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Prolog – Die Therme

 

Auch ohne die schwülwarme Luft wäre ich längst ins Schwitzen gekommen. Noch vor einer Woche hatten Schutt und Staub die Fläche neben dem Becken bedeckt, nun lag ich dort mit Benjamin. Ich war eng an seinen Rücken gepresst, und einladender hätte er sich vorhin nicht präsentieren können. Trotzdem bestand unsere Verbindung nur aus meiner Hand, die sein aufgerichtetes Begehren fest im Griff hatte. Obwohl er immer wieder zart stöhnte, schien niemand von uns Notiz zu nehmen. Oder Valerius, Lucia und Tullius lagen einfach so im warmen Wasser und taten nur so.

 

Die tropisch anmutenden Pflanzen überwucherten alles zur Hälfte. Sie bekamen offenbar von oben genügend Licht. Einige davon verströmten einen Duft, der fast betörender als Lavendelöl war. Alles verband sich mit der Wärme, die den Raum erfüllte. Benjamin drehte sich hektisch zu mir, verlangte nach einem Kuss, um drei Sekunden später wieder nach Luft zu schnappen. Sein Zittern und Stöhnen wurde deutlicher, und ich rieb mich noch schneller an ihm. Nur kurz sah ich mich um – war das ein Zwinkern von Valerius? Seit dem großen Kampf hatte ich nie wieder mit ihm … und ein lautes Aufstöhnen riss mich aus meinen Gedanken.

 

Benjamin begann zu zittern, zu beben – und ich spürte das Pulsieren in meiner Hand. Mit der anderen klammerte ich mich noch fester um ihn, atmete scharf ein – und trat kurz nach ihm über die Schwelle. Seine letzten Zuckungen verbanden sich mit meinen ersten und schnürten mir die Luft ab, bis sich alles langsam entspannte. Noch langsamer drehte er sich zu mir und legte eine Hand auf mich, und ich streichelte zart über ihn. Diesmal hatte er viel, viel länger Zeit für einen Kuss.

 

„Gehen wir zu den Duschen“, sagte ich nach einer Weile halblaut.

„Hier gibt es Duschen?“

„Ja, im Raum daneben. Habe ich gestern noch mit Valerius fertig gebaut.“

„Oh … na dann …“

 

Er erhob sich ohne jede Hektik, und ich reichte ihm die Hand. Irgendwie gefiel mir sein Blick nicht, oder verursachte zumindest dieses Gefühl in der Magengegend. Als er lächelte, verschwand es sofort wieder – meine Gedanken an Valerius jedoch nicht. War er tatsächlich ein römischer Gladiator und friedlicher geworden? Sprach einfach so altmodisches Deutsch statt Latein? Oder hatte sich nur meine gewagte Fantasie manifestiert? Doch er war so handfest wie mein Freund – und hatte eben seine Lucia.

 

Ich fand den groben Steinboden schön griffig, wollte hier eher keine glatten Fliesen verlegen. Ein rostiger Stahlträger stützte den Durchgang und sah dennoch sehr stabil aus. Wer ihn wohl einst verlegt hatte? Im Raum nebenan plätscherte warmes Wasser stetig von oben herab, und Benjamin stellte sich sofort darunter. Ungefähr wie bei unserem Haus auf der großen Lichtung, nur dass hier etwas Magie im Spiel sein musste. Wie wurde sonst alles richtig warm und besaß diese ganz besondere Ausstrahlung? Wirklich kalt fühlte sich der Spätherbst nicht an, oder was immer da draußen war. Doch diese Therme, wie Valerius es nannte, würden wir wohl oft besuchen. Würde sich die Kräuterfee wieder einmal zeigen? Oder kontrollierte sie alles aus der Ferne?

 

Benjamin hüllte sich in ein großes Badetuch und ging ein wenig auf und ab. Auch ich trat aus dem Wasserschwall und sah mich nochmals um. Zu diesem riesigen leeren Raum, in dem da und dort Betonbrocken herumlagen oder dicke Stahldrähte herausragten. In der anderen Richtung befand sich das Becken mit dem warmen Wasser, noch weiter die große Halle mit den Säulen und Sitzstufen. Die Räume unter dieser länglichen Struktur mitten im Wald sollten auch genug Platz für eine Sauna oder solche Dinge bieten. Vielleicht würden wir sogar das Lager an diesen Ort verlegen. Ob wir uns die ganze Arbeit antun wollten? Es war schon toll, wie es sich jetzt darstellte. Andere Leute mussten einmal andere Pläne gehabt haben, vielleicht vor einigen Jahrzehnten.

 

„Was ist jetzt mit der Stelle im Wald … mit den Koordinaten?“, fragte Benjamin auf einmal.

„Du, ich habe dort so oft herumgesucht, aber da ist wirklich nichts. Außerdem … die gelten nur für unsere Welt, und nicht für diese.“

„Ja, aber wenn diese Welt genau über unserer eigenen liegt …“

 

Ein kurzes Kältegefühl erfasste mich, bis sich sofort wieder wohlige Wärme in mir ausbreitete. So lange hatte ich mir keine Gedanken mehr über Weltenportale oder diese Fluktuationen gemacht. Es waren keinerlei seltsame Dinge mehr geschehen. Außer, dass ich mich einfach gut fühlte und immer noch farbige Linien mit einem Finger in die Luft zeichnen konnte, wenn ich wollte.

 

„Weißt du was?“, entgegnete ich. „Essen wir gemütlich was … und dann suchen wir ganz, ganz genau dort herum.“

„Gut“, meinte Benjamin nur knapp und lächelte mir zu.

 

Kapitel 1 – Wien

 

Die meisten Bäume hatten bereits ihre Blätter verloren, und ein kühler Wind wehte mir ins Gesicht. Zwar trug ich nur diese Sandalen, meine kurze Hose und ein T-Shirt, aber das große Tuch darüber wärmte genug. In der einen Hand hielt ich Benjamin, in der anderen mein Smartphone. Ob diese Welt einfach eine Version der unseren war, die sich vor langer Zeit anders entwickelt hatte? Wenn die Form des Geländes meistens übereinstimmte, musste sie sich auch mit den gleichen Koordinaten beschreiben lassen. Nichts zeigte hier die Position an, aber schätzen konnte ich sie. Nichts würde hier sein, außer einer Kunststoffbox und einem aufgeweichten Papierstreifen. Oder doch mehr?

 

Ich sah mich genauer um und wühlte in den Blättern auf dem Boden herum. Diese Stellen bei den Baumwurzeln hatte ich schon öfters durchsucht, oder? Auf einmal riss sich Benjamin los.

 

„Was ist das?“, fragte er und deutete auf eine Stelle auf dem Boden. Ich drehte mich zu ihm, und nun sah ich es auch. Lag dort … eine kleine Blechkiste? Sah so aus, doch die Aufschrift war nicht mehr zu lesen. Ich fragte mich, ob sich bei ihm ebenfalls gerade alle Haare aufstellen. Die ganze Zeit war mir innerlich warm gewesen, trotz vielleicht nur einiger Grade über dem Gefrierpunkt. Nur wurde mir auf einmal kalt.

 

Wir sahen uns an, und ich merkte sein Zittern deutlich. Gerade wollte er sich nach unten beugen, als ich ihm zuvorkam. Ich atmete tief ein, obwohl die Luft im ersten Moment schneidend kalt war. Das Gefühl in meinem Hals verschwand in Sekunden, wie immer hier. Überhaupt schien es mir, als wäre auf einmal eine wärmere Luftströmung aufgekommen. Einfach so lockte ich ihn mit der Zungenspitze zu mir, und unsere Lippen vereinigten sich länger als ein paar Sekunden zu einem Kuss. Es war praktisch gestern gewesen, als er mich zum ersten Mal und überhaupt jemand geküsst hatte. Manchmal zögerte er immer noch ein bisschen oder wandte vorher kurz den Blick ab.

 

Das Gefühl wurde noch besser … aber nur so lange, wie der Kuss gedauert hatte. Der Deckel klemmte etwas, und Benjamin half mir dabei, ihn zu öffnen. Drinnen war nichts … außer einigen Geldscheinen und einem kleinen Stück Papier.

 

„Ist das …?“, fragte mein Freund und betrachtete das Geld genauer.

„Alte Schilling-Scheine“, meinte ich ganz beiläufig, als würde ich den kalten Schauer über meinen Rücken nicht spüren. Ich nahm das ganze Bündel in die Hand und warf einen Blick auf das kleine Stück Papier. Die Straße kannte ich nicht … doch die Adresse endete mit „Wien“. Als ich wieder aufblickte, war Benjamin verschwunden.

 

Schlimmer konnte der kalte Schauer nicht mehr werden. Vielleicht wurde er vom warmen Luftzug verdrängt. Überhaupt fühlte es sich viel wärmer an – und die Bäume trugen grüne Blätter. Was zum …? War zuerst dieses Gefühl in meinem Magen zurückgekehrt? Oder hatte sich davor mein Puls auf mindestens 90 Schläge pro Minute erhöht? Ich spürte mein Herz klopfen, fast brennen. Sah mich in alle Richtungen um … nichts.

 

Ich rannte zurück in Richtung des Lagers, wo ich mich gerade vorhin noch in einem winterfest gemachten Zelt aufgehalten hatte. Schon nach einigen Sekunden sagte mir etwas, dass es sinnlos war. Diese … Fluktuationen … kamen mir wieder in den Sinn. Doch der Himmel, da und dort durch die Bäume zu erkennen, zeigte sich in einem satten Blau. Keine Spur von Blitzen in allen Farben oder dunklen Wolken. Wenigstens ließ dieses nervöse Kribbeln dadurch nach … und verschwand auf einmal. Das Gefühl tief in mir wurde … anders.

 

Ich sah … einen Wegweiser? Ja, dort hing ein rostiges und verbogenes Stück Blech. Der Schauer war nur noch zart und kurz heftiger, als ich den Text las. Ich suchte nach meinem Telefon. Es fiel mir beinahe aus der Hand – und alles passte zur Landkarte. Fast glaubte ich, dass die Satelliten-Navigation wieder funktionierte und meine Position angezeigt wurde. Nur, wartete ich auf die Positionsbestimmung oder darauf, dass Benjamin doch wieder auftauchte? Wenn ich nicht zurück in meiner Welt war, wo dann?

 

Ein Stück weiter entdeckte ich auf einem Baum eine rote Markierung zwischen zwei weißen Streifen. Sie sah etwas frischer als der Wegweiser aus. Ging es hier wirklich zum Bahnhof? Der Wald lichtete sich – und ich stand auf einer Straße. Ein paar Autos waren dort geparkt, allesamt ältere Modelle. Zwei davon wirkten auf mich beinahe so gepflegt wie in einem Museum. Noch immer glaubte ich, dass mein Freund jeden Moment auftauchen würde. Ich sah zurück in den Wald, wo der angenehm warme und nicht heiße Luftzug die Blätter rauschen ließ. Vielleicht wollte ich nervös werden, aber ich konnte nicht. Ich steckte das Bündel mit den Geldscheinen ein und verstaute den Zettel mit der Adresse sicher in meinem Rucksack. Das große Tuch auch gleich, weil es wirklich warm genug war.

 

Die Straße mündete in eine größere, und mir fielen die gelben Linien in der Mitte auf. Manchmal erschienen sie da und dort unter den weißen, mit denen sie so ab 1995 in Österreich übermalt worden waren. Diese hier wirkten aber neuer. Ich stellte mich an den Straßenrand und betrachtete nochmals mein Telefon. Noch immer gab es keinerlei Netzverbindungen, nicht einmal Notrufe waren möglich. Ich sah zwei Autos nach, die irgendwie … zur ganzen Umgebung passten. Moment, hatten die schwarze Kennzeichen? Was wäre, wenn …?

 

Hektisch und mit doch wieder stärkerem Herzklopfen kramte ich das Ohrhörer-Kabel hervor und probierte die Radiosender durch. Rauschen … Rauschen … und ein halbwegs starkes Signal. Das kannte ich … es lief „Too Shy“ von Kajagoogoo. Mit dem Knistern einer Vinyl-Schallplatte im Hintergrund? Die Musik blendete sich aus, jemand sagte die Uhrzeit durch. Ein Gong folgte – und beim Wort „Sowjetunion“ kehrte der kalte Schauer über meinen Rücken endgültig zurück. Das waren Nachrichten von vor … Moment. Die Kräuterfee wurde doch auch die ganze Zeit „Herrscherin über die Raumzeit“ genannt – dann musste sie mir das hier erklären!

 

Das Gefühl hörte nicht auf, aber es verwandelte sich fast … zu einem angenehmen Prickeln? Irgendwo auf der anderen Seite sollte der Bahnhof sein. Ich überquerte die Fahrbahn, ging ein Stück weiter, und stand vor dem Gebäude. Sah aus wie immer – nur gab es keine Baustelle oder die Ankündigung eines Umbaus mehr. Die rechteckige Beschilderung in einem dunklen Blau und ohne weißen Rand war weg. Einen Automaten entdeckte ich nicht – dafür einen geöffneten Fahrkartenschalter. Jemand spazierte an mir vorbei und warf dabei mehrere Sekunden lang ein Auge auf mich. Was war so interessant?

 

Ich holte tief Luft – Zeit, um den nächsten Schritt zu wagen. Niemand war bei diesem Schalter angestellt, und ich trat näher. Gleichzeitig fragte ich mich, ob ich das wirklich sollte. Aber sogar dieses Prickeln spürte ich nicht mehr. Mein Puls war halbwegs ruhig, und ich trat noch näher.

 

„Einmal nach Wien bitte.“

„Wohin in Wien?“, fragte der Mann in Uniform.

„Äh … Hütteldorf … oder nein, Westbahnhof.“

 

Er nannte mir einen Betrag, der nur in Schilling sein konnte. Sofort kramte ich hektisch in meinen Hosentaschen herum. Entweder ging nun alles glatt, oder … ich setzte den Weg zu Fuß oder sonst wie fort. Doch ich bekam Wechselgeld und eine Fahrkarte zugeschoben, die zum Teil gedruckt und zum Teil handgeschrieben und gestempelt war. Wenn ich jetzt noch den richtigen Bahnsteig fand … ja, zumindest dem Wegweiser nach über die Brücke und dort drüben.

 

Einige Leute warteten dort, und erneut lasteten für längere Zeit Blicke auf mir. In den nächsten Minuten wagte ich nichts, außer still dort zu stehen. Bis ich ein Quietschen entlang der Schienen bemerkte. Ein Zug in Cremeweiß und Blau näherte sich. Waren die nicht längst im Museum oder auf dem Schrottplatz? Ich erklomm die Stufen zu einem mit „Nichtraucher“ gekennzeichneten Waggon und suchte mir einen Platz. Das Kribbeln verstärkte sich doch wieder, blieb ein Dauerzustand. Wenn ich aus all dem aufwachte, würde mein Traummann ebenfalls komplett verschwinden? Oder war er das längst?

 

Auf einem leeren Platz sah ich eine Zeitung herumliegen. Bevor ich mir die Titelzeile näher ansah, setzte ich mich wieder hin. Ich holte tief Luft – und las dort „Freitag, 13. Mai 1983“. Sämtliche meiner Haare richteten sich auf, ich konnte nur geradeaus starren und schnell atmen. Niemand saß in meiner Nähe. Ein vorsichtiger Blick nach links und rechts nach einer Minute zeigte mir, das alles völlig real war. Auch nicht wie in einem dieser seltenen Träume, wo alles sehr deutlich und greifbar erschien.

 

Wir wurden langsamer, und am nächsten Bahnhof kam mir in den Sinn, dass … mein Rucksack vielleicht zu modern wirken könnte. Ich drehte ihn um, so dass das Solarpaneel nicht zu sehen war. Auch das Telefon ließ ich schnell darin verschwinden, anstatt es in der Hand zu halten. Jemand musste ein Fenster geöffnet haben, wodurch mir nun ein frischer Wind entgegenwehte. Manche Gebäude entlang der Westbahnstrecke kamen mir bekannt vor, doch bröckelte da und dort die Fassade ab. Würde bald die ganze Welt zerbröseln? An diesem Datum auch noch, klar.

 

Sollte ich bereits in Hütteldorf aussteigen? Diese Adresse musste mehr im Westen sein, kam mir nur irgendwie bekannt vor. In der auf meinem Smartphone gespeicherten Datenbank hatte ich sie nicht gefunden. Also musste ich jemand fragen, oder besser einen gedruckten Stadtplan suchen. Vielleicht … sollte ich zuerst weiter in Richtung Stadt fahren. Zum Westbahnhof und durch die Mariahilfer Straße.

 

* * *

 

Noch einmal beschleunigte sich mein Pulsschlag, als der Zug am absoluten Ende der Strecke an einem der langgestreckten Bahnsteige hielt. Wahrscheinlich redete ich mir immer noch ein, etwas aus meiner Fantasie hätte hier eine handfeste Gestalt angenommen. Doch die Realität, welche es auch war, drängte sich stärker in den Vordergrund. Wie auf einen fremden Planeten trat ich nach einigen anderen Fahrgästen ins Freie. Die elektronischen Anzeigen fehlten.

 

In der großen Halle schloss ich die Augen und spürte, wie ich von Sekunde zu Sekunde ruhiger wurde. Es blieb auch so, als ich mich einigen Zeitungen hinter einer kleinen Glasscheibe näherte. In den Schlagzeilen stand etwas von der neuen Regierung und von Sparzinsen von 4,5 Prozent. Darüber das Datum – „Freitag, 13. Mai 1983“. Was verhinderte nur, dass sich nochmals sämtliche meiner Haare aufstellten? Weil ich beschlossen hatte, mich über nichts mehr zu wundern? Oder beschließen würde, mehr als 30 Jahre später? Wenn ich aber nicht jünger geworden war? Was würde passieren, wenn ich in einer der Telefonzellen dort drüben eine mir bekannte Nummer anrief? Einen Schilling einwerfen, und schon … aber lieber nicht.

 

Neben den Zeitungen gab es einige Schokoriegel im Angebot. Mars, Milky Way oder Raider. Geld hatte ich genug, sollte mich aber lieber später nach wirklich nahrhaften Dingen umsehen. Überhaupt sollte ich vielleicht möglichst wenig Aufsehen erregen. Oder spielte es ohnehin keine Rolle? Sollte es so sein, dass ich hier war – oder war es ohnehin schon passiert? Irgendwie drehten sich meine Gedanken mehr um die richtigen Zeitformen als darum, dass ein Paradoxon das Universum zerstören könnte.

 

Ich entdeckte einen großen ausgehängten Stadtplan und suchte dort herum, wo ich die Gasse vermutete. Kam mir der Name wirklich bekannt vor, oder war es nur so ein Gefühl? Da – stimmte zumindest mit dem Namen auf dem Zettel überein und war vielleicht einen Kilometer von hier.

 

Ich überquerte den Vorplatz und schaffte es irgendwie über die Fahrbahnen des Gürtels. Die U-Bahn-Eingänge fehlten, irgendwo stand etwas von der Stadtbahn. In der Mariahilfer Straße fuhr dafür noch die Straßenbahn an den zahlreichen Geschäften vorbei. Zwischen dieser und den Automassen drängten sich die Leute über die Gehsteige. In der nicht vorhandenen Fußgängerzone bog ich in eine Seitengasse und ließ für einen Augenblick die Stille auf mich wirken, mehr oder weniger. Eine Werbung für einen Kräuterlikör ließ mich an die Kräuterfee denken. Würde sie ein weiteres Mal alles in Ordnung bringen, dafür keine meiner vielen Fragen beantworten? Ich rief mir den Stadtplan in Erinnerung. Ein Stück geradeaus, und irgendwo dort vorne sollte es sein.

 

Nicht jedes Haus trug eine Nummer, aber diese hier … stimmte. Die große Tür bestand aus zwei Flügeln, und ich berührte den Griff … ließ sich öffnen. Etwas zwischen Kalk und Gips lag in der leicht kühlen Luft. Ich folgte dem halbdunklen Gang mit den orangebraunen Steinen auf dem Boden – bis mich das Zufallen der Tür aufschreckte. Ein anderer Gedanke erfasste mich plötzlich. Alles war bisher viel zu glatt gelaufen. Was, wenn mich die Polizei aufgehalten und meinen Ausweis gesehen hätte? Mit einem Datum Jahrzehnte in der Zukunft. Aber wohin hätte ich gehen sollen? Doch wieder zurück in den Wald und alles genau absuchen? Ich bemerkte Schritte.

 

„Suchen Sie etwas Bestimmtes?“, fragte dieser Mann, während er gerade um die Ecke trat. Irgendwie … kam mir die Stimme bekannt vor.

„Ja, also … ich habe da diese Adresse, und …“

„Darf ich einmal sehen?“, fragte er weiter, und reflexartig zeigte ich ihm das Stück Papier. Hätte ich das besser nicht tun sollen? War das nicht …? Aber …

„Gehen wir einmal hinauf.“

„Gut“, entgegnete ich und folgte ihm.

 

Hatte ich längst gelernt, diese nervöse Unruhe zu unterdrücken, oder woran lag es? Sie war da, versuchte es … konnte aber nicht Besitz von mir ergreifen. Oder besser gesagt, fühlte ich mich ganz ruhig. Während irgendwas einfach abgeblockt wurde. Im ersten Stock sperrte er eine Wohnungstür auf und bat mich herein. Es war

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Pixabay/lextotan, Pixabay/Mysticsartdesign
Tag der Veröffentlichung: 04.02.2019
ISBN: 978-3-7438-9680-2

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Herzlichen Dank an meinen Autorenkollegen Viktor Milovat für den Titel „Somnium“ und den regen Austausch beim Schreiben.

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