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Kapitel 1 – Der Wunsch

 

Auch bei diesem Haus fehlte die Nummer, aber es musste 18 oder 20 sein. Jenes daneben auf dieser Straßenseite war 16, und 14 die Adresse, die er mir genannt hatte. Bevor ich weiterging, beschleunigte sich mein Puls auf einmal. Nur ein bisschen, doch ich spürte es. Irgendwann hatte ich angenommen, über solche Dinge längst hinaus zu sein, in letzter Zeit fühlte es sich manchmal wie bei meinen ersten Treffen an.

 

Beim beleuchteten Eingang sah ich, dass es ungefähr 20 Wohnungen dort gab. Wahrscheinlich würde er unten auf mich warten, denn Türnummer wusste ich keine. Niemand stand dort, aber ich war auch 12 Minuten zu früh. Sollte ich warten, oder ein Stück weiter und rechtzeitig wieder zurück gehen? Als ich einige Male tief durchatmete, war ich ungefähr so locker, wie ich mich selbst gern hätte. Es fühlte sich etwas kühl an, obwohl der Sommer noch lange nicht vorbei war. Manche Abende waren eben kühler, und erst für den nächsten Tag eine Wetterbesserung angesagt.

 

In 8 Minuten, stellte ich nach ein wenig Herumspielen mit meinem Telefon fest. Am besten, ich wartete, bis er aus dem Haus kam und mich begrüßte. Wie groß war er schnell noch einmal, und welche Haarfarbe hatte er? Egal, er würde mich erkennen, und außer ihm kaum jemand hier herumstehen. Eine Frau blieb vor dem Haustor stehen, sah mich eine Sekunde lang an, und suchte nach ihrem Schlüssel. Sollte ich mit ihr hineingehen? Wahrscheinlich keine gute Idee.

 

4 oder 5 Minuten später wurde das Gefühl in meiner Magengegend stärker. Ob er genau zur vereinbarten Uhrzeit auftauchen würde? Die Tür öffnete sich, und jemand trat auf den Gehsteig hinaus. Nein, das konnte er nicht sein. Der Mann ging sofort weiter, ohne mich zu beachten. Ich sah mich noch einmal um, überlegte, und nahm das Telefon zur Hand. Ich öffnete die Nachrichten, die wir uns geschickt hatten. Vielleicht wartete er darauf, dass ich ihm schrieb, wenn ich bei ihm war? Also gut …

 

„Ich bin da … stehe unten vor der Tür.“

 

Wieder schnellte mein Puls rasch nach oben, nur damit ich ihn sofort wieder unter Kontrolle haben konnte. Es passierte nicht ständig, aber alles war oft genug da gewesen. Ich lief schon lange nicht mehr jeder halbwegs interessanten Gelegenheit nach, nur weil ich bereits über 35 war. Aber an einem Abend, wo ich Zeit und Lust hatte, konnte es eben passieren. Hier geschah einmal nichts … eine halbe Minute später doch. Er antwortete mit einer Telefonnummer und sonst ohne jeden Text. Ein weiteres Mal atmete ich tief durch, wählte die Nummer – und es hob jemand ab. Ich hörte allerdings nur leise Geräusche.

 

„Ja, also ich wäre dann da“, sprach ich nach einigen Sekunden. Das Rascheln oder Herumtappen änderte sich nur wenig.

„Du bist da?“, antworte auf einmal eine Stimme, mit in die Länge und in die Höhe gezogener Aussprache.

 

Ich legte sofort auf, steckte das Telefon ein, und machte mich schnellen Schrittes auf den Rückweg. Das Vibrieren in meiner Hosentasche 20 Sekunden später ignorierte ich. Natürlich, jetzt hatte er auch noch meine Nummer. Als es eine Minute später nicht still war, drückte ich auf Ablehnen und blockierte die Nummer. Kaum eine halbe Minute später erhielt ich eine Nachricht von ihm.

 

„Was ist?“

„Keine Lust mehr?“

„Ruf mich an!“

„Komm schon!“

 

Als ich seine Nachrichten ebenfalls blockierte, war die Flut erst einmal zu Ende. Neben einer größeren Grünfläche starrte ich in den Nachthimmel und wartete, bis ich mich wirklich beruhigt hatte. Diesmal geschah es nicht so schnell. Hatte ich ernsthaft erwartet, dort endlich meinen Traummann zu treffen? Nicht wirklich, aber er musste irgendwo da draußen sein. Wenn ich ihm keine Chance gab, mich zu finden, würde ich ihn nie treffen.

 

Sollte er wirklich 10 Zentimeter kleiner als ich sein, der etwas größer als die meisten Männer war? Einer von denen, die auch einmal eine Frau treffen wollten und sich vielleicht nicht ganz sicher dabei waren? Sollte er am besten tiefschwarze Haare und eine glatte, straffe Haut haben? War doch alles völlig egal, aber er sollte ein süßes Lächeln haben. Wenn es sein musste, konnte er total schüchtern und zurückhaltend sein, doch er sollte sich gern im Liegen an mich kuscheln. Er konnte ruhig eine Unterhose tragen, aber ich wollte seine nackte Haut an meiner spüren, und seine Arme um mich. Toll, und meine Gedanken nahmen feste Formen an.

 

* * *

 

Wenigstens war es nur zwei Kilometer von mir entfernt und nicht am anderen Ende der Stadt gewesen. Es passierte mir dann und wann, dass jemand nicht aufgetauchte. Aber ob dieser Typ das ständig machte? Das nächste Mal würde ich auf mein Gefühl hören, das ohnehin nicht so gut gewesen war. Das mit dem Aneinanderkuscheln konnte ich mir lediglich vorstellen, andere Dinge auch allein ganz handfest erleben. Alle redeten von einem Dreier oder sogar einem Vierer, niemand von einem gepflegten Einser.

 

Bei mir zuhause war es ruhig, niemand störte mich. Also nahm ich die Dinge eben selbst in die Hand. Andererseits, die Lust wurde stärker, es wieder einmal mit meiner Suche zu probieren. Also gut. Ich legte mich bequem auf mein Bett, nahm das Handy und suchte wie ein paar Stunden davor nach jemand mit meinen Traum-Kriterien. Null Ergebnisse, also die Bedingungen etwas lockern. Die Haarfarbe war doch wirklich egal, ein paar Kilogramm mehr auch zu verkraften – und schon erschienen an die 20 Ergebnisse.

 

Der erste Typ schrie in Großbuchstaben nach einem Bild, obwohl er selbst keines im Profil hatte. Der andere … oh toll, ein Intimpiercing. Der nächste hörte sich gut an, und dieses Bauchgefühl tauchte auf einmal auf und schlug in eine angenehm prickelnde Richtung um. Er war perfekt und ich konnte ihn treffen – wenn ich genauso athletisch wie er aussehen würde und zwei Jahre jünger wäre. Bei den anderen stand nicht viel Text drinnen, aber ich schrieb allen kurz, dass sie sich bei Interesse gern melden konnten. Das nannte ich immer „Die Saat auslegen“ oder so. Ansonsten gäbe es noch die Möglichkeit, auf der Straße alle anzusprechen, die wie mein Traummann aussahen. Klar.

 

Diese plötzliche Müdigkeit überkam mich, und ich schloss für einen Moment die Augen. Nur ein bisschen ausrasten und dann noch ein bisschen … und ich schreckte auf einmal auf. Manchmal passierte das nach einer längeren Wandertour, wenn ich einmal eine unternahm. An den nächsten paar Tagen sollte es laut Wetterbericht warm und sonnig sein, oder? Auch nicht so heiß, dass wirkliches Badewetter herrschte – also perfekt für eine Tour. Zeit hatte ich, wusste schon ungefähr wo.

 

Sollte ich tatsächlich loslegen und mein Vorhaben für diesen Abend angehen? Ich lachte kurz und herzhaft bei diesem Gedanken, und diese schwere Müdigkeit lag auf einmal wieder über mir. Das T-Shirt konnte ich ruhig ausziehen, die kurze Hose auch, und … ich drehte mich einfach zur Seite und schlug die Decke halb über mich.

 

Wenn er neben mir liegen würde, konnte er sich genau jetzt von hinten fest an mich kuscheln. Es war nicht wichtig, ob er vielleicht ebenfalls seiner Lust nachgeben oder einfach nur menschliche Wärme spüren wollte. Wir konnten auch einmal umgekehrt liegen, doch an diesem Tag lag er genau so neben mir … wenn ich das wollte. Es hieß, alles würde wirklich geschehen, wenn jemand oft und intensiv genug daran dachte. Alle Gedanken konnten sich manifestieren, auch ohne an solche Dinge zu glauben. Also lag ich zur Seite gedreht und in meinen Polster gekuschelt, lächelte zufrieden … und mein Traummann lag neben mir. Seine Arme legten sich um mich, seine Finger schlossen sich sanft um meine, ohne fest zuzudrücken. Ich spürte seine warme Haut an meinem Rücken, und wie er ein Bein um meines schlang.

 

„Gute Nacht“, sagte ich leise, und er streichelte mich als Antwort sehr langsam.

 

 

Kapitel 2 – Die Wandertour

 

Ich schreckte auf … und lag allein in meinem Bett. Kurz davor war er noch neben mir gelegen, wenn auch nur in meinem Traum. Ich hatte ihn lediglich gespürt, nicht gesehen … doch das Gefühl war vollkommen gewesen. Wäre die beste Gelegenheit, Versäumtes vom letzten Abend nachzuholen. Geantwortet hatte selbstverständlich keiner, soweit ich das bei einem schnellen Blick sehen konnte. Verlangte auch niemand, dass das über Nacht ging.

 

Moment … da war eine Nachricht, aber der Name sagte mir nichts. Wie immer, interessante Leute reagierten nicht, und die komischen schrieben einem. Vielleicht einer von denen, die nach zwei Wochen auf einmal antworteten.

 

„Hallo, klingst interessant, melde dich einmal! Ich bin aber noch nicht so erfahren.“

 

Beim Lesen der Textzeile kehrte diese angenehme Art von Bauchgefühl schlagartig zurück. Es blieb so, als ich seine Beschreibung durchlas. Bild war keines zu sehen und nicht viel da, doch die Grunddaten passten für mich.

 

„Ja, wir können uns gern einmal treffen.“

 

Ich erwartete keine Antwort, schon gar nicht sofort. Irgendwie hatte ich Lust, sofort aufzustehen und bald aufzubrechen. Grelles Sonnenlicht drang herein, und der Raum hatte sich bereits aufgeheizt. Vielleicht 10 oder 15 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt gab es eine Gegend im Wienerwald, wo ich immer noch nicht alle Wege kannte. Eine neue Nachricht erschien.

 

„Hast du heute Zeit?“

„Ja, sagen wir … in einer Stunde, Bahnhof Hütteldorf beim Haupteingang?“

„Gut, dann bis später!“

 

In diesem Moment fasste ich einen Entschluss. Wenn nur jemand mein Lächeln dabei gesehen hätte. Vorausgesetzt, ich verspürte dort immer noch Lust und es gäbe ein ruhiges Gebüsch. Zwar sagte mir mein Gefühl ein angenehmes Treffen voraus, doch ich stellte mich darauf ein, dass niemand auftauchte. Natürlich würde ich ihm eine Chance geben, und 10 Minuten, und dann meine geplante Tour fortsetzen. Ganz einfach.

 

Ich raffte mich auf, musste mich noch nicht sehr beeilen, und suchte etwas Reiseproviant zusammen. Mehrere Liter Wasser mitnehmen war vielleicht übertrieben, eher würde ich auf eine Quelle treffen. Zumindest waren die auch im Plan eingezeichnet. Oder sollte ich einfach drauflosgehen und nur nachsehen, wenn ich nicht mehr weiter wusste? Was auf der Karte interessant aussah, konnte in der Praxis langweilig sein. Eine ungefähre Strecke hatte ich mir jedoch vorgenommen.

 

* * *

 

Ich stieg aus dem Regionalzug und sah mich um. Die anderen Fahrgäste zerstreuten sich bald, so dass ich nun fast allein auf dem Bahnsteig stand. Selbstverständlich war er nicht aufgetaucht. Blieb noch die Möglichkeit, dass er sich mit einer Ausrede meldete. Vielleicht hätte ich lieber in ein Bad gehen sollen, doch so heiß brannte die Sonne auch wieder nicht. Auf der anderen Seite der Straße führte eine Seitengasse durch ein ruhiges Wohngebiet, wo nach kaum über 100 Metern der Wanderweg begann.

 

Etwas war anders, als ich den Waldboden betrat. Lag es am beinahe heißen Wind, der auf die kühle Luft dort traf? Vielleicht ein bisschen mit dem Geruch von Erde und Pilzen? An den Geräuschen, die entweder gedämpft oder weit weg waren? Der eher schmale Weg stieg leicht an und lag ruhig zwischen den hohen Bäumen da. Fast war mir die Steigung zu wenig. Solange ich nicht müde war, konnten ruhig einige Hindernisse quer über dem Weg liegen. Das ging sogar in diesen Sandalen, die schon einige Dinge mitgemacht hatten. Dieses Gefühl in mir verstärkte sich, als weiter vorne das grelle Licht zwischen den Blättern auftauchte.

 

Ich stand am Rand einer großen Lichtung, die sich über ein paar 100 Meter oder auch mehr in jede Richtung erstreckte. Vielleicht wurde das Gras irgendwann gemäht, aber es wirkte auf mich eher wild und hoch. Ein paar Meter weiter entdeckte ich dorniges Gestrüpp mit einigen roten Beeren, die wohl unreife Brombeeren waren. Die meisten waren jedoch schwarz, und eine nach der anderen ließ sich leicht lösen. Jede schmeckte wirklich reif, leicht sauer und angenehm süß zugleich. Ein schönes Stück abseits des Weges, neben einer kleinen Baumgruppe und dichtem Gebüsch, bemerkte ich ein verfallenes Gebäude. Ich konnte kaum erkennen, ob das Dach noch halbwegs intakt war, aber es schienen mehr als nur letzte Mauerreste zu stehen. Ob es vor vielen Jahrzehnten ein beliebter Gasthof gewesen sein mochte? Einer, wo auch Zimmer vermietet wurden und sich die Leute auf der Durchreise trafen?

 

Als ich ein Foto davon machen wollte, fiel mir der völlig veränderte Himmel auf. Er war viel dunkler geworden und voller schwarzer Wolken. Der leichte, heiße Wind hatte sich zu einem kühlen Lüftchen gewandelt. Alles innerhalb einer Minute? War dort vorne nicht ein moderneres, intaktes Gebäude gewesen, wo wahrscheinlich jemand wohnte? Vielleicht sollte ich auf dem Plan nachsehen. Ein tiefes Grollen durchschnitt auf einmal die Stille. Ich drehte mich in die Richtung, aus der es gekommen war. Weit hinter den hohen Bäumen sah ich einen Blitz über den Himmel zucken. Toll, hatten die nicht gesagt, es würde den ganzen Tag strahlend sonnig sein?

 

Das nächste Donnern machte sich eher als mächtiges Schnalzen bemerkbar, und beinahe gleichzeitig spürte ich erste Regentropfen. Was war schnell der Ratschlag bei einem Gewitter? Auf den Boden hocken, bis es vorbei war, und nicht legen? Oder besser einen Unterstand suchen? Wenn, dann würde der Blitz vielleicht einen der hohen Bäume treffen, die weiter oben auf der Lichtung standen. Der Regen wurde stärker und der Wind kalt – und ich entdeckte etwas, das wie ein schmaler Pfad zu diesem Gebäude aussah. Je näher ich kam, desto massiver und stabiler wirkte es auf mich. Eine Tür gab es nicht, nur einen Türstock aus groben Steinen und zum Teil Ziegeln. Ein kalter Windstoß traf mich, und es begann zu schütten. Das Dach schien einige kleine Löcher zu haben, aber es würde von einem Sturm wohl eher weggerissen, als dass es nach unten stürzte. Drinnen war es trocken, und die Wärme des Sommers hatte sich gehalten. Der Duft eines warmen Sommerregens, von nassem Gras, ging in den von staubiger, leicht feuchter Erde über.

 

Vor einem Ausschnitt in der Mauer, wo einmal ein Fenster gewesen sein musste, peitschte der Wind über halbhohe Bäume. Ich stellte meinen Rucksack in eine Ecke, die mir besonders geschützt erschien. Das Solarpaneel darin würde so schnell keine Gelegenheit haben, den Akkupack wieder aufzuladen. Noch war er voll genug, und der interne Akku meines Telefons auch. Es war beinahe so dunkel geworden, dass ich die Leuchtdiode einschalten wollte. Wie spät war es überhaupt? Stimmte die Zeit? Das Rumpeln, Grollen und laute Schnalzen näherte sich eher, als dass es sich entfernte. Zumindest passte der immer kürzere Abstand zu den grellen Blitzen, die für einen Moment alles erhellten. Ob ich bald Besuch erhielt, von anderen Leuten, die ebenfalls von dem Unwetter überrascht worden waren?

 

Auf dem feinen grauen Sand war es trocken, warm … und ich völlig allein. Mein Entschluss rief sich mir wieder in Erinnerung, und einfach so legte ich eine Hand auf den Stoff meiner kurzen Hose. Was wäre, wenn das die Hand meines Traummannes wäre? Noch einmal fragte ich mich, ob nicht doch jemand auftauchen könnte. Aber in einem seit so langer Zeit verlassenen Haus? Es gab auch keine Graffitis auf den Wänden, oder herumliegenden Müll jüngeren Datums. Meine Hand griff fester zu, und das nächste Donnergrollen schreckte mich nicht mehr. Mein T-Shirt zog ich aus und legte es über einen Balken. Seltsam, dass es kaum nass geworden war. Ich schloss die Augen zur Hälfte, spürte meine eigene Verhärtung, und dachte an ihn. Er war irgendwo da draußen, hoffentlich nicht im Gewittersturm. War er auch nicht, denn in diesem Moment fühlte ich seine Hände an mir. Wer mir die Hose nach unten zog, war doch egal. Und ob zu zweit oder allein war nicht mehr wichtig.

 

Manchmal glaubte ich Schwierigkeiten zu haben, auch wenn sich diese womöglich nur im Kopf abspielten. Diesmal konnte nicht viel mehr stehen. Für einen Moment schloss ich die Augen ganz und legte den Kopf auf eine bequeme Stelle hinter mir. Ich packte zu und versuchte, das Tempo nur langsam zu steigern, während ich scharf einatmete. Manche Leute kamen angeblich ganz ohne Hände und nur dadurch, dass sie daran dachten. Was wäre, wenn ich die Hände wegnahm und ihm vielleicht 20 Sekunden lang eine Chance gab, sich zu manifestieren? Wenn ein Gewitter aus dem Nichts auftauchen konnte, warum nicht auch mein Traummann?

 

Es war völlig egal, wer es machte, denn das Prickeln in meinem ganzen Körper steigerte sich immer weiter. Dieses Gefühl der Geborgenheit und Wärme, ohne dass drückende Schwüle herrschte. Ich konnte kaum kontrollieren, wie ein Bein von mir über den Boden scharrte. Wenn ich wollte, konnte ich es sofort geschehen lassen. Doch es wäre schrecklich, wenn es schon wieder vorbei wäre. Der Regen prasselte stark und ohne Ende herunter, aber nur an ein paar Stellen tropfte es auf den Boden. Es wurde minimal kühler, die Reste der stehenden Hitze durch einen frischen, sehr feinen Nebel ersetzt. Hier war ich sicher, und es musste der beste Sex seit Monaten sein. Es war fast … als ob ich das Donnern beherrschte, denn es klang für mich nun beinahe … freundlich. Wie würde das aussehen, wenn wirklich jemand hier auftauchte? Bei den meisten wäre das wahrscheinlich eine Frau, die sich kurz erstaunt zeigte und dann mit Freude nehmen ließ. Nein, es tauchte niemand auf, weil weit und breit niemand hier war.

 

Ich ließ meinem Stöhnen einfach freien Lauf, während ich das Ziehen in mir kaum mehr halten konnte. Manchmal kam ich einfach so und es war vorbei, diesmal kündigte sich Großes an. Ein weiteres Mal ließ ich den Blick zum Türstock und zum Fenster-Ausschnitt streifen, dann war der Moment genau richtig. Ich wurde schneller, massierte mit der anderen Hand meinen Oberschenkel – und trat über die Schwelle. Das mächtige Prickeln durchflutete meinen Körper und ließ mich nicht mehr still sitzen. Mein Stöhnen wurde lauter, und der erste Spritzer traf mich. Noch einer folgte, und die Luft blieb mir weg. Ich atmete heftig ein und aus, bis ich die feuchte Hand ruhig auf mich legte und alles in Wärme und Geborgenheit auslief.

 

Mehrere Minuten lang beobachtete ich den Regen, der vom heftigen Wind draußen vorbeigepeitscht wurde. Alles schien langsam nachzulassen, doch es war immer noch dunkel. Vielleicht konnte ich mich hier wo abwischen, ohne eines von meinen Papiertüchern zu brauchen. Ich lachte kurz und ganz für mich selbst. Wahnsinn, wie heftig ich gekommen war. Genügte es wirklich, sich einen Partner dazu vorzustellen?

 

Ich stand auf, legte die kurze Hose zu meinem T-Shirt, und ging nackt einige Schritte herum. Nebenan gab es einen Raum, auf dem sogar noch ein Bodenbelag erkennbar war. Ob ich mich kurz im Regen abwaschen konnte? Er hatte beinahe aufgehört, dafür glaubte ich bei genauem Hinhören ein leises Plätschern zu hören. War das vielleicht hinter dem Haus? Ich nahm die Hose in die Hand, durchschritt einen weiteren Raum, und entdeckte nach einer Art Vorzimmer einen Ausgang auf der anderen Seite. War das stark verwitterte Holz einmal eine Tür gewesen? Das Gebäude war in den Hang gebaut, ein steiler Weg führte neben einer kleinen Felswand zwei oder drei Meter nach oben. Zwischen den Steinen machte ich eine Quelle aus. Ob sie immer so ergiebig sprudelte, oder nur nach starken Regenfällen?

 

Der Regen hatte aufgehört, und die dichten Wolken schienen aufzuklaren. Das Wasser aus der Quelle war nicht eiskalt, sondern mehr … erfrischend. Ich streifte meine Hand im an dieser Stelle halbwegs trockenen Gras ab und zog die Hose wieder an. Etwas war anders. Womöglich diese leichten Kopfschmerzen, das leichte Brennen in den Augen und manchmal verschwommene Sehen? Alles schien verschwunden zu sein, und dieses andere Gefühl nahm mit jedem Atemzug zu.

 

Von hier aus ging es bis zum Waldrand vielleicht weniger als einen halben Kilometer lang durchschnittlich steil bergauf. Ich trank noch einen Schluck Wasser und füllte die Flasche in meinem Rucksack nach, während ich mir den weiteren Weg überlegte. Vielleicht hatte ich mich vorhin getäuscht. Wenn es am Rand der Lichtung wirklich ein Haus geben sollte, war es womöglich vor einiger Zeit abgerissen und die Fläche planiert worden. Ich zog mir das T-Shirt wieder über und setzte meine Schritte vorsichtig auf den durchnässten Erdboden, um zurück nach unten zum Hauptweg zu gelangen.

 

Seltsam war es schon, dass es auf der Karte auf meinem Smartphone ein Gebäude gab, sogar noch ein paar kleinere. Aber dort sah ich nichts. Dabei war sie erst vor einem Monat aktualisiert worden. An der Stelle existierten vielleicht ein paar Büsche, Gras, ein alter Zaun, aber sonst nur eine leere Fläche. Dort, wo der Zaun auf einmal aufhörte, verlor ich die Satellitenverbindung. Das geschah manchmal, und wo ich mich befand, wusste ich momentan noch. Aber etwas war wirklich anders. Der Weg schien enger zu werden, verwachsener. Laut Plan sollte eine Kreuzung folgen, an der ein Weg nach unten in Richtung der Bahnlinie und einer mehr nach oben führte. Es sah fast wie ein Weg aus, aber irgendwie stand ich mitten im Wald. Wegweiser gab es schon gar keinen. Ich konnte ja einmal am östlichen Rand der Lichtung entlangwandern, was ungefähr mein Plan gewesen war, und dann weitersehen.

 

Immer mehr stacheliges Gebüsch stand mir dort im Weg, wo bald ein größerer und markierter Wanderweg auftauchen sollte. Immerhin fand ich auch reichlich Brombeeren. Ich gelangte zu einer Stelle, von der sich alles überblicken ließ – und sah nicht viel außer Grasland und Bäumen. Mein Unterstand von vorhin war zu erkennen, aber sollten von hier aus nicht auch einige der Häuser unten im Tal zu sehen sein? Dort war ebenfalls nur dichter Wald – und dieses Bauchgefühl vom letzten Abend, auf eine andere Art, kam langsam und dennoch stetig auf.

 

Wo der Wanderweg sein sollte, hätte ich nur quer durch den Wald gehen können. Ob ich besser zurückgehen sollte und nachsehen … ob alles in Ordnung war? Ich atmete tief durch, trank einen Schluck Wasser, musste eine Entscheidung treffen. Am westlichen Rand der Grasfläche entlang machte ich mich auf den Weg nach unten. Ob der Sturm Bäume umgeworfen und die ganzen Wege verwüstet hatte? Nein, das würde anders aussehen. Außerdem gab es hier etwas, das wie ein Weg aussah. Ich betrat wieder den Wald, folgte dem Weg, den ich gekommen war – und er erschien mir länger als zuvor. Überhaupt schien er sich irgendwo zu verlaufen, so wie der oben am östlichen Rand der Lichtung. Die Satelliten-Navigation funktionierte immer noch nicht, doch ich musste längst in dieser Siedlung oder beim Bahnhof stehen. Aber da war nichts.

 

Ein Schauer lief mir über den Rücken, einer, der einem jedes feine Haar aufstellte. Vielleicht war ich falsch gegangen, auf eine Abzweigung geraten. Warum hatte ich jeden Wegweiser übersehen? Ganz ruhig bleiben und einfach tief durchatmen, dachte ich mir, und wanderte noch ein Stück weiter. Ich schob die Karte auf dem Bildschirm hin und her, dorthin, wo ich zu sein glaubte – nichts. Keine Häuser, keine befestigten Straßen, keine Bahnlinie, nur Wald und Wiese. Der Schauer wurde viel stärker, mehr zu einem Drücken, und ein schwarzes Flimmern vor meinen Augen setzte ein. Es verlief sich nicht sofort wieder, erst dann, als ich auf dem Boden saß. Innerhalb von Sekunden erfasste mich erneut dieses spezielle Gefühl tief in mir, ohne dass sich die Lage um mich herum änderte. Vielleicht gab es in den Nachrichten etwas, aber ich bekam kein Signal, überhaupt keinen Empfang von irgendwas. Nach Wien zurück waren es an die 15 Kilometer – wenn Wien noch da war.

 

Es wurde langsam dunkler, obwohl die Abenddämmerung erst später hereinbrechen sollte. Ob das an den nach wie vor dichten Wolken lag? Vielleicht sollte ich zu diesem Gebäude zurückkehren. Was immer hier los war, musste sich irgendwie aufklären. Vielleicht erst am nächsten Tag. Schon seltsam, stets wollte ich einmal mitten im Wald übernachten und hätte gern ein Zelt aufgebaut, wenn das in Österreich erlaubt gewesen wäre. Nun blieb mir keine andere Wahl. Der Boden war wahrscheinlich sogar bequemer als eine Campingmatte. Ich sah in den dunklen Himmel, machte mich auf den Weg, und schaltete auf dem nun sehr düsteren Waldweg das Licht des Handys ein. Erst oben an der Lichtung wurde es wieder heller. Ich suchte den schmalen Pfad, der zu dem verlassenem Gebäude führte, stellte mich an den Eingang und den Rucksack hinein. Als ich meinen Blick über das Gelände unter mir schweifen ließ, bemerkte ich einen Lichtpunkt.

 

Ja, dort leuchtete etwas, schwenkte manchmal herum, und bewegte sich langsam. Ging dort jemand? Dieses drückende Gefühl löste sich auf einmal auf, wurde mehr zu einem kalten Schauer – und fast zu einem angenehmen Prickeln? Jemand spazierte den Hauptweg entlang, in meine Richtung … ein Mann mit einem leuchtenden Smartphone in der Hand? Hatte er mich erkannt? Sollte ich in seine Richtung leuchten? Ihm entgegengehen? Ich atmete tief ein, hielt kurz die Luft an und nahm mir vor, ihm zu folgen und ihn anzusprechen. Außer, er würde mich bemerken und zu mir nach oben kommen. Aber ob er sich den schmalen Pfad hinaufzugehen traute?

 

Er stand unten, blieb stehen – und leuchtete zu mir.

 

„Hallo?“, rief er halblaut in meine Richtung und blieb stehen.

„Ja, äh, Moment … ich komme nach unten!“, war das Erstbeste, das mir einfiel.

 

Ich leuchtete nach unten, setzte meine Schritte noch vorsichtiger, und konnte den Mann immer besser erkennen. Auch ohne direkte Beleuchtung waren seine … tiefschwarzen Haare zu sehen. Vielleicht war er zehn Zentimeter kleiner als ich, und womöglich um die 30. Er lächelte, und als ich ihn direkt ansah, senkte er den Blick kurz zu Boden. Für einen Moment schmolz ich dahin und wusste nicht, was ich ihn fragen sollte. Dabei musste er alle Antworten haben, die ich brauchte. Vielleicht konnte er mir sagen, was hier los war, oder wie ich zum Bahnhof zurückkommen würde. Ich reichte ihm einfach die Hand, und er erwiderte den Händedruck einige Sekunden später.

 

„Ich glaube, ich bin falsch gegangen“, setzte ich die Unterhaltung fort.

„Ich auch, also … ich bin in das Gewitter gekommen, habe mich im Wald wo untergestellt, habe den Weg nicht mehr gefunden … als ob …“, entgegnete er, und es schwang etwas in seiner Stimme mit.

„Als ob der Wald kein Ende hätte?“, setzte ich fort.

„Ja, es ist …“, klang er nun, als hätte ich ihn auf eine Spur gebracht, „… ich bekomme nicht einmal mehr eine Position. Wir müssten auf der Lichtung da sein, aber …“

„Darf ich einmal sehen?“, bat ich ihn, und er drückte mir wortlos sein Telefon in die Hand.

 

Auch dort tat sich nicht viel, außer dass das Symbol in der Anzeige blinkte und sonst nichts machte. Etwas sollte bei ihm aus dem Internet nachgeladen werden, doch das Symbol für die Mobilfunkverbindung war mit einem Kreuz versehen. Nichts. Bei ihm stand eine andere Zeit in der Statuszeile als bei mir, wahrscheinlich auch falsch. Ich gab es ihm zurück, stützte die Hände an den Hüften ab, und stellte mich einen Meter und leicht zur Seite gedreht vor ihn. Machte das nur meine Fantasie, oder glaubte ich unter seinem T-Shirt seine straffen Bauchmuskeln zu erkennen? War er nicht genau so … wie ich es mir gewünscht hatte? Viele Männer sahen so oder ähnlich aus, aber er hatte auch diese Ausstrahlung, die nicht alle besaßen. Wahrscheinlich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Pixabay / Mysticsartdesign und eigenes Werk des Autors
Tag der Veröffentlichung: 17.09.2017
ISBN: 978-3-7438-4920-4

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