheit, wie ich in diesem Moment feststellte.
Ich schloss rasch hinter mir hab, drehte die Heizung auf und begann damit, mich zu entkleiden. Fünf Minuten später stand ich unter der Dusche und ließ warmes Wasser über meinen Körper laufen. Nach und nach löste sich der bereits getrocknete Schlamm von meiner Haut, nur für meine fast hüftlangen, blonden Haare brauchte ich etwas länger. Ich entdeckte Aprikosenshampoo und dazu passendes Duschgel. Die gehörten wohl einer der weiblichen Bewohnerinnen von Bungalow 13. Ich hoffte, dass es niemanden störte, wenn ich mir etwas davon nahm, denn natürlich hatte ich Mein Duschgel so wie Shampoo zuhause vergessen, und schäumte mich gründlich ein, um auch den letzten Rest Matsch abzubekommen. Als ich schließlich so weit war, stieg ich aus der Dusche, trocknete mich ab, zog mich an und wickelte das Handtuch um meine Tropfnassen Haare. Ich entdeckte eine Waschmaschine, gegenüber des Waschbeckens und warf den Haufen dreckiger Kleider daneben, waschen konnte ich auch später noch.
Als ich das Bad verließ hörte ich Stimmen aus einem Raum in der Nähe. Zögernd folgte ich ihnen und betrat wohl das Wohnzimmer von Nummer 13.
Sam und zwei ziemlich schräg aussehende Mädchen saßen auf einem großen, alten Sofa, das seine besten Tage wohl schon hinter sich hatte und redeten angeregt über irgendetwas. Ich vermutete, dass dieses Etwas ich war, denn als sie mich erblickten, verstummten alle drei und Sam deutete auf einen Sessel der dem Sofa fast gegenüber stand.
Ich ließ mich hineinfallen und fühlte mich augenblicklich wie bei einem Verhör.
„Lena, das sind Lea und Inga“, erklärte er, „sie sind Zwillinge.“
Im ersten Moment dachte ich, Sam würde mich auf den Arm nehmen, denn ich hatte wohl noch keine zwei Mädchen gesehen, die gegensätzlicher waren, und doch ähnelten sie sich von Gesicht und Statur wie Spiegelbilder.
Lea war ein Gothicgirl, das konnte ich auf dem ersten Blick an ihren schwarz umrandeten Augen, den hüftlangen, zu frechen Zöpfen gebundenen Haaren und ihrem rotkarierten Minirock sehen, den sie über eine Netzstrumpfhose gezogen hatte. Inga war Flowerpower pur, ein Waschechter Hippie könnte man meinen. Sie hatte eben solange Platinblonde Haare, trug eine knallbuntes Stirnband und kunterbunte Kleidung, deren Farben sich auf herrliche Weise bissen. Außerdem war ihre linke Wange von einer riesigen lilafarbenen Blume bedeckt, die wohl mit Faschingsschminke aufgemalt worden war.
Inga hielt es schließlich nicht mehr aus, still auf dem Sofa zu sitzen und sprang auf um mir in einer Halsbrecherischen Umarmung die Luft ab zuschnüren. Bis Lea sich schließlich räusperte. Inga ließ widerstrebend von mir ab und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf, während sie sich wieder neben ihre Schwester auf das Sofa fallen ließ.
„Herzlich Willkommen“ meine diese Freundlich aber um einiges zurückhaltender als ihre Schwester.
„Ähm... danke“, nuschelte ich unsicher.
Sam stand schließlich auf und warf mir einen Fragenden – oder doch eher bittenden? - Blick zu.
„Hast du Hunger? Ich hab gerade Nudeln gekocht, als du unter der Dusche warst. Auf Paul brauchen wir nicht zu warten, der isst heute bestimmt wieder bei irgendeinem Mädchen, mit dem er sich einen schönen Abend machen möchte.“
„Sam, kannst du nicht mal was anderes machen? Diese Nudeln hängen mir langsam zum Hals raus!“, schimpfte Lea.
„Machs doch selber besser!“
Leas Wangen röteten sich leicht unter ihrem blassen Make Up und sie wandte den Blick ab.
„Die Wahrheit ist, in Nummer 13 bin ich der Einzige, der wenigstens Nudeln kochen kann...“, raunte mir Sam zu, jedoch so laut, dass die Zwillinge es hören mussten. „Nächste Woche ist Paul wieder dran mit Kochen und ich zieh ein bisschen rum und mache mir schöne Abende. Dann könnt ihr wieder von Dosensuppen leben. Am besten gewöhnst du dich schon mal dran.“
Ein freches Grinsen spielte um seine Lippen und ich konnte für einen Moment den Blick nicht von ihm lösen.
„Ich kann kochen“, meinte ich Schulterzuckend.
Sams Augen leuchteten auf, doch bevor er etwas sagen konnte, kam Inga angeschossen.
„Kannst du auch Rührei und so was zum Frühstück machen?“
„Klar“, meinte ich überrascht.
Mit einem kleinen Freudenschrei sprang Inga in die Luft und ich fürchtete schon, dass sie mich nochmal umarmen würde, doch sie tanzte nur durch das Wohnzimmer, wobei sie laut „Lalalalalaaaa“, sang.
„Wie auch immer“, meinte Sam und setzte wieder dieses schelmische Grinsen auf, „Heute Abend gibt es auf alle Fälle Nudeln!“
Diese Tatsache ließ sogar Inga verstummen.

Impressum

Texte: Jegliche Rechte an dem hier veröffentlichtem Text liegt bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 08.06.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich ich allen, die es lesen, so wie meiner Mutter und der netten Buchhändlerin, die beide nie müde werden, mir ein Buch nach dem anderen zu besorgen.

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