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Kapitel 1

 

Nach einem langen Winter hatte es mich an diesem Tag gereizt, wieder einmal den Prater zu besuchen. Auch wenn er zu jenen Orten in Wien gehörte, die manche für etwas verrufen hielten, hatte er Spaß für alle und für jedes Alter zu bieten. Sich nur umzuschauen kostete nichts. Es war jedes Jahr spannend, vorbei am unaufhaltsam sprießenden Grün rundherum zu gehen und nach den neu hinzugekommenen Attraktionen Ausschau zu halten. Vielleicht hätte ich es vorhin sein lassen sollen, im Schweizerhaus ein Bier zu bestellen. Es war eben gerade ein netter Platz frei gewesen. Schließlich könnte meine Stimmung eher an den 19 Grad bei ungetrübtem Sonnenschein liegen.

 

Nicht nur einmal hatte ich darüber fantasiert, gemeinsam mit einer Frau durch die Alleen und die Prater-Au zu gehen. Doch das spielte es für mich nicht. Nur etwas Händchen halten war alles, das ich wollte, jedenfalls stellte ich mir das auch schon sehr schön vor. Es musste lange her sein, praktisch Jahre, als ich zuletzt mit einer Frau im Bett gewesen war. Probiert hatte ich viel. Das mit dem Anbieten von Taschengeld hätte ich vielleicht noch einmal machen sollen. Eine hatte sogar davor nur so mit mir einen Cocktail trinken wollen. Aber es war ohnehin nicht ganz, was ich suchte. Wahrscheinlich war ich nicht der einzige Mann, für den Kontaktanzeigen ungefähr so erfolgreich waren wie Lotto spielen. Doch auch im wirklichen Leben gab es für mich entweder nie eine Gelegenheit, oder ich konnte die Signale nicht richtig deuten.

 

Es gab eine neue Attraktion, bei der ich mich fragte, was letztes Jahr noch an dieser Stelle gewesen sein mochte. „Die schrecklichste Geisterbahn der Welt“ war in großen, blinkenden Buchstaben zu lesen, die sogar bei hellem Tageslicht auffielen. Alles war wohl nur eine Fassade, die sich in ein paar Tagen auf- oder abbauen ließ. Auf Bildschirmen liefen nachgespielte Szenen aus Horrorfilmen, und „Kommen Sie herein! Erleben Sie …“ tönte es aus einem Lautsprecher.

 

Während sich nebenan eine recht lange Schlange gebildet hatte, war hier niemand angestellt. Noch dazu kostete der Eintritt gerade einmal 2 Euro. „Was soll’s?“, dachte ich mir, und ging zur Kassa.

 

„Einmal, bitte.“

 

Ich überquerte ein Stück Riffelblech, drückte einem Angestellten meinen gerade bekommenen Chip in die Hand. Er zeigte mir einen leeren Wagen, in den ich mich setzen konnte, und drückte den Sicherheitsbügel herunter. Abfahrt. Die Doppeltüre, auf der in altmodischer Schrift „Aufstehen während der Fahrt strengstens verboten!“ stand, öffnete sich und schloss sich sofort wieder hinter mir. Bald tauchte eine beleuchtete Szene aus der Dunkelheit auf. Ein Stück Straße mit aufgemalten Pflastersteinen in tiefrotem und leicht grünlichem Licht, sich drehende Puppen und Zeitungsschlagzeilen über Kriminalfälle.

 

Eine enge Kurve folgte, in der ich mich an den Bügel klammerte. Nach wenigen Metern ging es bergauf, und im nächsten Moment schreckte mich ein Sirenengeräusch auf, das Rattern über die Schienen völlig übertönend. Die roten Buchstaben „ALARM“ blinkten vor mir über der Strecke, hellweißes Stroboskop-Licht erhellte die Umgebung, und dann – nichts.

 

Ruckartig blieb mein Gefährt stehen, es wurde still, nichts passierte. Sehr witzig, dachte ich mir. Nach zwei Minuten des Herumrückens und Umsehen in alle Richtungen tat sich immer noch nichts. „Hallo!“, rief ich laut und rüttelte herum. Wartete eine weitere Minute und schrie nochmals „Hallo!“, denn für „Hilfe!“ war ich mir zu stolz.

 

Mit einer Hand tastete ich in dem Wagen herum und erwischte einen eingetrockneten Kaugummi. Aber an einer Seite des Sicherheitsbügels versteckte sich ein kleiner Hebel, mit dem sich dieser entriegeln ließ. Ganz dunkel war es ja doch nicht, und den schmalen Steg links neben mir hatte ich längst erahnt. Langsam und vorsichtig stieg ich aus und tastete mich die Wand entlang. Zumindest drang an einer Ecke Licht herein, so dass ich eine Tür erkennen konnte. Sie war nicht versperrt. Ich fand mich im Freien wieder, auf einer kleinen Plattform im ersten Stock, und konnte die Leute vorbeigehen sehen. Es erschien mir seltsam, dass es dunkler geworden war, aber es waren wohl doch Wolken aufgezogen. Eine Treppe aus Metallstangen und gelochtem Blech führte nach unten. Wenn mich jemand fragen würde, was ich hier machte, wüsste ich genau die richtige Antwort.

 

Ich wusste nicht genau, was mir in diesem Moment noch anders vorkam. Aber die Leuchtschrift war abgeschaltet und mit einer Plane überdeckt. An der Kassa stand ebenfalls

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 02.02.2015
ISBN: 978-3-7368-7510-4

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