Wir hatten uns zu diesem Anlass extra ein Hotelzimmer in einem abgelenen Bergdorf gemietet. Dem Kofferrauminhalt hatten wir uns bereits gestern in einem nahegelegenen Wäldchen, an einer Stelle, welche man mithilfe eines Fernglases gut von der Nordseite unseres Hotels beobachten konnte, entsagt.
Die restliche Nacht verbrachten wir auf dem Zimmer. Wir wollten uns keine Übernachtung in unserem Auto antun. In diesem teuflischen Gefährt konnte man kein Auge gefahrlos zutun. Diesem Blechmonster verdankten wir überhaupt den ganzen Schlamassel. Es war ein fahrlässiges Auto. Es wusste doch, das ich manchmal ein Bierchen zu viel schlürfte. Auch über seine defekten Bremsen wusste es Bescheid. Das Resultat hätte es erahnen können.
Aber egal, das war nun Vergangenheit. Wir hatten geschworen nie mehr darüber zu reden. Der Plan war perfekt. Zumindest solange ich meine Frau in Zaum halten konnte.
Ich rauchte gerade meine letzte Zigarette. Danach wollten wir abreisen. Meine Frau saß auf dem Sofa zu meiner Linken.
"Findest du nicht wir sollten nochmal darüber reden?", meinte sie.
"Wir haben mehr als genug darüber geredet", sagte ich.
"Aber ich fühl mich so schuldig", klagte sie mit wehmütiger Stimme.
"Schatz wir hatten das doch geklärt. Das Auto war schuld. Wenn es uns nicht wegen seiner kaputten Bremsen warnt, können wir doch nichts dafür."
"Aber du warst betrunken, meinst du nicht dass das zu dem Unfall beigetragen haben könnte?"
"Das Auto kannte meine Trinkgewohnheiten, es hätte darauf vorbereitet sein müssen"
"Aber –"
Sie verstummte angesichts meiner unüberwindlichen Festung von Miene. Meine Augen blickten tief in ihre, ohne aber einen Anschein von Mitgefühl erkennen zu lassen, vielmehr ein Ultimatum welches ewiges Schweigen meinerseits zur Folge hätte, würde sie sich nicht fügen.
Sie senkte den Kopf und vergrub ihn wieder in ihr Buch. Gut gemacht mein gehorsames Weib. Damit war meine Freiheit also gesichert und ich lebenslänglich dem Zorn der Gerichte entkommen. Unser auf Vergeltung aufbauendes Rechtssystem war ohnehin absurd. Sollte man mich meiner Freiheit berauben, nur um die Rachegelüste der Angehörigen zu befriedigen? Glaubte man wirklich, dass das ihre Trauer lindere? Einer solchen Vorstellung kann nur verfallen wer selbst ein passiver Rächer war oder ein konventionalisierter Einfaltspinsel ohne Denkapparat ist.
Während mein Geist über allerlei Abstrusitäten sinnierte verschwand mein Körper ins Nachbarzimmer, um sich noch ein Bierchen vor der Abfahrt zu gönnen und lies meine Frau mit ihrem Buch allein.
Das Buch handelte von der guten alten Zeit, jener Zeit, als die Erde nur drei Kontinente zählte und Treue und Tapferkeit die Herzen der Menschen untermauerte. Ich schenkte es ihr in der Hoffnung damit etwas Grips in ihren Gipskopf zu gießen.
Mit gutem Gewissen ging ich zum Kühlschrank, nahm mir ein Bier, öffnete es mit dem Flaschenöffner, den ich stets bei mir trug und trank daraus. Eh ich mich versah war die Flasche leer.
Ich öffnete gerade eine zweite Flasche, da vernahm ich das Geräusch der Türklinke, gefolgt von hastigen Schritten im Treppenhaus.
Ich erwartete das Schlimmste. Ich ließ mein Bier fallen und stürmte den Flur; niemand da. Auf der Garderobe lag das Buch meiner Frau. Ich streifte mir meine Jacke über und machte mich sogleich auf die Suche nach ihr.
Ich durchkämmte alle Gänge, alle Räume, jeden Winkel des Gebäudes; doch keine Spur von ihr. Ich rannte auf den Parkplatz. Ich griff in meine Jackentasche; der Autoschlüssel, er war weg, und das Auto auch gleich dazu.
Tag der Veröffentlichung: 14.04.2013
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